Titel:
Kostenerstattungsanspruch, Gesellschaftsrechtliche Streitigkeit, Spruchverfahren, Angemessene Barabfindung, Sachverständigengutachten, Geschäftswert, Außergerichtliche Kosten, Kostentragungspflicht, Steuerliche Organschaft, Ertragswertverfahren, Aufgabe zur Post, Solidaritätszuschlag, Nicht betriebsnotwendiges Vermögen, Marktrisikoprämie, Gerichtlich bestellter Sachverständiger, Minderheitsaktionäre, Verbundene Unternehmen, Unternehmensgegenstand, Konzernabschluß, Holdinggesellschaften
Schlagworte:
Squeeze-out, Barabfindung, Unternehmensbewertung, Ertragswertmethode, Hauptversammlung, Kapitalisierungszinssatz, Spruchverfahren
Fundstelle:
BeckRS 2021, 67664
Tenor
I. Die Anträge auf Festsetzung einer höheren Barabfindung als € 7,31 je Stammaktie und € 8,45 je Vorzugsaktie der S. O. AG werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens wird auf € 200.000,-- festgesetzt.
Gründe
1
1. a. Die Hauptversammlung der S. O. AG (im Folgenden auch: die Gesellschaft) fasste am 3.12.2019 den Beschluss, die Aktien der sieben noch außenstehenden Aktionäre, also der Antragsteller, gegen eine Barabfindung in Höhe von € 7,31 je auch den Inhaber lautender Stammaktie als Stückaktie sowie in Höhe von € 8,45 je auf den Inhaber lautender Vorzugsaktie als Stückaktie auf die Antragsgegnerin als Hauptaktionärin zu übertragen.
2
Der Unternehmensgegenstand der nicht börsennotierten, über ein in 70 Mio. Stamm- und 70 Mio. Vorzugsaktien ein geteiltes Grundkapital von € 140 Mio. verfügenden S. O. AG liegt aufgrund von § 2 Abs. 1 ihrer Satzung (Anlage AG 1) im Halten sowie der Übernahme von Beteiligungen an anderen Gesellschaften im In- und Ausland, vorwiegend solchen, die den Vertreib von Handels-Produkten und/oder die Herstellung und den Vertrieb von Gummiprodukten zum Gegenstand haben, in der Beratung und Unterstützung dieser Gesellschaften in organisatorischer, wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht, in der Vermietung und Verpachtung von beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern, in der Lizenzierung und Verwertung von immateriellen Wirtschaftsgütern sowie in der Erbringung von Dienstleistungen als Holdingunternehmen. Aufgrund von § 2 Abs. 2 ihrer Satzung ist die Gesellschaft zu allen Maßnahmen berechtigt, die geeignet erscheinen, dem Unternehmensgegenstand zu dienen. Die Gesellschaft kann Zweigniederlassungen im In- und Ausland errichten, andere Unternehmen gründen, erwerben oder sich an ihnen beteiligen und solche Unternehmen leiten oder sich auf die Verwaltung der Beteiligung beschränken sowie Unternehmensverträge abschließen. Ebenso ist sie berechtigt, ihre Geschäftstätigkeit auch durch Tochter-, Beteiligungs- und Gemeinschaftsunternehmen auszuüben. Sie kann Teile ihres Unternehmens in verbundene Unternehmen ausgliedern oder verbundenen Unternehmen überlassen. Die Gesellschaft kann sich auch auf die Verwaltung des eigenen Vermögens beschränken.
3
Im Jahr 2007 war es zu einer Umstrukturierung des bis dahin in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG geführten Unternehmens gekommen. Zum einen wurden die beiden Unternehmensbereiche „Handel“ und „T. T.“ in eigene Gesellschaften verselbstständigt – die S. GmbH und die R. T. T. AG (im Folgenden: R. T. T. AG). Zum anderen wurde die bisherige S. GmbH & Co.KG. auf die S. O. AG verschmolzen, die fortan als Finanz- und Management Holding für die operativ tätigen Tochtergesellschaften fungierte. Die S. GmbH war vor allem im Bereich des Groß- und Einzelhandels von Kfz-Verschleiß- und Ersatzteilen tätig, während die Geschäftstätigkeit der R. T. T. AG sich im Wesentlichen auf die Bereiche „Material Processing“ mit Verschleißschutz, Förder- und Anlagentechnik, „Surface Protection“ mit Gummierungs- und Beschichtungssystemen sowie Automotive mit Reifenreparaturmaterial und Werkstattausstattung erschreckte. Im Dezember 2017 verkaufte die S. O. AG sämtliche Geschäftsanteile an der S.AG an die börsennotierte amerikanische L. Corp. und erhielt im Gegenzug einen Kaufpreis von rund € 1,5 Mrd., wobei ein Teil des Kaufpreises mit rund 8 Mio. Stück L.-Aktien mit einem damaligen Kurswert von rund € 278 Mio. bezahlt wurde.
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b. Im Vorfeld der Hauptversammlung vom 3.12.2019 erstattete die D. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: D.) eine gutachtliche Stellungnahme zum Unternehmenswert der S. O. AG (Anlage 5 zum Übertragungsbericht der Antragsgegnerin vom 22.10.2019, Anlage AG 2). Die Wirtschaftsprüfer von D. ermittelten in Anwendung der Ertragswertmethode einen Unternehmenswert der Gesellschaft zum 3.12.2019 in Höhe von € 1,103 Mrd., woraus sie dann einen Wert je Vorzugsaktie von € 8,45 und € 7,31 je Stammaktie ableiteten. Bei der Wertermittlung gingen die Bewertungsgutachter für die Gesellschaft von einer die Jahre 2019 bis 2021 umfassenden Detailplanungsphase aus, wobei diese durch die operative Tätigkeit des R. T. T.-Teilkonzerns geprägt ist. Für den Detailplanungszeitraum wurde angenommen, dass zum bewertungstechnischen Stichtag am 1.1.2019 eine freie Überschussliquidität an die Aktionäre im Umfang von € 403 Mio. ausgeschüttet wird. Nach einem Übergangsjahr schloss sich dann die Ewige Rente an, in der eine EBIT-Marge von 8% und eine Wachstumsrate von 1% angesetzt wurden. In Phase I sollen die Ergebnisse ausgeschüttet werden, soweit sie nicht zur Finanzierung von Investitionen sowie des Nettoumlaufvermögens benötigt werden. Im Übergangsjahr sowie im Terminal Value gingen die Bewertungsgutachter von einer Ausschüttungsquote von 50% aus. Bei der Kapitalisierung der Überschüsse setzten die Bewertungsgutachter einen Basiszinssatz von 0,0% an. Den Risikozuschlag ermittelten sie mit Hilfe des (Tax-)CAPM, wobei sie eine Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern und einen unverschuldeten Beta-Faktor von 0,95 zugrunde legten, den sie aus einer Peer Group von 14 Vergleichsunternehmen ermittelten. Für die Ewige Rente legten die Bewertungsgutachter einen Wachstumsabschlag von 1% zugrunde. Zudem verfügt die Gesellschaft über Sonderwerte, die von den Bewertungsgutachtern von D. mit insgesamt € 10,8 Mio. angesetzt wurden.
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Die vom Landgericht München I mit Beschluss vom 12.8.2019, Az. 5HK O 11221/19 zur Abfindungsprüferin bestellte E. GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft (im Folgenden auch: E.) gelangte in ihrem Prüfungsbericht vom 23.10.2019 (Anlage AG 3) zu dem Ergebnis, die den ausscheidenden Aktionären der Gesellschaft zu gewährende Barabfindung in Höhe von € 7,31 je Stamm- und von € 8,45 je Vorzugsaktie stelle sich als angemessen dar. Aus den Aktualisierungserklärungen der Bewertungsgutachter wie auch der Abfindungsprüfer jeweils vom 3.12.2019 (Anlagen AG 5 und AG 6) ergab sich keine Notwendigkeit von Änderungen der Bewertung.
6
c. Der Beschluss über den Squeeze out wurde am 18.1.2020 in das Handelsregister eingetragen und am 25.2.2020 gem. § 10 HGB bekannt gemacht. Im Zeitpunkt der Eintragung waren 1.323.663 Stamm- und ebenso viele Vorzugsaktien der Gesellschaft von dem Squeeze out betroffen. Alle Antragsteller waren im Zeitpunkt dieser Eintragung in das Handelsregister Aktionäre der S. O. AG.
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2. Zur Begründung ihrer am 11.5. bzw. 25.5.2020 beim Landgericht München I eingegangenen Anträge machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend, aufgrund ihrer zulässigerweise gestellten Anträge müsse die Barabfindung angesichts ihrer Unangemessenheit erhöht werden.
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a. Diese Notwendigkeit resultiere bereits aus den unplausiblen und folglich korrekturbedürftigen Planannahmen.
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(1) Bei der Vergangenheitsanalyse hätte auch das Jahr 2016 durch Erstellung einer Pro-forma-Bilanz einbezogen werden müssen. Ebenso wäre eine Bewertung sum of the parts zur Plausibilisierung des Ergebnisses nach der Ertragswertmethode notwendig gewesen. Eine fehlende Absicht zur Liquidierung der S. O. AG als Holding müsse bestritten werden. Angesichts des Verkaufs der S. GmbH habe sich die Konzernstruktur erheblich vereinfacht mit der Folge einer deutlichen Reduzierung der angeblichen Aufgaben einer Holdinggesellschaft. Grundlage der Ermittlung des Ertragswerts müsse die künftige Entwicklung des Unternehmens auf der Grundlage der wahren, nicht lediglich auf eine Reduzierung des ermittelten Ertragswerts gerichteten Planungen der Gesellschaft sein. Vor diesem Hintergrund verbiete sich eine Planung des Unternehmens, „wie es am Bewertungsstichtag steht und liegt“.
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(2) Eine Aktualisierung der Zahlen des 1. Halbjahres mit den Ist-Zahlen zum Stichtag der Hauptversammlung samt Verprobung führe zu deutlich höheren Werten beim Umsatz. Die Annahme eines Umsatzrückgangs bei der R. T. T. AG im Jahr 2019 und eines Umsatzwachstums von lediglich 1,8% in den Folgejahren stehe in Widerspruch zu Aussagen im Konzernabschluss mit einer Prognose von plus 4% in 2019, im Bewertungsgutachten mit dem Hinweis auf das organische Wachstum in den letzten 5 Jahren um jährlich 3% sowie zu der positiven Aussage im Jahresabschluss 2018 über ein organisches Wachstum von 11,6%. Die Planungen widersprechen der Angabe im Bewertungsgutachten über eine Wachstumsprognose für den prägenden Industriegummimarkt mit Wachstumsraten von 4,7% p.a. bis 2026. Zudem stelle sich die Planung angesichts eines in der Vergangenheit über dem der Peer Group liegenden Wachstums und eines nunmehr geringeren Wachstums in der Detailplanungsphase als fehlerhaft dar, weshalb die Plausibilisierung auf fehlerhaften Annahmen beruhe.
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(3) Unklar bleibe, inwieweit die in den sonstigen betrieblichen Erträgen enthaltenen Weiterbelastungen für Verwaltungsfunktionen bei der Antragsgegnerin alle von dieser veranlassten Aufwendungen erfassen würden. Es sei zudem unplausibel, wenn die S. O. AG nach dem Verkauf der S. GmbH ihre gesamten Personalkosten an die R. T. T. AG weiterbelasten könne.
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(4) Im Rahmen der Aufwandsplanung hätten bei den sonstigen betrieblichen Aufwendungen die Verluste aus dem Abgang von Finanzanlagen in Höhe von € 3,2 Mio. im Jahr 2021 und die Aufwendungen für Wechselkursverluste eliminiert und aufgrund des Stichtagsprinzips neutral mit einem Betrag von „0“ angesichts der fehlenden Absehbarkeit der Entwicklung auf den Finanzmärkten angesetzt werden müssen. Nicht nachvollziehen lasse sich ein im Vergleich zum Umsatz stärkerer Anstieg der Personalkosten. Die Investitionsquote müsse im Planungszeitraum niedriger sein, weil das historische Wachstum mit Zukäufen erklärt worden sei. Die Investitionsplanung sei angesichts der Berücksichtigung der Abschreibungen auf Geschäfts- und Firmenwerte der Akquisitionen nicht plausibel.
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(5) Die pauschale Planung des Finanzergebnisses sei angesichts des Vorhandenseins einer dezidierten Ausschüttungs- und Liquiditätsplanung nicht sachgerecht. Der Ansatz der Steuerquoten der S. O. AG mit 64,6%, 59,0% und 53,8% in der Detailplanungsphase stelle sich wegen der Verletzung von Pflichten des Vorstands zu einer kaufmännisch sorgfältigen Unternehmensführung als zu hoch dar, nachdem im Übergangsjahr und im Terminal Value Steuerquoten von rund 30% angesetzt worden seien. Auch stünden diese Steuerquoten im Widerspruch zum Konzernabschluss 2019 mit einer Steuerquote von 39,2% statt geplanter 64,6%. Die einigermaßen passende Steuerquote von rund 30% sei fehlerhaft erst 2022 herangezogen worden, weil Maßnahmen wie die Belastung der Tochtergesellschaften mit Konzernumlagen schon in Phase I möglich gewesen wären. Auch resultiere die fehlende Plausibilität daraus, dass jedes Unternehmen derart ungünstige Strukturen beispielsweise durch Kostenverrechnung oder durch die Implementierung steuerlicher Organschaften unmittelbar beseitigen würde. Die Steuerplanung übersehe zudem, dass der weitaus größte Teil der nicht gegen Gewinne der Tochtergesellschaften verrechenbaren Aufwendungen der Holding aus Rechts- und Beratungskosten und damit aus nicht jährlich anfallenden Sonderaufwendungen stamme. Zudem hätten aktive latente Steuern angesichts ihres erhöhten Steuerabzugspotentials in den Folgejahren mit der Minderung künftiger Steuerlasten angesetzt werden müssen.
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(6) Bereits im Jahr 2022 hätte von einem eingeschwungenen Zustand ausgegangen werden müssen. Bei der nachhaltigen Reinvestitionsquote vom 3% wäre eine Bereinigung um Akquise- und Erweiterungsinvestitionen erforderlich gewesen. Das Abstellen auf die EBITDA-Marge wäre sachgerechter als das Heranziehen der Abschreibungen auf Geschäfts- und Firmenwerte enthaltende EBIT-Margen. Ein Fortschreiben der Holding-Struktur sei fehlerhaft, weshalb es entweder zu einer Eliminierung der Holdingkosten oder zum Ansatz von Liquidationswerten kommen müsse.
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(7) Der Ansatz einer Überschussliquidität in Höhe von € 403 Mio. stelle sich als fehlerhaft dar, weil eine solche zum 31.12.2018/1.1.2019 nicht stattgefunden und die S. O. AG bei einem Wertpapierbestand mit einem Buchwert von € 296 Mio. gar nicht über die zur Ausschüttung erforderliche Liquidität verfügt habe. Nicht nachvollziehen lasse sich der Ansatz zum 1.1.2019 und nicht zum Stichtag der Hauptversammlung angesichts des Ziels der Gesellschaft, Wertpapiere langfristig zu halten, weshalb es durch die Eliminierung als Folge der fiktiven Ausschüttung zu einer fehlerhaften Unternehmensbewertung komme. Fehlerhaft sei auch der Ansatz der vollen persönlichen Steuerbelastung, weil nicht ersichtlich sei, warum hier keine kapitalwertneutrale Mittelverwendung im Unternehmen wie beispielsweise durch Aktienrückkäufe unterstellt worden sei.
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(8) Der Ansatz einer Thesaurierungsquote in Phase I mit 73,3% in den beiden ersten Planjahren sowie von 80% in 2021 sei angesichts der Quoten in der Vergangenheit und einem kaum nennenswerten Umsatzwachstum zu hoch. Unklar sei, ob sich aus der Planung Anhaltspunkte für die Verwendung der thesaurierten Mittel ergäben wie zur Vermeidung einer Fremdfinanzierung von Investitionen und Veränderungen des Nettoumlaufvermögens und ob die Quote von 75% zum Erreichen der strategischen Ziele der Unternehmensplanung erforderlich gewesen sei. Die Annahme zum Erfordernis einer Thesaurierung bedeute einen Widerspruch zum Vorhandensein der Nettoüberschussliquidität und zu langfristigen Anlagen, weshalb der Finanzierungsbedarf aus Zinserträgen gedeckt werden könne. Die Belastung der thesaurierten Beträge mit einer fiktiven Veräußerungsgewinnbesteuerung erfolge angesichts des Erwerbs der Aktien durch die Aktionäre bereits vor dem Inkrafttreten des Abgeltungssteuersystems fehlerhaft.
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b. Beim Kapitalisierungszinssatz müsse es bei der Marktrisikoprämie zu einer Reduktion kommen, weil es eine Überrendite von Aktien in Höhe von 5,5% gegenüber risikolosen Anlagen nie gegeben habe. Korrekturbedarf bestehe auch beim Beta-Faktor, weil die Peer Group einen zu hohen Anteil an Tier 1-Automobilzulieferern aufweise, nachdem die R. T. T. AG nur zum Teil überhaupt im Automotive-Segment und hier im Wesentlichen im After market-Geschäft tätig sei. Fehlerhaft sei die Aufnahme von N. Corp. als Unternehmen zur Herstellung und zum Vertrieb von Kunststoffriemen für Antriebszwecke sowie der F. H. AG mit einem in der Herstellung und dem Vertrieb von Bodenbelägen liegenden Unternehmensgegenstand, weil es an der Vergleichbarkeit mit der R. T. T. AG mit einem Umsatzanteil von nahezu 60% im Segment „Material Processing“, also von Gummierungen für Verschleißschutz, fehle. Die EBIT-Marge von 13,2% und eine Eigenkapitalrendite von 22% bei der F. H. AG belege die fehlende Vergleichbarkeit. Ebenso wenig hätten die Reifenhersteller C., Br. und M. aufgenommen werden dürfen, weil die R. T. T. AG Reifen nicht als Produkt anbiete, sondern über ein globales Servicenetzwerk und ein breites Spektrum von Polymerprodukten, Gummierungen und Beschichtungen für die Industrie und den Automotiv-Bereich anbiete.
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c. Bei den Sonderwerten hätten die im Bewertungsgutachten als unbedeutend bezeichneten Gesellschaften in den Ertragswert einbezogen werden müssen, wenn sie noch operativ tätig seien. Nicht nachvollzogen werden könne die unterbliebene Berücksichtigung der Wertpapiere des Anlagevermögens mit einem Buchwert von € 296 Mio. und die unterbliebene Ermittlung des Barwerts zum Stichtag der Hauptversammlung. Es hätte hier der tatsächliche, zum Bewertungsstichtag bereits feststehende Veräußerungserlös angesetzt werden müssen. Angesichts der Entwicklung der Immobilienpreise im Umland von München seit 2015 lasse sich ein Preis von lediglich € 374/m² für das Grundstück in P., G.straße nicht nachvollziehen, weil ein Zuschlag von 15% zwischen 2015 und Ende 2019 den Gegebenheiten mit direktem S-Bahn-Anschluss nicht entspreche. Die Bewertung vernachlässige den Anstieg des Anlagevermögens aus den weiteren Investitionen aus dem Verkauf der S. GmbH entsprechend den Feststellungen im Konzernabschluss zum 31.12.2019.
