Inhalt

LG München II, Endurteil v. 09.04.2021 – 10 O 1781/20 Ver
Titel:

Keine bedingungsgemäße Deckung für coronabedingte Gastronomieschließungen

Normenketten:
AVB Betriebsschließungsversicherung § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3
BGB § 307
Leitsätze:
1. Zählen AVB die einem Versicherungsfalls zugrunde liegenden meldepflichtigen Krankheiten namentlich auf ohne das Sars-Cov-2-Virus zu nennen, so besteht für corona-pandemiebedingte Betriebsschließungen keine Deckung. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung, die keine Deckung für Versicherungsfälle auf der Grundlage der Corona-Pandemie bieten, sind nicht unwirksam. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona, Betriebsschließung, Meldepflichtige Krankheiten, Versicherungsbedingungen, Auslegung, Wirksamkeit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6922

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Klägerin gegen die Beklagte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung hat.
2
Die Klägerin betreibt in Weissach (nahe dem Tegernsee) unter dem Namen „…“ ein Resort inklusive Hotel, Restaurants, Bars, Wellness- und Sportangeboten.
3
Die Klägerin ist sie mit der Beklagten unter der Versicherungsnummer GBS ... über eine „Dynamische Betriebsschließungsversicherung“ gegen Schäden infolge Seuchengefahr verbunden. Zuletzt wurde diese Versicherung mit Nachtrag vom 11.11.2019 zum 01.01.2020 geändert (vgl. Anlage K2). Die Jahresprämie beträgt 1.357,63 €, die - neben einem Warenschadenrisiko in Höhe von 19.000,00 € im Jahr - versicherte Tagesentschädigung 32.333,00 €.
4
Gegenstand dieses Versicherungsvertrages sind die von der Beklagten verwendeten allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern-AVBdyn.BS 311/05 (im Folgenden einfach: „AVB“), Stand: 04/2009 (vgl. Anlage K3).
5
Gem. § 2 I Nr. 1 AVB ersetzt die Beklagte im Fall einer Schließung nach § 1 I Nr. 1 AVB den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur Dauer von 30 Schließungstagen.
6
§ 1 AVB hat folgenden Wortlaut:
㤠1 Was ist Gegenstand der Versicherung?
I. Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung?
Die Betriebsschließungsversicherung bietet Ihnen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz-IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger
1. den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; als Schließung ist es auch anzusehen, wenn sämtliche Betriebsangehörige Tätigkeitsverbote erhalten;
(…)
II. Wann ist der Versicherungsfall gegeben?
Ein Versicherungsfall ist
1. Im Fall des Abs.
I. Nr. 1: die behördliche Anordnung der Schließung;
(…)
III. Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig? Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.
1. Krankheiten (…)“
(Es folgt eine Aufzählung bestimmter Krankheiten. Nicht in dieser Aufzählung enthalten ist die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19).)
„2. Krankheitserreger (…)“
(Es folgt eine Aufzählung bestimmter Krankheitserreger. Nicht in dieser Aufzählung enthalten ist das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2).)
7
§ 4 AVB hat folgenden Wortlaut:
„Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen? (Ausschlüsse)
(…)
4. Krankheiten und Krankheitserreger
Wir haften nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf. (…)“
8
Jeweils ausdrücklich aufgrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie kam es in Bayern zum Erlass u.a. folgender Allgemeinverfügungen bzw. Verordnungen:
- Gem. Nr. 3 der Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020, Az.: 51-G8000-2020/122-67, wurde, gestützt auf § 28 I 2 IfSG, wurde mit Wirkung vom 18.03.2020 bis zum 30.03.2020 Folgendes bestimmt:
„Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen hiervon sind in der Zeit von 6.00 bis 15.00 Uhr Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen ist zudem die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. die Auslieferung; dies ist jederzeit zulässig. Es muss sichergestellt sein, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 Meter beträgt und dass sich in den Räumen nicht mehr als 30 Personen aufhalten. Weiter ausgenommen sind Hotels, soweit ausschließlich Übernachtungsgäste bewirtet werden.“
- Gem. Nr. 1 der Allgemeinverfügung vom 17.03.2020 zur Änderung der Allgemeinverfügung über Veranstaltungsverbote und Betriebsuntersagungen anlässlich der Corona-Pandemie vom 16. März 2020, Az. 51-G8000-2020/122-67, wurde mit Wirkung ab 18.03.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„e) In Nr. 3 wird nach dem ersten Satz folgender neuer Satz eingefügt: „Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen).
