Titel:
Ausübung des Widerrufsrechts, Darlehensverträge, Rechtsschutzbedürfnis, Einwand der Verwirkung, Widerrufsbelehrung, Widerrufsfrist, Widerrufsinformation, Rechtsfolgen des Widerrufs, Umstandsmoment, Verbraucherdarlehensvertrag, Willenserklärungen, Nachbelehrung, Darlehensgeber, Beendigung des Darlehensvertrages, Darlehensbedingungen, Darlehensnehmer, Darlehensantrag, Gewährung eines Darlehens, Zulassungsbescheinigung Teil II, Vorläufige Vollstreckbarkeit
Schlagworte:
Widerrufsrecht, Verbraucherdarlehensvertrag, Verwirkung, Zeitmoment, Umstandsmoment, Rechtsschutzbedürfnis, Einzelfallbetrachtung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 07.08.2023 – 19 U 7535/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 11.02.2025 – XI ZR 182/23
Fundstelle:
BeckRS 2021, 68613
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 22.590,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger macht Rückabwicklungsansprüche aufgrund Widerrufs eines Darlehensvertrages geltend.
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Am 11.05.2012 schloss die Klagepartei mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 10.590,00 € ab. Das Darlehen diente der Finanzierung eines gebrauchten BMW 120d. Der vertraglich vereinbarte Sollzinssatz betrug 5,83 % p.a.. Das Darlehen sollte in 35 monatlichen Raten zu je 264,38€ ab dem 05.07.2012 sowie einer Schlussrate über 2.500,00 €, fällig am 05.06.2015 zurückbezahlt werden (Anlage K 1). Parallel hierzu schloss der Kläger mit der Verkäuferin des Fahrzeugs, …, einen Kaufvertrag über das von der Beklagten zu finanzierende Fahrzeug. Der Kaufpreis für das Fahrzeug betrug 22.590,00 €. Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 12.000,00 €.
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Die der Klagepartei ausgehändigten Darlehensunterlagen bestanden aus insgesamt 10 Seiten (Anlage K 1). Sie enthielten auf den Seiten 1 bis 3 ein Formular „Europäische Standardinformation für Verbraucherkredite“, auf Seite 4 „Informationen zu Ihrem Darlehensvertrag“ und auf den Seiten 5 und 6 das Darlehensantragsformular.
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Auf Seite 5 oben heißt es auszugsweise:
„Zur Finanzierung des Kaufes des nachstehend näher bezeichneten Fahrzeuges bzw. zur Bezahlung anliegender Reparaturrechnungen beantragt der/beantragen die Unterzeichner als Darlehensnehmer/Mitdarlehensnehmer bei … die Gewährung eines Darlehens in der unten genannten Höhe unter Anerkennung der nachstehenden Bedingungen und beigefügten Allgemeinen Darlehensbedingungen .“
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Auf Seite 6 befindet sich ein Kasten „Unterschrift Darlehensantrag“, wo es auszugsweise heißt:
„ Der Darlehensnehmer/Mitdarlehensnehmer erklärt/erklären sich durch seine/ihre Unterschrift/-en auf diesem Antrag mit den Bedingungen dieses Darlehensantrages, den Allgemeinen Darlehensbedingungen (…) einverstanden.“
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Auf Seite 7 der Darlehensunterlagen war eine ganzseitige Widerrufsinformation abgedruckt. In der von der Klagepartei übergebenen Anlage K 1 ist diese nicht lesbar. Auf die Anlage K 1 wird Bezug genommen.
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Auf der Seite 8 befand sich die Selbstauskunft der Klagepartei und auf den Seiten 9 und 10 die Allgemeinen Darlehensbedingungen der Beklagten.
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Das Darlehen wurde vollständig ausbezahlt.
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In der Folge bezahlte die Klagepartei die Zins- und Tilgungsraten vertragsgemäß.
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Nachdem der Kläger auch die Zielrate ordnungsgemäß bezahlt hatte, gab die Beklagte mit Schreiben vom 15.06.2015 ihr Sicherungseigentum an dem Fahrzeug auf und übersandte dem Kläger die Zulassungsbescheinigung Teil II (Anlage B 3), welche dieser widerspruchslos entgegennahm.
