Inhalt

AG München, Endurteil v. 12.01.2021 – 473 C 11647/20
Titel:

Eigenbedarf für Überlassung der Wohnung an ein Au-pair

Normenkette:
BGB § 573 Abs. 1 S. 1, § 573c Abs. 1 S. 2, § 546
Leitsätze:
1. Die Unterbringung eines Au-pair ist ein anerkennenswerter Kündigungsgrund iSv § 573 Abs. 1 S. 1 BGB. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Alleine ein mittelgradiges depressives Syndrom mit Antriebsverlust, Freudlosigkeit sowie depressiver Stimmungslage genügt nicht als Härtegrund iSv § 574 Abs. 1 BGB. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Miete, Eigenbedarf, Au-pair, Härtegründe, Depression
Fundstellen:
BeckRS 2021, 698
ZMR 2021, 328
LSK 2021, 698

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, die im 1. Obergeschoss links des Anwesens … M. gelegene Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern, einem Flur, einer Küche, einem Bad und einem Balkon zu räumen und an den Kläger herauszugeben
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich Ziffer 2. nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages. Hinsichtlich Ziffer 1. kann die Vollstreckung vom Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 EUR abgewendet werden.
4. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist gewährt bis 31.07.2021.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 9.156,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung nach vorangehender Kündigung.
2
Der Beklagte schloss mit den Rechtsvorgängern des Klägers am 30.08.2011 einen Mietvertrag über eine Wohnung im 1. Obergeschoss der … M., eine ca. 59 qm große 2-Zimmer-Wohnung mit gesondertem Flur, Küche, Bad und Balkon (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Mietvertrag, vorgelegt als Anlage K2, Bezug genommen). Es handelt sich hierbei um einen Folgevertrag, das Mietobjekt hat der Beklagte seit 01.01.2002 inne (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der beklagten Partei vom 23.11.2020 Bezug genommen).
3
Am 28.06.2016 wurde der Kläger als neuer Eigentümer in das Grundbuch des Amtsgerichts München (Ludwigvorstadt) eingetragen und trat so in das bestehende Mietverhältnis als Vermieter ein.
4
Mit Schreiben vom 13.11.2019 kündigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Mietverhältnis mit dem Beklagten ordentlich mit Kündigungsfrist zum 31.08.2020, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin (zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Kündigung, vorgelegt als Anlage K6, Bezug genommen). Grund für die Kündigung war, dass der Kläger und seine Frau zum 01.09.2020 ein Au-pair für ihre drei Töchter, insbesondere auch die erst im Januar 2020 geborene Tochter, einstellen wollten. In dieser Kündigung wurde einer stillschweigenden Verlängerung des Mietverhältnisses widersprochen und auf das Widerspruchsrecht des Mieters hingewiesen.
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Mit Schreiben vom 22.06.2020 widersprach der Beklagte der Kündigung (zu den weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 22.06.2020, vorgelegt als Anlage K8, Bezug genommen).
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Der Kläger trägt vor, die Beschäftigung eines Au-pair für seine drei minderjährigen Kinder sei wegen des beruflichen Wiedereinstieges seiner Ehefrau Mitte Juli 2020 notwendig. Aufgrund ihres Vollzeitjobs als selbstständige Unternehmensberaterin habe diese keine Möglichkeit, der Kinderbetreuung nachzukommen. In der eigenen Wohnung des Klägers und seiner Frau, die aus einem Elternschlafzimmer, drei Kinderzimmern, einem Wohn- und Essbereich mit offener Küche sowie Bad und einem Büro bestehe, gebe es keine Möglichkeit zur Unterbringung des Au-pair, da sämtliche Räume bereits genutzt würden. Insofern sei er auf die Nutzungsmöglichkeit der durch den Beklagten gemieteten Wohnung angewiesen. Er habe sich deshalb entschlossen, dem zu engagierten Au-pair die vom Beklagten bewohnte Wohnung zur kostenlosen Unterbringung zur Verfügung zu stellen. Die vom Beklagten bewohnte Wohnung sei 650 m von der vom Kläger bewohnten Eigentumswohnung entfernt und damit zu Fuß in acht Minuten zu erreichen (zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift vom 08.07.2020 Bezug genommen). Die Klagepartei ist der Rechtsansicht, der Vermieter habe ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn er die Wohnung benötige, um den Wohnbedarf einer Betreuungsperson, die für seine Kinder eingestellt würden, zu decken (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 14.09.2020 Bezug genommen). Der Kläger ist weiter der Auffassung, er könne in diesem Zusammenhang zur Vermeidung der Kündigung und Beendigung des mit dem Beklagten bestehenden Mietverhältnisses nicht darauf verwiesen werden, eine anderweitige Wohnung für die Au-pair anzumieten (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 