Titel:
Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie
Normenketten:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 2
AVB Betriebsschließungsversicherung
VVG § 92
Leitsätze:
1. Verspricht der Versicherer einer Betriebsschließungsversicherung in seinen AVB Leistungen für den Fall, dass "die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt" und definieren die AVB meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger als "die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger (vgl. §§ 6 und 7 IfSG)", handelt es sich hierbei um eine abschließende Aufzählung, so dass kein Versicherungsschutz für eine Betriebsschließung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besteht, wenn weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 in der nachfolgenden Aufzählung benannt sind. Eine derartige Regelung ist weder iSv § 305c Abs. 2 BGB unklar noch verstößt sie gegen § 307 Abs. 1 BGB oder begegnet Transparenzbedenken (unter Hinweis auf OLG Stuttgart BeckRS 2021, 2002 und BeckRS 2021, 2001 sowie OLG Oldenburg BeckRS 2021, 3248). (Rn. 20 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kündigt der Versicherer auf eine Schadensmeldung des Versicherungsnehmers in einem solchen Fall den Versicherungsvertrag nach § 92 VVG und lehnt er zugleich Leistungen ab, kann einer solchen Erklärung kein Erklärungswert dahingehend zugemessen werden, dass er den streitgegenständlichen Versicherungsfall und seine Eintrittspflicht zugestehe. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, COVID-19, SARS-CoV-2, abschließende Aufzählung, dynamische Verweisung, Transparenzkontrolle, Inhaltskontrolle, Coronavirus
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6900
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 45.600,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend.
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Die Klagepartei betreibt eine Cocktailbar, die sog. „“ in München. Sie unterhielt bei der Beklagten seit 05.12.2014 eine Betriebsschließungsversicherung (Anlage K 1). Die vereinbarte Prämie betrug jährlich 104,96 € (Anlage K 1).
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Der Versicherung lagen die Vertragsinformation Betriebsschließungsversicherung Stand 01.01.2008 nebst Vorabinformation zum Versicherungsvertrag und zum Versicherer nach § 1 der Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen und den Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung (AVB-BS, Fassung Januar 2008) zugrunde (Anlage K 2 und 3).
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Nach der Vorabinformation zum Versicherungsvertrag und zum Versicherer nach § 1 der Informationspflichtenverordnung (Anlage K 2, Nr. 2 Ziffer 6 b)) leistet die Beklagte Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) den versicherten Betrieb schließt.
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In den AVB-BS (Anlage K 3) Abschnitt A heißt es wie folgt:
„§ 1 Gegenstand der Versicherung
1. Gegenstand der Deckung
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; (…)
2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger (vgl. §§ 6 und 7 IfSG):
b) Krankheitserreger (…)“
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Es folgen zwei Listen mit insgesamt 18 Krankheiten und 49 Krankheitserregern. Das Coronavirus SARS-CoV-2 und die hierauf beruhende Erkrankung COVID-19 sind dort namentlich nicht genannt.
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Ferner heißt es weiter:
„§ 2 Ausschlüsse und nicht versicherte Schäden, Wegfall der Entschädigungspflicht (…)
3. Krankheiten und Krankheitserreger
Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf. “
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Für den Eintritt des Versicherungsfalls haben die Parteien eine Tageshöchstentschädigung in Höhe von 1.520 € mit einer Haftzeit von maximal 30 Schließungstagen vereinbart (§ 7 Nr. 1 AVB-BS, Anlage K 3).
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Mit Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30.01.2020 wurde die Meldepflicht nach §§ 6 und 7 IfSG mit Wirkung zum 01.02.2020 auf das neuartige Coronavirus erstreckt. Der Gesetzestext der §§ 6 und 7 IfSG selbst wurde mit Wirkung zum 23.05.2020 entsprechend geändert.