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3. Die Antragsgegnerin beantragt demgegenüber angesichts der Angemessenheit der mittels Beschlusses der Hauptversammlung festgesetzten Barabfindung, die mittels der Ertragswertmethode sachgerecht ermittelt worden sei, die Zurückweisung der Anträge.
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a. Die in der Planung getroffenen Annahmen seien sachgerecht erfolgt und demzufolge auch nicht korrekturbedürftig.
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(1) Die Vergangenheitsanalyse aus den Geschäftsjahren 2017 und 2018 sowie dem ungeprüften Halbjahreszeitraum für das Geschäftsjahr 2019 erstrecke sich auf einen zutreffenden Zeitraum angesichts der zum 1.1.2018 erfolgten Veräußerung der S. GmbH und der Entkonsolidierung des zugehörigen Teilkonzerns „Handel“; eine Pro-forma-Bilanz und eine Pro-forma-G+V-Rechnung sei für das Geschäftsjahr 2016 nicht vorgeschrieben gewesen und deshalb die entsprechende Aufstellung unterblieben.
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(2) Die Annahme eines Umsatzrückgangs von 2% im ersten Planjahr beruhe auf dem noch andauernden Prozess der Integration von Akquisitionen mit der daraus folgenden Umstrukturierung von Organisation, Prozessen und Reporting-Strukturen sowie der Veräußerung der J. G. GmbH und der A. Sc. GmbH im Jahr 2019 mit erzielten Umsätzen von € 32,9 Mio. bzw. € 35,3 Mio. in den Jahren 2017 und 2018. Der tatsächlich erzielte Umsatz liege im Geschäftsjahr 2019 sogar 3% unter dem Vorjahresergebnis, was das negative Umsatzwachstum in der Planung für das 1. Planjahr bestätige. Das danach angenommene Umsatzwachstum von jeweils 1,8% p.a. stehe nicht in Widerspruch zu einem weltweit erwarteten CAGR des Industriegummimarkts von 4,3% bis 2026, nachdem der Umsatz des Teilkonzerns R. T. T. in der Vergangenheit stets geringer gewachsen sei als der Umsatz der Wettbewerber. Die Planungsrechnung bilde die Vorgabe und Erwartung des Vorstandes ab, wonach der Teilkonzern R. T. T. in allen Teilbereichen mit dem Markt wachsen solle. Der Industriegummimarkt könne keine Geltung für alle Bereiche des R. T. T.-Konzerns erfassen. Mit Ausnahme des Planjahres 2019 gehe die Planung im Vergleich zur Peer Group von einem schwächeren Wachstum aus, was der Entwicklung in der Vergangenheit entspreche, was auch für die EBIT-Marge im Teilkonzern R. T. T. gelte.
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(3) Die S. O. AG erhalte für die Antragsgegnerin übernommenen Verwaltungsaufgaben eine angemessene, in den sonstigen betrieblichen Erträgen verbuchte Vergütung. In der Konzernbetrachtung komme es zu einer Saldierung und damit zu keinen Auswirkungen auf den Unternehmenswert der Gesellschaft.
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(4) Der Umsatz wachse mit 1,8% p.a. stärker als der Personalaufwand mit einer jährlichen Wachstumsrate von 0,2%. Plausibel erfolgt sei der Ansatz der sonstigen betrieblichen Aufwendungen; erwartete Verluste aus dem Abgang von Finanzanlagen und Aufwendungen aus Wechselkursverlusten seien eliminiert worden. Eine pauschale Planung des Finanzergebnisses habe der Bewertungsgutachter als nicht sachgerecht eingestuft und daher die Planung für Bewertungszwecke angepasst, wobei er bewertungstechnisch eine Verrechnung des zinstragenden Fremdkapitals zum 31.12.2018 mit überschüssiger Liquidität unterstellt habe, was sich angesichts der zum Bewertungsstichtag verbreiteten Negativverzinsung als für die Antragsteller günstig darstelle. Zusätzlich sei die Ausschüttung großer Teile der Finanzmittel berücksichtigt worden. Abschreibungen auf Geschäfts- oder Firmenwerte seien eliminiert worden. Der künftige Investitionsbedarf sei aus den Investitionsquoten der Vergangenheit abgeleitet worden.
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(5) Die Modellierung eines Übergangsjahres sei wegen eines am Ende der Detailplanungsphase noch nicht eingetretenen eingeschwungenen Zustandes erforderlich gewesen, nachdem die bei der R. T. T. AG angenommene nachhaltige EBIT-Marge von 8% deutlich über den in Phase I angesetzten Margen und der EBIT-Marge von 4,6% des letzten Planjahres liege. Die im Terminal Value angesetzte Investitionsquote sei mit Blick auf die historischen Abschreibungen und Investitionen des Teilkonzerns R. T. T. notwendig. Für Zwecke der Ableitung der Ewigen Rente stelle sich die EBIT-Marge als zentrale Planungs- und Steuerungsgröße als sachgerecht dar. Bei der S. O. AG müsse eine nachhaltig angesetzte EBIT-Marge von 6,7% p.a. als angemessen bezeichnet werden, weil hier auch die Erlöse und Aufwendungen der Holdinggesellschaft zu berücksichtigen seien.
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(6) Die überdurchschnittlich hohen Unternehmenssteuerquoten in Phase I seien die Folge der weitgehenden Unmöglichkeit der Verrechnung der Aufwendungen bei der S. O. AG als Holdinggesellschaft mit den Gewinnen bei den verbundenen Unternehmen; dies beruhe auf der fehlenden steuerlichen Organschaft zwischen der S. O. AG und der R. T. T. AG bzw. zwischen der R. T. T. AG und deren verbundenen Unternehmen, weshalb die Ergebnisse der Tochtergesellschaften bei diesen versteuert würden. Der niedrigere Ansatz in der Ewigen Rente beruhe auf der mittel- bis langfristig beabsichtigten Einleitung von Maßnahmen zur Steuersenkung, die zum Bewertungsstichtag indes noch nicht konkret geplant gewesen seien. Aktive latente Steuern seien für Zwecke der Bewertung in der Planung nicht abzubilden.
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(7) Die Planung berücksichtige nur eine sehr geringe Verzinsung der operativ nicht erforderlichen liquiden Mittel. Die nach Abzug der betriebsnotwendigen Liquidität verbleibende Überschussliquidität solle zunächst entsprechend der Planung der Gesellschaft der Rückführung der verzinslichen Verbindlichkeiten in Höhe von € 529 Mio. dienen; der überschüssige Betrag – die Nettoüberschussliquidität – werde dem Unternehmensbeitrag sachgerecht gesondert als Wertbeitrag zugerechnet. Für diese fiktive Ausschüttung sei nur der hälftige nominale Einkommenssteuersatz von 12,5% zzgl. Solidaritätszuschlag angesetzt worden.
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(8) Nicht beanstandet werden könne die in den Planjahren 2019 bis 2021 angesetzte Thesaurierungsquote. Mangels einer expliziten Ausschüttungsplanung seien aus der Bilanzplanung die nicht zur Finanzierung von Investitionen und des Nettoumlaufvermögens benötigten Beträge herangezogen worden. Eine unmittelbar fiktive Zurechnung scheitere an der konkreten Verwendung der Mittel zur Finanzierung der Geschäftstätigkeit, der Rückführung von Fremdkapital sowie des Bilanzwachstums. Bei einer fiktiven Zurechnung hätte eine Fremdfinanzierung berücksichtigt werden müssen. Der Ansatz einer Ausschüttungsquote von 50% in der Ewigen Rente repräsentiere das langfristige durchschnittliche Ausschüttungsverhalten von börsennotierten Aktiengesellschaften mit einer Bandbreite von 40 bis 60%, könne aber nicht für die Detailplanungsphase herangezogen werden.
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b. Der Kapitalisierungszinssatz sei zutreffend abgeleitet worden.
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(1) Die mit 5,5% nach Steuern angesetzte Marktrisikoprämie entspreche den Empfehlungen des FAUB des IWW und beruhe auf der Überlegung, dass die früher bei der Prognose angenommenen mindernden Tendenzentwicklungen seit der Finanzmarktkrise von anderen Einflussgrößen überlagert seien. Die aktuelle Empfehlung beruhe auf einer breiten Basis und verschiedensten Methoden. Der herangezogene Beta-Faktor von unverschuldet 0,95 beruhe auf einer sachgerecht zusammengesetzten Peer Group aus Unternehmen, die jeweils in den Geschäftsbereichen der Gesellschaft tätig seien, was auch für die drei Reifenhersteller wie auch für N. Corp. und F. H. AG gelte.
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c. Sachgerecht seien auch die Sonderwerte angesetzt worden. Für vier Beteiligungsgesellschaften ohne erstellte Planung habe der Bewertungsgutachter jeweils zutreffend den höheren Wert aus Buchwert oder Eigenkapitalwert als Sonderwert herangezogen. Bei fünf weiteren 100%-igen Tochterunternehmen ohne eigenes operatives Geschäft sei einmal der Eigenkapitalwert von € 5,4 Mio. und bei allen anderen Gesellschaften der Buchwert angesetzt worden. Nicht korrigiert werden müsse der Wert für die nicht betriebsnotwendige Immobilie in P., für die keine betriebliche Verwendung geplant sei; angesichts ihrer Eigenschaft als Gewerbeimmobilie dürfe man die Bodenrichtwerte für erschlossene bzw. unerschlossene Baugrundstücke für Wohnimmobilien nicht heranziehen, sondern müsse den im Jahr 2015 ermittelten Bodenwert von € 330,- je qm² mit einem geschätzten Zuschlag von 15% zugrunde legen. Bei der Bewertung der Aktien der L. Corp. als Teil der Überschussliquidität sei der über dem Marktwert zum 31.12.2018 liegende Buchwert mit dem Kapitalisierungszinssatz zutreffenderweise aufgezinst worden. Angesichts eines Anteils von 2,54% sei der Ansatz eines Paketzuschlags nicht nachvollziehbar.
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4. In der mündlichen Verhandlung vom 6.5.2021 hat das Gericht den gerichtlich bestellten Abfindungsprüfer – Herrn Wirtschaftsprüfer Dr. P. von E. – mündlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird in vollem Umfang Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6.5.2021 (Bl. 202/220 d.A.).
33
5. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6.5.2021 (Bl. 202/220 d.A.).
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Die Anträge auf Festsetzung einer angemessenen Barabfindung sind zulässig, jedoch nicht begründet.
35
I. Die Anträge der Antragsteller sind zulässig.
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1. Alle Antragsteller sind antragsbefugt im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2 SpruchG, weil sie im Zeitpunkt der Eintragung des Beschlusses über den Squeeze out in das Handelsregister der S. O. AG am 28.1.2020 Aktionäre der Gesellschaft waren. Die Antragsgegnerin hat den entsprechenden Antrag aller Antragsteller entweder von vornherein nicht bestritten oder im Laufe des Verfahrens unstreitig gestellt bzw. nicht mehr bestritten, weshalb er gemäß §§ 8 Abs. 3 SpruchG, 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt.
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2. Die Anträge gingen jeweils fristgerecht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 SpruchG am 13.5.2020 bzw. 25.5.2020 beim Landgericht München I ein und damit innerhalb der am 25.5.2020 endenden Frist, nachdem die Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses am 25.2.2020 erfolgte.
38
3. Alle Antragsteller haben innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 SpruchG konkrete Einwendungen gegen die Angemessenheit der Kompensation erhoben, weshalb die Voraussetzungen von § 4 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 SpruchG erfüllt sind. Aufgrund dieser Vorschrift sind konkrete Einwendungen gegen die Angemessenheit nach § 1 SpruchG oder gegebenenfalls den als Grundlage für die Kompensation ermittelten Unternehmenswert in die Antragsbegründung aufzunehmen. Diesen Anforderungen werden alle Anträge gerecht, weil die Anforderungen an die Konkretisierungslast nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer in Übereinstimmung mit dem BGH nicht überspannt werden dürfen (vgl. BGH NZG 2012, 191, 194 = ZIP 2012, 266, 269 = WM 2012, 280, 283 = DB 2012, 281, 284; LG München I ZIP 2015, 2124, 2126; Beschluss vom 21.6.2013, Az. 5HK O 19183/09; Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5HK O 22657/12; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Drescher in: BeckOGK SpruchG, Stand 1.6.2021, § 4 Rdn. 22). Die Antragsgegnerin hat insoweit auch keine Bedenken geäußert, weshalb weitere Ausführungen hierzu nicht veranlasst sind.
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II. Die Anträge sind jedoch nicht begründet, weil die Barabfindung in Höhe von € 7,31 je Stammaktie und von € 8,45 je Vorzugsaktie als angemessen angesehen werden muss.
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Aufgrund von § 327 b Abs. 1 Satz 1 AktG legt der Hauptaktionär die Höhe der Barabfindung fest; sie muss die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung berücksichtigen. Die Barabfindung ist dann angemessen, wenn sie dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung dafür verschafft, was seine Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist, die also dem vollen Wert seiner Beteiligung entspricht. Unter Berücksichtigung des Eigentumsgrundrechts aus Art.14 Abs. 1 GG muss der Aktionär einen vollständigen wirtschaftlichen Ausgleich für die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung als Aktionär gewährt werden. Hierzu muss der „wirkliche“ oder „wahre“ Wert des Anteilseigentums widergespiegelt werden. Zu ermitteln ist also der Grenzpreis, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann (vgl. nur OLG München WM 2009, 1848 f. = ZIP 2009, 2339, 2340; ZIP 2007, 375, 376; AG 2020, 133, 134 f. = WM 2019, 2104, 2106; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514 = ZIP 2012, 124, 126; Beschluss vom 28.3.2014, Az. 21 W 15/11, zit. nach juris; OLG Stuttgart ZIP 2010, 274, 276 = WM 2010, 654, 646; OLG Frankfurt AG 2017, 790, 791 = Der Konzern 2018, 74, 75; OLG Düsseldorf AG 2019, 92, 94 = ZIP 2019, 370, 373 = DB 2018, 2108, 2111; LG München I AG 2016, 51, 52 = ZIP 2015, 2124, 2127; AG 2020, 222, 223; Beschluss vom 24.5.2013, Az. 5HK O 17096/11; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15).
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1. Der Unternehmenswert wurde dabei im Ausgangspunkt zutreffend unter Anwendung der Ertragswertmethode ermittelt, bei der es sich um eine in der Wissenschaft wie auch der Praxis anerkannte Vorgehensweise handelt (vgl. hierzu nur Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., S. 333), die folglich auch der Ermittlung des Unternehmenswertes der S. O. AG zugrunde gelegt werden kann. Danach bestimmt sich der Unternehmenswert primär nach dem Ertragswert des betriebsnotwendigen Vermögens; er wird ergänzt durch eine gesonderte Bewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, das regelmäßig mit dem Liquidationswert angesetzt wird.
42
Der Ertragswert eines Unternehmens wird dabei durch Diskontierung der den Unternehmenseignern künftig zufließenden finanziellen Überschüsse gewonnen, die aus den künftigen handelsrechtlichen Erfolgen abgeleitet werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es einen exakten oder „wahren“ Unternehmenswert zum Stichtag nicht geben kann. Vielmehr kommt dem Gericht die Aufgabe zu, unter Anwendung anerkannter betriebswirtschaftlicher Methoden den Unternehmenswert als Grundlage der Abfindung im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zu bestimmen (vgl. nur BGHZ 208, 265, 272 = NZG 2016, 461, 462 = AG 2016, 359, 360 f. = ZIP 2016, 666, 668 = WM 2016, 711, 713 f. = DB 2016, 883, 885 = MDR 2016, 658 f. = NJW-RR 2016, 610, 611 f.; OLG München WM 2009, 1848, 1849 = ZIP 2009, 2339, 2340; AG 2007, 287, 288; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG München, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; Beschluss vom 9.4.2021, Az. 31 Wx 2/19; OLG Stuttgart AG 2007, 128, 130; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2224; AG 2016, 329 = ZIP 2016, 71, 72 = WM 2016, 1685, 1687; OLG Frankfurt AG 2012, 513, 514 = ZIP 2012, 124, 126; LG München I Der Konzern 2010, 188, 189; AG 2016, 51, 52 = ZIP 2015, 2124, 2127; Beschluss vom 28.6.2013, Az. 5HK O 18685/11; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 16513/11; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 15685/15; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18). Dabei ist es nicht geboten, zur Bestimmung des wahren „Wertes“ stets jede denkbare Methode der Unternehmensbewertung heranzuziehen oder die Kompensationsleistung nach dem Meistbegünstigungsprinzip zu berechnen. Verfassungsrechtlich geboten sind nur die Auswahl einer im vorliegenden Fall geeigneten, aussagekräftigen Methode und die gerichtliche Überprüfbarkeit ihrer Anwendung (vgl. BVerfG NJW 2011, 2497, 2498 = NZG 2011, 869, 870 = AG 2011, 511 f. = ZIP 2011, 1051, 1053 = WM 2011, 1074, 1075 f. = BB 2011, 1518, 1520; NZG 2012, 907, 908 f. = AG 2012, 625, 626 = ZIP 2012, 1408, 1410 = WM 2012, 1374, 1375 = BB 2012, 2780 f.; OLG München AG 2020, 133, 134 = WM 2019, 2104, 2106; Beschluss vom 30.7.2018, Az. 31 Wx 136/16; OLG Düsseldorf AG 2016, 864, 865). Die Ertragswertmethode ist – wie ausgeführt – in Rechtsprechung und Literatur wie auch der bewertungsrechtlichen Praxis weithin anerkannt. Auch bei dem Standard IDW S1 handelt es sich um eine fachliche Bewertungsweise, mit deren Hilfe der Ertragswert bestimmt werden kann. Die Kammer sieht diese Methode, auch wenn sie von einem privaten Verein entwickelt wurde und daher keinen bindenden Rechtsnormcharakter haben kann, als zur Unternehmenswertermittlung geeignet an, weshalb sie hier zugrunde gelegt werden kann.
43
Auf dieser Basis kann keinesfalls eine höhere Barabfindung als € 7,31 je Stamm- bzw. € 8,45 je Vorzugsaktie angesetzt werden.