14.09.2020 Bezug genommen). Die Klagepartei bestreitet, dass angemessener Ersatzwohnraum auf Seiten des Beklagten nicht zu beschaffen sei und dass der Beklagte auf dem freifinanzierten Wohnungsmarkt chancenlos sei. Die Klagepartei trägt weiter vor, der Beklagte habe keinen Vortrag dazu geliefert, welche Maßnahmen ergriffen habe und warum er bisher keine angemessene Wohnung gefunden habe, auch seine Bemühungen hierzu habe er nicht dargelegt (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 07.12.2020 Bezug genommen). Die Klagepartei bestreitet, dass eine zwangsweise Räumung zu einer Verschlechterung der vom Beklagten behaupteten Krankheitssymptomatik führen würde. Offensichtlich befinde sich der Beklagte, so die Klagepartei, nicht in durchgehender ärztlicher Behandlung, da er sich laut vorgelegten Attest vom 20.10.2020 erstmals am 01.10.2020 ambulant vorgestellt habe. Die Klagepartei ist der Auffassung, der Beklagte habe nicht im Ansatz substantiiert dargestellt, dass er wegen einer Krankheit an der Räumung gehindert sei (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 07.12.2020 Bezug genommen).
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Der Kläger beantragt,
1. Der Beklagte wird verurteilt, die im 1. Obergeschoss links des Anwesens … München gelegene Wohnung, bestehend aus 2 Zimmern, einem Flur, einer Küche, einem Bad und einem Balkon zu räumen und an den Kläger herauszugeben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Hilfsweise beantragt er, das Mietverhältnis auf unbestimmte oder bestimmte Zeit, § 574 a Abs. 2 BGB, fortzusetzen. Hilfshilfsweise beantragt er die Gewährung einer angemessenen Räumungsfrist, § 721 ZPO.
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Der Beklagte trägt vor, eine Unterbringung des Au-pair in der Wohnung des Klägers müsse aufgrund der Vielzahl der Zimmer, insbesondere der drei Kinderzimmer möglich sein, da die Kinder erst sieben und acht Jahre alt und das dritte Kind noch unter einem Jahr alt seien. Weiter sei es auch möglich, das Au-pair in einer anzumietenden 1-Zimmer-Wohnung in vergleichbarer Distanz zu der vom Kläger bewohnten Wohnung unterzubringen. Bei dem Beklagten selbst liege ein Grad der Behinderung von 60 vor, er gelte folglich als schwerbehindert. Zudem beziehe er Hartz-IV-Leistungen. In Folge dessen sei er auf dem freien Wohnungsmarkt chancenlos. Seit 2020 sei er aber für eine öffentlich geförderte Wohnung bei der Stadt München vorgemerkt. Er habe sich auch um Ersatzwohnraum bemüht (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 3 20 Neffen 2020 sowie der damit vorgelegten Anlage B3 Bezug genommen).
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Des Weiteren, so der Beklagte, liege bei ihm ein mittelgradiges depressives Syndrom mit Antriebsverlust, Freudlosigkeit sowie depressiver Stimmungslage vor, was sich durch zwangsweise Räumung weiter verschlechtern würde (zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung vom 12.08.2020, sowie den Schriftsatz vom 27.10.2020, Bezug genommen).
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Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Kündigung vom 13.11.2019 nicht wirksam geworden sei, da der Kläger kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 573 Abs. 1 BGB habe. Die Voraussetzung der „Gebotenheit“ sei wegen der alternativen Unterbringungsmöglichkeiten durch Anmietung neuen Wohnraumes nicht erfüllt. Nach Ansicht des Beklagten gebiete sein grundrechtlich garantierter Schutz eine das Mietverhältnis schonende Vorgehensweise. Der im Rahmen von § 573 Abs. 1 S. 1 BGB anerkannte Fall der Unterbringung einer Pflegekraft sei dem vorliegenden Fall deswegen nicht vergleichbar, da das Au-pair hier weder in der eigens bewohnten Wohnung, noch im selben Haus untergebracht werden solle, sondern 650 Meter weit entfernt. Dieser räumliche Unterschied sei essentiell und erfordere eine gänzlich unterschiedliche Betrachtung (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagtenpartei vom 28.09.2020 Bezug genommen). Das grundrechtlich geschützte Wohnrecht des Beklagten gehe dem Herausgabeverlangen des Klägers daher vor (zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten Partei vom 3 20.11.2020 Bezug genommen). Er, der Beklagte, falle unter die Härtefallregelung des § 574 BGB und könne daher nicht unter zumutbaren Bedingungen Ersatzwohnraum finden. Auch die Gefahr von gesundheitlichen Verschlechterungen im Falle einer Zwangsräumung sei im Rahmen der Härtegründe zu berücksichtigen. Hilfsweise sei ihm, dem Beklagten, eine angemessene Räumungsfrist zu bewilligen, in etwa in Höhe der gesetzlich zulässigen Höchstgrenze (zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung vom 12.08.2020, sowie den Schriftsatz vom 28.09.2020, Bezug genommen).
