Inhalt

OLG München, Beschluss v. 20.09.2021 – 15 U 1400/20
Titel:

Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Dieselfahrzeug (hier: Mercedes-Benz V 250 Bluetec Avantgarde Edition)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Allein die Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung führt nicht zum Vorwurf der sittenwidrigen Täuschung. Diese ist nur anzunehmen, wenn die Abschalteinrichtung bewusst und gewollt rein prüfstandsbezogen programmiert wurde. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Implementierung einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster), wonach die Abgasrückführung nur bei bestimmten Außentemperaturen in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird, rechtfertigt für sich allein den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit nicht. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vgl. auch zur Thematik der "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" bei Mercedes-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 38651; BeckRS 2022, 7010; BeckRS 2022, 12628; BeckRS 2022, 14779; BeckRS 2023, 37218; KG BeckRS 2023, 36005; OLG Brandenburg BeckRS 2023, 33947; BeckRS 2024, 10442; OLG Celle BeckRS 2023, 36841; OLG Dresden BeckRS 2024, 28982; OLG Frankfurt BeckRS 2021, 44876; OLG Koblenz BeckRS 2020, 31540; BeckRS 2022, 58631; OLG München BeckRS 2023, 35779; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 35775 sowie OLG Stuttgart BeckRS 2021, 33101; BeckRS 2022, 51626; BeckRS 2023, 29167; BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; BeckRS 2022, 40422 mit weiteren Nachweisen in Ls. 1; anders OLG Köln BeckRS 2021, 10226. (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Käufer hat gegen die Herstellerin auch keinen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 auf Schadensersatz, da es sich bei den genannten Normen nicht um Schutzgesetze iSd § 823 Abs. 2 BGB handelt (anders nachfolgend BGH BeckRS 2024, 35480). (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6), unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), SCR-Katalysator, (kein) "großer" Schadensersatz, Prüfstandserkennung, Schutzgesetz
Vorinstanz:
LG Traunstein vom 19.02.2020 – 8 O 108/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 10.12.2024 – VIa ZR 368/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 67904

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 19.02.2020, Az.: 8 O 108/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 37.359,89 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Herstellerin Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung eines Pkw der Marke Mercedes-Benz V 250, wegen sittenwidriger Schädigung durch manipulative Abgassoftware geltend (sog. „Dieselskandal-Klage“).
2
Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und des eingebauten Motors. Die Klagepartei erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug der Marke Mercedes-Benz, Typ V 250, Bluetec Avantgarde Edition, 140 kW, 2143 ccm, einen Kombi-Kleinbus mit der Handelbezeichnung V-Klasse – Vito, als Gebrauchtfahrzeug bei der H. GmbH & Co. KG gemäß verbindlicher Bestellung vom 17.06.2015 zu einem Brutto-Kaufpreis von 53.900 €. Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug zum Zeitpunkt des Kaufs 9900 km (K 1).
3
In dieses Fahrzeug wurde von der Beklagten ein Dieselmotor des Typs OM 651 verbaut, der der Abgasnorm EU 6 unterfällt. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde am 05.09.2014 produziert und am 17.10.2014 erfolgte die Erstzulassung.
4
Das Fahrzeug verfügt über ein Abgasrückführungssystem (AGR), bei dem das Abgas teilweise in das Ansaugsystem des Motors zurückgeführt wird und erneut an der Verbrennung teilnimmt. Bei bestimmten, im einzelnen streitigen Umgebungstemperaturen wird die Menge des zurückgeführten Abgases verringert (so genanntes „Thermofenster“). Ferner verfügt das Fahrzeug über ein SCR-System (selektive katalytische Reduktion). Dabei handelt es sich um eine Abgasnachbehandlung mit dem Harnstoffgemisch AdBlue, das durch die hohen Temperaturen im Abgassystem in Ammoniak umgewandelt wird, der anschließend in einem SCR-Katalysator mit den im Abgas enthaltenen Stickoxiden zu Stickstoff und Wasser reagiert.
5
Das Kraftfahrtbundesamt erließ mit Bescheid vom 23.05.2018 und mit Ergänzungsbescheid vom 03.08.2018 zum Bescheid vom 23.05.2018 für bestimmte Modelle der V-Klasse, darunter das streitgegenständliche Fahrzeug, nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, da es die Funktionsweise des SCR-Katalysators als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandete (BK 5 und BK 6; Schriftsatz der Klagepartei vom 25.06.2019, S. 1/2). Mit Bescheid vom 12.09.2018 hat das Kraftfahrtbundesamt die Rückrufaktion zur Umrüstung der von den Bescheiden vom 23.05.2018 und 03.08.2018 betroffenen Fahrzeuge freigegeben und nach Überprüfung insbesondere festgestellt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde und die vorhandenen Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft wurden (B 1).
6
Mit Schreiben vom 15.12.2018 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges unter Fristsetzung bis 31.12.2018 auf. Zugleich wurde das Fahrzeug zur Abholung angeboten (K2). Dieser Aufforderung kam die Beklagte nicht nach. Die Klagepartei hat erstinstanzlich und zweitinstanzlich das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen beim streitgegenständlichen Fahrzeug und eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte behauptet. Die unzulässigen Abschalteinrichtungen würden sich u.a. auf das Abgasrückführungsystem (AGR-System) und auf den SCR-Katalysator auswirken. Sie führten insbesondere dazu, dass die Systeme zu Beginn der Warmlaufphase und/oder bei tiefen Außentemperaturen abgeschaltet würden. Dadurch werde der Grad der Abgasrückführung reduziert bzw. die Zufuhr von Harnstofflösung (AdBlue) verringert oder ganz ausgesetzt. Dies habe jeweils zur Folge, dass die Stickoxidemissionen erheblich ansteigen würden. Die Funktionsweise des SCR-Katalysators werde reduziert in Abhängigkeit von Temperatur, Drehzahl und zu Beginn der Warmlaufphase.
7
Zweitinstanzlich hat die Klagepartei zuletzt prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen geltend gemacht. Beim SCR-System erfolge nach Ablauf des Prüfzyklus ein dauerhaftes Zurückschalten in einen weniger effektiven Modus.
