Inhalt

LG Passau, Endurteil v. 29.10.2021 – 4 O 610/21
Titel:

verfassungsmäßig berufener Vertreter, Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Wissenszurechnung, Arglistige Täuschung, Gesetzesverstoß, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Zug-um-Zug, Unzulässigkeit, Verkehrsanschauung, Objektiver Tatbestand, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Verfassungsmäßiger Vertreter, Streitwert, Verantwortlichkeit, Vertragsschluss, Parteivorbringen, Typengenehmigung, Genehmigungsverfahren

Schlagworte:
Klageabweisung, Arglistige Täuschung, Fahrzeugstilllegung, Vermögensschaden, Typengenehmigung, Darlegungsbelastung, Verkehrsanschauung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 08.03.2022 – 8 U 8441/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 30.09.2025 – VIa ZR 477/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 69236

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 20.239,56 € festgesetzt.

Tatbestand

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Der Kläger erwarb am 01.08.2019 beim Autohaus … in … den Pkw BMW 330D Xdrive A zum Kaufpreis von brutto 21.700,00 Euro. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs N 57 verbaut.
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Der Kläger behauptet, dass im Fahrzeug Zeitpunkt des Erwerbs unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut gewesen seien und nimmt daher die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch.
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Ein amtlicher, verpflichtender Rückruf des KBA existiert für das vom Kläger erworbene Fahrzeug nicht.
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Der Kläger beantragt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 20.239,56 Euro nebst Zinsen aus 20.239,56 Euro hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.08.2021 zu bezahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Heraushabe des Pkw Typs BMW 330d, FIN: ….
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 1.762,16 Euro Deliktszinsen zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw Typs BMW 330d, FIN: …
3.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag 1. genannten Fahrzeugs seit dem 11.08.2021 in Verzug befindet.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.491,07 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug sei vorschriftsgemäß. Der Rückruf bzgl. des Motors N57 betreffe andere Fahrzeugtypen und sei auf einen Bedatungsfehler zurückzuführen, der sich erst nach Durchlaufen des Genehmigungsverfahrens mit der korrekten Software versehentlich eingeschlichen haben. Weder habe die Beklagte daraus einen Vorteil gezogen, noch habe sie in irgendeiner Art vorsätzlich gehandelt. Es habe sich um ein Versehen gehandelt.
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Das Gericht hat am 11.10.2021 mündlich verhandelt. Dazu wird auf die Protokollniederschrift Bezug genommen. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze, insbesondere vom 28.07.2021, 01.09.2021, 10.09.2021, 01.10.2021, 04.10.2021 und 06.10.2021.