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Das Gericht hat die Parteien im Termin vom 03.11.2020 angehört. Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 03.11.2020 und die übrigen Aktenbestandteile.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.
A. Zulässigkeit der Klage
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Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht München ist sachlich und örtlich zuständig gem. §§ 1 ZPO, 23 Nr. 2a GVG, 29a Abs. 1 ZPO, da die streitige Wohnung in München gelegen ist.
B. Begründetheit der Klage
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Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Räumungs- und Herausgabeanspruch gem. § 546 Abs. 1 BGB zu, da das Mietverhältnis durch die ordentliche Kündigung des Klägers vom 13.11.2019 zum 31.08.2020 wirksam beendet wurde (§§ 573 Abs. 1 S. 1, 573c Abs. 1 S. 2 BGB). Härtegründe, die eine Verlängerung des Mietverhältnisses bedingen würden, liegen nicht vor.
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I. Die Kündigung vom 13.11.2019 hat das Mietverhältnis zum 31.08.2020 beendet, weil sie formell und materiell wirksam ist.
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1. Die Kündigung vom 13.11.2019 wahrt die erforderlichen Formvorschriften, insbesondere die Schriftform gemäß § 568 Abs. 1 BGB. Zudem wurden im Kündigungsschreiben die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters angegeben, § 573 Abs. 3 S. 1 BGB. Der Zweck dieser Vorschrift besteht darin, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über eine Rechtsposition zu verschaffen und ihn dadurch in die Lage zu versetzen rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen. Diesem Zweck wird im allgemeinen Genüge getan, wenn das Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterschieden werden kann, das ist hier der Fall. Die Kündigung vom 13.11.2019 ging dem Beklagten am 14.11.2019, nach Zustellung per Einwurf/Einschreiben zu, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB.
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2. Der Kläger konnte auch materiell einen wirksamen Kündigungsgrund i.S.d. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB geltend machen.
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a) Ein vorrangiger spezieller Kündigungstatbestand des § 573 Abs. 2 BGB liegt nicht vor. Zu Recht geht der Beklagte davon aus, dass ein Au-pair nicht Angehörige/r des Haushalts i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist. Zudem handelt es sich nach dem Willen des Vermieters um eine Person, die erst noch neu mit seinem Wohnraum versorgt werden soll, bisher gerade aber nicht in seinem Haushalt untergebracht war. Solche Fälle fallen nicht unter § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, sondern sind bei § 573 Abs. 1 BGB zu prüfen (vgl. Blank/Börstinghaus, 6. Aufl. 2020, BGB § 573 Rn. 51). Insoweit ist dem Beklagten uneingeschränkt zuzustimmen.
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b) Allerdings ist vorliegend § 573 Abs. 1 S. 1 BGB einschlägig. Dass der Kläger überhaupt ein Au-pair einstellen und in der Wohnung des Beklagten unterbringen will, ist unstreitig. Der Beklagte erkennt diesen Umstand aber nicht als Interesse im Sinne des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB an. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Wunsch des Vermieters, ein Au-pair zur Kinderbetreuung in seinen Haushalt aufzunehmen, grundsätzlich vernünftig und nachvollziehbar ist (BVerfG, NJW 1994, 994). Entgegen der Ansicht des Beklagten ist aber nach Auffassung des Gerichts auch ein anerkennenswerter Kündigungsgrund i.S.d. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB gegeben, wenn der Vermieter ein Au-pair in einer vermieteten Wohnung unterbringen möchte, die fußläufig von seinem bewohnten Eigenheim entfernt liegt. Der Vermieter ist nicht gehalten, das Au-pair zwingend unter seinem Dach unterzubringen, wenn er weiteren Wohnraum in fußläufiger Entfernung zur Verfügung hat und nachvollziehbare Gründe vorträgt, warum nur eine auswärtige Unterbringung erfolgen kann. Ebenso muss er keinen Wohnraum anmieten, um eine Kündigung der Beklagtenwohnung zu vermeiden.
