Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 16.12.2021 – 101 Sch 96/21
Titel:

Festsetzung des Streitwerts, Höherer Streitwert, Erhöhung des Streitwerts, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Aufhebungsverfahren, Aufhebung des Schiedsspruchs, Kostengrundentscheidung, Antragsgegner, Aufhebung eines Schiedsspruchs, Zustimmungsbeschluss, Schiedsverfahren, Unzumutbarkeit, Kaufvertrag, Beschlussmängelstreitigkeit, Veräußerung einer Eigentumswohnung, Vorläufige Festsetzung, Abänderung, Geschäftswert, Rechtsschutz, mündlich Verhandlung

Schlagworte:
Mündliche Verhandlung, Streitwertfestsetzung, Schiedsspruchaufhebung, Vereinsrecht, Wirtschaftliches Interesse, Zugang zu Gerichten, Prozesskostenrisiko
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 23.03.2022 – 101 Sch 96/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 69173

Tenor

1. Die mündliche Verhandlung wird angeordnet.
2. Der Streitwert wird vorläufig auf … € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die mündliche Verhandlung ist anzuordnen, da die Aufhebung des Schiedsspruchs beantragt worden ist, § 1063 Abs. 2 i. V. m. § 1059 Abs. 1 ZPO.
II.
2
Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.
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1. Die Antragsteller begehren die Aufhebung des Schiedsspruchs vom ... hinsichtlich Ziffern 1 und 3, wobei Ziffer 3 lediglich die Kostengrundentscheidung betrifft. In Ziffer 1 ist festgestellt worden, dass der Zustimmungsbeschluss der außerordentlichen Mitgliederversammlung des A. vom ... zum Kaufvertrag mit der B. vom ... unwirksam sei. Gemäß der Einladung zur Mitgliederversammlung vom ... ist von einem endgültigen Kaufpreis von YYY € ausgegangen worden (Anlage SKW 3).
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Gegen den ihnen am ... mitgeteilten Schiedsspruch wenden sich die Antragsteller mit dem Aufhebungsantrag vom ...
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2. Der Wert der Beschwer richtet sich nach dem Interesse der Antragsteller an der Abänderung des sie belastenden Schiedsspruchs, der der Wirksamkeit des Kaufvertrags vom ... entgegensteht.
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Ziel der Antragsteller ist die Aufhebung des Schiedsspruchs, um so dem Zustimmungsbeschluss der Mitgliederversammlung und dem abgeschlossenen Kaufvertrag Wirksamkeit zu verschaffen. Gegen die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe des vollen Kaufpreises spricht bereits der Gesichtspunkt, dass die Veräußerung mit Fehlen der Zustimmung nicht „steht und fällt“. Die fehlende Zustimmung der Mitgliederversammlung verhindert die Veräußerung nicht dauerhaft, da im Rahmen einer neuen satzungsgemäß einberufenen Mitgliederversammlung ein entsprechender Beschluss gefasst werden kann. Das Fehlen der Zustimmung stellt somit kein absolutes Veräußerungshindernis dar. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat den Geschäftswert für Verfahren, in denen andere Wohnungseigentümer oder ein Dritter verpflichtet werden sollen, einem Vertrag über die Veräußerung einer Eigentumswohnung zuzustimmen, in der Regel mit 10 bis 20% des Verkaufspreises angenommen, sofern nicht besondere Umstände einen niedrigeren oder höheren Streitwert ergeben, wobei bei hohen Verkaufspreisen auf bis zu 10% des Verkaufspreises zurückgegangen werden kann (vgl. BayObLG, Beschluss vom 1. Februar 1990, BReg 2 Z 141/89, BayObLGZ 1990, 24 [juris Rn. 26]). Auch im hiesigen Verfahren geht es im Kern um die Frage der Wirksamkeit einer Zustimmung zu einem Kaufvertrag.
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Ausgehend von einem Kaufpreis von YYY € ergäbe sich insoweit ein Wert von ZZZ €.
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3. Auch ein Streitwert von ZZZ € wäre jedoch unzumutbar hoch, da das wirtschaftliche Risiko für die Antragsgegner, den Beschluss einer Mitgliederversammlung – schiedsgerichtlich – überprüfen zu lassen, nicht mehr verhältnismäßig wäre. Mit in den Blick zu nehmen ist hier das wirtschaftliche Risiko für die Antragsgegner im Aufhebungsverfahren umgekehrten Rubrums. Denn ein exorbitant hoher Streitwert in einem Aufhebungsverfahren, das im Anschluss an ein Schiedsverfahren von der dort unterlegenen beklagten Partei betrieben wird, kann eine effektive Rechtsverfolgung vor dem Schiedsgericht wegen der Gefahr einer ruinösen Kostenbelastung im anschließenden staatlichen Verfahren hindern.
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Gerichtskosten und Streitwert dürfen nicht so unangemessen hoch festgesetzt werden, dass es dem Bürger praktisch unmöglich gemacht wird, das Gericht anzurufen. Dies ist dann der Fall, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint (BVerfG, Beschluss vom 31. Oktober 1996, 1 BvR 1074/93, NJW 1997, 311). Aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist auch für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten. Dabei darf der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG NJW 1997, 311 [juris Rn. 7 m. w. N.]). Eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs kann insbesondere darin liegen, dass das Kostenrisiko die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigt.
