Inhalt

LG Passau, Endurteil v. 30.11.2021 – 4 O 682/21
Titel:

Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Rechtsanwaltsgebühren, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Klagepartei, OLG Koblenz, Unzulässigkeit, Schädigungsvorsatz, Kraftfahrt-Bundesamt, OLG München, Rechtshängigkeit, OLG Stuttgart, Besondere Verwerflichkeit, Inverkehrbringen, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Stehende Fahrzeuge, Indizwirkung, Wissenszurechnung, Schutzgesetzcharakter

Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Klageunbegründetheit, Sittenwidrige Schädigung, Abschalteinrichtung, Thermofenster, Schädigungsvorsatz, Deliktische Haftung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 29.11.2022 – 8 U 8798/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.03.2025 – VIa ZR 1697/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 68653

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche mit dem Ziel der Klagepartei auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags über den Erwerb eines Pkws im Zusammenhang mit der sogenannten „Diesel-Abgasthematik“.
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Die Klagepartei erwarb am 08.03.2017 bei der Fa. einen Pkw BMW X1 18d als Gebrauchtwagen (EZ: 2016) zu einem Rechnungspreis von 35.100,00 Euro brutto (Anlage zur Klage).
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Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten entwickelten Dieselmotor der Baureihe B47. Bei dem streitgegenständlichen Dieselmotor ist zur Abgasnachbehandlung ein sog. NOx-Katalysator verbaut. Ferner kommt im Zusammenhang mit der Stickoxidemission eine Abgasrückführung zum Einsatz, bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Der Grad der Abgasrückführung bemisst sich insoweit auch in Abhängigkeit von der Außentemperatur, wobei bei niedrigeren bzw. höheren Außen-/Ladelufttemperaturen die Abgasrückführung reduziert wird (sogenanntes „Thermofenster“).
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Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von einem verbindlichen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt nicht betroffen. Das Kraftfahrtbundesamt hat aber für insgesamt ca. 6.000 Fahrzeuge des Typs M550 d und 750 d mit dem Motortyp N57D30S1 wegen einer fehlerhaften „Bedatung“ einen Rückruf angeordnet und die Beklagte für diese Fahrzeuge ein Softwareupdate entwickelt, nicht jedoch für das streitgegenständliche Fahrzeug.
5
Die Klagepartei behauptet, in dem von ihr erworbenen Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verschiedener Ausprägung (insb. sog. „Thermofensters“ / Abgasrückführung; SCR-Katalysator; aber auch Methoden zur Prüfstandserkennung) verbaut. Die Abgasreinigung arbeite aufgrund ihrer spezifischen Temperaturabhängigkeit faktisch nur im Prüflabor, nicht hingegen im realen Fahrbetrieb, so dass es sich bei dem Thermofenster um eine Prüfstandserkennungssoftware handele, welche von der Beklagten vorsätzlich und sittenwidrig implementiert worden sei. Ebenso spiegelten Maßnahmen zur Prüfstandserkennung falsche Emissionswerte vor, welche im realen Fahrbetrieb nicht erreicht würden. Dadurch sei die Klagepartei, die bei Kenntnis der vorbeschriebenen Umstände den Kauf nicht getätigt hätte, vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt worden.
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Die Klagepartei beantragt nach teilweiser Rücknahme im Termin vom 9.11.2021:
I.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 24345,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges BMW X1 xDrive 18d, Fahrzeug-Ident.-Nr. .
II.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu I in Annahmeverzug befindet.
III.