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Der Kläger hat hier ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses gem. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB. Ein Fall nach § 573 Abs. 1 muss ein ähnliches Gewicht haben wie die gesetzlich aufgeführten Fälle in Abs. 2, da sonst der Schutzzweck des Gesetzes vereitelt würde. Dabei hängen die Anforderungen an das Vorliegen eines berechtigten Erlangungsinteresses des Vermieters davon ab, ob der geltend gemachte Kündigungsgrund eher eine größere Nähe zum Eigenbedarfstatbestand oder eher eine solche zum Tatbestand der Verwertungskündigung aufweist (Staudinger/Rolfs, (2018) § 573 Rn. 176). Die Fallgruppe der sogenannten „eigenbedarfsähnlichen“ Kündigungsgründe ist dabei im Rahmen von § 573 Abs. 1 S. 1 BGB anerkannt (MüKoBGB/Häublein, 8. Aufl. 2020, BGB § 573 Rn. 50; Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 53). Die Unterbringung einer Hilfsperson, wie eines Au-pair, stellt dann ein berechtigtes Interesse für den Vermieter dar, wenn für die Beschäftigung der Hilfsperson ein Bedürfnis besteht und ihre Unterbringung im Haus oder in der Nähe der Vermieterwohnung aus persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen geboten ist (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 53; BGH NJW 2009, 1808). Nach Auffassung des Gerichts ist die Konstellation der Au-pair-Unterbringung in einer auswärtigen, fußläufig erreichbaren Wohnung, die mit der Wohnung der Familie nicht identisch ist, durchaus auch mit der anerkannten Fallgruppe „Betriebsbedarf“ vergleichbar, welcher ohnehin ein Unterfall des Eigenbedarfs ist. Die dort aufgestellten Grundsätze können auf das Au-pair, das in einer anderen Wohnung als dem unmittelbaren Familienhaushalt untergebracht werden soll, übertragen werden (vgl. allgemein dazu, dass die Aufnahme einer Hilfsperson in den Privathaushalt unter den Gesichtspunkt des Betriebsbedarfs fallen kann, und dann ein Betriebsbedarf im weiteren Sinne vorliegt, wenn die Hilfsperson in den Haushalt als Organisation eingegliedert werden soll, auch wenn sie nicht in den Haushalt aufgenommen und in derselben Wohnung leben soll wie der Vermieter, Staudinger/Rolfs, (2018) § 573 Rn. 186). Die ordentliche Kündigung eines Mietverhältnisses mit einem Betriebsfremden über eine reguläre Mietwohnung ist im übrigen denkbar, wenn der Vermieter die Wohnung künftig als Werkmiet- oder Werkdienstwohnung für einen Betriebsangehörigen benötigt (Umnutzung in Werkwohnung). Für den Erfolg der Kündigung dürfte ein gesteigerter Betriebsbedarf erforderlich sein, der mit dem betrieblichen Bedarf an einer funktionsgebundenen Werkmietwohnung vergleichbar ist (Cramer, Mietrecht, 2019, Kap. H, Rn. 189).
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aa) Zunächst trifft es auch beim Au-pair zu, dass die Wohnung im Rahmen eines Dienstverhältnisses überlassen werden soll. Dabei kann hier offen bleiben, ob eher eine Werkmiet- oder eine Werkdienstwohnung vorliegt. Angesichts der Tatsache, dass die Wohnung nicht nur mit Rücksicht auf das Bestehen eines Dienstverhältnis überlassen würde, sondern im Rahmen eines solchen - vergütet der Vermieter die geleisteten Dienste jedenfalls teilweise durch Überlassung einer Wohnung - läge eine Werkdienstwohnung näher.
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bb) Weiter stellt sich die Frage, welche Bedeutung es hat, dass das Au-pair seine Wohnung gerade in der vom Beklagten bewohnten Wohnung nehmen soll. Bei dieser Frage ist vor allem die Funktion und Aufgabe des Au-pair von Bedeutung (vgl. BGH NZM 2007, 639 zum Betriebsbedarf). Beim Au-pair gilt nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit, welche das Gericht uneingeränkt teilt, folgende Aufgabenbeschreibung:
„Die Hauptaufgabe eines Au-pairs besteht in der Unterstützung der Gastfamilie bei der Betreuung der Kinder. Zum Alltag eines Au-pairs gehört im Allgemeinen:
- die jüngeren Kinder zu beaufsichtigen und auf dem Weg in den Kindergarten oder in die Schule oder zu bestimmten Veranstaltungen zu begleiten, mit ihnen spazieren zu gehen oder zu spielen;
- leichte Hausarbeiten zu verrichten, also mitzuhelfen, die Wohnung sauber und in Ordnung zu halten sowie die Wäsche zu waschen und zu bügeln;
- das Frühstück und einfache Mahlzeiten zuzubereiten;
- das Haus bzw. die Wohnung zu hüten und die Haustiere zu betreuen.
