Titel:
„bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs“, „berührungsloser Unfall“, Tierhüter, Vorbeifahren eines Lkw an einem Pferd, Umfang der Gefährdungshaftung, Tierhalterhaftung, Reitbeteiligung, Pferdeunfall, Tieraufseher, Reitverbotsschild, Schmerzensgeld bei vollständiger Erblindung sowie Verlust des Geruchs-, Geschmackssinns
Leitsätze:
1. Ein Unfall durch ein Vorbeifahren eines Lkws an einem Pferd ereignet sich „bei Betrieb“, wenn in einer Gesamtschau der Beweisaufnahme und Verhandlung die Vorbeifahrt des Lkw, auch in einigem Abstand, die tierspezifische Fluchtreaktion ausgelöst hat, nachdem sonstige Auslöser des Fluchtverhaltens des Pferdes nicht ersichtlich sind. Die Gefahr des Kraftfahrzeuges verwirklicht sich bei der Entstehung des Unfalls, wenn das Pferd auf Grund der Geräuschentwicklung, der Staub- oder Rauchentwicklung oder durch ein Blenden/einen Schattenwurf des vorbeifahrenden Lkws scheut.
2. Aus einem Reitverbotsschild lässt sich kein Verschulden herleiten, wenn dieses der Klägerin unbekannt war.
3. Bei vollständiger Erblindung nebst Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns sowie neurologischer, gynäkologischer, psychologischer Beeinträchtigungen kann ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000 € angemessen sein.
Schlagworte:
„bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs“, „berührungsloser Unfall“, Tierhüter, Vorbeifahren eines Lkw an einem Pferd, Umfang der Gefährdungshaftung, Tierhalterhaftung, Reitbeteiligung, Pferdeunfall, Tieraufseher, Reitverbotsschild, Schmerzensgeld bei vollständiger Erblindung sowie Verlust des Geruchs-, Geschmackssinns
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 12.09.2024 – 13 U 3960/21
Weiterführende Hinweise:
Mit Urteil des OLG Nürnberg vom 12.09.2024, 13 U 3960/21, wurde das Urteil des Landgerichts Amberg vom 01.10.2021, 24 O 1019/15, dahingehend geändert, dass die Klage gegen den Beklagten zu 1) (Fahrer des Lkws) abgewiesen wurde; die Berufung der Beklagten zu 2) (Kfz-Haftpflichtversicherung) und 5) (Tierhalterversicherung) gegen das Urteil des Landgerichts Amberg vom 01.10.2021, 24 O 1019/15, wurde zurückgewiesen.
Fundstelle:
BeckRS 2021, 67312
Tenor
I. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für einen Haushaltsführungsschaden in dem Zeitraum vom 16.12.2014 bis zum 31.10.2017 einen Betrag in Höhe von 42.103,05 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.12.2017 zu bezahlen.
II. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für einen Haushaltsführungsschaden (netto) vierteljährig, beginnend ab dem 01.11.2017, jeweils am 1. November, am 1. Februar, am 1. Mai und am 1. August eines jeden Jahres, einen Betrag in Höhe von jeweils 3.490,11 € netto zu bezahlen.
III. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für Glasaugen-, Augenbrauen-, Hand-, Fuß- und Schminkpflege in dem Zeitraum vom 16.12.2014 bis zum 31.10.2017 einen Betrag in Höhe von 5.118,41 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 19.12.2017 zu bezahlen.
IV. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für Glasaugen-, Augenbrauen-, Hand-, Fuß- und Schminkpflege vierteljährlich, beginnend ab dem 01.11.2017, jeweils am 1. November, am 1. Februar, am 1. Mai und am 1. August eines jeden Jahres, einen Betrag in Höhe von jeweils 444,48 € netto zu bezahlen.
V. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für eine Begleitperson in dem Zeitraum vom 16.12.2014 bis zum 31.10.2017 einen Betrag von 25.517,00 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 19.12.2017 zu bezahlen.
VI. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für eine Begleitperson (ohne Urlaub) vierteljährlich, beginnend ab dem 01.11.2017, jeweils am 1. November, am 1. Februar, am 1. Mai und am 1. August eines jeden Jahres, einen Betrag in Höhe von jeweils 2.215,95 € netto zu bezahlen.
VII. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für eine Begleitperson im Urlaub für die Jahre 2016 und 2017 einen Betrag in Höhe von 3.332,00 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 19.12.2017 zu bezahlen.
VIII. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für eine Begleitperson im Urlaub vierteljährlich, beginnend ab dem 01.06.2018, jeweils am 1. Juni, am 1. September, am 1. Dezember und am 1. März eines jeden Jahres, einen Betrag in Höhe von jeweils 475,98 € netto zu bezahlen.
IX. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für Verdienstausfall für die Tätigkeiten als Flugbegleiterin und Krankenschwester in dem Zeitraum vom 28.07.2014 bis zum 30.11.2017 einen Betrag in Höhe von insgesamt 37.034,97 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.12.2017 zu bezahlen.
X. 1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) bis 5) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die Steuerbeträge zu 100 % zu ersetzen, um die sich die Steuerlast der Klägerin in Folge der unter Ziff. IX des Urteilstenors ausgeurteilten Zahlung erhöht.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) bis 5) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin auf Nachweis den Mehraufwand für Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zu 100 % ersetzen, um die sich die dem Urteilstenor/Zahlungsbetrag zu Ziff. II, IV, VI, VIII, zugrundeliegenden Nettozahlungen erhöhen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) bis 5) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die jährlichen und üblichen Kosten für die Inanspruchnahme eines Steuerberaters und zur Erstellung der Jahressteuererklärung zu 100 % zu erstatten.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) bis 5) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jedweden weiteren vergangenen und zukünftigen materiellen Schaden zu 100 % zu ersetzen, welcher dieser aus dem Unfallereignis vom 28.07.2014 am …, entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger, Sozialhilfeträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, übergehen bzw. übergehen werden.
XI. 1. Die Beklagten zu 1) bis 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin über das bereits bezahlte Schmerzensgeld hinaus ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 250.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 15.12.2014 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) bis 5) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen zukünftigen immateriellen Schaden, der ihr aus dem Unfallereignis vom 28.07.2014 am …, zukünftig entsteht und der zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 16.06.2021 noch nicht objektiv vorhersehbar war, mit dem also noch nicht ernstlich zu rechnen war, zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger, Sozialhilfeträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, übergehen bzw. übergehen werden.
XII. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
XIII. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 27 % und die Beklagten zu 1) bis 5) gesamtschuldnerisch 73 % zu tragen.
XIV. Das Urteil ist in Ziffern I. bis IX., XI. 1. und XIII. jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird bis 04.12.2017 auf 480.000,00 € festgesetzt (Ziff. I.: 400.000,00 € Schmerzensgeld sowie 80.000,00 € Feststellungsantrag gemäß § 3 ZPO).
Ab 05.12.2017 bis 14.02.2018 wird der Streitwert auf 990.128,10 € festgesetzt (Ziff. I. 60.580,29 €, Ziff. II. 73.652,88 €, Ziff. III. 6.909,85 €, Ziff. IV. 8.400,84 €, Ziff. V. 36.812,02 €, Ziff. VI. 44.377,62 €, Ziff. VII. 5.768,32 €, Ziff. VIII. 28.420,07 €, Ziff. IX. 64.522,39 €, Ziff. X. 4.242,61 €, Ziff. XII. 1. 2.500,00 €, XII. 2. 14.000,00 €, XII. 3. 2.800,00 €, XII. 4. 93.141,21 €, 14.000,00 €, 50.000,00 €, Ziff. XIII. 1. 400.000,00 €, XIII. 2. 80.000,00 €).
Ab 15.02.2018 wird der Streitwert auf 890.128,10 € festgesetzt.
Ab 14.06.2021 wird der Streitwert auf 840.128,10 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Unfall am 28.07.2014 am …
2
Am 28.07.2014 kam es in …, zu einem Unfall, bei dem die Klägerin, geb. 30.01.1979, welche das Pferd …, eine Hannoveraner-Stute, geführt hatte, schwerst verletzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt fuhr ein Lkw, Typ …, an der Klägerin und dem Pferd vorbei. Der Beklagte zu 1) war der Fahrer dieses Lkw, welcher bei der Beklagten zu 2) kfz-haftpflichtversichert ist. Die Beklagte zu 5) ist Halterin dieses Lkw und Versicherungsnehmerin des gegenständlichen Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrages bei der Beklagten zu 2). Die Beklagten zu 3) und 4) sind Tierhalter des Pferdes …. Das Pferd … ist über die Beklagte zu 4) im Rahmen einer Tierhalterversicherung versichert, wobei auch Schadensersatzansprüche aus einer Reitbeteiligung mitversichert sind.
3
Bei der Klägerin handelt es sich um eine im Umgang mit Pferden erfahrene Reiterin, welche seit ihrem 10. Lebensjahr Pferdesport betrieb und über eine langjährige Reiterfahrung verfügte. Bereits zu jener Zeit wurde sie auf Hannoveranern unterrichtet. Ab dem 25. Lebensjahr wurde dieses Engagement auch im Westernreitbereich forciert. Die regelmäßigen Trainingseinheiten schulten die fundierte Ausbildung.
4
Die gesetzlich krankenversicherte Klägerin war vor dem Unfall sozialversicherungspflichtig angestellt bei der … als Flugbegleiterin. Die Klägerin ist auch gelernte bzw. examinierte Krankenschwester. Für diesen Beruf war die Klägerin von der … zum Zeitpunkt des Unfalls in Nebentätigkeit freigestellt. Insofern war die Klägerin geringfügig für das … Krankenhaus … in … bis März 2014 tätig und ließ sich dann wegen eines bevorstehenden Umzugs nach … in Bayern vorübergehend beurlauben.
5
Die Klägerin war auf der Suche nach einer Möglichkeit zum Reiten. Sie wurde im Internet bei Ebay im Juli 2014 auf ein Angebot des Beklagten zu 3) zur Ausschreibung einer Reitbeteiligung auf dem Pferd … aufmerksam.
6
In diesem Ebay-Angebot wurde das Pferd … als zuverlässig und geländesicher dargestellt. Die Einstellung des Angebotes bei Ebay erfolgte durch die Beklagte zu 4).
7
Vor dem Unfall gab es keine Probleme mit dem Pferd …, auch beim Zusammentreffen bzw. Annäherungen von Lkw oder Traktoren.
8
Die Klägerin nahm auf das Angebot hin Kontakt mit den Beklagten zu 3) und 4) auf. Das Pferd … wurde von den Beklagten zu 3) und 4) in den Gesprächen nochmals als zuverlässig dargestellt. Es erfolgte kein Hinweis auf Probleme oder Schwierigkeiten mit dem Pferd im Gelände, insbesondere bei einem Zusammentreffen mit Fahrzeugen wie Lkw und Traktoren.
9
Der Beklagte zu 3) legte der Klägerin am 13.07.2014 einen Reitbeteiligungsvertrag zur Unterschrift vor. Die Klägerin unterzeichnete diesen Reitbeteiligungsvertrag noch vor Ort am 13.07.2014. Auf den Reitbeteiligungsvertrag vom 13.07.2014, Anlage K 1, wird vollumfänglich Bezug genommen.
10
Im Reitbeteiligungsvertrag vom 13.07.2014, Anlage K 1, heißt es unter anderem:
Der Eigentümer verzichtet auf Haftungsansprüche gegen die Reitbeteiligung bei Schäden an Pferd und Ausrüstung. Die Reitbeteiligung verzichtet gleichzeitig auf alle Haftungsansprüche gegen den Eigentümer, vor allem bei Schäden aufgrund arteigenem, tierischem und willkürlichem Verhalten des Pferds. Die beiderseitige Haftung aufgrund grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz bleibt jedoch unberührt.“
11
Als Beginn der Reitbeteiligung war der 13.07.2014 festgesetzt. Ein Reiten sollte nach dieser Vereinbarung zwei – bis dreimal pro Woche, jeweils 1 Stunde, nach Absprache, stattfinden.
12
Bei diesem Vertrag handelt es sich um einen Formularvertrag der Pferdefachzeitschrift …, welcher im Internet abrufbar ist.
13
Im unmittelbaren Nachgang zu dieser Unterzeichnung wurde zwischen dem Beklagten zu 3) und der Klägerin vereinbart, dass die Klägerin zunächst einmal bis August 2014 das Pferd nur führen und dieses zunächst nicht reiten soll. Hiermit waren alle einverstanden.
14
Am frühen Nachmittag des 28.07.2014 befand sich die Klägerin vor Ort beim. Pferd …, um dieses zu führen.
15
Die Klägerin hatte der Beklagten zu 4) zuvor am 28.07.2014 um 13:39 Uhr eine SMS geschickt, in der sie mitteilte, dass sie zu … fahren und diese führen wolle.
16
Vor dem 28.07.2014 hatte es die Klägerin lediglich einmal geschafft, beim Pferd zu sein, und hatte auch diese Anwesenheit vorweg der Beklagten zu 4) per SMS angezeigt, ohne dass hierauf Einwände erfolgten.
17
Die Klägerin begab sich mit dem Pferd auf einen vor dem Hof, …, befindlichen schmalen einspurigen und mit einer Vielzahl von losen Steinen geschotterten und mit Schlaglöchern übersäten Ortsverbindungsweg. Dieser ist nur für „Anlieger“ freigegeben.
18
Ca. 300 m nach der Abzweigung von der … Straße aus kommend war ein Verbotsschild für Reiter angebracht. Der Klägerin war dieses Reitverbotszeichen gänzlich unbekannt. Die Klägerin war nur wenige Male vor dem Unfall beim gegenständlichen Reiterhof und nahm dabei ausschließlich den für alle Kraftfahrzeuge freigegebenen und geteerten Ortsverbindungsweg über …. Sie wurde auch zu keiner Zeit von den Beklagten zu 3) und 4) darüber informiert oder aufgeklärt, dass am … und im Bereich des gegenständlichen Hofes ein Reiten oder Führen eines Pferdes verboten sei oder sein könnte.
19
Die Klägerin führte am Unfalltag das Pferd am Zügel. Das Pferd war mit einer sog. Trense ausgestattet. Die Klägerin folgte dem Weg, vom Hof aus gesehen, nach rechts. In Begleitung der Klägerin befand sich deren Lebensgefährte … Am Unfalltag war der Weg staubtrocken.
20
Die Klägerin befand sich bereits auf diesem vor dem Hof befindlichen Ortsverbindungsweg, als der Beklagte zu 1) mit dem Lkw auf die Klägerin zugefahren kam. Die Klägerin entschloss sich umgehend, auch auf Anraten ihres Lebensgefährten, die nächste und sichere Ausweichmöglichkeit, nämlich den nahegelegenen Zufahrtsbereich zum Hof, wieder aufzusuchen, drehte das Pferd um und begab sich mit diesem wieder zurück zum Hof. Als sich die Klägerin am Mündungsbereich zum Zufahrtsbereich zum Hof befand, blieb sie mit dem Pferd stehen und der Lkw fuhr ohne anzuhalten an Klägerin und Pferd vorbei. Das Pferd rannte zum Pferdehof zurück und verletzte die Klägerin schwerst.
21
Der Beklagte zu 1) fuhr, obwohl er die schwerstverletzte Klägerin wahrgenommen hatte, zunächst ohne Anhalten weiter und informierte dann telefonisch seinen Arbeitgeber und die dann vor Ort anwesende Polizei von seiner Beteiligung am Unfallereignis.
22
Die Klägerin erlitt schwerste Gesichts- und Kopfverletzungen, eine Gehirnblutung, eine offene Fraktur, verlor unter anderem die Sehfähigkeit auf beiden Augen. Die Netzhaut wurde beiderseitig getrennt und unter anderem der rechte Sehnerv komprimiert. Der Gesichtsbereich der Klägerin wurde weitreichend zertrümmert.
23
Die Klägerin wies keine Verletzungen im Bereich der Extremitäten auf. Insbesondere wurden keine starken Verletzungen der Klägerin an der Hand und dem übrigen Körper, an Schultergelenk und Schulter, festgestellt.
Zu den Verletzungen und der Krankheitsgeschichte der Klägerin im Einzelnen:
1. 28.07.2014 bis 21.08.2014:
24
Die Klägerin wurde aufgrund ihrer schweren Verletzungen mit dem Notfallhelikopter sofort in das Universitätsklinikum … und in die operative Intensivstation verbracht und befand sich dort vom 28.07.2014 bis 21.08.2014.
25
Das unfallbedingte Verletzungs- bzw. Beschwerdemuster der Klägerin stellte sich hierbei gemäß ärztlicher Diagnose wie folgt dar:
- Schädel-Hirn-Trauma mit Kontusionsblutungen frontopolar bds. und temporal links
- Gesichts- und Schädelfraktur
- Traumatisch epidurale Blutung
- Amaurosis beidseits bei
-> Rissverletzung und Ruptur des Auges mit Prolaps oder Verlust intraokularen Gewebes
-> Verdacht auf Schädigung des Nervus opticus rechts
- Komplexe Mittelgesichtsfraktur mit
-> Frakturen des Jochbeins und des Oberkiefers
-> Orbitatrümmerfraktur beidseits
-> Fraktur der Siebbeinzellen
- Schädelbasisfrakturen, offene Schädelbasisfraktur
- Weichteilschaden III. Grades bei geschlossener Fraktur oder Luxation des Kopfes
- oberflächliche intrazerebrale Blutungen
- Bulbusfraktur mit Prolaps
- Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung
- Hyperthyreose bei Morbus Basedow
- Hypothyreose nach Strumektomie
- Ernährungsprobleme (z.B. dauerhafte Ernährung über PEG)
- Versorgung eines Tracheostomas
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Die Klägerin musste sich einer Vielzahl von Operationen bzw. Behandlungen in dieser Zeit wie folgt unterziehen:
- Kraniotomie am 28.07.2014
- Epithelialisierte Tracheotomie am 28.07.2014
- Operation an der Sklera: Primäre Naht linkes Auge am 28.07.2014
- Drucksonde am 29.07.2014
- PED-Anlage gastral am 01.08.2014
- Operation am linken Auge: Operation an Sklera, vorderer Augenkammer, Iris und Corpus ciliare: Parazentese am 04.08.2014
- Kraniofaziale Rekonstruktion am 05.08.2014
- Rekonstruktion am 05.08.2014
- Reposition und Schienung Ober- und Unterkiefer und intermaxilläre Verschnürung am 05.08.2014
- Schädelbasis-OP am 11.08.2014
- Mittelgesichtsrekonstruktionen am 11.08.2014, 07/2016, 09/2016
- Thyreoidetomie-OP 10/2014 (Entfernung der Schilddrüse)
- Unterkieferrekonstruktion, OP 03/2015
- Korrektur des Nasenbeins, OP 10/2015
- In der Zeit vom 16.03. bis 01.04.2015 wurde eine Operation zur Rekonstruktion des Gesichtsfeldes, Rekonstruktion des Kiefers, vorgenommen.
- Die Klägerin musste sich am 07.09.2016 einem operativen Eingriff unterziehen.
27
Die Klägerin wurde umgehend nach Einlieferung in das Klinikum … vom 28.07.2014, u.a. wegen des Schockzustandes, in ein künstliches Koma versetzt; erst am 12.08.2014 erfolgte eine Reduktion der Sedierung unter Begleitung der Angehörigen und des psychologischen Dienstes.
28
Eine gezielte Reaktion auf Ansprache oder Schmerzreiz war in der Zeit bis 21.08.2014 nicht möglich bzw. nicht feststellbar. Eine Nahrungsaufnahme sollte ausschließlich und bis auf weiteres ausschließlich flüssig und über Kanülen erfolgen, da der Oberkiefer vor allem linksseitig nicht entsprechend belastbar war; eine Reoperation sollte in 6 Monaten erfolgen.
2. 21.08.2014 bis 11.09.2014:
29
Die Klägerin wurde zur neurologischen Frührehabilitation in der Zeit vom 21.08.2014 bis 11.09.2014 auf die Intensivstation der Klinik für Neurologische Rehabilitation des Bezirksklinikums … verlegt.
30
Aufgrund der Schwere der Verletzungen war die Klägerin zu Beginn überhaupt nicht in der Lage, auf äußere Reize zu reagieren, eine sichere Kontaktfähigkeit oder Bewegungsmuster herzustellen. Sie wies ein immer wiederkehrendes hochfrequentiertes Zittern alle Extremitäten und des Kopfes auf, konnte u.a. den Harn- und Stuhldrang nicht kontrollieren.
31
Am 08.09.2014 erfolgte bei der Klägerin die Schienenentfernung im Ober- und Unterkiefer, am 09.09.2014 die Dekanülierung und am 10.09.2014 die Freigabe passierter Kost.
32
Im Rahmen der nunmehr beginnenden Ergo-, Physio- und Sprachtherapie zeigten sich während dieser Zeit nur langsam erste Verbesserungen bzw. Fortschritte. Die Klägerin war zum Ende dieser Zeit wenigstens partiell in der Lage, z.B. auf verbale Ansprache korrekt zu reagieren, sich selbst an- oder auszuziehen oder erfolgreiche Schluckversuche vorzunehmen.