8
Die Beklagte hat den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen sowie eine verwerfliche, sittenwidrige Handlungsweise sowohl erstinstanzlich als auch zweitinstanzlich abgestritten. Die Steuerung des AGR-Systems, das Thermofenster, diene dem Bauteilschutz. Das System der Abgasrückführung könne bei kalten Temperaturen Schäden durch Ablagerungen (sog. Versottung etc.) davontragen. Eine höhere Abgasrückführungsrate außerhalb des Thermofensters führe zu einer solchen Versottung und damit zu Motorschäden. Die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung sei keine Manipulation, sondern sei im Produktionszeitraum des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein gängiger Industriestandard gewesen. Die Steuerung des SCR-Systems diene der Erzielung eines optimalen Verbrennungsvorgangs zur Vermeidung der Freisetzung von Ammoniak.
9
Zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf das erstinstanzliche Urteil sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen. Hinsichtlich der Anträge der Parteien in 1. Instanz wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen. Die Klagepartei hat erstinstanzlich mit der Klageschrift in der Hauptsache einen Schadenersatzbetrag von 42.302,49 € geltend gemacht, der mit Schriftsatz vom 21.01.2020 auf 37.546,99 € entsprechend der weiteren Laufleistung des Fahrzeugs reduziert wurde.
10
Das Landgericht hat die Klage vollumfänglich abgewiesen. Zu den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf das Urteil vom 19.02.2020 Bezug genommen.
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Mit ihrer Berufung wendet sich die Klagepartei gegen die erstinstanzliche Klageabweisung und verfolgt die erstinstanzlich geltend gemachten Schadensersatzansprüche weiter.
12
Die Klägerin und Berufungsführerin beantragt,
unter Abänderung des am 19.02.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Traunstein, Az.: 8 O 108/19:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 37.359,89 € nebst Zinsen in Höhe von 10.618,30 € sowie weiterer Zinsen aus 53.900 € in Höhe von 4% pro Jahr seit dem 20.05.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Mercedes-Benz V-Klasse mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …800.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges seit dem 31.12.2018 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die A. A. Versicherung AG, …, zur Schadensnummer: …758 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.492,14 € sowie an die Klagepartei vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 525,90 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten, sowie die Klagepartei von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 336,00 € gegenüber der von Rüden-Partnerschaft von Rechtsanwälten freizustellen.
4. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit im Übrigen erledigt ist.
13
Die Klägerin beantragt hilfsweise, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und das Verfahren an das Gericht des 1. Rechtszuges zurückzuweisen.
14
Die Beklagte und Berufungsgegnerin beantragt (Schriftsatz vom 20.03.2020),
die Berufung zurückzuweisen.
15
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
16
Mit Beschluss vom 06.04.2021 hat der Senat einen Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erteilt.
17
Hierzu hat die Klägerseite mit Schriftsatz vom 07.05.2021 Stellung genommen.
18
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die von den Parteien gewechselten Schriftsätze, insbesondere die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze, sowie den bereits zitierten Hinweisbeschluss Bezug genommen.
II.
19
Der Senat weist die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Gesichtspunkte, die gleichwohl eine mündliche Verhandlung als geboten erscheinen ließen, liegen nicht vor.
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1. Der Senat hat im vorangegangenen Hinweisbeschluss vom 06.04.2021 dargelegt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. VRiOLG … trägt dessen Gründe vollumfänglich mit. Der Klägerin stehen weder deliktische (insbesondere aus §§ 826, 31 BGB) noch vertragliche Ansprüche (§§ 433, 437 Nr.2, 323, 326, 346 ff. BGB) zu.
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2. Die Gegenerklärung der Klägerseite vom 07.05.2021 rechtfertigt keine andere Entscheidung. Die Klagepartei hat den vorsätzlich sittenwidrigen Einbau von unzulässigen Abschalteinrichtungen in das streitgegenständliche Fahrzeug, durch die für das streitgegenständliche Fahrzeug der Entzug der Typenzulassung gedroht hätte oder drohen würde, nicht substantiiert dargelegt. Sie hat weder in erster Instanz noch im Berufungsverfahren greifbare Anhaltspunkte aufgezeigt, die den Schluss tragen könnten, die Beklagte habe sie durch den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in das streitgegenständliche Fahrzeug vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Das gilt auch unter Berücksichtigung des neuen Sachvortrags in der Gegenerklärung vom 07.05.2021. Wesentlich ist, dass auch bei unterstellter Unzulässigkeit der von der Klagepartei vorgetragenen Abschalteinrichtungen aufgrund der Darlegungen der Beklagten zur Funktionsweise und vor allem zu den Gründen der Steuerung bzw. Konfiguration der verwendeten Abgasreinigungssysteme keine greifbaren Anhaltspunkte für ein verwerfliches Handeln der Beklagten i.S.d. § 826 BGB seitens der Klagepartei aufgezeigt werden.
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3. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist. Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 35 ff. m.w.N., – juris).
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Voraussetzung ist stets ein schlüssiger und erheblicher Sachvortrag der zunächst darlegungs- und beweisbelasteten Klagepartei. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten. Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -nachbehandlung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19, Rn. 7 ff. m.w.N., – juris).
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Eine Behauptung ist aber dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19, Rn. 8 m.w.N., juris).
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4. Der Bundesgerichtshof hat in Bezug auf den Dieselmotor EA189 ein sittenwidriges Verhalten der V. AG darin gesehen, dass sie systematisch und langjährig Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH, Urteil vom 25.05.2020 Az.: VI ZR 252/19, Rn. 16 – juris). Nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig. Gemäß der Ausnahmeregelung in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO 715/2007/EG ist dies nicht der Fall, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Buchst. a), die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist (Buchst. b), die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind (Buchst. c). Die Abschalteinrichtung wird in Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG definiert als Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
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Allein die Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung führt nicht zum Vorwurf der sittenwidrigen Täuschung. Diese ist nach den Vorgaben des BGH vielmehr nur anzunehmen, wenn die Abschalteinrichtung bewusst und gewollt rein prüfstandsbezogen programmiert wurde. Fehlt es hieran und kann der Hersteller plausible Gründe für eine Abschalteinrichtung darlegen, insbesondere den Motorschutz, kann der Vorwurf der Sittenwidrigkeit regelmäßig nicht angenommen werden (s.i.e. näher u.). Wenn die Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, sondern in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet, d.h. unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (etwa bezüglich Umgebungstemperatur, Geschwindigkeit etc.) auch im normalen Fahrbetrieb das gleiche Emissionsverhalten erzielt, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur gerechtfertigt, wenn zu einem – unterstellten – Verstoß gegen die VO (EG) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder der Verwendung der beanstandeten Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 ff., Rn. 16 ff.; Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/21, NJW 2021, 1814 ff; Rn. 27 f.).