Nicht zu den Aufgaben eines Au-pairs gehören die Kranken- und Altenpflege (Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger).
Ziel dieser Tätigkeiten ist die Integration in die Gastfamilie und damit die Möglichkeit für das Au-pair, sowohl die Sprache zu verbessern als auch die Kultur der Gastfamilie kennen zu lernen“ (vgl. „Au-pair“ in deutschen Familien - Informationen für Au-pair und Gastfamilien, https://www.arbeitsagentur.de/datei/au-pair-m...69.pdf, S. 6, abgerufen am 10.01.2021).
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Das Gericht ist davon überzeugt, dass ein Au-pair, das fußläufig weniger als zehn Minuten von der Gastfamilienwohnung entfernt lebt, alle diese Aufgaben erfüllen kann und zugleich auch noch hinreichend in die Familie integriert ist, um Sprache und Kultur der Gastfamilie kennenzulernen. Auch das „Wohnung hüten“ und die „Haustiere betreuen“ ist durchaus noch möglich. Insbesondere ist zu beachten, dass das Au-pair keinen 24-Stunden-Dienst zu leisten hat. Nach den Richtlinien der Bundesagentur für Arbeit gilt folgendes:
„Die Aufgaben im Haushalt (einschließlich der Beaufsichtigung Minderjähriger) dürfen das Au-pair grundsätzlich nicht mehr als sechs Stunden täglich und 30 Stunden wöchentlich in Anspruch nehmen. Soll diese Zeitdauer aus besonderem Anlass überschritten werden, so bedarf dies einer vorherigen Absprache. Die Überstunden müssen zeitlich ausgeglichen werden. Von der Familie kann verlangt werden, dass das Au-pair die übertragenen Aufgaben in angemessener Zeit erledigt. Die Erledigung privater Angelegenheiten (z.B. das Sauberhalten und Aufräumen des eigenen Zimmers) zählt nicht als Hausarbeitszeit. Die Einteilung der Hausarbeitszeit richtet sich nach den häuslichen Gewohnheiten und Bedürfnissen der Familie. Eine gewisse Regelmäßigkeit im Tagesablauf kann jedoch erwartet werden. Dem Au-pair steht mindestens ein voller Ruhetag in der Woche zu (nicht notwendigerweise am Wochenende, mindestens ein Sonn - tag im Monat muss jedoch frei sein). Außerdem sind mindestens vier freie Abende pro Woche zu gewähren. Für Sprachkurse, Religionsausübung, kulturelle Veranstaltungen und Exkursionen ist das Au-pair freizustellen." (vgl. „Au-pair“ in deutschen Familien - Informationen für Au-pair und Gastfamilien, https://www.arbeitsagentur.de/datei/au-pair-m...69.pdf, S. 7, abgerufen am 10.01.2021).
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cc) Als weiterer Punkt ist von Bedeutung, dass der Bedarf voraussetzt, dass familiäre Gründe die Nutzung gerade der gekündigten Wohnung notwendig machen und die Wohnung für die familiären Abläufe nach den Aufgaben des Au-pair von wesentlicher Bedeutung ist (vgl. BGH NJW 2017, 2819 zum Betriebsbedarf). Auch dies ist in der vorliegenden Konstellation der Fall. Es ist gerade die Wohnung des Beklagten erforderlich für die Unterbringung des Au-pair. Die vom Kläger und seiner Familie selbst bewohnte Wohnung ist für eine Unterbringung des Au-pair zu klein, so dass das Au-pair auf die Wohnung des Beklagten ausweichen muss. Ein Ausweichen eines anderen Familienmitgliedes auf die Wohnung des Beklagten oder eines Teils der Familie mit dem Au-pair zusammen, kann schon angesichts des noch jungen alters aller Kinder der Klagepartei (alle unter zehn Jahren) nicht erwartet werden. Der Kläger hat überzeugend dargelegt, nur mit der Hilfe eines Au-pair könne seine Frau ihrem Beruf wieder nachgehen und sei die Kinderbetreuung gleichzeitig sichergestellt. Es ist auch nicht erforderlich, dass das Bedürfnis für die Hilfskraft bereits bei Ausspruch der Kündigung besteht, sondern es genügt, dass aufgrund äußerer Umstände mit einiger Sicherheit damit gerechnet werden muss, dass der Vermieter die Dienste in naher Zukunft für seine Lebensführung benötigt (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 53). Im Zeitpunkt der Kündigung des Beklagten durch den Kläger im November 2019 war die Frau des Klägers noch schwanger; die Geburt des dritten Kindes im Januar 2020 war aber bereits absehbar, ebenso wie der berufliche Wiedereinstiegswunsch seiner Frau im Sommer 2020, so dass bereits vorauszusehen war, dass der Kläger die Hilfskraft ab diesem Zeitpunkt benötigen würde.
