Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 23.08.2021 – 1 U 122/21
Titel:

Rechtsmißbrauch, Versicherungsnehmer, Widerspruchsrecht, Umstandsmoment, Schutzwürdiges Vertrauen, Rentenversicherungsvertrag, Rücktrittsrecht, Verbraucherinformation, Treu und Glauben, Sonderzahlung, Verspätete Geltendmachung, Verwirkung, Widerspruchsbelehrung, Widerrufsrecht, Andere Verträge, Gesamtwürdigung, Landgerichte, Gelegenheit zur Stellungnahme, Berufungsverfahren, Bereicherungsansprüche

Schlagworte:
Widerspruchsrecht, Verwirkung, Rentenversicherungsverträge, Rückabwicklungsansprüche, Treu und Glauben, Vertragsmanagement, Fondsumschichtungen
Vorinstanz:
LG Coburg, Endurteil vom 09.03.2021 – 22 O 403/20
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 21.10.2021 – 1 U 122/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 18.12.2024 – IV ZR 368/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 68465

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 09.03.2021, Az. 22 O 403/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 32.000,- € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16.09.2021.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über Rückabwicklungsansprüche nach erfolgtem Widerspruch gegen vier Rentenversicherungsverträge.
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1. Im August 2007 schlossen die Parteien vier fondsgebundene Rentenversicherungsverträge mit Versicherungsbeginn zum 15.10.2007 (vertragliche Endziffern: -005, -006, -007 und -009).
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Prämienzahlungen, welche nicht zur Deckung von Abschlusskosten, Verwaltungskosten und Risikokosten benutzt wurden, wurden in mehrere Fonds einbezahlt.
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Hinsichtlich des Vertrags -005 nahm der Kläger in den Jahren 2007 und 2009 zwei vertraglich nicht geschuldete Zuzahlungen vor. Mit Schreiben vom 31.10.2014 beantragte der Kläger eine Erhöhung der monatlichen Prämie von 50,- € auf 150,- €, was ihm antragsgemäß gewährt wurde. Ab Mai 2015 wurde die monatliche Prämie wiederum auf Wunsch des Klägers auf 100,- € reduziert, wobei er erneut eine freiwillige Zuzahlung leistete. Anfang 2016 wurde die monatliche Prämienzahlung wiederum auf Wunsch des Klägers auf 200,- € erhöht.
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Auch hinsichtlich der Verträge -006 und -007 nahm der Kläger jeweils in verschiedenen Jahren mehrere vertraglich nicht geschuldete Zuzahlungen vor und erhöhte im Mai 2015 wunschgemäß seine Beitragszahlungen.
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Für den Vertrag -009 erhöhte der Kläger im April 2016 ebenfalls seine monatlichen Beitragszahlungen auf insgesamt 500,- € und verlangte in der Folge den Ausschluss der Beitragsfreistellung bei Berufsunfähigkeit. Die entsprechende Vertragsänderung wurde ihm von der Beklagten mit Schreiben vom 02.06.2016 bestätigt.
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In den Jahren 2015 und 2016 nahm der Kläger zudem für alle vier Verträge mehrere Fondsumschichtungen vor. Er beantragte im Juni 2018 für die vier Verträge jeweils eine Teilauszahlung in maximaler Höhe, welchem die Beklagte in der Folgezeit nachkam.
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Mit Schreiben vom 27.11.2018 kündigte der Kläger alle Verträge, worauf von der Beklagten die Verträge abgerechnet und ihm Anfang 2019 von der Beklagten die Rückkaufswerte ausbezahlt wurden.
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Mit am 09.04.2020 zugegangenen Schreiben erklärte der Kläger den Widerspruch hinsichtlich der vier Verträge.