f) In Nr. 3 wird der letzte Satz durch folgende zwei Sätze ersetzt: „Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. Nr. 2 der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020, Az.: Z6a-G8000-2020/122-98, wurde, gestützt auf § 28 I 2 IfSG, wurde mit Wirkung vom 21.03.2020 bis zum 03.04.2020 Folgendes bestimmt:
„Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.“
- Gem. § 2 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) vom 27.03.2020 wurde mit Wirkung vom 31.03.2020 bis zum 19.04.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. § 2 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16.04.2020 wurde mit Wirkung vom 20.04.2020 bis zum 03.05.2020 Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. § 4 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 01.05.2020 wurde mit Wirkung vom 04.05.2020 bis zum 10.05.2020 Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 05.05.2020 wurde mit Wirkung vom 11.05.2020 bis zum 17.05.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
㤠13 Gastronomie
Gastronomiebetriebe jeder Art sind untersagt. Ausgenommen sind:
1. Die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken,
2. nicht öffentlich zugängliche Betriebs- und Schulkantinen, wenn gewährleistet ist, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 m beträgt.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 hat der Betreiber ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. § 12 Abs. 4 gilt entsprechend.
§ 14 Hotellerie
(1) Der Betrieb von Hotels, Beherbergungsbetrieben, Schullandheimen, Jugendherbergen und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte ist vorbehaltlich der Regelungen des Abs. 2 untersagt. Insbesondere darf für private touristische Zwecke keine Übernachtungsmöglichkeit angeboten werden.
(2) Zulässig ist die Beherbergung
1.
von Geschäftsreisenden,
2.
in Seminar- und Bildungshäusern, Wohnheimen und vergleichbaren Einrichtungen zu Zwecken der beruflichen Aus- oder Fortbildung, und
3.
von privat Reisenden, soweit der Aufenthalt nicht touristisch begründet ist.“
9
Bereits mit Email vom 17.03.2020 zeigte die Klägerin der Beklagten an, dass sie am 17.03.2020 Coronabedingt ihren Betrieb habe schließen müssen.
10
Die Beklagte lehnte in der Folge eine Einstandspflicht ab, bot der Klägerin allerdings eine vergleichsweise Zahlung in Höhe von 15% der versicherten Schäden an, was wiederum von der Klägerin abgelehnt wurde.
11
Die Klägerin behauptet insb., ihr Betrieb sei aufgrund der o.g. Allgemeinverfügung bzw. der o.g. Verordnungen seit dem 17.03.2020 praktisch vollständig geschlossen gewesen. Sie habe lediglich noch einen „Sushi-to-go“-Verkauf betrieben, mit welchem sie aber keine relevanten Umsätze erzielt habe.
12
Sie vertritt u.a. die Ansicht, die o.g. AVB könnten von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung nur so zu verstehen sein, dass generell Betriebsschließungen aufgrund von meldepflichtigen Krankheiten nach dem IfSG vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen. Dazu gehörten auch alle Krankheiten und Krankheitserreger, welche unter die Auffangtatbestände der §§ 6 I 1 Nr. 5, 7 II 1 IfSG fallen, also auch die Krankheit COVID-19 und der Kranheitserreger SARS-CoV-2. Sollte man hier demgegenüber zu einem anderen Ergebnis kommen, nämlich dass die o.g. Kataloge jeweils abschließend sind, läge zumindest ein Fall vor, bei dem beide Auslegungen vertretbar sind. Dann aber würde § 305c II BGB zu Gunsten des Versicherungsnehmers eingreifen. Dies wiederum hätte zur Folge, dass der Vertrag ergänzend ausgelegt werden müsste, und dies wiederum nur mit dem Ergebnis, dass COVID-19 und SARS-CoV-2 jeweils vom Versicherungsschutz umfasst sind. Sie habe daher gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Tagesentschädigung i.H.v. 32.333,00 € für die Zeit von 30 Tagen, d.h. insg. 969.990,00 € (nebst Zinsen).