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Die Klägerin litt insbesondere unter starken kognitiven Einschränkungen, wobei der Verlust der Sehfähigkeit hierbei eine erhebliche Belastungssituation darstellte, die nicht zu bewältigen war. Aufgrund der Erblindung bestand unter anderem eine erhebliche Unsicherheit beim Aufstehen, beim Stand und beim Gehen. Bei allen Lagewechseln im Bett benötigte die Klägerin Kontakthilfe, um sich im Raum zu orientieren. Es bestand grundsätzlich eine erhebliche motorische Unruhe. Nachts war durchgehend eine Sitzwache erforderlich, um einen Sturz aus dem Bett zu vermeiden.
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Die Klägerin litt aufgrund der Beeinträchtigungen unter erheblichen subjektiven Beschwerden und Belastungen.
3. 11.09.2014 bis 23.09.2014:
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Die Klägerin wurde zur weiteren Frührehabilitation in der Zeit vom 11.09.2014 bis 23.09.2014 auf eine andere Abteilung der Klinik für Neurologische Rehabilitation des Bezirksklinikums … verlegt.
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In dieser Zeit konnte im Rahmen der Physiotherapie weiter der Gleichgewichtssinn verbessert und wenigstens eine Belastungsstrecke, Gehstrecke von ca. 300 m, erreicht werden. Die Klägerin begann trotz der durch die Blindheit gegebenen psychischen Belastung langsam, die Umgebung mit den Händen zu erkunden und zu ertasten, wobei kognitiv noch erhebliche Auffälligkeiten in der Merkfähigkeit der Orientierung bestanden.
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Die Klägerin benötigte weiter bei hirnorganischem Psychosyndrom eine Sitzwache für die Nacht.
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Die Klägerin war auch in dieser Phase motorisch noch erheblich unruhig. Es konnte eine Verbesserung der Schluckfähigkeit/Schluckkraft erzielt werden, so dass die Klägerin wenigstens wieder passierte Kost II, Brot ohne Rinde, zu sich nehmen konnte.
39
Die Klägerin konnte weiterhin ihren Harndrang nicht steuern, war harninkontinent.
4. 23.09.2014 bis 18.10.2014, 29.10.2014 bis 07.11.2014, 07.11.2014 bis 16.12.2014:
40
Für die weiteren Frührehabilitation der Klägerin wurde diese in diesen Zeiträumen in andere Abteilungen der Klinik für Neurologische Rehabilitation des Bezirksklinikums … verlegt.
41
In der Zeit vom 18.10.2014 bis 29.10.2014 befand sich die Klägerin erneut zu diversen chirurgischen Eingriffen in der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums …, u.a. für eine Strumektomie (Schilddrüsenentfernung) und PEG-Entfernung.
42
Die körperliche Belastbarkeit war bei Aufnahme noch stark reduziert. Das Kauen und der Mundschluss gestalteten sich wegen regelmäßiger Kiefergelenksluxationen als äußerst problematisch; die Klägerin drohte sich oftmals zu verschlucken. Die Klägerin war nach wie vor auf einen Urinkatheter angewiesen, war partiell stuhlinkontinent und weiter einem hohen Leidensdruck bei psychisch starker Belastung ausgesetzt. Die Klägerin litt unter Konzentrationsmängeln und Impulskontrollstörungen.
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Im Rahmen der Physiotherapie konnte die Klägerin in dieser Zeit weitere Fortschritte erzielen und die Motorik gegen Ende dieser Behandlungsphase wieder auf volles Belastungsniveau gebracht werden, wohingegen die psychische Belastbarkeit weiteren und längeren Behandlungsbedarf erfordert. Die Kauproblematik bei deutlich reduzierter Mundöffnung bestand weiterhin, wobei eine Kostformerhöhung, über passierte Kost II und Brot ohne Rinde, wegen der Operationen am Kiefer nicht erfolgen durfte.
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Die Klägerin befand sich in dieser Phase in neurologischer Einzeltherapie, ergänzend und später in einer psychotherapeutischen Gruppe (Kontaktgruppe) und beim kognitiven Gruppentraining für junge Schädelhirnverletzte. Insoweit bestanden insbesondere noch erhebliche Defizite bei der kognitiven Belastbarkeit und der Konzentrationsfähigkeit. Es erfolgte ein Schwerpunkt der Behandlung bei der Krankheitsverarbeitung und Bewältigung der Herausforderungen des klinischen und zukünftigen Alltags.
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Im Rahmen der Ergotherapie wurden insbesondere erste Maßnahmen unternommen, um der Klägerin ein selbstständiges Handeln ohne stetige Führungshilfe zu ermöglichen.
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Die Klägerin wurde schließlich am 16.12.2014 bei stabilem klinischen Befund in ihr häusliches Umfeld entlassen.
5. Als sog. Dauer- und Akutdiagnosen aus und im Zusammenhang mit dem Unfallereignis sind bei der Klägerin zu benennen wie folgt:
18.12.2014 Sekundäre Amenorrhoe
14.11.2014 Hypothyreose nach Strumektomie
14.11.2014 Verlust sonstiger Organe
06.11.2014 Verlust sonstiger Organe
06.11.2014 Posttraumatische Belastungsstörung
06.11.2014 Morbus Basedow
06.11.2014 Z.n. Schädelhirntrauma
06.11.2014 Z.n. Hirnblutung
06.11.2014 Schädelbasisfraktur
06.11.2014 Z.n. Oberflächliche intrazerebrale Blutung
06.11.2014 Z.n. Traumatische epidurale Blutung
06.11.2014 Amaurosis beidseits
06.11.2014 Z.n. Gesichts- und Schädelfraktur
06.11.2014 Z.n. Bulbusruptur mit Prolaps
13.01.2015 Laborparameteruntersuchung
06.02.2015 HWS-BWS-Syndrom mit Blockierung
17.02.2015 Infizierte Wunde
20.02.2015 Notwendigkeit der Impfung gegen durch Arthropoden übertragene Virusenzephalitis
20.02.2015 Masern-Mumps-Röteln-Vakzination
7. Weiterer Behandlungs- und Beschwerdeverlauf; Folgen, Dauerschäden:
a) Augenmedizinische Folgen:
- Die Klägerin musste sich u.a. im Jahr 2016/2017 einer Vielzahl von Behandlungen wegen Entzündungen an den Augen, konjunktialer Affektion, Phthisis bulbi (geschrumpftes Auge) links unterziehen.
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Im Jahr 2017 erfolgte ein operativer Eingriff am Auge links, künstliche Neuverlegung des Tränenkanals.
- Es entstehen immer wieder Entzündungen an beiden Augen.
- Auch weitere Operationen zur Auffütterung der linken Gesichtshälfte incl. Augenhöhle sind zu erwarten.
- Eintritt einer Phitisis bulbi im Laufe der nächsten 10 Jahre am rechten Auge ist zu erwarten, welche zu Schmerzen und einer Entfernung des Auges durch eine Operation nebst aufwendiger Auffütterung der Augenschalen führt.
- Wahrscheinlich ist ein Auftreten von Schmerzen im linken Auge, welche eine Entfernung des linken Auges durch eine Operation im Laufe der kommenden 10 Jahre notwendig machen.
- Nach Enukelation der Augen mittels Operation ist wahrscheinlich eine Auffütterung der Orbita notwendig.
- Multiresistente Keime mit Entzündungen im rechten und linken Auge und erhöhtem Risiko, dass es therapeutische Probleme gibt.
- Außerhalb der Wohnung ist die Klägerin immer auf das Tragen einer Sonnenbrille/Schutzbrille (aussehend wie eine die Augen vollumfänglich abschließende Skibrille) angewiesen. Diese ist aufgrund der unfallbedingten Verletzung an den Augen zwingend erforderlich, damit keine Fremdkörper wie z.B. Zweige etc. ins Auge kommen und dies soll eine Verletzung durch Fremdkörper vermeiden und Stöße abmildern. Diese Brille stellt sich für die Klägerin als erheblich störend und beeinträchtigend dar. Das Tragegefühl ist damit vergleichbar, wenn man die ganze Zeit eine die Augen voll umfänglich abschließende Skibrille trägt.
- Die Klägerin muss beim Schwimmen eine komplett verschließbare Augenbrille tragen, um eine Entzündung/Infektion des unfallbedingt verletzten Augenraumes, z.B. durch Chlor, vorzubeugen. Diese Augenbrille stellt sich für die Klägerin als erheblich störend bzw. belastend dar.
48
Die Klägerin behauptet, die Sehfähigkeit auf beiden Augen komplett verloren zu haben, auch nicht hell und dunkel unterscheiden zu können. Eine Wiederherstellung der Sehfähigkeit auf beiden Augen sei aussichtslos. Die Erblindung einschließlich der fehlenden Hell-Dunkel-Unterscheidung sei dauerhaft.
- Commotio labyrinthi linksseitig mit höhergradiger Schädigung des Innenohres
- Verlust des Riechvermögens, funktionelle Anosmie
- Durch den fehlenden Geruch können Gefahren schlechter wahrgenommen werden, was z.B. eine Brandgefahr beim Kochen bedingt.
- Die Atmung auf dem linken Nasenloch ist nach wie vor eingeschränkt.
- Verlust sämtlicher Geschmackswahrnehmungen, welche über den Geruch vermittelt werden
- fehlender Lustgewinn beim Essen und Trinken
- massive kosmetische Einschränkung mit zahlreichen Narben, Impressionen und Vorwölbungen im zentralen und lateralen Mittelgesicht
- jährlich bzw. alle paar Jahre Notwendigkeit zur Fettaufspritzung am ehemaligen linken Wangenknochen
49
Die Klägerin behauptet, dauerhaft und vollumfänglich die Fähigkeit zum Riechen verloren zu haben.
50
Die Klägerin trägt weiter folgende Einschränkungen der Hörfähigkeit vor:
- kombinierte dauerhafte Schwerhörigkeit in Höhe von 23 %
- Hörminderung linksseitig
- aufgrund des schweren Schädel-Hirn-Traumas würden dauerhaft ca. 50 % weniger Sprache in geräuschvoller Umgebung verstanden; Einschränkung bei einem Richtungshören; zusätzliche negative Auswirkungen aufgrund der kompletten Erblindung, insbesondere im Rahmen der dadurch erschwerten Orientierung (z.B. erhöhte Unfallgefahr mit anderen Verkehrsteilnehmern)
- Ohrgeräusch (Tinnitus) linksseitig
- Diese Einschränkungen der Hörfähigkeit bestünden dauerhaft. Sie werde dauerhaft auf ein Hörgerät angewiesen sein.
- Weitere Verminderung der Hörleistung in der Zukunft sei zu erwarten.
51
Auch habe sie dauerhaft die Fähigkeit zum Schmecken verloren. Der Geschmacksinn sei fast vollumfänglich aufgehoben; die Klägerin vermöge keine Aromen mehr wahrzunehmen außer süß, sauer und salzig. Den Geschmack bitter könne sie nicht mehr wahrnehmen.
52
Alle o.g. Einschränkungen seien dauerhaft.
c) Gynäkologische Folgen:
53
Aufgrund der unfallbedingten Verletzungen kam es u.a. zu ovariellen Dysfunktionen bei der Klägerin mit erheblichen dauerhaften Zyklusunregelmäßigkeiten bei der Regelblutung. Eine Blutungskontrolle ist für die Klägerin unmöglich geworden, so dass sie weitgehend von Dritten auf eine bestehende Regelblutung aufmerksam gemacht werden muss. Dies bringt erhebliche psychische Belastungen mit unangenehmen Situationen mit sich.
54
Auch ist eine Schwangerschaft aufgrund der unfallbedingten Verletzungen kontraindiziert bzw. unmöglich. Es besteht eine reduzierte Schwangerschaftswahrscheinlichkeit mit erhöhtem Einblutungs- und Entzündungsrisiko und erhöhtem Risiko einer Schädigung des Hirns (Hochrisikoschwangerschaft). Eine Schwangerschaft ist aufgrund unkalkulierbarer und möglicherweise lebensbedrohlicher somatischer und psychologischer Risiken nicht möglich. Der vor dem Unfallereignis bestehende Kinderwunsch bzw. Wunsch zur Gründung einer Familie hat sich für die Klägerin unfallbedingt erledigt.
55
Aufgrund der unfallbedingten Beschwerden ist ein dauerhafter Libidoverlust bei der Klägerin gegeben.
56
Weiterhin besteht Blasenschwäche/Inkontinenz.
d) Neurologische/psychologische Folgen:
- Lähmungserscheinungen, insbesondere Zittern während der Dauer der intensivmedizinischen Behandlung
- mit Ende der intensivmedizinischen Behandlung und Realisierung der eigenen Situation akute psychoreaktive Störung im Sinne eines Schockzustandes mit einer Schockphase von einer Woche, mit der fehlenden Möglichkeit, auf äußere Reize zu reagieren, eine sichere Kontaktfähigkeit oder Bewegungsmuskel herzustellen und mit kognitiven Einschränkungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Impulskontrollstörungen
- schwere psychoreaktive/organisch-psychische Störung mit prolongiertem Störungsverlauf; posttraumatische Belastungsstörung
- multiple dauerhafte Hirnnervenschädigungen mit Minderung der Erwerbsfähigkeit und Grad der Behinderung von 100 %
- dauerhafte Hirnsubstanzschädigung/Hirnleistungsstörung mit einer dauerhaften Einschränkung der Gehirnfunktion von 40 % und dauerhaften Einschränkung/Störungen bei dem Kurzzeitgedächtnis, der kognitiven Belastbarkeit, der Konzentrationsfähigkeit, der Orientierungsfähigkeit, Schwindel, der Belastbarkeit und Ausdauer, der Aufmerksamkeit, der Lernfähigkeit, der Rechenfähigkeit, der Gedächtnisfunktion, Unsicherheitsgefühl, sprachliche Defizite und reizbarer Schwäche als Folge der linkshimigen und frontal betonten Hirnsubstanzschäden
- Kompensationsmöglichkeiten von altersdegenerativen Veränderungen geringer als bei völlig gesunden Menschen
- dauerhaftes leicht bis mittelgradig ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom mit einer Invalidität von 40 %
- erhebliche psychische Probleme, Depressionen, Angstzustände, welche auch eine ambulante psychotherapeutische Behandlung seit Anfang 2015 notwendig machten. Ein Abschluss der notwendigen Behandlungen ist nicht abzusehen. Weiter sind Schlafstörungen aufgrund fortwährender Dunkelheit, Wesensveränderungen, Albträume, Konzentrations- und Orientierungsverlust, häufige und schnell einsetzende Müdigkeit (durch die Erblindung gestörter Tag – Nachtrhythmus) sowie Erschöpfungszustände gegeben; dauerhafte Störung des Tag- und Nachtrhythmus und einer Beeinträchtigung des Nachtschlafes, Tagesmüdigkeit, Lethargie und Verlangsamung als Folge der Schlafstörung
- dauerhafte Spannungskopfschmerzen aufgrund der depressiven (psychoreaktiven) Störung wie auch der massiven knöchernden Verletzungen am Hirn und Gesichtsschädel
- unfallbedingt notwendige psychotherapeutische Maßnahme seit Anfang des Jahres 2015 bis auf unbestimmte Zeit notwendig
- dauerhafte Hypophysenvorderlappeninsuffizienz mit reduzierter Lebenserwartung von 8 bis 10 Jahren, soweit die unfallbedingten Begleiterscheinungen (erhöhtes Risiko zur Osteoporose und Arteriosklerose sowie Fettstoffwechsel) nicht behandelt werden
- Sie benötigt dauerhaft neuropsychologische Behandlung aufgrund der Hirnsubstanzschädigung zur Stabilisierung des Schädel-Hirn-Traumas.
- Sie hat ein erhöhtes Risiko für epileptische Anfälle und ein erhöhtes Risiko für den Eintritt einer Demenz.
- Bezüglich des Schädel-Hirn-Traumas/der posttraumatischen Hirnleistungsschwäche ist weiterhin eine Verschlechterung zu erwarten mit zunehmender Verstärkung und Verschlimmerung der o.g. Symptome.
57
Die Klägerin behauptet, dass sie durch die Aufgabe ihrer Berufe als Flugbegleiterin und Krankenschwester zusätzlich und ungemein belastet sei.
e) Sensibilitätsstörungen/Parästhesien/Spasmus/Biss:
58
Die Klägerin leidet seit April 2016 dauerhaft an einer Sensibilitätsstörung der kompletten linken Gesichtshälfte und der Ober- und Unterlippe und vermag insofern Berührungen nicht spüren.
59
Ihr fehlt dauerhaft die Empfindung, ob Essens- oder Flüssigkeitsreste aus der Lippe oder der darunter befindlichen Gesichtshälfte aus dem Mund herauslaufen; erst im Bereich des Halses besteht eine Empfindung hierfür.
60
Die Klägerin ist dauerhaft darauf angewiesen, eine Aufbissschiene zu tragen, welche nur beim Essen herausgenommen werden soll. Durch die unfallbedingte Oberkieferfraktur ist es der Klägerin nicht mehr möglich, richtig zu kauen. Es hat sich der Biss verändert, was nachfolgend zu Muskelverspannungen und weiteren gesundheitlichen Problemen führt.
61
Auch leidet sie unter dauerhaften schmerzhaften Kribbelparästhesien, hat dauerhaft ein schmerzendes Kribbeln auf der Haut, in der linken Gesichtshälfte mit Kontaktschmerzen bei Berührung sowie seit 04/2016 einem Hemispasmus im linken Gesichtsbereich, insbesondere im Bereich von Oberlippe und Mundwinkel, auf Grund der Mittelgesichtsfraktur. Hierdurch bedingt waren seit dem Jahr 2016 wiederholt und fortlaufend Behandlungen mittels Botulinumtoxin mit möglichen Nebenwirkungen wie Lähmungen etc. notwendig.
- dauerhafte Gleichgewichtsstörung links mit Hinweis auf eine zentral vestibuläre Störung (Schwindelsyndrom) mit Gleichgewichtsproblemen
62
Die Klägerin behauptet, seit der Entlassung aus dem Klinikum … Ende 2014 eine Vielzahl von Unfällen mit Anstößen des Kopfes, Beines, Umknicken und kleineren Verletzungen, auch Verbrennungen, und wegen des fehlenden Geruchs- und Geschmackssinns wiederholt Magen-Darm-Erkrankungen erlitten zu haben. Wegen der Erblindung und dem Schwindel bestehe eine erhöhte Sturz- und Stoßgefahr.
h) Dauerfolgen, weitere Behandlungen/Operationen:
63
Es wird eine vollumfängliche Rekonstruktion des Gesichtsfeldes, wie vor dem Unfall, nicht möglich sein; es wird eine Deformierung des Gesichtsfeldes verbleiben. Es besteht ein Zustand nach diversen Gesichtsoperationen.
64
Der Heilungs-, Beschwerde- und Behandlungsverlauf ist noch nicht abgeschlossen.
65
Die Klägerin leidet aktuell nach wie vor insbesondere unter starken Schmerzen an den OP-Narben und den Stellen der Knochenbrüche, muss hierfür Schmerzmittel einnehmen. Ebenfalls leidet die Klägerin aktuell nach wie vor unter Schmerzen im Magenbereich, da im Rahmen einer Operation eine Magensonde gelegt werden musste und ein Nervenstrang verletzt wurde.
66
Der Klägerin stehen folgende Hilfsmittel zur Verfügung: Blindenstock, FAME zur Farberkennung, Teleskopstock, Daisy-Player, Woodscan, Braillezeile.
67
Die Klägerin behauptet, dass sie unfallbedingt seit dem Jahr 2014 weit über 100 Arzt- und Behandlungstermine habe wahrnehmen müssen.
68
Sie müsse sich noch weiteren unfallbedingten medizinischen Behandlungen und Operationen, insbesondere einer weiteren Rekonstruktion des Gesichtsfeldes, unterziehen. Es stünden weitere Behandlungen am Auge, ggf. eine Entfernung des rechten Auges, und Zahn- und Kieferbehandlungen bzw. -operationen an.
69
Sie sei nach wie vor auf physiotherapeutische und psychotherapeutische Behandlung sowie physiotherapeutische Behandlungen/Mobilitätstraining angewiesen.
70
Sie werde auf nicht absehbare Zeit wegen des gegenständlichen Unfalls noch auf medizinische Behandlung und Betreuung, insbesondere auch durch den Hausarzt, angewiesen sein.
Haushaltsführungsschaden:
71
Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses am 28.07.2014 lebte die Klägerin noch in ihrer Wohnung in … allein. Zu diesem Zeitpunkt war eine gemeinsame Haushaltsführung/Wohngemeinschaft mit ihrem Freund in … lediglich anvisiert, wurde aber noch nicht gelebt. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt in einer Übergangsphase, dem Umzug von … nach … und hatte den Haushalt in … noch inne, wobei dieser zeitnah nach … verlagert werden sollte. Der Zusammenzug erfolgte erst mit Entlassung der Klägerin aus dem Bezirksklinikuml … am 16.12.2014.
