Inhalt

LG München II, Zwischenurteil v. 23.12.2021 – 3 O 1792/20 Arch
Titel:

Verdeckte Teilklage, offene Teilklage, Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, Vergütungsanspruch, Klageerweiterung, Abschlagszahlungen, Architektenvertrag, Derselbe Streitgegenstand, Anderweitige Rechtshängigkeit, Nicht erbrachte Leistungen, Schlußrechnung, Einzelrichter, Zulässigkeit der Klage, Lebenssachverhalt, Zwischenurteil, Prozessuale, Landgerichte, Klageänderung, negative Feststellungsklage

Schlagworte:
Teilklage, Streitgegenstand, Rechtsschutzbedürfnis, Individualisierung, Abschlagszahlungen, Parallelverfahren, Rechtskraft
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 25.04.2022 – 28 U 574/22 Bau
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2024 – VII ZR 130/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 68355

Tenor

1. Die Klage ist zulässig.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt Bezahlung nicht erbrachter Leistungen aus Architektenvertrag aus abgetretenem Recht.
2
Die Beklagte beauftragte die … (nachfolgend Zedentin) mit schriftlichem Architektenvertrag vom 12.08.16 zur stufenweisen Erbringung von Architektenleistungen zum Bauvorhaben … …, zunächst zur Erbringung der Leistungsphasen 5 bis 7, zu einem Pauschalpreis von 595.821,72 € netto, „wenn alle Grundleistungen der Leistungsphasen 5 – 9 erbracht werden“ (Anlage B1, Zitat Seite 11). Unter Ziffer 15.2. hieß es: „Als Gerichtsstand wird Dresden vereinbart.“. Der Vertrag wurde durch Kündigung der Beklagten vom 19.12.2016 vorzeitig beendet (Anlage B3). Die Zedentin rechnete daraufhin ihr Honorar gegenüber der Beklagten schluss am 29.05.17 zu einer Bruttorechnungssumme von 1.056.341,99 € für erbrachte Leistungen und weiteren 230.748,29 € für nicht erbrachte Leistungen (Einzelheiten siehe Anlage K1). Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht seit dem Jahre 2017 seine erbrachten Leistungen beim Landgericht Dresden zum Rechtsstreit unter dem Geschäftszeichen 6 O 1213/17. Den „Restwerklohn i.S.v. § 649 S.2 BGB für nicht erbrachte Leistungen aus Architektenvertrag v. 11.03.16/12.08.16 gem. Schlussrechnung Nr. 2017/04/001 v. 07.04.17 vom 29.05.17“ (Text des Mahnbescheids) verfolgte der Kläger durch Beantragung eines Mahnbescheids beim Amtsgericht Aschersleben, wobei das Mahnverfahren nach Widerspruch an das Landgericht München II abgegeben wurde (Bl. 4 d.A.).
3
Der Kläger b e a n t r a g t,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 230.748,29 € zzgl. 9% Punkte über dem Basiszinssatz seit 30.05.2017 zu zahlen.
4
Die Beklagte b e a n t r a g t,
die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, die vorliegende Klage sei unzulässig.
6
Der Schlussrechnungssaldo stelle eine einheitliche Forderung dar. Der Unternehmer habe lediglich eine Gesamtanspruch auf Vergütung. Die einzelnen Positionen der Schlussrechnung stellten jedoch keine eigenen Streitgegenstände und keine selbständigen Rechnungspositionen dar. Getrennte Ansprüche auf Vergütung für erbrachte Leistungen und nicht erbrachte Leistungen gebe es nicht. Zwar sei es möglich, im Rahmen einer (ersten) Teilklage aus diesem Gesamtanspruch einen bestimmten Teil geltend zu machen. Welche Anforderungen an die „zweite“ Teilklage zu stellen seien, sei jedoch höchstrichterlich nicht entschieden. Gegebenenfalls werde man auch unter Berücksichtigung des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs davon ausgehen müssen, dass eine anderweitige Rechtshängigkeit beim Landgericht Dresden vorliege. Es handele sich um das in der Rechtsprechung noch nicht thematisierte, wohl aber in der Literatur heftig umstrittene Problem, ob eine parallele Anhängigkeit von Teilklagen bei unterschiedlichen Spruchkörpern möglich sei. Unproblematisch zulässig seien aufeinander folgende Teilklagen. Zeitlich sich überschneidende Teilklagen an unterschiedlichen Gerichten widersprächen jedoch § 261 Abs. 3 Nummer 1 ZPO, der verhindere, dass ein einheitliches Interesse auf parallele Teilklagen aufgespalten werde. Die Unzulässigkeit folge unmittelbar aus der Möglichkeit der Klageerweiterung gemäß § 264 Nummer 2 ZPO. Sinn und Zweck der Rechtshängigkeitssperre beträfen gerade auch die Konzentration innerlich zusammengehörender -teilweise komplexerStreitkomplexe bei einem Gericht. Auch aus der Prozessökonomie folge, dass Parallelverfahren möglichst zu vermeiden seien. Es gebe keine einzige veröffentlichte Auffassung, die von einer Zulässigkeit paralleler Teilklagen ausgehe.