13
Nachdem die Klägerin ursprünglich beantragt hatte festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Anspruch der Klägerin wegen der durch das Corona-Virus-SARS-CoV-2 bedingten Betriebsschließung seit dem 16. März 2020 nach Maßgabe des zwischen den Parteien vereinbarten Betriebsschließungsversicherungsvertrages (Versicherungsscheinnummer GBS 70/0471/7034142/214, Versicherungsbedingungen BS 311/05) zu erfüllen, hat sie ihre Klage in der Sitzung vom 24.02.2021 in eine Leistungsklage geändert, auf welche sich die Beklagte eingelassen hat.
14
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 969.990,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.02.2021 zu bezahlen.
15
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
16
Die Beklagte bestreitet insb., dass der Betrieb der Klägerin ab dem 17.03.2020 für mindestens 30 Tage vollständig geschlossen gewesen und dass die Klägerin über den „Sushi-to-go“-Verkauf keine relevanten Umsätze erzielt habe.
17
Sie vertritt im Übrigen - neben diversen weiteren rechtlichen Einwänden - die Ansicht, es liege bereits deswegen kein Versicherungsfall vor, weil die in § 1 AVB enthaltenen Krankheiten- und Krankheitserreger-Kataloge jeweils - auch für einen verständigen Versicherungsnehmer leicht erkennbar - sehr wohl abgeschlossen seien.
18
Mit Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts München II vom 23.11.2020 wurde die Sache gemäß § 348 a I ZPO auf den Einzelrichter übertragen.
19
Es wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, wobei hinsichtlich des Inhalts dieser Verhandlung auf das Sitzungsprotokoll vom 24.02.2021 Bezug genommen wird (Bl. 105/107 d.A.).
20
Beweis wurde nicht erhoben.
21
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die ausgetauschten Schriftsätze der Parteivertreter samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
22
Die Klage war abzuweisen, weil sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
23
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 969.990,00 € (nebst Zinsen).
24
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 969.990,00 € aus der Betriebsschließungsversicherung.
25
Es liegt nämlich bereits deswegen kein Versicherungsfall vor, weil die o.g. Allgemeinverfügungen bzw. die o.g. Rechtsverordnungen jeweils ausschließlich wegen der gegenwärtigen Corona-Pandemie erlassen worden sind, während § 1 AVB dahingehend auszulegen ist, dass die dort enthaltenen Krankheiten- und Krankheitserreger-Kataloge, welche weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 enthalten, abschließend sind. Zudem bestehen auch keine Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Versicherungsbedingungen.
26
Das Gericht folgt dabei der nach dem gegenwärtigen Stand ganz vorherrschenden Meinung in der Rechtsprechung, wobei neben den bereits zahlreich veröffentlichten Landgerichtsentscheidungen insbesondere die beiden aktuellen Urteile des OLG Stuttgart jeweils vom 15.02.2021, Az.: 7 U 335/20, BeckRS 2021, 2001, und Az.: 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002, hervorzuheben sind.
27
a) Wie es das OLG Stuttgart in seinen beiden o.g. Urteilen jeweils überzeugend formuliert, ist von folgendem rechtlichen Ausgangspunkt auszugehen:
„Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist überdies zu berücksichtigen, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis nicht in Verbraucherkreisen zu suchen ist, sondern vielmehr geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, nachdem die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt (vgl. dazu allgemein BGH, Urteile vom 18.11.2020 - IV ZR 217/19 Rn. 11 und vom 21.04.2010 - IV ZR 308/07 Rn. 12).“
28
b) Einem derartigen Versicherungsnehmer erschließen sich folgende Aspekte, wobei in der Folge kein Raum mehr bleibt für eine Anwendung der Mehrdeutigkeitsbestimmung des § 305c II BGB:
(1.) Betrachtet man den Wortlaut der AVB, so fällt auf, dass sowohl die Krankheit COVID-19 als auch der Krankheitserreger SARS-CoV-2 fehlen. Unter den Versicherungsschutz sollen aber nur, was in § 1 III AVB mit den Worten „die folgenden“ und „namentlich genannten“ verdeutlicht wird, die dort aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger fallen.