72
Sämtliche Haushaltsführungstätigkeiten übte die Klägerin vor dem Unfallereignis in … selbst aus.
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Die Klägerin nahm bisher keine entgeltliche Hilfskraft/Ersatzkraft in Anspruch.
74
Dritte, insbesondere die Eltern der Klägerin wie auch Freunde, Verwandte übernahmen und übernehmen diese Aufgaben unentgeltlich.
Die Wohnung der Klägerin in … stellte sich dar wie folgt:
75
46,8 m², 2 Zimmer nebst Küche und Bad mit Balkon/Bepflanzung, insbesondere umfangreiche Pflanzen/Kräutersammlung, Kellerabteil, Tiefgaragenstellplatz und Haustiere, Fische (Aquarium), Kaninchen, kein Garten. Es handelte sich um ein Mehrfamilienhaus, das mit Gas und Strom versorgt ist.
76
Das Wohnzimmer war ca. 17 qm groß, der Fußboden Laminat. Das Schlafzimmer war ca. 13 qm groß mit Laminat. Der Balkon war ca. 5 qm groß mit Steinboden/Beton. Die Küche war ca. 11 qm groß mit Laminat, Küchenzeile/Wand verfliest. Das Bad mit WC war ca. 5 qm groß, Boden und Hälfte Wandhöhe verfliest. Die restlichen Wohnbereiche, Flur/Diele, waren ca. 6 qm groß mit Laminat. Der Keller bzw. Abstellraum war ca. 5 qm groß.
Der Haushalt mit dem Lebensgefährten in … (bis 02/2020) war ausgestaltet wie folgt:
77
Ca. 58 qm Nutzfläche (Mehrfamilienhaus, Energieart: Gas Strom), 2 Zimmer, eine Küche und ein Bad/WC, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, Flur, Diele, Garten ca. 100 qm, Terrasse ca. 10 qm, Kellerabteil, Tiefgaragenstellplatz, direkter Zugang in den Garten von der Wohnung. Eine kleine Spülmaschine war vorhanden. Es waren keine relevanten, eine Haushaltsführung ermöglichenden, Hilfsmittel vorhanden.
Wohnung in … (ab 01.03.2020):
78
Die Klägerin zog ab dem 01.03.2020 in die Wohnung … mit ihrem Lebensgefährten in einen 2-Personen-Haushalt.
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Diese Wohnung ist ausgestaltet wie folgt:
„- ca. 92 qm Nutzfläche auf 2 Etagen (Mehrfamilienhaus, Energieart Öl, Strom) 6 Zimmer
- 1. Geschoss der Wohnung: Wohnzimmer mit Küche und Essbereich 49 qm, einmal Bad/WC mit Badewanne 5 qm, Abstellraum 1,5 qm, Flur 10 qm.“
- 2. Geschoss: Flur mit Büroecke 3 qm, Schlafzimmer 12 qm, Badezimmer mit Toilette und Dusche 2,5 qm, Gästezimmer 9 qm, Balkon 2 qm, Kellerabteil 4 qm, Tiefgaragenstellplatz, Fahrradkeller (Gemeinschaftsraum)
- Das Wohnzimmer mit offenem Koch/Essbereich ist ca. 49 qm groß, der Fußboden ist Laminat. Das Badezimmer ist ca. 5 qm groß, der Fußboden ist Fliesenboden, Kacheln. Der Flur/die Diele hat Laminat ebenso wie der Abstellraum.
- Im 2. Geschoss ist der Bodenbelag Laminat, außer im Bad, dort Fliesen/Kacheln. Der Balkon hat Asphaltsteine als Boden, die Kellerabteilung und Tiefgarage einen Betonboden.
80
Ihre einzelnen durchschnittlichen Haushaltsführungstätigkeiten in der Wohnung in … (vor dem Unfall) benannte die Klägerin wie folgt:
„- Anmerkung: Die Tätigkeiten an sich sind zuletzt unstreitig, lediglich der Zeitaufwand wurde beklagtenseits zu 1), 2) und 5) zuletzt in Abrede gestellt. -
- zunächst mit Schriftsatz vom 05.12.2017, Bl. 295 ff d.A.: -
1. Haushaltsführung im engeren Sinne:
a) Einkaufen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3× wöchentlich je eine Stunde = 3 Stunden
b) Eingekauftes sortieren und wegräumen, Vorräte kontrollieren; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3× je eine viertel Stunde = 0,75 Stunden
c) Müll sortieren und wegbringen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3× wöchentlich je eine viertel Stunde = 0,75 Stunden
d) Altglas wegbringen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: einmal monatlich eine halbe Stunde = 0,13 Stunden
e) Kochen (warme Mahlzeit); die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 4,5 Stunden
f) Zubereitung Frühstück/Abendbrot; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3,5 Stunden
g) Geschirr aufdecken, abwaschen und wegräumen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,75 Stunden
h) Pflege der Zimmerpflanzen/Kräuter; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,5 Stunden
i) Bettwäsche wechseln; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,25 Stunden
j) Wäsche waschen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,0 Stunden
k) Wäsche abhängen, Wäsche wegräumen und bügeln; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,0 Stunden
l) Staub wischen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,0 Stunden
m) Fußboden, nass wischen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,0 Stunden
n) Küche komplett putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,0 Stunden
o) Fenster putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,4 Stunden
p) Schuhe putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,25 Stunden
q) Diverse Haushaltssachen pflegen und ordnen, aufräumen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3,0 Stunden
r) Reparaturen/Instandhaltungen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,5 Stunden
s) Lüften/Heizen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,75 Stunden
t) Tiere versorgen, Reinigung Hasenstall, Reinigung Aquarium; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,5 Stunden
Gesamtstunden pro Woche: ca. 28,53 Stunden
2. übrige Organisation/Haushaltsführung im weiteren Sinne:
a) Terminverwaltung (Behörden, Arbeitgeber, Privates); die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 6× eine viertel Stunde = 1,5 Stunden
b) Korrespondenzverwaltung/Schriftverkehr, Behörden etc.; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 6× eine viertel Stunde = 1,5 Stunden
c) Geburtstags-/Gruß- und Weihnachtskarten; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3 Stunden im Monat = 0,75 Stunden
d) Bankgeschäfte, Online, Schriftverkehr etc.; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: einmal eine halbe Stunde = 0,5 Stunden
Gesamtstunden pro Woche ca. 4,25 Stunden
Insgesamt geht die Klägerin von einem gesamten wöchentlichen Aufwand im Rahmen der Haushaltsführungstätigkeit von mindestens 32,78 Stunden pro Woche aus.“
- sodann mit Schriftsatz vom 31.03.2018, Bl. 661 ff d.A.: -
1. Haushaltsführung im engeren Sinne:
a) Einkaufen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3,25 Stunden
b) Eingekauftes sortieren und wegräumen, Vorräte kontrollieren; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,75 Stunden
c) Müll sortieren und wegbringen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,75 Stunden
d) Altglas wegbringen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,13 Stunden
e) Kochen (warme Mahlzeit); die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 4,5 Stunden
f) Zubereitung Frühstück/Abendbrot; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3,15 Stunden
g) Geschirr aufdecken, abwaschen und wegräumen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,57 Stunden
h) Pflege der Zimmerpflanzen/Kräuter; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,5 Stunden
i) Bettwäsche wechseln; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,22 Stunden
j) Wäsche waschen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,9 Stunden
k) Wäsche abhängen, Wäsche wegräumen und bügeln; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,8 Stunden
l) Staub wischen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,0 Stunden
m) Fußboden, nass wischen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,0 Stunden
n) Küche komplett putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,0 Stunden
o) Fenster putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,4 Stunden
p) Schuhe putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,25 Stunden
q) Diverse Haushaltssachen pflegen und ordnen, aufräumen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3,0 Stunden
r) Reparaturen/Instandhaltungen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,5 Stunden
s) Lüften/Heizen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,5 Stunden
t) Tiere versorgen, Reinigung Hasenstall, Reinigung Aquarium; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,25 Stunden
Gesamtstunden pro Woche: ca. 32,49 Stunden
2. Haushaltsführung im weiteren Sinne:
a) Terminverwaltung; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,35 Stunden
81
b) Korrespondenzverwaltung; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 6× eine viertel Stunde = 2,75 Stunden
c) Geburtstags-/Gruß- und Weihnachtskarten; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,675 Stunden
d) Bankgeschäfte; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,70 Stunden
Gesamtstunden pro Woche ca. 6,475 Stunden
82
Insgesamt geht die Klägerin von einem gesamten wöchentlichen Aufwand im Rahmen der Haushaltsführungstätigkeit von mindestens 38,96 Stunden pro Woche aus.
- zur Haushaltsführung im weiteren Sinn vor dem Unfallereignis zuletzt mit Schriftsatz vom 05.10.2020, Bl. 1030 ff. der Akte -:
Haushaltsführung im weiteren Sinne:
- Terminverwaltung (Behörden, Arbeitgeber, Privates): 1,5 Stunden pro Woche
- Korrespondenzverwaltung/Schriftverkehr, Behörden, Vereine, Sozialversicherungsträger etc., handschriftlich: 1,5 Stunden pro Woche
- Geburtstags-/Gruß- und Weihnachtskarten: 0,75 Stunden pro Woche
- Bankgeschäfte, Online, Schriftverkehr: 0,5 Stunden pro Woche
-> Gesamt pro Woche: 4,25 Stunden.
83
Die einzelnen durchschnittlichen Haushaltsführungstätigkeiten in der zunächst bezogenen Wohnung in … (bis 02/2020) benannte die Klägerin wie folgt:
- Anmerkung: Die Tätigkeiten an sich sind zuletzt unstreitig, lediglich der Zeitaufwand wurde beklagtenseits zu 1), 2) und 5) zuletzt in Abrede gestellt. -
1. Haushaltsführung im engeren Sinne:
a) Einkaufen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3,0 Stunden
b) Eingekauftes sortieren und wegräumen, Vorräte kontrollieren; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,75 Stunden
c) Müll sortieren und wegbringen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,75 Stunden
d) Altglas wegbringen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,13 Stunden
e) Kochen (warme Mahlzeit); die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 4,5 Stunden
f) Zubereitung Frühstück/Abendbrot; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 3,5 Stunden
g) Geschirr aufdecken, abwaschen und wegräumen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,75 Stunden
h) Pflege der Zimmerpflanzen/Kräuter; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,5 Stunden
i) Bettwäsche wechseln; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,25 Stunden
j) Wäsche waschen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,0 Stunden
k) Wäsche abhängen, Wäsche wegräumen und bügeln; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,0 Stunden
l) Staub wischen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,0 Stunden
m) Fußboden, nass wischen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,0 Stunden
n) Küche komplett putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,0 Stunden
o) Fenster putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,4 Stunden
p) Schuhe putzen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,25 Stunden
q) Diverse Haushaltssachen pflegen und ordnen, aufräumen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,0 Stunden
r) Reparaturen/Instandhaltungen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,5 Stunden
s) Lüften/Heizen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,75 Stunden
t) Garten/Rasen mähen, Beete pflegen; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 2,5 Stunden
Gesamtstunden pro Woche: ca. 28,53 Stunden
2. Haushaltsführung im weiteren Sinne:
a) Terminverwaltung; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,5 Stunden
b) Korrespondenzverwaltung; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 1,5 Stunden
c) Geburtstags-/Gruß- und Weihnachtskarten; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,75 Stunden
d) Bankgeschäfte, Online, Schriftverkehr; die Klägerin behauptet, dass hierfür erforderlich sei: 0,5 Stunden
Gesamtstunden pro Woche ca. 4,25 Stunden
84
Insgesamt geht die Klägerin von einem gesamten wöchentlichen Aufwand im Rahmen der Haushaltsführungstätigkeit von mindestens 32,78 Stunden pro Woche aus.
Zu den Haushaltsführungstätigkeiten in der neuen Wohnung … in … (ab 02/2020):
1. Haushaltsführung im engeren Sinne: (Stunden pro Woche)
a) Einkaufen: 3× wöchentlich je eine Stunde = 3,0 Stunden
b) Eingekauftes sortieren und wegräumen, Vorräte kontrollieren: 3× je viertel Stunde = 0,75 Stunden
c) Müll sortieren und wegbringen: 3× wöchentlich je viertel Stunde = 0,75 Stunden
d) Altglas wegbringen: einmal monatlich halbe Stunde = 0,13 Stunden
e) Kochen (warme Mahlzeiten): 7× in der Woche je 45 Minuten = 5,25 Stunden
f) Zubereitung (Frühstück, Abendbrot): 2×7× je viertel Stunde = 3,50 Stunden
g) Geschirr aufdecken, abwaschen und wegräumen: täglich 1,75 Stunden
h) Pflege der Zimmerpflanzen/Kräuter (Balkon): 2× in der Woche je viertel Stunde = 0,5 Stunden
i) Bettwäsche wechseln: einmal in der Woche viertel Stunde = 0,25 Stunden
j) Wäsche waschen: 2× halbe Stunde, Wäsche aufhängen: 2× halbe Stunde = 1 Stunde
k) Wäsche abhängen 2× viertel Stunde, Wäsche wegräumen und bügeln 2× dreiviertel Stunde = 2 Stunden
l) Staub wischen: 4× viertel Stunde, Staubsaugen: einmal eine Stunde = 2,0 Stunden
m) Fußboden nass wischen inklusive WC säubern: einmal eine Stunde = 1 Stunde
n) Küche komplett putzen, u.a. Geräte säubern, entkalken, enteisen: einmal eine Stunde = 1 Stunde
o) Fenster putzen, 7 Fenster: alle drei Monate 3 Stunden, Frühjahrsputz: ein Tag im Jahr = 0,4 Stunden
p) Schuhe putzen: einmal viertel Stunde in der Woche = 0,25 Stunden
q) Haushaltssachen pflegen und ordnen/aufräumen: einmal eine Stunde = 1 Stunde
r) Reparaturen/Instandhaltungen: 0,5 Stunden
s) Lüften/Heizen: 7× viertel Stunde = 1,75 Stunden
t) Balkon reinigen: halbe Stunde im Monat 0,125 Stunden
Gesamtstunden pro Woche: 26,90 Stunden
2. Haushaltsführung im weiteren Sinne:
a) Terminverwaltung (Behörden, Arbeitgeber, Privates etc.): 6× viertel Stunde = 1,5 Stunden
b) Korrespondenzverwaltung/Schriftverkehr, Behörden etc.: 6× viertel Stunde = 1,5 Stunden
c) Geburtstags-, Gruß- und Weihnachtskarten: 3 Stunden im Monat gleich 0,75 Stunden
d) Bankgeschäfte, Online, Schriftverkehr etc.: einmal halbe Stunde = halbe Stunde
Gesamtstunden pro Woche 4,25
85
Insgesamt berechnet die Klägerin für den neuen Haushalt in Altdorf einen wöchentlichen Aufwand von 31,15 Stunden pro Woche.
Minderung der Hausarbeitsfähigkeit:
- zunächst mit Schriftsatz vom 05.12.2017, Bl. 295 ff d.A.: -
86
Die Tätigkeiten unter 1.a) bis e), h), l) bis r) erachtet die Klägerin unfallbedingt als zu 100 % unmöglich.
87
Die Zubereitung von Frühstück und Abendbrot unter 1.f) erachtet sie zu 90 % für unmöglich = 3,15 Stunden.
88
Geschirr aufdecken, abwaschen und wegräumen unter 1.g) erachtet sie für 90 % unmöglich = 1,57 Stunden.
89
Bettwäsche wechseln unter 1.i) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 0,225 Stunden.
90
Wäsche waschen unter 1.j) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 0,9 Stunden.
91
Wäsche abhängen, wegräumen und bügeln unter 1.k) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 1,8 Stunden.
92
Lüften, Heizen unter 1.s) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 1,57 Stunden.
93
Tiere versorgen, Reinigen Hasenstall, Reinigung Aquarium unter 1.t) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 2,25 Stunden.
94
Die Klägerin geht damit von einer gesamten Minderung der Haushaltsführungstätigkeit im engeren Sinne im Umfang von ca. 27,24 Stunden pro Woche aus.
95
Bezüglich der Haushaltsführung im weiteren Sinne unter 2) geht sie von Einschränkungen wie folgt aus:
96
Die Terminverwaltung unter 2.a) hält sie zu 90 % für nicht möglich = 1,35 Stunden.
97
Die Korrespondenzverwaltung unter 2.b) erachtet sie zu 100 % nicht möglich = 1,5 Stunden.
98
Geburtstags-, Gruß und Weihnachtskarten schreiben beziffert sie mit zu 90 % nicht möglich = 0,675 Stunden.
99
Bankgeschäfte unter 2.d) erachtet sie zu 90 % nicht möglich = 0,45 Stunden.
100
Insgesamt sind dies ca. 3,975 Stunden in der Woche.
101
Insgesamt errechnet die Klägerin hieraus eine unfallbedingte Minderung der Haushaltsführungstätigkeit von ca. 31,21 Stunden pro Woche.
Aufgrund der unfallbedingten Verletzungen bestehe ein zusätzlicher Zeitmehraufwand wie folgt:
Zu 1) Haushaltsführung im engeren Sinne:
a) Einkaufen ca. 0,25 Stunden
b) Wäsche waschen ca. 1 Stunde
c) Wäsche abhängen, Wäsche wegräumen und bügeln ca. 1 Stunde
d) Putzen/Fußboden, Küche etc. ca. 1 Stunde
e) diverse Haushaltssachen pflegen und ordnen/aufräumen ca. 2 Stunden
Zu 2. Haushaltsführung im weiteren Sinne:
Terminverwaltung/Korrespondenzverwaltung/Behörden/Bankgeschäfte ca. 2,5 Stunden
102
Damit bestehe ein Zeitmehraufwand pro Woche von ca. 7,75 Stunden.
103
Die Klägerin geht daher von einem Mehrbedarf im Rahmen des Haushaltsführungsschadens von insgesamt 38,96 Stunden pro Woche aus.
- zuletzt mit Schriftsatz vom 31.03.2018, Bl. 661 ff d.A.: -
104
Die Tätigkeiten unter 1.a) bis e), h), l) bis r), t) erachtet die Klägerin unfallbedingt als zu 100 % unmöglich.
105
Die Zubereitung von Frühstück und Abendbrot unter 1.f) erachtet sie zu 90 % für unmöglich = 3,15 Stunden.
106
Geschirr aufdecken, abwaschen und wegräumen unter 1.g) erachtet sie für 90 % unmöglich = 1,57 Stunden.
107
Bettwäsche wechseln unter 1.i) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 0,225 Stunden.
108
Wäsche waschen unter 1.j) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 0,9 Stunden.
109
Wäsche abhängen, wegräumen und bügeln unter 1.k) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 1,8 Stunden.
110
Lüften, Heizen unter 1.s) erachtet sie für zu 90 % unmöglich = 1,57 Stunden.
111
Die Klägerin geht damit von einer gesamten Minderung der Haushaltsführungstätigkeit im engeren Sinne im Umfang von ca. 27,49 Stunden pro Woche aus.
112
Bezüglich der Haushaltsführung im weiteren Sinne unter 2) geht sie von Einschränkungen wie folgt aus:
113
Die Terminverwaltung unter 2.a) hält sie zu 90 % für nicht möglich = 1,35 Stunden.
114
Die Korrespondenzverwaltung unter 2.b) erachtet sie zu 100 % nicht möglich = 1,5 Stunden.
115
Geburtstags-, Gruß und Weihnachtskarten schreiben beziffert sie mit zu 90 % nicht möglich = 0,675 Stunden.
116
Bankgeschäfte unter 2.d) erachtet sie zu 90 % nicht möglich = 0,45 Stunden.
117
Insgesamt sind dies ca. 3,975 Stunden in der Woche.
118
Insgesamt errechnet die Klägerin hieraus eine unfallbedingte Minderung der Haushaltsführungstätigkeit mit ca. 31,46 Stunden pro Woche.
Aufgrund der unfallbedingten Verletzungen bestehe ein zusätzlicher Zeitmehraufwand wie folgt:
Zu 1) Haushaltsführung im engeren Sinne:
a) Einkaufen ca. 0,25 Stunden
b) Wäsche waschen ca. 1 Stunde
c) Wäsche abhängen, Wäsche wegräumen und bügeln ca. 1 Stunde
d) Putzen/Fußboden, Küche etc. ca. 1 Stunde
e) diverse Haushaltssachen pflegen und ordnen/aufräumen ca. 2 Stunden
Zu 2. Haushaltsführung im weiteren Sinne:
Terminverwaltung/Korrespondenzverwaltung/Behörden/Bankgeschäfte ca. 2,5 Stunden
119
Damit bestehe ein Zeitmehraufwand pro Woche von ca. 7,75 Stunden.
120
Die Klägerin geht daher von einem Mehrbedarf im Rahmen des Haushaltsführungsschadens von insgesamt 39,21 Stunden pro Woche aus.
121
Die Klägerin begehrt insoweit die Erstattung des sog. Nettoschadens. Sie setzt einen Nettolohn pro Stunde in Höhe von 9,81 € an.