7
Selbst wenn man diesem Argument nicht folgen wolle, so fehle der (zweiten) parallelen Teilklage das Rechtsschutzbedürfnis. Dem Kläger stehe der einfachere Weg der Klageerweiterung der bereits rechtshängigen ersten Teilklage zur Vollklage gemäß § 264 Nummer 2 ZPO zur Verfügung. Die Erhebung mehrerer Teilklagen führe aufgrund der degressiven Gebührenstaffelung zu höheren Prozesskosten als eine entsprechende Vollklage. Eine Beschränkung des Rechtsschutzbedürfnisses komme dort in Betracht, wo sich im Vergleich der prozessualen Möglichkeiten ein eindeutiger und erheblicher Unterschied hinsichtlich der Einfachheit und Kostenintensität auftue. Die Beschränkung auf nur eine Teilklage sei bedeutend kostengünstiger als die Erhebung einer Vollklage sowie die parallele Erhebung mehrerer Teilklagen. Damit fehle für die parallele Erhebung mehrerer Teilklagen wie vorliegend in jedem Fall das Rechtsschutzbedürfnis. Hinsichtlich der Bewertung der Ansprüche, welche der Kläger geltend mache, seien eine Reihe von komplizierten tatsächlichen Fragen, wie zum Beispiel den anrechenbaren Kosten, der Bewertung der mitverarbeiteten Bausubstanz sowie der Bemessung der einzelnen Leistungen vorzunehmen. Durch die Vorgehensweise der parallelen Teilklage wären (unter Umständen) jeweils unterschiedliche Sachverständigengutachten einzuholen und damit werde der Prozess unnötig und ohne erkennbaren Grund insgesamt verteuert. Der Beklagten stehe auch keine Möglichkeit der negativen Feststellungsklage als Widerklage bei dem Landgericht Dresden zur Seite, weil insoweit jedenfalls mit der jetzt erhobenen Teilklage eine Rechtshängigkeitssperre eingetreten sei. Darüber hinaus bestehe das rechtliche Problem, dass im vorliegenden Verfahren ja durchaus streitig sein könne, ob überhaupt auf die Regelungen der HOAI zurückgegriffen werden dürfe oder ob ein etwaiger Vergütungsanspruch ausschließlich nach den Grundsätzen des geschlossenen Vertrags zu bewerten sei. Auch hier habe die Beklagte keine Möglichkeiten prozessualer Art, eine gleichlautende Entscheidung eines Gerichts herbeizuführen.
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Ob es sich tatsächlich um eine – scharf abgrenzbare – Teilklage bei dem Landgericht Dresden handele, könne im Übrigen durchaus bezweifelt werden. In D. habe der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 913.653,15 € von 1.144.401,44 € zzgl. 9 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 19.05.2017 zu zahlen. Dem Landgericht Dresden sei der Lebenssachverhalt einschließlich der Kündigungsgründe und der Kündigung unterbreitet worden. Man könne sich nun die Frage stellen, wie das Landgericht (Dresden) weiter zu verfahren habe, wenn es zu dem Ergebnis komme, dass ein etwaiger Vergütungsanspruch des Klägers eben nicht in Höhe von 913.653,15 € bestehe, sondern weniger. Aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts und des Antrags müsse das dortige Gericht auch in Bezug auf die nicht erbrachten Leistungen entscheiden, weil sich aus dem Antrag auf Zahlung einer bestimmten Summe „… von 1.144.401,44 €“ eine ausschließliche Beschränkung auf diese eben nicht ergebe. Die Klageschrift und der Antrag könnten nur so ausgelegt werden, dass das Landgericht Dresden den gesamten Anspruch, also für Vergütung für erbrachte und nicht erbrachte Leistungen, zu untersuchen habe (1.144.401,44 €) und hiervon jedenfalls 913.653,15 € zusprechen solle. Anders formuliert: gelange das Landgericht Dresden zu der Erkenntnis, dass wegen erbrachter Leistung weniger als 913.653,15 € dem Kläger zustünden, müsse es auch die weiteren geltend gemachten Ansprüche prüfen, weil ja antragsgemäß ein Teil aus 1.144.401,44 € geltend gemacht werde. Vor diesem Hintergrund sei eine Reihenfolge der geltend zu machenden Ansprüche zu benennen. Das Landgericht München II sei vorliegend der Auffassung gewesen, dies wäre nicht erforderlich. Die Beklagte könne aktuell jedoch nicht ersehen, wie das Gericht dann zu einer Abgrenzung der beiden Verfahren kommen wolle.