(2.) Bei einem Vertragsschluss bereits im November 2019 und Verwendung von AVB aus dem Jahre 2009, wie hier, konnten zwar die damals noch unbekannte Krankheit COVID-19 sowie der ebenso noch unbekannte Krankheitserreger SARS-CoV-2 gar nicht Eingang in die AVB finden. Erst seit der jeweiligen Fassung vom 19.05.2020 wird in § 6 IfSG (unter Abs. 1 Nr. 1 lit. t) die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und in § 7 IfSG (unter Abs. 1 S. 1 Nr. 44a) das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgelistet. Hätte hier aber tatsächlich keine statische, sondern eine dynamische Klausel vereinbart werden sollen, so wäre es naheliegend gewesen, dies durch eine Bezugnahme auf die zum Zeitpunkt der Betriebsschließung jeweils gültige Fassung des IfSG auszudrücken. Darüber hinaus hätte ohne weiteres auch eine Bezugnahme auf das IfSG insofern erfolgen können, als dort unter § 6 I 1 Nr. 5 bzw. unter § 7 II 1 Auffangtatbestände für nicht aufgezählte, aber bedrohliche übertragbare Krankheiten und gefährliche Krankheitserreger vorliegen.
(3.) Weiterhin fällt auf, dass bei dem Krankheiten-Katalog in § 1 III Nr. 1 AVB nicht nur COVID-19 fehlt. Es fehlt vielmehr auch die bereits lange vor Vertragsschluss und darüber hinaus auch schon vor dem Zeitpunkt der Fassung der hiesigen AVB (April 2009) in § 6 I Nr. 1 IfSG enthaltene Krankheit humane spongiforme Enzephalopathie (= Creutzfeldt-Jakob-Krankheit). Im Übrigen fehlen auch noch die jeweils seit der Fassung vom 21.03.2013 in § 6 I 1 Nr. 1 IfSG enthaltenen Krankheiten Keuchhusten, Mumps und Röteln sowie die seit der Fassung vom 17.07.2017 in § 6 I 1 Nr. 1 IfSG enthaltene Krankheit Windpocken. Hier hätte ein geschäftserfahrener und um Verständnis bemühter Inhaber eines gastronomischen Betriebes bereits erkennen können, dass selbst bereits lange bekannte und zudem im IfSG ausdrücklich genannte Krankheiten im Katalog fehlen. Letztlich stellt sich aber die Frage, wozu überhaupt - recht umständlich - solche Aufzählungen von Krankheiten und Krankheitserregern in den AVB stehen, wenn dies nach dem Verständnis der Klägerin überflüssig wäre. Viel näher liegt der Schluss, dass die Beklagte hier ganz bewusst abschließend bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger aufgelistet hat, um das für sie bestehende Versicherungsrisiko zu begrenzen. Angemerkt sei, dass sich ein solch begrenztes Risiko regelmäßig auch in entsprechend moderaten Versicherungsprämien (wie hier) widerspiegelt.
(4.) Gegen diese Auslegung ließe sich zwar einwenden, dass der unter § 4 Nr. 4 AVB geregelte Haftungsausschluss bei Prionenerkrankungen sinnlos wäre, wenn es sich hier tatsächlich um eine statische Klausel handeln würde. Tatsächlich findet sich nämlich in dem in § 1 III Nr. 1 AVB enthaltenen Krankheiten-Katalog keine Prionenerkrankung. So wurde, wie bereits ausgeführt, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, eine Prionenerkrankung, in den Katalog gerade nicht aufgenommen. Es stellt sich mithin die Frage, weshalb die Versicherung eine Krankheit aus dem Versicherungsschutz herausnehmen möchte, wenn sie Betriebsschließungen aufgrund dieser Krankheit ohnehin bereits im Rahmen der Risikobegrenzung nicht versichert. Dies könnte als Argument für eine dynamische Klausel herangezogen werden.