9
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.501,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte wendet ein, ihre Fahrzeuge und Motoren seien von dem in der Öffentlichkeit zu anderen Pkw-Herstellern bekannt gewordenen „Diesel-Skandal“ nicht betroffen. Das klägerische Fahrzeug sei weder „manipuliert“, noch sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, noch habe das klägerische Fahrzeug (oder drohtem diesem) Zulassungsprobleme gleich welcher Art. Sämtliche Fahrzeuge der Beklagten seien ordnungsgemäß typengenehmigt gewesen. Auch bei dem unstreitig implementierten Thermofenster handele es sich gerade nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, nachdem die Optimierung der Betriebszustände gerade auch auf dem Prüfstand erfolge. Von einer Täuschung oder einem sittenwidrigen Vorgehen auf Seiten der Beklagten könne deshalb insgesamt keine Rede sein. Das streitgegenständliche Fahrzeug habe zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens den damals geltenden gesetzlichen Anforderungen entsprochen. Einen relevanten Rückruf o.ä. gebe es für Fahrzeuge der Beklagten – auch infolge umfangreicher Untersuchungen der Aufsichtsbehörde – nicht.
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Zur Ergänzung, Vertiefung und Vervollständigung wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst vorgelegten Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift zum Termin vom 09.11.2021 Bezug genommen.
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Das Gericht hat streitig zur Sache verhandelt. Zum Ergebnis wird insoweit auf das Protokoll zum Termin vom 09.11.2021 verwiesen.
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Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage erweist sich in der Sache als unbegründet.
I.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht für die Entscheidung sachlich gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sowie örtlich gemäß § 32 ZPO zuständig.
II.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Klagepartei gegen die Beklagte keine – gegenwärtigen oder künftigen – Schadensersatzansprüche zustehen.
17
1. Eine Haftung der Beklagten ergibt sich – auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entscheidung des BGH v. 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19) zu dem hier nicht streitgegenständlichen Dieselmotor des Typs EA189 des Volkswagenkonzerns – nicht unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog.
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1.1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH NJW 2017, 250 ff).
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Zwar kann in dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, grundsätzlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen, da dies dazu führen kann, dass der Widerruf der Typengenehmigung oder zumindest die Stilllegung des konkreten Fahrzeugs droht, sofern der Käufer nicht an einer Rückrufaktion zur Beseitigung der Abschalteinrichtung teilnimmt. Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, das heißt über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter, konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist (BGH v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19; OLG Koblenz, Urt. V. 20.04.2020 – 12 U 1570/19). Dies setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamtes erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortbestand einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht (OLG Koblenz, a.a.O.).
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1.2. Diese Voraussetzungen eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Sämtliche Umstände zur Begründung einer Haftung nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung liegen in der Darstellungslast der Klagepartei (vgl. OLG München, Beschluss v. 25.07.2017 – 13 U 566/17; OLG München, Beschluss v. 14.11.2019 – 8 U 2769/19; OLG Braunschweig, Urteil v. 19.02.2019 – 7 U 134/17).
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Schlüssiger Vortrag zu einer angeblich „unzulässigen Abschalteinrichtung“ setzt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG München, Beschluss v. 29.08.2019 – 8 U 1449/19) grundsätzlich voraus, dass vom Anspruchsteller konkret dargelegt wird, dass (1.) ein „Konstruktionsteil“ im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorhanden ist (dabei kann es sich auch um eine Software handeln), (2.) das in bestimmten konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen etc. im Sinne von Art. 3 Nr. 10 EGVO die Abgasreinigung abschaltet, und dass (3.) dies nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
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Allenfalls soweit die Klagepartei im Zentrum ihrer Argumentation darauf verweist, dass die Beklagte in ihren Fahrzeugen ein Thermofenster verwende, das sie in sittenwidriger Weise auch in dem hier in Rede stehenden Fahrzeug verbaut habe und die Klagepartei hieraus den rechtlichen Schluss herleitet, dass es sich insoweit um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der VO (EG) Nr. 715/2007 handelt, ist ihr Sachvortrag jedenfalls vom Ansatz her näher bestimmt und substantiiert. Die Klagepartei hat vorgetragen, dass innerhalb eines definierten Bereichs der Umgebungstemperatur die Abgasnachbereitung reduziert und – aus ihrer Sicht – ein Zustand hervorgerufen werde, der zu einem von den öffentlich-rechtlichen Emissionsvorschriften nicht gedeckten Abgasausstoß führe.