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Erstinstanzlich hat der Kläger die Auffassung vertreten, rechtswirksam den Verträgen widersprochen zu haben. Da die übersandten Verbraucherinformationen nicht vollständig waren, hätten die Voraussetzungen des § 5a VVG a.F. vorgelegen. Jedenfalls seien auch die Belehrungen über ein Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG fehlerhaft erfolgt. Diese seien nicht ausreichend hervorgehoben gewesen. Die Ansprüche seien auch nicht verwirkt.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Verträge seien im Antragsmodell geschlossen worden, da der Kläger die Verbraucherinformationen vollständig erhalten habe, so dass dem Kläger allenfalls ein Rücktrittsrecht zustünde. Die Belehrungen seien auch formell wirksam gewesen. Im Übrigen sei der Widerruf bzw. Rücktritt rechtsmissbräuchlich und ein entsprechendes Recht damit verwirkt. Durch sein Verhalten habe der Kläger schützenswertes Vertrauen in den Bestand der Verträge bei der Beklagten hervorgerufen.
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2. Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
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Zwar seien die Belehrung nicht ausreichend hervorgehoben gewesen, selbst wenn man von einem Abschluss im Antragsmodell ausgehen würde. Jedenfalls sei das Rücktritts- bzw. das Widerspruchsrecht aber rechtsmissbräuchlich und daher verwirkt, § 242 BGB. Ein Indiz im Rahmen der Gesamtwürdigung sei, dass den Verträgen erst über ein Jahr nach der erfolgten Kündigung und Gesamtabwicklung widersprochen wurde. Zudem sei zu berücksichtigen, dass insgesamt vier Verträge abgeschlossen wurden. Die mehrfachen Sonderzahlungen in nicht unerheblicher Höhe auf drei der Verträge sei als Vertragsbestätigung zu werten. Hinsichtlich des Vertrages -009 sei später der Ausschluss der Beitragsfreistellung bei Berufsunfähigkeit vereinbart, der Vertrag aber im Übrigen unverändert fortgesetzt worden. Bei allen Verträgen habe der Kläger eine aktive Vertragsgestaltung betrieben durch mehrfache Beitragserhöhungen bzw. -senkungen. Zu berücksichtigen seien auch die jeweiligen Fondsumschichtungen sowie die beantragten Änderungen der Anlagestrategie. Der Kläger habe zudem durch seinen Antrag auf vorgezogenen Teilauszahlungen im Jahr 2018 zu erkennen gegeben, im Übrigen an den Verträgen festhalten zu wollen. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Kläger jeweils darüber belehrt wurde, sich vom Vertrag lösen zu können, der Fehler daher nicht gravierend war. Auch sei die Zielsetzung des Widerspruchs vorliegend als rechtsmissbräuchlich zu werten.
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3. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung und verfolgt seine erstinstanzlichen Auskunfts- und Zahlungsansprüche weiter.
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Dem Kläger stünde ein entsprechender Auskunftsanspruch zu. Es sei mangels ausreichender Verbraucherinformationen keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erfolgt. Im Übrigen habe das Landgericht zutreffend festgestellt, dass die Belehrung nicht ausreichend hervorgehoben gewesen sei, weshalb auch hilfsweise ein Rücktritt möglich gewesen sei. Allerdings sei das Landgericht zu Unrecht von einer Verwirkung bzw. Treuwidrigkeit ausgegangen. Dem Verbraucher stünde in solchen Konstellationen grds. ein sog. ewiges Widerspruchsrecht zu. Dies habe der Gesetzgeber auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gebilligt. Auf eine Zehnjahres-Frist in anderen Vorschriften könne daher nicht abgestellt werden. Die Entscheidung des Gesetzgebers müsse durch die Gerichte respektiert werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedürfe es jedenfalls besonders gravierender Umstände. Der reine Zeitablauf ändere hieran nichts. Solche Umstände seien hier nicht gegeben, insbesondere nicht durch die Vertragsänderungen oder Teilauszahlungen. Ein „aktives Vertragsmanagement“ sei nicht geeignet, um schutzwürdiges Vertrauen bei der Beklagten hervorzurufen. Gleiches gelte für die Mehrzahl an Verträgen, da diese hier gleichzeitig abgeschlossen wurden. Zuletzt sei eine vermeintliche Renditeerzielungsabsicht des Klägers unbeachtlich. Der Widerruf sei gerade ohne Begründung möglich, eine „Redlichkeitsprüfung“ finde nicht statt. Auch könne ein „Wissensvorsprung“ des Klägers um die Wertentwicklung keine Rolle spielen, da nach der Rechtsprechung des BGH auch Fondsverluste zu berücksichtigen wären. Zuletzt habe die Beklagte nicht ausreichend entsprechendes Vertrauen bzw. unzumutbare Nachteile dargelegt.