Inhalt

LG Hof, Endurteil v. 05.11.2021 – 36 O 285/21
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster

Normenketten:
BGB § 31, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Bei einer die Abgasrückführung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware wie dem Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Fahrzeugherstellerin in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, B 47, Thermofenster
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Urteil vom 06.09.2022 – 5 U 488/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 27.11.2024 – VIa ZR 1361/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 67721

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 31.438,02 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei macht mit ihrer Klage vom 17.05.2021 Schadensersatzansprüche aus u.a. § 826 BGB wegen behaupteter vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen die Beklagte geltend und begehrt die Rückerstattung des Kaufpreises für den streitgegenständlichen Pkw abzüglich Nutzungsentschädigung.
2
Die Klagepartei erwarb am 04.04.2019 den Pkw BMW 218d, Fahrzeugidentifikationsnummer …72, als Gebrauchtwagen mit 13.214 km zum Preis von 32.770 Euro von einem Autohaus in Dortmund. Der Kaufpreis für das Fahrzeug wurde vom Kläger vollständig per online Überweisung von seinem Wohnsitz in … aus beglichen. Das Fahrzeug wurde am 25.04.2018 erst zugelassen.
3
In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs B 47 mit der Abgasnorm Euro 6 verbaut, dessen Hersteller und Entwickler die Beklagte ist.
4
Die Beklagte wurde mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei vom 06.04.2021 „zur Rückabwicklung im Rahmen des Schadensersatzes“ aufgefordert.
5
Die Klagepartei behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund unzulässiger Abschalteinrichtungen nur im NEFZ-Prüfzyklus die Grenzwerte der Euro 6-Norm einhalte, außerhalb dieser Bedingungen würden die Grenzwerte hingegen deutlich überschritten. Diese Überschreitungen seien auf Abschalteinrichtungen zurückzuführen. Das Fahrzeug erkenne den Prüfstand und schalte dort in einen „sauberen“ Modus, während es im Realbetrieb die Abgasreinigung größtenteils vernachlässige.
6
Die Klagepartei meint, dass es folgende Abschalteinrichtungen gebe:
-
Ab einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 60.000 km schalte die Abgasrückführung aus, da bei derartig alten Fahrzeugen eine NEFZ-Prüfung nicht mehr durchgeführt wird.
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Durch Drücken einer bestimmten Tastenkombination könne der Bordelektrik zudem das Durchfahren des Prüfstandes manuell mitgeteilt werden.
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Das Fahrzeug erkenne die für den NEFZ-Test vorgeschriebene Konditionierung.
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Die Beklagte habe in ihren Fahrzeugen insgesamt 5 verschiedene Erkennungsmodi eingerichtet, die im Zusammenspiel die Abschalteinrichtung aktivieren würden.
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Aufgrund des Vorliegens bestimmter Bedingungen, wie zum Beispiel Temperatur, Drehzahl, Leistung, Zeit, Geschwindigkeit, Nebenverbraucher, sei vom Durchfahren des NEFZ auszugehen, wodurch die Abgasrückführung angesteuert werde, diese höchstmöglich erfolge und damit eine maximale Reduktion des Stickoxid-Ausstoßes einhergehe.
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Zudem verfüge das streitgegenständliche Fahrzeug über ein sogenanntes Thermofenster, dass die Funktionsweise bzw. den Wirkungsgrad der Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Außentemperatur bei gleichbleibender Außentemperatur auch dauerhaft reduziere. Dieses Thermofenster sei so gestaltet, dass die Abgasreinigung im Temperaturbereich zwischen 20 und 30 °C, der für den NEFZ-Zyklus vorgeschrieben ist, zu 100 % arbeite. Bei niedrigeren Temperaturen fahre die Abgasreinigung auf Grundlage dieses Thermofensters herunter bzw. schalte sich irgendwann sogar gänzlich ab. Die Abgasrückführung werde nur in einem Temperaturbereich zwischen +17°C und +33°C zu 100 % vorgenommen. Über + 33 °C Außentemperatur werde die Abgasrückführung vollständig deaktiviert, ebenso wie unter -11 °C. Zwischen -11 °C und +17 °C werde die Abgasrückführung temperaturabhängig iterativ reduziert.
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Weitere folgende Abschalteinrichtungen, sog. „hard cycle beating“, die auf den Prüfstand abgestimmt seien, gebe es: Anhand der gefahrenen Drehzahl, des abgerufenen Drehmoments, der gefahrenen Zeit und Geschwindigkeit, der Nichtinanspruchnahme von Nebenverbrauchern und der fehlenden Lenkradbewegung würden die Prüfstandsfahrt erkannt und die Stickoxidemissionen für den Prüflauf beeinflusst.