122
Bezüglich der Bewältigung der Korrespondenzverwaltung/Bankgeschäfte/Behördenschriftverkehr, wofür eine Besprechung, Ordnung, Aufbereitung von Verträgen, Schriftverkehr etc. mit der Klägerin erforderlich ist, setzt die Klägerin einen erhöhten Stundensatz netto für eine Fachkraft mit 13,50 € an.
123
Rückständigen Haushaltsführungsschaden berechnet die Klägerin für die Zeit vom 16.12.2014 – 31.10.2017 mit 60.580,29 €.
124
Insofern geht die Klägerin von einer monatlichen Rentenzahlung gem. § 843 Abs. 1 BGB in Höhe von 1.753,64 € aus und berechnet die vierteljährlich im Voraus gem. § 760 Abs. 2 zu zahlende Rente mit 3 × 1.753,64 € = 5.260,92 €.
Minderung der Hausarbeitsfähigkeit bezüglich des nunmehrigen Haushalts in ….
125
Von den o.g. Tätigkeiten seien ihr die Zubereitung von Frühstück und Abendbrot, Geschirr aufdecken, abwaschen und wegräumen, Bettwäsche wechseln, Wäsche waschen, Wäsche abhängen, Wäsche wegräumen, bügeln sowie lüften und heizen zu je 90 % unmöglich, im Übrigen zu 100 %. Die Klägerin kommt daher auf 25,87 Stunden pro Woche.
126
Bezüglich der Haushaltsführung im weiteren Sinne seien ihr die Terminsverwaltung, das Kartenschreiben und Bankgeschäfte zu 90 % und die Korrespondenzverwaltung zu 100 % unmöglich. Sie kommt daher auf 3,97 Stunden pro Woche.
127
Sie nimmt daher insofern eine unfallbedingte Minderung der Haushaltsführungstätigkeit mit 29,84 Stunden pro Woche an.
128
Zum unfallbedingten Mehrbedarf hinsichtlich der neuen Wohnung in … macht sie zur Haushaltsführung im engeren Sinne vor (pro Woche) geltend:
- Einkaufen: 0,25 Stunden
- Wäsche waschen: 1 Stunde
- Wäsche abhängen, Wäsche wegräumen und bügeln: 1 Stunde
- Putzen Fußboden, Küche etc.: 1 Stunde
- Diverse Haushaltssachen pflegen und ordnen, aufräumen: 2 Stunden.
Zur Haushaltsführung im weiteren Sinne: insgesamt 2,5 Stunden.
129
Dies ergibt einen Gesamtzeitmehraufwand pro Woche von 7,75 Stunden.
130
Damit berechnet sie einen Gesamtbetrag von 37,59 Stunden pro Woche.
131
Der Beklagtenvertreter zu 1), 2) und 5) geht davon aus, dass es beim Haushaltsführungsschaden nur auf den Mehrbedarf in der eigenen Haushaltsführung ankomme.
Vermehrte Bedürfnisse – Glasaugen –, Augenbrauen –, Hand –, Fußpflege, Schminken:
132
Die Klägerin kann unfallbedingt bzw. aufgrund der unfallbedingten Verletzungen notwendige Tätigkeiten zur Körperpflege dauerhaft nicht mehr selbst ausführen und ist insoweit auf die Unterstützung bzw. Vornahme von dritter Seite angewiesen.
133
Die Klägerin nahm keine entgeltliche Ersatzkraft in Anspruch.
134
Der Pflege- und Zeitaufwand für Augenbrauen-, Hand-, Fußpflege, Schminken wird seit 16.12.2014 unentgeltlich von dritten Personen, Angehörigen und Freunden vorgenommen, insbesondere von Freundinnen der Klägerin, der Mutter und dem Freund der Klägerin.
135
Insofern geht die Klägerin von vermehrten Bedürfnissen wie folgt aus:
1. Linkes Auge. Pflege der Augenschale und des Glasauges:
-7 × 10 Minuten = ca. 70 Minuten pro Woche
136
Wegen der Glasaugenpflege macht die Klägerin täglich seit dem 03.12.2015 einen Gesamtaufwand von 70 Minuten pro Woche geltend.
2× 10 Minuten = ca. 20 Minuten pro Woche
Ca. 7 × 15 Minuten pro Tag = 105 Minuten pro Woche
Insgesamt setzt die Klägerin hierfür 205 Minuten pro Woche = 3,41 Stunden pro Woche an.
Vermehrte Bedürfnisse bezüglich Augenbrauen-, Hand-, Fußpflege und Schminken macht die Klägerin seit 16.12.2014 geltend.
137
Hierfür setzt die Klägerin einen Stundenlohn von 13,50 € netto an. Sie geht davon aus, dass es sich hierbei um Tätigkeiten einer Fachkraft handelt.
138
Diesbzgl. Rückstände berechnet die Klägerin für die Zeit vom 16.12.2014 – 31.10.2017 mit 6.909,85 €.
139
Die Rentenzahlung beziffert sie mit 200,02 € monatlich = vierteljährlich 600,06 €.
Vermehrte Bedürfnisse/Begleitperson
140
Die Klägerin ist unfallbedingt auf eine Begleitperson zur Verrichtung des täglichen Lebens angewiesen. Sie bedarf aufgrund der unfallbedingten Beeinträchtigungen täglich einer Begleitung, um Arztbesuche, Therapien, Behördengänge, Freizeitveranstaltungen, den Kleiderkauf etc. wahrnehmen zu können.
141
Sie wird durch Dritte, Bekannte, Nachbarn, Freunde und ihren Freund begleitet und unterstützt, dies unentgeltlich.
142
Die Klägerin behauptet, dauerhaft und nahezu vollumfänglich auf die Begleitperson angewiesen zu sein. Sie geht von insgesamt ca. 15 Verrichtungen pro Woche aus, bei denen eine Begleitperson notwendig ist.
143
Die Klägerin macht für eine Begleitperson ohne Urlaub/vermehrte Bedürfnisse im Einzelnen Folgendes geltend:
a) 3× pro Woche Ausgehen (Essen gehen, Kulturveranstaltungen, Musicals): jeweils 3 Stunden pro Woche, insgesamt 9 Stunden
b) Einmal pro Woche einkaufen, Kleider etc. ohne Lebensmittel: 2,5 Stunden pro Woche
c) Einmal pro Woche Fahrrad fahren: wenigstens 1 Stunde (Mai bis September); täglich spazieren gehen: eine Stunde; gesamt wöchentlich: 8 Stunden
d) Einmal im Monat schwimmen gehen, Therme, Sauna: 3 Stunden pro Woche, ca. 0,75
-> gesamt 20,25 Stunden pro Woche.
a) 3× pro Woche Ausgehen (Essen gehen, Kulturveranstaltungen, Konzertbesuche, Musical, Kino in Nürnberg, Regensburg, Altdorf), Zeitdauer An- und Abfahrt Kfz durchschnittlich 40 Minuten, Verweildauer vor Ort jeweils 3 Stunden
b) Einmal pro Woche einkaufen – Kleider etc. ohne Lebensmittel, in …, Zeitdauer An- und Abfahrt ca. 40 Minuten, … (Pkw) bzw. … 20 Minuten, Verweildauer 2,5 Stunden
c) wenigstens einmal pro Tag eine Stunde spazieren gehen
d) Fahrrad fahren einmal pro Woche 1 bis 4 Stunden (Mai bis September)
d) ein bis zweimal im Monat schwimmen gehen, Sauna, Therme: wenigstens 3 Stunden pro Vorgang inklusive ankleiden, auskleiden, duschen, Haarpflege, schminken, schwimmen gehen, verweilen vor Ort.
144
Die Klägerin setzt hierfür durchschnittlich 25 Stunden pro Woche bei einem Nettolohn von wenigstens 9,81 € für die Hilfskraft an.
145
Rückstände hierfür berechnet die Klägerin für die Zeit vom 16.12.2014 – 31.10.2017 mit 36.812,02 €.
146
Bezüglich der Rentenzahlung gem. § 843 Abs. 1 BGB geht sie von einem Monatsbetrag von 1.056,61 € aus, was einen vierteljährlichen Betrag gem. § 760 Abs. 2 BGB von 3.169,83 € ergibt.
147
Der Beklagtenvertreter zu 1), 2) und 5) meint, dass die Kosten für eine Begleitperson nicht fiktiv beansprucht werden könnten. Einer ständigen Begleitperson bedürfe es nicht.
Vermehrte Bedürfnisse/Begleiperson – Urlaub
148
Die Klägerin ist unfallbedingt auf eine Begleitperson/Betreuung zur Vornahme eines Urlaubs angewiesen. Sie setzt einen Umfang von 12 Stunden pro Tag für eine Begleitperson an.
149
Die Klägerin reiste vor dem Unfallereignis gerne und viel. Sie unternahm einmal im Jahr eine Fernreise mit einer Reisedauer von ca. 2 bis 3 Wochen und weitere kleinere Reisen mit einer Gesamtdauer von 2 bis 3 Wochen im Jahr.
150
Die Reisen kann die Klägerin nicht mehr alleine bewerkstelligen. Sie ist im Urlaubsalltag auf fremde Hilfe angewiesen, muss Erklärungen/Hilfe erhalten und betreut werden.
151
Die Klägerin bemisst die unfallbedingten notwendigen Mehrkosten für eine Begleitperson, Hilfskraft, für den Urlaub wie folgt:
„Wenigstens 5 Wochen im Jahr, wenigstens 2 Reisen, davon eine Fernreise mit Flug, Hotel, Verpflegung, Ausflügen, Mietwagen etc., gesamt 2.500,00 €, und eine Nahreise mit Flug, Hotel, Verpflegung, Ausflügen etc., gesamt 1.500,00 €. Die Klägerin setzt hierfür einen Stundensatz von 9,81 € netto an und berechnet 12 Stunden der Begleitperson pro Tag × 35 Tage (5 Wochen). Die Klägerin erachtet hierin Eigeninteressen der Begleitperson, Pausen und die Nachtruhe für ausreichend berücksichtigt.“
152
Die Klägerin unternahm 2016 und 2017 Urlaubsaufenthalte wie folgt:
„2016: Dubai, 2 Wochen, Flugreise, Betreuung durch die Eltern, Geschwister und Freund abwechselnd.
2017: Fischland Darß/Ostsee, 1 Woche, Betreuung durch die Eltern; Oberammergau/Garmisch Partenkirchen, 1 Woche Hotel, Betreuung durch Freund; 14 Tage Malediven, Betreuung durch Freund, Eltern abwechselnd.“
153
Für 2016 setzt sie 3 Wochen = 21 Tage × 12 Stunden × 9,81 € = 2.472,12 € und für 2017 4 Wochen = 28 Tage × 12 Stunden × 9,81 € = 3.296,16 € an, insgesamt 5.768,32 €.
154
Die Rentenzahlung gem. § 842 Abs. 1 BGB bemisst sie wie folgt:
„wenigstens 5 Wochen im Jahr, wenigstens 2 Reisen, davon eine Fernreise, gesamt: 2.500,00 €; und eine Nahreise, gesamt: 1.500,00 €; 9,81 € netto pro Stunde × 12 Stunden pro Tag × 35 Tage = 5 Wochen = 4.120,20 €, damit insgesamt 8.120,02 € pro Jahr.“
Erwerbsschaden/Entgangener Verdienst/… und … vom 28.07.2014 bis 30.11.2017:
155
Die Klägerin war seit 23.01.2008 bei der … als Flugbegleiterin angestellt. Die Klägerin hat keine Kinder, unterlag nicht der Kirchensteuer und war in Lohnsteuerklasse I eingestuft.
156
Die Klägerin kann unfallbedingt ihre vormals ausgeübte Tätigkeit als Flugbegleiterin nicht mehr ausüben.
157
Die Klägerin macht hinsichtlich ihrer Tätigkeit bei der … Folgendes geltend:
> Grundvergütung 2.050,00 € brutto (jährlich ansteigend)
> zzgl. Schichtzulage (steuerfrei), variabel, durchschnittlich 350,00 € brutto, nicht sozialversicherungspflichtig
> zzgl. Bordverkaufsprovision, variabel, durchschnittlich 50,00 € brutto,
> zzgl. Mehrflugstunden, variabel, durchschnittlich 600,00 € brutto,
> zzgl. sonstige Vergütungsbestandteile (Versicherungen etc.), 214,39 € brutto.
158
Die Klägerin geht davon aus, dass sie für 08/2014 bis 12/2014 ein Netto-Einkommen von monatlich 1.814,14 € netto zzgl. Schichtzulage, insges. 2.164,14 € netto, × 5 Monate = 10.820,70 € bezogen hätte.
159
Für die nachfolgenden Jahre 2015 bis einschließlich 11/2017 geht die Klägerin von einer jährlichen Gehaltssteigerung bei der … aus wie folgt:
- 2015: Steigerung des monatlichen Grundgehaltes um 111,00 € brutto -> monatlich 2.226,24 € netto, × 12 Monate = 26.714,88 € Gesamtjahresnetto 2015
- 2016: Steigerung des monatlichen Grundgehaltes um 111,00 € brutto -> monatlich 2.294,94 € netto, × 12 Monate = 27.539,28 € Gesamtjahresnetto 2016
- 2017: Steigerung des monatlichen Grundgehaltes um 111,00 € brutto -> monatlich 2.357,94 € netto, × 11 Monate = 25.937,34 € Nettogehalt 01/-11/2017
-> Gesamt 01/2015-11/2017: 80.191,50 € netto.
160
… stellt für die Flugreisen der Flugbegleiter diesen ein sog. Spesenkonto für Verpflegung zur Verfügung. Auf diesem bekam die Klägerin für jede Flugreise in Abhängigkeit vom jeweiligen Land einen Pauschalbetrag für Verpflegung gut geschrieben. Soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde, erfolgte eine Auszahlung an die Flugbegleiter bzw. die Klägerin zur freien Verfügung. Für jede Reise erfolgte eine Gutschrift auf dem Personalkonto, wobei der Pauschalbetrag auf die sog. „Crew Member Card“ der Klägerin, ein Kreditkartenkonto, gutgeschrieben wurde und am Ende des Monats, soweit nicht in Anspruch genommen, auf das Konto der Klägerin ausbezahlt wurde.
161
Die Klägerin lebte auf ihren Flugreisen stets sehr sparsam und versorgte sich weitestgehend im Supermarkt vor Ort.
162
Sie erhielt im Zeitraum 07/2013 bis 06/2014 einen Gesamtbetrag von 3.656,57 € gutgeschrieben, damit durchschnittlich im Monat ca. 300 €.
163
Die Klägerin setzt insofern für 08/2014 bis 11/2017, 40 Monate, × 300 €, insgesamt 12.000,00 €, im Rahmen des entgangenen Verdienstes an.
164
Sie hält diesen Pauschalbetrag als Einkunft für berücksichtigungsfähig.
Gesamtnetto 08/2014 bis 11/2017:
165
Das gesamte Nettoeinkommen im Rahmen des Erwerbsschadens bei der … für August 2014 bis 30.11.2017 bemisst die Klägerin mit insgesamt 103.012,22 €.
166
Die Klägerin erhielt ab 08/2014 folgende Entgeltleistungen/Lohnersatzleistungen, netto, von dritter Seite ausbezahlt:
- 08/2014: Arbeitgeber …/Entgeltfortzahlung/Gehalt: 1.374,30 €.
- 29.08.2014 bis 15.01.2016: Krankengeld …: 23.914,35 €; Rückforderung der Krankenkasse für diesen Zeitraum in Höhe von 8.331,92 €
- 04/2015: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 70,09 €
- 05/2015: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 977,12 €
- 10/2015: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 244,32 €
- 11/2015: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 139,58 €
- 01/2016: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 59,82 €
- Erwerbsminderungsrente 04-06/2015 (netto) 3 × 866,12 € = 2.598,36 €
- Erwerbsminderungsrente 07/2015-02/2016 (netto) 8 × 884,28 € = 7.074,24 €
- Erwerbsminderungsrente 03/2016-06/2016 (netto) 4 × 882,30 € = 3.529,20 €
- Erwerbsminderungsrente 07/2016-12/2016 (netto) 6 × 919,77 € = 5.518,62 €
- Erwerbsminderungsrente 01/2017-06/2017 (netto) 6 × 917,71 € = 5.506,26 €
- Erwerbsminderungsrente 07/2017-11/2017 (netto) 5 × 935,18 € = 4.675,90 €
Die Klägerin erhielt ab 02/2016 Arbeitslosengeld 1 seitens der Bundesagentur für Arbeit ausbezahlt wie folgt:
- 03/2016 bis 01/2017: monatlich je 1.059,30 € = 11 × 1.059,30 € = 11.652,30 €
167
Es erfolgte von Seiten der ARGE eine Rückforderung bzw. Verrechnung mit der Erwerbsminderungsrente durch die DRV Bund mit Forderungen der ARGE wegen dieser Leistungen für den Zeitraum 03/2016-01/2017 in Höhe von 10.802,95 €.
Vorteilsausgleich 08/2014 bis 11/2017:
168
Zum Vorteilsausgleich in Form der Fahrtkosten zu ihrem Arbeitsantritt bei der … in … berechnet die Klägerin ca. 30 km/h pro Tag bzgl. Kfz von ihrem Wohnort in … zum Flughafen …, 4 × im Monat, á 0,30 €, = 432,00 € pro Jahr, zzgl. 20,00 € pro Monat Standgebühr für das Kfz am Flughafen … (240,00 € pro Jahr).
169
Weiter berücksichtigt sie Fluggebühren mit ca. 64,00 € für Hin- und Rückflug …, 4 × im Monat, 4 × 64,00 € × 12 = 3.072,00 €.
170
Hiervon ausgehend berechnet sie einen Vorteilausgleich mit durchschnittlich ca. 3.744 € pro Jahr, ca. 312 € pro Monat.
171
Für die Zeit vom 28.07.2014 bis 30.11.2017 errechnet sie damit den Vorteilsausgleich in Höhe von 12.480,00 € (40 Monate × 312,00 €).
172
Eine urlaubsbedingte Abwesenheit gibt sie mit ca. 5 Wochen pro Jahr an. Hierfür berechnet sie einen Abzugsbetrag von 1.170,00 €.
173
Für die Zeit vom 28.07.2014 bis 30.11.2017 errechnet sie damit den Vorteilsausgleich in Höhe von insgesamt 11.310,00 € (12.480,00 € abzgl. 1.170,00 €).
174
Weiterhin lässt sie sich im Wege des Vorteilsausgleichs Reinigungskosten für das Stewardessen-Kostüm (Jacke und Rock) in Höhe von 50 bis 75 Euro jährlich (4x jährlich) anrechnen.
175
Für die Zeit vom 28.07.2014 bis 30.11.2017 berechnete die Klägerin ihren entgangenen Verdienst für ihre Tätigkeit bei der … zunächst mit insgesamt 47.787,88 € (59.097,88 € abzgl. 11.310,00 €), später dann wie folgt: 103.012,22 € netto – 49.823,85 € (Lohnersatzleistungen) = 53.188,37 € netto, abzgl. Vorteilsausgleich 11.310,00 € = 41.878,37 € netto.
Beklagte zu 1), 2) und 5):
176
Die Beklagten zu 1), 2) und 5) meinen, dass sich die Klägerin beim Erwerbsschaden ersparte berufsbedingte Aufwendungen anrechnen lassen müsse, wozu Anreisekosten von und zum Flughafen sowie erhöhte Verpflegungsaufwendungen während der Reisen gehörten. Es sei daher mindestens von ersparten berufsbedingten Aufwendungen von 10 % des Nettoeinkommens auszugehen.
177
Von einem zukünftigen Erwerbsschaden sei spätestens seit März 2020 aufgrund des Lockdowns mit Erliegen des Flugbetriebes nicht mehr auszugehen. Die … entlasse in großem Umfang Personal.
Tätigkeit als Krankenschwester beim ….
178
Seit dem Jahr 2009 war die Klägerin in Nebentätigkeit bzw. als Minijob im Krankenhaus … tätig und hatte hierzu von der …, ihrem Hauptarbeitgeber, eine Genehmigung erhalten.
179
Die Klägerin hatte sich wegen eines erwogenen bzw. eruierten Wechsels in ein Krankenhaus in der Nähe von … seit 03/2014 beurlauben lassen.
180
Die Klägerin behauptet, dass sie zeitnah, wenigstens ab 09/2014, wieder diese Tätigkeit im … in … aufgenommen bzw. eine vergleichbare Tätigkeit in einem Krankenhaus in der Nähe von … laufgenommen hätte.
181
Die Tätigkeit als Krankenschwester ist aufgrund der unfallbedingten Verletzungen dauerhaft unmöglich.
182
Die monatliche Gehaltsabrechnung dieser Tätigkeit setzte sich aus Grundvergütung zzgl. Garantiebetrag, Tarifzulage, Gefahrenzulage, ggf. Samstagszuschlag, Nachtzuschlag, Mehrarbeitsvergütung zusammen.
183
Im Jahr 2013 bezog die Klägerin hierbei 5.400,00 € brutto abzgl. 201,57 € Rentenversicherungsbeitrag abzgl. 73,68 € Mitgliedsbeitrag = 5.124,75 € netto, monatlich damit durchschnittlich 427,06 € netto.
