Inhalt

LG Weiden, Endurteil v. 05.10.2021 – 12 O 219/21
Titel:

Abschalteinrichtung, Klagepartei, Sittenwidrigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Sekundäre Darlegungslast, Klageantrag, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Sittenwidrige Schädigung, Sachvortrag, Substantiierungspflicht, Nutzungsentschädigung, Ausforschungsbeweis, Beweiserhebung, Klageabweisung, Darlehensverträge, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Kraftfahrt-Bundesamt, Rechtshängigkeit, Unzulässigkeit, Annahmeverzug

Leitsatz:
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB wegen einer behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung setzt eine hinreichend substanziierte Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens voraus. (Rn. 1-3, 6-7)
Schlagworte:
Abschalteinrichtung, Schadensersatzanspruch, deliktische Haftung, sekundäre Darlegungslast, Beweislast, Klageabweisung, vorläufige Vollstreckbarkeit
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 27.03.2024 – 16 U 4051/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.05.2024 – 16 U 4051/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 11.02.2025 – VIa ZR 334/24
Fundstelle:
BeckRS 2021, 68512

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf bis zum 16.05.2021 auf 17.753,90 € und danach auf 18.366,05 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund behaupteter der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Zuge des sog. „Abgasskandals“.
2
Die Klagepartei erwarb mit Kaufvertrag vom 24.12.2017 (vgl. Anlage K1a) den streitgegenständlichen PKW VW Tiguan Comfortline mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …01 zu einem Preis von 32.357,48 € brutto.
3
Das Fahrzeug wurde von der Klagepartei über die V1. Bank GmbH finanziert (Darlehensvertragnr. ...) im Rahmen von 48 monatlichen Raten a 204,05 €. Die Klagepartei hat bislang Raten in Höhe von 18.366,05 € bezahlt. Eine Anzahlung in Höhe von 10.000 € wurde geleistet.
4
In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 288 verbaut. Die Beklagte ist Herstellerin dieses Motors.
5
Bei dem Fahrzeug handelte es sich um ein Neufahrzeug.
6
Ein Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) existiert in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug bzw. den in diesem Fahrzeug verbauten Motor nicht.
7
Die Klagepartei behauptet, dass in dem Motor unzulässige Abschalteinrichtungen i.S.d. Art. 3 Nr. 10 i.V.m. Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 eingebaut seien. So sei in dem Fahrzeug unter anderem eine Steuersoftware verbaut, welche erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde. Im regulären Betrieb würde die Zudosierung des Harnstoffes AdBlue im SCRKatalysator reduziert oder ganz abgeschaltet werden, so dass erhebliche NOx-Ausstöße die Folge wäre, so dass das Fahr auch keine Typenzulassung mehr erhalten hätte. Dem Vorstand sei die Existenz dieser unzulässigen Abschalteinrichtung bekannt gewesen. Die Klagepartei hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn ihr die Existenz der Abschalteinrichtungen bekannt gewesen sei. Im Übrigen wird auf die Ausführungen der Klagepartei in der Klageschrift Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt daher zuletzt:
1. a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.366,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 0,0924498 € pro gefahrenen Kilometer seit dem 23.02.2021 (km-Stand bei Erwerb: 0 km), die sich nach folgender Formel errechnet:
(32.357,48 € x gefahrene km) : 350.000 km
b) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber der V1. Bank GmbH aus dem Darlehensvertrag it der Kreditvertragsnummer 1056356822 zur Finanzierung des Fahrzeuges Volkswagen Tiguan „Sound“ 2.0 TDI I TDI SCR (Fahrzeug-Identifikationsnummer: …01) freizustellen;
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu Ziffer 1 genannten PKW in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagtenseite wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.626,49 € freizustellen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen Schäden, die aus dem Erwerb des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs resultieren, zu ersetzen.
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Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte ist der Rechtsansicht, dass der Klagepartei kein Schadensersatzanspruch insbesondere gem. § 826 BGB gegen die Beklagte zustehe, da sie die Klagepartei nicht vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Es fehle bereits an einer sittenwidrigen Handlung.
11
Das Gericht hat am 21.05.2021 mündlich zur Sache verhandelt. Bzgl. der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
12
Bzgl. der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
14
Der Klagepartei steht kein Anspruch gegen die Beklagte wegen der Konstruktion/Programmierung und Herstellung des von ihr entwickelten Motoraggregats EA 288, welches im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut ist, zu.
15
Die Klagepartei trägt bereits nicht hinreichend zu der bzw. den von ihr behaupteten Abschalteinrichtungen vor.
16
Hinsichtlich der behaupteten Abschalteinrichtung in der Form einer Prüfstanderkennung genügt nach Auffassung der Kammer der klägerische Sachvortrag nicht, um die Anspruchsvoraussetzungen für eine deliktische Haftung darzulegen.
17
Dem Schadensersatzanspruch der Klagepartei aus § 826 BGB steht entgegen, dass es an der hinreichend substanziierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten fehlt.
18
Die Behauptung, das streitgegenständliche Motoraggregat enthalte eine unzulässige Abschalteinrichtung, die auf dem Prüfstand unzutreffend günstige Ergebnisse vortäuschen würde, die im realen Fahrbetrieb nicht erzielt werden könnten, was von der Beklagten von vornherein beabsichtigt worden sei, erfolgt pauschal und – in Anbetracht des Sachvortrags der Beklagten – „ins Blaue hinein“. Eine Beweiserhebung über diese Behauptungen des Klägers liefe letztlich auf einen in der ZPO nicht vorgesehenen Ausforschungsbeweis hinaus (so im Hinblick auf den Motortyp EA 288 im Ergebnis auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 1 U 103/19, Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. April 2020 – 1 U 103/19 –, OLG Koblenz Urt. v. 20.4.2020 – 12 U 1570/19 = BeckRS 2020, 6348).