7
Die Beklagte könne sich nicht auf die Ausnahmetatbestände des Motorschutzes und des Schutzes vor Beschädigung oder Unfall stützen; es wird Bezug genommen auf die Ausführungen in der Klageschrift (dort Seite 50 ff.).
8
Der Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen werde durch die Manipulation des Onboard-Diagnose-Systems (OBD) bestätigt. Dieses zeige trotz nicht funktionierender Abgasreinigung keinen Fehler an, was es bei korrekter Funktion tun müsste (Klage Seite 63 ff).
9
Die Klagepartei behauptet weiter, dass die Beklagte eine entsprechende unternehmerische Entscheidung zur Einführung der Abschalteinrichtungen getroffen habe. Die Veranwortlichen bei der Beklagten hätten von den behaupteten Manipulationen gewusst. Die Klagepartei sei von der Beklagten darüber getäuscht worden, dass das streitgegenständliche Fahrzeug die gesetzlichen Vorgaben zum Schadstoffausstoß nur unter bestimmten Bedingungen einhalte, nämlich nur unter mehreren unzulässigen Abschaltfunktionen. Dies habe die Beklagtenpartei gegenüber der Klagepartei nicht offen gelegt.
10
Die Klagepartei habe durch den Erwerb des Fahrzeuges einen erheblichen Schaden erlitten. Das streitgegenständliche Fahrzeug weise einen Sachmangel auf. Der Schaden liege bereits im ungewollten Vertragsschluss, denn die Klagepartei hätte in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben. Die Klagepartei sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, ein Fahrzeug zu erwerben, welches nicht über eine illegale Abschalteinrichtung verfüge und welches die gesetzlichen Schadstoffgrenzwerte unter normalen Fahrbedingungen einhalte. Die Klagepartei sei zudem von einer uneingeschränkten Nutzbarkeit des Fahrzeuges ausgegangen. Nun drohe der Klagepartei jedoch der Entzug der Zulassung des Fahrzeuges.
11
Die Klagepartei ist daher der Auffassung, dass die Beklagte gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB hafte, weil sich die Beklagte objektiv sittenwidrig verhalten habe. Überdies hafte die Beklagte gemäß § 831 BGB für das schädigende Verhalten ihrer Mitarbeiter, die die Entwicklung und den Einbau der illegalen Software durchgeführt hätten. Bei diesen handele es sich um bestellte Verrichtungsgehilfen. Ferner ergebe sich die Haftung der Beklagten aus § 823 BGB i.V.m. RL 2007/46/EG, 715/2007/EG sowie i.V.m. §§ 4, 6 und 25, 27 EG-FGV. Es bestünde auch ein Anspruch des Klägers gemäß §§ 823 BGB, 263 StGB.
12
Die Klägerin beantragt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 31.438,02 € nebst Zinsen aus Euro 31.438,02 hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.04.2021 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typs BMW 218d, FIN: …72.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei weitere Euro 2.635,96 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typs BMW 218d, FIN: …72.
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der, Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeug seinem 20.04.2021 in Verzug befindet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.873,06 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
13
Die Beklagte beantragt,
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
14
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass weder Ansprüche auf Rückabwicklung noch auf Schadenersatz bestünden, da das Fahrzeug von der Beklagten weder manipuliert worden sei, noch dass die Klagepartei von der Beklagten geschädigt worden sei. An dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei weder eine prüfbestandsbezogene noch eine anderweitig hypothetisch unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, vergleichbar mit dem Motor EA 189 der Volkswagen AG. Es gebe dementsprechend weder einen Rückruf des KBA noch eine sonstige behördliche Beanstandung.
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Das Emissionskontrollsystem des Fahrzeuges werde bei normalen Betriebsbedingungen nicht unzulässig in seiner Wirksamkeit verringert. Der Vortrag der Klagepartei enthalte sämtliche Vorwürfe, die bei anderen Herstellern bekannt geworden seien und übertrage diese – ins Blaue hinein – auf die Beklagte.
16
Das Kraftfahrtbundesamt habe Untersuchungen zum Motor B 47 durchgeführt. Es sei das Modell BMW 320d Euro 6 untersucht worden. Eigene Messungen des KBA hätten ergeben, dass die Abgasemissionen auf dem Rollenprüfstand und auch auf der Straße unter normalen Betriebsbedingungen nicht zu beanstanden seien. Es hätten keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt werden können. Die Beklagte führt weiter aus, dass Gegenstand der Überprüfung des KBA der Motor B47D20O0 gewesen sei.