44
a. Grundlage für die Ermittlung der künftigen Erträge ist die Planung für die Gesellschaft, die auf der Basis einer Vergangenheitsanalyse vorzunehmen ist und vorliegend auch vorgenommen wurde. Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens sind die in die Zukunft gerichteten Planungen der Unternehmen und die darauf aufbauenden Prognosen ihrer Erträge allerdings nur eingeschränkt überprüfbar. Sie sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen haben auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen aufzubauen; sie dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein. Kann die Geschäftsführung auf dieser Grundlage vernünftigerweise annehmen, ihre Planung sei realistisch, darf diese Planung nicht durch andere – letztlich ebenfalls nur vertretbare – Annahmen des Gerichts oder anderer Verfahrensbeteiligter ersetzt werden (vgl. BVerfG NJW 2012, 3020, 3022 = NZG 2012, 1035, 1037 = AG 2012, 674, 676 = ZIP 2012, 1656, 1658 = WM 2012, 1683, 1685 f.; OLG München BB 2007, 2395, 2397; ZIP 2009, 2339, 2340 = WM 2009, 1848, 1849; Beschluss vom 11.9.2014, Az. 31 Wx 278/13; OLG Stuttgart NZG 2007, 112, 114; AG 2006, 420, 425; 2007, 705, 706). Demzufolge kann eine Korrektur der Planung nur dann erfolgen, wenn diese nicht plausibel und unrealistisch ist (vgl. OLG München WM 2009, 1148, 1849 = ZIP 2009, 2339, 2340; Beschluss vom 9.4.2021, Az. 31 Wx 2/19; OLG Frankfurt ZIP 2010, 729, 731; OLG Karlsruhe AG 2013, 353, 354; OLG Stuttgart AG 2014, 291, 296 f.; OLG Düsseldorf AG 2015, 573, 575 = Der Konzern 2016, 94, 96 = DB 2015, 2200, 2202; LG München I Der Konzern 2010, 188, 189 f.; ZIP 2015, 2124, 2127; Beschluss vom 28.6.2013, Az. 5HK O 18685/11; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 16513/11; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18).
45
Diese Grundsätze wurden bei der S. O. AG zutreffend angewandt.
46
(1) Dies gilt zunächst für die allgemeinen Erwägungen, auf denen die Planung der Gesellschaft beruht.
47
(a) Eine Einbeziehung des Jahres 2016 in die Vergangenheitsanalyse durch Erstellung einer Pro-forma-Bilanz musste nicht erfolgen. Dies ergibt sich aus der Zielsetzung der Vergangenheitsanalyse. Diese verfolgt in erster Linie den Zweck zu ermitteln, inwieweit die für die Ermittlung des Ertragswerts wesentlichen und bestimmenden Zukunftsprognosen tragfähig und plausibel sind (vgl. OLG Frankfurt AG 2020, 955, 958; LG München I AG 2020, 222, 224 = Der Konzern 2020, 311, 312). Der hierfür heranzuziehende Betrachtungszeitraum beträgt üblicherweise zwei bis drei Jahre, wie der Kammer aus einer Vielzahl bei ihr anhängiger Spruchverfahren bekannt ist und was auch der Abfindungsprüfer bei seiner Anhörung bestätigte und erläuterte. Bei seiner Prüfung konnte Herr Dr. P. auf Unterlagen aus einem Zeitraum von 2 ½ Jahren von 2017 bis zum 1. Halbjahr 2019 zurückgreifen, für das bereits Ist-Zahlen – wenn auch ungeprüft – vorlagen. Das Jahr 2016 musste dabei nicht zwingend einbezogen werden. Herr Dr. P. verwies zum einen darauf, die Abfindungsprüfer hätten ihre Aussagen auf der Basis der ihnen vorliegenden Unterlagen problemlos treffen können. Zum anderen muss beachtet werden, dass die S. GmbH im Jahr 2019 veräußert wurde, wodurch sich die Ergebniszahlen deutlich veränderten.
48
Die von den Abfindungsprüfern vorgenommenen Plan-Ist-Vergleiche zeigen vor allem beim EBIT deutlich Planunterschreitungen – im Geschäftsjahr 2017 wurde zwar der Planumsatz erreicht, das geplante EBIT indes um 29,4% unterschritten. Das 1. Halbjahr 2019 zeigt eine Planverfehlung von 5,5% beim Umsatz und 33,4% beim EBIT. Angesichts dessen muss in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Bewertungsgutachter von D. wie auch der Abfindungsprüfer von E. die Planung in der Vergangenheit als zumindest ambitioniert beschrieben werden.
49
(b) Zur Plausibilisierung des Ergebnisses musste keine Bewertung sum of the parts durchgeführt werden. Dies ergibt sich zum einen bereits aus der Erwägung heraus, dass die Aktionäre keinen Anspruch darauf haben, es müsse nach dem Meistbegünstigungsprinzip diejenige Bewertungsmethode angewandt werden, die für die Antragsteller die größtmögliche Kompensation ergibt. Die Aktionäre haben einen Anspruch auf eine angemessene, der Beteiligung am wirklichen Unternehmenswert entsprechende Kompensationsleistung, nicht aber auf eine möglichst hohe Abfindungszahlung (vgl. BGHZ 207, 114, 129 f. = NZG 2016, 139, 143 = AG 2016, 135, 140 = ZIP 2016, 110, 115 = WM 2016, 157, 162 = DB 2016, 160, 165 = NJW-RR 2016, 231, 236; OLG München, Beschluss vom 9.4.2021, Az. 31 Wx 2/19; OLG Düsseldorf DStR 2016, 2809, 2812; BeckRS 2019, 6564; OLG Frankfurt ZIP 2012, 124, 127). Zum anderen wies Herr Dr. P. bei seiner Anhörung nachvollziehbar darauf hin, dass diese Bewertungsmethode allenfalls zu keiner oder einer allenfalls sehr geringen Veränderung der rechnerischen Struktur führen würde. Die Vermögensgegenstände der S. O. AG bestehen nämlich im Wesentlichen aus der Beteiligung an dem R. T. T.-Teilkonzern. Zudem müssten auch hier die Verbindlichkeiten sowie der Barwert der Verwaltungskosten abgezogen und die Nettoliquidität berücksichtigt werden. Daher wird ein kaum von der Ertragswertmethode abweichendes Ergebnis über die Ermittlung sum of the parts zu erwarten sein.
50
(c) Die Prüfer konnten bei ihrer Tätigkeit ebenso wie die Bewertungsgutachter auf aktuelle Planzahlen zurückgreifen. Die Planung, die dem Prüfungsbericht zugrunde lag, entsprach dem üblichen Planungszyklus der Gesellschaft wie auch der R. T. T. AG. Bei dieser beginnt der reguläre Planungsprozess im III. Quartal eines Jahres durch die Kommunikation strategischer Zielvorgaben an die fünf in Subholding-Gesellschaften operativ tätigen Tochtergesellschaften, wobei der Vorstand der R. T. T. AG strategische Ziele und pauschale Maßnahmen zur Zielerreichung formuliert. Sodann erstellen die Geschäftsführer bottom up die jeweiligen Planungen, die halbjährlich unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung reflektiert werden. Diese Planung der R. T. T. AG wird dann entsprechend den Erkenntnissen im Prüfungsbericht durch die S. O. AG um deren Planung ergänzt. Auf diese aktualisierte Planungsrechnung, die am 31.7.2019 unter Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage wie auch der Entwicklung im Unternehmen angepasst wurde und der der Aufsichtsrat am 24.9.2019 zustimmte und die aktualisierten Planjahre 2020 und 2021 zur Kenntnis nahm, beruht die Ermittlung des Ertragswerts. Ausweislich der Stichtagserklärungen von D. und von E. gab es nach dem Ende der Bewertungs- bzw. Prüfungsarbeiten keine relevanten Veränderungen, die sich (Werterhöhend) auf den Unternehmenswert ausgewirkt hätten.
51
(2) Bei der Planung der Umsätze wie auch der sonstigen betrieblichen Erträge der R. T. T. AG besteht kein Korrekturbedarf; die getroffenen Planansätze sind plausibel.
52
(a) Dies gilt zunächst für die Annahme eines Umsatzrückgangs von 2% im Geschäftsjahr 2019. Dieser Ansatz aus der Planung stellt sich sogar als für die Aktionäre günstiger dar als das Ist-Ergebnis des Jahres 2019, wie dem von der Abschlussprüferin D. GmbH bestätigten Konzernjahresabschluss zum 31.12.2019 zu entnehmen ist. Während die Planung von einem Umsatz von € 1,081 Mrd. bei der R. T. T. AG und ihren Tochtergesellschaften ausging, erzielte diese Gesellschaft im Jahr 2019 tatsächlich Umsatzerlöse von lediglich € 1,067 Mrd. Dieses tatsächliche Ergebnis kann jedenfalls zur Plausibilisierung der Planansätze herangezogen werden. Da das Ist-Ergebnis schlechter ist als der Plan, kann daraus jedenfalls kein Rückschluss auf die fehlende Plausibilität der Planung zum Nachteil der Antragsteller gezogen werden.
53
(b) Die Annahme eines Wachstums von 1,8% p.a. in den Folgejahren steht nicht in Widerspruch zu der Aussage im Konzernabschluss des Jahres 2018 mit einer Prognose von 4% sowie zu deutlich höheren Aussagen über das organische Wachstum in Bewertungsgutachten und im Jahresabschluss zum 31.12.2018, wo gar ein Wert von 11,6% genannt wurde. Die Tabelle auf Seite 32 des Bewertungsgutachtens bezeichnet als organisches Wachstum den Anstieg der Umsatzerlöse ohne Akquisitionen für den Zeitraum von fünf Jahren ab 2014, wie Herr Su. von der Bewertungsgutachterin im Termin vom 6.5.2021 darstellte. Der Konzernabschluss zum 31.12.2018 erläutert das hohe Wachstum des Jahres 2018, weist aber gleichzeitig daraufhin, dass bereits das EBITDA der S. O. AG deutlich unter dem des Jahres 2018 liegen werde und es in den kommenden beiden Jahren in den fortgeschrittenen Ländern zu einem Rückgang des Produktionsanstiegs insgesamt kommen werde. Auch für die Schwellenländer und vor allem für China wurde von einem spürbaren Abschwächen der Konjunktur ausgegangen. Diese allgemeine Entwicklung bildete sich dann auch in der Planung mit einem Umsatzrückgang und auch im Ist-Ergebnis mit noch niedrigeren Umsatzzahlen ab.
54
Bei den Aussagen in den Lageberichten ist zu berücksichtigen, dass diese nicht nur dazu neigen, frühere Aussagen zu wiederholen, sondern auch einen gewissen Werbeeffekt verfolgen und daher nicht selten zu optimistische Prognosen enthalten. Demgegenüber sind in der Planungsrechnung Erwartungswerte zugrunde zu legen, die sich von einer Zielplanung deutlich unterscheiden.
55
Die angenommene Wachstumsrate von 3% für das organische Wachstum kann kein Maßstab für die weitere Entwicklung der Umsatzzahlen sein. Die Planansätze mussten insbesondere auch den im Jahr 2019 durchgeführten Verkauf von Jung und Schuth berücksichtigen, was zu einem Umsatzrückgang von € 35 bzw. 36 Mio. führte.
56
(c) Aus der Wachstumsprognose für den prägenden Industriegummimarkt bis 2026 von jährlich 4,8% lässt sich die mangelnde Plausibilität der Planannahmen ebenso wenig herleiten wie aus einem Vergleich mit den Wachstumsraten der in die Peer Group aufgenommenen Unternehmen. Bei seiner Anhörung wies der Abfindungsprüfer daraufhin, es könne keinen Anspruch geben, dass ein Unternehmen stets eine Wachstumsrate wie die Wettbewerber erzielen könnte. Dies muss in gleicher Weise auch für den gesamten Markt gelten. Herr Dr. P. stellte vor allem auch heraus, dass in der Vergangenheit die Margen der R. T. T. AG unterhalb der Margen der Peer Group lagen. Dann aber ist der vom Abfindungsprüfer gezogene Schluss, aus der Marktanalyse ergebe sich kein Anhaltspunkt für eine verzerrte Planung, nachvollziehbar. Gerade wenn in Kreisen der Finanzanalysten von steigenden Wachstumsraten für die Unternehmen aus der Peer Group ausgingen, muss die Zielsetzung, bei der R. T. T. AG eine EBIT-Marge von 8% in der Ewigen Rente zu erreichen als deutlich ambitioniert angesehen werden, nachdem diese in den Jahren der Vergangenheitsanalyse bei der R. T. T. AG 5,5% und 3,4% in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 betrug sowie bei 5,2% im 1. Halbjahr 2019 lag.
57
(d) Die in den sonstigen betrieblichen Erträgen der S. O. AG enthaltenen Weiterbelastungen für bei der Antragsgegnerin als Verwaltungsaufwendungen erfasste Aufwendungen können auch dann nicht als unplausibel eingestuft werden, wenn die S. O. AG ihre gesamten Personalkosten durch den Verkauf der S. GmbH an die R. T. T. AG weiterleiten konnte. Die Leistungen wurden für die R. T. T. AG erbracht und dann erstattet. Angesichts dessen liegt ein Nullsummenspiel vor, das keine Auswirkungen auf den Ertragswert der S. O. AG als Konzernobergesellschaft haben kann.
58
Im Verlauf seiner Anhörung wies Herr Dr. P. darauf hin, mit den Verantwortlichen die Notwendigkeit dieses Verwaltungsapparats diskutiert und auch hinterfragt zu haben. Die Aufgaben würden in Zukunft eher zunehmen, weshalb es auch keine Planung gab, an der Struktur etwas zu verändern. Damit aber muss nach der Wurzeltheorie dieses Konstrukt auch der künftigen Planung zugrunde gelegt werden. Danach sind nur solche Faktoren zu berücksichtigen, die zu den am Stichtag herrschenden Verhältnissen bereits angelegt waren (vgl. nur BGHZ 138, 136, 140; 140, 35, 38 = NZG 1999, 70, 71; BGH NZG 2016, 139, 143 = AG 2016, 135, 141 = ZIP 2016, 110, 115 = WM 2016, 157, 162 = = BB 2016, 304, 305 = DB 2016, 160, 165 = NJW-RR 2016, 231, 236 = DStR 2016, 424, 427 = MDR 2016, 337, 338; OLG München AG 2015, 508, 511 = ZIP 2015, 1166, 1169; OLG Frankfurt AG 2016, 551, 553; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2224; OLG Stuttgart NZG 2007, 478, 479; AG 2008, 510, 514; LG München I, Urteil vom 18.1.2013, Az. 5HK O 23928/09; Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5 HK O 22657/12; Beschluss vom 6.3.2015, Az. 5HK O 662/13; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16585715; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Riegger in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., Anh § 11 SpruchG Rdn. 10; Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S.352; Riegger/Wasmann in: Festschrift für Goette, 2011, S. 433, 435; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., Rdn. 315). Angesichts einer fehlenden Planung zur Änderung der Strukturen kann nicht davon ausgegangen werden, es sei bereits mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit eine solche Entwicklung in diese Richtung einer Strukturveränderung bei den Verwaltungskosten vorauszusehen gewesen.
59
(3) Bei den Aufwendungen sind Korrekturen der Planung nicht veranlasst.
60
(a) Eine Reduktion der Aufwendungen um die Holdingkosten bei der S. O. AG musste nicht erfolgen, auch wenn die einzige operativ tätige Tochtergesellschaft R. T. T. AG selbst eine Finanz- und Führungsholding ist. Die Struktur eines Unternehmens und dabei insbesondere auch einer Obergesellschaft stellt sich als unternehmerische Entscheidung dar, die von der Mehrheitsaktionärin, aber auch von den Minderheitsaktionären hingenommen werden muss. Die Festlegung der Art und Weise der Steuerung und insbesondere auch die Ursache für das Entstehen von Holdingkosten unterliegt der Führungsverantwortung des Vorstands im Sinne des § 76 Abs. 1 AktG.
61
(b) Ungeachtet der Struktur als Holdinggesellschaft muss die Entwicklung der Personalkosten im Umfang von 2% bei der S. O. AG mit einer Annahme von Gehaltserhöhungen und eines Personalabbaus als plausibel eingestuft werden. Der Abfindungsprüfer verwies nämlich nachvollziehbar auf die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt in München, wo ein hoher Arbeitskräftebedarf bestand und bei dem vorhandenen „Kampf um Talente“ ein moderater Anstieg der Personalkosten von 2% als plausibel bezeichnet werden muss, nachdem auch die Holdinggesellschaft tüchtige Mitarbeiter für die Bereiche Steuern, Finanzierung und Controlling benötigt. Für den Ansatz einer Doppelstruktur der Gestalt, dass es Mitarbeiter mit denselben Zuständigkeiten bei der Gesellschaft wie auch der R. T. T. AG geben könne, sah Herr Dr. P. keinerlei Ansatzpunkte, nachdem dies bedeuten würde, dass dieselbe Arbeit doppelt gemacht würde. Auch der Kammer erscheint ein derartiges Vorgehen mit Doppelzuständigkeiten für dieselbe Tätigkeit nicht nachvollziehbar.
62
(4) Die Aufwandsplanung der R. T. T. AG muss angesichts ihrer Plausibilität nicht angepasst werden.
63
(a) Dies gilt zunächst für die Ermittlung der Personalkosten im Detailplanungszeitraum die von € 317 Mio. im Jahr 2018 auf € 341 Mio. im Jahr 2019 ansteigen sollen. Dabei kommt es nur von 2018 auf 2019 zu einem größeren Sprung, während im Jahr 2020 sogar mit einem leichten Rückgang um 0,2% und anschließend einem geringfügigen Anstieg um 0,6% auf € 341 Mio. gerechnet wird. Der deutliche Anstieg beruht auf dem Ausbau von Servicekräften für den Bereich „Material Processing“, während danach der Personalaufwand in Phase I nahezu konstant bleiben soll, während der Umsatz im Verlaufe der Detailplanungsphase doch stärker wachsen soll als der Personalaufwand – von € 1,081 Mrd. auf € 1,12 Mrd., mithin um 3,6%, wenn das Jahr 2019 als Basisjahr herangezogen wird.
64
(d) Die Planannahmen ließen bei den sonstigen betrieblichen Aufwendungen die Verluste aus dem wegen der Unmöglichkeit der Vorhersehbarkeit der Entwicklung auf den Finanzmärkten denkbaren Abgang von Finanzanlagen und die Aufwendungen aus den Wechselkursverlusten tatsächlich außer Betracht, weshalb die Ansätze in der Planung zu dieser Kostenposition zutreffend erfolgten. Sie wurden im Ertragswertmodell tatsächlich eliminiert, wie Herr Dr. P. im Termin vom 6.5.2021 ausführte.