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Nachdem das Landgericht München II darauf hingewiesen habe, dass aus der Schlussrechnung zu ersehen sei, wie der Kläger die eingegangenen Abschlagszahlungen verrechnet habe, und daraus schlussfolgere, dass es für den vorliegenden Rechtsstreit der Beklagten verwehrt wäre, eingegangenen Zahlungen einzuwenden, begegne dies doch erheblichen Bedenken. Die Einrede der Erfüllung sei eine Einrede des Schuldners und der Gläubiger könne gerade nicht frei nach eigenem Gutdünken darüber entscheiden, „wie er Zahlungen verrechnet“. Auch prozessual sei nicht erkennbar, weshalb es der Beklagten nicht möglich sein sollte, gegen beide erhobenen Teilklagen die Erfüllung insoweit einzuwenden. Ob Ansprüche des Klägers überhaupt und in welcher Höhe bestehen, stehe erst nach rechtskräftigem Urteil fest. Werde zum Beispiel die Klage am Landgericht Dresden wegen Unschlüssigkeit abgewiesen oder stelle sich heraus, dass der Anspruch des Klägers weniger sei, als die geleisteten Abschlagszahlungen, sei nicht einzusehen, weshalb der Beklagten im hiesigen Verfahren der Zahlungseinwand abgeschnitten sein solle. Abschlagszahlungen erfolgten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Anzahlungen auf den erst noch entstehenden Gesamtvergütungsanspruch. In welcher Höhe der Gesamtvergütungsanspruch bestehe, sei bisher nicht festgestellt. Die Behauptung, der Kläger habe über die Abschlagszahlungen hinausgehende Ansprüche auf Vergütung für erbrachte Leistung, stehe keineswegs fest, sondern sei vielmehr hoch streitig. Der mit der hiesigen Teilklage geltend gemachte Anspruchsteil basiere auch auf dem vertraglichen Vergütungsanspruch. Weshalb sollte dann die entsprechende Anzahlung irrelevant sein? Auch dies spreche dafür, dass es nicht zulässig sei, parallele Teilklagen über denselben Lebenssachverhalt und Anspruch zu erheben. Das hiesige Gericht müsse nämlich zunächst prüfen, ob die (aus seiner Sicht erfolgte) Verrechnung auf den Anspruch auf erbrachte Leistungen zutreffend erfolgt sei, was nur möglich sei, wenn es auch die Berechtigung der Vergütungsansprüche für erbrachte Leistungen prüfe. Dies sei aber wegen der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht möglich. Die Zahlung an sich sei ein Tatbestandselement, also dem Sachverhalt zuzuordnen. Welche Wirkungen die Zahlung habe (Erfüllung) sei die Rechtsfolge der Zahlung. Solange die Zahlung unstreitig sei, sei sie durch das Gericht bei der Geltendmachung eines Vergütungsanspruchs zu berücksichtigen.
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Der Kläger geht von der Zulässigkeit der Klage aus. Der hier anhängigen Teilklage fehle nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zum Einen hätte die Beklagte doch einfach der Abgabe des Verfahrens an das Landgericht Dresden zustimmen können, statt diese Zustimmung letztendlich zu versagen – um nun im Widerspruch dazu die Zulässigkeit des jüngeren der nun final getrennt laufenden Verfahren zu rügen. Die Erhebung einer Vollklage bzw. die Erweiterung der bereits am Landgericht Dresden anhängigen Teilklage um den nun hier anhängigen Teil der Vergütung der nicht erbrachten Leistungen wäre im Übrigen entgegen der Behauptungen der Gegenseite nicht „bedeutend“ kostengünstiger gewesen, sondern nur etwas kostengünstiger. Das Landgericht Dresden habe auch nicht den gesamten Anspruch, also die Vergütung für erbrachte und nicht erbrachte Leistungen zu untersuchen. So habe dies bislang seit 4 Jahren auch keiner der Beteiligten verstanden. Im Verfahren vor dem Landgericht Dresden sei die geltend gemachte Forderung in Hinblick auf die erbrachten Leistungen zu prüfen, was ohne Weiteres ohne die Auseinandersetzung mit dem Thema und Sachverhalt zur Auftraggeberkündigung möglich sei und geschehe (bzw. derzeit nicht geschehe, da das Verfahren in D. faktisch seit über einem Jahr ruhe und nun in Hinblick auf den EuGH auch noch ausgesetzt worden sei).