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In Vollzug des Infektionsschutzgesetzes untersagten das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit sowie das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales am 16.03.2020 den Betrieb der Gastronomie (zunächst mit Ausnahme der Mittagsöffnung) ab 17.03.2020. Die Untersagung wurde durch Verfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit vom 20.03.2020 verschärft. Ausgenommen hiervon war jeweils die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen. Von den später verfügten Lockerungen der Schließung von Gastronomiebetrieben waren Speiselokale begünstigt, jedoch keine Bars.
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Die Klagepartei erhielt eine Corona-Soforthilfe in Höhe von 15.000 €.
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Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 05.05.2020 (Anlage K 4) wurde die Beklagte unter Fristsetzung bis 18.05.2020 zur Zahlung von Versicherungsleistungen in Höhe von 45.600 € aufgefordert. Der Klägerin entstanden vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.531,90 €. Mit Schreiben vom 25.06.2020 (Anlage K 6) kündigte die Beklagte die Versicherung. Hinsichtlich des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf die Anlage K 6 Bezug genommen.
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Die Klagepartei trägt vor, der klägerische Betrieb sei im Zeitraum vom 17.03.2020 bis 24.05.2020 geschlossen gewesen. Für die Klägerin habe es nach der Schließung keine wirtschaftlich sinnvolle Betätigungsmöglichkeit gegeben. Eine Cocktailbar könne keine sinnvolle unternehmerische Alternative durch Straßenverkauf oder ähnliches anbieten. Zwar habe sie schließlich den Versuch unternommen, einen Straßenverkauf anzubieten, allerdings mit pekuniär geringem Ergebnis.
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Die Klagepartei ist der Ansicht, ihr stehe ein Anspruch auf Versicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 45.600,- € zu. Der Versicherungsfall sei eingetreten. Die Versicherungsbedingungen, Abschnitt A § 1 Ziff. 1 a), 2 AVB würden auch das Coronavirus umfassen. Abschnitt A § 1 Ziff. 2 der AVB enthalte keine abschließende Liste von durch die Versicherung erfassten Krankheiten und Krankheitserregern. Der Katalog sei vielmehr beispielhaft und verweise im Übrigen auf §§ 6 und 7 IfSG, die nach § 15 Abs. 1 IfSG durch das Bundesministerium für Gesundheit erweitert werden können. Eine anderweitige Auslegung sei mit § 305c Abs. 2 BGB nicht vereinbar und verstoße gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 BGB. Die Beklagte gestehe mit ihrer auf § 92 VVG gestützten Kündigung ihre Eintrittspflicht zu.
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Die Klagepartei beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 45.600 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 19.05.2020 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.531,90 € zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt
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Die Beklagte ist der Ansicht, das Coronavirus sei nicht von den Versicherungsbedingungen erfasst; Abschnitt A. § 1 Ziff. 2 AVB würde die nach dem Versicherungsvertrag versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend auflisten. Maßgeblich sei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Die Betriebsschließungsversicherung versichere nur betriebsinterne Gefahren aufgrund individueller Schließungsanordnung, nicht aber abstrakt-generelle präventive Gesundheitsmaßnahmen. Eine rechtlich wirksame Betriebsschließung durch die zuständige Behörde habe nicht vorgelegen. Zudem habe angesichts des weiterhin zulässigen Außer-Haus-Verkaufs keine vollständige behördliche Betriebsschließung, sondern allenfalls eine Betriebseinschränkung vorgelegen. Die klägerischen Ansprüche seien der Höhe nach übersetzt. Zudem müsse sich die Klagepartei staatliche Hilfen und Ansprüche gegen Dritte schadensmindernd anrechnen lassen.
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Mit Beschluss vom 03.11.2020 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Klagepartei steht kein Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung zu. Ein Versicherungsfall liegt nicht vor. Die streitgegenständlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des sogenannten Coronavirus gehören nicht zu den vom Versicherungsvertrag umfassten Gefahren. Entgegen der Ansicht der Klagepartei sind das Coronavirus SARS-CoV-2 und die hierauf beruhende Erkrankung COVID-19 nicht von den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen umfasst (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Urteile vom 15.02.2021 - 7 U 351/20 und 7 U 335/20; OLG Oldenburg, Beschluss vom 11.02.2021 - 1 U 261/20 (Anlage BLD 6) jeweils zu ähnlichen, wenn auch nicht inhaltsgleichen Versicherungsbedingungen).