65
(e) Die Investitionsquote muss im Planungszeitraum nicht niedriger sein als im Zeitraum des Wachstums durch Zukäufe in der Vergangenheit. Allerdings erfolgte die Ableitung der Investitionssumme nicht in absoluten Zahlen, sondern ausschließlich mit Quoten in Relation zu den Umsatzerlösen. Im Rahmen ihrer Prüfung konnten die Abfindungsprüfer keinen strukturellen Zusammenhang zwischen Umsatzveränderungen und Investitionssummenveränderungen feststellen. Angesichts dessen konnten sie – worauf Herr Dr. P. bei seiner Anhörung hinwies – den Durchschnitt über einen längeren Zeitraum als Basis für die Detailplanungsphase heranziehen, nachdem die Umsatzplanung auch keine Akquisitionen abbildet und ohne größere Sprünge stabil verläuft.
66
(5) Beim Finanzergebnis wie auch bei der Steuerplanung sind Korrekturen nicht angezeigt.
67
(a) Die Annahme eines Zinsergebnisses von 0 in allen Jahren der Detailplanungsphase ist zutreffend ermittelt. Die Gesellschaft ist (fiktiv) unverschuldet, muss also keine Sollzinsen begleichen und verfügt über betriebsnotwendige Liquidität, für die ein Habenzins von 0% angesetzt wurde. Dann aber muss das Zinsergebnis mit 0 angesetzt werden. Eine fiktive Zurechnung als Wertbeitrag aus Thesaurierung in Phase I erfolgte nicht. Dieser Ansatz erklärt sich aus dem Zusammenhang zwischen der BilanzG+V-Rechnung und einer Kapitalflussrechnung.
68
Dem steht auch nicht die Ausschüttung von € 5,2 Mio. p.a. als Mindestgarantie Dividende auf 70 Mio. Vorzugsaktien und die Thesaurierung des restlichen Jahresüberschusses entgegen. Das Umsatzwachstum belief sich auf etwa 1%, was zu einem Anstieg beim Working Capital – also von Forderungen und Vorräten sowie von Kreditoren – führt. Investitionen müssen finanziert werden, weshalb Jahr für Jahr ein entsprechender Kapitalbedarf zu decken ist, für den weder Schulden noch eine Reduktion des Kassenbestandes seitens der Gesellschaft in Erwägung gezogen wird. Der Liquiditätsbedarf beläuft sich konstant auf rund € 90 Mio. an betriebsnotwendiger Liquidität. Der gegebene Kapitalbedarf von etwa € 10 Mio. wird weitgehend durch die Thesaurierung finanziert, wobei es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelt, inwieweit ausgeschüttet oder thesauriert wird, worüber dann von einer Hauptversammlung bei dem Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns mit Mehrheit entschieden wird. Durch eine Zurechnung auch der fiktiven Ausschüttung erleiden die Minderheitsaktionäre keinen Nachteil, wie Herr Dr. P. bei seiner Anhörung überzeugend erläuterte. Wesentlich ist nämlich für die Unternehmensbewertung, inwieweit die Bankverbindlichkeiten vollständig mit den thesaurierten Mitteln beglichen werden oder ob ein Teil in der Kasse bleibt. Aus einer Analyse des Einzelabschlusses der S. O. AG wie auch der R. T. T. AG ergibt sich indes, dass der Zinsaufwand strukturell stets höher war als die Zinserträge samt Dividende, wobei es sich jeweils um Millionenbeträge handelte. Daher erleiden die Minderheitsaktionäre durch die fiktive Zurechnung auch der Ausschüttung keinen Verlust.
69
(b) Die Steuerquoten der S. O. AG mit 64,6%, 59,0% und 53,3% in Phase I wurden nicht zu hoch angesetzt, auch wenn die vielen Einzelgesellschaften grob gerechnet – wie auch die bei der Gesellschaft im Übergangsjahr und im Terminal Value angesetzte – Steuerquote von rund 30% aufweisen. Die R. T. T. AG erzielt auf ihrer Ebene kein positives steuerliches Ergebnis; auf ihrer Ebene bleibt der Steueraufwand unverändert. Ihr Ergebnis vor Steuern sinkt aber durch die eigenen Aufwendungen, weshalb ihr EBIT kleiner wird, weshalb die Steuerquote dann zwangsläufig steigen muss. Auf der innerhalb der Gesamtkonzernstruktur noch höher angesiedelten Ebene der S. O. AG kommt es in Folge ihrer Struktur wiederum zu keinem positiven Ergebnis, aber zu weiteren Aufwendungen. Daher kommt es nochmals zu einem sinkenden Ergebnis vor Steuern. Folglich entsteht aus dem plausiblen Ansatz auf der Ebene der Enkel- und Urenkelgesellschaften eine Stück für Stück höhere Steuerquote, je weiter man auf der Konzernebene nach oben kommt.
70
Zum maßgeblichen Stichtag der Hauptversammlung gab es nach den im Verlaufe der Prüfung gewonnen Erkenntnisse von Herrn Dr. P. und Herrn Dr. R. gewonnen Erkenntnisse keine Überlegungen, die eine Verbesserung dieser Struktur als in der Wurzel angelegt und damit den Ansatz einer niedrigeren Steuerquote bereits in Phase I als angezeigt erscheinen ließen. In einem Zeitraum von drei bis vier Jahren vor dem Stichtag gab es zwar den Versuch einer einvernehmlichen Lösung des Problems, wobei in erster Linie die steuerliche Organschaft diskutiert wurde. Dann aber wäre es aufgrund der Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG auch zu einer Verpflichtung zur Verlustübernahme gekommen, weil die steuerliche Organschaft nach diesen gesetzlichen Vorgaben das Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrages im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG voraussetzt – eine allenfalls faktische Konzernierung genügt für die Anerkennung der steuerlichen Organschaft nicht (vgl. Simon ZGR 2007, 71, 73). Zum anderen käme es dadurch letztlich nur zu einer Verlagerung der Problematik auf die Ebene der R. T. T. AG. Angesichts der Notwendigkeit der Aufteilung von Aufwendungen auf viele Einzelgesellschaften in sehr vielen Ländern wäre eine rasche Umsetzung nicht möglich gewesen. Ungeachtet dessen gingen die Bewertungsgutachter von D. im Übergangsjahr wie auch in der Ewigen Rente von einer solchen Umsetzung aus, was bewertungstheoretisch zweifelhaft sein mag, sich aber nicht zum Nachteil der außenstehenden Antragsteller auswirkt und deshalb auch vom Abfindungsprüfer nicht beanstandet wurde. Die niedrigere Steuerquote im Konzernabschluss zum 31.12.2019 mit 39,2% vermag daran nichts zu ändern. Sie beruht auf hohen sonstigen betrieblichen Erträgen infolge der Veräußerung der L.-Aktien; im R. T. T. Teilkonzern kam es zu einer im Vergleich zum Planansatz von 56,3% sogar einer leicht höheren Quote von 57,3% im Ist. Aus dem Konzernabschluss der Gesellschaft kann kein Rückschluss auf die Fehlerhaftigkeit der Steuerquoten in der Detailplanungsphase gezogen werden, weil das Bewertungsmodell eine fiktive Ausschüttung und eine Schuldentilgung unterstellte, wofür auch die im Laufe des Jahres 2019 veräußerten Aktien herangezogen wurden. Eine Korrektur der Steuerquote würde zu einer unzulässige Doppelberücksichtigung dieser Tatsache führen.
71
(c) Die Steuerplanung verkennt nicht, dass der weitaus größte Teil der nicht gegen Gewinne der Tochtergesellschaften verrechenbaren Aufwendungen der Holding aus Rechts- und Beratungskosten und damit aus nicht jährlich anfallenden Sonderaufwendungen stammt. Der Abfindungsprüfer erläuterte nämlich im Termin vom 6.5.2021, dass die extrem hohen Beratungskosten, die im Jahr 2018 aus dem Verkauf der S. GmbH resultierten, eliminiert wurden und folglich nicht in die Planung eingeflossen sind.
72
(d) Aktive latente Steuern mussten nicht zu einer Verminderung der Steuerlast führen, weil sie ebenso wie passive latente Steuern nicht zahlungswirksam sind und folglich für die Unternehmensbewertung ohne Bedeutung bleiben müssen.
73
(6) Die vorgenommenen Ansätze einer einjährigen Konvergenzphase und für die sich ab 2023 ff. anschließende Ewige Rente erfolgten sachgerecht.
74
(a) Der Ansatz des Übergangsjahres war erforderlich, weil im Jahr 2022 noch nicht von einem eingeschwungenen Zustand ausgegangen werden konnte. Dies ist erst dann der Fall, wenn sich Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bewertungsobjektes am Ende von Phase I im sogenannten Gleichgewichts- oder Beharrungszustand befinden und sich die zu kapitalisierenden Ergebnisses annahmegemäß nicht mehr wesentlich verändern bzw. mit einer konstanten Rate, der mit dem Wachstumsabschlag im Kapitalisierungszinssatz Rechnung getragen wird, verändern. Dabei zeichnet sich die Ewige Rente durch die Berücksichtigung langfristiger Entwicklungstendenzen bei der Projektion der in der Detailplanungsphase gewonnenen Erkenntnisse aus (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.9.2011, Az. 20 W 7/08 – zit. nach juris; LG München I, Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16; Simon/Leverkus in: Simon, SpruchG, 1. Aufl., Anh. § 11 Rdn. 72; Paulsen in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 305 Rdn. 119). Der bei der R. T. T. AG für den Terminal Value sprunghafte Zuwachs bei der EBIT-Marge von etwa 4,6% am Ende der Detailplanungsphase auf 8% und von 3,7% ohne Firmenwertabschreibung bei der S. O. AG auf 6,7% ist in Übereinstimmung mit den Abfindungsprüfern ohne die Zwischenschaltung eines Übergangsjahres nicht sachgerecht. Nachdem die Gesellschaft im Zeitraum der Vergangenheitsanalyse in 2017 und 2018 eine normalisierte EBIT-Marge von 2,4% und 3,1% erzielte, die sich in Phase I zum Teil sogar rückläufig entwickelte, ist eine solche Entwicklung, bei der es nahezu zu einer Verdoppelung kommen soll, nicht nachvollziehbar, weshalb ein Übergangsjahr sachgerecht ist. Allerdings muss selbst bei einer EBIT-Marge von 8% bei der R. T. T. AG in der Ewigen Rente davon ausgegangen werden, dass diese bei einer realistischen Betrachtung unter Zugrundelegung von Erwartungswerten kaum erzielbar sein wird, nachdem diese Marge nur auf einer äußerst optimistischen Zielgröße des Vorstandes beruht, worauf Herr Dr. P. bei seiner Anhörung hinwies. Mit Ausnahme dieser Zielgröße sah er letztlich keine Rechtfertigung für diese EBIT-Marge, die zu einer deutlichen Erhöhung des Ertragswerts führt.
75
(b) Eine Korrektur der nachhaltigen Investitionsquote von 3% um Akquise- und Erweiterungsinvestitionen musste nicht erfolgen, weil das Investitionsvolumen nicht aus absoluten Zahlen abgeleitet wurde, sondern vielmehr mit Prozentsätzen gearbeitet wurde, die eine entsprechende Bereinigung entbehrlich machen, wie der gerichtlich bestellte Abfindungsprüfer darstellte.
76
(c) Die Struktur der Holdingkosten durfte auch dem Ansatz in der Ewigen Rente zugrunde gelegt werden. Ihre Eliminierung war – wie oben ausgeführt – nicht in der Wurzel angelegt und stünde damit in Widerspruch zum eingeschwungenen Zustand.
77
(7) Die Behandlung der fiktiven Überschussliquidität erfolgte ebenso sachgerecht wie die Behandlung der Thesaurierung in der Detailplanungsphase und der Ewigen Rente, weshalb es zu keinen Anpassungen kommen muss.
78
(a) Die fiktive Ausschüttung der Überschussliquidität in Höhe von € 403 Mio. zum bewertungstechnischen Stichtag mit einer Aufzinsung mit dem Kapitalisierungszinssatz zum Stichtag der Hauptversammlung erfolgte sachgerecht.
79
(aa) Das Ertragspotential der in der S. O. AG vorhandenen Liquidität ist in der Unternehmensplanung und damit in der Unternehmensbewertung nicht vollständig abgebildet, weshalb die Bewertungsgutachter von D. in Übereinstimmung mit dem Abfindungsprüfer eine angemessene Mittelverwendungsannahme treffen konnten, die in Einklang mit der langfristigen Finanzierungspolitik des Unternehmens steht und als Sonderwert abgebildet wurde.
80
Zum 31.12.2018/1.1.2019 bestand bei der S. O. AG eine Überschussliquidität in einem Umfang von insgesamt € 932 Mio., die sich aus zum 31.12.2018 ausgewiesenen Anleihen, den Wertpapieren des Anlagevermögens, sonstigen Wertpapieren einschließlich stiller Reserven sowie Guthaben bei Kreditinstituten zusammensetzte. Die Finanzierungsplanung der Gesellschaft sah die Rückführung bestehender Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten und eines Kontokorrent in Höhe von insgesamt € 361 Mio., gegenüber verbundenen Unternehmen in Höhe von € 125 Mio., die Berücksichtigung des S.Stiftungsdarlehens von 12 Mio. sowie von Pensionsverbindlichkeiten in Höhe von € 18 Mio. sowie die Ausschüttung für 2018 von € 13 Mio. vor, weshalb ein nicht betriebsnotwendiges Vermögen in Höhe von € 403 Mio. nach der Fremdkapitalverrechnung verblieb. Unter Berücksichtigung dieser Tilgungsannahmen weist die S. O. AG dann aber insbesondere keine Verschuldung, aber auch keine Finanzmittel mehr auf, weshalb das Finanzergebnis konsequenterweise auch mit „0“ anzusetzen war. Bei der Ermittlung der ausschüttbaren Überschussliquidität konnte auf die zum Bewertungsstichtag zum 01.01.2019 auf die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Assets abgestellt werden. Dieser Ansatz sowohl der Bewertungsgutachter von D. wie auch der Abfindungsprüfer von E. berücksichtigt intertemporale Wertveränderungen durch die Aufzinsung des gesamten Buchwertes mit dem Kapitalisierungszinssatz. Ein stichtagsbezogener Ansatz des Marktwertes am 3.12.2019 ließe sich bei der S. O. AG angesichts der Struktur des Konzerns nicht darstellen. Herr Dr. P. verwies zur Begründung nachvollziehbar auf die im Konzernabschluss enthaltene Kapitalflussrechnung mit einem Cash flow aus operativer Geschäftstätigkeit von rund € 49 Mio. und einem negativen Cash flow aus Finanzierung von € 5 Mio. Angesichts der Notwendigkeit der Betrachtung eines Zeitraums von rund elf Monaten zwischen dem bewertungstechnischen Stichtag und dem Tag der Hauptversammlung am 3.12.2019 ist nicht zu erkennen, wie einzelne Wertveränderungen gegenüber Zugängen in der Kasse und aus dem operativen Geschäft sachgerecht einfließen könnten.
81
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die Gesellschaft verfüge angesichts eines erheblichen Anteils an Wertpapieren im Anlagevermögen nicht über die erforderliche Liquidität. Bei der Unternehmensbewertung wird methodisch davon ausgegangen, dass sich thesaurierte Mittel verzinsen, weshalb sich am Jahresende die Abzinsungswirkung neutralisiert. Demzufolge tritt auf Unternehmensebene keine Wertveränderung ein.
82
(bb) Der Ansatz der persönlichen Steuerbelastung bei der hypothetischen Ausschüttung ist nicht fehlerhaft. Eine kapitalwertneutrale Wiederanlage durch beispielsweise zu unterstellende Aktienrückkäufe auch für thesaurierte Mittel in der Ewigen Rente war nicht zu unterstellen, wie Herr Dr. P. erläutert hat. Eine Aktiengesellschaft kann auf keine Art und Weise Gelder ausschütten, ohne dass dies von Aktionären zu versteuern wäre. Zudem ist aus dem Vortrag der Beteiligten nicht erkennbar, inwieweit bei der Gesellschaft die aktienrechtlichen Voraussetzungen für einen Erwerb eigener Aktien über ein Aktienrückkaufprogramm überhaupt erfüllt waren. Ebenso wenig lässt sich eine Kapitalherabsetzung steuerfrei durchführen. Aufgrund von § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG gehören Bezüge, die aufgrund einer Kapitalherabsetzung anfallen und als Gewinnausschüttung im Sinne des § 28 Abs. Satz 2 und Satz 4 KStG gelten, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Mit einer kapitalwertneutralen Wiederanlage ließe sich auch der Effekt aus der Ausschüttung der Überschussliquidität nicht erzielen, so dass der gewählte Ansatz werterhöhend wirkt. Zudem ergibt sich aus dem Bewertungsgutachten entsprechend auch den Ausführungen von Herrn Su. eindeutig, dass für die Ausschüttung der Überschussliquidität nur der halbe Steuersatz angesetzt wurde, nachdem die Abgeltungssteuer mit gerundet € 53 Mio. in die Unternehmensbewertung eingeflossen ist. Dieser Wert entspricht dem hälftigen Zinssatz der Abgeltungssteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag.
83
(b) Anpassungsbedarf kann für die in Phase I angenommenen Thesaurierungsquoten von 73,3% in 2019 und 2020 sowie von 80% in 2021 nicht bejaht werden, auch wenn die Quoten in der Vergangenheit niedriger waren und es ein vergleichsweise geringes Umsatzwachstum gab. Zwar wird regelmäßig davon ausgegangen, dass sich der Umfang der Ausschüttungen bzw. Thesaurierung in der Planungsphase I an den konkreten Planungen der Gesellschaft zu orientieren hat (vgl. nur LG München I, Beschluss vom 24.5.2013, Az. 5 HK O 17095/11, S. 37; Beschluss vom 6.11.2013, Az. 5 HK O 2665/12; Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5 HK O 22657/12; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 29.8.2018, 5HK O 16585/15; Beschluss vom 26.7.2019, Az. 5HK O 13831/17). Allerdings war eine Ausschüttungsplanung bei der Gesellschaft so nicht vorhanden, weshalb die Bewertungsgutachter Annahmen treffen mussten, die die Abfindungsprüfer zutreffend als sachgerecht beschrieben. Zinsaufwendungen fehlen bei der Gesellschaft. Es gab aber die Entscheidung zur Minderung der Finanzschulden als Folge der Veräußerung der S. GmbH. Darüber hinaus muss ein bestimmter Teil der vorhandenen Liquidität als betriebsnotwendig angesehen werden, wobei dieser Wert bei etwa € 90 Mio. liegt. Der Betrag von € 90 Mio. an betriebsnotwendiger Liquidität leitet sich nachvollziehbar über zwei Ebenen ab – zum einen verwies Herr Dr. P. auf Erfahrungswerte, zum anderen nannte er die Struktur der Gesellschaft mit vielen Einzelgesellschaften auf operativer Ebene und deren entsprechenden Kapitalbedarf. Dieser Betrag liegt auch nicht deutlich über dem geplanten Monatsbedarf für Materialaufwand und Personal und entspricht damit auch den Erfahrungen des Abfindungsprüfers. Zudem war die fiktive Ausschüttung der vorhandenen Überschussliquidität zu berücksichtigen.