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5. Die Klagepartei hat bereits den Anforderungen an den substantiierten Sachvortrag zu einem sittenwidrigen Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht genügt. Die Vorgaben des BGH im Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 zeigen, dass der Bundesgerichtshof gerade nicht von einer sekundären Darlegungslast der Herstellerin zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie der Frage der Sittenwidrigkeit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen ist. Der Bundesgerichtshof beanstandet in der genannten Entscheidung insoweit die Nichterhebung des angebotenen Sachverständigenbeweises trotz ausreichenden Sachvortrags des dortigen Klägers. Hierfür hätte kein Anlass bestanden, wenn von einer sekundären Darlegungslast der Beklagten auszugehen wäre. Aus dem Grundsatzurteil des BGH vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 ergibt sich nichts anderes. Das Urteil verhält sich zu einer sekundären Darlegungslast der Herstellerin lediglich in Bezug auf die Kenntnis des Vorstands, nicht jedoch in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung. Die Klagepartei kann sich mithin vorliegend nicht darauf berufen, wie in der Gegenerklärung vom 07.05.2021 geltend gemacht wird, dass sie zur konkreten Funktionsweise der behaupteten Abschalteinrichtungen mit Blick auf die Frage der Sittenwidrigkeit nicht konkret bzw. eingehender vortragen müsste und es an einem wirksamen Bestreiten der Beklagten fehle. Die Darlegungs- und Beweislast für die behauptete sittenwidrige Täuschung i.S.d. § 826 BGB liegt bei der Klagepartei. Zudem hat die Beklagte zur Funktionsweise der verbauten Abschalteinrichtungen – Thermofenster und Funktionsweise des SCR-Systems – insbesondere in den Schriftsätzen vom 29.03.2019, S. 12/13, 09.05.2019, S. 3/4, 08.07.2019, S. 4/5, und 21.08.2019, S. 3/7 und S. 16/19, ausführlich vorgetragen. Die Beklagte hat dabei insbesondere die Abhängigkeit der Abgasrückführung und der AdBlue-Zuführung von verschiedenen technischen Rahmenbedingungen, insbesondere der Verbrennungstemperatur, die wiederum von der Lufttemperatur der zugeführten Luft abhängt, und weiteren Parametern dargestellt und im Ergebnis ausgeführt, dass die Steuerung der Abgasrückführungsrate (AGR-Rate) sowie die Zuführung der Menge von AdBlue nicht davon abhängig gemacht ist, ob sich das Fahrzeug im Prüfstandsbetrieb oder im Realbetrieb befindet (hierzu i.e. näher u.). Die Steuerung bzw. Konfiguration der Abgasreinigungssysteme dient nach dem Sachvortrag der Beklagten mithin dem Motorschutz (AGR-System) bzw. einem optimalen Verbrennungsprozess zur Vermeidung schädlicher Effekte, insbesondere zur Verhinderung des Freisetzens von schädlichem Ammoniak (SCR-System). Da die Beklagte hiermit die klägerische Behauptung der sittenwidrigen Täuschung über den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen wirksam bestritten hat, liegt die Darlegungs- und Beweislast für das behauptete sittenwidrige Verhalten der Beklagten jedenfalls wiederum bei der Klagepartei. Die Klagepartei hat gegen die technischen Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise der Abgasreinigungssysteme sowie zu den Gründen der Steuerung bzw. Konfiguration der Abgasreinigungssysteme keine greifbaren konkreten Umstände vorgetragen, die den Schluss auf ein verwerfliches Handeln der Beklagten im Sinne einer sittenwidrigen Schädigung aufzeigen würden.
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6. Allein die Diskrepanz von Abgaswerten im Realbetrieb und im Prüfstandsbetrieb gibt schon keinen Hinweis auf eine unzulässige Abschalteinrichtung und erst recht nicht auf eine sittenwidrige Täuschung betreffend den Einbau einer prüfstandsabhängigen Abschalteinrichtung. Insbesondere führen Abweichungen zwischen NEFZ und realem Fahrbetrieb nicht zwingend zu der Schlussfolgerung für das Vorhandensein einer sittenwidrigen Täuschung über eine unzulässige Abschaltvorrichtung, wie beim Motor EA 189, da allgemein bekannt ist, dass nicht nur der Kraftstoffverbrauch, sondern auch die Grenzwerte der Emissionen auf dem Prüfstand optimiert sind, weil dort „ideale“, mit der Praxis nicht vergleichbare Situationen, simuliert werden (vgl. OLG Celle Urteil vom 13.11.2019 – 7 U 367/18, BeckRS 2019, 29587, Rn 28). Die Bedingungen des gesetzlichen Prüfzyklus sind standardisiert, so dass Abweichungen im realen Fahrbetrieb letztlich zwangsläufige Folge der gesetzlich vorgegebenen Prüfungsbedingungen sind (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26.09.2019, Az. 3 U 43/19, BeckRS 2019, 42422). Gerade deshalb hat der europäische Gesetzgeber auf Druck der Umweltverbände und Umweltparteien den früher geltenden gesetzlichen Prüfzyklus (NEFZ) durch einen neuen Test (RDE) ersetzt, wonach Überprüfungen auch im Straßenbetrieb stattfinden.