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Die Kammer hat mit Beschluss vom 24.02.21 (Bl. 96/98 d.A.) den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des hiesigen Rechtsstreits wird verwiesen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen, zuletzt den nach § 283 ZPO nachgelassenen Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 10.11.21 (Bl. 209/223 d.A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.10.21 (Bl. 207/208 d.A.).

Entscheidungsgründe

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Die vorliegende offene Teilklage ist zulässig.
I.
13
Der Einzelrichter ist nicht gehindert, in Form eines Zwischenurteils zu entscheiden, obwohl vor der mündlichen Verhandlung vom 26.10.21 keine ausdrückliche abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage nach § 280 Abs. 1 ZPO angeordnet worden war (Zöller-Greger, ZPO, 33. Auflage, § 280 Rn. 8, m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine solche Entscheidung auch rechtsmittelfähig, weil die Gegenpartei keinen verfahrensrechtlichen Nachteil erleidet, wenn das Gericht über die Zulässigkeit der Klage vorab entscheidet, ohne zuvor die abgesonderte Verhandlung angeordnet zu haben (BGH, IX ZR 219/03, Rn. 2, juris; BGH, IV ZR 137/56, NJW 1956, 1920, 1921; BGH, III ZR 60/93 = NJW-RR 1994, 1214, 1215).
II.
14
Zur gegebenen örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts München II wird verwiesen auf die hinweisende Verfügung vom 14.07.21 unter I.1.. Die Parteien sind dem nicht entgegengetreten und die Beklagte hat sich im Übrigen jedenfalls rügelos eingelassen (§ 39 Satz 1 ZPO).
III.
15
Der Antrag des Klägers ist hinreichend bestimmt gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, da für den Einzelrichter erkennbar ist, welcher Teil des materiellrechtlichen Gesamtanspruchs der prozessual erhobene Anspruch = Streitgegenstand der Klage sein soll (BGH NJW-RR 2003, 1075, NJW 1994, 460). Der Kläger macht hier offen gelegt hauptsächliche 230.748,29 € geltend als Teil seines Honorars für nicht erbrachte Werkleistungen unter Bezugnahme auf seine Schlussrechnung Anlage B1, diese wiederum im Zusammenhang mit dem Lebenssachverhalt des streitgegenständlichen Architektenvertrages zum Bauvorhaben … ….
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1. Die Forderung der Beklagten auf Angabe eines Rangverhältnisses der beiden Teilklagen in D. und hier (siehe Klageerwiderung Seite 2, Bl. 43 d.A.) ist rechtlich weder nachvollzieh- noch begründbar. Gerade bei unselbständigen Rechnungsposten einer Forderung und auch bei der Geltendmachung eines Teils eines Schlussrechnungssaldos ist eine weitere Vorgabe zum Rangverhältnis oder zur Prüfungsreihenfolge gerade nicht erforderlich zur Individualisierung des Streitgegenstandes der Teilklage (siehe Zöller-Greger-Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 253 Rn. 15, Vor § 322 Rn. 47 und 49; BGH VII ZR 43/07).