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1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10.04.2019, AZ: IV ZR 59/18).
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2. Die in Abschnitt A § 1 Nr. 2 a) und b) AVB aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger beschreiben die versicherten Gefahren abschließend. Das Coronavirus und die durch dieses Virus ausgelösten Krankheiten gehören nicht zu den in den Versicherungsbedingungen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern.
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a) Zwar besteht nach Ziffer 6 b) der Vorabinformation zum Versicherungsvertrag und zum Versicherer nach § 1 der Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (im Folgenden Vorabinformation) und Abschnitt A § 1 Nr. 1 a) AVB ein Anspruch auf Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionsschutzkrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt.
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Der Versicherungsumfang wird aber nicht allein durch Ziffer 6 b) der Vorabinformation bzw. § 1 Nr. 1 AVB bestimmt, sondern auch durch § 1 Nr. 2 AVB, in der die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger näher definiert sind. Hinsichtlich der Vorabinformation folgt dies bereits daraus, dass es sich hierbei schon dem Namen nach lediglich um eine Vorabinformation zum Versicherungsvertrag und zum Versicherer handelt, die auch für einen Versicherungsnehmer erkennbar den Umfang des Versicherungsschutzes nicht abschließend regelt. Zudem wird hinsichtlich der Versicherungsleistung unter Ziffer 6 a) und damit unmittelbar vor lit. b) ausdrücklich auf die Geltung der Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung (AVB-BS der Continentale, Fassung 2008) hingewiesen. Jeder verständige Versicherungsnehmer weiß daher, dass der konkrete Umfang des Versicherungsschutzes durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen bestimmt wird. Hinsichtlich der AVB ergibt sich Vorstehendes bereits daraus, dass es sich bei den Nr. 1 und Nr. 2 um zwei Absätze innerhalb ein und desselben Paragraphen handelt, sowie daraus, dass § 1 Nr. 1 hinsichtlich der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ausdrücklich auf die Regelung in Nr. 2 Bezug nimmt. Dort heißt es nämlich ausdrücklich „(siehe Nr. 2)“. Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist somit klar, dass der Versicherungsumfang in § 1 Nr. 1 AVB nicht allein definiert ist, sondern durch die Aufzählung der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 AVB konkretisiert wird.
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b) Der Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 a) und b) AVB ist abschließend. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger (vgl. §§ 6 und 7 IfSG): (…) “.
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Durch das Wort „folgende “ und die sich anschließende Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass nur bei Betriebsschließungen aufgrund der dort genannten Krankheiten und Krankheitserreger eine Leistung der Versicherung beansprucht werden kann. Wenn darüber hinaus weitere Krankheiten und Krankheitserreger hätten erfasst sein sollen, hätte es dieser Aufzählung nicht bedurft.
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c) Auch der Hinweis auf §§ 6 und 7 IfSG im Klammerzusatz des § 1 Nr. 2 AVB „(vgl. §§ 6 und 7 IfSG) “ führt zu keinem anderen Ergebnis.
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Der Wortlaut enthält insoweit keinen Verweis, sondern nur den Hinweis, dass die im Folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten sind. Weder ist damit eine dynamische Verweisung verbunden noch kann ein verständiger Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass sämtliche von §§ 6 und 7 IfSG erfassten Fälle vom Versicherungsschutz umfasst sind. Aus dem Hinweis kann nicht abgeleitet werden, dass die Kataloge identisch sind. Denn in diesem Fall hätte es einer Aufzählung bzw. „Wiederholung“ der Krankheiten und Krankheitserreger in den AVB nicht bedurft. Vielmehr wäre dann der bloße Verweis auf §§ 6 und 7 IfSG, gegebenenfalls unter Hinweis auf die jeweils gültige Fassung, ausreichend gewesen.