84
(c) Die im Übergangsjahr wie auch in der Ewigen Rente angesetzte Ausschüttungsquote von 50% ist als angemessen einzustufen. Da in Terminal Value keinesfalls auf eine Unternehmensplanung zurückgegriffen werden kann, ist es sachgerecht, auf den Durchschnitt der Marktteilnehmer abzustellen (vgl. OLG München AG 2015, 508, 511 = ZIP 2015, 1166, 1170; OLG Stuttgart AG 2011, 560, 563; LG München I AG 2020, 222, 224; Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5 HK O 22657/12; Beschluss vom 29.8.2014, Az. 5HK O 7455/13; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 13671/13; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/15; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; Beschluss vom 30.5.2018, Az. 5HK O 10044/16). Der Kammer sind die marktüblichen Werte auch aus anderen Spruchverfahren bekannt, weshalb gegen den Ansatz einer innerhalb der genannten Bandbreite von Ausschüttungsquoten, die zwischen 40 und 60% bzw. 70% liegt, angesiedelte Ausschüttungsquote von 50% keine Bedenken bestehen.
85
(d) Der Abzug eines Betrags von 1% bezogen auf das wirtschaftliche Eigenkapital zum Ende des nachhaltigen Jahres zur Finanzierung des nachhaltigen Wachstums erfolgte sachgerecht. Die im nachhaltigen Ergebnis angesetzte Thesaurierung in dieser Höhe berücksichtigt, dass das mit dem langfristig erwarteten Wachstum der G+V-Rechnung bzw. der Überschüsse einhergehende Wachstum der Bilanz entsprechend finanziert werden muss. Demgemäß bedingt das nachhaltige Wachstum der finanziellen Überschüsse auch ein entsprechendes Wachstum der Bilanz, was entweder über Eigenkapital erfolgen kann oder aber durch Fremdkapital aufgebracht werden muss. Für die Finanzierung über das Eigenkapital müssen zu dessen Stärkung Erträge thesauriert werden. Die Alternative der Finanzierung über Fremdkapital würde zwangsläufig das Zinsergebnis (negativ) beeinflussen. Ein Wachstum ohne den Einsatz zusätzlicher Mittel ist folglich nicht möglich; nachhaltiges Gewinnwachstum kommt ohne Finanzierung nicht in Betracht (so ausdrücklich: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2012, Az. 12 W 66/06 – zit. nach juris; OLG München AG 2020, 440, 442 = WM 2020, 1028, 1032; Beschluss vom 9.4.2021, Az: 31 Wx 2/19; LG München I, Beschluss vom 6.3.2015, Az. 5HK O 662/13; Beschluss vom 16.4.2019, 5HK O 14963/17; auch Dörschell/Franken/Schulte, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2. Aufl., S. 326 f.). Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei einer sich im eingeschwungenen Zustand befindlichen Gesellschaft die Kapitalstruktur in der Ewigen Rente konstant bleiben soll. Auch dies spricht für die Notwendigkeit des Ansatzes eines entsprechenden thesaurierungsbedingten Wachstums.
86
(e) Die Ansätze der Besteuerung der thesaurierten Beträge erfolgten sachgerecht.
87
(aa) Der Ansatz einer typisierten Einkommensteuer auf den Wertbeitrag aus Thesaurierung mit dem hälftigen Steuersatz zuzüglich des Solidaritätszuschlages ist angemessen. Die Festlegung eines Steuersatzes bedarf typisierender Annahmen. Aus empirischen Studien, die es wenigstens in den Vereinigten Staaten von Amerika, wenn auch nicht für Deutschland gibt, erkennt man eine Haltedauer zwischen 25 und 30 Jahren. Auch wenn diese lange Dauer entsprechend den Erkenntnissen der Kammer aus anderen Spruchverfahren mit der Existenz von sehr langfristig engagierten Pensionsfonds zusammenhängt und dies für Deutschland nicht zwingend sein mag, kann es beim angesetzten Steuersatz bleiben. Dem lässt sich insbesondere auch nicht die Regelung aus § 52 a Abs. 10 EStG entgegenhalten. Ohne eine typisierende Betrachtung ließe sich nämlich ein einheitlicher Unternehmenswert nicht festlegen. Die Verwendung typisierter Steuersätze ist die notwendige Folge der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts und folglich unvermeidbar. Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, wenn eine inländische unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person als Anteilseigner angenommen wird. Wenn für Stichtage nach dem 1.1.2009 im Rahmen der Ermittlung der Zuflüsse an die Anteilseigner von der Besteuerung der Veräußerungsgewinne auszugehen ist, im Einzelfall aber ein Anteilsinhaber einen steuerfreien Veräußerungsgewinn haben kann, so muss dies bei der notwendigen Typisierung außer Betracht bleiben (vgl. OLG München NJW-RR 2014, 473, 474; AG 2015, 508, 511 f. = ZIP 2015, 1166, 1170; Beschluss vom 18.6.2014, Az. 31 Wx 390/13; Beschluss vom 3.12.2020, Az. 31 Wx 330/16; OLG Frankfurt AG 2020, 954, 957; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 728; AG 2014, 208, 211; Beschluss vom 18.12.2009, Az. 20 W 2/08; LG München I, Beschluss vom 21.6.2013, Az. 5HK O 19183/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/16; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Beschluss vom 29.8.2018, Az. 5HK O 16585/15; Kunowski/P. in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 1060 f.; in diese Richtung auch Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 488 ff., insbesondere 491). Ein Abstellen auf die individuelle Haltedauer und die individuellen Steuersätze eines jeden einzelnen Aktionärs – gegebenenfalls auch mit Sitz im Ausland – würde eine Unternehmensbewertung unmöglich machen, zumal die Gesellschaft über Inhaberaktien verfügt und folglich die Aktionäre nicht einmal namentlich bekannt sind. Angesichts dessen ist die hier vorgenommene typisierende Betrachtung unausweichlich und rechtlich unbedenklich.
88
Dem kann nicht entgegengehalten werden, vorliegend hätten alle Aktionäre die von ihnen gehaltenen Aktien bereits vor dem Inkrafttreten des aktuellen steuerlichen Regimes der Abgeltungssteuer erworben, weshalb aufgrund von § 52 a Abs. 10 EStG ein Veräußerungsgewinn nicht steuerpflichtig sei. Gegenstand der Bewertung ist nämlich nicht, was ein Aktionär mit dem Veräußerungserlös macht. Vielmehr muss ein objektivierter Unternehmenswert ermittelt werden, für den gerade nicht nach dem Zeitpunkt des Erwerbs differenziert wird. Ein Erwerber der Aktien wird nach dem 1.1.2009 bei der Beurteilung seiner eigenen Kaufbereitschaft die Notwendigkeit der Besteuerung eines bei ihm anfallenden Veräußerungsgewinns einbeziehen. Angesichts dessen ist es auch in der hier vorliegenden Ausnahmesituation gerechtfertigt, die Veräußerungsgewinnbesteuerung zu berücksichtigen. Hierfür spricht zudem das Äquivalenzprinzip, wonach es nicht gerechtfertigt sein kann, nur im Zähler eine Berechnung ohne persönliche Ertragsteuern vorzunehmen und dies dann nicht auch im Nenner beim Kapitalisierungszinssatz vorzunehmen.
89
(bb) Allerdings muss auch eine effektive Ertragsteuer auf inflationsbedingte Wertsteigerung in das Bewertungskalkül einfließen. Soweit die Kammer hierzu in der Vergangenheit die gegenteilige Auffassung vertreten hat (vgl. LG München I, Beschluss vom 29.8.2028, Az. 5HK O 16585/15; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; auch LG Dortmund, Beschluss vom 26.8.2019, Az. 20 O 4/12) wird daran nicht mehr festgehalten. Die Berücksichtigung einer effektiven Ertragssteuer führt zu einer besseren Annäherung an den „wahren“ oder „wirklichen“ Unternehmenswert. Dies beruht zunächst auf der Erwägung, dass der Teil des Unternehmenswertes, der auf laufenden operativen Gewinnen beruht, den Anteilseignern über eine fiktive Vollausschüttung zugerechnet wird. Im Terminal Value steigt der Unternehmenswert aber nicht nur durch diese laufenden operativen Gewinne, sondern auch inflationsbedingt. Auch diese Wertsteigerung steht den Aktionären zu, die aber konsequenterweise ebenso wie die Dividende in Phase I und thesaurierungsbedingte Wertsteigerungen in der Ewigen Rente um die persönlichen Steuern zu kürzen sind. Soweit Steuern abfließen, kann dieser Teil des Unternehmenswerts den Anteilseignern nicht fiktiv als Nettozufluss zugerechnet werden. Die von der Kammer bislang als Argument für die unterbliebene Berücksichtigung angeführte Inkonsistenz zwischen Zähler und Nenner im Bewertungskalkül kann nach nochmaliger Überprüfung nicht aufrechterhalten werden. Erst durch die Berücksichtigung der Besteuerung inflationsbedingter Kursgewinne kann das sogenannte Steuerparadoxon vermieden werden. Die Marktrisikoprämie im Nenner wird aus nominellen, empirisch am Markt beobachtbaren Aktienrenditen abgeleitet, in denen alle Wachstumsaspekte enthalten sind, mithin auch inflationsbedingtes Wachstum. Bei einer Umrechnung des Vor-Steuerin den Nach-Steuerwert werden also auch die inflationsbedingten Kursveränderungen hiervon erfasst. Wenn aber im Nenner (implizit) das inflationsbedingte Wachstum berücksichtigt ist, muss dies dann konsequenterweise auch bei den Überschüssen im Zähler folgen. Folglich kann von einer Inkonsistenz zwischen Zähler und Nenner nicht ausgegangen werden. Ebenso wenig liegt darin ein Widerspruch zwischen der grundsätzlichen Annahme einer unbegrenzten Lebensdauer des zu bewertenden Unternehmens einerseits und einer Besteuerung von tatsächlich nur durch Veräußerung zu realisierenden Kursgewinnen. Es handelt sich hierbei um eine bewertungstheoretische Annahme, ohne die den Aktionären wesentliche Teile des Unternehmensvermögens vorenthalten würden (so OLG München, Beschluss vom 3.12.2020, Az.: 31 Wx 330/16; Beschluss vom 9.4.2021, Az. 31 Wx 2/19; OLG Frankfurt AG 2020, 954, 956; Popp/Ruthardt in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl., § 12.150 ff.; WP Handbuch 2014, Band 2, Rdn. 399; P. Der Konzern 2019, 149, 153 ff.; Laas WPg 2020, 1256, 1258 ff.).
90
Angesichts dessen stellen sich die Jahresüberschüsse der S. O. AG folgendermaßen dar:
Ergebnis nach Steuern
|
|
|
403
|
15
|
15
|
[20]
|
[36]
|
51
|
|
(Wachstums-) Thesaurierung
|
|
|
|
(11)
|
(11)
|
(16)
|
(2) (7)
|
|
Ausschüttung
|
|
|
403
|
4
|
4
|
[4]
|
[33]
|
[44]
|
|
Abgeltungssteuer
|
26,38%
|
|
(53)
|
(1)
|
(1)
|
(1)
|
(9) (12)
|
|
Zufluss Anteilseigner
|
|
|
350
|
3
|
3
|
[3]
|
[25]
|
[32]
|
|
Thesaurierung Ewige Rente
|
50,00%
|
|
|
|
|
|
(17)
|
|
Steuereffekt Thesaurierung Ewige Rente
|
13,19%
|
|
|
|
|
|
[2]
|
[2]
|
|
Abzuzinsender Betrag
|
|
|
350
|
3
|
3
|
[3]
|
[27]
|
[34]
|
|
Eigenkapitalkosten
|
|
|
5,23%
|
5,23%
|
5,23%
|
5,23%
|
5,23%
|
4,23%
|
|
Barwertfaktoren
|
|
|
1,00
|
0,95
|
0,90
|
0,86
|
0,82 19,31
|
Barwerte
|
|
|
350
|
3
|
3
|
[3]
|
22 622
|
Ertragswert zum 31.12.2018
|
|
|
1.042
|
|
|
|
|
|
|
Aufzinsungsfaktor
|
|
|
1,048
|
|
|
|
|
|
|
Ertragswert zum 3.12.2019
|
|
|
1.092
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
91
b. Für Anpassungen des Kapitalisierungszinssatzes sieht die Kammer vorliegend keinen Anlass.
92
Der Wert der so ermittelten Überschüsse muss dabei nach der Ertragswertmethode auf den Stichtag der Hauptversammlung abgezinst werden. Der hierfür heranzuziehende Kapitalisierungszinssatz soll die Beziehung zwischen dem bewerteten Unternehmen und den anderen Kapitalanlagemöglichkeiten herstellen.
93
Zutreffend ist der Ausgangspunkt bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes unter Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern in der Bewertung durch die Antragsgegnerin. Da die finanziellen Überschüsse aus der alternativ am Kapitalmarkt zu tätigenden Anlage der persönlichen Ertragsbesteuerung der Unternehmenseigner unterliegen, ist der Kapitalisierungszinssatz unter Berücksichtigung der persönlichen Steuerbelastung zu ermitteln (vgl. OLG München ZIP 2006, 1722, 1725; AG 2007, 287, 290; NJW-RR 2014, 473, 474; OLG Düsseldorf AG 2019, 92, 95 = ZIP 2019, 370, 373 f. = DB 2018, 2108, 2111 f.; OLG Stuttgart AG 2007, 128, 134: OLG Karlsruhe AG 2013, 353, 355; Laas WPg 2020, 1256, 1257). Dabei ist im Rahmen der Unternehmensbewertung nach dem im Zeitpunkt der Hauptversammlung maßgeblichen Steuerregime der Abgeltungssteuer von einem Steuersatz von 25% entsprechend der gesetzlichen Regelungen in §§ 43, 43 a Abs. 1 Nr. 1, 32 d Abs. 1 Satz 1 EStG auszugehen, der auch angesetzt wurde. Zudem ist der Solidaritätszuschlag zu beachten, woraus sich dann ein Steuersatz von 26,375% errechnet.
94
(1) Der Basiszinssatz war dabei unter Heranziehung der Zinsstrukturkurve der Deutschen Bundesbank auf 0,0% festzusetzen.
95
Der Basiszinssatz bildet eine gegenüber der Investition in das zu bewertende Unternehmen risikolose und laufzeitadäquate Anlagemöglichkeit ab. Die Ermittlung des Basiszinssatzes anhand der Zinsstrukturkurve von Zerobonds quasi ohne Kreditausfallrisiko kann methodisch nicht beanstandet werden. Es ist nämlich betriebswirtschaftlich gefordert, dass der Kapitalisierungszinssatz für den zu kapitalisierenden Zahlungsstrom hinsichtlich Fristigkeit, Risiko und Besteuerung äquivalent sein muss. Die Zinsstrukturkurve stellt den Zusammenhang zwischen der Verzinsung und den Laufzeiten von den am Markt gehandelten Anleihen dar und gibt den Zusammenhang zwischen Verzinsung bzw. Rendite einer Anleihe und deren Laufzeit wieder. Die nach der sogenannten Svensson-Methode ermittelte Zinsstrukturkurve bildet den laufzeitspezifischen Basiszinssatz – den sogenannten Zerobond-Zinssatz – ab. Sie ist in der Rechtsprechung zu Recht weithin anerkannt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2012, Az. 12 W 66/06; OLG Frankfurt NZG 2012, 1382, 1383; 2013, 69, 70; OLG München ZIP 2009, 2339, 2341 = WM 2009, 1848, 1850; AG 2012, 749, 752 = Der Konzern 2012, 561, 564; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1170; OLG Stuttgart AG 2013, 724, 728; LG München I AG 2016, 95, 98; 2020, 222, 225; Beschluss vom 30.12.2016, Az. 5HK O 414/15; Beschluss vom 8.2.2017, Az. 5HK O 7347/15; auch Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 434 f.). Nur dadurch kann der Grundsatz der Laufzeitäquivalenz verwirklicht werden. Auf diese Weise wird nun ein Zinssatz auf der Grundlage laufzeitabhängiger, zukunftsorientierter Kapitalmarktdaten verwendet (vgl. Wollny, Der objektivierte Unternehmenswert, 3. Aufl., S. 481; Baetge/Kümmel/Schulz/Wiese in: Peemöller, Praxishandbuch Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 437).
96
(2) Für die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes muss der Basiszinssatz um einen Risikozuschlag erhöht werden, der nach § 287 Abs. 2 ZPO zu schätzen ist und vorliegend für den gesamten Zeitraum der Detailplanungsphase, des Übergangsjahres 2022, wie auch in der ewigen Rente auf 5,23% nach Steuern festzusetzen war.
97
(a) Der Grund für den Ansatz eines Risikozuschlages liegt darin, dass Investitionen in Unternehmen im Vergleich zur Anlage in sichere oder zumindest quasi-sichere öffentlichen Anleihen einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Dieses Risiko wird bei einem risikoaversen Anleger durch höhere Renditechancen und damit einen erhöhten Zinssatz ausgeglichen, weshalb der Ansatz eines Risikozuschlages unumgänglich ist, zumal der Verzicht auf diesen die ohnehin nicht durch die Planung abgegoltenen Risiken wie politische Krisen, Naturkatastrophen oder weitere nicht in die Planungsrechnung einzubeziehenden allgemeinen wirtschaftlichen Risiken vernachlässigen würde. Ebenso kann die Gefahr des Verfehlens der Planungsziele nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Angesichts dessen geht die heute nahezu einhellig vertretene obergerichtliche Rechtsprechung vom Erfordernis des Ansatzes eines Risikozuschlages aus (vgl. nur OLG München ZIP 2009, 2339, 2341 = WM 2009, 1848, 1850; KG NZG 2011, 1302, 1304 = AG 2011, 627, 628 f. = ZIP 2011, 2012, 2013 = WM 2011, 1705, 1706 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.10.2011, Az. 20 W 7/11; AG 2013, 724, 729; AG 2014, 208, 211; OLG Frankfurt NZG 2012, 549, 550 = Der Konzern 2012, 199, 205 f.; AG 2017, 790, 793 = Der Konzern 2018, 74, 78; ebenso Peemöller/Kunowski in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 325).
98
(b) Die Frage, wie der Risikozuschlag im Einzelnen zu ermitteln ist, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt.