17
Die Behauptungen der Klagepartei zum sog. Thermofenster seien unzutreffend. Beim streitgegenständlichen Fahrzeug übernehme die Funktion der klassischen Abgasreinigung in dem Sinne, dass entstandene Stickoxide gefiltert oder anderweitig „beseitigt“ werden könnten der NOx-Katalysator in Kombination mit einem SCR-System. Die von der Klagepartei angesprochene Abgasrückführung diene ausschließlich dazu, von vornherein das Entstehen von Partikeln sowie NOx durch eine optimale Verbrennung bestmöglich zu verhindern. Neben verbesserter Einspritzung und Aufladung funktioniere dies so, dass ein Teil des Abgases wieder in den Brennraum geleitet wird, um dort eine möglichst ideale Verbrennung zu erreichen, ohne dass eine wesentliche Menge an Stickoxiden und Partikeln entstehe. Die Menge des Abgases, die in den Motor zurückgeführt wird, um eine möglichst optimale Verbrennung zu erreichen, sei in jedem Betriebszustand individuell und unterliege neben technischen Grenzen auch physikalischen Limits. Selbst auf dem für das streitgegenständliche Fahrzeug maßgeblichen Fahrtprofil NEFZ auf dem Prüfstand gebe es unterschiedlichste Last- und Betriebszustände mit je völlig unterschiedlichen Emissionen sowie unterschiedlichsten Mengen an Abgas, die den Motor wieder zugeführt werden, damit die Verbrennung in einem möglichst optimalen Ausmaß Erfolge. Das Fahrzeug versuche in sämtlichen Betriebszuständen, unabhängig von einer Prüfstandsituation, unterschiedlichste Parameter so gut als möglich zu mischen. Hierbei sei es auch eine Notwendigkeit, die sogenannte Abgasrückführungsrate anzupassen. Es gebe dabei Betriebszustände – auch auf dem Prüfstand – bei der diese Rate höher oder niedriger – sogar 0 – sei. Daher liege bereits keine in „Abschalteinrichtung“ vor.
18
Die Beklagte behauptet weiter, dass es weder eine Täuschung der Klagepartei noch eine Schädigung derselben gegeben habe. Auch bestünde keine Kenntnis bei Organen der Beklagten, da deliktisches Verhalten gerade nicht vorläge.
19
Daher ergebe sich keinerlei Haftung der Beklagten, weder aus deliktischen noch aus kaufvertraglichen Ansprüchen. Aus kaufvertraglichen Ansprüchen könnten schon keine Ansprüche bestehen, da die Beklagte nicht Vertragspartnerin des Klägers gewesen sei.
20
Die Beklagte ist der Auffassung, der allein maßgebliche Vortrag zum streitgegenständlichen Fahrzeug im hiesigen Verfahren sei unsubstantiiert und fuße ausschließlich auf unzutreffenden Behauptungen „ins Blaue hinein“ dahingehend, dass die Beklagte auch das verbaut hätte, was bei anderen Fahrzeugherstellern publik geworden sei. Das sei aber tatsächlich nicht der Fall. Konkreten Vortrag zum streitgegenständlichen Fahrzeug enthalte der Vortrag nicht. Die Klage sei unsubstantiiert und unschlüssig.
21
Zur Ergänzung des Parteivortrages wird Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2021.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
23
Der Klagepartei steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Form der Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges, weder aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB noch aus den weiteren genannten Anspruchsgrundlagen der §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV zu.
I. § 826 BGB
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Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages über den von der Beklagten produzierten und in Verkehr gebrachten Pkw aus § 826 BGB, weil überwiegend bereits nicht hinreichend substantiiert und mit Bezug auf das konkrete streitgegenständliche Fahrzeug vorgetragen wurde, dass unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2017 vorliegen.
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Eines diesbezüglichen gerichtlichen Hinweises bedurfte es nicht, da sich die Klagepartei selbst in der Klageschrift auf Seite 100 mit den Anforderungen des Bundesgerichtshofes hierzu auseinandergesetzt hat (BGH zu Aktenzeichen VIII ZR 57/19). Der Klagepartei waren die Anforderungen an die Substantiierungslast also hinreichend bekannt.