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7. Der Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps erfolgte ausweislich des Sachvortrags der Klagepartei im Schriftsatz vom 25.06.2019, dort S. 1/2, nicht wegen einer unzulässigen Abschaltung beim Abgasrückführungssystem (AGR). Die Verwendung eines sog. Thermofensters hinsichtlich des Abgasrückführungssystems wurde vom KBA ausweislich des Vortrags der Klagepartei nicht als unzulässige Abschalteinrichtung im Rahmen der erfolgten Rückrufaktion eingestuft. Vielmehr bezog sich der Rückruf auf eine unzulässige Abschalteinrichtung beim Einsatz des SCR-Abgasreinigungssystems, also der AdBlueEinspritzung. Die Klagepartei hat auch ansonsten keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Verringerung der Abgasrückführung verwendet werde. Auch die von der Klagepartei vorgelegten Anlagen geben keine konkreten Hinweise hierauf. Der zuletzt mit Schriftsatz vom 07.05.2021 vorgelegte Bericht des Bayerischen Rundfunks (BK 7) führt diesbezüglich lediglich aus, dass eine der unzulässigen Strategien zur Verringerung der Abgasrückführung wirke, wodurch das Fahrzeug schmutziger unterwegs sei als auf dem Prüfstand, wobei dies nicht alle Fahrzeugmodelle betreffe, für die das Kraftfahrzeugbundesamt einen Rückruf angeordnet habe. Aus den von der Klagepartei für das streitgegenständliche Fahrzeug vorgelegten Unterlagen geht nicht hervor, dass der das streitgegenständliche Fahrzeug betreffende Rückruf auch auf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bezüglich der Abgasrückführung (AGR) beruhte.
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8. Hinzu kommt Folgendes: Die Implementierung einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster), wonach die Abgasrückführung nur bei bestimmten Außentemperaturen in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird, rechtfertigt für sich allein den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit nicht (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rn. 25 ff.; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 16 ff.). Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH a.a.O.). Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperatur-abhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH a.a.O.). Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchstellerin. Sie kann sich daher insofern nicht auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen. Entscheidend ist das Vorstellungsbild der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung – spätestens dem Eintritt des behaupteten Schadens in Form des Vertragsschlusses – hier am 22.04.2017 (K 1) (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rn. 19 ff., – juris).
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8.1. Die Beklagte begründet die temperaturabhängige Funktionsweise des AGR-Systems damit, dass die Reduzierung der Abgasrückführung bei bestimmten Umgebungstemperaturen zum Motorschutz notwendig sei, weil sie einem Versottungsrisiko vorbeuge. Im Schriftsatz vom 21.08.2019, S. 3/7 und S. 16/17, hat die Beklagte insbesondere ausgeführt, dass die Abgasrückführung die Verbrennung im Motor senke. Dadurch würden die Stickoxid-Emissionen reduziert. Zugleich verminderte dies jedoch die Verbrennungsrate von Partikeln, da dafür möglichst hohe Verbrennungstemperaturen förderlich seien. Zwischen diesen gegenläufigen Zielen müsse die Einstellung (Regulierung) der AGR-Rate vermitteln. Dies stelle eine typische ingenieurtechnische Optimierung gegenläufiger Belange dar. Zur Senkung des Versottungsrisikos werde die Abgasrückführungsrate innerhalb von 0 °C Umgebungslufttemperatur schrittweise reduziert. Die Abschaltung der Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug werde über die Ladelufttemperatur gesteuert. Insofern seien nur ungefähre Angaben zur Außentemperatur möglich. Erst bei Unterschreiten bzw. Überschreiten einer Außentemperatur von etwa -15 °C bzw. +60 °C werde die Abgasrückführung abgeschaltet. Diese Kalibrierung, also Einstellung des Systems, geschehe zum Motorschutz und damit aus Gründen der Betriebssicherheit. Die AGR-Warmlaufstrategie sei ein grundlegendes Element der Emissionskontrollstrategie, das in der gesetzlichen Prüfung der Auspuffemissionen auch abgebildet werde. Bei Inbetriebnahme des Fahrzeugs sei der Motor regelmäßig kalt. Niedrige Motortemperaturen würden nicht nur Versottungsrisiken indizieren, sondern auch für die Funktionsfähigkeit des Motors insgesamt hinderlich sein. Während des Motorwarmlaufs werde die AGR-Reduzierung mit steigender Motortemperatur geringer. Der NEFZ diene gerade dazu, Warmlauffunktionen abzubilden, da er mit einem kalten Motor beginne. Feste Zeitwerte für den Motorwarmlauf gebe es nicht. Die Dauer der Warmlaufphase hänge entscheidend von den Umgebungsbedingungen und anderen Randbedingungen, wie zum Beispiel der Fahrweise ab. Grundsätzlich sei es so, dass die NOx-Emissionen bei einem warmen Motor aufgrund der physikalischen Randbedingungen ansteigen würden. Diese substantiierten Ausführungen der Beklagten zeigen auf, dass die temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht vom Prüfstandsbetrieb abhängig gemacht wurde und von der Beklagten auch nicht mit der Vorstellung vorgenommen wurde, eine unzulässige Abschaltung zu verbauen. Die Klagepartei ist diesem schlüssigen und konkreten Sachvortrag der Beklagten nicht in substantiierter Weise entgegengetreten, sondern hat sich auf die unzureichende Darlegung der Funktionsweise der Abgasreinigungssysteme durch die Beklagte berufen. Eine unzureichende Darlegung seitens der Beklagten liegt indessen nicht vor.
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8.2. Mit der Berufungsbegründung vom 19.05.2020, dort S. 4, hat die Klagepartei im Übrigen selbst ausgeführt, dass die geltend gemachten Ansprüche nicht voraussetzen würden, dass eine Prüfstandserkennung vorliege. Das Emissionsverhalten des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei zwar unter gleichen Bedingungen auf dem Prüfstand identisch mit dem Verhalten im realen Fahrbetrieb. Entscheidend sei jedoch, dass die Abgasreinigung im Fahrzeug unter normalen Bedingungen nur sehr eingeschränkt funktioniere. Wie bereits dargestellt, kann allein aus dem Umstand, dass die Abgasreinigung des Fahrzeugs unter realen Bedingungen in Abweichung zu den Prüfstandsbedingungen nur sehr eingeschränkt funktioniere, nicht der Schluss auf eine unzulässige Abschaltungseinrichtung gezogen werden und erst recht nicht auf ein objektiv sittenwidriges Verhalten des Herstellers.
