Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 21.09.2021 – 41 O 385/21
Titel:

Sittenwidrige Schädigung, Sittenwidrigkeit, Tatbestandswirkung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Abschalteinrichtung, Gewährleistungsrechte, Deliktischer Anspruch, Verjährungseinrede, Typengenehmigung, Kostenentscheidung, Nutzungsentschädigung, Typgenehmigung, Klagepartei, Unerlaubte Handlung, Arglistige Täuschung, Gewinnerzielungsabsicht, Parteivorbringen, Deliktische Haftung, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Aktivlegitimation

Schlagworte:
Thermofenster, Klageabweisung, Sittenwidrige Schädigung, Deliktische Haftung, Gewährleistungsrecht, Abschalteinrichtung, Typgenehmigung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 13.06.2022 – 5 U 3879/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.07.2022 – 5 U 3879/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 04.03.2025 – VIa ZR 1222/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 68565

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund deliktischer Produktmanipulation an einem Pkw.
2
Der Kläger erwarb am 17.06.2016 den streitgegenständlichen Pkw … zu einem Kaufpreis von 37.400 € als Gebrauchtwagen bei einem Kilometerstand von 26.049 km. Am 20.08.2021 betrug der Kilometerstand 92.009 km.
3
Im Pkw ist ein Moto … verbaut.
4
Das Fahrzeug verfügt über eine wirksame EG – Typ Genehmigung und kann uneingeschränkt genutzt werden. Ein neues Software-Update hat der Kläger noch nicht aufspielen lassen.
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Die Klagepartei trägt vor, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, mit der bei niedrigen Temperaturen die Wirkungsweise des Abgasrückführungssystems reduziert bzw. abgeschaltet werde (sog. Thermofenster), wodurch die Stickoxidemissionen erheblich anstiegen.
6
Eine unzulässige Abschalteinrichtung liege auch im Hinblick auf den Verbau einer Kühlmittel- Solltemperatur -Regelung vor.
7
Weiter trägt der Kläger vor, ihm sei es bei der Kaufentscheidung darauf angekommen, ein umweltfreundliches und wertstabiles Fahrzeug zu erwerben; hätte er die tatsächlichen Umstände gekannt, hätte er von der Kaufentscheidung Abstand genommen.
8
Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von derm o.g. Ausstattung des Fahrzeugs gehabt und gehandelt, um u.a. den Umsatz zu steigern und die Produktionskosten zu senken.
9
Hinsichtlich des weiteren Vortrags und der technischen Einzelheiten wird auf den schriftsätzlichen Vortrag der Klägerseite verwiesen.
10
Die Klagepartei meint, dass die Beklagte sie vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt habe. Sie macht Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, insbesondere aus § 826 i.V.m. § 31 BGB, und § 823 II BGB i.V.m. Art. 4 der Verordnung (EG) Nummer 715/2007 geltend.
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Der Kläger beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges … mit der Fahrgestellnummer … an die Klagepartei 37.400,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 24.07.2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.074,12 Euro zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 24.07.2019 mit der Rücknahme des in Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeuges im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihres Rechtsanwaltes … in Höhe von 2.033,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
12
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte bestreitet, dass der Klagepartei ein Schaden entstanden ist, für den die Beklagte haften müsse. Insbesondere verfüge das Fahrzeug nicht über eine unzulässige Abschalteinrichtung.
14
Es fehle an einer sittenwidrigen Handlung der Beklagten, insbesondere habe diese die Klagepartei nicht getäuscht. Der Klagepartei sei auch kein Schaden entstanden. Jedenfalls fehle es an einem Schädigungsvorsatz der Beklagten.
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Die Beklagte meint, der Vortrag der Klägerseite sei im Übrigen bereits unsubstantiiert.
16
Im Übrigen wird auf die Tatbestandswirkung der Typgenehmigung verwiesen. Schon deshalb bestehe rechtlich kein Anspruch.
17
Schließlich bestreitet die Beklagte noch die Aktivlegitimation und erhebt die Verjährungseinrede.
18
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
19
Die zulässige Klage ist unbegründet.
20
1. Die Klage ist nicht begründet, weil ein Anspruch aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder Art. 4 der Verordnung (EG) 715/2007 bzw. § 831 BGB oder auch aus sonstigen Anspruchsgrundlagen nicht besteht. Die hierfür erforderliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) liegen nämlich nach dem Klägervortrag nicht vor.