26
Obwohl die Klagepartei sehr ausführlich vorträgt und umfangreiche Anlagen vorlegt, ist es ihr nicht gelungen, durch ihre Schriftsätze ausreichend schlüssig ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten, das zu einer deliktischen Haftung derselben wegen des Inverkehrbringens eines Fahrzeuges mit einem Motor mit unzulässiger Abschalteinrichtung führen könnte, darzulegen. Die Ausführungen der Klagepartei enthalten im wesentlichen Vermutungen und Urteilszitate und verweisen auf Anlagen, die für den streitgegenständlichen Motor kaum relevante Daten enthalten.
1.) Diverse Abschalteinrichtungen
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Der Vortrag der Klagepartei, ihr Fahrzeug sei von der „Abgasmanipulation“ betroffen und mit einer Software ausgestattet, die den Prüfstand erkenne und die Abgasrückführung so ansteuere, dass sie während des Durchfahrens des NEFZ höchstmöglich erfolge und den Stickoxidausstoß maximal reduziere, stellt sich als eine Behauptung ins Blaue hinein dar. Eine solche liegt dann vor, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl hinein aufstellt (allgemein: BGH, Beschluss vom 16.4.2015, Az. IX ZR 195/14 in NJW-RR 2015, 829).
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So bestehen im vorliegenden Fall keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass gerade das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Manipulationssoftware ausgestattet ist, die die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu begründen vermag. Entgegen dem Vortrag der Klagepartei gibt es nämlich betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug weder ein Einschreiten durch das Kraftfahrtbundesamt noch einen Rückruf. Vielmehr hat das Kraftfahrtbundesamt gerade keine unzulässige Abschalteinrichtung bei dem im streitgegenständlichen Modell verbauten Motortyp B47 festgestellt, wie die Beklagte unter Bezugnahme auf vorgelegte Auskünfte des KBA und weitere Anlagen vorträgt.
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Um die Schlüssigkeit einer Klage zu erreichen, müssten alle zur Begründung der beantragten Rechtsfolgen erforderlichen Tatsachen vorgetragen werden. Gemessen an diesen Maßstäben ist es der Klagepartei vorliegend nicht gelungen, das Klagevorbringen schlüssig zu begründen. Ist nämlich – wie hier – das streitgegenständliche Fahrzeug nicht einmal von einem verbindlichen Rückruf betroffen, so muss bezogen auf den konkreten Verfahrensgegenstand zur „unzulässigen Abschalteinrichtung“ folgendes im Einzelnen nachvollziehbar dargetan werden: Dass ein „Konstruktionsteil“ im Motor des Fahrzeugs vorhanden ist, das in bestimmten Umwelt- oder Fahrsituationen i.S.v. Art. 3 Nr. 10 VO(EG) 715/2007 die Abgasreinigung abschaltet und dass dieses nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Diesen Anforderungen ist die Klagepartei im Rahmen ihrer Klageschrift schon deshalb nicht gerecht geworden, da sie ohne Darstellung der Relevanz der einzelnen Behauptungen eine lose Aneinanderreihung selbiger wiedergibt. So werden unter viii. auf Seite 47 ff. der Klage, ohne dass ein Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug oder Motor erkennbar ist, Aspekte aufgeführt, die wohl unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen sollen. Die Einordnung dieser aneinandergereihten Ausführungen in den Kontext der Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB ist jedoch nicht möglich, sodass das Gericht vielmehr von einer theoretischen Zusammenstellung technischer Möglichkeiten ausgehen muss.
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Es wäre vielmehr darzulegen gewesen, welche konkreten „Abschalteinrichtungen“ im Pkw der Klagepartei vorliegen sollen.
31
Eine Abschalteinrichtung ist nach der Begriffsbestimmung unter Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
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So ist das auf Seite 40 der Klage behauptete komplette Abschalten der Abgasrückführung ab einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges von 60.000 km bereits nicht geeignet, diese genannten Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. Es ist auch nicht ersichtlich, auf welche Erkenntnisse oder Quellen die Klagepartei diese Behauptung stützt.
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Selbiges gilt für die Behauptung, das vor dem Durchfahren des Prüfstandslaufes durch Anwählen einer bestimmten Tastenkombination der Bordelektronik mitgeteilt werden kann, dass ein Prüfstandslauf stattfindet. Die Klagepartei stellt diese Behauptung isoliert in den Raum, ohne sie in Verbindung zu bringen mit der Auswirkung auf das Emissionskontrollsystem. Insofern ist zudem plausibel, dass es für das sichere Durchfahren des NEFZ erforderlich ist, gewisse Fahrzeugsysteme wie ESP und ABS zu deaktivieren, was eben mittels manueller Eingabe des anstehenden Prüflaufes erfolgt. Eine manuelle Steuerung des Betriebssystems erfüllt jedoch unzweifelhaft nicht die Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Auch ist hierbei wieder nicht erkennbar, auf welcher Tatsachengrundlage diese Erkenntnisse basieren.