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8.3. Auch wenn zugunsten der Klagepartei unterstellt wird, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007: EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18), ist keine sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB gegeben. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps, an denen es im Streitfall fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rn. 25 ff.). Die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht mit der Verwendung der Prüfstanderkennungssoftware zu vergleichen (BGH a.a.O.). Bei dem Thermofenster handelt es sich gerade nicht um eine – evident unzulässige, von vornherein durch Arglist geprägte – Abschalteinrichtung wie sie in Form der sogenannten „Umschaltlogik“ beim Motor EA 189 der V. AG zum Einsatz kam, weshalb die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19) nicht ohne weiteres übertragbar ist. Anders als die „Umschaltlogik“ unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise, ohne dass es sich bei den durch das Temperaturfenster gezogenen Rahmenbedingungen um eine solch eng definierte Ausnahmesituation handelt, dass diese tatsächlich nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand eintreten kann (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rn. 16 ff., und vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rn. 27).
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8.4. Konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertrags in Bezug auf ein von der Klagepartei behauptetes Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte, hat die Klagepartei indessen nicht dargetan und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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8.5. Die Gesetzeslage zum Thermofenster war gerade nicht unzweifelhaft und eindeutig. Dies belegt die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG. Denn noch im Jahr 2016 – also zu einem Zeitpunkt, in dem der V.konzern bereits massiv in der Kritik stand wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – wurde in dem in Bezug genommenen Bericht der vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzten „Untersuchungskommission V.“, Stand April 2016, S. 18, 19, 123 ausgeführt, dass die Berufung auf den Motorschutz auch im Hinblick auf das sog. „Ausrampen“ im Rahmen von Thermofenstern die Verwendung von Abschalteinrichtungen rechtfertigen könne, wenn von Seiten der Hersteller nachvollziehbar dargestellt werde, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden drohe, sei dieser auch noch so gering. Die Interpretation der Beklagten und anderer Automobilhersteller zur Zulässigkeit von Thermofenstern unter dem Aspekt des Motorschutzes wurde damit von offizieller Seite gebilligt und war damit zu jener Zeit jedenfalls nicht unvertretbar (vgl. OLG Koblenz Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19, BeckRS 2019, 25135, Rn. 33 ff.). Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Koblenz a.a.O. Rn. 35). Allein die Verwendung einer Thermofenster-Technologie ist daher nicht geeignet zur Begründung eines Rechtswidrigkeitsbewusstseins.
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8.6. Zu sehen ist ferner, dass es zur Klärung der strittigen Auslegungsfrage einer Entscheidung des EuGH bedurfte, was ebenfalls zeigt, dass die Gesetzeslage zum Thermofenster – jedenfalls zum Zeitpunkt des hier streitgegenständlichen Vertragsabschlusses im Jahr 2015 – nicht eindeutig war, zumal der EuGH ausführt, dass die EU-Verordnung zu den in Art. 5 Abs. 2 der VO Nr. 715/2007 verwendeten Begriffen des Motorschutzes vor Beschädigung oder Unfall als zulässige Ausnahme keine Definition enthalte und daher der Auslegung bedürfe. Der EuGH hat festgestellt, dass nach Art. 5 Abs. 2 der VO Nr. 715/2007 die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist, wobei es von diesem Verbot jedoch drei Ausnahmen gibt, unter anderem das Verbot nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a nicht gilt, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“. Der EuGH stellt weiter fest, dass die Begriffe „Beschädigung“ und „Unfall“ weder in Art. 5 noch in einer anderen Bestimmung der VO Nr. 715/2007 definiert werden und nimmt sodann eine Auslegung vor. Danach ist Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 715/2007 zwar dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, damit die in der Verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die in dieser Bestimmung, die den Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs betrifft, vorgesehene Ausnahme vom Verbot solcher Einrichtungen fallen kann, selbst wenn die Einrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18, NJW 2021, 1216, Rn. 103 ff., 115).
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8.7. Der Entscheidung des EuGH lag jedoch keine Motorsteuerungssoftware vergleichbar dem hier streitgegenständlichen und von der Klagepartei behaupteten Thermofenster zugrunde. Vielmehr zeigt der vom EuGH in der Entscheidung mitgeteilte Sachverhalt, dass dort eine manipulative Prüfstanderkennungssoftware verfahrensgegenständlich war. Der EuGH führt zum dortigen Sachverhalt betreffend ein in Frankreich geführtes Strafverfahren aus, dass der (im französischen Strafverfahren beauftragte) Sachverständige in seinem am 26.04.2017 vorgelegten Bericht festgestellt habe, dass die (dort) betreffenden Fahrzeuge mit einer Vorrichtung versehen seien, die in der Lage sei, den Genehmigungszyklus zu erkennen, die Funktionsweise der Abgasrückführung für die Zwecke der Genehmigung anzupassen und die NOx-Emissionen im Rahmen dieses Verfahrens zu verringern. Die Emissionskontrollsysteme seien manipuliert worden, damit das AGR-Ventil weiter geöffnet sei, wenn ein Genehmigungszyklus erkannt werde. Die geringere Öffnung des Ventils unter normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge vermindere die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems und führe zu erhöhten NOx-Emissionen. Für eine derartige Prüfstanderkennungssoftware trägt die Klagepartei im hier geführten Zivilverfahren indessen keine greifbaren Anhaltspunkte vor.
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8.8. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-693/18 mag die zuvor ersichtlich strittige Auslegungsfrage nun für die Zukunft geklärt sein. Geklärt wäre damit indessen allein die europarechtliche Auslegung des Art. 5 der VO EG 715/2007 und frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung am 17.12.2020 für die Zukunft. Die Entscheidung verhält sich jedoch nicht zu der Frage, ob in der Verwendung einer Abschalteinrichtung ein vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu sehen ist. Hierzu hat indessen nunmehr der BGH in der bereits genannten Entscheidung vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 Stellung genommen. Zu Umständen für die danach erforderliche, systematische Entwicklung und Verwendung einer evident unzulässigen, von vornherein durch Arglist geprägten Abschalteinrichtung, die darauf ausgelegt wäre, durch eine Prüfstanderkennungssoftware den NEFZ-Prüfstandmodus zu erkennen und die Abgasrückführung gezielt darauf zu erhöhen, um die Abgaswerte gegenüber dem Realbetrieb zu verfälschen, trägt die Klagepartei keine greifbaren Anhaltspunkte vor.