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2. Die Individualisierung der offenen Teilklage scheitert auch nicht an den  Abschlagszahlungen. Wie sich zumindest aus der Schlussrechnung Anlage K1 Seiten 2 und 3 selbst ergibt, berechnet der Kläger die erbrachten Leistungen mit brutto 1.056.341,99 € und zieht von diesen die Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 142.688,83 € ab, um auf eine „Restforderung für erbrachte Leistungen“ in Höhe von 913.653,15 € zu kommen. Dies bedeutet, dass der Kläger die erfolgten Abschlagszahlungen vollständig auf den in D. rechtshängig gemachten Anspruchsteil angerechnet hat und anrechnet, nicht hier. Wenn die Beklagte im Zuge dessen betont, die Einrede der Erfüllung sei eine Einrede des Schuldners und der Gläubiger könne gerade nicht frei nach eigenem Gutdünken darüber entscheiden, „wie er Zahlungen verrechnet“, auch prozessual sei nicht erkennbar, weshalb es der Beklagten nicht möglich sein sollte, gegen beide erhobenen Teilklagen die Erfüllung insoweit einzuwenden, übersieht die Beklagte, dass der Einzelrichter Derartiges mit seinem Hinweis vom 14.07.2021 gar nicht behandelt hat. Welche Einwendungen und Einreden die Beklagte wann und in welchem Rechtsstreit erhebt oder nicht, ist deren Sache, berührt jedenfalls nicht die gewählte Individualisierung des prozessualen Anspruchs = Streitgegenstands durch den Kläger in Form seiner Klageschrift und wäre im Übrigen nur in der Begründetheit der Klage zu prüfen und zu entscheiden. Für die Zulässigkeit der Klage ist es jedoch nicht von Bedeutung. Dasselbe gilt für die Frage, ob der Kläger seinen Vergütungsanspruch aufgrund nicht erbrachter Leistungen ausreichend von dem Vergütungsanspruch aufgrund seiner erbrachten Teilleistungen abgegrenzt hat, als reine Frage der sachlichen Richtigkeit (BGH, Urteil v. 18.04.2002, VII ZR 164/01, juris).
III.
18
Im Zuge dessen liegt auch keine anderweitige Rechtshängigkeit beim Landgericht Dresden vor. Diese Meinung der Beklagten trägt nicht. Die beiden Teilklagen weisen nicht denselben Streitgegenstand auf. Durch den Antrag des Klägers hat dieser den Streitgegenstand jeweils festgelegt. Nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff aus Antrag und Lebenssachverhalt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, Vor § 322, Rn. 37) liegt hier zwar derselben Lebenssachverhalt vor, jedoch unterschiedliche Anträge, mithin verschiedene Streitgegenstände. Die Auffassung der Beklagten, aufgrund des in D. vorgetragenen Sachverhalts und des dortigen Antrags müsse das dortige Gericht auch in Bezug auf die nicht erbrachten Leistungen entscheiden, weil sich aus dem dortigen Antrag auf Zahlung einer bestimmten Summe „… von 1.144.401,44 €“ eine ausschließliche Beschränkung auf diese eben nicht ergebe, ist fernliegend. In Dresden werden hauptsächliche 913.653,15 € infolge erbrachter Leistungen begehrt. Ersichtlich erfolgte mit den Worten „… von 1.144.401,44 €“ im dortigen Antrag nur die Offenlegung der dortigen Eigenschaft als Teilklage. Eine hiesige Entscheidung über den geltend gemachten Anpruch zu hauptsächlichen 230.748,29 € für nicht erbrachte Leistungen hat keine Bindungswirkung für die in D. geführte Teilklage über erbrachte Leistungen. Eine Rechtskrafterstreckung über den entschiedenen Teil hinaus auf den nicht eingeklagten Teil fände nicht einmal bei einer verdeckten Teilklage statt, selbst wenn sich das Gericht in Bezug auf die Gesamtforderung auslassen würde (BGH, NJW 1997, 1990). Zwar mag rein tatsächlich die Gefahr bestehen, dass durch die Aufspaltung einer materiellrechtlichen Forderung auf zwei Prozesse sich in den Entscheidungsgründen widersprechende Ansichten ergeben. Dieses Risiko ist aber hinzunehmen und zwangsläufige Folge der Parteimaxime, so wie reine Zweckmäßigkeitserwägungen -dies nur am Randeauch eine Aussetzung nicht rechtfertigen (NJW-RR 2019, 1212 Rn. 11, Musielak/Voit/Stadler, 18. Aufl. 2021, ZPO § 148 Rn. 5).
IV.
19
Die Ansicht der Beklagten geht fehl, dass eine parallele Anhängigkeit von Teilklagen bei unterschiedlichen Spruchkörpern nicht möglich sei, dass zeitlich sich überschneidende Teilklagen an unterschiedlichen Gerichten § 261 Abs. 3 Nummer 1 ZPO widersprächen, der verhindere, dass ein einheitliches Interesse auf parallele Teilklagen aufgespalten werde, dass die Unzulässigkeit unmittelbar aus der Möglichkeit der Klageerweiterung gemäß § 264 Nummer 2 ZPO folge.