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(1) Die Unterbringung des Au-pair in der Wohnung des Beklagten, die in der Nähe der Vermieterwohnung liegt, ist aus persönlichen und praktischen Gründen geboten. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die vom Kläger gewählte Agentur von Gastfamilien zwar verlangt, das Au-pair grundsätzlich in der eigenen Wohnung oder dem eigenen Haus unterzubringen. Nur wenn dies nicht möglich ist, kann das Au-pair ausnahmsweise in einer räumlich in der Nähe gelegenen Wohnung untergebracht werden. Grund für diese erforderliche räumliche Nähe ist, wie auch die schon zitierten Hinweise der Bundesagentur für Arbeit aufzeigen, dass die Anstellung eines Au-pair nicht lediglich die Kinderbetreuung sicherstellen soll, sondern auf einem Austauschverhältnis beruht: Im Gegenzug zur Kinderbetreuung wird das Au-pair in die Familie und deren Alltag integriert und kann so Sprach- und Kulturkenntnisse erweitern. Der Kläger hat hier glaubhaft vorgetragen, dass eine Unterbringung in der von ihm bewohnten Wohnung nicht möglich ist. Sämtliche Räume dort sind bereits genutzt. Die Argumentation des Beklagten, dass aufgrund des jungen Alters der Kinder, gerade des Kleinkindalters der jüngsten Tochter, diese kein eigenes Zimmer benötige, vermag nicht zu überzeugen. Die Raumaufteilung innerhalb der eigenen Wohnung ist allein Sache des Klägers und seiner Familie und unterliegt lediglich einer Missbrauchskontrolle dahingehend, ob der verfügbare Wohnraum und die angegebene Nutzung in einem auffälligen Missverhältnis stehen, so dass sich der Verdacht aufdrängen müsste, die volle Ausnutzung des Wohnraumes werde nur vorgespiegelt, um die Kündigung zu ermöglichen. Dafür sind hier aber keine Anhaltspunkte erkennbar und hat der Beklagte auch weiter nichts vorgetragen. Würde man vom Kläger verlangen, zur Vermeidung einer Kündigung Kinderzimmer zusammenlegen zu müssen, wäre dies ein unzulässiger und nicht zu rechtfertigender Eingriff in Art. 6 GG, denn allein die Eltern entscheiden (ggf. in Rücksprache mit ihren Kindern, soweit alters- und entwicklungsmäßig möglich), ob ein Kind allein ein Zimmer erhält oder mit einem anderen Geschwister zusammen ein Zimmer teilen soll. Im Übrigen sind solche Entscheidungen von Eltern üblicherweise nicht statisch zu treffen, sondern dynamisch je nach Entwicklungsstand und Persönlichkeit der Kinder.
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Somit bleibt dem Kläger nur die Möglichkeit der Unterbringung in der vom Beklagten bewohnten Wohnung. Der Kläger hat hier - im Verhältnis zur Anmietung einer weiteren Wohnung - ein besonderes Interesse an der Nutzung der Wohnung für die Hilfskraft vor dem Hintergrund, dass er und seine Ehefrau die streitgegenständliche Wohnung 2016 gerade mit dem Hintergedanken erwarben, diesen Wohnraum eines Tages ihren Kindern zugute kommen zu lassen, was über die Einstellung des Au-pair zumindest mittelbar der Fall ist. Die Unterbringung des Au-pair in einer neu anzumietenden Wohnung stellt sich demgegenüber als unverhältnismäßig schwieriger und aufwändiger dar.