Entscheidungsgründe

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1. Die Klage ist unbegründet.
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a) Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, der das Gericht folgt, kommt dann, wenn der Fahrzeughersteller oder der Hersteller von Fahrzeugbestandteilen die zuständigen Typengenehmigungsbehörden über die technischen Voraussetzungen, die für eine Typengenehmigung erforderlich sind, bewusst täuscht, nur eine Haftung aus § 826 BGB gegenüber arglosen Fahrzeugkäufern in Betracht, die im Vertrauen auf die Genehmigungsfähigkeit der technischen Einrichtungen Fahrzeuge erwerben und bei Aufdeckung des tatsächlichen Sachverhalts der Gefahr einer Fahrzeugstilllegung ausgesetzt sind. Der Schaden des arglosen Kraftfahrzeugkäufers liegt dann in dem Abschluss eines nicht gewollten Vertrages.
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Haftungsauslösend sieht der Bundesgerichtshof dabei zu Recht, dass das an sich erlaubte Ziel der Erhöhung des Gewinns auch im Verhältnis zu dem Käufer eines betroffenen Fahrzeugs dann verwerflich wird, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde erreicht werden soll, dies mit einer Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden, als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt, weil ein solches Vorgehen derart gegen die Mindestanforderung im Rechts- und Geschäftsverkehr auf dem betroffenen Markt für Kraftfahrzeuge verstößt, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint.
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b) Haftungsvoraussetzung ist damit vor allem die Kenntnis der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten zu Details der Motorsteuerung und deren Billigung. Eine Wissenszurechnung der Kenntnis anderer Mitarbeiter findet nicht statt.
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Eine im Lichte der Genehmigungsvorschriften unzulässige Abgasregelung alleine reicht für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 826 BGB nicht aus, weil dieser Umstand alleine dem Verhalten der Verantwortlichen der Beklagten noch kein sittenwidriges Gepräge gibt (vgl. OLG München, Beschlüsse vom 22.04.2021 und vom 25.05.2012, 8 U 7432/20). Zum auch vom Kläger thematisierten Thermofenster (temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung) hat der BGH ausgeführt (Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20): „Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 16; vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 26). So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 19; vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 28).“
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Darlegungsbelastet für Anhaltspunkte, dass bei den verfassungsmäßig berufenen Vertretern ein solches Vorstellungsbild vorherrschte, ist der Kläger (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rz 19). Der Kläger hat dazu auf Seite 43 ff. der Klage vorgetragen: „Die Manipulationen sind daher nur dadurch zu erklären, dass die Beklagte bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug aufgrund hohen Entwicklungsaufwandes und steigenden Kosten nicht bereit war, diese auf sich zu nehmen, wenn der Erfolg auch anderweitig zu erzielen war. Dass dabei die gesetzlich geforderten Abgaswerte und insbesondere, das Verhältnis von CO2 und NOx, entsprechend der gesetzlichen Vorschriften, dauerhaft nicht eingehalten wurden, nahmen die Verantwortlichen der Beklagten dabei ebenso in Kauf wie die hierdurch bedingte massive Gefährdung der Umwelt und der Gesundheit von Millionen Menschen. Nachdem der Vorstand der Beklagten feststellte, dass mit zugelassenen und günstig zu entwickelnden bzw. implementierenden Mitteln die Grenzwerte nicht eingehalten werden konnten, entschloss sich der Vorstand, die Fahrzeuge der Beklagten mit unzulässigen Abschalteinrichtungen zu versehen. Der Vorstand der Beklagten erhielt dazu von den verantwortlichen Ingenieuren, die fur die Entwicklung der Abgasreinigung zuständig waren, entsprechende Berichte. … Dem Vorstand wurde berichtet, dass es nicht möglich sei, die gesetzlichen Werte ohne erheblichen technischen Aufwand und spürbare Mehrkosten pro Fahrzeug einzuhalten, wenn nicht zu unzulässigen Mitteln gegriffen werde. …
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Sowohl der Vorstand als auch die verantwortlichen Ingenieure beschlossen deshalb, durch Softwaremaßnahmen die Fahrzeuge so zu manipulieren, dass sie zumindest auf dem Rollenprüfstand die Grenzwerte einhielten, um die Typengenehmigung zu erhalten. Dabei war sowohl den Mitarbeitern als auch dem Vorstand bekannt, dass diese Methoden illegal sind und die Käufer der Fahrzeuge sowie die Umwelt geschädigt werden. … Dies nahmen sie bewusst in Kauf, um künftig überhaupt noch Fahrzeuge mit Dieselmotoren verkaufen zu können. Ohne diese illegalen Maßnahmen oder die zu vermeidenden kostenintensiven Entwicklungen wäre dies nicht mehr möglich gewesen. Dadurch wäre es zu Umsatzeinbusen gekommen und die Investoren der Beklagten hatten einen massiven Verlust erlitten, was sich natürlich wiederum direkt auf den Vorstand ausgewirkt hatte. Es ging den Beteiligten ausschließlich darum, den „Erfolgskurs“ der Beklagten fortzuführen und entsprechende Gewinne für die Investoren zu generieren. Sowohl der Vorstand als auch die Ingenieure handelten aus reiner Gewinnsucht. Die Ingenieure, die zuständig waren, erhielten entsprechende Boni und Prämien für den Bau der Fahrzeuge. Dadurch, dass sie die Abschalteinrichtungen verbauten, konnten sie weiter in ihrer Karriere voranschreiten und erhielten zudem umfangreiche Zahlungen. …“ Diese bestrittenen Ausführungen sind mit keiner einzigen zeitlich, örtlich und personell zuordenbaren Vorgangsschilderung hinterlegt. Es handelt sich daher um nichts anderes als Behauptungen ins Blaue hinein. Die dazu angebotenen Zeugen sind damit Ausforschungszeugen, so dass ihre Einvernahme prozessual unzulässig ist. Es fehlt daher an hinreichenden Anhaltspunkten im Parteivorbringen des Klägers dafür, dass ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten Kenntnis von Abschalteinrichtungen hatte, über die die Typengenehmigungsbehörde getäuscht werden muss, um eine Typengenehmigung zu erhalten (BGH, Urteil vom 08.03.21, VI ZR 505/19, Rz 28 ff.). Der Vortrag des Klägers löst daher auch keine sekundäre Darlegungslast aus.
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c) Im Urteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) hat der BGH zum Schadensbegriff bei nicht gewollten Verträgen auf folgendes hingewiesen (Rz 46): „Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht.“
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Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde im Jahre 2013 hergestellt, ist nunmehr mehr als 8 Jahre alt. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der im Fahrzeug verbaute Motor und seine Steuerung Gegenstand von Untersuchungen durch das KBA als zuständiger Typengenehmigungsbehörde war und unbeanstandet blieb. Der angeordnete Rückruf betraf andere Fahrzeugtypen. Die Entscheidungen der Typengenehmigungsbehörde haben für die Zivilgerichte Bindungswirkung (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 26.11.2020, 5 U 4001/19, Seite 4). Im Lichte der Verkehrsanschauung ist daher mit einer Fahrzeugstilllegung nicht mehr zu rechnen, so dass es auch am Schaden des Klägers fehlt.
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2. Kosten: § 91 ZPO
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3. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO
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4. Streitwert: § 3 ZPO
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Das Gericht hat den Klageantrag Ziffer 1 zugrunde gelegt. Zinsen bleiben nach § 4 ZPO außer Ansatz, auch dann, wenn sie ausgerechnet sind. Auch Anwaltskosten werden nach § 4 ZPO nicht angesetzt.