Inhalt

LG Memmingen, Endurteil v. 25.03.2021 – 24 O 1231/20
Titel:

Keine Leistungspflicht der Betriebsschließungsversicherung in SARS-CoV-2-/COVID-19-Fällen

Normenketten:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305c, § 307
Leitsätze:
1. Besagt eine Klausel in der Betriebsschließungsversicherung, dass der Versicherer „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“ Entschädigung leistet und werden diese Krankheiten und Krankheitserreger anschließend mit dem Hinweis auf die „folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ definiert und aufgezählt, ohne dass SARS-CoV-2/COVID-19 in dieser Aufzählung enthalten wären, so besteht kein Deckungsschutz bei einer Betriebsschließung wegen dieses Krankheitserregers bzw. dieser Krankheit. (Rn. 12 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Klausel ist weder mehrdeutig (§ 305c Abs. 2 BGB) noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer inhaltlich unangemessen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB) noch verstößt sie gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). (Rn. 16 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, SARS-CoV-2, COVID-19, Coronavirus, Infektionsschutz, Transparenzgebot
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6901

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss.
Der Streitwert wird auf 66.450,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung.
2
Der Kläger betreibt ein Restaurant und Hotel in …. Hierfür hat er bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung, Versicherungsscheinnummer …, abgeschlossen. Die Jahresprämie beläuft sich nach dem Versicherungsschein vom 16.10.2018 auf 109,87 €, die versicherte Tagesentschädigung auf 2.215,00 € für die Dauer von bis zu 30 Schließungstagen. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung infolge von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern (BS311/05) zugrunde. In A § 1 I. 1. BS 311/05 heißt es:
㤠1 Was ist Gegenstand der Versicherung?
I. Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung?
Die Betriebsschließungsversicherung bietet Ihnen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger
1. Den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; als Schließung ist es auch anzusehen, wenn sämtliche Betriebsangehörige Tätigkeitsverbote erhalten; “
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A § 1 III. 1. und 2. BS 311/05 definiert, welche Krankheiten oder Krankheitserreger nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen meldepflichtig sind:
"III. Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig?
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
1. Krankheiten […]
2. Krankheitserreger […] „
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Anschließend nennen die Versicherungsbedingungen unter A § 1 III. 1. und 2. zahlreiche Krankheiten und Erreger, aber nicht das SARS-CoV2-Virus oder die hierdurch ausgelöste Krankheit Covid19, welche sich seit dem Frühjahr 2020 in Deutschland und weltweit massiv ausgebreitet haben.
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Mit Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 wurden gemäß Ziffer 2 Gastronomiebetriebe jeder Art untersagt, ausgenommen wurde lediglich die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
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Der Kläger ist der Ansicht, es liege ein versichertes Ereignis im Rahmen der Betriebsschlie ßungsversicherung vor. Die Versicherungsbedingungen seien so auszulegen, dass die Schließung aufgrund eines meldepflichtigen Krankheitserregers im Sinne der Versicherungsbedingungen erfolgt sei, weil das SARS-CoV2-Virus auch ohne ausdrückliche Nennung ein meldepflichtiger Krankheitserreger im Sinne der Versicherungsbedingungen sei. Die dortige Aufzählung sei nicht abschließend. Zudem sei sie überraschend und benachteilige den Kläger unangemessen, sollte sie abschließend sein.
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Der Kläger beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 66.450,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 15.04.2020 zu leisten.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsverfolgungsgebühren in Höhe von 1.752,90 € netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, die Aufzählung von Krankheiten in A § 1 I. 1. und 2. BS 311/05 der Versicherungsbedingungen sei abschließend. Zudem sei kein Versicherungsfall eingetreten, da keine vollständige Betriebsschließung angeordnet worden sei. Die Rechtsverordnung sei unwirksam, weil sie als Ermächtigungsgrundlage § 28 Abs. 1 IfSG anstatt § 16 IfSG nenne. Zudem bestreitet die Beklagte den Anspruch aus verschiedenen Aspekten auch der Höhe nach. Die am 07.09.2020 bei dem Landgericht Memmingen eingegangene Klageschrift vom 04.09.2020 wurde der Beklagten ausweislich der bei der Akte befindlichen Postzustellungsurkunde am 01.10.2020 zugestellt. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 04.03.2021 sowie den sonstigen Akteninhalt.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung, weil kein Versicherungsfall vorlag.
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1. Das Coronavirus SARS-COV2 bzw. die hierdurch ausgelöste Krankheit Covid 19 zählen nicht zu den meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern im Sinne der zwischen den Parteien geltenden Versicherungsbedingungen. Das Coronavirus wird in A § 1 III. 1. und 2. BS 311/05 der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen nicht genannt ebenso wenig wie die hierdurch ausgelöste Krankheit Covid 19.