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Im Übrigen aber vermag der Vortrag der Klagepartei keine durchgreifenden, tragfähigen Anhaltspunkte dafür konkret und substantiiert sowie auf das streitgegenständliche Fahrzeug bezogen aufzuzeigen, dass in diesem gerade eine Prüfstandserkennungssoftware im Sinne einer Umschaltlogik (wie bei dem im VW-Konzern entwickelten Dieselmotor der Baureihe EA 189) zum Einsatz gebracht würde oder – in Bezug auf die Implementierung eines Thermofensters – Anhaltspunkte für besondere Umstände vorlägen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen, wie z.B. unzutreffende Angaben der Beklagten über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems im Typengenehmigungsverfahren (BGH, Beschluss v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19).
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1.1. Unabhängig von der Frage, ob die – von der Beklagten dem Grunde nach nicht bestrittene – Implementierung eines Thermofensters oder eines SCR-Kat-Systems oder NOx-Speicherkats oder anderer Maßnahmen zur Abgasnachbehandlung in tatsächlicher Hinsicht objektiv mit den (unions-)rechtlichen Vorschriften vereinbar ist oder nicht und damit, ob es sich bei der Verwendung von Thermofenstern und den dargestellten Maßnahmen der Abgasnachbehandlung tatsächlich – wie von der Klagepartei behauptet – um unzulässige Abschalteinrichtungen handelt, stellt sich das Inverkehrbringen eines solchermaßen konzipierten Fahrzeugs subjektiv jedenfalls nicht als sittenwidrige Handlung der Beklagten im Sinne des § 826 BGB dar (OLG München, Beschluss vom 03.12.2020, Az.: 8 U 3340/20).
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Denn dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht (OLG Koblenz, Urteil v. 21.10.2019 – 12 U 246/19). Insbesondere die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten ist im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist (BGH, Urteil v. 19.10.1987 – II ZR 9/87). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19).
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Subjektiv ist das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil v. 13.09.2004 – II ZR 276/02).
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Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster oder Methoden zur Abgasnachbehandlung (z.B. SCR-System, NOx-Speicherkat) ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, vorliegend nicht als sittenwidrige Handlung zu bewerten. Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob das in dem streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Thermofenster oder die streitigen Systeme zur Abgasnachbehandlung wie Ad-blue/SCR objektiv unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen oder nicht. Zwar mag sich bei einer sogenannten „Schummelsoftware“, wie sie in dem VW-Dieselmotor des Typs EA189 verwendet worden war, die Sittenwidrigkeit des Handelns per se aus dem Einsatz dieser Umschaltlogik, die – auf den Betriebszustand des Fahrzeugs abstellend – allein danach unterscheidet, ob sich dieses auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, ergeben (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19). Eine solche Abschalteinrichtung mag eindeutig unzulässig sein.
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Bei einer anderen, die Abgasreinigung (Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die – wie hier – vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet, wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motorrespektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (OLG Koblenz, Urteil v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19; OLG München, Beschluss v. 10.02.2020 – 3 U 7524/19). Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn – einmal unterstellt – hinsichtlich des hier in Rede stehenden Thermofensters oder den Systemen der Abgasnachbehandlung von objektiv unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgegangen werden sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe in Betracht gezogen werden (OLG Koblenz, a.a.O.; OLG München, a.a.O.; OLG Köln, Beschluss v. 04.07.2019 – 3 U 148/18).
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Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweisen in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG Koblenz, Urteil v. 20.04.2020, 12 U 1570/19; OLG München, Beschluss v. 10.02.2020 – 3 U 7524/19). Solche Anhaltspunkte sind von der Klagepartei jedoch nicht substantiiert vorgetragen. Insoweit genügt auch nicht ein Verweis auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten.