29
Wie das OLG Stuttgart in seinem o.g. Urteil, Az.: 7 U 335/20, überzeugend ausführt, gilt diesbezüglich jedoch Folgendes:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog (…) nicht als abschließend. Es handelt sich lediglich um einen klarstellenden Hinweis. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 2 AVB erkennbar und eindeutig („nur“) abschließend formulierte und ohne ausdrücklichen Bezug zu den §§ 6 f. IfSG aufgestellte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
30
Anzumerken ist, dass sich zwar die Klausel in dem vom OLG Stuttgart mit dem o.g. Urteil entschiedenen Fall insofern von der hiesigen unterscheidet, als dort das - besonders einengende - Wort „nur“ verwendet worden ist. Aber auch hier finden sich mit „die folgenden“ und „namentlich“ zumindest annähernd so restriktive Worte.
31
Entsprechend hat das OLG Stuttgart auch wiederum in seinem bereits zitierten Urteil mit dem Az.: 7 U 351/20, bzgl. einer Klausel ohne das Wort „nur“, überzeugend ausgeführt:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog in Ziff. 1.2 AVB nicht als abschließend. Es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit einer anderen Erkrankung ebenso wie die Mitursächlichkeit anderer, äußerer Faktoren den Versicherungsschutz entfallen lässt. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 1.2 AVB erkennbar abschließend formulierte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
(5.) Eine historische Auslegung führt hier - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch zu keinem anderen Ergebnis: Denn soweit die Klägerin auf die Gesetzesbegründung zu § 6 IfSG Bezug nimmt, ist dies für die Auslegung der - der Privatautonomie unterliegenden - Vertragsbedingungen irrelevant. Ebenso wenig überzeugt die Ansicht der Klägerin, eine teleologische bzw. eine europarechtskonforme Auslegung müssten hier zu dem Ergebnis einer dynamischen Verweisung kommen. Der Versicherungsschutz wird auch ohne dynamische Verweisung nicht ausgehöhlt, er ist nur weniger weitreichend.
32
c) Es liegt auch kein Fall der Unwirksamkeit der Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes gem. § 307 BGB vor:
(1.) Wie bereits oben im Rahmen der Ausführungen zur Auslegung der Klausel dargelegt, ist die Regelung nicht intransparent i.S.d. § 307 I 2 BGB. Es erschließt sich dem verständigen Versicherungsnehmer - zumindest bei einer für ihn nicht unzumutbaren Heranziehung des Gesetzestextes von § 6 f. IfSG - vielmehr, dass er hier gerade keinen umfassenden, sondern nur einen lückenhaften Versicherungsschutz erhält.
(2.) Auch benachteiligt die Regelung den Versicherungsnehmer nicht etwa deswegen treuwidrig unangemessen i.S.d. § 307 I 1 BGB, weil er keinen umfassenden Versicherungsschutz erhält. Vielmehr stellt sich dies als Ausdruck der Privatautonomie dar, wonach die Parteien grundsätzlich frei in der Ausgestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen sind. Würde man verlangen, dass Versicherungen stets nur einen umfassenden Versicherungsschutz zu gewähren haben, würde sich dies als Eingriff in die Privatautonomie darstellen. Wenn der Versicherungsnehmer an einem umfassenderen Schutz interessiert ist, liegt es an ihm, sich um eine entsprechende andere Vertragsgestaltung zu bemühen, und sei es auch, wie bereits erwähnt, ggf. zum Preis höherer Versicherungsprämien, bzw. sich eine andere Versicherung als Vertragspartner zu suchen.
(3.) Schließlich ergibt sich hier auch keine Unwirksamkeit der Regelung aus einer fehlenden Vereinbarkeit i.S.d. § 307 II Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung, von welcher abgewichen würde. Tatsächlich existiert eine solche gesetzliche Regelung im hiesigen Zusammenhang nämlich gar nicht. Gesetzlich geregelt ist im IfSG der Schutz der Bevölkerung vor ansteckenden Krankheiten, nicht aber der Schutz des Unternehmers vor Schäden aufgrund pandemiebedingter Betriebsschließungen (vgl. auch OLG Stuttgart, a.a.O.).
33
2. Mangels Bestehens eines Anspruchs in der Hauptsache hat die Klägerin gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen.
II.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO.
III.
35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.