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a. Das Gericht erachtet die in den Versicherungsbedingungen unter A § 1 III. 1. und 2. BS 311/052 genannten zahlreichen Krankheiten und Krankheitserreger in Übereinstimmung mit den zutreffenden Entscheidungen des Landgerichts München I, Az. 23 O 8381/20 und 23 O 10162/20, für abschließend. Maßgeblich ist hierbei die Auslegung der Versicherungsbedingungen nach den allgemeinen Grundsätzen. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urt. vom 10.04.2019, IV ZR 59/18). Hiervon ausgehend wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht annehmen, dass auch das Coronavirus bzw. Covid 19 unter die Versicherungsbedingungen fallen, da dieser Virus bzw. diese Krankheit nicht in der numerischen Aufzählung aufgeführt ist.
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Hierfür spricht bereits der Wortlaut von A § 1 III. 1. und 2. BS 311/05 der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen, welcher die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger als meldepflichtig bezeichnet. Die Formulierung „namentlich genannten“ wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer dahingehend verstehen, dass nur diejenigen Krankheiten und Krankheitserreger gemeint sind, welche der Versicherer in den Versicherungsbedingungen benannt, also im Einzelnen aufgeführt hat. Nicht namentlich benannte, insbesondere noch nicht bekannte Krankheiten und Krankheitserreger sind daher nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Dies wird durch das Adjektiv „folgende“ noch verstärkt. Denn der Versicherungsschutz soll sich gerade nur auf „die folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger beziehen. Damit ist ein klarer und unzweideutiger Bezug auf die nachfolgende Auflistung bestimmter Krankheiten und Krankheitserreger hergestellt. Wenn darüber hinaus weitere Krankheiten und Krankheitserreger hätten erfasst sein sollen, dann hätte es dieser Auflistung nicht bedurft.
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Dieses Verständnis zugrunde gelegt bedarf es auch eines klarstellenden Hinweises nicht, dass nicht aufgeführte Krankheiten oder Krankheitserreger nicht dem Versicherungsschutz unterfallen.
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b. Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der Nennung der §§ 6 und 7 IfSG in A § 1 III. 1. und 2. BS 311/05 geboten. Der Wortlaut enthält insoweit keinen Verweis, sondern nur den Hinweis, dass die im Folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten sind. Hierin ist keine dynamische Verweisung zu sehen, da es dann die Aufzählung der einzelnen Krankheiten und Krankheitserreger nicht bedurft hätte. Vielmehr wäre für diesen Fall der bloße Verweis auf die Normen im Infektionsschutzgesetz in der jeweils geltenden Fassung ausreichend gewesen.
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c. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts ist kein Raum für die Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB.
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d. Ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB ist ebenfalls nicht gegeben. Danach sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Regelung des Versicherungsumfangs durch die namentliche Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger stellt keine unangemessene Benachteiligung dar. Ein Versicherer kann im Rahmen eines Versicherungsvertrages die versicherten Gefahren beschränken. Eine andere Beurteilung würde dazu führen, dass entweder nur alles oder nichts versichert werden könnte.
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e. Die Aufzählung der einzelnen Krankheiten und Krankheitserreger ist auch nicht intransparent im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Zwar enthält die Aufzählung der einzelnen Krankheiten und Krankheitserreger medizinische Fachbegriffe, welche ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer zunächst nicht kennt. Jedoch kann die Bedeutung durch Nutzen eines medizinischen Wörterbuchs ohne Aufwand erschlossen werden, was ausreichend ist. Ansonsten wären alle Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die auf in der Allgemeinheit nicht bekannte Krankheitsbegriffe verweisen, wegen Intransparenz unwirksam.
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Die Klausel ist auch nicht deshalb intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sie einerseits auf die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger verweist und andererseits auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Der Regelungsgehalt dahingehend, dass die folgenden aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer eindeutig zu erkennen.
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f. Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Gegen eine derart weite Auslegung spricht der eindeutige Wortlaut der Klausel sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserregern. Beides zusammen macht es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen genannten Krankheiten und Krankheitserreger einstehen will, nicht jedoch für bei Vertragsschluss unbekannte Krankheitserreger. Damit ist der Umstand, dass Covid 19 nunmehr durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 23.05.2020 namentich als Krankheit in § 6 Abs. 1 Nr. 1 t IfSG aufgenommen wurde, aufgrund der abschließenden Auflistung für das vorliegende Verfahren unbeachtlich.
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2. Mangels Anspruches in der Hauptsache kann der Kläger keine Verzugszinsen und keine Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.
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II.  Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO
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III. Der Streitwert wurde gemäß §§ 63, 39 ff. GKG, 3 ff. ZPO festgesetzt.