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Coburg vom 09.03.2021, Az.: 22 O 403/20, wie folgt abzuändern:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, wann und in welcher Höhe Zahlungen des Klägers als Sparprämie dem Fondsvermögen der Verträge -005, -006, -007 und -009 zugeflossen sind.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, welche Rückkaufwerte (gemäß § 176 Abs. 1 und Abs. 3 VVG a.F.) die Verträge -005, -006, -007 und -009 zum Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens hatten, dies ohne Durchführung eines „Abzugs“ gemäß § 176 Abs. 4 bzw. § 174 Abs. 4 VVG a.F.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen nach den Auskünften gemäß 1. und 2. durch den Kläger zu beziffernden Betrag, mindestens aber einen Betrag in Höhe von 32.000,- EUR, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.04.2020 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die Entscheidung. Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass entsprechende Ansprüche des Klägers verwirkt seien, da dieser durch sein Verhalten schutzwürdiges Vertrauen bei der Beklagten hervorgerufen habe. Insbesondere die mehrfach beantragten Fondswechsel, die freiwilligen Beitragserhöhungen sowie die vorzeitige Teilkapitalisierung seien erheblich zu berücksichtigen. Entgegen dem Vorbringen des Klägers sei auch auf die Rechtsmissbräuchlichkeit des mit dem vom Kläger verfolgten Zwecks abzustellen. Die Beklagte müsse nicht näher vortragen, welche Dispositionen sie im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages getroffen habe. Zuletzt seien die Belehrungen wirksam gewesen.
II.
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Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Coburg offensichtlich im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO weist der Senat den Kläger auf die beabsichtigte Entscheidung hin und gibt ihm zugleich Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu und zur beabsichtigten Festsetzung des Berufungsstreitwerts.
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Das Landgericht hat zur Überzeugung des Senats das Widerspruchs- bzw. Rücktrittsrecht des Klägers jeweils zu Recht als verwirkt angesehen, so dass ihm keine Ansprüche aus einer Rückabwicklung der streitgegenständlichen Verträge zustehen, weshalb er auch keine entsprechenden Auskünfte verlangen kann. Es kann daher dahinstehen, ob der Kläger ausreichend belehrt wurde, insbesondere die Belehrungen ausreichend drucktechnisch hervorgehoben waren oder der Kläger die Verbraucherinformationen vollständig erhalten hat.
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1. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (st. Rspr., BGH, Urteil v. 23.01.2014, Az. VII ZR 177/13; Urteil v. 07.05.2014, Az. IV ZR 76/11).
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Dabei besteht grds. keine Korrelation in dem Sinne, dass bei längerem Zeitablauf seit Vertragsschluss und damit einer Verstärkung des Zeitmoments geringere Anforderungen an die Feststellung des Umstandsmoments gestellt werden können (vgl. BGH, Beschluss v. 13.01.2021, Az. IV ZR 67/20; Beschluss v. 28.10.2020, Az. IV ZR 272/19).
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In Fällen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Widerspruchsbelehrung oder einer fehlenden oder unvollständigen Verbraucherinformation kann die Geltendmachung des Widerspruchsrechts nur ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind (vgl. BGH, Beschluss v. 03.06.2020, Az. IV ZB 9/19). Besonders gravierende Umstände können dabei regelmäßig nicht aus der bloßen, wenngleich sich ggfs. über einen langen Zeitraum erstreckenden Vertragsdurchführung durch den Versicherungsnehmer ergeben, da es am Umstandsmoment fehlt. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den Umständen des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtschau (vgl. BGH, Urteil vom 14.03.2017 – Az.: XI ZR 442/16).