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8.9. Es ist nicht substantiiert dargelegt und jedenfalls nicht nachgewiesen, dass die Beklagte im Typengenehmigungsverfahren gegenüber dem KBA falsche oder bewusst unzureichende Angaben hinsichtlich des Thermofensters gemacht hätte. Wie bereits im Hinweisbeschluss vom 06.04.2021 ausgeführt, hat die Beklagte im streitgegenständlichen Fall mit den Anlagen B 20 bis B 23 ihre im Antragsverfahren gegenüber dem KBA gemachten Angaben offengelegt. Danach war dem KBA bekannt, dass die AGR-Rate durch den Parameter „Lufttemperatur“ gesteuert wird. Daraus ist ersichtlich, dass in dem Fahrzeug ein sog. Thermofenster vorhanden ist. Allein der Umstand, dass der verwendete Begriff „Lufttemperatur“ auslegungsfähig sein mag, kann keine vorsätzliche Täuschung des KBA belegen. Vielmehr lässt sich die Angabe, dass das AGR-System von der Temperatur abhängig sei, durchaus als „Thermofenster“ verstehen, auch wenn damit nicht ausgesagt ist, wie dieses konkret funktioniert, insbesondere, ob es von festen Außentemperaturen anhängig gemacht ist oder von anderen (zusätzlichen) Parametern. Hinzu kommt, dass anzunehmen ist, dass die Typenzulassungsbehörde bzw. das KBA als Adressat über die Kompetenz verfügen, die von den Herstellern verwendeten Begriffe zutreffend zu verstehen und ggf. auslegen zu können sowie in Zweifelsfällen bei dem betreffenden Hersteller zur Klarstellung Nachfrage halten. Einer solchen bedurfte es offensichtlich nicht. Eine Pflicht zur genauen Beschreibung der Emissionsstrategien wurde zudem erst mit der Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016 (ABl. L vom 26.04.2016, 1 ff.) eingeführt. Die Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfolgte bereits am 17.10.2014.
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9. Auch ansonsten ist eine sittenwidrige Schädigung der Klagepartei im Zusammenhang mit dem AGR-System nach dem Sachvortrag der Parteien nicht ersichtlich. Zur Kühlung der Abgasrückführung hat die Beklagte im Schriftsatz vom 21.08.2021, S. 3 und S. 16/18, insbesondere ausgeführt, dass bei der Abgasrückführung ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt werde und erneut an der Verbrennung teilnehme. Der Anteil des normalerweise in der Umgebungsluft vorhandenen Luftsauerstoffs werde dadurch verringert und der Anteil der Inertgase (z.B. Stickstoff, Kohlendioxid) entsprechend erhöht. Dies verändere die chemischen und physikalischen Eigenschaften des angesagten Luftgemisches. Die Verbrennungstemperatur werde dadurch verringert. Hierdurch entstünden wenige Stickoxidemissionen, denn deren Entstehung steige bei hohen Verbrennungstemperaturen. Durch eine Kühlung der Abgasrückführung werde dieser Effekt, also die Senkung der Stickoxid-Emissionen durch Senkung der Verbrennungstemperaturen, verstärkt. Zudem gewährleiste die Kühlung, dass das Saugrohr nicht überhitze. Dieser substantiierte Sachvortrag der Beklagten zur Funktionsweise und den Gründen für die Konfigurierung des AGR-Systems, insbesondere der Kühlung der Abgasrückführung zur Steuerung der Verbrennungstemperatur, bietet keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz dieses Mechanismus von einer verwerflichen Gesinnung der Beklagten getragen wäre. Mit dem genannten Sachvortrag der Beklagten steht im Übrigen deren Sachvortrag zum Warmlaufphase in Einklang, wonach während des Motorwagenlaufs die AGR-Reduzierung mit steigender Motortemperatur geringer werde, da die NOx-Emissionen bei einem warmen Motor aufgrund der physikalischen Randbedingungen ansteigen würden. Die Klagepartei hat hierzu nicht in erheblicher Weise erwidert. Die von der Beklagten angeführten Gründe für die Kühlung der Abgasrückführung legen zudem nahe, dass die Beklagte mit der vorgenannten Funktion keine zielgerichtete sowie systematische Vortäuschung der Einhaltung der Abgasgrenzwerte unter allen Bedingungen und nicht nur auf dem Prüfstand bezweckte, sondern die Erzielung eines optimalen Verbrennungsvorganges aus Gründen des Bauteilschutzes, aber zumindest auch unter Berücksichtigung der geltenden Emissionsgrenzwerte beabsichtigte. Bei dieser Sachlage ist für die Annahme einer verwerflichen Gesinnung der Beklagten bezüglich des AGR-Systems kein Raum.
41
10. Soweit die Klagepartei eine prüfstandsbezogene Steuerung des AGR-Systems behauptet, nimmt sie mit Schriftsatz vom 07.05.2021 zwar auf den Beitrag des BR vom 10.02.2021 Bezug (BK 7).
42
10.1. Sie beruft sich jedoch auch in der Gegenerklärung vom 07.05.2021 im Zusammenhang mit dem AGR-System für das streitgegenständliche Fahrzeug schon nicht auf die in dem genannten Artikel angeführte Funktion des Kühlmittelthermostats, wonach nach Ablauf eines Timers eine höhere Kühlmitteltemperatur eingeregelt werde, was zur Folge habe, dass geringere AGR-Raten geschaltet würden, mit denen der NOx-Grenzwert nicht mehr gehalten werden könne. Das Vorhandensein eines „geregelten Kühlmittelthermostats“ wird von der Klagepartei insoweit für das streitgegenständliche Fahrzeug bereits nicht behauptet. Die Klagepartei stützt sich in der Gegenerklärung vom 07.05.2021, S. 13/14, bezüglich des BR-Beitrags vom 10.02.2021 ausschließlich auf die dortigen Ausführungen zum SCR-Abgasreinigungssystem (s.u. Ziff. 11.).
43
10.2. Auch ansonsten fehlt es an substantiierten Ausführungen der Klagepartei zum „geregelten Kühlmittelthermostat“ sowie insbesondere dazu, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine solche Funktion verfügen würde. Die Klagepartei hat insbesondere nicht aufgezeigt, dass eine Funktion des Kühlmittelthermostats beim streitgegenständlichen Fahrzeugtyp vom KBA beanstandet worden wäre, so dass klägerseits schon keine greifbaren Anhaltspunkte dafür aufgezeigt werden, dass insoweit überhaupt eine unzulässige Abschaltungseinrichtung vorliegt. Nach dem von der Klagepartei vorgelegten Bericht des BR vom 10.02.2021 betreffen die Strategien zur Verringerung der Abgasrückführung nicht alle Fahrzeugmodelle der Beklagten, für die das KBA einen Rückruf angeordnet hat.