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Mit Schreiben vom 17.09.2020 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf den Darlehensvertrag gerichteten Willenserklärung (Anlage K2). Es folgte weiterer Schriftverkehr. Auf das Anlagenkonvolut K 3 wird Bezug genommen.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass er den streitgegenständlichen Verbraucherdarlehensvertrag wirksam widerrufen habe, da die Widerrufsfrist infolge nicht ordnungsgemäß erteilter Pflichtangaben noch nicht erloschen sei. Insbesondere der Satz in der Widerrufsinformation: „Über in den Vertragstext nicht aufgenommene Pflichtangaben können Sie nachträglich auf einem dauerhaften Datenträger informiert werden.“ sei nicht unmissverständlich und eindeutig. Ebenso liege die Rechtslage bezüglich der Angaben zu den zuständigen Aufsichtsbehörden. Auch sei der Darlehensgesamtbetrag fehlerhaft angeben.
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Soweit das Gericht den Widerruf als unwirksam ansehen würde, liege eine Zinsüberzahlung in Höhe von 0,19 € vor, die ohne Rechtsgrund erfolgt sei.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt,
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei 23.753,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen (hilfsweise: nach) Herausgabe des mit dem unter 1. genannten Darlehen finanzierten Pkws BMW 120d mit der Fahrgestellnr. … nebst Fahrzeugschlüssel;
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüssel in Annahmeverzug befindet.
II. Hilfsweise hinsichtlich der Hauptanträge zu I.:
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, der Klagepartei Auskunft darüber zu erteilen, an welchem Tag die Auszahlung des Darlehensvertrags vom 11.05.2021 (Antragsnummer …, Nettodarlehensbetrag in Höhe von 10.590,00 €, Anzahlung in Höhe von 12.000,00 €) erfolgte;
2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt (hilfsweise: festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist) eine Zahlung an die Klagepartei zu leisten, die der Summe der zu viel gezahlten Zinsen entspricht, welche sich aufgrund der Auszahlung des unter II. 1 genannten Darlehens ab dem 05.06.2012 ergibt.
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Die Beklagte beantragt
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Hilfsweise für den Fall, dass der Klage zugesprochen wird,
beantragt die Beklagte im Wege der Widerklage:
Es wird festgestellt, dass die Klagepartei verpflichtet ist, der Beklagten Wertersatz für den Wertverlust des BMW 120d mit der Fahrgestellnummer … zu leisten, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war.
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Die Klagepartei beantragt,
die Hilfswiderklage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, die Widerrufsinformation entspreche den zum Zeitpunkt der Erteilung geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Zudem greife die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters. Die der Klagepartei übergebenen Unterlagen würden alle gemäß § 492 Abs. 2 BGB vorgeschriebenen Pflichtangaben enthalten.
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Die Beklagte beruft sich ausdrücklich auf den Einwand der Verwirkung und der Rechtsmissbräuchlichkeit.
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Die Beklagte erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit Gegenansprüchen der Beklagten, insbesondere mit einem Nutzungsersatzanspruch wegen des eingetretenen Wertverlustes des Fahrzeugs.
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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 15.06.2021 (Bl. 73 /74 d.A.) dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit Zustimmung beider Parteien hat die Einzelrichterin mit Beschluss vom 07.07.2021 (Bl. 81/83 d.A.) das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet.
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Ergänzend wird auf sämtliche wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klage ist unbegründet. Der von dem Kläger erklärte Widerruf des Darlehensvertrages ist unwirksam. Ein Anspruch auf Rückabwicklung des Darlehensvertrages besteht nicht.
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I. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich vorliegend um einen Verbraucherdarlehensvertrag im Sinne des § 491 BGB (in der bei Vertragsschluss maßgeblichen Fassung mit Geltungszeitraum vom 11.06.2010 bis 12.06.2014) handelt, sodass der Klagepartei ein Widerrufsrecht nach §§ 495 Abs. 1, 355 BGB (in der entsprechenden Fassung) zusteht.
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II. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch aber jedenfalls deshalb nicht zu, da sein Widerrufsrecht im Jahr 2020 bereits verwirkt war, sodass es letztlich auf die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Widerrufsbelehrung nicht ankommt.