99
(aa) Mehrheitlich wird davon ausgegangen, der Risikozuschlag könne mittels des (Tax-)CAPM (Capital Asset Pricing Model) ermittelt werden. Danach wird die durchschnittliche Marktrisikoprämie, die anhand empirischer Daten aus der langfristigen Differenz zwischen der Rendite von Aktien und risikolosen staatlichen Anleihen errechnet wird, mit einem spezifischen Beta-Faktor multipliziert, der sich aus der Volatilität der Aktie des zu bewertenden Unternehmens ergibt. Zur Begründung der Maßgeblichkeit dieses kapitalmarkttheoretischen Modells wird vor allem ausgeführt, dass bei der Feststellung des Unternehmenswertes intersubjektiv nachvollziehbare Grundsätze unter Zugrundelegung von Kapitalmarktdaten Anwendung fänden und dass es kein anderes Modell gebe, das wie das CAPM die Bewertung risikobehafteter Anlagenmöglichkeiten erläutere. Demgegenüber verfüge die herkömmliche Multiplikatormethode über kein festes theoretisches, sondern eher ein empirisches Fundament und werde zudem nicht durch die theoretische Forschung unterstützt. Mit dem CAPM werde gegenüber der Risikozuschlagsmethode eine ungleich höhere Qualität infolge der größeren Nachprüfbarkeit erreicht (vgl. OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2226; AG 2016, 329, 331 = WM 2016, 1685, 1690; OLG Stuttgart AG 2010, 510, 512; AG 2008, 510, 514 f.; NZG 2007, 112, 117 = AG 2007, 128, 133 f.; OLG Frankfurt AG 2016, 551, 554; Paulsen in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 305 Rdn. 144; Simon/Leverkus in: Simon, SpruchG, a.a.O., Anh § 11 Rdn. 126 f.).
100
(bb) Die Kammer vermag indes der vielfach vertretenen alleinigen Maßgeblichkeit des (Tax-)CAPM in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass das (Tax-)CAPM den anderen Methoden zur Ermittlung des Risikozuschlages eindeutig überlegen wäre. Auch bei ihm hängt das Ergebnis in hohem Maße von der subjektiven Einschätzung des Bewerters ab, die nur nicht unmittelbar durch die Schätzung des Risikozuschlages selbst ausgeübt wird, sondern mittelbar durch die Auswahl der Parameter für die Berechnung der Marktrisikoprämie sowie des Beta-Faktors. Die rechnerische Herleitung des Risikozuschlages täuscht darüber hinweg, dass aufgrund der Vielzahl von Annahmen, die für die Berechnung getroffen werden müssen, nur eine scheinbare Genauigkeit erreicht wird und nicht etwa eine exakte Bemessung des für die Investition in das konkrete Unternehmen angemessenen Risikozuschlages. Schon die zu treffende Aussage, inwieweit die Daten aus der Vergangenheit auch für die zukünftige Entwicklung aussagekräftig sind, unterliegt subjektiver Wertung. Dies zeigt sich bereits am Auswertungszeitraum, für den die Überrendite ermittelt wird. Aus einer Vielzahl anderer Spruchverfahren ist gerichtsbekannt, dass es eine Reihe von Studien gibt, die für unterschiedliche Zeiträume Werte für die Marktrisikoprämie vor Steuern in Anwendung des arithmetischen Mittels zwischen 4,90% und 10,43% ermittelten; hinsichtlich des geometrischen Mittels werden Studien aufgezeigt, die vor Steuern Werte zwischen 1,7% und 6,80% ergaben. Ebenso ist die Auswahl der Unternehmen, die in eine Peer Group vergleichbarer Unternehmen einbezogen werden, stark von der subjektiven Einschätzung desjenigen abhängig, der über die Vergleichbarkeit der Unternehmen im Einzelnen entscheidet (vgl. OLG München WM 2009, 1848, 1850 f. = ZIP 2009, 2339, 2341; LG München I AG 2016, 95, 99; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 694 f.; auch Reuter AG 2007, 1, 5; sehr kritisch zum CAPM auch Emmerich in: Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, S. 323, 328 f., 331).
101
Auch sieht die Kammer in der Anwendung des arithmetischen Mittels mit einer jährlichen Wiederanlage des vollständigen Aktienportfolios, wie es in den einzelnen IDW-Standards empfohlen wird, kein hinreichend taugliches Kriterium. Insoweit liegt nämlich ein Widerspruch zu der Annahme einer auf Ewigkeit angelegten Unternehmenstätigkeit vor. Für das aktuelle steuerliche Regime der Abgeltungssteuer unter Einschluss der Versteuerung von Veräußerungsgewinnen gehen empirische Untersuchungen nämlich von einer sehr viel längeren Haltedauer aus. Wenn der Wert des Unternehmens in die Ewigkeit ermittelt werden soll und vor allem auch die Alternativanlage in Aktien anderer Unternehmen vergleichbar sein soll, steht die Annahme eines jährlich stattfindenden vollständigen Aktienaustausches hierzu in Widerspruch. Weiterhin ist gegen das arithmetische Mittel als alleiniger Maßstab zur Ermittlung des Risikozuschlages zu berücksichtigen, dass in all den Fällen, in denen die Anlageperiode nicht 1 ist, es zu Verzerrungen kommt (vgl. Wagner/Jonas/ Ballwieser/ Tschöpel WPg 2006, 1005, 1017 f.).
102
Die Alternative zum arithmetischen Mittel liegt im geometrischen Mittel, bei dem die Wertpapiere zu Beginn des Untersuchungszeitraumes gekauft und an dessen Ende verkauft werden; die jeweiligen Erträge werden dabei jährlich wieder angelegt. Dabei wird allerdings auch zu berücksichtigen sein, dass das geometrische Mittel ebenso wie das arithmetische Mittel zu Verzerrungen des Unternehmenswertes führt, wenn die Anlageperiode nicht gleich 1 ist (vgl. Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel WPg 2006, 1005, 1017 f.).
103
Insoweit geht die Kammer in ständiger Rechtsprechung unter Berücksichtigung der gebotenen kritischen Auseinandersetzung mit diesem Modell davon aus, zwischen diesen beiden Extremen liegende Werte anzusetzen (vgl. nur LG München I, Beschluss vom 6.11.2013, Az. 5HK O 2665/12; Beschluss vom 28.3.2014, Az. 5HK O 18925/08; Beschluss vom 7.5.2014, Az. 5HK O 21386/12; Beschluss vom 29.8.2014, Az. 5HK O 7455/13; in diese Richtung auch OLG Karlsruhe Der Konzern 2015, 442, 448 f.).
104
(cc) Vielmehr ist der Risikozuschlag mittels einer empirischen Schätzung zu gewinnen, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte der konkreten Situation des zu bewertenden Unternehmens Rechnung trägt. Dabei können auch die unter Anwendung des CAPM gewonnenen Daten als eines der zentralen Elemente für die Schätzung des Risikozuschlages herangezogen werden (so auch OLG München ZIP 2009, 2339, 2342 = WM 2009, 1848, 1851).
105
(c) Beim (Tax-)CAPM als einem der maßgeblichen Elemente zur Ermittlung des anzusetzenden Risikozuschlags ergibt dieser aus dem Produkt von Marktrisikoprämie und dem Beta-Faktor.
106
(aa) Dabei geht das kapitalmarktorientierte (Tax-)CAPM von einer Marktrisikoprämie aus, die sich aus der Differenz der erwarteten Rendite des Marktportfolios und dem risikolosen Zinssatz ergibt.
107
Soweit die Kammer bislang die Auffassung vertrat, die Marktrisikoprämie müsse gerade auch wegen der Schwächen einer implizit aus Prognosen von Finanzanalysten und Ratingagenturen ermittelten Marktrisikoprämie im Schnittpunkt der ursprünglichen Empfehlung des FAUB des IDW und der aktuellen Verlautbarung vom 9.12.2012 mit 5% angesetzt werden, wird an dieser Auffassung nicht mehr festgehalten. Ausschlaggebend hierfür ist die andauernde Niedrigzinsphase – zum Stichtag der Hauptversammlung war der Basiszinssatz auf gerundet 0,0% vor Steuern gesunken. Es entspricht der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass es methodisch nicht zu beanstanden ist, wenn sich Gerichte an den Empfehlungen des FAUB des IDW als einem maßgeblichen Sachverständigengremium orientieren (vgl. nur OLG München AG 2020, 629, 632 = WM 2021, 599, 605 f.; OLG Frankfurt AG 2017, 790, 794 = Der Konzern 2018, 74, 78). Die Rechtsprechung der Kammer wie auch des Oberlandesgerichts München, in der beide Gerichte von einer Marktrisikoprämie von 5,0% ausgingen, betraf Stichtage, die noch in zeitlicher Nähe zur Anpassungsempfehlung vom 19.9.2012 lagen und bei denen von vergleichsweise hohen Basiszinssätzen von mindestens 2,0% vor Steuern bei Stichtagen bis weit in das Jahr 2014 hinein auszugehen war. Der Stichtag der Hauptversammlung liegt nun aber zeitlich hinter der Anpassungsempfehlung des FAUB vom 19.9.2012 und nur ca. neun Monate vor der aktuellen Empfehlung vom 22.10. 2019, durch die nach Anhebung der Obergrenze eine Bandbreite zwischen 5% und 6,5% nach Steuern als sachgerecht bezeichnet wurde. Zur Begründung dieser aktuellen Empfehlung führte der FAUB aus, aufgrund der aktuellen Entwicklung in Bezug auf den risikolosen Zinssatz von damals 0%, der danach sogar negativ wurde, sei eine erneute Anpassung in Bezug auf die Marktrisikoprämie erforderlich. Die Gesamtrenditeerwartung sei tatsächlich bereits in den Jahren 2012/2013 leicht gesunken; der Rückgang stehe doch in keinem Verhältnis zum Rückgang der Renditen deutscher Staatsanleihen. Ausgehend von einer aktuellen Gesamtrenditeerwartung von 7% bis 9% vor Steuern oder rund 5,62% bis 7,22% nach Steuern müsse es zu einer Anhebung der Marktrisikoprämie auf 6% bis 8% vor Steuern, mithin einen Nach-Steuerwert von 5% bis 6,5% kommen. Dieses Fazit einer leicht gesunkenen Gesamtrenditeerwartung beruht auf einer vom FAUB vorgenommenen Analyse verschiedenster Methoden, wobei namentlich historisch gemessene Aktienrenditen, langfristig reale Aktienrenditen, ex ante-Analysen impliziter Kapitalkosten und aktuelle Betrachtungen herangezogen wurden.
108
Zwar wird in der Literatur teilweise davon ausgegangen, eine höhere Marktrisikoprämie lasse sich nicht rechtfertigen (vgl. nur Knoll der Konzern 2020, 478 ff.). Allerdings ist gerade die Marktrisikoprämie in der betriebswirtschaftlichen Literatur heftig umstritten. Eine zweifelsfreie Klärung der Problematik wird nicht möglich sein. Da es nicht Aufgabe des Spruchverfahrens sein kann, wirtschaftswissenschaftliche Streitfragen einer letztverbindlichen Klärung zuzuführen, ist die Kammer auch nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten zu diesem Themenkomplex einzuholen. Ein weiterer Erkenntnisgewinn ist hierdurch nicht zu erwarten, nachdem es insbesondere keine belastbaren Studien gibt, die dem Gericht eine bessere Erkenntnisgrundlage vermitteln könnten (so ausdrücklich OLG München AG 2020, 629, 632 = WM 2021, 629, 606). Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den Entscheidungen des BGH zur Ermittlung des Risikozuschlags nach § 7 Abs. 4 und Abs. 5 StromNEV durch die Regulierungsbehörde (vgl. BGH, Beschluss vom 9.7.2019, Az. EnVR 41/18; Beschluss vom 3.3.2020, Az. EnVR 34/18 herleiten. Der BGH lässt in diesen Entscheidungen gerade nicht erkennen, dass der Ansatz des FAUB des IDW nicht geeignet sein könnte, die Marktrisikoprämie angemessen abzubilden. Es wird lediglich ausgeführt, es handele sich hierbei um eine alternativ in Betracht kommende Bewertungsmethode, die dem Ansatz der Bundesnetzagentur nicht klar überlegen sei (vgl. OLG München AG 2020, 133, 136 = WM 2019, 2104, 2113; Beschluss vom 3.12.2020, Az. 31 Wx 330/16). Die vom Kartellsenat des BGH aufgestellten Grundsätze lassen sich nach den ausdrücklichen Feststellungen im Beschluss vom 3.3.2020, Az. EnVR 34/18 gerade nicht mit denen zur Ermittlung der angemessenen Barabfindung nach § 327 b AktG vergleichen, weil die Ermittlung des Wagniszuschlags nach § 7 Abs. 5 StromNEV nicht der Ermittlung eines Unternehmenswertes dient, sondern der Bestimmung eines Faktors, dem ausschlaggebende Bedeutung für die Bestimmung einer den Zielen der §§ 1 und 21 EnWG Rechnung tragenden Vergütung für die Nutzung von Strom- und Gasnetzen zukommt.
109
Bei einer Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern und einem Basiszinssatz von 0,0% ergibt sich eine Gesamtrenditeerwartung von 5,5% nach Steuern, wobei diesem Ansatz eine Marktrisikoprämie zugrunde liegt, die bereits leicht unterhalb des Mittelwertes der vom FAUB des IDW in seiner aktualisierten Empfehlung vom 25.10.2019 genannten Bandbreite einer Marktrisikoprämie von 5% bis 6,5% nach Steuern liegt. Da in der Bewertungspraxis vielfach auf den Mittelwert abgestellt wird und die aktualisierte Empfehlung zum Stichtag der Hauptversammlung bereits Gültigkeit hatte, birgt sich der Ansatz einer Marktrisikoprämie von 5,5% nach Steuern jedenfalls nicht zu Ungunsten der Minderheitsaktionäre aus.
110
(bb) Der herangezogene Beta-Faktor von 0,95 kann der Ermittlung des Risikozuschlages zugrunde gelegt werden, wobei er aus einer Peer-Group vergleichbarer Unternehmen abgeleitet werden konnte. Die Bewertungsgutachter zogen Beta-Faktoren heran, die sowohl gegen den MSCI Word Index, als auch gegen einen breiten lokalen Index unter Zugrundelegung wöchentlicher Kurse und Renditeintervalle über einen Beobachtungszeitrahmen von zwei Jahren und von monatlichen Kursen und Renditeintervallen über einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren ermittelt wurden.
111
Diese insgesamt vier einzelnen Beta-Faktoren wurden über den Median ermittelt, während der Beta-Faktor von 0,95, der der Unternehmensbewertung zugrunde gelegt wurde, aus dem arithmetischen Mittel der vier Einzelwerte abgeleitet wurde.
112
Mangels eines originären Beta-Faktors der nicht börsennotierten S. O. AG musste zwingend auf eine Peer-Group zurückgegriffen werden, deren Zusammensetzung keinen Bedenken begegnet. Für die Auswahl der Peer Group-Unternehmen wesentlich ist die Vergleichbarkeit hinsichtlich des Geschäftsmodells, der spezifischen Produktsegmente bzw. des Diversifikationsgrades und der Produktart, hinsichtlich der regionalen Abdeckung und gegebenenfalls auch hinsichtlich ihrer Größe (vgl. Franken/Schulte/Dörschell, Kapitalkosten für die Unternehmensbewertung, 3. Aufl., S. 47). Diese unmittelbare Vergleichbarkeit muss bei den herangezogenen Unternehmen der Peer Group bejaht werden.
113
Die aus einer umfangreichen Longlist hergeleitete Peer Group besteht entsprechend dem Tätigkeitsbereich der zu bewertenden Gesellschaft aus Unternehmen aus der Gummiproduktion und -verarbeitung, aus dem Bereich der Produktion von Förderbändern und Förderbandzubehör, der Reifenindustrie, aus der Produktion von Plastik- und Gummischläuchen sowie von Komponenten für Maschinen und Fahrzeugwartungsgeräte; demgemäß spiegelt sie das vergleichsweise breite Spektrum wieder, in dem die S. O. AG mit ihren Tochter- und Enkelgesellschaften tätig ist.
114
Der Auswahl kann nicht entgegengehalten werden, die Peer Group enthalte einen hohen Anteil an Tier 1-Automobilzulieferern, auch wenn die Gesellschaft nur zu einem Teil im Automotive-Segment und dort vor allem im After market-Geschäft tätig ist. Herr Dr. P. wies im Termin vom 6.5.2021 darauf hin, bei einer breiten Fächerung des Unternehmens, wie sie bei dem Bewertungsobjekt zu beobachten ist, greife man auch auf Unternehmen aus der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette zurück und befrage zudem den Vorstand, weil dieser seine Wettbewerber am besten kenne.
115
Die Einbeziehung der N. Corp. und der F. H. AG muss nicht korrigiert werden, nachdem diese gleichfalls Laufbänder herstellen. Würde man diese aus der Peer Group entfernen, ergäbe sich ein Beta-Faktor von unverschuldet 0,94, der sich minimal erhöhend auf den Unternehmenswert auswirken würde. Andererseits würde der Aufzinsungsfaktor in gleicher Weise sinken. Da ein Unternehmenswert aber nie mathematisch exakt berechnet werden kann, würde aus der Differenz dieser beiden gegenläufigen Effekte keine Erhöhung der Barabfindung abgeleitet werden können. Ein sich innerhalb gewisser Bandbreiten bewegender Ertragswert ist als angemessen anzusehen, weil es nicht möglich ist, einen mathematisch exakten oder „baren“ Unternehmenswert zum Stichtag zu ermitteln, nachdem dieser angesichts seiner Zukunftsorientiertheit und der damit verbundenen Ungenauigkeit vom Gericht nur geschätzt werden kann und folglich eine Bandbreite von Werten angemessen sein muss (vgl. OLG Stuttgart AG 2011, 205, 210 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6.4.2011, Az. 26 W 2/06 (AktG); OLG Karlsruhe NZG 2008, 791 Ls; BayObLG NZG 2006, 156, 157 = AG 2006, 41, 42 – Pilkington; LG München I, Beschluss vom 27.6.2014, Az. 5HK O 7819/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 29.8.2018 5 HK O 16585/15). Die Grenze, innerhalb derer diese Werte noch als angemessen angesehen werden müssen, wird von der Kammer regelmäßig bei 5% gezogen (vgl. LG München I, Beschluss vom 27.6.2014, Az. 5HK O 7819/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; in diese Richtung auch OLG Frankfurt ZIP 2012, 371, 376). Diese Grenze kann bei einer Differenz von 0,01 Prozentpunkten beim Kapitalisierungszinssatz nicht annähernd erreicht werden, ohne dass diese Auswirkungen vom Abfindungsprüfer hätten ermittelt werden müssen.
116
Bei einer Eliminierung der drei Reifenhersteller C., Br. und M. sowie von E. käme man zu einem für die Minderheitsaktionäre deutlich höheren Beta-Faktor von 1,04, dessen wertsenkender Einfluss allerdings nicht durch den dann höheren Aufzinsungsbetrag ausgeglichen würde, nachdem die Aufzinsung nur einen Zeitraum von knapp einem Jahr betrifft und niedriger ist als der abzuzinsende Wert der Jahresüberschüsse.