21
2. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die hier in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche gegenüber dem Hersteller unter weit strengeren Voraussetzungen stehen als Gewährleistungsrechte, die bei einem Mangel des Fahrzeugs gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht werden könnten.
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Im vorliegenden Fall mag zwar das sogenannte Thermofenster nach dem klägerischen Vortrag einen Mangel i.S.d. § 434 BGB darstellen. Für die strengeren Voraussetzungen einer deliktischen Haftung auf der Grundlage der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB bietet schon der klägerische Vortrag aber keine hinreichende Grundlage, wie im Folgenden auszuführen ist.
23
3. Die Fallkonstellation ist bezüglich des Thermofensters nicht vergleichbar mit derjenigen, bei welcher die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 25. Mai 2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19; abzurufen unter der Internetseite des Bundesgerichtshofes; die nachfolgend genannten Randnummern beziehen sich auf diese Fundstelle) Schadensersatzansprüche in sogenannten VW-Dieselfällen bejaht hat.
24
Dort wurde für die Fälle der Ausstattung von Fahrzeugen mit dem Dieselmotor der Baureihe EA 189 das Verhalten der dortigen Beklagten objektiv als sittenwidrig qualifiziert, da die Beklagte dort auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA 189 in siebenstelligen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (RdNr. 16).
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Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes beruht insbesondere auch darauf, dass dort (unstreitig) eine verstärkte Abgasrückführung bei erkanntem Prüfstandlauf aktiviert wurde und bei Erlangung der jeweiligen Typengenehmigungen dem KBA durch die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgespiegelt wurde, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben würde, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, wodurch die Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte getäuscht worden sei, um die Typengenehmigung auf kostengünstigem Weg zu erhalten (RdNr. 17, 18). Dies wiederum hat der Bundesgerichtshof dann für verwerflich gehalten, wenn auf Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde (KBA) die Erhöhung des Gewinns erreicht werden soll, und dies mit der Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer von möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt (RdNr. 23).
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4. Nach diesen, für die Bejahung von Ansprüchen durch den Bundesgerichtshof wesentlichen, Umständen, kann das Thermofenster für sich eine sittenwidrige Schädigung nicht begründen. Die Klägerseite stellt das Thermofenster zwar als unzulässig und nicht dem Stand der Technik entsprechend dar. Es hat (für sich allein) aber auch nach ihrer Darstellung nicht das Ziel, bewusst die Überwachungsbehörde zu täuschen und so die Typengenehmigung herbeizuführen. Der wesentliche Vorwurf, aus dem nach Ansicht des Bundesgerichtshofes, welcher auch das hier entscheidende Gericht folgt, die Annahme einer betrügerischen Erlangung der Betriebsgenehmigung und somit einer sittenwidrigen Gewinnerzielungsabsicht folgt, ist jedoch gerade die softwareprogrammierte Veränderung des auf dem Prüfstand gegenüber dem Realbetrieb erzielbaren Schadstoffausstoßes.
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Eine sittenwidrige oder betrügerische Handlung kann demnach in der Installation des sogenannten Thermofensters nicht gesehen werden. Dass es sich dabei nach dem Klägervortrag um ein Abweichen von der zu erwartenden und technisch möglichen Beschaffenheit, also einen Mangel im Sinne des Gewährleistungsrechts nach § 434 BGB, handelt, spielt für die strenge Beurteilung der deliktischen Haftung gegenüber dem Hersteller, der nicht Verkäufer ist, keine Rolle (s.o.).
28
5. Aber auch die weiteren Begründungen (insbes. Verbau einer Kühlmittel- Solltemperatur -Regelung) zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und einer Herleitung von Ansprüchen hieraus greifen im Hinblick auf die vorgenannten Ausführungen in gleicher Weise nicht durch.
29
Dies gilt erst recht im Hinblick auf die weiterhin wirksame EG Typgenehmigung, welche Tatbestandswirkung entfaltet.
II.
30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1, 2 ZPO.