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1. Für die Frage der Verwirkung kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen der Verwirkung stellte der BGH zuletzt mit Beschluss vom 23.01.2018 zum Az. XI ZR 298/17 folgende Grundsätze auf:
„aa) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind die allgemeinen Voraussetzungen der Verwirkung hinlänglich geklärt. Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit dem Zustandekommen des Verbrauchervertrags zu laufen beginnt, ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden (Senat, NJW-RR 2018, 47 = WM 2017, 2247 Rn. 9). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (Senat BGHZ 211, 105 = NJW 2016, 3518 Rn. 40 und BGHZ 211, 123 = NJW 2016, 3512 Rn. 37; BGHZ 212, 207 = NJW 2017, 243 Rn. 30; NJW 2017, 1378 = WM 2017, 616 Rn. 33, zur Veröff. bestimmt in BGHZ, sowie NJW-RR 2017, 812 = WM 2017, 849 Rn. 27; vgl. allg. zur Verwirkung auch Erman/Böttcher, BGB, 15. Aufl., § 242 Rn. 123 ff.; Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 242 Rn. 87 ff.; Staudinger/Olzen/Looschelders, BGB, Neubearb. 2015, § 242 Rn. 300 ff.; MüKoBGB/Schubert, 7. Aufl., § 242 Rn. 356 ff.). (…)
bb) Ferner sind die die Verwirkung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen beherrschenden Grundsätze klar.
(1) Geklärt ist, dass das Widerrufsrecht des Darlehensnehmers aus § 495 I BGB überhaupt der Verwirkung unterliegt. Einen gesetzlichen Ausschluss des Instituts der Verwirkung hat der Gesetzgeber auch mit dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-RL und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften vom 11.3.2016 (BGBl. I 2016, 396) nicht eingeführt und damit zugleich zu erkennen gegeben, diesem Institut grundsätzlich schon immer Relevanz im Bereich der Verbraucherwiderrufsrechte zuzuerkennen (vgl. BT-Drs. 18/7584, 147). Die Unverzichtbarkeit des Widerrufsrechts nach § 506 S. 1 BGB in der zwischen dem 1.7.2005 und dem 10.6.2010 geltenden Fassung hindert die Anwendung des Instituts der Verwirkung nicht. Die Verwirkung knüpft nicht an eine ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärung an, sondern an eine gesetzliche Wertung anderweitiger Umstände (Senat, BGHZ 211, 105 = NJW 2016, 3518 Rn. 39 und BGHZ 211, 123 = NJW 2016, 3512 Rn. 34 f. mwN).
(2) Darüber hinaus stehen hinreichende höchstrichterliche Leitlinien zur Bestimmung des Zeitmoments zur Verfügung.
Die maßgebliche Frist für das Zeitmoment läuft mit dem Zustandekommen des Verbraucherdarlehensvertrages an (Senat, BGHZ 211, 105 = NJW 2016, 3518 Rn. 40 sowie BGHZ 211, 123 = NJW 2016, 3512 Rn. 37; BGHZ 212, 207 = NJW 2017, 243 Rn. 30; BGH, NJW-RR 2017, 812 = WM 2017, 849 Rn. 27 und NJW-RR 2018, 47 = WM 2017, 2247 Rn. 10 sowie Urt. v. 10.10.2017 – XI ZR 455/16, BeckRS 2017, 131374 Rn. 21). Da das Widerrufsrecht als Gestaltungsrecht anders als die aus dem Rückgewährschuldverhältnis resultierenden Ansprüche nicht verjährt und im Übrigen auch § 218 BGB auf das Widerrufsrecht keine Anwendung findet (Senat, NJW 2018, 225 = WM 2017, 2259 Rn. 18), kann weder aus den gesetzlichen Verjährungsfristen (dazu Senat, Urt. v. 10.10.2017 – XI ZR 455/16, BeckRS 2017, 131374 Rn. 21) noch gar aus den gesetzlichen Verjährungshöchstfristen (dazu Senat, NJW-RR 2017, 47 Rn 9) auf ein „Mindestzeitmoment“ zurückgeschlossen werden.