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(2) Dem berechtigten Interesse des Vermieters steht auch nicht entgegen, dass die streitgegenständliche Wohnung 650 Meter von der Wohnung des Klägers entfernt ist. An dieser Stelle dürfte es wieder eine Rolle spielen, dass wohl von einer Werkdienstwohnung auszugehen ist. Maßgeblicher Umstand muss die unmittelbare Nähe zur Gastfamilienwohnung sein. Dies ist aber bei 650 Metern Entfernung für das Gericht unproblematisch gegeben. Es kann keinen Unterschied machen, ob eine Hilfskraft, wie ein Au-pair, in einer eigenen Wohnung im selben Haus, in einer Wohnung auf demselben Grundstück in geringer Entfernung oder in einer anderen Wohnung ein paar Straßen entfernt untergebracht werden soll, so lange das Au-pair in selber Weise eingesetzt werden kann. Relevant ist dabei nur die „Nähe zur Vermieterwohnung“ (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 53). Diese ist hier bei der nur geringen Distanz und fußläufigen Erreichbarkeit in acht Minuten gegeben, so dass gewährleistet ist, dass das Au-pair schnell und flexibel die Familie erreichen, unterstützen und ihre Arbeitszeiten an die Bedürfnisse der Familie anpassen kann - in vergleichbarer Weise, wie wenn sie im selben Haus wie der Kläger untergebracht wäre. Daher erschließt sich nicht, warum der Beklagte der Ansicht ist, dem Gestaltungsrecht des Vermieters könne nur dadurch Geltung verschafft werden, dass sich der Bedarf für die Pflegekraft lediglich auf die eigene Wohnung oder das eigene Haus des Vermieters beziehe. In Ermangelung dahingehender Argumente ist diese Differenzierung nicht nachvollziehbar. Würde man zudem verlangen, dass ein Au-pair stets im selben Haus oder derselben Wohnung lebt wie die Gastfamilie, würde dies zu einer Schlechterstellung von Familien führen, die kinderreich sind aber über kein Haus verfügen, sondern in einer Wohnung leben. Ihnen wäre die Anstellung und Unterbringung eines Au-pair als Hilfestellung, damit beide Elternteile wieder berufstätig sein können, praktisch verwehrt. Denn während in einem Haus häufiger mehr Zimmer verteilt über mehrere Stockwerke vorhanden sind und daher ein freies Zimmer wahrscheinlicher ist, ist dies in städtischen Wohnungen seltener der Fall. Von der städtischen Familie zu verlangen, in eine größere Wohnung zu ziehen mit einem dann vorhandenen freien Zimmer für das Au-pair, wäre lebensfremd.
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(3) Auch § 12 BeschV (Au-pair-Beschäftigungen) steht nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift beträgt die maximale Beschäftigungsdauer eines bestimmten Au-pair grundsätzlich nur ein Jahr. Die Klagepartei möchte hier aber nicht ein bestimmtes Au-pair für ein Jahr beschäftigen, sondern generell ein Au-pair als Betreuung für die drei minderjährigen Kinder. Diese Betreuungskonstellation ist bei wechselnden Au-pair erkennbar auf einen längeren Zeitraum angelegt, schon deshalb, da die Kinder alle noch weit entfernt von der Volljährigkeit sind und die Ehefrau des Klägers wieder ins Berufsleben einsteigen möchte, und auch dies erkennbar nicht nur für ein Jahr.
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(4) Aus diesen Erwägungen ergibt sich ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses i.S.d. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB.
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Auf dieser Ebene wurden Mieterinteressen noch nicht berücksichtigt. Liegt - wie hier - ein zur Kündigung berechtigendes Interesse des Klägers vor, kann der Mieter sich in einer zweiten Stufe auf persönliche Härtegründe oder fehlenden Ersatzwohnraum berufen. Diese Interessen des Mieters sind dann, wenn sie dargetan sind, mit den berechtigten Interessen des Vermieters, die zur Kündigung berechtigten, abzuwägen.
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II. Das Mietverhältnis verlängerte sich auch nicht gem. § 545 BGB über den 31.08.2020 hinaus auf unbestimmte Zeit, da der Kläger einer solchen Verlängerung bereits im Rahmen der Kündigung widersprach. Eine solche Widerspruchserklärung ist bereits vor Fristbeginn im Rahmen der Kündigungserklärung möglich (vgl. BGH NJW 2010, 2124).
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III. Der Beklagte kann auch nicht vom Kläger gem. § 574, 574 a Abs. 1 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen.