184
Dies verdiente die Klägerin auch netto monatlich im Jahr 2014.
185
Sie hätte, so die Klägerin, bei Wiederaufnahme der Tätigkeit ab 09/2014 durchschnittlich monatlich wenigstens 427,06 € erzielt.
186
Für 09/2014 bis 11/2017 berechnet die Klägerin einen entgangenen Verdienst, 39 Monate × 427,09 € = 16.734,51 €.
187
Zum Vorteilsausgleich gibt die Klägerin an, zu Fuß von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte gelangt zu sein. Die Klägerin brachte die Verpflegung selbst mit. Sie hält einen Vorteilsausgleich daher nicht für gerechtfertigt.
188
Die Klägerin hatte in beiden Berufen keine Kosten für Kleidung, Fachliteratur und Beiträge für Berufsverbände oder Werkzeug.
189
Die Arbeitskleidung wurde der Klägerin in beiden Berufen von Seiten des Arbeitgebers gestellt.
Berufsfördermaßnahmen nach dem Unfall:
190
Die Klägerin nahm in der Zeit vom 05.02.2018 bis 14.07.2019 an einer berufsvorbereitenden Maßnahme im Berufsförderungswerk … teil. Diese Maßnahme beinhaltete eine gesonderte berufsvorbereitende Maßnahme, Vorbereitung für die Umschulung zur Physiotherapeutin von ca. März bis Juli 2019. Die Klägerin sah sich aus gesundheitlichen Gründen im Juli 2019 dazu veranlasst, den Kurs vorzeitig und vorläufig zu beenden. Die Klägerin war unter der Woche Montag bis Freitag, ausgenommen Feiertag und Schulferien vor Ort im Berufsförderungswerk in … im Rahmen eines Internat-Aufenthaltes untergebracht.
191
Die Klägerin hat vor dem Unfallereignis ihre jährliche Einkommenssteuererklärung selbstständig erledigt bzw. vorgenommen. Sie ist aufgrund des Unfalls dazu nicht mehr in der Lage.
192
Die Klägerin erhält seit 11/2014 Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengesetz wie folgt:
- 12/2014 bis 06/2015: 544,00 € pro Monat,
- 07/2015 bis 06/2016: 556,00 € pro Monat,
- 07/2016 bis 06/2017: 579,00 € pro Monat,
- 07/2017 bis 06/2018: 590,00 € pro Monat
- 07/2018 bis 06/2019: 610,00 € pro Monat
- 07/2019 bis 06/2020: 629,00 € pro Monat
- ab 07/2020: 651,00 € pro Monat (Anlage K 88).
193
Die Klägerin meint, dass sie sich das Blindengeld nicht auf den Schadensersatz anrechnen lassen müsse, da es an der sachlichen Kongruenz fehle.
194
Der Beklagtenvertreter zu 1), 2) und 5) meint, dass das Blindengeld kongruent mit dem Mehrbedarfsschaden der Klägerin sei.
Sozialversicherungsrechtliche Leistungen:
195
Die Klägerin hat kein Pflegegeld bzw. keine Leistungen der häuslichen Pflege erhalten. Es erfolgten keine Leistungsbewilligung und kein Leistungsbezug von Seiten der gesetzlichen Pflegeversicherung; ein leistungsverpflichtender Pflegegrad wurde nicht festgesetzt (Pflegegrad 0).
Erwerbsminderungsrente/Krankenkasse/Krankenversicherungsbeitrag von 01/2017-11/2017::
196
Die Klägerin hat im April 2015 einen Antrag auf Teilhabe am Arbeitsleben bzw. Wiedereingliederung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gestellt. Sie hat keinen Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gestellt. Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat dann aufgrund Zeitablaufes im Jahr 2020 diesen Antrag auf Teilhabe am Arbeitsleben bzw. Wiedereingliederung in einen Antrag auf Bewährung einer Erwerbsminderungsrente umgewandelt.
197
Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 15.06.2020 wurde der Klägerin eine volle Erwerbsminderungsrente ab 01.04.2015 gewährt. Der Rentenbescheid ist rechtskräftig.
198
Die Klägerin bezog Erwerbsminderungsrente wie folgt:
- 01.04.2015 bis 30.06.2015: 969,60 € brutto, monatlicher Auszahlungsbetrag netto 866,12 €
- 01.07.2015 bis 28.02.2016: 990,24 € brutto, 884,28 € netto
- 01.03.2016 bis 30.06.2016 monatlich 990,24 € brutto, 882,30 € netto
- 01.07.2016 bis 31.12.2016 monatlich 1.032,28 € brutto, 919,77 € netto
01.01.2017 bis 30.06.2017 monatlich 1.032,28 € brutto, 917,71 € netto
- 01.07.2017 bis 31.12.2017 monatlich 1.051,94 € brutto, 935,18 € netto (Anlage K 93).
199
Aufgrund der Festsetzung einer Erwerbsminderungsrente setzte die Bundesagentur für Arbeit für die Zeit vom 16.01.2016 bis 14.01.2017 eine Rückforderung für geleistete Zahlungen, täglich 35,31 €, gesamt 10.802,95 €, gegen die Klägerin mittels rechtskräftigen Bescheids fest, Anlage K 94.
200
Die …, die Krankenversicherung der Klägerin, begehrte für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 15.01.2016 eine Rückerstattung bzw. Verrechnung von geleisteten Krankengeldzahlungen für diesen Zeitraum in Höhe von insgesamt 8.331,92 € gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund. Die hiernach verbleibende Auszahlung des Restbetrages von Seiten des Rentenversicherungsträgers aus und im Zusammenhang mit der Erwerbsminderungsrente erfolgte mit Schreiben vom 17.08.2020 in Höhe von 24.388,49 €.
201
Von Seiten des Krankenversicherungsträgers, der …, wurde mit Schreiben vom 23.01.2017 ein Versichertenbeitrag für den Zeitraum einer freiwilligen Versicherung der Klägerin, 15.01.2017 bis 31.10.2017, unter Berücksichtigung eines Beitragssatzes von 14,0 % in der Krankenversicherung, 1,0 % Zusatzbeitrag, 2,8 % Pflegeversicherung, wie folgt festgesetzt:
- 15.01.2017 bis 31.01.2017: 253,07 €
- Februar 2017: 416,82 €,
- März 2017 bis Oktober 2017: jeweils 446,59 €, × 8 Monate = 3.572,72 €
202
Vorstehend benannte Versicherungsbeiträge für einen freiwillig versicherten Zeitraum vom 15.01.2017 bis 31.10.2017 sind von der Klägerin an die … zum Zahlungsausgleich gebracht worden.
203
Ab 01.11.2017 wurde die Klägerin bei der … als gesetzlich pflichtversicherte Rentenantragsstellerin geführt. Unter Berücksichtigung eines Beitragssatzes von 14,0 % in der Krankenversicherung, 1,0 % als Zusatzbeitrag, 2,8 % Pflegeversicherung, wurde ein monatlich zu zahlender Versicherungsbeitrag (neu) in Höhe von 398,20 € festgesetzt.
204
Die o.g. freiwilligen Versicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 15.01.2017 bis 31.10.2017 wurden von Seiten der … mit Bescheid vom 29.06.2020 dann neu festgesetzt. Die … nahm unter Berücksichtigung eines Status als freiwillig versicherte Rentnerin eine Neuordnung der Versicherungsbeiträge für diesen Zeitraum unter Berücksichtigung eines Beitragssatzes von 14,0 % bzw. 14,6 % in der Krankenversicherung, 1,0 % als Zusatzbeitrag von 2,8 % Pflegeversicherung wie folgt vor:
- 15.01.2017 bis 31.01.2017: 360,70 € neuer Beitrag.
- Neuer Beitrag vom 01.02.2017 bis 08.02.2017: 169,74 €.
205
Unter Berücksichtigung dessen hat die … für den Zeitraum 15.01.2017 bis 31.10.2017 mit Bescheid vom 29.06.2020 eine positive Differenz bzw. ein Beitragsguthaben mittels Aufstellung „Beitragsänderung für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020“ in Höhe von 10.542,10 € zugunsten der Klägerin ausgewiesen, welches auch an diese ausbezahlt wurde.
206
Die … hat mit dieser Aufstellung für einen Zeitraum der freiwilligen Versicherung vom 15.01.2017 bis 31.10.2017 ein Beitragsguthaben der Klägerin wie folgt ausgewiesen:
- Januar 2017 (-) ausstehender Beitrag in Höhe von 107,63 €
- Februar 2017 (+) Beitragsguthaben 247,08 €
- 03/bis 10/2017 (+) Beitragsguthaben 3.572,72 € (Guthaben der Beitragsbestandteile 1/12 wie folgt: Krankenversicherung 351,25 €, Zusatzbeitrag 25,09 €, Pflegeversicherung 70,25 €, × jeweils 8 Monate = gesamt 3.572,72 €).
207
Demgemäß hat die Klägerin mit dem Betrag in Höhe von 10.572,10 € für den Zeitraum vom 15.01. bis 31.10.2017 zu viel bezahlte freiwillige Versicherungsbeiträge für Krankenversicherung, Zusatzbeitrag und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 3.712,17 € von Seiten der … wieder ausgezahlt erhalten, Anlage K 97.
Versorgungsrente Krankenschwestertätigkeit:
208
Die Klägerin erhielt aufgrund der ehemals ausgeübten Angestelltentätigkeit als Krankenschwester von der … eine …-Versorgungsrente für die Zeit ab April 2015. Insofern liegt eine freiwillige Leistung/Pensionszusage des ehemaligen Arbeitgebers vor, welcher Versicherungsnehmer bei der Pensionskasse des … ist.
209
Grundlage hierfür war eine freiwillige arbeitsvertragliche Pensionszusage der … gegenüber der Klägerin, welche mit der Einstufung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund zu einer Erwerbsminderungsrente ausgelöst wurde.
210
Die Klägerin erhielt für die Zeit ab August 2015 die monatliche … versorgungsrente wie folgt ausbezahlt:
04/2015 bis 12/2015 = 169,05 € netto monatlich × 9 Monate = 1.521,45 € netto
01/2016 bis 12/2016 = 169,13 € netto monatlich × 12 Monate = 2.029,56 € netto
01/2017 bis 11/2017 = 169,34 € netto monatlich × 11 Monate = 1.862,74 € netto
211
Die Klägerin meint, dass bezüglich der … Versorgungsrente keine Leistung mit Lohnersatzfunktion vorliege. Es handle sich nicht um eine auf den Schadensersatzanspruch der Klägerin anrechenbare Leistung.
212
Für den streitgegenständlichen Zeitraum geht die Klägerin bezüglich der … von einem entgangenen Nettoverdienst in Höhe von 16.734,51 € (ohne Berücksichtigung der …-Versorgungsrente) aus.
Abwesenheitszeiten vom Haushalt:
213
Vom 16.03.2015 bis 01.04.2015 wurde sie unfallbedingt stationär im Universitätsklinikum … behandelt = 16 Tage.
214
Vom 05.10.2015 bis 13.10.2015 wurde sie unfallbedingt stationär im Universitätsklinikum … behandelt = 8 Tage.
215
Vom 07.09.2016 bis 19.09.2016 wurde sie unfallbedingt stationär im Universitätsklinikum … behandelt = 12 Tage.
216
Vom 05.12.2016 bis 16.12.2016 nahm sie stationär an einem Reha-Assessment in … teil = 11 Tage.
217
Vom 31.01.2017 bis 03.02.2017 war sie unfallbedingt stationär in der Augenklinik des Universitätsklinikums … = 3 Tage.
218
Vom 15.01.2020 bis 12.02.2020 wurde sie unfallbedingt stationär in der Klinik … behandelt = 7 Tage.
219
Im Zeitraum vom 05.02.2018 bis 14.07.2019 war sie durch den Internatsaufenthalt in … insgesamt 275 Tage vom Haushalt in … durch den Aufenthalt in … abwesend.
220
Die Klägerin meint, dass eine deutliche Reduzierung des Haushaltsumfanges insofern nicht anzunehmen sei, da die Haushaltsführung wöchentlich im dargelegten Umfang fortbestehe.
221
Die Beklagten zu 1), 2) und 5) wurden unter anderem mit Schreiben vom 20.08.2014 und 27.10.2014 zur Anerkennung ihrer Einstandspflicht für die aus dem Unfallereignis entstandenen Positionen aufgefordert. Die Beklagten zu 1), 2) und 5) haben abschließend eine Einstandsverpflichtung abgelehnt.
222
Mit Schreiben vom 25.08.2014 machte die Klägerin gegenüber den Beklagten zu 3) und 4) als Tierhalter Schadensersatzansprüche gemäß § 833 BGB wegen des Unfalls vom 28.07.2014 geltend und bat um Mitteilung der Tierhalterhaftpflichtversicherung. Diese wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 08.09.2014 mitgeteilt. Die Beklagten zu 3) und 4) wurden unter anderem mit Schreiben vom 27.10.2014 zur Anerkennung einer Einstandspflicht für die aus dem Unfallereignis entstandenen Schadenspositionen aufgefordert. Die Versicherung der Beklagten zu 3) und 4) lehnte mit Schreiben vom 24.02.2015 eine Regulierung des Schadens ab. Die Beklagten zu 3) und 4) lehnten eine Einstandsverpflichtung gegenüber der Klägerin abschließend ab.
223
Die Beklagten zu 1) bis 5) haben, hälftig zwischen den Beteiligten zu 1), 2) und 5) und den Beklagten zu 3) und 4) geteilt, an die Klägerin auf das Schmerzensgeld einen Betrag von 100.000,00 €, wohl im Dezember 2016, gezahlt.
224
Der Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 3) und 4) zahlte am 13.01.2021 einen Betrag in Höhe von weiteren 50.000,00 € an die Klägerin aus, welchen die Klägerin auf ihren Schmerzensgeldanspruch anrechnete.
Streitiger Klägervortrag im Übrigen, insbesondere zur Reitbeteiligung und zum Unfallhergang:
225
Die Klägerin behauptet, dass ihr bei Vorlage des bereits weitestgehend ausgefüllten Reitbeteiligungsvertrages gesagt worden sei, dass dies im Hinblick auf eine Reitbeteiligung nur eine notwendige Formsache sei. Die Beklagte zu 4) habe angegeben, dass der Vertrag für die Phase des Führens noch nicht gelten würde, sondern erst ab August, mit dem Beginn eines Reitens, zur Anwendung gelangen solle. Auch von Seiten des Beklagten zu 3) sei ihr bestätigt worden, dass der Reitbeteiligungsvertrag wegen des bloßen Führens bis August nicht gelten solle.
226
Es hätten keine Absprachen bestanden, dass die Klägerin ein Führen des Pferdes nur in Anwesenheit der Beklagten zu 3) und 4) vornehmen solle. Vielmehr habe der Beklagte zu 3) die Klägerin um ein Führen unter der Woche gebeten, da er aus beruflichen bzw. zeitlichen Gründen das Pferd ohnehin unter der Woche nicht bewegen könne. Einschränkungen im Bezug auf ein Führen des Pferdes oder eine Anwesenheit der Beklagten zu 3) im Hinblick auf ein Führen des Pferdes hätten nicht bestanden bzw. seien nicht besprochen worden. Die Klägerin habe die Beklagten zu 3) und 4) mit der Beschäftigung des Pferdes entlasten sollen, da diese unter der Woche keine Zeit gefunden hätten, selbst vor Ort zu sein. Vielmehr habe die Klägerin von sich aus angeboten, es anzuzeigen, wenn sie sich zu dem Hof bzw. Pferd begebe. Die Beklagten hätten hierauf entgegnet, dass sie ohnehin kaum erreichbar seien und hätten gegen diese Vorgehensweise keine Einwände gehabt.
227
Die Klägerin trägt weiter vor, das Pferd mit einer Trense auf der linken Seite stehend am Zügel geführt zu haben, wie es der Vorschrift und der korrekten Reitausbildung entspreche.
228
Der Beklagte zu 1) habe sie und das Pferd weit vor dem Unfall wahrgenommen. Der Beklagte zu 1) habe es äußerst eilig gehabt und sei daher mit viel zu hoher Geschwindigkeit und geringem Abstand an der Klägerin und dem Pferd vorbeigerast. Der Beklagte zu 1) sei mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h ohne Geschwindigkeitsreduzierung unter erheblichen Emissionen (große Staubwolke, ohrenbetäubender Lärm, Steinschlag) in den an den Weg angrenzenden Bereich gefahren. Das Fahren, auch bei Schrittgeschwindigkeit, habe eine erhebliche Staubwolke verursacht. Bei unmittelbarer Annäherung des Lkw habe sie das Pferd mit dem Kopf zum Lkw hin ausgerichtet.
229
Der Lkw sei unmittelbar an der Hinterhand des Pferdes mit einem Abstand von ca. 1 bis 2 Metern bzw. 2 bis 3 Metern vorbeigefahren. Dabei habe es einen ohrenbetäubenden Lärm gegeben, zum einen durch die enorme Lärmentwicklung beim Betrieb des Fahrzeuges und zum anderen durch ein Aufeinanderschlagen der Fahrzeugteile und das Aufschlagen von Schottersteinen an die Karosserie und den Zufahrtsbereich.
230
Das Pferd habe Angst vor dem großen, geräuschvollen Laster und dessen Emissionen gehabt.
231
Unter der Zufahrt auf die Klägerin und Pferd habe möglicherweise ein Steinschlag auf das Pferd durch den Lkw stattgefunden; ob das Pferd von einem Stein getroffen wurde, habe sich nicht abschließend klären lassen. Eine eine Woche nach dem Unfallereignis vorgefundene Verletzung beim Pferd habe nicht zweifelsfrei auf einen Steinschlag durch das Fahrzeug des Beklagten zu 1) am 28.07.2014 zurückgeführt werden können.
232
Durch den Lkw und dessen Emissionen bedingt sei es zu einem Scheuen bzw. Steigen des Pferdes und letztlich zu der schweren Verletzung der Klägerin gekommen.
233
Das Pferd habe beim Vorbeifahren des Lkw plötzlich gescheut/sei gestiegen und in Richtung Stall davon galoppiert, wobei sie bei diesem Vorgang vom Pferd umgerissen und von einem Tritt des Pferdes im Gesicht getroffen worden sei. Sie sei der Länge nach um- und hingefallen und nicht mitgeschleift worden. Das Pferd sei auf halber Strecke zum Hof auf die Zügel gestiegen, sodass die Zügel von der Trense heruntergerissen worden seien. Dementsprechend seien die Zügel/Trense auch auf halber Strecke zwischen der am Boden liegenden Klägerin und dem Hof gefunden worden.
234
Sie habe sofort nach Realisierung des plötzlichen Scheuvorgangs des Pferdes die Zügel losgelassen, habe dabei das Gleichgewicht verloren und sei mit dem Körper in Richtung Stall gefallen.
Rechtliche Ausführungen der Klägerin:
235
Die Klägerin meint, dass der Beklagte zu 1) den Weg wegen der Freigabe nur für „Anlieger“ nicht hätte befahren dürfen. Damit liege ein Verstoß gegen das Verbotsschild vor. Der Beklagte zu 1) habe kein berechtigtes Interesse zur Nutzung dieses Weges gehabt. Er habe diesen Weg verbotswidrig als Abkürzung genommen, um schneller über den Waldweg des Mennersberges nach Brünnthal oder darüber hinaus bzw. zu einer Baustelle zu gelangen. Entlang des beklagtenseits zu 1), 2) und 5) vorgetragenen Weges des Lkw komme kein Abladen von Erdaushub in Betracht. Ein zulässiger Anliegergebrauch des Weges liege nicht vor. Der Beklagte zu 1) sei vielmehr auf die Ortsverbindungsstraße von … nach … zu verweisen. Die Klägerin sei auch vom Schutzbereich des Verkehrsschildes umfasst, welches dazu diene, den Verkehr auf dem einspurigen Weg einzuschränken bzw. eine Massierung desselben zu unterbinden, die Sicherheit zu erhöhen und Verletzungen zu vermeiden.
236
Weiterhin sei der Weg, so die Klägerin, auch nicht ansatzweise für die Benutzung mit diesem Lkw ausgelegt, im Hinblick auf das Gesamtgewicht des Fahrzeuges sowie auf dessen Breite.
237
Sie selbst habe, so die Klägerin, den Mennersbergweg zulässig gebraucht, da das Reiterverbotszeichen nicht das Führen eines Pferdes umfasse.
238
Das Reitverbotszeichen gelte zudem nur für diejenigen Wegteilnehmer des … welche von … aus den Weg in Richtung … bzw. zu den gegenständlichen Gehöften folgen wollten, somit nicht für die Klägerin. Das Zeichen sei nur schwer einsehbar bzw. erkennbar, sodass es keine rechtliche Wirkung entfalte, zumal es der Klägerin unbekannt war.