Dagegen betrifft der Zeitraum zwischen der Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrages und dem Widerruf nicht das Zeitmoment. Er kann aber – wenn auch nicht im Sinne einer Vermutung nach Ablauf einer wie immer definierten Mindestspanne gerade im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Widerrufs (vgl. Senat, WM 2017, 2146 = BeckRS 2017, 127642 Rn. 8) – bei der Prüfung des Umstandsmoments Berücksichtigung finden.
(3) Auch für das Umstandsmoment hat der Senat hinlänglich Leitlinien aufgestellt.
So kann bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen – wie hier – das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (Senat, BGHZ 211, 105 = NJW 2016, 3518 Rn. 41 und NJW-RR 2017, 886 = WM 2017, 806 Rn. 22). Das gilt in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (Senat, BGHZ 212, 207 = NJW 2017, 243 Rn. 30) bzw. wenn die Parteien den Darlehensvertrag einverständlich beendet haben (Senat, NJW-RR 2018, 47 = WM 2017, 2247 Rn. 8 WM 2017, 2146 = BeckRS 2017, 127642 Rn. 8).
In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BGH kommt es dabei weder auf die Kenntnis des Darlehensnehmers vom Fortbestand seines Widerrufsrechts noch auf das Vertrauen des Darlehensgebers an, der Darlehensnehmer habe in sonstiger Weise Kenntnis vom Fortbestand seines Widerrufsrechts erlangt. Dass der Darlehensgeber davon ausgeht oder ausgehen muss, der Darlehensnehmer habe von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schließt vielmehr eine Verwirkung nicht aus (vgl. nur Senat, NJW-RR 2018, 118 = WM 2017, 2248 Rb. 26; NJW 2018, 223 = WM 2017, 2251 Rn. 19 und NJW 2018, 225 = WM 2017, 2259 Rn. 19 mwN).
Gleiches gilt für den Umstand, dass der Darlehensgeber „die Situation selbst herbeigeführt hat“, weil er eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hat. Diesem vom Senat in ständiger Rechtsprechung (Senat, NJW-RR 2018, 118 = WM 2017, 2248 Rn. 26 NJW 2018, 223 = WM 2017, 2251 Rn. 19 und NJW 2018, 225 = WM 2017, 2259 Rn. 19) vertretenen und vom Gesetzgeber bei Schaffung des Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-RL und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften (vgl. BT-Drs. 18/7584, 147) vorausgesetzten Grundsatz steht nicht entgegen, dass der IV. Zivilsenat des BGH in einem im Jahr 2014 zur Entscheidung gestellten Fall zu § 5 a II 1 VVG in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21.7.1994 (BGBl. I 1994,1630, künftig: aF) dahin erkannt hat, der Versicherer könne ein schutzwürdiges Vertrauen nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt habe, indem er dem Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilt habe (BGHZ 201, 101 = NJW 2014, 2646 Rn. 39). Wie der IV. Zivilsenat später klargestellt hat, können allgemeingültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Belehrung über das Widerspruchsrecht gem. § 5a II 1 VVG aF einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, nicht aufgestellt werden. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben obliegt im Einzelfall grundsätzlich dem Tatrichter, der ohne revisionsrechtlich erheblichen Rechtsfehler auch dann zur Verwirkung gelangen kann, wenn die Belehrung nicht ordnungsgemäß gewesen ist (BGH, NJW-RR 2018, 161 Rn. 10 u. 15mwN).