44
10.3. Die Beklagte hat hingegen in der Berufungserwiderung vom 02.10.2020, S. 15, ausgeführt, dass zu der Motorenfamilie OM 651 sehr verschiedene Motorenvarianten gehörten, die seit 2008 bis heute in neue Fahrzeuge eingebaut werden. Dabei handele es sich um ganz unterschiedliche Fahrzeugmodelle. Die verschiedenen Fahrzeugtypen der Beklagten unterschieden sich schon bezüglich Größe und PS-Zahl erheblich. Die Fahrzeuge der Beklagten könnten daher nicht einheitlich betrachtet werden, selbst wenn in ihnen Motoren mit der gleichen Bezeichnung verbaut seien.
45
10.4. Im Gegensatz zur V. AG, die eine Manipulation durch eine Abschalteinrichtung bei mehreren Millionen Motoren des Typs EA 189 vorgenommen hat und bei denen die Manipulation stets sämtliche Modelle einer Baureihe betraf, betrifft die Verwendung einer möglicherweise unzulässigen Abschaltreinrichtung bei der Beklagten, wie sich aus dem von der Klagepartei selbst vorgelegten Pressebericht ergibt, nie sämtliche Modelle einer Baureihe und ist darüber hinaus auch abhängig von der Motorvariante (vgl. OLG Koblenz Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19, BeckRS 2019, 25135, Rn. 52). Zu dem streitgegenständlichen Motor und Fahrzeugtyp (Mercedes-Benz, V-Klasse, Typ V 250, 140 kW, 2143 ccm, Motor OM 651, Euronorm 6, Erstzulassung 2014) hat die Klagepartei keinerlei Veröffentlichung vorgelegt, die eine unzulässige und prüfstandsbezogene Funktion eines Kühlmittelthermostats aufzeigen.
46
10.5. Daher ist im vorliegenden Fall die Entscheidung des BGH vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, betreffend die dortigen Ausführungen zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (dort Rn. 19 ff.) nicht einschlägig. In dem dort zu entscheidenden Fall hatte die Klagepartei zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung und zur Verwendung einer entsprechenden Funktion bei dem dort streitgegenständlichen Fahrzeug hinreichend substantiiert ausgeführt. Hieran fehlt es vorliegend. Zudem ergibt sich aus der genannten Entscheidung des BGH, dass die Rückrufe des KBA bezüglich einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung lediglich Fahrzeuge der Beklagten mit dem OM 651-Dieselmotor und der Euro-5-Norm betreffen. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt zwar unstreitig über einen OM 651-Dieselmotor. Die Motorsteuerungssoftware ist jedoch auf die Euro-6-Norm ausgelegt. Es handelt sich vorliegend mithin offensichtlich um eine andere, neuere Motorsteuerungsvariante des Motortyps OM 651.
47
11. Mit Schriftsatz vom 07.05.2021 macht die Klagepartei unter Berufung auf den BR-Bericht vom 10.02.2021 (BK 7) geltend, dass nach Aussagen des KBA die in Fahrzeugen der D. AG verwendeten Abschalteinrichtungen „in Abhängigkeit der Prüfbedingungen“ funktionieren würden, und macht dies vorliegend für das SCR-System geltend. Aus der Prüfstandsabhängigkeit der Abschaltungseinrichtungen ergebe sich die Sittenwidrigkeit.
48
11.1. Dass bei Fahrzeugen der Beklagten Funktionen „in Abhängigkeit der Prüfbedingungen“, insbesondere beim SCR-System, geschaltet würden, wie die Klagepartei im Hinblick auf den Bericht des BR vom 10.02.2021 (BK 7) erstmals mit Schriftsatz vom 07.05.2021 vorträgt, ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer „Umschaltlogik“. Denn der vom Kläger zitierte Bericht bestätigt nicht, dass bezüglich der Funktionsweise des SCR-Katalysators ein (effektiver) Modus nur auf dem Prüfstand, nicht aber unter gleichen Bedingungen im normalen Fahrbetrieb zur Anwendung kommt. Vielmehr bezieht sich die dort zitierte Auskunft des Bundesverkehrsministeriums (BK 7), auf „Bedingungen, wie sie auch für die Typprüfung vorgegeben sind“. Daraus ergibt sich, dass der genannte Modus nicht nur bei der Typprüfung zur Anwendung kommt, sondern immer dann – mithin auch im normalen Fahrbetrieb –, wenn die für die Typprüfung geltenden Bedingungen gegeben sind. Hinzu kommt, dass nach dem im Bericht erfolgten Zitat einer Aussage des Bundesverkehrsministeriums das Umschalten des SCR-Systems in einen weniger effektiven Modus „nach dem Erreichen einer bestimmten Stickoxidmasse nach Ablauf des Prüfzyklus dauerhaft“ erfolgt. Daraus ergibt sich jedoch, dass die Umstellung in einen weniger effektiven Modus wesentlich vom Erreichen einer bestimmten Stickoxidmasse abhängt und nicht von der Dauer des Prüfzyklus. Eine gezielt prüfstandsbezogene Umschaltlogik ist dem vorgelegten BR-Bericht mit dem Zitat einer Aussage des Bundesverkehrsministeriums daher nicht zu entnehmen.