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2. Nach dieser Maßgabe ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht, neben einem Zeitmoment, im vorliegenden Einzelfall gravierende Umstände erkannte, die dem Kläger eine Berufung auf ein Widerspruchsrecht verwehren.
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a) Zunächst ist das Zeitmoment zweifelsfrei gegeben. Zwischen dem Abschluss der Verträge im August 2007 und der Erklärung des Widerrufs im April 2020 liegen knapp 13 Jahre.
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b) Auch das Umstandsmoment ist vorliegend aufgrund der Gesamtumstände gegeben.
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aa) Es kann dabei dahinstehen, ob die Intention des Klägers dabei zu berücksichtigen war oder eine solche – der Berufungsbegründung folgend – unbeachtlich wäre (vgl. hierzu Berufungsbegründung vom 10.05.2021, S. 24 ff., insb. S. 28 f.), wobei dennoch festzuhalten ist, dass auch nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen ist. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt bzw. Widerruf ziehen könnte, bleiben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt bzw. Widerruf würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Az. C-355/18, Rn. 120).
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Das gesetzlich eingeräumte Widerspruchsrecht soll den Versicherungsnehmer gerade vor übereilten Abschlüssen schützen (Schutz vor einem Abschluss ohne ausreichende Information über den Inhalt des Vertrags), damit nach der gesetzgeberischen Wertung den Zustand vor Vertragsschluss wiederherstellen. Im vorliegenden Fall will der Versicherungsnehmer aber nicht nur die Fondsgewinne erhalten (die ihm grds. auch über den Rückkaufswert zustünden, wie der Kläger zutreffend einwendet), sondern letztlich auch nahezu keine Kosten dafür tragen. Dies weicht vom eigentlichen dargestellten gesetzgeberischen Willen, welchen die Berufung in ihrer Argumentation mehrfach bemüht, offensichtlich ab.
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Auch kann der Versicherungsnehmer nach Auffassung des Senats jedenfalls nach erfolgter Kündigung und Abrechnung des Vertrags über den Zeitpunkt des späteren Widerspruchs sehr wohl die Höhe seines Anspruchs beeinflussen, da die Versicherung mit der Differenz zwischen eigentlichem Anspruch und (dem nach der Kündigung ausgezahlten) Guthabenwert zum Abwicklungszeitraum weiter wirtschaften kann und entsprechende Nutzungsvorteile ebenfalls herauszugeben hätte.
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bb) Jedenfalls ergeben sich aus den vom Landgericht festgestellten weiteren Tatsachen ausreichende Umstände für eine Verwirkung. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird diesbezüglich zunächst auf die umfassenden und überzeugenden Entscheidungsgründe Bezug genommen (insb. LGU S. 8 ff).
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Auch nach Ansicht des Senats handelt sich es bei der Vielzahl der vom Landgericht festgestellten Vertragsänderungen bzw. -einwirkungen um jeweils gewichtige Indizien der Vertragsbestätigung, die über die reine Vertragsdurchführung weit hinausgehen.
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(1) Zwar ist der Berufung zunächst dahingehend zuzustimmen, dass allein aus dem Abschluss von vier Verträgen kein besonders schützenswertes Vertrauen auf Seiten der Beklagten folgen kann, nachdem die Verträge alle zeitgleich abgeschlossen wurden. Auf der anderen Seite besteht jedoch aus Sicht des Senats eine Wechselwirkung während der laufenden Verträge dahingehend, dass eine Bestätigung eines der Verträge auch für das Vertrauen der Beklagten in den Bestand der (gleichgelagerten) anderen Verträge eine Rolle spielen kann.
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(2) Das Landgericht hat zulässigerweise im Rahmen der Gesamtwürdigung berücksichtigt, dass der Widerspruch erst über ein Jahr nach der erfolgten Kündigung und Gesamtabwicklung erfolgte. Durch die Kündigungen wurde der positive Willen bekundet, die Beklagte auf Leistungserfüllung aus diesem Vertrag in Anspruch zu nehmen und mit der vertragsbeendigenden Kündigung das Vertragsverhältnis abzuschließen. Dabei ist zwar anerkannt, dass die vollständige Leistungserbringung für sich genommen für das Entstehen überwiegenden schutzwürdigen Vertrauens des Versicherers nicht ausreicht (vergl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2016 – IV ZR 488/14 –, Rn. 19, juris). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der vollständigen vertragsgemäßen Leistungserbringung im Rahmen der Gesamtabwägung keine Bedeutung beikommen darf (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 21. Mai 2021 – 6 U 16/21 –, Rn. 19, juris, m.w.N.).