Das Fehlen einer Nachbelehrung steht bei beendeten Verträgen der Annahme schutzwürdigen Vertrauens nicht entgegen (Senat, BGHZ 211, 105 = NJW 2016, 3518 Rn. 41). Der Darlehensgeber hat, wie das BerGer. richtig gesehen hat, die Möglichkeit (Senat, NJW 2006, 3349 = WM 2006, 1995 Rn. 13), nicht eine Verpflichtung zur Nachbelehrung. Die Verpflichtung, den Darlehensnehmer deutlich über sein aus § 495 I BGB folgendes Widerrufsrecht nach Maßgabe des bis zum 10.6.2010 geltenden Rechts zu belehren, ist keine Dauerverpflichtung, die ab dem Vertragsschluss als Verpflichtung zur Nachbelehrung gleichsam ständig neu entstünde. Mit der Präzisierung der Modalitäten einer Nachbelehrung im Zuge der Einführung des § 355 II 2 BGB in der Fassung des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes vom 23.7.2002 (BGBl. I 2002, 2850) wollte der Gesetzgeber vielmehr befürchtete Härten für die Unternehmer aus der zeitgleichen Einführung des § 355 III 3 BGB kompensieren (Senat, BGHZ 211, 123 = NJW 2016, 3512 Rn. 29). Die Möglichkeit der Nachbelehrung besteht zwar nach Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrags fort. Eine Nachbelehrung ist indessen nach Vertragsbeendigung sinnvoll nicht mehr möglich, weil die Willenserklärung des Verbrauchers, deren fortbestehende Widerruflichkeit in das Bewusstsein des Verbrauchers zu rücken Ziel der Nachbelehrung ist, für den Verbraucher keine in die Zukunft gerichteten wiederkehrenden belasteten Rechtsfolgen mehr zeitigt.
Der Umstand, dass der Darlehensgeber Sicherheiten freigegeben hat, ist ein Aspekt, den der Tatrichter bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen kann. Dem steht nicht entgegen, dass der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte. Vom Darlehensgeber bestellte Sicherheiten sichern regelmäßig auch Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 I 1 BGB in der hier maßgeblichen, bis zum 12.6.2014 geltenden Fassung iVm §§ 346 ff. BGB (vgl. Senat, BGHZ 168, 1 = NJW 2006, 2099 Rn. 20 NJW 2003, 885 = WM 2003, 64 [66]; NJW 2004, 158 = WM 2003, 2410 [2411]; ZGS 2007, 26 = BeckRS 2006,14267 Rn. 37 und BKR 2006, 452 Ls. = BeckRS 2006, 8899 Rn. 19 BKR 2017, 152 Rn. 7 Schoppmeyer in Lwowski/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl., § 15 Rn. 207). Dem Rückgewähranspruch des Darlehensnehmers aus der Sicherungsabrede haftet die für den Fall des Widerrufs auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung an (vgl. BGHZ 191, 277 = NJW 2012, 229 Rn. 16 auch BGHZ 197, 155 = NJW 2013, 2894 Rn. 12). Beendet der Darlehensgeber trotz der Möglichkeit der Revalutierung durch Rückgewähr der Sicherheit den Sicherungsvertrag (Gaberdiel/Gladenbeck, Kreditsicherung durch Grundschulden, 9. Aufl., Rn. 613), kann darin die Ausübung beachtlichen Vertrauens iSd § 242 BGB liegen.“
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2. Gemessen an diesen Grundsätzen geht das Gericht im vorliegenden Einzelfall davon aus, dass bei Ausübung des Widerrufsrechts bereits Verwirkung eingetreten war.
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Die Beklagte durfte sich zum einen aufgrund der Untätigkeit und der vertragstreuen Bedienung des Darlehens durch den Kläger über mehrere Jahre darauf einrichten, der Kläger werden sein Recht auf Widerruf nicht mehr gelten machen. Der Darlehensvertrag wurde bereits im Jahr 2012 abgeschlossen, über mehrere Jahre bedient und 2015 vollständig zurückgeführt. Der Widerruf des Darlehens erfolgte erst im Jahr 2020. Da für die maßgebliche Frist des Zeitmoments das Zustandekommen des Vertrages entscheidend ist, sind vorliegend beinahe sechs Jahre vergangen, bevor der Kläger sich für die Ausübung des Widerufsrechts entschieden hat. Das Gericht geht daher von dem Vorliegen des Zeitmoments aus.
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Nach Überzeugung des Gerichts ist vorliegend auch das Umstandsmoment gegeben. Das Darlehen wurde unbestritten vollständig und vorbehaltlos im Jahr 2015 aufgelöst. Die Beklagte durfte sich demnach drei Jahre nach vollständiger Ablösung des Darlehens darauf einrichten, dass der Kläger von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr macht. Die Beklagte gab ihr Sicherungseigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug auf und übersandte dem Darlehensnehmer die Zulassungsbescheinigung Teil II für das Fahrzeug, die der Kläger widerspruchslos entgegennahm. Das Fahrzeug befindet sich weiterhin im Besitz des Klägers. Vor diesem Hintergrund ist das Vertrauen der Beklagten auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig. Nach der oben zitierten Rspr. des BGH steht dem auch nicht entgegen, dass der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte.