49
11.2. Zu den Gründen des amtlichen Rückrufs beim streitgegenständlichen Fahrzeug und der Funktionsweise des SCR-Abgasreinigungssystems hat die Beklagte darüber hinaus mit Schriftsatz vom 08.07.2019, S. 4/5, insbesondere ausgeführt, dass die Steuerung der Emissionskontrollsysteme generell abhängig vom jeweiligen Betriebszustand erfolge. Diese habe nichts mit einer Prüfstandserkennung zu tun. Stattdessen gehe es um spezifische Elemente der Steuerung des SCR-Katalysatorsystems. Der SCR-Katalysator nutze AdBlue, eine wässrige Harnstofflösung. Die Katalyse von AdBlue im SCR-Katalysator bewirke, dass aus dem Harnstoff Ammoniak und Kohlendioxid entstehe. Das Ammoniak reagiere dann mit Sauerstoff und Stickoxid zu unschädlichem Stickstoff und Wasser. Die Systemauslegung müsse eine Überdosierung von AdBlue vermeiden, weil andernfalls überschüssiges Ammoniak aus dem Auspuff austreten würde (sog. Ammoniak-Schlupf). Bei Ammoniak handele es sich um ein schädliches Umweltgift. Das KBA sei der Auffassung, dass in diesem Zusammenhang konkrete Parametrisierungen der Motor-Steuerungssoftware eine unzulässige Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems darstellten. Dies sei unzutreffend, weswegen die Beklagte Widerspruch eingelegt habe. Im streitgegenständlichen Fahrzeug würden für die Dosierung von AdBlue unterschiedliche Berechnungsmodelle genutzt. Diese würden einen effektiven Betrieb des SCR-Katalysators bewirken und einen Ammoniak-Schlupf vermeiden. Die Berechnungsmodelle seien komplementäre Teile des Emissionskontrollsystems.
50
11.3. Die von der Beklagten angeführten Gründe für die Konfiguration des SCR-Katalysatorsystems legen nahe, dass die Beklagte mit der vorgenannten Funktion keine zielgerichtete sowie systematische Vortäuschung der Einhaltung der Abgasgrenzwerte unter allen Bedingungen durch eine manipulative Prüfstanderkennungssoftware bezweckte, sondern mit der Konfiguration des SCR-Katalysatorsystems die Erzielung eines optimalen Verbrennungsvorganges aus Gründen der Einhaltung der geltenden Emissionsgrenzwerte und zur Vermeidung sonstiger Schadstoffe beabsichtigte. Bei dieser Sachlage ist für die Annahme einer verwerflichen Gesinnung der Beklagten bezüglich der Motor-Steuerungssoftware für das SCR-Katalysatorsystem (AdBlue-Einspritzung) kein Raum. Auf die Entscheidung der Streitfrage, ob insoweit – gleichwohl – eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, kommt es vorliegend nicht an, da es diesbezüglich jedenfalls an greifbaren Anhaltspunkten für eine verwerfliche Vorgehensweise der Beklagten i.S.d. § 826 BGB fehlt und allein eine unzulässige Abschalteinrichtung für den Sittenwidrigkeitsvorwurf nicht genügt. Anhand des Vortrags der Beklagten lässt sich daher ein Schädigungsvorsatz nicht annehmen. Die Klagepartei legt keine konkreten Umstände dar, die zum subjektiven Vorstellungsbild der Handelnden der Beklagten, das SCR-Katalysatorsystem entsprechend zu konfigurieren, greifbare Anhaltpunkte für den notwendigen Schädigungsvorsatz bieten würden. Nach dem plausiblen Sachvortrag der Beklagten war die unternehmerische Entscheidung der Beklagten nicht vom Ansinnen der Prüfstandmanipulation getragen.
51
11.4. Schließlich trägt die Klagepartei keine Umstände dafür vor, dass ihr die mit Schriftsatz vom 07.05.2021 gemachten, neuen Sachausführungen nicht früher möglich gewesen wären. Der neue Sachvortrag zum SCR-System ist daher überdies als verspätet unzulässig gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO.
52
12. Es sind zudem keine Umstände dargelegt, die die Kenntnis verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten von einer manipulativ, sittenwidrigen Abschalteinrichtung schlüssig aufzeigen.
53
13. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 auf Schadensersatz (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798). Bei den genannten Normen handelt es sich nicht um Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Es sind im vorliegenden Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen; das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich der genannten Vorschriften (BGH a.a.O. Rn. 11, 12). Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH (Art. 267 Abs. 3 AEUV) wegen der Auslegung der genannten Vorschriften ist nicht veranlasst, da die Rechtslage sowohl im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als auch im Hinblick auf Art. 5 VO 715/2007/EG von vornherein eindeutig ist (BGH a.a.O. Rn. 16). Zu den Einzelheiten wird auf die Entscheidung des BGH vom 30.07.2020 a.a.O., Tz. 10 ff., verwiesen.
54
14. Ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB scheidet ebenfalls aus (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798). Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB setzt haftungsbegründend voraus, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) erfüllt sind. Daran fehlt es. Die Klagepartei hat schon eine Täuschung durch die Beklagte nicht schlüssig dargelegt. Ebenso fehlt substantiierter Vortrag zur vorsätzlich rechtswidrigen Bereicherungsabsicht der Beklagten (vgl. Ziff. 1.3.). Der Anspruch scheitert zudem an der gemäß § 263 Abs. 1 StGB erforderlichen Stoffgleichheit zwischen Vermögensvorteil und Schaden, die ein Merkmal der subjektiven Tatbestandsvoraussetzung der Bereicherungsabsicht i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB ist. Nach den Voraussetzungen zum Eintritt eines Vermögensschadens i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB hat die Klagepartei vorliegend dann einen Vermögensschaden erlitten, wenn das von ihm erworbene Fahrzeug im Hinblick auf die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und etwaige damit verbundene Risiken den vereinbarten und gezahlten Kaufpreis nicht wert war. Die Vermögenseinbuße ist dann auf die Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem Wert des von der Klagepartei erworbenen Fahrzeugs zu beziffern (BGH a.a.O., Rn. 23, m.w.N.). Es besteht keine Stoffgleichheit dieser etwaigen Vermögenseinbuße der Klagepartei mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten (§ 31 BGB) für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte (BGH a.a.O., Tz. 24). Im Übrigen wird zu den Einzelheiten auch diesbezüglich auf die Entscheidung des BGH vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 17 ff., Bezug genommen.
55
15. Vertragliche Gewährleistungsansprüche wegen etwaiger Mängel bei der Abgasrückführung zur Abgasreinigung des Fahrzeugs (Thermofenster etc.) kann die Klagepartei gegen die Beklagte nicht geltend machen, da die Beklagte nicht Vertragspartnerin des streitgegenständlichen Kaufvertrags ist.
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16. Die geltend gemachten Nebenforderungen bestehen mangels Hauptforderung nicht.
III.
57
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
59
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO festzusetzen.