117
Ohne die – wenn auch fiktive – Nutzung der vorhandenen Überschussliquidität zum Zwecke der Schuldentilgung müsste im Wege des Relevern der Beta-Faktor dann der Situation eines verschuldeten Unternehmens abgepasst werden, was einen höheren Beta-Faktor und damit einen niedrigeren Unternehmenswert zur Folge gehabt hätte. Dies gilt auch dann, wenn es dadurch zu einem höheren Aufzinsungsfaktor gekommen wäre, nachdem der Ertragswert der Gesellschaft auch ohne Berücksichtigung der Überschussliquidität über dem in die Unternehmensbewertung einfließenden Zufluss an die Anteilseigner in Höhe von € 350 Mio. liegt.
118
(d) Der dergestalt mit Hilfe des (Tax-)CAPM ermittelte Risikozuschlag steht auch in Einklang mit den sich aus der speziellen Situation der Gesellschaft am Markt ergebenden Risiken, die unter Berücksichtigung der fehlenden Verschuldung insgesamt als leicht unterdurchschnittlich einzustufen ist. Bei der S. O. AG handelt es sich um ein alteingesessenes, weltweit tätiges Unternehmen, das über ein differenziertes Produktangebot in drei großen Geschäftsbereichen verfügt, weshalb extreme Ausschläge bei der Umsatzentwicklung nicht zu erwarten sind. Andererseits kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass ausweislich der nachvollziehbaren Feststellungen im Prüfungsbericht die Gesellschaft auch dem Risiko der weltwirtschaftlichen Entwicklung unterliegt, die im September 2019 – also durchaus zeitnah zum Bewertungsstichtag – als zunehmend fragiler und unsicher bezeichnet wurde mit Blick auf ein sich verlangsamendes Wachstum und zunehmende Abwärtsrisiken, wie sie von der OECD prognostiziert wurden; die OECD rechnete in den Jahren 2020 und 2021 mit den schwächsten Wachstumsraten seit der Finanzkrise. In gleicher Weise rechnete die Europäische Zentralbank zum September 2019 mit einer Eintrübung der Aussichten auch in der Euro-Zone. Die Abhängigkeit vom Kautschukmarkt sowie von der Entwicklung in der Minenindustrie bedeutet ebenfalls ein gewisses operatives Risiko. Demgemäß muss operativ von einem eher leicht überdurchschnittlichen Risiko ausgegangen werden, das indes durch die fehlende Verschuldung aber insgesamt etwas überkompensiert wird, weshalb der Risikozuschlag von 0,95% insgesamt als angemessen bezeichnet werden muss.
119
(3) Der mit 1% im Terminal Value angesetzte Wachstumsabschlag bedarf keiner Erhöhung.
120
(a) Mit dem Wachstumsabschlag wird zugunsten der Aktionäre berücksichtigt, dass sich die Geldentwertung bei festverzinslichen Anleihen stärker auswirkt als bei einer Unternehmensbeteiligung. Das Unternehmen hat in der Regel die Möglichkeit, die Geldentwertung zumindest zu einem Teil durch Preiserhöhungen aufzufangen, während die Anleihe ohne Inflationsausgleich zum Nominalwert zurückgezahlt wird. Die Höhe des festzusetzenden Abschlages ist dabei abhängig von den Umständen des Einzelfalles. Maßgeblich ist vor allem, ob und in welcher Weise Unternehmen die erwarteten Preissteigerungen an die Kunden weitergeben können; daneben sind aber auch sonstige prognostizierte Margen und Strukturänderungen zu berücksichtigen (vgl. OLG Stuttgart AG 2007, 596, 599; NZG 2007, 302, 307; AG 2008, 783, 788 f.; OLG München WM 2009, 1848, 1851 = ZIP 2009, 2339, 2342; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1171; OLG Düsseldorf WM 2009, 2220, 2227; OLG Karlsruhe Der Konzern 2015, 442, 450 f.; 2016, 35, 41; LG München I, Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Beschluss vom 16.4.2019, Az. 5HK O 14963/17; Beschluss vom 27.11.2019, Az. 5HK O 6321/14; Beschluss vom 25.11.2020, Az. 5HK O 12435/05). Ausschlaggebend ist dabei primär die individuelle Situation des Unternehmens, nicht die allgemeine Entwicklung zum Bewertungsstichtag. Dabei kann nicht auf Umsätze und deren Entwicklung in Relation zur allgemeinen Inflationsrate abgestellt werden; entscheidend ist vielmehr das Wachstum der Ergebnisse. Die erwartete durchschnittliche Inflationsrate kann dabei nur einen ersten Ansatzpunkt für die Höhe des Wachstumsabschlages bilden (so auch ausdrücklich OLG München AG 2018, 753, 756 f. = Der Konzern 2019, 277, 282 f.; OLG Düsseldorf AG 2016, 329, 331 = WM 2016, 1686, 1691; Der Konzern 2019, 410, 419; Paulsen in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 305 Rdn. 168). Es ist nämlich zu beachten, dass – wie auch aus anderen Verfahren gerichtsbekannt ist – Unternehmensergebnisse anderen Preiseinflüssen als der Verbraucherpreisindex unterliegen, weil Chancen und Risiken nominaler Ergebnisveränderungen sowohl von der Marktlage und Wettbewerbssituation als auch der Struktur jedes einzelnen Unternehmens abhängen.
121
Angesichts dieser Bedeutung des Wachstumsabschlages ist dieser auch ausschließlich in der Ewigen Rente festzusetzen; Preissteigerungen in der Detailplanungsphase sind bereits über die Planzahlen abgebildet, die dann auch zu einem entsprechenden Umsatzwachstum führen.
122
(b) Die Antragsteller haben gegen diesen Ansatz keine grundlegenden Bedenken geäußert. Auch die Kammer sieht keinen hinreichenden Grund für eine Erhöhung des Wachstumsabschlages. Die Abfindungsprüfer verwiesen nämlich in ihrem Bericht insbesondere auf die Tätigkeit der Gesellschaft in wettbewerbsintensiven Märkten, was den Spielraum für Preiserhöhungen deutlich einschränkt. Ebenso verwiesen sie auf die volatilen Rohstoffmärkte sowie einen intensiven Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte, was zu höherem Materialaufwand und höheren Personalkosten führen kann, die dann aber angesichts der Tätigkeit in einem umkämpften Markt nicht vollständig auf die Abnehmer übergewälzt werden können. Der beim Wachstumsabschlag nicht zu berücksichtigende Wertbeitrag aus Thesaurierung führt zu einer Gesamtwachstumsrate in einer Größenordnung von etwa 3,7%, die auch deutlich über der allgemeinen Inflationsrate liegt, weshalb von einem dauerhaften Schrumpfen des Unternehmens mit der Folge eines Verschwindens aus dem Markt ohnehin nicht ausgegangen werden kann.
123
Somit ergibt aus diesen Überlegungen zum bewertungstechnischen Stichtag ein Ertragswert von € 1,042 Mrd. und unter Berücksichtigung des Aufzinsungsfaktors ein Ertragswert zum 03.12.2019 als maßgeblichen Stichtag von € 1,092 Mrd.:
MEUR 01.01.2019 GJ2019 GJ2020 GJ 2021 GJ 2022 TV
Ergebnis nach Steuern
|
|
|
403
|
15
|
15
|
[20]
|
[36]
|
51
|
|
(Wachstums-) Thesaurierung
|
|
|
|
(11)
|
(11)
|
(16)
|
(2) (7)
|
|
Ausschüttung
|
|
|
403
|
4
|
4
|
[4]
|
[33]
|
[44]
|
|
Abgeltungssteuer
|
26,38%
|
|
(53)
|
(1)
|
(1)
|
(1)
|
(9) (12)
|
|
Zufluss Anteilseigner
|
|
|
350
|
3
|
3
|
[3]
|
[25]
|
[32]
|
|
Thesaurierung Ewige Rente
|
50,00%
|
|
|
|
|
|
(17)
|
|
Steuereffekt Thesaurierung Ewige Rente
|
13,19%
|
|
|
|
|
|
[2]
|
[2]
|
|
Abzuzinsender Betrag
|
|
|
350
|
3
|
3
|
[3]
|
[27]
|
[34]
|
|
Eigenkapitalkosten
|
|
|
5,23%
|
5,23%
|
5,23%
|
5,23%
|
5,23%
|
4,23%
|
|
Barwertfaktoren
|
|
|
1,00
|
0,95
|
0,90
|
0,86
|
0,82 19,31
|
Barwerte
|
|
|
350
|
3
|
3
|
[3]
|
|
Ertragswert zum 31.12.2018
|
|
|
1.042
|
|
|
|
|
|
|
Aufzinsungsfaktor
|
|
|
1,048
|
|
|
|
|
|
|
Ertragswert zum 3.12.2019
|
|
|
1.092
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
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|
|
|
|
124
c. Das nicht betriebsnotwendige Vermögen und die Sonderwerte wurden sachgerecht in die Ermittlung des Unternehmenswertes einbezogen.
125
(1) Eine Ermittlung des Ertragswerts der im Bewertungsgutachten auf Seite 74 als unbedeutend bezeichneten operativen Gesellschaften musste nicht erfolgen. Für diese Gesellschaften gab es keine Planzahlen, weshalb unter Auswertung der Vergangenheitszahlen eine völlig neue eigenständige Planung durch die Bewertungsgutachter und/oder die Abfindungsprüfer hätte erstellt werden müssen. Alle diese Beteiligungen unter Einschluss der operativ ohnehin nicht tätigen Gesellschaften wurden mit einem Sonderwert von € 7,4 Mio. zum bewertungstechnischen Stichtag angesetzt, was einem Anteil an dem zum bewertungstechnischen Stichtag rund € 1,053 Mrd. betragenden Unternehmenswert von 0,7% entspricht. Dies bedeutet, dass sich deren Wert – selbst bei Berücksichtigung eines unverschuldeten Beta-Faktors von 0,94 – in etwa versechs- bis versiebenfachen müsste, um die Angemessenheit der Barabfindung unter Berücksichtigung einer Bagatellgrenze in Frage stellen zu können. Dies muss als ausgeschlossen bezeichnet werden, nachdem in den Unternehmenswert jeweils der höhere der beiden untersuchten Werte aus anteiligem Eigenkapital und Buchwert herangezogen wurde.
126
(2) Der Ansatz eines Wertes von € 1,6 Mio. für das nicht betriebsnotwendige Grundstück in P. erfolgte nicht zum Nachteil der Minderheitsaktionäre. Der daraus abgeleitete Quadratmeterpreis von € 374,- ist für die Kammer nachvollziehbar. Bei dem Grundstück handelt es sich weder um Bauerwartungsland oder gar Bauland, sondern vielmehr um ein auf dem Werksgelände der R. T. T. AG gelegenes Gewerbegrundstück, das über keine eigene Zufahrt verfügt. Angesichts dessen ist der Ansatz einer Wertsteigerung um etwa 15% seit 2015 nachvollziehbar. Auf die vor allem im Wohnbereich zu beobachtenden deutlich stärkeren Preisanstiege im Münchner Umland kann daher nicht abgestellt werden. Abgesehen davon muss auch hier gesehen werden, dass die Bewertung des Grundstücks einen Anteil von lediglich 0,15% am gesamten Unternehmenswert ausmacht.
127
(3) Der Sonderwert für die Verlustvorträge in Höhe von insgesamt € 32, 3 Mio. wurde zutreffend mit € 1,8 Mio. angesetzt. Hierbei handelt es sich um den Barwert der Steuerersparnis, wobei dieser Ansatz auch von Seiten der Antragsteller nicht in Frage gestellt wurde, weshalb er der Bewertung zugrunde gelegt werden kann.
128
(4) Weitere Positionen mussten nicht als Sonderwert im Rahmen des nicht betriebsnotwendigen Vermögens angesetzt werden.
129
(a) Die Aktien der L. Corp. mit einem Buchwert von € 296 Mio. zum 31.12.2018 durften nicht mehr als Sonderwert berücksichtigt werden, weil deren Wert fiktiv zur Ausschüttung der Überschussliquidität herangezogen wurde. Angesichts dessen würde eine nochmalige Berücksichtigung als Sonderwert oder auch im Rahmen der Ermittlung des Ertragswertes eine unzulässige Doppelberücksichtigung darstellen. Jeder Vermögenswert kann nur einmal in die Ermittlung des Unternehmenswertes einfließen; dies gilt umso mehr, wenn eine Veräußerung im Laufe des Geschäftsjahres unterstellt wird.
130
(b) Für weitere, nicht betriebsnotwendige Grundstücke bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Prüfung durch Herrn Dr. P. und Herrn Dr. R. ergab hierfür keinerlei Hinweise, wie sie in ihrem Prüfungsbericht auf Seite 80 bestätigt haben. Abgesehen davon erachtet es die Kammer als nicht ungewöhnlich, wenn eine Holdinggesellschaft zusammen mit ihren operativ tätigen Tochter- und Enkelgesellschaften vorhandene Grundstücke tatsächlich zu Verwaltungs- und Produktionszwecken nutzt, weshalb sie dann auch zum betriebsnotwendigen Vermögen gehören und demgemäß nicht gesondert ausgewiesen werden dürfen.
131
Unter Berücksichtigung der Sonderwerte in Höhe von insgesamt € 10,8 Mio. resultiert daraus ein Unternehmenswert zum 3.12.2019 in Höhe von (aufgerundet) € 1,103 Mrd., woraus sich dann entsprechend der von Seiten der Antragsteller nicht angegriffenen Ableitung zur Aufteilung zwischen Stamm- und Vorzugsaktien ein Wert je Vorzugsaktie von € 8,45 und je Stammaktie von € 7,31 errechnet.
132
2. Weitere Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts sind auch unter Berücksichtigung des in § 17 Abs. 1 SpruchG, 26 FamFG normierten Amtsermittlungsgrundsatzes nicht veranlasst.
133
a. Dabei ist namentlich die Durchführung einer gesonderten Beweisaufnahme durch die Einholung des Gutachtens eines gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht erforderlich, weil die Anhörung der gerichtlich bestellten Prüfer bereits zu einem für die Kammer überzeugenden Ergebnis geführt hat.
134
(1) Ein gerichtliches Sachverständigengutachten muss nur dann eingeholt werden, wenn nach der Anhörung des Prüfers, die sachlich auf § 8 Abs. 2 Satz 1 SpruchG gestützt wurde, weiterer Aufklärungsbedarf besteht (vgl. OLG München Der Konzern 2014, 172, 173; AG 2015, 508, 512 = ZIP 2015, 1166, 1172; Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; OLG Düsseldorf AG 2015, 573, 575 = ZIP 2015, 1336, 1338 = Der Konzern 2016, 94, 96; LG München I, Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 8 Rdn. 4; Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 8 Rdn. 21; im Grundsatz auch Drescher in: BeckOGK, Stand 1.6.2021, § 8 SpruchG Rdn. 15). Aufgrund des Berichts der Abfindungsprüfer, der ausführlichen Erläuterungen in einem mehrstündigen Anhörungstermin hat die Kammer keinen Zweifel an der Plausibilität der Planannahmen, den Feststellungen zur Ewigen Rente, der Problematik der Verwendung der Überschussliquidität sowie zu den Grundlagen des Kapitalisierungszinssatzes und zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen.
135
Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Anhörung der gemäß §§ 327 c Abs. 2 Sätze 2 bis 4, 293 c Abs. 1 AktG bestellten Abfindungsprüfer diene nur der Aufklärung über ihre anlässlich der Prüfung getroffenen Feststellungen, nicht jedoch der Überprüfung der inhaltlichen Angemessenheit der Planung und sonstiger Bewertungsparameter (in diese Richtung aber auch Puszkajler in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Vorb. §§ 7 bis 11 SpruchG Rdn. 29 und § 8 Rdn. 32 f.). Diese Auffassung ist nämlich mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck des § 8 Abs. 2 SpruchG nicht vereinbar. Mit der Anhörung des sachverständigen Prüfers soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Erkenntnisbasis schon zu Beginn des Verfahrens verbreitert und eine eventuell zusätzlich notwendig werdende Beauftragung eines gerichtlichen Sachverständigen zur Begutachtung bestimmter Fragen erleichtert werden. Damit allerdings erschöpft sich nicht die Zielsetzung dieser Vorschrift. Bereits aus der Formulierung in der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 8 SpruchG, die sich der Deutsche Bundestag erkennbar zu eigen gemacht hat, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, es könne auch aufgrund der Anhörung des Prüfers eine abschließende Entscheidung des Gerichts getroffen werden. Hierfür spricht insbesondere auch der Gedanken in den Gesetzesmaterialien, die Prüfungsberichte sollten künftig verstärkt als Grundlage zur Entscheidungsfindung der Gerichte beitragen; der Beschleunigungseffekt soll sich dann gerade auch daraus ergeben, dass ein gerichtliches Sachverständigengutachten als Folge der Bestellung und letztlich auch der Anhörung ganz vermieden werden kann (vgl. BT-Drucksache 15/371 S. 14 f. und 18; auch Riegger/Gayk in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Einl SpruchG Rdn. 50). Dann aber muss es dem Gericht möglich sein, auch Aussagen des gerichtlich bestellten Prüfers zu Bewertungsfragen im Rahmen seiner Entscheidung zu verwerten. Dem steht letztlich auch nicht die Formulierung in § 8 Abs. 2 Satz 1 SpruchG entgegen, wenn dort die Anhörung des Prüfers als „sachverständiger Zeuge“ beschrieben wird. Auch wenn dies suggeriert, er solle dem Gericht nur Tatsachen bekunden, die er aufgrund seiner besonderen Sachkunde wahrgenommen hat (vgl. § 414 ZPO), kann seine Rolle nicht auf die eines sachverständigen Zeugen beschränkt werden, weil anderenfalls der vom Gesetzgeber bezweckte Effekt der Beschleunigung des Verfahrens konterkariert würde. Dies gilt umso mehr, als das Problem der rechtlichen Einordnung des gerichtlich bestellten Prüfers in den Gesetzesmaterialien nicht weiter problematisiert wurde.
136
Die weitere Einschaltung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen wird namentlich auch nicht vom Schutz der Minderheitsaktionäre gefordert. Die Einschaltung eines vom Gericht bestellten sachverständigen Prüfers im Vorfeld der Strukturmaßnahmen soll dem präventiven Schutz der Anteilseigner im Spruchverfahren dienen; deshalb kann sein Prüfungsbericht zusammen mit dem Ergebnis einer auf § 8 Abs. 2 SpruchG gestützten Anhörung zusammen mit der aufgrund von § 8 Abs. 2 Satz 3 SpruchG eingeholten ergänzenden Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden. Im Übrigen haftet der sachverständige Prüfer nach §§ 327 c Abs. 2 Satz 4, 293 d Abs. 2 AktG, 323 HGB auch gegenüber den Anteilsinhabern. Gerade durch die Verweisung auf die für Abschlussprüfer geltenden Bestimmungen der §§ 319 Abs. 1 bis Abs. 3, 323 HGB ist die Unabhängigkeit des Prüfers sichergestellt. Der Umstand der Parallelprüfung, also der Prüfung zeitgleich mit dem Erstellen des Berichts des Hauptaktionärs, vermag an der Unabhängigkeit der Prüfung nichts zu ändern und begründet für sich genommen keine Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des vom Gericht bestellten Prüfers (vgl. OLG München ZIP 2007, 375, 377 f.; AG 2014, 453, 454; OLG Stuttgart AG 2007, 128, 129 f.; LG München I, Beschluss vom 28.6.2013, Az. 5HK O 18685/11; Beschluss vom 29.8.2017, Az. 5HK O 16585/15; Beschluss vom 28.3.2019, Az. 5HK O 3374/18; Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 8 Rdn. 21; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, a.a.O., § 8 SpruchG Rdn. 6). § 407 a ZPO ist angesichts der Sonderregelung in § 8 SpruchG unanwendbar.