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Nach vollständiger Beendigung des Darlehensvertrages blieb der Kläger noch über fünf weitere Jahre untätig und erklärte erst mit Schreiben vom 17.09.2020 (Anlage K 2) den Widerruf des Darlehensvertrages. Dieses lange Zuwarten des Klägers nach Beendigung des Darlehens bis zum Widerruf führt insbesondere zu schutzwürdigem Vertrauen bei der Beklagten, dass der Widerruf nicht mehr erklärt wird. Denn je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden (BGH, Urteil vom 23.01.2018, XI ZR 298/17).
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Die von Klägerseite zitierte Rechtsprechung des OLG Frankfurt, in welcher das OLG in dem dortigen Fall aufgrund tatrichterlicher Würdigung der dort vorliegenden Umstände zu dem Ergebnis gelangte, dass Verwirkung nicht gegeben ist, kann vorliegend nicht zugrunde gelegt werden. Wie bereits zitiert, erfordert die Entscheidung, ob Verwirkung gegeben ist, eine Einzelfallbetrachtung nach den vorgegebenen Maßstäben des BGH.
33
Vorliegend führen die Umstände des Zeit- und Umstandsmoments, welche nicht voneinander unabhängig zu betrachten sind, sondern in einer Wechselwirkung stehen (BGH, Urteil vom 10.10.2017 – XI ZR 393/16), dazu, dass die Beklagte darauf vertrauen durfte, dass der Kläger sein Widerrufsrecht nicht mehr geltend machen werde.
34
Nachdem der Widerruf als unwirksam anzusehen ist, ist die innerprozessuale Bedingung für den hilfsweise unter Ziffer II gestellten Antrag der Klagepartei eingetreten.
35
Der Antrag Ziffer II war insgesamt abzuweisen, da dem Kläger hierfür das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
36
Zwingende Prozessvoraussetzung für jede Klage ist ein allgemeines Rechtsschutzinteresse (BGH NJW-RR 1989, 263 (264)) oder Rechtsschutzbedürfnis (BGH NJW 1999, 1337 (1338)), dh ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Geltendmachung des eingeklagten Rechts. Grundsätzlich hat jeder Rechtssuchende einen öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf, dass die staatlichen Gerichte sein Anliegen sachlich prüfen und darüber entscheiden (BGH NJW 1996, 2036 (2037)). Bei Leistungsklagen ergibt sich ein Rechtsschutzbedürfnis deshalb regelmäßig schon aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs (BGH GRUR 2017, 1236 Rn. 37; NJW 2013, 464 Rn. 51). Es bedarf besonderer Gründe, die ausnahmsweise die Verneinung eines Rechtsschutzbedürfnisses rechtfertigen (BeckOK ZPO/Bacher, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 253 Rn. 28, 29)..
37
Das Rechtsschutzbedürfnis kann fehlen, wenn das verfolgte Begehren auf einem einfacheren Weg zu erlangen ist (BGH NJW-RR 2010, 19 Rn. 20). Erst recht ist das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, wenn der Kläger sein Ziel auch ohne Titel erreichen kann (Zöller, ZPO, 32. Auflage, Vor § 253, Rn. 18b).
38
Vorliegend hat die Beklagte im Schriftsatz vom 09.07.2021 erklärt, auf den von den Klägern geltend gemachten überzahlten Zinsbetrag zu verzichten und angekündigt, diesen zu erstatten. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, den überzahlten Zinsbetrag vorprozessual bereits gegenüber der Beklagten geltend gemacht zu haben bzw. dass die Beklagte eine Rückzahlung desselben verweigert hätte. Damit entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für eine klageweise Geltendmachung des Zinsbetrages. Der Antrag Ziffer II war demnach insgesamt abzuweisen.
39
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO in Höhe des Nettodarlehensbetrages zuzüglich Anzahlung festgesetzt. Die Klagepartei begehrt, so gestellt zu werden, als hätte sie den finanzierten Fahrzeugkaufvertrag niemals abgeschlossen.