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Es wird insofern nicht verkannt, dass dem außerhalb der Herstellungsprozesse stehenden Verbraucher ein Einblick in innere Zusammenhänge der Fahrzeugtechnik nicht möglich ist, ein Mindestmaß an Herstellung von Zusammenhängen im Hinblick auf behauptete Tatbestände ist dennoch zu verlangen. Dies ist hier nicht erfüllt.
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Weiter behauptet die Klagepartei, das die für den Prüfstand vorgeschriebene (Vor-)Konditionierung und das Erkennen des NEFZ-Zyklus an sich für die moderne Technik zwischenzeitlich kein Problem mehr sei. Dies mag durchaus sein, es wird jedoch nicht dargelegt, welche Relevanz das Erkennen des Prüfstandlaufes an sich haben soll. Die Klagepartei trägt auch hier nicht zu den weiteren Voraussetzungen vor. Sie stellt-insbesondere keinen Zusammenhang zum streitgegenständlichen Fahrzeug her und gibt auch nicht preis, auf welchen Quellen diese vermeintlichen Erkenntnisse beruhen. Derartigen Vermutungen muss nicht nachgegangen werden. Die Beklagte kann sich hierauf auch nicht substantiiert einlassen. Das Gericht ist nicht in die Lage versetzt worden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen oder nicht (nötig nach BGH, Beschluss vom 28.01.2020 zum Az. VIII ZR 57/19). Allein die Implementierung von Komponenten zur Erkennung des Prüfstandslaufes führt noch nicht zu einer vorsätzliche sittenwidrige Schädigung.
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Ferner stellt die Klagepartei ohne Einbindung in einen Kontext in den Raum, dass ein „Zusammenspiel von verschiedenen Fahrzyklus- bzw. Umgebungserkennungen“ zur Aktivierung der Abschalteinrichtung führe. Insofern bedürfte es einer weiteren Konkretisierung, ausgerichtet an Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007. Eine Einlassung auf eine derart pauschale Behauptung ist schon nicht möglich.
37
Konkret und substantiiert genug trägt die Klagepartei lediglich vor, dass die Abgasrückführung, die für einen niedrigeren Stickoxid-Ausstoß sorge, in einem Temperaturbereich zwischen +17 °C und bis 33 °C zu 100 % aktiv, darüber vollständig deaktiviert werde, ebenso wie unter Temperaturen von -11 °C.
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Ferner mag die Behauptung hinreichend substantiiert sein, wonach die Abgasrückführung drehzahlabhängig und abhängig vom Umgebungsdruck reduziert bzw. deaktiviert werde. Insofern vermag das Gericht jedoch nicht zu erkennen, inwieweit die Klagepartei einen Zusammenhang zum streitgegenständlichen Fahrzeug herstellen will. Es ist nicht erkennbar, woher die Klagepartei diese Erkenntnis nimmt. Allein die Bezugnahme auf Rückrufbescheide des Kraftfahrtbundesamtes, die andere BMW-Fahrzeugmodelle betreffen, reicht nicht aus, um einen konkreten Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu begründen. Noch weniger zulässig ist es, jedes Dieselfahrzeug unter Generalverdacht zu stellen, weil in einem Dieselmotor, dem des Typs EA 189 von Volkswagen, nachweislich eine unzulässige Abschalteinrichtung unter Verschweigen gegenüber der Öffentlichkeit, zum Zwecke rücksichtsloser Gewinnmaximierung verbaut war.
39
Zu keiner einzigen behaupteten Komponente der vermeintlichen unzulässigen Abschalteinrichtung deckt die Klagepartei auf, auf welcher Basis sie ihre Behauptungen aufgestellt hat. Diese Mindestanforderung wäre jedoch zu erfüllen gewesen, um sowohl der Gegenpartei wie auch dem Gericht die Möglichkeit zu eröffnen, das Bestehen einer entsprechenden Tatsachengrundlage zu . prüfen. Dabei war der Klagepartei diese Notwendigkeit bekannt gewesen.