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Solange nach all dem entsprechend der vorstehenden Überlegungen in Betracht zu ziehen ist, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt haben kann, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Eine Auslegung aber, wonach ein Thermofenster und andere gängige Systeme der Abgasnachbehandlung zulässige Abschalteinrichtungen darstellen, ist jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes wiederum kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG Koblenz, a.a.O.; OLG München, a.a.O.).
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1.2. Schlüssiger Vortrag zu einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfordert, dass die Klagepartei greifbare Umstände anführt, auf die sie den Verdacht gründet, ihr Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (OLG Stuttgart, Urteil v. 16.06.2020 – 16a U 228/19). Ausreichende Indizwirkung setzt dabei nicht zwingend voraus, dass genau der gleiche Fahrzeugtyp mit dem gleichen Motortyp betroffen oder ein Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes zu dem gleichen Fahrzeug und eine unzulässige Abschalteinrichtung betreffend vorliegt. Ausreichend, aber auch notwendig ist jedenfalls, dass ein vergleichbarer Fahrzeugtyp desselben Herstellers wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen vom Kraftfahrtbundesamt bereits zurückgerufen wurde oder anderweitige Erkenntnisse hinsichtlich vergleichbarer Fahrzeugtypen vorliegen, die auf eine unzulässige Abschalteinrichtung hindeuten. Von einem vergleichbaren Fahrzeugtyp wird man dann ausgehen können, wenn das Fahrzeug über denselben Motor oder Motortyp wie das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt und in dieselbe Schadstoffklasse (Euro 5 oder Euro 6) fällt (OLG Stuttgart, a.a.O.).
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Allein der Vortrag, das streitgegenständliche Fahrzeug erfülle im Normalbetrieb die Abgasnormen nicht und bei Messungen im Realbetrieb seien höhere Emissionswerte festgestellt worden, ist noch kein ausreichendes Indiz, das den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zulassen würde (OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Celle, Urteil v. 13.11.2019 – 7 U 367/18).
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Auch der zwischen den Parteien hier letztlich unstreitige Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes zu den Fahrzeugtypen der Beklagten BMW 750 d und M550 d, in denen ein Motor der Baureihe N57 verbaut ist, vermag im konkreten Fall aufgrund der besonderen Umstände keine Indizwirkung für das Vorliegen einer unerlaubten Abschalteinrichtung zu begründen. Die Beklagte hat nämlich zu diesen Rückrufen vorgetragen, dass in der Motorsoftware dieser vom Rückruf betroffenen ca. 6.000 Fahrzeuge eine fehlerhafte „Bedatung“ vorhanden gewesen sei. Die Fahrzeuge seien ursprünglich mit der korrekten Software genehmigt worden und beim Serienanlauf im Jahr 2012 mit der korrekten Software ausgeliefert worden. Bei der Softwareaktualisierung dieser Fahrzeuge während der laufenden Serie sei es zu einer Verwechslung gekommen und es sei irrtümlich ein Softwaremodul verwendet worden, das nicht zu den verbauten Abgasnachbehandlungssystemen gepasst habe. Dadurch sei eine eigentlich korrekt entwickelte Software-Teilfunktion irrtümlich einigen nicht dafür geeigneten Modellversionen zugeordnet worden. Aufgrund des Vortrags der Beklagten, dass es sich hier um einen Irrtum und eine Verwechslung gehandelt habe, unterscheidet sich der diesem Rückruf zugrundeliegende Sachverhalt grundsätzlich von der Behauptung einer serienmäßig und in Betrugsabsicht eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware. Wegen des ihm anhaftenden Ausnahmecharakters vermag deswegen dieser Rückruf keine Indizwirkung für das streitgegenständliche Fahrzeug (welches unstreitig von dem Rückruf auch nicht betroffen war), zu entfalten.