239
Die Klägerin geht davon aus, dass wegen der Beschaffenheit des geschotterten Ortsverbindungsweges ein Fahren mit Schrittgeschwindigkeit erforderlich und geboten gewesen wäre, um einen Steinschlag auf den an den Weg angrenzenden Bereich wenigstens ansatzweise zu vermeiden. Der Beklagte zu 1) habe auch keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten. Er hätte ihr, so die Klägerin, die Möglichkeit eröffnen müssen, das Pferd weiter in den Zufahrtsbereich des Hofes zu führen, insbesondere um einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu erlangen. Dem Beklagten zu 1) wäre es, so die Klägerin, zumutbar und unproblematisch möglich gewesen, das Fahrzeug vor dem Einfahrtsbereich mit ausreichendem Abstand anzuhalten, sodass die Klägerin den Hofbereich hätte erreichen können bzw. der Beklagte zu 1) hätte, so die Klägerin, insofern eine Verständigung mit der Klägerin suchen können und müssen. Der Beklagte zu 1) hätte, so die Klägerin, erkennen können und wissen müssen, dass ein Anhalten in der konkreten Situation geboten gewesen wäre, um der Klägerin ein Entkommen aus der Gefahrensituation zu ermöglichen. Er habe, so die Klägerin, auch erkannt, dass die Klägerin durch ihr Zurückgehen in den Einfahrtsbereich einer Gefahrensituation habe entkommen wollen.
240
Es sei ein unmittelbares und erheblich gefahrträchtiges Vorbeifahren an der Hinterhand des Pferdes gegeben gewesen.
241
Die Klägerin geht von einem Verstoß des Beklagten zu 1) gegen § 1 Abs. 1, 2 StVO aus, indem dieser mit einem Abstand von 1 bis 2 Metern an der Hinterhand des Pferdes vorbeigefahren sei und hierbei noch Gas gegeben bzw. beschleunigt habe. Der Beklagte zu 1) habe keinen gebotenen Abstand für ein Vorbeifahren eingehalten.
242
Die Klägerin geht davon aus, dass das Unfallereignis für sie unabwendbar gewesen sei.
243
In rechtlicher Hinsicht begründet die Klägerin das Feststellungsinteresse bzgl. des Feststellungsantrages/immateriellen Vorbehaltes damit, dass der Heilbehandlungsverlauf mit weiteren Operationen noch nicht abschließend absehbar und die Heilbehandlung noch nicht abgeschlossen sei. Insofern bestehe auch die Gefahr von Schadenserweiterungen bzw. müsse mit diesen gerechnet werden. Es bestehe die nicht entfernt liegende Möglichkeit einer künftigen Verwirklichung der Schadensersatzpflicht der Beklagten durch Auftreten weiterer, noch nicht erkennbarer oder voraussehbarer Leiden. Die Klägerin müsse auch künftig mit weiteren unfallbedingten immateriellen Schäden rechnen. Es seien auch nicht voraussehbare Schädigungsfolgen wie eine mögliche Hörgeräteversorgung, eine bakterielle Entzündung im Augapfel des rechten oder linken Auges mit Fortleitung in cerebrale Gefäße oder Nervengewebe im Verlauf der nächsten 10 Jahre denkbar.
244
Ferner stützt sie ihr Feststellungsbegehren auf die drohende Verjährung zum 31.12.2017.
245
Die Klägerin stützt ihren Anspruch gegen den Beklagten zu 1) auf § 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 Abs. 2 BGB, gegen die Beklagte zu 2) auf § 115 VVG i.V.m. § 7 Abs. 1 StVG und gegen die Beklagte zu 5) als Halterin des Fahrzeuges auf § 7 StVG.
246
Den Anspruch gegen die Beklagten zu 3) und 4) stützt die Klägerin auf § 833 Abs. 1 BGB.
247
Die Klägerin geht davon aus, dass hinsichtlich der Beklagten zu 3) und 4) als Tierhalter ein wirksamer Haftungsausschuss zu Lasten der Klägerin nicht gegeben sei. Der unter § 6 im Reitbeteiligungsvertrag vereinbarte Haftungsausschluss sei gem. § 309 Nr. 7 BGB unwirksam, da insoweit sämtliche Haftungsansprüche gegen den Eigentümer, somit auch wegen Verletzungen von Leben und Gesundheit, welche auf fahrlässigen Pflichtverletzungen beruhten, ausgeschlossen seien.
248
Der Haftungsausschluss umfasse zudem nur den Eigentümer des Pferdes, aber nicht eine Tierhalterstellung/Tierhalterhaftung beider Beklagter. Die Beklagte zu 4) sei nicht Eigentümerin des Pferdes, sodass sie sich nicht auf den Haftungsausschluss berufen könne. Auch sei kein konkludenter Haftungsausschluss anzunehmen, da die Beklagten zu 3) und 4) über eine Tierhalterhaftpflichtversicherung verfügen, welche unter anderem auch das Risiko eines Führen des Pferdes im Rahmen der gegenständlichen Abrede umfasst.
249
Sie sei keine Tierhüterin im Sinne des § 834 BGB gewesen. Es sei kein Vertragsverhältnis gegeben, aus dem eine sog. Tierhüterstellung erwachsen könne. Ungeachtet dessen müsse sich die Klägerin auch als sog. Tierhüterin im Sinne des § 834 BGB gegenüber den Beklagten zu 1), 2) und 5) die Tiergefahr nicht anrechnen lassen.
250
Die Klägerin meint, dass die Beklagten zu 1) bis 5) gemäß § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner hafteten.
251
Die Klägerin hält einen Schmerzensgeldanpruch von 400.000,00 € für gerechtfertigt und angemessen, u.a. wegen der weitestgehenden Persönlichkeitszerstörung und einer Regulierungsverweigerung der Beklagten.
252
Die Klägerin meint, dass die vermehrten Bedürfnisse/Haushaltsführungsschaden auf Grundlage des fiktiven Einpersonenhaushaltes zu berechnen seien.
253
Die Klägerin geht von Verzug der Beklagten zu 1) bis 5) spätestens ab 15.12.2014 aus.
254
Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten begehrt die Klägerin aus einem Gegenstandwert von 480.000,00 € aus einer 2,0-Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und 19 % Mehrwertsteuer.
255
Die Klägerin geht davon aus, dass sich die Beklagten als Gesamtschuldner spätestens seit 01.12.2014 mit dem Ausgleich der Rechtsanwaltskosten in Verzug befanden.
256
Mit offener Teilklage vom 02.11.2015 beantragt die Klägerin zunächst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, wenigstens 400.000,00 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 15.12.2014, zu bezahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen zukünftigen immateriellen Schaden, der ihr aus dem Unfall/Hufschlag vom 28.07.2014 am … entsteht, zu ersetzen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 7.670,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
257
Die offene Teilklage vom 02.11.2015 wurde den Beklagten zu 1) bis 5) jeweils am 12.11.2015 zugestellt.
258
Mit Schriftsatz vom 05.12.2017 erklärte der Klägervertreter die Klage hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruches der Klägerin im Klageantrag Ziff. 1 in Höhe eines Betrages von 100.000,00 € für teilweise erledigt.
259
Die Beklagtenvertreterin zu 3) und 4) widersprach zunächst der Teilerledigungserklärung hinsichtlich der Zahlung über 100.000,00 €. Im Termin vom 15.02.2018 erklärte sie, der teilweisen Erledigungserklärung der Klägerin gemäß Schriftsatz vom 05.12.2017 zuzustimmen.
260
Weiterhin erweitert der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 05.12.2017 die Klage wie folgt:
I. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für einen Haushaltsführungsschaden in dem Zeitraum vom 16.12.2014 bis zum 31.10.2017 einen Betrag in Höhe von 60.580,29 € netto, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
II. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für einen Haushaltsführungsschaden (netto) vierteljährig, beginnend ab dem 01.11.2017, jeweils am 1. November, am 1. Februar, am 1. Mai und am 1. August eines jeden Jahres, einen Betrag in Höhe von jeweils 5.260,92 € netto zu bezahlen.
III. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für Glasauge-, Augenbrauen-, Hand-, Fuß- und Schminkpflege in dem Zeitraum vom 16.12.2014 bis zum 31.10.2017 einen Betrag in Höhe von 6.909,85 € netto, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, zu bezahlen.
IV. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für Glasauge-, Augenbrauen-, Hand-, Fuß- und Schminkpflege vierteljährlich, beginnend ab dem 01.11.2017, jeweils am 1. November, am 1. Februar, am 1. Mai und am 1. August eines jeden Jahres, einen Betrag in Höhe von jeweils 600,06 € netto zu bezahlen.
V. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für eine Begleitperson in dem Zeitraum vom 16.12.2014 bis zum 31.10.2017 einen Betrag von 36.812,02 € netto, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, zu bezahlen.
VI. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für eine Begleitperson vierteljährlich, beginnend ab dem 01.11.2017, jeweils am 1. November, am 1. Februar, am 1. Mai und am 1. August eines jeden Jahres, einen Betrag in Höhe von jeweils 3.169,83 € netto zu bezahlen.
VII. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für eine Begleitperson im Urlaub und für die Jahre 2015 und 2016 einen Betrag in Höhe von 5.768,32 € netto, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
VIII. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für eine Begleitperson im Urlaub jährlich, beginnend ab dem 01.06.2018, jeweils am 01.06. eines jeden Jahres, einen Betrag in Höhe von jeweils 8.120,02 € zu bezahlen.
IX. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für Verdienstausfall in dem Zeitraum vom 28.07.2014 bis zum 30.11.2017 einen Betrag in Höhe von 64.522,69 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, zu bezahlen.
X. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin als Ersatz für Krankenversicherungsbeiträge in dem Zeitraum vom Januar 2017 bis Oktober 2017 einen Betrag in Höhe von 4.242,61 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, zu bezahlen.
XI. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 7.670,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, zu bezahlen.
XII. 1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die Steuerbeträge als Gesamtschuldner zu 100 % zu ersetzen, um die sich die Steuerlast der Klägerin in Folge der unter Ziff. IX des Urteilstenor ausgeurteilten Zahlung erhöht.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin auf Nachweis den Mehraufwand für Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zu 100 % ersetzen, um die sich die dem Urteilstenor/Zahlungsbetrag zu Ziff. II, IV, VI, VIII, zugrundeliegenden Nettozahlungen erhöhen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die jährlichen und üblichen Kosten für die Inanspruchnahme eines Steuerberaters und zur Erstellung der Jahressteuererklärung zu 100 % zu erstatten.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jedweden weiteren vergangenen und zukünftigen materiellen Schaden zu 100 % zu ersetzen, welcher dieser aus dem Unfallereignis vom 28.07.2014 am … entstanden ist und noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger, Sozialhilfeträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.
XIII. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeld, wenigstens weitere 300.000,00 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 15.12.2014, zu bezahlen. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche zukünftigen immateriellen Schaden, der ihr aus dem Unfallereignis vom 28.07.2014 am …, entsteht, zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger, Sozialhilfeträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.
261
Die Klageerweiterung vom 05.12.2017 wurde den Beklagtenvertretern zu 3) und 4) am 14.12.2017 und dem Beklagtenvertreter zu 1), 2) und 5) am 18.12.2017 zugestellt.
262
Mit Schriftsatz vom 04.06.2021 erklärte der Klägervertreter den Klageantrag zu XIII. gemäß Schriftsatz vom 05.12.2017 in Höhe von 50.000,00 € für teilweise erledigt.
263
Die Beklagten schlossen sich dieser Erklärung im Termin vom 14.06.2021 an.
264
Die Beklagten zu 1) bis 5) beantragen:
Die Klage wird abgewiesen.
Verteidigungsvorbringen der Beklagten zu 1), 2) und 5):
265
Die Beklagten zu 1), 2) und 5) behaupten, dass der Beklagte zu 1) den Auftrag gehabt habe, steinfreien Bodenaushub von einer Baustelle auf eine Ackerfläche in … zu transportieren. Zum Unfallzeitpunkt sei der vom Beklagten zu 1) geführte Lkw mit dem Aushub einer Baustelle in … beladen gewesen. Der Acker habe sich zwischen … und … befunden. Der direkte Weg zum Acker führe deshalb über den … in …
266
Der Beklagte zu 1) habe den Weg langsam befahren. Bei Annäherung sei der Beklagte zu 1) ca. 20 km/h gefahren. Der Beklagte zu 1) habe die Klägerin in einer Entfernung von 200 Metern erstmals gesehen. Als er das Pferd und die Klägerin gesehen habe, habe er die Geschwindigkeit noch weiter reduziert, sodass er bei der Annäherung und der Vorbeifahrt an der Zufahrt zum Reiterhof nur noch ca. 10 km/h gefahren sei. Er habe seine Geschwindigkeit auf Schrittgeschwindigkeit reduziert, als er sich der Zufahrt mit dem Pferd und der Klägerin genähert habe. Der Lkw sei so langsam gefahren, dass er keinen Staub aufgewirbelt habe und die Reifen auch keine Steine weggeschleudert hätten. Bei der Anfahrt habe sich allenfalls wenig Staub entwickelt; bei der Vorbeifahrt sei kein Staub aufgewirbelt worden. Bei der Vorbeifahrt an der Zufahrt zum Hof habe der Abstand zwischen Lkw und Pferd ca. 10 Meter betragen.
267
Die Klägerin habe, kurz bevor der Lkw gekommen sei, das Pferd wieder in Richtung des Lkw umgedreht. Das Pferd sei aufgrund der Führung in unterschiedliche Richtungen und der ihm nicht vertrauten Person irritiert gewesen. Es habe allein deshalb die Flucht in den vertrauten Stall angetreten. Das Pferd habe sich plötzlich umgedreht und die Klägerin hierbei ein Stück mitgeschleift. Das Pferd sei nicht aufgestiegen und habe auch nicht ausgeschlagen. Die Klägerin habe die Zügel des Pferdes, bevor sie dieses umgedreht habe, extra eng an sich genommen und um die Hand geschlungen. Hierdurch bedingt sei die Klägerin mitgeschliffen worden und hierbei habe erst die Verletzung entstehen können. Die Klägerin sei beim Mitschleifen vom Huf des Pferdes getroffen worden. Hätte die Klägerin, so die Beklagten zu 1), 2) und 5), wie üblich die Trense nur locker in der Hand gehalten und nicht um die Hand gewickelt gehabt, wäre sie nicht zu Boden und mitgeschleift worden und es hätte keinerlei Verletzungen gegeben. Hierfür spreche auch die Beschädigung des Zaumzeuges. Das Pferd habe sich von der Klägerin gelöst und beim Losrennen die Klägerin unglücklich verletzt.
268
Die Beklagten zu 1), 2) und 5) meinen, dass der Beklagte zu 1) am Unfalltag als Anlieger berechtigt den … befahren habe. Zudem wäre, so die Beklagten zu 1), 2) und 5), ein etwaiger Sorgfaltsverstoß unbeachtlich, da das Verbot nur den Zweck habe, die Dichte des Verkehrs auf dem Feldweg in Grenzen zu halten, jedoch nicht, das Befahren durch Lkw generell zu verhindern. Der Weg sei auch für die Durchfahrt des Lkw ausreichend breit und für den Lkw-Verkehr ausgelegt.
269
Es habe zwar ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Annäherung und Vorbeifahren des Lkw und dem Verhalten des Tieres bestanden; eine Ursächlichkeit könne hieraus jedoch nicht abgeleitet werden. Denkbar sei, dass der unsachgemäße Umgang der Klägerin mit dem Pferd zu dessen Reaktion geführt habe. Naheliegend sei eine Reaktion des Pferdes alleine auf das unsachgemäße und nicht vertraute Führen durch die Klägerin selbst.
270
Die Vorbeifahrt des Lkw habe keinen Einfluss auf den Unfall der Klägerin gehabt. Bei diesem berührungslosen Unfall sei der zeitliche Zusammenhang nicht ausreichend. Dafür, dass die Vorbeifahrt oder Annäherung des Lkw die Reaktion des Pferdes nicht hervorgerufen habe, spreche, dass nach der Begutachtung des Pferdesachverständigen sich das Pferd als sehr brav und nicht besonders schreckhaft gezeigt habe und insbesondere beim Annähern von landwirtschaftlichen Maschinen und dem Laufenlassen des Motors eines großen Schleppers keine besondere Schreckhaftigkeit gezeigt habe, auch beim direkten Zufahren mit den Geräten auf das Pferd oder beim nahen Vorbeiführen an einem größeren Schlepper mit laufendem Motor. Auch die Klägerin habe bestätigt, dass zuvor bei einem Ausritt mit Rosalie ein Auto oder Lkw vorbeigekommen und dies problemlos verlaufen sei. Zudem habe die Klägerin selbst die Situation bei Annäherung des Lkw als unkritisch beschrieben.
271
Der Beklagte zu 1) habe sich verkehrsgerecht verhalten. Er habe den kürzesten und sichersten Weg zur Abladestelle gewählt. Die Geräuschentwicklung des Lkw wäre bei Schrittgeschwindigkeit sogar lauter gewesen. Den Beklagten zu 1) treffe kein Verschulden. Er habe sich verkehrsgerecht verhalten, indem er vorsichtig an der Hofeinfahrt vorbeigefahren sei. Der eingehaltene Abstand sei ausreichend. Der Klägervertreter verweist auf OLG Brandenburg, NZV 2011, 609.
272
Auch ein Steinschlag des Lkw habe das Pferd nicht irritiert, da der Sachverständige Prof. … einen seitlichen Steinauswurf des Lkw nicht bestätigen konnte.
273
Der Unfall sei für die Beklagten zu 1) und 2) unabwendbar gewesen. Die Klägerin und das Pferd seien bei der Annäherung des Beklagten zu 1) in ausreichender Entfernung von der Straße in der Hofeinfahrt gestanden, sodass die Situationen für den Beklagten zu 1) geklärt gewesen sei, sodass er habe weiter fahren können. Es habe kein Alternativverhalten des Beklagten zu 1) gegeben, das den Unfall hätte verhindern können.
274
Eine unterstellte Schreckreaktion des Tieres sei für den Beklagten zu 1) nicht vorhersehbar und damit nicht vermeidbar gewesen.
275
Der Unfall beruhe auf der Tiergefahr des Pferdes einerseits und andererseits auf einem schuldhaften Verhalten der Klägerin in Form eines grob fahrlässigen Handhabungsfehlers mit dem Pferd.
276
Das schuldhafte Verhalten der Klägerin liege darin begründet, dass sie entgegen der Absprache mit den Beklagten zu 3) und 4) selbstständig das Pferd an sich genommen und mit dem Pferd den für Pferde nicht zulässigen Mennersbergweg gelaufen sei, sich deshalb bei der Annäherung des Lkw wieder in Richtung Stall habe begeben müssen und in kurzer Abfolge mit dem nicht vertrauten Pferd mehrere Richtungsänderungen habe vornehmen müssen und schließlich den Führstrick unsachgemäß gehalten habe, was letztlich erst zu dem Sturz und der anschließenden Verletzung geführt habe. Die Betriebsgefahr des Lkw und das Fahrverhalten des Beklagten zu 1) habe sich nicht ausgewirkt.
277
Die Klägerin habe, ausgehend von den Angaben des Pferdesachverständigen, das Pferd unsachgemäß geführt. Beim Wenden des Pferdes durch die Klägerin sei das Pferd dann einem Instinkt folgend, nicht aber notwendig durch den Lkw hervorgerufen, in seinen Stall zurück gelaufen. Ein Bezug zur Vorbeifahrt des Lkw sei nicht sicher herstellbar.
278
Die Beklagten zu 1), 2) und 5) verweisen darauf, dass das Vorbeifahren an dem Pferd mit einer Schrittgeschwindigkeit von lediglich 5 km/h zu einer deutlich höheren Geräuschemission geführt hätte. Die vom Sachverständigen Prof. … angegebene Fahrgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) von 9 km/h entspreche der Emissionsentwicklung, welcher das Pferd bei dem vom Sachverständigen Dr. … durchgeführten Test ausgesetzt gewesen sei. Auch der Zeuge … habe bestätigt, dass das Tier in Annäherung des Lkw keinerlei Auffälligkeiten gezeigt habe. Es habe beim Vorbeifahren von Fahrzeugen, wie Traktoren und Lkw nie zuvor Probleme gegeben und auch nach dem Unfallereignis nicht. Eine plötzliche Schrecksituation für das Tier sei durch den Lkw nicht eingetreten. Ungewöhnlich und unvertraut habe sich für das Pferd nur der Umstand dargestellt, dass es von der Klägerin geführt worden sei. Die Klägerin sei dem Tier noch nicht vertraut gewesen. Die dem Tier nicht vertraute Klägerin sei ohne Begleitung, entgegen der Absprache, vom Hof gegangen, habe einen für die Nutzung mit dem Pferd nicht freigegebenen Weg gewählt und habe dabei das Tier unüblich und unkontrolliert geführt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. … könne auch eine ungewöhnliche Situation einen Reiz und damit eine Fluchtreaktion auslösen. Diese sei durch das ungewöhnliche Verhalten der Klägerin ausgelöst worden.
279
Durch ein Anhalten des Lkw hätte, so die Beklagten zu 1), 2) und 5), erst eine Bedrohungslage für das Pferd aufgebaut werden können. Der Beklagte zu 1) habe darauf vertrauen können, dass die Klägerin das Pferd im Griff habe.