40
Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung auch dann vorliegen kann, wenn ein Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erlassen wurde. Es bedürfte jedoch – wie ausgeführt – greifbarer Anhaltspunkte, um zum einen beurteilen zu können, wie wahrscheinlich das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 750/2007 ist und darüberhinaus zum anderen bewerten zu können, ob überhaupt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung infrage kommt. Sogar beim Vorliegen von nur einzelnen Rückrufbescheiden zum Motor B47 (würde man dies annehmen können), kann zweifelsfrei nicht von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Art ausgegangen werden, wie dies beim EA 189 von Volkswagen der Fall war. Auch der diesbezügliche Vortrag der Klagepartei ist nicht geeignet, um den konkreten Fall des streitgegenständlichen Fahrzeuges zum Klageerfolg zu verhelfen.
41
Von einer Rückrufaktion der Beklagten waren lediglich die Modelle 750d und 550d, jedoch nicht das streitgegenständliche Modell 218d betroffen. Entsprechendes trägt auch die Klagepartei nicht vor. Erforderlich wäre vielmehr, dass zumindest dargetan würde, dass andere Modelle mit dem gleichen Motortyp einem Rückruf tatsächlich unterliegen, dann ergäben sich – erst einmal – greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen im gegenständlichen Fahrzeug. Erforderlich wäre darüber hinaus jedoch noch ein substantiierter Vortrag zum Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, wie dies der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 19.01.2021 zum Az. VI ZR 433/19 ausgeführt hat.
42
Soweit die Klagepartei im Weiteren auf ihre beigefügten Anlagen verweist, ist zunächst festzustellen, dass diese zu einem ganz überwiegenden Teil andere Fahrzeuge der Beklagten, andere Motoren der Beklagten und sogar zu einem nicht unerheblichen Teil gänzlich andere Fahrzeuge betreffen. Insofern ist es schon nicht Aufgabe des Gerichtes, sich aus mehrseitigen Anlagen, die nur zu einem Bruchteil den streitgegenständlichen Sachverhalt betreffen, die jeweiligen Daten herauszusuchen, die möglicherweise auf den konkret streitgegenständlichen Sachverhalt zugeschnitten sind.
43
Vorliegend lassen die behaupteten Überschreitungen der im NEFZ vorgegebenen Grenzwerte im realen Fahrbetrieb insgesamt jedenfalls schon keinen Schluss auf eine, die Abgaswerte manipulierende Software zu.
44
Auf das Vorliegen einer diesbezüglichen sekundären Darlegungslast der Beklagten kommt es insoweit nicht mehr an. Denn dazu müsste der Klagevortrag seinerseits zunächst hinreichend schlüssig und substantiiert sein, so dass die Beklagte zu einem Gegenvortrag verpflichtet wäre. Dies ist aber vorliegend nicht gegeben (so auch entschieden vom OLG München am 23.01.2019, Az. 21 U 3660/18). Die Klagepartei trägt die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Umstände, die den klägerseits behaupteten Anspruch begründen können. Dieser Darlegungslast wurde aus oben näher dargestellten Gründen nicht Genüge getan.
2.) Thermofenster
45
Allein der Vortrag der Klagepartei zum sogenannten Thermofenster genügt den Anforderungen an einen hinreichend substantiierten Vortrag zum Vorliegen illegaler Abschalteinrichtungen.
46
Insofern gilt jedoch Folgendes: In welcher Art und Weise das „Thermofenster“ in konkreten Fall ausgestaltet ist, ob es – wie klägerseits behauptet – nur im Temperaturfenster des Prüfstandslaufes zwischen ca. 17 °C und 33 °C voll funktioniert oder ob es immer zu 100 % aktiv ist, ist nach Auffassung des zuständigen Gerichtes nicht streitentscheidend. Dahinstehen kann auch, ob die – an sich unstreitige – Implementierung eines Thermofensters in tatsächlicher Hinsicht objektiv mit den EU-Vorschriften vereinbar ist. Denn selbst wenn zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden würde, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (so der EuGH im Urteil vom 17.12.2020, Rs. C-693/18, zu Art. 5 VO (EG) 715/2007), stellt sich zur Überzeugung des Gerichts das Inverkehrbringen eines mit einem Thermofenster konzipierten Fahrzeugs subjektiv nicht als – nachweisbare – vorsätzliche sittenwidrige Handlung der Beklagten i.S.d. § 826 BGB dar.