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Es ist auch unerheblich, dass der Versicherungsschutz nicht auf den gesamten von §§ 6 und 7 IfSG umfassten Bereich verweist, insbesondere die Auffangbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG und des § 7 Abs. 2 IfSG in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten sind. Dies zeigt vielmehr gerade, dass der Versicherer nur genau bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger versichern wollte, nicht aber über die im IfSG enthaltenen Generalklauseln für alle möglichen Infektionskrankheiten, die zukünftig noch auftreten können, haften wollte. Gerade die Generalklauseln der §§ 6 und 7 IfSG sollten vielmehr erkennbar ausgeschlossen werden. Der Hinweis auf §§ 6 und 7 IfSG kann daher nicht dahin verstanden werden, dass der Versicherer auch für eine spätere Erweiterung des Gesetzes Versicherungsschutz gewähren würde.
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Dies wird für einen um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer auch dadurch deutlich, dass in § 1 Nr. 2 AVB ausdrücklich von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern „im Sinne dieser Bedingungen “ die Rede ist. Denn hiermit wird einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse klar vor Augen geführt, dass der Versicherer die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger, für die er haften möchte, gesondert und abschließend in § 1 Nr. 2 AVB definieren möchte, unabhängig vom aktuellen Inhalt der §§ 6 und 7 IfSG.
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d) Auch der Ausschluss von Prionenerkrankungen in § 2 Nr. 3 AVB ändert daran nichts. Die Regelung ist zwar angesichts des abschließenden Katalogs der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 AVB überflüssig, schadet aber auch nicht. Ein verständiger Versicherungsnehmer wird dem Ausschluss von Prionenerkrankungen nicht entnehmen, dass die Aufzählung in § 1 Nr. 2 AVB nicht abschließend ist. Insbesondere kann er hieraus nicht schließen, dass der Risikoausschluss in § 2 Nr. 3 AVB den abschließenden Katalog des § 1 Nr. 2 AVB wieder öffnet und der Versicherer trotz der detaillierten Auflistung auch für alle anderen nicht im Katalog genannten Krankheiten und Krankheitserreger haften möchte. Ein derartiges Verständnis ist fernliegend.
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Zudem kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht beurteilen, ob Prionenerkrankungen durch einen oder durch mehrere in der Aufzählung genannte Krankheitserreger verursacht werden oder nicht. Daher kann er aus der Regelung für die Prionenerkrankungen letztlich überhaupt keine Schlüsse ziehen.
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e) Zwar ist der Versicherungsnehmer an einem umfassenden Versicherungsschutz interessiert, dies vermag aber an der vorgenannten Auslegung nichts zu ändern. Denn angesichts des klaren Wortlauts der hier maßgeblichen Bestimmungen kann ein verständiger Versicherungsnehmer den AVB schlechterdings nicht entnehmen, dass der Versicherer über die in § 1 Nr. 2 AVB ausdrücklich aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger hinaus für sämtliche weiteren denkbaren bekannten und unbekannten Infektionskrankheiten haften und ein insoweit unkalkulierbares Risiko eingehen werde.
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f) Damit ist der Umstand, dass die Meldepflicht nach §§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 7 Abs. 1 S. 1 IfSG mit Wirkung zum 01.02.2020 auf das Coronavirus SARS-CoV-2 und die durch das Coronavirus verursachte Erkrankung COVID-19 ausgeweitet wurde bzw. diese nunmehr durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 23.05.2020 namentlich als Krankheit bzw. Krankheitserreger in §§ 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 IfSG aufgenommen wurden, aufgrund der abschließenden Auflistung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger für das streitgegenständliche Verfahren unbeachtlich.
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g) Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut ist nach alldem auch kein Raum für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.