19
Die Kammer verkennt nicht, dass die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags „ins Blaue hinein“, der eine angebotene Beweiserhebung zur prozessual unzulässigen Ausforschung machen würde, nur ausnahmsweise anzunehmen ist. Einer Partei ist es nicht verwehrt, im Zivilprozess Tatsachen behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (vgl. BGH, Urteil vom 20.09. 2002, Az.: V ZR 170/01, NJW-RR 2003, S. 69). So verhält es sich auch hier. Die Klagepartei kann, sofern sie nicht eine aufwändige und kostenträchtige Untersuchung durchführen lässt, kein sicheres Wissen darüber haben, wie die Motorsteuerung seines Pkws und das darin enthaltene Thermofenster konkret gestaltet sind.
20
Jedoch wird ein solches prozessuales Vorgehen dann unzulässig, wenn die Partei für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufstellt, ohne dass hierfür greifbare tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Für einen schlüssigen Klagevortrag reicht es nicht aus, im Wege eines „Generalverdachtes“ grundsätzlich bei allen Dieselfahrzeugen, insbesondere denen aus dem Konzern der Beklagten eine unzulässige Abschalteinrichtung zu vermuten (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.02.2020, Az. 12 U 353/19; zitiert nach juris).
21
Zudem war in den Blick zu nehmen, dass es für das streitgegenständliche Fahrzeug keinen Rückrufbescheid der zuständigen Genehmigungsbehörde gibt und es sind, jedenfalls derzeit, auch keine derartige Maßnahme angekündigt. Auch eine Beanstandung durch das Bundesministerium für Verkehr liegt nicht vor. Es ist vielmehr so, dass das Motoraggregat EA 288 nach Bekanntwerden der beim Vorgängermodell EA 189 von der Beklagten vorgenommenen Manipulationen vom Kraftfahrtbundesamt ausführlich, auch unter veränderten Prüfbedingungen, die nicht dem NEFZ-Zyklus entsprachen, untersucht wurde und aufgrund der Testergebnisse sich keinerlei Verdachtsmomente für das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung i.s. der „Umschaltlogik“ ergaben. Auf Seite 12 des Berichts der Untersuchungskommission V1. heißt es: „Hinweise die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 (Euro 6) seien ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen, haben sich hierbei auf Grundlage der Überprüfung als unbegründet erwiesen.“
22
Im vorliegenden Fall fehlte es daher an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung; weder hat die Klagepartei solche aufgezeigt noch waren oder sind sie sonst für die Kammer in irgendeiner Weise erkennbar.
23
Soweit die Klagepartei eine Manipulation der Motorsteuerung behauptete, dass das Fahrzeug den NEFZ-Prüfzyklus erkenne und dann und nur dann die Abgasrückführungsrate erhöhe, ist die Beklagte ihrer insoweit bestehenden sekundären Darlegungslast in ausführlicher Weise nachgekommen. Die Beklagte hat in für die Kammer nachvollziehbarer Weise ausgeführt, dass die in den Motorsteuerungen bis zu den Neufahrzeugen mit Produktionsstart KW 22/2016 hinterlegten Fahrkurven durchaus und in technisch notwendiger Weise der Erkennung des Prüfzyklus dienten, jedoch nicht, um die Abgasrückführungsrate zu erhöhen, sondern um ein standardisiertes Verhalten der Motoren und der nachgeschalteten Katalysatoren während des Test-Zyklus zu erreichen. In Anbetracht dieser für die Kammer überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen, ist die Klagepartei, die einen Einfluss der Motorsoftware auf die Abgasrückführungsrate behauptet, ihrer Substantiierungspflicht, den entsprechenden Vortrag betreffend, nicht nachgekommen. Die entsprechende Behauptung wird lediglich „aufs Geratewohl hin“ aufgestellt, aber nicht mit näheren Anknüpfungstatsachen, unterlegt.
24
Der Vortrag der Klagepartei führt auch nicht zu einer sekundären Darlegungslast der Beklagten zu den technischen Gegebenheiten der mit dem Motoraggregat EA 288 versehenen Fahrzeuge.
25
Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt im Grundsatz voraus, dass der darlegungs- und beweisbelasteten Partei die nähere Darlegung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die gegnerische Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt oder es ihr zuzumuten ist, nähere Angaben zu machen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn dem zu beweisenden Vortrag des Beweispflichtigen – wie im vorliegenden Fall – greifbare Anhaltspunkte für seine Behauptung fehlen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. vor § 284 Rn. 34).
26
Auch aus den von Klägerseite angeführten Abweichungen der Schadstoffemissionen im realen Fahrbetrieb ergibt sich allein kein schlüssiger Sachvortrag dahingehend, dass dem – insbesondere im Hinblick auf die notwendige subjektive Komponente – ein vorsätzliches und sittenwidriges Handeln der Beklagten zugrunde liegen würde. Das Kraftfahrtbundesamt hat Fahrzeugtypen der Beklagten, die mit dem Motoraggregat EA 288 versehen sind, nach Aufdeckung der Unregelmäßigkeiten beim Motoraggregat EA189, überprüft und, wie von beklagter Seite dargelegt, auf vielfache gerichtliche Anfrage bestätigt, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt und die offengelegten, vorhandenen Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft werden.
27
Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache hat die Klagepartei auch weder einen Anspruch auf die mit Klageanträgen zu Ziffer 2. und 4. begehrte Feststellung noch auf die mit Klageantrag zu Ziffer 3. geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
28
Die Entscheidung über die Kosten resultiert sich aus § 91 ZPO.
29
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 ZPO.