47
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung begeht und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (dazu allgemein BGH, Beschluss vom 19.01.2021 zu VI ZR 433/19). Erst später gewonnene Erkenntnisse machen eine bereits stattgefundene Handlung jedenfalls nicht rückwirkend zu einer sittenwidrigen, sodass sich eventuelle Erkenntnisse aus dem Urteil des EuGH vom 17.12.2020 auf die Kenntnis der Beklagten im Zeitpunkt der Entwicklung des streitgegenständlichen Motors und des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht auswirkt.
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Nach den aufgeführten Grundsätzen reicht der klägerseits behauptete Umstand, dass die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei Temperaturen außerhalb eines Fensters von 17 °C bis 33 °C reduziert und letztlich ganz abgeschaltet werde, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben.
49
Bei einer sogenannten „Schummelsoftware“, wie sie in dem Motor EA 189 des Volkswagen Konzerns verwendet worden ist, liegt der Sachverhalt hingegen anders. Dort ergab sich die Sittenwidrigkeit des Handelns per se aus der Verwendung einer Umschaltlogik, die – auf den Betriebszustand des Fahrzeugs (Prüfstandsfahrt oder Straßenfahrt) abstellend – allein danach unterschieden hat, ob es sich auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet und dementsprechend im Prüfstandslauf in einen sauberen Modus schaltet. Eine solche Abschalteinrichtung ist eindeutig unzulässig; an dieser rechtlichen Wertung konnte auch aus Sicht der Handelnden bzw. hierfür Verantwortlichen kein Zweifel bestehen.
50
Bei einer anderen – im streitgegenständlichen Fahrzeug allein möglichen – die Abgasrückführung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, wie dem hier in Rede stehenden Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (vgl. hierzu wieder beispielhaft OLG Koblenz in 12 U 1570/19 oder auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19).
51
Auch die Klagepartei greift den Vortrag der Beklagten nicht substantiiert an, wonach die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung vom Prinzip her im Straßenverkehr genauso funktioniert wie auf dem Rollenprüfstand (vgl. Klageerwiderung Seite 43). Um zu dem Ergebnis zu gelangen, wie es im Fall der Umschaltlogik des EA 189 von VW vorlag, dass nämlich gerade zwischen Prüfstandsfahrt und Straßenfahrt unterschieden wird und verschiedene Abgasreinigungsprogramme gefahren werden, wäre entsprechender Vortrag der Klagepartei, die ja Anspruchsteller ist, erforderlich gewesen. Aus dem klägerischen Vortrag ergibt sich an keiner Stelle, dass das Thermofenster angelegt war zur „Überlistung“ der Prüfungssituation.
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Selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen wäre, müsste die Klagepartei vortragen, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Anhaltspunkte die Beklagte im Zeitpunkt der Implementierung des Thermofensters in den Motor B47 überhaupt von einem Gesetzesverstoß und gerade auch einem bewussten Hinwegsetzen über die gesetzlichen Vorschriften hätte ausgehen müssen. Die Klagepartei hat nicht dargelegen können, warum die von der Beklagten im konkreten Fall vorgenommene Gesetzesauslegung im Zeitpunkt der Motorenentwicklung nicht vertretbar gewesen ist und bewusst zu Zwecken der Gewinnerzielung falsch vorgenommen wurde bzw. dass zumindest eine Inkaufnahme einer Falschinterpretation der anzuwendenden Vorschriften gegeben gewesen ist. Eine Sittenwidrigkeit käme also nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass die Implementierung einer solchen Einrichtung von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde.
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Zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs waren die Interpretationsspielräume der EG-Verordnung Nr. 715/2007 nicht ausgeräumt. Das zeigt zum einen die (gerichtsbekannte und sicher auch in Anwaltskreises bekannte) kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 II lit. a) EG VO 715/2007, zum anderen auch der Umstand, dass sich auch das Kraftfahrtbundesamt und Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bislang nicht von der Unzulässigkeit des behaupteten sog. „Thermofensters“ haben überzeugen können und Rückrufe sämtlicher betroffenen Fahrzeuge mit einem Thermofenster (wie unstreitig implementiert im OM 651 von Mercedes-Benz und dem EA 288 von Volkswagen) angeordnet haben. Auch die Bewertung des Berichts der Untersuchungskommission „Volkswagen“ hat sich gerade nicht im Sinne der klägerischen Rechtsauffassung zum „Thermofenster“ positioniert. (So beispielsweise auch entschieden vom OLG Köln, Urteil vom 27.09.2019 zu 6 U 57/19).