137
(2) Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der von den Wirtschaftsprüfern von E. als Abfindungsprüfer getroffenen Feststellungen. Herr Dr. P. und Dr. R. verfügen zweifelsohne über die zur Beurteilung auch komplexer Fragen der Unternehmensbewertung erforderliche Sachkunde. Herr Dr. P. hat sowohl im Prüfungsbericht als auch in der mündlichen Anhörung samt seiner ergänzenden Stellungnahme die vorgenommenen Prüfungshandlungen hinreichend erläutert und dabei insbesondere auch begründet, warum die Abfindungsprüfer gerade auch die Planansätze aus dem Bewertungsgutachten von D. für angemessen und sachgerecht begründet erachteten. Daraus wird deutlich, dass sie sich ihrer Aufgabe und Funktion als gerichtlich bestellte Abfindungsprüfer in vollem Umfang bewusst waren. Im Verlaufe ihrer Anhörung hat sich Herr Dr. P. eingehend, umfassend und kenntnisreich mit den erhobenen Rügen und Einwendungen gegen die Grundlagen der Ermittlung des Unternehmenswerts der S. O. AG auseinandergesetzt.
138
Die Prüfer führten zudem auch eine Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds unter Zugriff auf Marktstudien für die relevanten Märkte des gesamten StahlG.-Konzerns durch, wie sie in ihrem Prüfungsbericht auf Seiten 33 ff. auch unter Angabe der herangezogenen Studien ausführten. Zur weiteren Plausibilisierung der Angemessenheit der festgesetzten Barabfindung unterzogen sie das Ergebnis zu dem einem Multiplikatoren-Vergleich, indem sie die vergleichswertorientierten Überlegungen von D. einer eigenen Analyse unterzogen und diese nicht beanstandeten. Dabei wurden zunächst EBIT-Multiplikatoren in Bezug auf die Peer Group Unternehmen herangezogen. Zwar können die aus Trading-Multiplikatoren, bei denen das EBIT der Vergleichsunternehmen in Relation zum Gesamtunternehmenswert gesetzt wird, nur Brandbreiten liefern und folglich eine Ermittlung des Unternehmenswerts nach der Ertragswertmethode nicht ersetzen. Allerdings lassen die hier ermittelten Bandbreiten Rückschlüsse auf eine sachgerechte Ermittlung des Unternehmenswertes zu. Die auf der Basis von EBIT-Multiplikatoren abgeleiteten Bandbreiten zeigen auf, dass der Marktwert des Eigenkapitals der S. O. AG innerhalb dieser Bandbreiten liegt, was gleichfalls für die Angemessenheit der festgesetzten Barabfindung spricht. Weiterhin wurde ein Abgleich mit Transaktions-Multiplikatoren vorgenommen. Ungeachtet der Problematik der Vergleichbarkeit von Transaktions-Multiplikatoren wegen der Einbeziehung echter Synergien in die Kaufpreisfindung lieferten die von der Antragsgegnerin durchgeführten Beteiligungserwerbe den Abfindungsprüfern jedenfalls keinen Hinweis auf die fehlende Angemessenheit der Barabfindung, nachdem der Ertragswert der S. O. AG am oberen Rand der Bandbreite von € 734 Mio. bis 1,101 Mrd. liegt. Zudem liefert der Vergleich von Unternehmenskäufen aus den herangezogenen Bereichen Reifenindustrie, Förderbandmarkt sowie Oberflächenschutz eine sehr viel größere Bandbreite noch an Werten als die Trading-Multiplikatoren. Der höchste ermittelte Wert lag bei € 1,292 Mrd., der niedrigste Wert bei lediglich € 158 Mio., so dass auch hier der Ertragswert der S. O. AG deutlich am oberen Rand der Bandbreite angesiedelt ist.
139
(3) Ein zusätzlicher ausdrücklicher Hinweis des Gerichts auf die beabsichtigte Verwertung der Äußerungen des gerichtlich bestellten Abfindungsprüfers war nicht geboten. Die Kammer hat im Anschluss an die Anhörung von Herrn Dr. P. – wenn auch insoweit nicht protokolliert – angeregt, die Anträge zurückzunehmen und einen Kostenvergleich dahingehend zu schließen, dass die Antragsgegnerin – in Einklang mit der früheren Rechtsprechung der Kammer – die Kosten der Antragsteller auf der Basis einer Berechnung unter Beachtung der Grundsätze aus § 31 RVG übernimmt. Aus diesem Hinweis musste der in aktienrechtlichen Fragen versierte Verfahrensbevollmächtige der Antragsteller zu 2) bis 7) den Rückschluss ziehen, dass die Kammer voraussichtlich auf der Grundlage der in der Anhörung gewonnenen Erkenntnisse entscheiden werde. Zumindest hätte eine nochmalige Nachfrage nahegelegen, die indes unterblieben ist.
140
b. Bei der Entscheidungsfindung konnte auch auf das Bewertungsgutachten sowie die Äußerungen von Herrn Wirtschaftsprüfer Su. im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 6.5.2020 zurückgegriffen werden. Sie können im Wege der freien Beweiswürdigung durch die Kammer verwertet werden, wobei sich die Kammer bewusst ist, dass es hierbei um den Vortrag eines Beteiligten geht. Da die Erkenntnisse der Bewertungsgutachter vom Abfindungsprüfer einer umfassenden Überprüfung unterzogen wurden, hat die Kammer allerdings keinen Zweifel an ihrer Richtigkeit, zumal sie sich in das Gesamtbild des zu bewertenden Unternehmens einfügen.
141
c. Die Vorlage von Planungsunterlagen der Gesellschaft für die Jahre 2019 bis 2021 der Prüfungsberichte der Jahre 2016 bis 2018 sowie von Verträgen, interne Auswertungen und Analysen und gesonderter Informationen über die finanzielle Historie war ebenso wenig anzuordnen wie die Vorlage einer Liste der Grundstücke der Gesellschaft, weil die Voraussetzungen von § 7 Abs. 7 Satz 1 SpruchG als einzig denkbarer Anspruchsgrundlage nicht erfüllt sind.
142
(1) Nach dieser sehr weit gefassten Vorschrift sind sonstige Unterlagen, die für die Entscheidung des Gerichts erheblich sind, auf Verlangen der Antragsteller oder des Vorsitzenden des Gerichts und gegebenenfalls eines vom Gericht bestellten gemeinsamen Vertreters unverzüglich vorzulegen. Zwar gehören auch Planungsunterlagen einer Gesellschaft zu den sonstigen Unterlagen im Sinne dieser Vorschrift (vgl. nur Winter in: Simon, SpruchG, a.a.O., § 7 Rdn. 55). Allerdings haben die Antragsteller die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage der vollständigen Planungsunterlagen nicht plausibel dargelegt, was indes zwingende Voraussetzung für eine entsprechende Anordnung wäre (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.10.2010, Az. 20 W 17/06; OLG München, Beschluss vom 13.11.2018, Az. 31 Wx 372/15; LG München I, Beschluss vom 7.5.2014, Az. 5HK O 21386/12; Beschluss vom 25.4.2016, Az. 5HK O 20672/14; Beschluss vom 30.6.2017, Az. 5HK O 13182/15; Puszkajler in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 7 SpruchG Rdn. 57). Eine derartige Entscheidungserheblichkeit vermag die Kammer nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang ist entscheidend zu berücksichtigen, dass wesentliche Grundlagen der Planung im Prüfungsbericht der gerichtlich bestellten Abfindungsprüfer dargestellt wurden, weshalb dieser eine ausreichende Basis für die Erhebung hinreichend substantiierter Einwendungen bildet.
143
(2) Dies gilt in gleicher Weise für die Vorlage der Planung des Geschäftsjahres 2018 sowie die Prüfungsberichte der S. und O. G. AG und der R. T. T. AG auf Einzel- und Konzernebene, nachdem diese gerade nicht zur Grundlage der Ermittlung des Ertragswertes gemacht wurden. Dann aber kann kein Anspruch auf Vorlage geltend gemacht werden.
144
(3) Eine Liste von Grundstücken der Gesellschaft musste gleichfalls nicht vorgelegt werden. Für die Ermittlung des Ertragswertes ist der objektive Grundstückswert betriebsnotwendiger Immobilien ohne Bedeutung, weil diese der Erwirtschaftung der Überschüsse dienen und es daher nicht zu einem doppelten Ansatz kommen darf.
145
d. Soweit die Antragsteller zu 2) bis 7) mit dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 13.07.2017 geltend machen, es liege mit € 1,162 Mrd. ein höherer Substanzwert vor, rechtfertigt dieser Umstand keine weiteren Ermittlungen. Der Substanzwert stellt nämlich keine geeignete Grundlage für die Festlegung einer angemessenen Barabfindung im Sinne des § 327 b Abs. 1 Satz AktG dar und musste folglich nicht ermittelt werden. Dieser wird definiert als Summe von isoliert bewerteten Vermögensgegenständen abzüglich der Summe von isoliert bewerteten Schulden des zu bewertenden Unternehmens (vgl. Sieben/Maltry in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 655; Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann in Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Auflage, Rdn. 11.77; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., Rdn. 1286). Da der Substanzwert als Rekonstruktionswert gilt, weil er die Aufwendungen erfassen soll, die nötig sind, um ein gleiches Unternehmen zu errichten, fehlt ihm der Bezug zu den künftigen finanziellen Überschüssen, weshalb ihm für die Unternehmensbewertung keine Bedeutung zukommen kann. Vorhandene Vermögenswerte sind lediglich Mittel zum Zweck, Zahlungsmittel, Überschüsse zu erwirtschaften, weshalb die Unternehmenssubstanz für den Wert eines auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmens regelmäßig nicht maßgeblich sein kann (vgl. OLG Celle DB 1979, 1031; LG München I Der Konzern 2010, 188, 194; ZIP 2013, 1664, 1667; Beschluss vom 21.11.2011, 5HK O 14093/09; Beschluss vom 30.3.2012, Az. 5HK O 11296/06; Beschluss vom 28.4.2017, Az. 5HK O 26513/11; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 1286; Veil/Preißer in: BeckOGK AktG, Stand: 1.6.2021, § 305 Rn. 80; Sieben/Maltry in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O., S. 822 und 837 f.; Franken/Schulte in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 11.78; Fleischer in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 24.23; Arnold/Rothenburg in: Fleischer/Hüttemann Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 33.58).
146
e. Ebenso wenig musste der Liquidationswert der Gesellschaft ermittelt werden, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt weitere Aufklärung nicht erfolgen musste. Der Ansatz eines Liquidationswerts musste vorliegend deshalb nicht erfolgen, weil er vorliegend für die Ermittlung der Barabfindung aus Rechtsgründen nicht wesentlich ist.
147
(1) Der Liquidationswert stellt sich als Barwert der Nettoerlöse aus dem Verkauf aller Gegenstände des Unternehmens dar, wenn also Vorräte, Maschinen, Patente, Marken, Gebäude oder Grundstücke veräußert werden; sodann sind die Schulden, Liquidationskosten und eventuell anfallende Ertragsteuern abzuziehen (vgl. LG München I, Beschluss vom 28.5.2014, Az. 5HK O 22657/12; 6.3.2015, Az. 5HK O 662/13; Beschluss vom 16.4.2019, 5HK O 14963/17; Beschluss vom 25.11.2020, Az. 5HK O 12435/05; Sieben/Maltry in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, a.a.O. S. 836). Soweit teilweise die Ansicht vertreten wird, der Liquidationswert bedeute stets die Untergrenze des Unternehmenswertes (vgl. KG WM 1971, 764; Fleischer in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, a.a.O., § 8 Rdn. 36 ff.), vermag die Kammer dieser Ansicht nicht zu folgen. Der Liquidationswert ist dann nicht als Wertuntergrenze anzusehen, wenn keine Absicht besteht, das Unternehmen zu liquidieren, nicht die finanzielle Notwendigkeit besteht, den Betrieb ganz oder teilweise aufzulösen, die Betriebsfortführung wirtschaftlich nicht unvertretbar erscheint oder der Unternehmer den Anspruchsgegnern nicht zur Liquidation verpflichtet war (vgl. BGH NJW 1982, 2497, 2498; OLG Düsseldorf AG 2004, 324, 327; LG München I, Beschluss vom 31.10.2007, 5HK O 16022/07; Beschluss vom 19.12.2014, Az. 5HK O 20316/09; Beschluss vom 21.12.2015, Az. 5 HK O 24402/13; Riegger/Gayk in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Anh. § 11 SpruchG Rdn. 82; Steinle/Liebert/Katzenstein in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7 – Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (Corporate Litigation), 6. Aufl., § 34 Rdn. 174). Dies resultiert aus der Überlegung heraus, dass bei nicht geplanter Liquidation der Liquidationswert rein hypothetisch wäre und der Aktionär keine Aussicht auf die Realisierung des Liquidationswerts hätte, wenn es nicht zu der Strukturmaßnahme gekommen wäre.
148
(2) Von einer solchen Situation muss vorliegend ausgegangen werden. Herr Dr. P. wies bei seiner Anhörung nämlich darauf hin, weder aus den von den Abfindungsprüfern vorgelegten Unterlagen, noch aus den Gesprächen mit den Ansprechpartnern irgendwelche Anhaltspunkte dafür gefunden zu haben, eine Liquidation der Gesellschaft könne geplant sein.
149
III. 1. a. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SpruchG. Schuldner der Gerichtskosten ist nach der Grundsatzregelung aus § 15 Abs. 2 Satz 1 SpruchG nur der Antragsgegner. Allerdings können die Kosten ganz oder zum Teil dem Antragssteller auferlegt werden, wenn dies der Billigkeit entspricht. Für eine Anwendung dieser Ausnahmebestimmung in § 15 Abs. 2 Satz 2 SpruchG ist kein Raum. Es entspricht nicht der Billigkeit, die Gerichtskosten ganz oder teilweise den Antragstellern aufzuerlegen, auch wenn die Anträge keinen Erfolg hatten. Es muss dabei nämlich berücksichtigt werden, dass die Anhörung des Abfindungsprüfers im Termin vom 6.5.2021 nochmals eine deutlich erhöhte Klarheit und vertiefte Erkenntnisse zu wesentlichen Planannahmen wie namentlich der Entwicklung der Umsatzzahlen, der Kosten, der Verwendung der Überschussliquidität sowie zum Kapitalisierungszinssatz und zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen gebracht hat.
150
b. Bezüglich der außergerichtlichen Kosten findet die Entscheidung ihre Grundlage in § 15 Abs. 2 SpruchG.
151
(1) Nach dieser Vorschrift ordnet das Gericht an, dass die Kosten der Antragsteller, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, ganz oder zum Teil vom Antragsgegner zu erstatten sind, wenn dies unter Berücksichtigung des Ausgangs des Verfahrens der Billigkeit entspricht. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden, weil die Anträge in der Sache keinen Erfolg hatten. Die Kammer hält mit Blick auf die nunmehr entgegenstehende Auffassung des Oberlandesgerichts München im Beschluss vom 11.3.2020, Az. 31 Wx 341/17 (AG 2020, 440, 444 f. = ZIP 2020, 761, 762 ff. = WM 2020, 1028, 1034 ff.) an ihrer bisher vertretenen Auffassung zur Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin nicht mehr fest. Das Oberlandesgericht München begründet seine Auffassung im Wesentlichen damit, aus der Gesetzgebungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. 15/371 S. 18) ergebe sich der Wille des Gesetzgebers, dass im Falle des Unterliegens die Antragsteller ihre Kosten zu tragen hätten. Eine regelmäßige Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin widerspreche danach dem Willen des Gesetzgebers, wonach die Kostentragungspflicht der Antragsteller im Falle des Unterliegens die Regel darstellen soll. Auch weist das Oberlandesgericht München neben diesem Argument darauf hin, das mit der Verteilung verbundene Kostenrisiko sei keinesfalls existenzbedrohend – ein Rechtsschutzverlust ist mit dieser Regelung nicht verbunden, weil sich die Antragsteller im Spruchverfahren nicht zwingend anwaltlich vertreten lassen müssen und an die Antragsbegründungspflicht vergleichsweise niedrige Anforderungen zu stellen sind. Infolge der Berechnung der Anwaltsgebühren auf der Grundlage von § 31 RVG und nicht aus dem vollen Geschäftswert ist das Kostenrisiko zudem überschaubar, weshalb eine unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes nicht angenommen werden kann. Die allgemeiner formulierte Vorschrift des § 81 Abs. 1 FamFG findet angesichts der Spezialregelung in § 15 Abs. 4 SpruchG a.F., die im Wesentlichen der Neuregelung in § 15 Abs. 2 SpruchG entspricht, keine Anwendung. Besondere Gründe, die eine hiervon abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind vorliegend nicht erkennbar.
152
(2) Der Antragsgegnerin steht indes kein Kostenerstattungsanspruch gegen die Antragsteller zu. Hierfür besteht keine Rechtsgrundlage, weil § 15 Abs. 4 SpruchG a.F. eine abschließende Regelung enthält und dort eine Erstattungspflicht hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners durch die Antragsteller nicht vorgesehen ist (so ausdrücklich BGH NZG 2012, 191, 193 f. = AG 2012, 173, 174 f. = ZIP 2012, 266, 268 f.= WM 2012, 280, 282 f. = DB 2012, 281, 282 f. = MDR 2012, 293 f.; OLG Frankfurt AG 2012, 417, 422 = Der Konzern 2012, 199, 211; LG München I, Beschluss vom 27.6.2014, Az. 5HK O 7819/09; Beschluss vom 31.7.2015, Az. 5HK O 16371/13; Drescher in: BeckOGK, Stand 1.2.2021, § 15 SpruchG Rdn. 26; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 21; Hüffer/Koch, AktG, a.a.O., § 15 SpruchG Rdn. 6; Steinle/Liebert/Katzenstein in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 7 – Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (Corporate Litigation), a.a.O., § 34 Rdn. 49).
153
2. Die Entscheidung über den Geschäftswert hat ihre Grundlage in § 74 GNotKG. Da die Anträge keinen Erfolg hatten, war der Mindestgeschäftswert von € 200.000,- festzusetzen.