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Der Kläger hat die Abrechnungen auch anstandslos akzeptiert und damit erkennbar ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten hervorgerufen, dass aus dem beendeten Vertragsverhältnis keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden. Auch wenn dies kein ausschlaggebender Punkt ist, kann der Zeitpunkt der Widerspruchserklärung im Rahmen der Gesamtwürdigung herangezogen werden.
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(3) Auch die mehrfachen Sonderzahlungen, teils mit höheren vierstelligen Summen, auf drei der Verträge hat das Landgericht zutreffend als gewichtiges Indiz für eine Vertragsbestätigung gewertet. Dies unabhängig davon, ob die Beklagte mit dieser Möglichkeit vorher geworben hat, da die Sonderzahlungen letztlich freiwillig und unaufgefordert durch den Kläger erfolgten.
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(4) Besonders gewichtig ist aus Sicht des Senats anzusehen, dass der Kläger hinsichtlich des Vertrages -009 mit Schreiben vom 02.06.2016 den Ausschluss der Beitragsbefreiung für die Berufsunfähigkeit aufgrund der Prämienerhöhung verlangt hat (vgl. Anlage B 50), der Vertrag aber im Übrigen (antragsgemäß) unverändert fortgesetzt wurde. Auch damit hat er gegenüber der Beklagten zu erkennen gegeben, an dem Hauptvertrag festhalten zu wollen.
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(5) Das Landgericht hat daneben zutreffend herausgearbeitet, dass der Kläger bei allen Verträgen eine aktive Vertragsgestaltung betrieben hat durch mehrfache Beitragserhöhungen bzw. -senkungen sowie auch Fondsumschichtungen bzw. der beantragten Änderungen der Anlagestrategie. Auch hiermit hat er wiederholt gegenüber der Beklagten zu erkennen gegeben, mit den Verträgen zufrieden zu sein und deren Bestand unabhängig von einem Loslösungsrecht nicht in Zweifel zu ziehen.
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(6) Durch die vorgezogenen maximalen Teilauszahlungen im Jahr 2018 hat der Kläger gleichfalls zu erkennen gegeben, im Übrigen an den Verträgen festhalten zu wollen.
39
Der Kläger hat demzufolge auch nach Ansicht des Senats durch eigenes Verhalten schutzwürdiges Vertrauen bei der Beklagten hervorgerufen.
40
cc) Der Kläger kann zuletzt nicht mit Erfolg einwenden, die Beklagte müsse näher dazu vortragen, welche Dispositionen sie im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages getroffen habe. Vielmehr muss sich eine Versicherungsgesellschaft grundsätzlich für ihre gesamte Kalkulation darauf verlassen können, dass langfristig angelegte Verträge nicht plötzlich nach vielen Jahren rückabgewickelt werden. Zudem wirkt sich das Vorgehen des Klägers grds. zulasten der Versichertengemeinschaft aus (Überschussbeteiligung der anderen Versicherungsnehmer). Die Versicherungen müssten andernfalls für sämtliche Verträge Rückstellungen bilden, was offensichtlich nicht möglich wäre. Weiterer Vortrag war daher beklagtenseits nicht veranlasst.
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c) Die genannten Einzelumstände, die sowohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment einer Verwirkung begründen, lassen hier die Geltendmachung des Widerrufsrechts bzw. eines Bereicherungsanspruchs nach so langer Zeit als rechtmissbräuchlich erscheinen, so dass dem Klageanspruch der Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen steht.
II.
42
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Er beabsichtigt eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage der nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Feststellungen.
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Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht. Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen, und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1220, 1222) hin.
III.
44
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO zu bestimmen sein.