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1.3. Auch ein Schädigungsvorsatz der Beklagten ergibt sich für das Gericht nicht.
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Der erforderliche Schädigungsvorsatz im Rahmen von § 826 BGB, der getrennt von der Sittenwidrigkeit – auch von deren subjektiver Seite – festzustellen ist (vgl. BGH, Urteil v. 12.07.1966 – VI ZR 1/65), bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Fahrlässigkeit, auch grobe, genügt nicht (BGH, Urteil v. 06.06.1962 – V ZR 125/60, OLG München, Beschluss vom 03.12.2020, Az.: 8 U 3340/20). Der Vorsatz muss ich auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht (BGH, Urteil v. 24.04.2001 – VI ZR 36/00). Andererseits ist Schädigungsabsicht nicht erforderlich. Es genügt, dass der Schädiger den Schadenseintritt vorausgesehen und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder jedenfalls im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil v. 20.11.2012 – VI ZR 268/11).
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Die Klage enthält hierzu schon keinen substantiierten Vortrag. Das Klagevorbringen erschöpft sich allenfalls in der pauschalen Behauptung der Verantwortlichkeit der Beklagten, ohne näher darzulegen, wann Organe der Beklagten von wem auf welche Weise ins Wissen gesetzt worden sein sollen. Ohne nähere Spezifizierung wird lediglich abstrakt darauf abgestellt, die Beklagte müsse sich das Verhalten ihrer Repräsentanten, welche von der Manipulation wussten, zurechnen lassen.
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Darüber hinaus kann hier – wie bereits dargelegt – ohnehin nicht davon ausgegangen werden, dass auf Seiten der Beklagten bewusst eine – unterstellt – objektiv unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wurde. Mangels anderweitiger greifbarer Anhaltspunkte ist allenfalls von einer fahrlässigen Verkennung der Rechtslage auszugehen. Dann aber fehlt es am notwendigen Schädigungsvorsatz, weil dieser das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes, verbunden mit einer mindestens billigenden Inkaufnahme desselben erfordert (OLG Köln, Beschluss v. 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG Koblenz, Urteil v. 21.10.2019 – 12 U 246/19).
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2. Ein Anspruch der Klagepartei lässt sich ebenso wenig aus einer Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB in Gestalt eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz herleiten.
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Vor dem Hintergrund des fehlenden sittenwidrigen, täuschenden Verhaltens der Beklagten bleibt nämlich auch kein Raum für eine deliktische Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Solange die Beklagte nicht – jedenfalls nicht nachweisbar – in dem Bewusstsein handelte, ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, fehlt es auch an dem Nachweis einer willentlichen Täuschung des Käufers über das Nichtvorhandensein einer solchen (möglicherweise unzulässigen) Einrichtung (vgl. OLG Koblenz, Urteil v. 20.04.2020 – XII U 1570/19).
40
3. Die Beklagte haftet auch nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV.
41
Mit der ganz herrschenden Meinung ist der Schutzgesetzcharakter der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 zu verneinen (OLG Braunschweig, Urteil v. 19.02.2019 – VII U 134/17; OLG München, Beschluss v. 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG Koblenz, a.a.O.). Bei den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV handelt es sich nicht um ein Schutzgesetz, weil sie den Schutz individueller Interessen nicht berücksichtigen. Dass der Individualschutz im Aufgabenbereich der genannten Vorschrift liegt oder aber aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden RL 2017/46/EG folgt, ist nicht ersichtlich (OLG München, a.a.O.).
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4. Die Klage hat sich damit insgesamt als abweisungsreif erwiesen. Die weiteren geltend gemachten Nebenforderungen/Schadenspositionen (vorprozessuale Rechtsanwaltsgebühren und Delikts-/Zinsen) sind mangels eines Hauptsacheanspruchs bzw. Verzugs nicht begründet.
III.
43
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
IV.
44
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO. V.
Streitwert: § 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO.
Verkündet am 30.11.2021