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Die Antragsgegner haben als natürliche Personen vor dem Schiedsgericht als Schiedskläger die Unwirksamkeit des Zustimmungsbeschlusses der Mitgliederversammlung geltend gemacht. Nach dem für sie erfolgreichen Schiedsspruch stehen sie nunmehr auf der Passivseite des Aufhebungsverfahren.
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Zwar ist dem Grunde nach auf das Interesse der Antragsteller am Verfahren abzustellen. Allerdings kann auch die Festsetzung eines exorbitant hohen Streitwerts im Verfahren nach §§ 1059 ff. ZPO Vereinsmitglieder von der Geltendmachung ihrer mitgliedschaftlichen Rechte auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Mitgliederentscheids abhalten und den Zugang zu Rechtschutz unzumutbar, d. h. in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise, erschweren. Mit einer Festsetzung des Streitwerts auf ZZZ € läge eine solche unzumutbare Erschwerung des Rechtswegs vor. Aus diesem Grund sind die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze hier auch heranzuziehen.
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Die Antragsgegner haben als Mitglieder des Vereins kein persönliches wirtschaftliches Interesse an dem Verfahren. § 247 Abs. 1 AktG, wonach die Bedeutung der Sache für die Parteien bei Nichtigkeitsklagen und Beschlussmängelstreitigkeiten maßgeblich ist und sich deshalb ein Streitwert, der das Interesse der klagenden Gesellschafter übersteigt, ergeben kann, ist nicht entsprechend auf das Vereinsrecht anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 1992, II ZR 23/92, NJW-RR 1992, 1209 [juris Rn. 1]; h. M.: Wöstmann in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 3 Rn. 134; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 3 Rn. 47 „Verein“; Notz in BeckOGK BGB, Stand:
15. September 2018, § 32 Rn. 247). Anders als bei der Aktiengesellschaft wird die Mitgliedschaft in einem Verein grundsätzlich nicht durch den Erwerb von Anteilen in unterschiedlicher Höhe bestimmt, die über den Umfang der Beteiligung am Verbandsvermögen wie überhaupt über deren wirtschaftlichen Wert entscheidet. Der Gedanke des Aktienrechts, Kleinaktionäre unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung ihres Klagerechts durch die Berücksichtigung eines ihr eigenes wirtschaftliches Interesse überschreitenden Verbandsinteresses von der Erhebung willkürlicher Klagen abzuhalten, fehlt beim Verein typischerweise. Vielmehr verkörpert die Vereinsmitgliedschaft im Allgemeinen keinen Anteil am Verbandsvermögen, sichert aber im Grundsatz allen Mitgliedern die gleichen Rechte gegenüber dem Verein. Die Folge der Berücksichtigung des zumeist wesentlich höheren Verbandsinteresses im Bereich des Vereinsrechts wäre lediglich eine allgemeine Erhöhung der Streitwerte, ohne dass dies durch die bei Vereinen typischerweise anzutreffenden Strukturen innerlich geboten wäre. Die damit verbundene generelle Verteuerung der Prozesskosten brächte vielmehr die Gefahr mit sich, dass Vereinsmitglieder in einem den vereinsrechtlichen Verhältnissen nicht angemessenen Ausmaß davon abgeschreckt würden, von ihnen als nicht rechtmäßig erachtete Beschlüsse der Mitgliederversammlung gerichtlich nachprüfen zu lassen (BGH NJW-RR 1992, 1209 [juris Rn. 1]). Dies ist jedoch gerade nicht gewollt. Diese Grundsätze sind auch im Aufhebungsverfahren nach § 1059 ZPO zu beachten, wenn – wie hier – der Gegenstand des angegriffenen Schiedsspruchs eine vereinsrechtliche Beschlussstreitigkeit betrifft.
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Vorliegend sind die Antragsgegner, mithin neun Vereinsmitglieder, im Schiedsverfahren als Schiedskläger aufgetreten bei insgesamt 2.784 stimmberechtigten
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Vereinsmitgliedern. Der Senat setzt daher den Streitwert vorläufig auf … € fest (9 : 2.784 x ZZZ € = … €).
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Von einer Erhöhung des Streitwerts in Bezug auf die Kostengrundentscheidung des Schiedsgerichts (Ziffer 3 des Schiedsspruchs vom ...) ist abzusehen. Das Schiedsgericht übt gemäß § 32 Nr. 3 Satz 1 der Satzung seine Tätigkeit ehrenamtlich aus. Zwar sind die Antragsteller im Schiedsverfahren durch den Antragsteller zu 1) vertreten worden, die Antragsgegner durch den Antragsgegner zu 1). Im Schiedsspruch heißt es jedoch zu den Kosten lediglich: „Soweit Kosten in diesem Verfahren angefallen sind …“. Eine Entscheidung nach § 1057 Abs. 2 ZPO ist nicht ergangen.