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Dies ergibt sich schon daraus, dass nach herrschender Meinung das Gericht über den prozessualen Anspruch entscheidet, weshalb Streitgegenstand und Urteilsgegenstand grundsätzlich identisch sind. Für die Rechtskraft gilt daher kein anderer Streitgegenstandsbegriff als für Klagehäufung, Klageänderung und Rechtshängigkeit (ZöllerVollkommer, ZPO, 33. Auflage, Vor § 322, Rn. 39; MüKo-Gottwald, ZPO, § 322, Rn. 113; m.w.N.). Wie ausgeführt, definiert sich der prozessuale Anspruch = Streitgegenstand über den Antrag und den dazu geschilderten Lebenssachverhalt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, Vor § 322, Rn. 37). Er erfährt dadurch eine ausschließlich sachlich-inhaltliche Abgrenzung. Dafür, ein zeitliches bzw. chronologisches Abgrenzungskriterium einzuführen, wie es offenbar die Beklagte meint, gibt es weder ein Bedürfnis noch eine Veranlassung. Ihre Sorge einer Möglichkeit der Klageerweiterung in D. gemäß § 264 Nummer 2 ZPO ist einerseits rein hypothetischer Natur und stellte andererseits auch keine rechtlich relevante Gefahr dar. Würde der Kläger künftig so agieren, müsste er damit rechnen, dass genau diese Klageerweiterung in D. nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO dort als unzulässig behandelt werden würde, weil er denselben Streitgegenstand schon mit der hiesigen Klage verfolgt. Die Chronologie hat der Gesetzgeber also nicht im Streitgegenstandsbegriff selbst verortet, sondern in der Norm des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, wonach die spätere Geltendmachung desselben Streitgegenstands das prozessuale Nachsehen hat. In welcher Form diese spätere Einführung desselben Streitgegenstands geschieht (neue Klage, Klagehäufung, Klageänderung, siehe oben), ist hingegen nicht von Bedeutung.
V.
21
Im Zuge dessen fehlt es dem Kläger auch nicht am allgemeinen Rechtschutzbedürfnis. Bei Leistungsklagen ergibt sich ein Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig schon aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs (BGH GRUR 2017, 1236 Rn. 37; NJW 2013, 464 Rn. 51). Es bedarf besonderer Gründe, die ausnahmsweise die Verneinung eines Rechtsschutzbedürfnisses rechtfertigen. Das Rechtsschutzbedürfnis kann zwar fehlen, wenn das verfolgte Begehren auf einem einfacheren Weg zu erlangen ist (BGH NJW-RR 2010, 19 Rn. 20). Hierbei ist die Zweckmäßigkeit beider prozessualer Wege zu vergleichen. Grundsätzlich hätte der Kläger sein Anspruchsziel auch dadurch verfolgen können, dass er von vorherein auf eine Aufteilung in einen prozessualen Anspruch aus erbrachten Leistungen einerseits und einen prozessualen Anspruch aus nicht erbrachten Leistungen andererseits verzichtet hätte. Die für jeden Baurechtsjuristen schon ohne weiteres auf der Hand liegende Idee der Aufteilung war aber, wie auch der Kläger betont, sich in D. nicht über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund streiten zu müssen (weil dort nicht von Bedeutung, wenn nur erbrachte Leistungen abgerechnet werden) und hier nicht über die Frage, ob und welche Leistungen der Kläger tatsächlich erbracht hat (weil hier nicht als solche begehrt, § 308 Abs. 1 ZPO). Allein dies belegt, dass ein einzig geführter Prozess als Alternative ex ante ex situatione nicht zwangsläufig ein einfacherer Weg gewesen wäre. Vielmehr besteht keine Veranlassung, das durch die Parteimaxime gewährleistete Gestaltungsrecht des Klägers durch zu strenge Anforderungen an das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis einzuschränken. Die Rechtsprechung ist ohnehin nicht sehr streng mit ihren diesbezüglichen Anforderungen, wenn man beispielsweise an die Zulässigkeit zeitlich hintereinander geschalteter Vorschussklagen zur Mangelbeseitigung denkt, obwohl materiellrechtlich für den Auftraggeber sehr bald die Möglichkeit bestünde, die erforderliche Sanierung zügig selbst anzugehen (Stichwort jährliche Baukostensteigerung) und danach diesen endgültigen Schadensersatz einzuklagen. In solchen Konstellationen ist als Rechtsschutzbedürfnis anerkannt schon der Wunsch allein, die Mangelbeseitigung nicht vorfinanzieren zu wollen.