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Das erkennende Gericht schließt sich den Ausführungen des OLG Koblenz in seinem Urteil vom 20.04.2020, Aktenzeichen 12 U 1570/19, vollumfänglich an. Dort heißt es: Die europarechtliche Gesetzeslage ist an dieser Stelle (Anm.: Gemeint ist Art. 5 VO (EG) 715/2007.) nicht zweifelsfrei und nicht eindeutig. Auch die Klagepartei vermag nichts Gegenteiliges ins Feld zu führen, was ihren Anspruch stützen kann. Auf die Frage, inwieweit das Thermofenster aus Gründen des Motorschutzes erforderlich gewesen ist, kommt es damit nicht mehr an.
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Soweit sich die Klagepartei auf das sogenannte „Thermofenster“ stützt, kommt jedenfalls auch die Annahme eines Vorsatzes nicht in Betracht. Wie bereits ausgeführt ist die Gesetzeslage an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig (gewesen). So vertritt auch das örtlich zuständige Berufungsgericht, das Oberlandesgericht Bamberg, (allerdings zum Motor EA 288) die Auffassung, dass eine Haftung der Beklagten, anders als beim EA 189, für den Einbau eines „Thermofensters“ ohne weiteres jedenfalls nicht infrage komme. Das Oberlandesgericht Bamberg weist darauf hin, dass sich die Implementierung einer zum Zwecke der Erkennung der Prüfstandssituation entwickelten Software, die ausschließlich in diesen Fällen das Emissionsverhalten des Fahrzeuges verändert, qualitativ vollständig anders darstellt als ein temperaturabhängiges Abgasrückführungssystem, welches vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei dem Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als technische Rechtfertigung plausibel und nachvollziehbar angeführt werden können (so Hinweis des OLG Bamberg im Verfahren 1 U 484/20).
II.) § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB und § 831 BGB
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Der Klagepartei steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB oder aus § 831 BGB zu.
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Es wäre erforderlich gewesen, dass die Klagepartei sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) darlegt und nachweist. Es kann hierzu vollumfänglich auf das Urteil des BGH vom 30.07.2020, VI ZR 5/20 verwiesen werden. Bereits aus oben genannten Gründen ist die Klagepartei den Anforderungen nicht gerecht geworden. Sie trägt nicht ansatzweise ausreichend vor. Für § 831 BGB fehlt es ebenso aus vorgenannten Gründen an einer unerlaubten Handlung der Verrichtungsgehilfen.
III.) § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO(EG) 715/2007
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Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 scheitert daran, dass die genannten Vorschriften der EG-FGV wie auch die der VO (EG) 715/2007 nicht dem Vermögensschutz eines Kraftfahrzeugerwerbers dienen (vgl. dazu BGH in VI ZR 252/18 sowie in VI ZR 5/20). Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sind Gesetze, die zumindest auch den Individualschutz des Einzelnen bezwecken, ohne dass dies einen bloßen Reflex der Vorschrift darstellt (vgl. grundlegend BGH Urteil 13.12.2011 zu XI ZR 51/10 – zum WpHG oder BGH, Beschluss vom 09.4.2015 zu VII ZR 36/14 – zu Medizinprodukten). Demgegenüber dienen die in VO (EG) 715/2007 festgelegten Abgasgrenzwerte ausweislich der dortigen Erwägungsgründe der Verbesserung der Luftqualität und damit der Allgemeinheit (so auch OLG München, Beschluss vom 29.8.2019 zu 8 U 1449/19 oder OLG Braunschweig, Urteil vom 19.2.2019 zu 7 U 134/17). Die VO (EG) 715/2007 zielt zudem auf die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. dessen Vollendung durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Fahrzeugemissionen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.2020 zu 5 U 318/19). Zwar werden neben der Vereinheitlichung der Rechtsregelungen ein hohes Umweltschutzniveau als Ziel und die Reinhaltung der Luft als Vorgabe für Regelungen zur Senkung der Emissionen von Fahrzeugen beschrieben, doch folgt aus den Ausführungen, die die Verbesserung der Luftqualität in einem Zug mit der Senkung der Gesundheitskosten nennen, dass es auch insoweit nicht um individuelle Interessen, sondern letztlich um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele geht (siehe OLG Düsseldorf a.a.O. und nachdrücklich OLG München, Beschluss vom 29.8.2019 zu 8 U 1449/19).
IV.) Nebenentscheidungen
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Da der Klagepartei in der Hauptsache ein Anspruch nicht zusteht, ist sie auch mit ihren Nebenansprüchen (Feststellung Annahmeverzug, Rechtsanwaltskosten, Zinsen) nicht erfolgreich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.