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3. Gegen die Wirksamkeit des § 1 Nr. 2 AVB bestehen keine Bedenken. Die Klausel verstößt weder gegen § 307 Abs. 1 BGB noch ist die Regelung intransparent im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
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a) Nach § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Regelung des Versicherungsumfanges durch die namentliche Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger stellt keine unangemessene Benachteiligung dar. Ein Versicherer kann im Rahmen eines Versicherungsvertrages die versicherten Gefahren beschränken. Andernfalls könnte nur alles oder nichts versichert werden. Der Versicherungsschutz wird durch die Begrenzung auf die in den AVB aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger auch nicht ausgehöhlt. Vielmehr genießt der Versicherungsnehmer den vereinbarten Versicherungsschutz beim Auftreten der in § 1 Nr. 2 a) und b) AVB genannten 18 Krankheiten und 49 Krankheitserreger.
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b) Die Regelung in § 1 Nr. 2 a) und b) AVB ist auch nicht intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Danach kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die jeweilige Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Urteil vom 14.08.2019 - IV ZR 279/17). Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden; nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht (BGH Urteil vom 20.11.2019 - IV ZR 159/18). Diesen Anforderungen wird die Regelung in § 1 Nr. 2 a) und b) AVB gerecht.
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Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer wird den Regelungsgehalt der Klausel dahin, dass lediglich und abschließend die in § 1 Nr. 2 a) und b) AVB aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, unschwer und eindeutig erkennen. Dies folgt bereits aus dem klaren Wortlaut der Klausel, wonach meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger „im Sinne dieser Bedingungen “ die „folgenden “ aufgezählte Krankheiten und Krankheitserreger sind. Der durchschnittliche, verständige Versicherungsnehmer kann der Klausel demnach klar entnehmen, für welche Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz besteht, und wird sich ihm im Umkehrschluss ebenso unschwer erschließen, dass er für dort nicht genannte Krankheiten und Krankheitserreger eben keinen Versicherungsschutz beanspruchen kann. Eines klarstellenden Hinweises, dass nicht aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger nicht dem Versicherungsschutz unterfallen, bedurfte es insoweit ebenso wenig wie eine Unterrichtung über den Inhalt der §§ 6 und 7 IfSG.
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Eine Intransparenz folgt insbesondere nicht daraus, dass die Klausel einerseits auf die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Ein verständiger Versicherungsnehmer wird weder davon ausgehen, dass der gesamte von §§ 6 und 7 IfSG umfasste Bereich einschließlich der Auffangbestimmungen der §§ 6 und 7 IfSG vom Versicherungsschutz umfasst ist, noch dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Versicherungsvertrag Anwendung finden. Gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Klausel sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserregern. Beides zusammen macht es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen benannten Krankheiten und Krankheitserreger einstehen will, nicht jedoch für sämtliche anderen Krankheiten und Krankheitserreger, insbesondere nicht für bei Vertragsschluss unbekannte Krankheitserreger.
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Dass § 1 Nr. 2 AVB noch klarer hätte formuliert werden können, etwa durch den Zusatz „nur “ vor den Worten „die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger “ vermag an dem Ergebnis nichts ändern. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ist nicht schon dann zu bejahen, wenn die Bedingungen im Einzelfall noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (BGH, Urteil vom 04.04.2018 - IV ZR 104/17).
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4. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte durch ihre Kündigung des Versicherungsvertrags nach § 92 VVG ihre Eintrittspflicht nicht zugestanden. Wie dem Schreiben vom 25.06.2020 (Anlage K6) zu entnehmen ist, hat die Beklagte die Schadensmeldung der Klägerin zwar zum Anlass für die außerordentliche Kündigung der Betriebsschließungsversicherung genommen. Allerdings hat sie in diesem Schreiben zugleich ausgeführt, dass ein Versicherungsfall nicht gegeben sei, und die Regulierung des Schadens daher abgelehnt. Dem Schreiben der Beklagten vom 25.06.2020 kann daher kein Erklärungswert dahingehend zugemessen werden, dass diese den streitgegenständlichen Versicherungsfall und ihre Eintrittspflicht zugestehe.
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5. Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf die Nebenforderungen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, § 63 Abs. 2 GKG.