280
Der Beklagtenvertreter zu 1), 2) und 5) verweist zum Verschulden des Beklagten zu 1) auf dessen informatorische Anhörung, wonach Klägerin und Pferd sich ruhig und abwartend verhalten hätten und von diesen keine Gefahraufforderung ausgegangen wäre, die ihn hätte veranlassen müssen, auf der Vorfahrtsstraße anzuhalten. Auch gegenüber geführten Pferden bestehe ein Vertrauensgrundsatz dahingehend, dass sie nicht in den Fahrweg hineinlaufen und sich anderweitig schreckhaft verhalten würden. Indem der Beklagte zu 1) mit Schrittgeschwindigkeit weitergefahren sei, habe er die ihm gebotene Sorgfaltspflicht beachtet. Eine Verpflichtung, im Straßenverkehr befindlich bei einem in einer Nebenstraße geführten Pferd anzuhalten, um dann eine Reaktion abzuwarten, sei in der StVO nicht vorgesehen und sei auch nicht nach § 1 StVO geboten gewesen.
281
Es stehe noch nicht einmal fest, dass das Tier auf den Lkw reagiert habe. Das Tier habe bei der Begutachtung durch den tierärztlichen Sachverständigen keinerlei Schreckreaktion vor Maschinen gezeigt. Dies habe auch den Gemütszustand des Pferdes am Unfalltag entsprochen. Es stelle auch keine zwingende und natürliche Reaktion des Pferdes dar, aufgrund eines Lkw zu scheuen und wegzulaufen.
282
Nachdem die Klägerin das Pferd kurz vor dem Unfall nicht richtig geführt habe, sei naheliegend, dass sie das Pferd abrupt von der Straße habe wegführen wollen und es hierbei zu Unsicherheiten gekommen sei, was das Pferd dann zur Flucht veranlasst habe. Die Klägerin sei dann gestürzt und nur deshalb habe das Pferd über die Klägerin herlaufen können. Ein erfahrener Reiter stürze nicht, wenn er ein Pferd führe. Der Beweis des ersten Anscheins spreche damit dafür, dass die Klägerin nicht sicher gewesen sei und selbstverschuldet gestürzt sei. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin durch das Pferd umgeworfen und deshalb gestürzt sei. Es bestehe eine erhebliche Mithaftung der Klägerin, die sich sorglos mit einem für sie nicht bekannten Pferd auf den Weg begeben habe.
283
Selbst wenn die Vorbeifahrt des Lkw, so die Beklagten zu 1), 2) und 5), mitursächlich für das Weglaufen des Pferdes gewesen wäre, treffe den Beklagten zu 1) aus Verschulden keine Haftung, da er sich verkehrsgerecht verhalten habe und die Tiergefahr nicht habe beeinflussen können. Auch im Rahmen des § 1 StVO sei es durchaus zulässig, an einem Pferd vorbeizufahren, das von einem Reiter gehalten werde, wenn ein akzeptabler Abstand vorliege. Ein Abstand von 1 1/2 Metern bis 2 Metern sei ausreichend; hier seien es sogar 10 Meter gewesen. Außerdem sei für den Beklagten zu 1) klar erkennbar gewesen, dass sich die Klägerin mit dem Pferd umgedreht habe und abwartend mit Blickrichtung des Pferdes zum Lkw gestanden sei, sodass der Beklagte zu 1) habe davon ausgehen können, dass sich die Klägerin mit dem Pferd auf das Herannahen des Fahrzeuges eingestellt habe. Eine Schreckreaktion des Pferdes sei nicht vorhersehbar gewesen; der Beklagte zu 1) habe diese auch nicht abwenden können. Eine Haftung des Beklagten zu 1) scheide daher schon nach § 18 StVG aus.
284
Selbst bei Mitursächlichkeit der Betriebsgefahr des Lkw sei eine Haftung der Beklagten zu 5) als Fahrzeughalterin zu verneinen, da eine etwaige Haftung aus Betriebsgefahr hinter der Tiergefahr einerseits und dem Verschulden der Klägerin andererseits zurücktrete. Bei der Schreckreaktion des Tieres auf ein Fahrzeug überwiege die Tiergefahr deutlich und somit könne aus der Betriebsgefahr allenfalls eine Quote von bis zu 30 % abgeleitet werden.
285
Die Betriebsgefahr trete aber vollständig zurück, da ein erhebliches Verschulden der Klägerin durch unsachgemäßes Führen und Festhalten der Leine in Betracht komme, das letztlich Hauptursache für die Verletzungen gewesen sei.
286
Die Klägerin müsse sich durch die vereinbarte Reitbeteiligung die Tierhalterhaftung nach § 833 BGB anrechnen lassen. Die Klägerin sei jedenfalls Tieraufseherin nach § 834 BGB gewesen und nach § 834 S. 2 BGB sei zu vermuten, dass sie bei der Führung der Aufsicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beobachtet habe und der Schaden bei Einhaltung der Sorgfalt hätte vermieden werden können. Die Tiergefahr sei der Klägerin deshalb vollständig zuzurechnen.
287
Die Beklagten zu 1), 2) und 5) halten das Schmerzensgeld für übersetzt und erachten bei ausschließlicher Haftung der Beklagten eine Schmerzensgeldkapitalabfindung bis 230.000,00 € bei Vorliegen eines Dauerschadens für ausreichend.
288
Es beruhe auf der Wahrnehmung berechtigter Interessen, dass bisher keine weiteren Zahlungen an die Klägerin geleistet wurden, da aufgrund des ursprünglichen Hinweises des Gerichts, dass eine Haftung des Beklagten zu 1) möglicherweise ausscheide, von Seiten der Beklagten zu 2) und 5) noch zu prüfen gewesen sei, ob sich die Betriebsgefahr des Lkw unfallbedingt ausgewirkt habe und gegebenenfalls vollständig hinter der Tierhaltergefahr und dem Eigenverschulden der Klägerin zurücktrete.
289
Ferner stellen sie die Zahlung der Anwaltskosten von 7.670,74 € und damit die Aktivlegitimation der Klägerin in Anbetracht einer Rechtsschutzversicherung nach § 86 VVG in Abrede.
Verteidigungsvorbringen der Beklagten zu 3) und 4):
290
Die Beklagten zu 3) und 4) behaupten, dass mit Abschluss der Reitbeteiligung vom 13.07.2014 mit der Klägerin vereinbart worden sei, dass diese das Pferd … zunächst lediglich nur in Anwesenheit der Beklagten zu 3) und/oder 4) führen sollte, damit sich das Pferd an die Klägerin gewöhne.
291
Es sei nicht vereinbart gewesen sei, dass die Klägerin am 28.07.2014 nachmittags das Pferd … führe. Weder der Beklagte zu 3) noch die Beklagte zu 4) hätten Kenntnis davon gehabt, dass die Klägerin an diesem Tag zum Pferd wollte.
292
Die SMS der Klägerin vom 28.07.2014, 13:39 Uhr, sei erst am Abend, nach dem Unfall, bei der Beklagten zu 4) angekommen.
293
Der Lkw sei nicht an der Hinterhand des Pferdes vorbeigefahren, sondern die Klägerin habe das Pferd in Richtung Weg und damit Richtung Lkw gewendet, damit das Pferd sehe, was auf es zukomme.
294
Das Pferd sei ohne aufzusteigen oder auszuschlagen in Richtung Stall gelaufen und habe die Klägerin dabei ein Stück mitgeschleift. Dies sei auch aus der von der Polizei ermittelten Länge der Blutspur von 0,7 Metern zu schließen, welche sich nur durch ein Mitschleifen in dieser Länge erklären lasse.
295
Die Beklagten zu 3) und 4) behaupten, dass die Klägerin der Beklagten zu 4) mitgeteilt habe, dass sie die Zügel extra eng an sich genommen und um die Hand geschlungen habe, als sie den zu schnell fahrenden Lkw auf dem Schotterweg bemerkt habe. Hierdurch sei die Klägerin, so die Beklagten zu 3) und 4), beim Losrennen des Pferdes ein Stück mitgeschleift worden, wobei sie offenbar vom Huf des Pferdes getroffen worden sei. Hätte sie, so die Beklagten zu 3) und 4), die Trense wie üblich nur locker in der Hand gehalten und nicht um die Hand gewickelt, wäre sie nicht zu Boden gerissen und mitgeschleift worden. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass das Zaumzeug des Pferdes gerissen war.
296
Die Beklagten zu 3) und 4) tragen weiter vor, dass die vom Tierarzt festgestellte Verletzung an der Brust des Pferdes sehr wahrscheinlich von einem vom Lkw aufgeschleuderten Schotterstein verursacht worden sei.
297
Die Beklagten zu 3) und 4) berufen sich auf den in § 6 des Reitbeteiligungsvertrages, Anlage K 1, geregelten Haftungsausschluss. Sie halten diesen für wirksam. Auf eine reine Gefährdungshaftung sei § 309 Nr. 7 BGB, so die Beklagten zu 3) und 4), nicht anwendbar. Der Haftungsausschluss erfasse auch nicht nur das Reiten des Pferdes, sondern den gesamten Umgang mit dem Pferd.
298
Die Beklagten zu 3) und 4) meinen, dass bei einer Reitbeteiligung auch ohne einen ausdrücklichen Haftungsausschluss hinsichtlich der Gefährdungshaftung nach § 833 BGB kein Schadensersatzanspruch gegeben sei.
299
Die Beklagten zu 3) und 4) sind weiter der Auffassung, dass der Beklagte zu 1) deutlich vor der Einmündung hätte anhalten und warten müssen. Er hätte aufgrund des geringen Abstands zwischen Lkw und Pferd in sicherer Entfernung anhalten und sich mit der Klägerin verständigen müssen, ob er gefahrlos am Pferd vorbeifahren könne oder aber dieser die Möglichkeit geben müssen, sich mit dem Pferd weiter von der Straße zu entfernen. Der Unfall sei für den Beklagten zu 1) daher nicht unabwendbar gewesen.
300
Die Beklagten zu 3) und 4) gehen davon aus, dass das Aufschrecken des Pferdes nicht auf eine besondere Schreckhaftigkeit oder dessen mangelnder Verkehrssicherheit beruhe, sondern das normale Verhalten eines jeden Pferdes in der konkreten Situation (ohrenbetäubender Lärm, Aufwirbelung einer großen Staubwolke, Umherschleudern von großen Steinen vom geschotterten Weg) sei.
301
Die Beklagten zu 3) und 4) bringen weiterhin vor, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen eines der Klägerin zuzurechnenden Mitverschuldens nach § 254 BGB nicht bestehe. Es werde, so die Beklagten zu 3) und 4), ein Mitverschulden des geschädigten Reiters vermutet, wobei sich die Prüfung dieses Mitverschuldens am Haftungsmaßstab des § 834 BGB orientiere. Die Beklagten zu 3) und 4) sehen daher die Beweislast für fehlendes Mitverschulden beim Reiter, dem bei Nichterbringbarkeit dieses Beweises ein hälftiges Mitverschulden anzurechnen sei.
302
Sie meinen, dass die Klägerin Tierhüterin gemäß § 834 BGB gewesen sei, als sie das Pferd am Zügel vom Hof in Richtung Schotterweg geführt habe.
303
Ein Mitverschulden der Klägerin sei dahingehend gegeben, dass sie sich zum Unfallzeitpunkt offenbar nicht links neben den Hals des Pferdes befunden und dieses kurz am Zügel gehalten habe. Es sei aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. … davon auszugehen, dass sich die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht neben, sondern vor dem Pferd befunden habe.
304
Aufgrund des vorgebrachten Mitverschuldens trete die Gefährdungshaftung zurück.
305
Die Beklagten zu 3) und 4) gehen allenfalls von einer Haftung der Beklagten zu 1), 2) und 5) von 50 %, einem Mitverschulden der Klägerin zu 33 % und einer Haftung der Beklagten zu 3) und 4) bei unterstellter Unwirksamkeit des Haftungsausschlusses von 17 % aus.
306
Die Beklagten zu 3) und 4) erachten das Schmerzensgeld ebenfalls für überhöht und ein Schmerzensgeld von 230.000,00 € als ausreichend.
307
Zum weiteren Parteivortrag wird ergänzend vollumfänglich auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
308
Das Gericht hat die Klägerin informatorisch angehört. Auf die Protokolle der Sitzungen vom 15.02.2018, Bl. 441 ff. der Akte, und vom 16.06.2021, Blatt 1432 ff. der Akte, wird Bezug genommen.
309
Weiterhin wurden der Beklagte zu 1), der Beklagte zu 3), die Beklagte zu 4) und der Geschäftsführer der Beklagten zu 5) informatorisch angehört. Auf das Protokoll der Sitzung vom 15.02.2018, Bl. 441 ff. der Akte, wird Bezug genommen.
310
Das Gericht hat die Zeugen … PHM … POM … und … uneidlich vernommen. Auf die Protokolle der Sitzungen vom 15.02.2018, Bl. 441 ff. der Akte, 14.06.2021, Blatt 1356 ff. der Akte, und vom 15.06.2021, Blatt 1377 ff. der Akte, wird Bezug genommen.
311
Weiterhin hat es mündliche Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dr. … (pferdekundliches Gutachten), Prof. Dr.-Ing. … (unfallanalytisches Gutachten) und Prof. Dr. … (rechtsmedizinisches Gutachten) eingeholt. Zum Ergebnis der Begutachtungen wird auf das Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 441 ff. der Akte, Bezug genommen.
312
Das Gericht hat ein augenfachärztliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. … erholt. Auf das schriftliche Gutachten vom 16.01.2019, Bl. 778 ff. der Akte, nebst schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 31.05.2019, Bl. 832 ff. der Akte, und vom 08.10.2019, Bl. 930 ff. der Akte, wird Bezug genommen. Das Gericht hat am 13.10.2020 den Sachverständigen Prof. Dr. … im Termin vom 13.10.2020 mündlich gehört. Auf das Protokoll, Bl. 1102 ff. d.A., wird Bezug genommen.
313
Zudem hat das Gericht ein HNO-ärztliches Gutachten des Sachverständigen PD Dr. … erholt. Auf das schriftliche Gutachten vom 09.07.2019, Bl. 849 ff. der Akte, nebst Ergänzungsgutachten vom 15.05.2021, Blatt 1288 ff. der Akte, wird Bezug genommen. Das Gericht hat den Sachverständigen PD Dr. … im Termin vom 13.10.2020 mündlich angehört. Auf das Protokoll der Sitzung vom 13.10.2020 Bl. 1102 ff. d.A., wird Bezug genommen. Im Termin vom 15.06.2021 hat das Gericht den Sachverständigen PD Dr. … hoch ergänzend gehört. Auf das Protokoll der Sitzung vom 15.06.2021, Blatt 1384 ff. der Akte, wird Bezug genommen.
314
Weiterhin hat das Gericht ein gynäkologisches Gutachten des Sachverständigen PD Dr. … erholt. Auf das schriftliche Gutachten vom 24.07.2020, Bl. 983 ff. der Akte, wird Bezug genommen. Das Gericht hat am 13.10.2020 den Sachverständigen PD Dr. … mündlich gehört. Auf das Protokoll, Bl. 1102 ff. d.A., wird Bezug genommen.
315
Das Gericht hat ferner ein schriftliches nervenärztliches Gutachten des Sachverständigen Dr. … eingeholt. Auf das nervenärztliche Gutachten vom 08.03.2021, Blatt 1177 ff. der Akte, nebst Ergänzungsgutachten vom 17.05.2021, Bl. 1305 ff. der Akte, und vom 13.06.2021, Bl. 1340 ff. der Akte, wird Bezug genommen. Im Termin vom 16.06.2021 hat das Gericht zudem den Sachverständigen Dr. … ergänzend angehört, auf das Protokoll der Sitzung vom 16.06.2021, Blatt 1438 ff. der Akte, wird Bezug genommen.
316
Die Klägervertreter sowie die Beklagtenvertreter haben der Verwertung der protokollierten Angaben gemäßen Protokollen vom 15.02.2018 und 16.02.2018 (informatorische Angaben der Klägerin, des Beklagten zu 1), des Geschäftsführers des Beklagten zu 5), des Beklagten zu 3), der Beklagen zu 4), Aussagen der Zeugen … und Ausführungen der Sachverständigen Dr. …, Prof. Dr. … und Prof. Dr. …), wie protokolliert, durch die erkennende Kammer zugestimmt.
Entscheidungsgründe
317
Die zulässige Klage ist überwiegend, im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang, begründet.
318
Es besteht eine Haftung der Beklagten zu 1) bis 5).
319
Ein Mitverschulden ist der Klägerin nicht anzulasten.
320
Es ist ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 400.000,00 € zuzusprechen, von dem 150.000,00 € bereits gezahlt wurden, also restliche 250.000,00 €.
321
Ferner besteht ein Zahlungsanspruch für bereits entstandene materielle Schäden vom 16.12.2014 bis 31.10.2017 in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe; weiter war insofern, wie aus dem Tenor ersichtlich, auf Rentenleistung zu erkennen.
322
Auch den Feststellungsanträgen war zu entsprechen.
323
Die Feststellungsklagen sind zulässig.
324
Insbesondere besteht bei der Klägerin das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.
325
Dann, wenn sich der anspruchsbegründende Sachverhalt – hier der Schaden – zur Zeit der Klageerhebung noch in der Fortentwicklung befindet, ist die Feststellungsklage insgesamt zulässig, auch wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden könnte (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 256 Rn. 7a).
326
Das Interesse an alsbaldiger Feststellung besteht, wenn eine aktuelle Gefährdung zu besorgen ist und daher schon jetzt ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klärung der Rechtslage besteht. Dies ist der Fall, wenn neben bereits eingetretenen künftig weitere Schäden zu erwarten sind und dem Geschädigten für seinen wegen des Grundsatzes der Schadenseinheit bereits mit Eintritt des ersten Schadens dem Grunde nach auf den Ersatz des Gesamtschadens entstandenen Anspruch insgesamt die Verjährung droht. Für das Bestehen des Feststellungsinteresses reicht bereits die bloße Möglichkeit des künftigen Entstehens weiterer Schäden bei schweren, in ihren Auswirkungen nicht voll zu übersehenden körperlichen Verletzungen, die zu verneinen ist, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen. Bei reinen Vermögensschäden ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erforderlich, dies wird allerdings häufig nicht beim Feststellungsinteresse für die Zulässigkeit, sondern als zusätzliche Voraussetzung für die Begründetheit der Klage vorausgesetzt (zum Ganzen: MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., 2016, § 256 Rn. 50 m.w.N.).
327
Der Feststellungsantrag dient auch dem Zweck der Hemmung der Verjährung (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 256 Rn. 9).
328
Vorliegend sind auf das Unfallereignis zurückzuführende künftige Schadensfolgen möglich und naheliegend. Hiervon ausgehend ist das Feststellungsinteresse gegeben, auch wenn die Schäden teilweise schon weiter bezifferbar wären. Zudem droht Verjährung.
329
Das Feststellungsinteresse wurde im Übrigen beklagtenseits auch nicht in Abrede gestellt.
330
Auch die zunächst als offene Teilklage gestellte Teilschmerzensgeldklage war zulässig. Dies ist dann der Fall, wenn es sich derzeit nicht sagen lässt, welche Änderungen des gesundheitlichen Zustands noch eintreten können. Es ist dann zulässig, den Betrag des Schmerzensgeldes zuzusprechen, der dem Verletzten zum Zeitpunkt der Entscheidung mindestens zusteht (BGH NJW 2004, 1243). In einem solchen Fall sind dann bei der Bemessung der Anspruchshöhe nur die Verletzungsfolgen zu berücksichtigen, die bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten sind; insofern ist dann auch eine hinreichende Individualisierbarkeit gewährleistet (BGH, NJW 2004, 1243, 1244).
331
Mit Schriftsatz vom 04.06.2021 teilte die Klägerin bzgl. des Schmerzensgeldes mit, in die Schmerzensgeldbemessung alle diejenigen Schadensfolgen einzubeziehen, die bereits eingetreten sind und objektiv erkennbar waren und deren künftiger Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann. Solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar ist, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden muss, sollten insofern außer Betracht bleiben. Damit ist nunmehr keine offene Teilklage bzgl. des Schmerzensgeldes mehr gegeben.
- Haftung dem Grunde nach -
332
Der Klägerin stehen Ansprüche gegen die Beklagten zu 1) bis 5) hinsichtlich des steitgegenständlichen Unfalls vom 28.07.2014 zu.
333
1. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht von folgendem Unfallhergang überzeugt:
334
Am 28.07.2014 um 13:39 Uhr schickte die Klägerin den Beklagten zu 2) und 4) eine SMS, in der sie mitteilte, dass sie zum Pferd … fahren und dieses führen wolle. Vor dem 28.07.2014 hatte es die Klägerin lediglich ein Mal geschafft, beim Pferd zu sein, und hatte auch diese Anwesenheit vorweg der Beklagten zu 4) per SMS angezeigt, ohne dass hierauf Einwände erfolgten.