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Zwar erfolgte der Widerspruch in schriftlicher Form gem. § 574 b Abs. 1 S. 1 BGB und wahrte die Frist des § 574 b Abs. 2 S. 1 BGB, es ist aber kein Fall des § 574 Abs. 1 BGB dargetan und unter Beweis gestellt. Auch ein Fall des § 574 Abs. 2 BGB liegt nicht vor:
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1. Ein Fall des § 574 Abs. 1 BGB ist nicht hinreichend dargetan und unter Beweis gestellt. Eine Beweisaufnahme war nicht durchzuführen: Unter einer „Härte“ sind dabei alle Nachteile wirtschaftlicher finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können (Schmidt-Futterer/Blank, 11. Aufl. 2013, BGB § 574 Rn. 20). Der Kläger legte vorliegend ein fachärztliches Gutachten vom 27.10.2020 vor, in welchem bei ihm ein mittelgradiges depressives Syndrom mit Antriebsverlust, Freudlosigkeit sowie depressiver Stimmungslage diagnostiziert wurde. Des Weiteren wurden bei ihm passive Todeswünsche festgestellt, jedoch keine akute Suizidalität. Auf Grund des vorgelegten Attestes steht fest, dass der Beklagte nicht in durchgehender ärztlicher Behandlung war, da er sich laut vorgelegten Attest vom 20.10.2020 erstmals am 01.10.2020 ambulant vorgestellt habe. Der Beklagte hat nicht im Ansatz substantiiert dargestellt, dass er wegen einer Krankheit an der Räumung gehindert sei. Auch die Tatsache, dass er zu 60 % schwerbehindert ist, reicht für sich genommen nicht aus. Ein Sachverständigengutachten war daher nicht einzuholen, da es bereits an hinreichenden Anknüpfungstatsachen fehlt. Das Attest vom 20.10.2020 stellt klar, dass der behandelnde Arzt Dr. … aufgrund des einmaligen Termins keinerlei Stellungnahme zum Verlauf und der Prognose der Erkrankung nehmen kann. Die bloße Behauptung ohne greifbare Umstände reicht auch nach der BGH-Rechtsprechung nicht aus, um ins Blaue hinein ein Gutachten einholen zu können.
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2. Auch der Härtegrund des § 574 Abs. 2 BGB ist nicht gegeben: Erforderlich ist, dass der konkrete Mieter außerstande ist, sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Ersatzwohnraum zu beschaffen. Dem Mieter obliegt es, alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Erlangung einer Ersatzwohnung zu ergreifen, wobei die Obliegenheit zur Ersatzwonhraumsuche nach herrschender Meinung grundsätzlich mit dem Zugang der Kündigung beginnt. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass angemessener Ersatzwohnraum nicht zu finden ist, ist dem Beklagten zuzumuten, die Wohnungssuche nicht nur auf die Münchner Innenstadt zu beschränken, sondern auch Wohnungen einzubeziehen, die sich im Münchner S-Bahn-Bereich befinden. Der Beklagte musste zu seinen Wohnungssuchbemühungen auch nicht angehört werden, das Gericht konnte seine mit Anlage B 3, B 4 und B 5 dargelegten Bemühungen als wahr unterstellen: Daraus ergibt sich, dass der Beklagte fast ausschließlich im zentralsten Innenstadtbereich gesucht hat, nämlich größtenteils nur Altstadt-Lehel und nur wenige Wohnungen in Sendling, Au-Haidhausen und Untergiesing-Harlaching. Die Suche beschränkt ausschließlich auf diese beliebten Stadtviertel und ist völlig unzureichend. Eine Härte i.S.v. § 574 Abs. 2 BGB ist daher zu verneinen. Allein der Umstand, dass der Beklagte seit 20 Jahren seinen Lebensmittelpunkt in der Innenstadt hat, vermag eine Härte im Sinne von § 574 Abs. 2 BGB nicht zu begründen.
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IV. Unter Abwägung der gegenseitigen Interessen ist der Beklagten eine Räumungsfrist bis 31.07.2021 gemäß § 721 ZPO einzuräumen. Dabei ist zu Gunsten des Beklagten neben seiner gesundheitlichen Situation zu berücksichtigen, dass dieser derzeit noch keinen Ersatzwohnraum zur Verfügung hat, wobei der Beklagte bisher seine Wohnungssuche nur auf einen geringen urbanen Ausschnitt beschränkt hat. Zudem ist von erheblicher Bedeutung, dass der Kündigungsgrund nicht aus der Sphäre des Beklagten stammt, sondern einzig aus der Sphäre des Klägers. Weiter ist zu berücksichtigen, dass infolge der Corona-Pandemie und des aktuellen Lockdown Ersatzwohnraum derzeit noch erheblich schwerer zu finden ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Kündigungsfrist bereits seit 31.08.2020 abgelaufen. Unter Berücksichtigung der Interessen des Klägers, insbesondere ihres Grundrechts auf Eigentum, erscheint eine Räumungsfrist bis 31.07.2021 angemessen.
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V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.