335
Am frühen Nachmittag des 28.07.2014 führte die Klägerin in Begleitung ihres Lebensgefährten … das Pferd aus dem Hof heraus, ging mit ihm vom Hof aus gesehen nach rechts auf den … in …. Am Unfalltag war der Weg staubtrocken. Die Klägerin führte am Unfalltag das Pferd am Zügel. Das Pferd war mit einer Trense ausgestattet.
336
Als sie sich auf dem … befand, befuhr der Beklagte zu 1) mit dem Lkw …, einem dreiachsigen Schwer-Lkw, 7,20 Meter lang und 2,50 Meter breit, mit einer zulässigen Gesamtmasse von 26 Tonnen, diesen Weg und fuhr auf die Klägerin und das Pferd zu.
337
Die Klägerin entschloss sich umgehend, den nahegelegenen Zufahrtsbereich zum Hof wieder aufzusuchen, nachdem sie weder nach links noch nach rechts mit dem Pferd vom Weg heruntergehen konnte, drehte deshalb das Pferd um und begab sich mit diesem wieder zurück in Richtung Hof.
338
Rund 25 m vor der Unfallstelle fuhr der Lkw mit einer Geschwindigkeit von 9 km/h. Der Lkw näherte sich in einer kleinen Staubwolke an, d.h. einer Staubentwicklung bis etwa zur Oberkante der Räder.
339
Während sich der Lkw annäherte, ging die Klägerin mit dem Pferd auf dem … in Richtung Hof zurück, um den … über den Zufahrtsweg zum Hof hin zu verlassen. Unter Annäherung des Lkw konnte sie den Mennersbergweg nicht rechtzeitig verlassen; sie kam mit dem Pferd lediglich bis zur Einmündung zur Zufahrt zum Hof zurück; dort fuhr der Lkw dann ohne anzuhalten an der Klägerin und dem Pferd vorbei. Die Klägerin drehte deswegen den Kopf des in Richtung der Hofzufahrt stehenden Pferdes noch in Richtung des Lkw, damit das Pferd den Lkw sieht. Im Bereich der Vorbeifahrt, an der Einmündung der Zufahrt, beginnt dort eine Steigung mit Werten von 1,8 bis 3,5 %. Der Lkw beschleunigte in der Vorbeifahrt am Pferd dort von 9 auf 15 km/h. Wegen der Steigung musste der Lkw im Einmündungsbereich Gas geben, wodurch sich die Geräuschentwicklung des Lkw änderte und es zu einem vermehrten Rauchausstoß aus dem Auspuff des Lkw beim Beschleunigen aus der sich am Lkw links befindlichen Auspuffanlage kam, als der Lkw an dem dort befindlichen Pferd samt Klägerin vorbeifuhr. Der Abstand des Kopfes des Pferdes zum vorbeifahrenden Lkw betrug dabei rund 5 Meter. Die Klägerin hatte die Zügel in diesem Moment nicht um die Hand gewickelt.
340
Der Lkw hätte ohne weiteres vor der Einmündung der Zufahrt zum Hof anhalten können.
341
Das Pferd stieg durch die Beschleunigung des Lkw unter der Vorbeifahrt desselben durch die damit verbundene geänderte Geräuschentwicklung und dem vermehrten Rauchausstoß leicht und lief dann fluchtartig nach vorne weg; hierbei wurde die Klägerin mit einer Hufkante im Gesicht in Höhe der Augenebene getroffen, so dass diese schwer verletzt wurde und zu Boden fiel. Das Pferd rannte anschließend zum Pferdehof zurück.
342
2. Diese Beurteilung stützt sich in ihrer Gesamtheit maßgeblich auf die unfallanalytischen, pferdekundlichen und rechtsmedizinischen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. …, Dr. … und Prof. Dr. … sowie die Angaben der Zeugen/informatorischen Angaben zum Unfallhergang.
343
a) Die Klägerin gab in ihrer informatorischen Anhörung vom 15.02.2018 u.a. an (auf das Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 443 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen), dass ihr Herr … mitgeteilt habe, dass es keine Aufälligkeiten bei … gegeben habe. Sie habe beim ersten Ausführen keine Auffälligkeiten festgestellt. Bei einem vorherigen Ausritt sei ihnen ein Auto oder Lkw entgegengekommen. Dies sei aber problemlos verlaufen.
344
Sie habe der Beklagten zu 4) angeboten, sich zu melden, wenn sie vorbeikomme. Für diese sei das ok gewesen und sie habe auch gesagt, dass sie oftmals keinen Handyempfang gehabt habe. Vor dem Unfall habe sie … einmal selbständig ausgeführt und auch bei diesem Ausführen dies vorher per SMS angekündigt, ohne dass es im Nachhinein Einwände dagegen gegeben habe.
345
Am Unfalltag habe sie der Beklagten zu 4) bei Ankunft auf dem Hof eine SMS geschrieben, dass sie bei … sei. … habe sich wie zuvor unauffällig verhalten. Sie sei mit … auf den Schotterweg gegangen; dieser sei staubig gewesen; dort sei ihr aus der Ferne ein Lkw entgegen gekommen. Nachdem sie weder nach links noch nach rechts habe ausweichen können, habe sie das Pferd umgedreht und habe zurück zur Hofeinfahrt gewollt. Sie habe die Zügel von … locker in der Hand gehabt, nicht um die Hand gewickelt. Ihr sei bewusst gewesen, dass sie die Zügel loslassen müsse, wenn sie das Pferd nicht halten könne. Weitere Erinnerung an das Unfallgeschehen habe sie nicht.
346
b) Der Beklagte zu 1) gab in seiner informatorischen Anhörung vom 15.02.2018 u.a. an (auf das Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 447 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen), dass sein Lkw mit Erdaushub beladen worden sei, den er zu einem Acker in der Nähe vom Reiterhof habe fahren sollen. Er sei den … entlang gefahren. Man habe schon aus der Entfernung den Hof sehen können. In der Einfahrt zum Hof sei die Klägerin mit einem Pferd gestanden; dahinter habe er eine weitere Person, deren Lebensgefährten, stehen sehen. Die beiden Personen und das Pferd hätten in seine Richtung geschaut. Nachdem er die Klägerin mit ihrem Begleiter sowie das Pferd gesehen habe, sei er zunächst mit seiner bis dahin gefahrenen Geschwindigkeit von ca. 20 bis 30 km/h weiter gefahren. Es sei aus seiner Sicht noch genügend Abstand gewesen, so dass kein Grund dafür bestanden habe, die Geschwindigkeit zu verringern. Dann habe er die Geschwindigkeit auf ca. 10 km/h verringert, als er grob geschätzt noch 50 m Abstand zur Klägerin und dem Pferd gehabt habe. Er sei dann in der Kurve an den Personen und dem Pferd vorbeigefahren. In diesem Moment habe er die Klägerin nicht wahrgenommen; vermutlich sei diese im toten Winkel gewesen. Er habe dann in den Seitenspiegel gesehen und gesehen, dass die Klägerin am Boden gelegen sei. Beim Vorbeifahren habe er sich aus seiner Sicht rechts von den Personen befunden. Er habe gesehen, dass der Partner bei der Klägerin gewesen sei. Dieser habe in seine Richtung geschaut und nur noch geschrien, was er an der Mimik erkannt habe.
347
Zum Unfallzeitpunkt sei sein Lkw noch beladen gewesen. Er habe nach dem Unfallereignis den Lkw am Acker abgeladen.
348
Er könne nicht sagen, ob und wie das Pferd geführt oder gedreht worden sei. Er habe die Klägerin und das Pferd sowie den Begleiter zunächst kurz wahrgenommen, in der Folgezeit, während der Annäherung, habe er die beiden Personen und das Pferd ebenfalls wahrgenommen. Er habe das Gefühl gehabt, dass die Klägerin ihren Standort in der Annäherungsphase nicht geändert habe. Beim Passieren habe er die Klägerin, das Pferd und ihren Begleiter soweit gesehen, wie es sein Blickfeld zugelassen habe. Er meine, in einem Abstand von ca. 5 bis 10 m an der Klägerin und dem Pferd vorbeigefahren zu sein. Diese hätten in seine Richtung geschaut. Der Begleiter sei hinter dem Pferd gestanden. Es könne sein, dass sich eine Staubwolke beim Fahren entwickelt habe. Er sei sich sicher, dass die Klägerin und das Pferd jeweils mit ihrem Kopf zu ihm geschaut hätten. Er sei nicht am Hinterteil des Pferdes vorbeigefahren. Die Klägerin sei einfach nur dagestanden; er könne nichts dazu sagen, wie die Klägerin das Pferd gehalten habe. Als er die Klägerin im Seitenspiegel liegen sehen habe, habe sich diese in Rückenlage befunden. Der Ort, an dem die Klägerin vorher gestanden sei, und der Ort, an dem sie dann gelegen sei, könne sich vielleicht geringfügig verändert haben. Die Zeitphase des toten Winkels würde er auf ein paar Sekunden schätzen. Bei der Annäherung mit dem LKW habe er den Eindruck gehabt, dass das Pferd, die Klägerin und der Begleiter still dagestanden und sich ruhig verhalten hätten. Er habe nicht den Eindruck gehabt, dass das Pferd irgendwie nervös gewesen sei. Es sei durchaus möglich, dass Schlaglöcher oder Unebenheiten in dem Bereich vorhanden gewesen seien, als er die Klägerin passiert habe. Als er gesehen habe, dass die Klägerin auf dem Boden gelegen sei, habe er das Pferd nicht mehr gesehen.
349
c) Der Geschäftsführer der Beklagten zu 5) erklärte in der informatorischen Anhörung vom 15.02.2018 unter anderem Folgendes (auf das Protokoll vom 15.02.2018, Blatt 450 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
350
Der Beklagte zu 1) habe ihn angerufen und mitgeteilt, dass er einen Unfall gehabt habe. Über den Unfall habe er erzählt, dass er mit dem Lkw am Hof am … vorbeigefahren sei. Er habe im Rückspiegel beobachtet, dass etwas Schlimmes passiert sei, dass die Frau schwer verletzt sei. Vom Unfallhergang habe er nur berichtet, dass er an einem Pferd und der Klägerin vorbeigefahren sei und dann im Rückspiegel gesehen habe, dass etwas passiert sei.
351
Der Beklagte zu 1) habe den steinfreien Erdaushub auf einem Acker in der Nähe der Unfallstelle abladen sollen. Er habe über den … fahren sollen, da dies der direkte Weg sei und der Alternativweg nicht so gut für Lkw geeignet sei.
352
d) Der Beklagte zu 3) gab in seiner informatorischen Anhörung vom 15.02.2018 u.a. an (auf das Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 451 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen), dass sie vereinbart hätten, dass die Klägerin das Pferd zunächst nur führen und dann ab August reiten solle. Sie hätten mündlich vereinbart, dass in der Anfangszeit entweder seine Frau oder er dabei sein müssten, wenn die Klägerin das Pferd führe.
353
Er könne sich an ein Telefonat zwischen der Klägerin und seiner Frau erinnern, welches er mitgehört habe. Die Klägerin habe seiner Frau erzählt, dass sie den großen Fehler gemacht habe, die Zügel geschlauft zu haben. Er und seine Frau hätten nicht gewusst, ob die Klägerin das tatsächlich mit den Zügeln gemacht habe oder ob sie sie habe trösten wollen, da sie sich sehr schuldig gefühlt hätten.
354
Mit … habe es keine Probleme mit Lärm, Staub oder Geräuschen gegeben.
355
Am … sei er eher weniger mit … unterwegs gewesen, da der Weg aus groben Kies bestehe und auch nicht so schön sei. Vor dem Unfall habe er nicht gewusst, dass der … für Reiter unzulässig sei.
356
Für die Phase des Führens bis August habe die Klägerin seines Wissens nach nichts bezahlen sollen.
357
Vier Tage nach dem Unfall hätten sie eine Schnittwunde im Brustbereich des Pferdes entdeckt, worauf der Tierarzt erklärt habe, dass diese im ungünstigsten Falle von einem Zügel kommen könne, näherliegend aber ein Stein sei.
358
e) Die Beklagte zu 4) gab in ihrer informatorischen Anhörung vom 15.02.2018 u.a. an (auf das Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 454 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen), dass die Klägerin angeboten habe, sich zu melden, bevor sie zul … fahre. Sie habe geantwortet, dass sie dies voraussetze und nach Möglichkeit jemand von ihnen dabei sein solle. Beim ersten Mal, als die Klägerin vor dem Unfall bei … gewesen sei, habe sie ihr das vorher angezeigt. Sie habe ihr auch bestätigt, dass dies ok sei. Ihr Mann und sie hätten zwar nicht gekonnt, sie habe aber Frau … informiert, dass sie ein Auge auf … und die Klägerin habe. Frau … habe ihr dann danach berichtet, dass alles gut gewesen sei.
359
Am Unfalltag habe sie die SMS erst abends um halb 7 erhalten. Sie habe aber gesehen, dass die Klägerin sie bereits um 13:00 Uhr losgeschickt habe.
360
Sie habe nicht explizit gesagt, dass die Klägerin erst zu … fahren dürfe, wenn sie eine Rückantwort an sie schicke, dass dies in Ordnung sei. Es sei für sie aber logisch gewesen, dass eine Rückantwort aber abzuwarten sei, da sie gesagt habe, Frau … solle sie informieren und es solle, wenn möglich, ihr Mann oder sie dabei sein.
361
Die Klägerin habe ihr in einem Anruf mitgeteilt, dass sie die Zügel um die Hand geschlungen habe. Im Nachhinein sei sie davon überzeugt, dass sie das nur gesagt habe, um sie zu trösten. Dabei handle es sich um ein subjektives Gefühl; sie habe keine objektiven Anhaltspunkte dafür, ob dies tatsächlich so gewesen sei.
362
f) Der Zeuge …, Lebensgefährte der Klägerin, teilte im Termin vom 15.02.2018 u.a. mit (auf das Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 457 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen), dass der Reitbeteiligungsvertrag ab 01.08. habe gelten sollen. Sie hätten Bescheid geben sollen, wenn sie auf den Hof fahren würden. Es habe keine Äußerung der Eheleute … dahingehend gegeben, dass einer von ihnen beim Ausführen dabei sein müsse. Sie hätten nur Bescheid geben sollen, wenn sie auf den Hof kämen. Es seien keine Einschränkungen in Bezug auf die Gegebenheiten auf dem Hof, d.h. wo man reiten dürfe, von Seiten der … kommuniziert worden. Es sei vereinbart worden, dass die Klägerin das Pferd zunächst nur habe führen sollen und dass der Vertrag erst ab August gelten solle. Die Klägerin habe auch nur für August bezahlen sollen und dies auch getan. Sie seien nie auf den Hof über den … gefahren.
363
Am Unfalltag sei seine Freundin auf den Schotterweg nach rechts gegangen. Er habe den Lkw wahrgenommen und habe seine Freundin gerufen, dass sie umdrehen solle, da ein Lkw komme. Er habe wahrgenommen, dass dieser relativ schnell gefahren sei, schätzungsweise 30 bis 50 km/h. Seine Freundin habe dann das Pferd gedreht und sei Richtung Hof gegangen. Sie habe es aber nicht mehr geschafft, mit dem Pferd die Einbiegung zum Hof zu erreichen. Sie sei links neben dem Pferd gestanden. Das Pferd sei noch mit den Hinterbeinen auf den … gestanden. Dort sei sie gestanden, als der Lkw vorbeigefahren sei.
364
Als der Lkw vorbeigefahren sei, sei das Pferd fluchtartig nach vorne weggelaufen. Er wisse nicht, in welchem Abstand der Lkw-Fahrer an seiner Freundin und dem Pferd vorbeigefahren sei. Er würde schätzen, dass es von seiner Freundin gerechnet vielleicht 5 m gewesen seien. Es habe etwas gestaubt, als der Lkw vorbeigefahren sei. Seine Freundin sei umgefallen wie eine Puppe. Sie sei durch den Zügel ruckartig nach vorne gezogen worden und dann umgefallen. Seine Freundin habe das Pferd kurz vor bzw. beim Unfallereignis relativ stramm und sehr weit vorne an den Zügeln gehalten. Sie habe die Zügel aber nicht um die Hand gewickelt gehabt. Während der Annäherungsphase des Lkw habe das Pferd keine Auffälligkeiten gezeigt. Seine Freundin habe beim Einbiegevorgang in den Hof noch versucht, den Kopf des Pferdes in Richtung Lkw zu drehen, damit dieses sehe, was auf es zukomme. Seine Freundin sei nicht mitgeschleift worden, sie sei einfach umgefallen und habe dann den Zügel los gelassen. Er sei sich sicher, dass das Pferd aus dem Stand Gas gegeben habe. Es sei nicht richtig gestiegen. Der Lkw habe geklappert. Es habe gestaubt und es seien auch Steine geflogen. Das Pferd sei nicht von Staub eingehüllt gewesen. Steine habe er nicht gesehen. Die Geräusche des Lkw würden sowohl von den Aufsätzen aufgrund des nicht beladenen Lkw als auch von den Steinen stammen. Er gehe davon aus, dass der Lkw mit ca. 30 km/h an seiner Freundin und dem Pferd vorbeigefahren sei. Seine Freundin sei in Richtung Hof gefallen. Bevor das Pferd los gelaufen sei, sei es hoch gestiegen, es sei kurzzeitig auf den Hinterhufen gestanden und sei dann mit einem Satz nach vorne. Seine Freundin sei nicht mitgeschliffen worden. Nach seiner Einschätzung sei der Lkw der Auslöser für den Scheuvorgang des Pferdes gewesen. Das Pferd sei vorher sehr ruhig gewesen. Seine Freundin habe versucht, den Kopf des Pferdes Richtung Lkw zu drehen. Auf der Straße sei kein Platz für Pferd und Lkw gewesen.
365
g) Der Zeuge … konnte zum Unfallhergang selbst keine Angaben machen (auf das Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 462 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen).
366
h) Die Zeugin … erklärte in ihrer Vernehmung vom 15.02.2018 (auf das Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 463 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen), dass sie die Klägerin am Unfalltag getroffen habe und diese erzählt habe, dass sie das Pferd zuächst nur führe und erst später reiten werde. Am Unfalltag habe Frau W. von einer Kennenlernphase im Bezug auf Pferd und Reiter gesprochen.
367
Vom Unfallgeschehen habe sie nichts gesehen.
368
Nach dem Unfall habe das Pferd die Trense nicht angehabt. Ganz sicher sei sie sich aber nicht.
369
i) Der Zeuge Polizeibeamter … teilte in seiner Vernehmung vom 16.02.2018 mit (auf das Protokoll vom 16.02.2018, Bl. 483 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen), dass der Lebensgefährte der Klägerin am Unfalltag gesagt habe, dass ein Pferd gescheut und die Klägerin dann mit dem Huf ins Gesicht getreten habe.
370
Die Klägerin habe in etwa in der Mitte der Einmündung gelegen. Die Klägerin habe während der Erstversorgung mehrfach versucht aufzustehen; sie habe sich also noch selbst bewegt. Der Beklagte zu 1) habe geschildert, dass aus seiner Sicht kein Kontakt zwischen dem Pferd bzw. der Person und dem Lkw stattgefunden habe; er sei an dem Pferd vorbeigefahren und habe dann erst bemerkt, dass etwas passiert sei.
371
Verletzungen am Pferd habe er nicht festgestellt. Er habe sich das Pferd im Ganzen angesehen und keine offensichtlichen Verletzungen feststellen können.
372
j) Der Zeuge Polizeibeamter … konnte in seiner Vernehmung vom 16.02.2018 mit (auf das Protokoll vom 16.02.2018, Bl. 486 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen) keine näheren Angaben zum Unfallgeschehen machen.
373
k) Der Zeuge …, Bruder der Klägerin, teilte in seiner Vernehmung vom 16.02.2018 (auf das Protokoll vom 16.02.2018, Bl. 488 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen) mit, dass die Eheleute … ihm mitgeteilt hätten, dass der Reitbeteiligungsvertrag erst ab August gültig sein solle. Im Juli solle eine Kennenlernphase stattfinden, in der die Klägerin das Pferd nur führen, aber nicht reiten solle. Er sei sich sicher, dass beide … gesagt hätten, dass der Reitbeteiligungsvertrag erst ab August gelten solle. Es habe auch keine Zahlung für Juli gegeben, was für ihn die Bestätigung gewesen sei, dass der Vertrag erst ab August habe gelten sollen.
374
l) Die Befragung der Sachverständigen hat im Einzelnen Folgendes ergeben:
aa) Prof. Dr.-Ing. … (unfallanalytisches Gutachten):
375
Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. … erstattete im Termin vom 16.02.2018 ein mündliches Sachverständigengutachten wie folgt; auf das Protokoll der Sitzung vom 16.02.2018, Blatt 496 ff. der Akte, wird Bezug genommen:
376
In Fahrtrichtung des Lkw bei Annäherung der späteren Unfallstelle befinde sich links ein Zaun, der zum damaligen Zeitpunkt verhindert habe, dass die Pferdewiese betreten werden könne. Auf der anderen Seite des M. Weges befinde sich ein Gefälle. Dies erkläre, warum die Klägerin bei Annäherung des Lkw wieder in Richtung des Gehöfts habe umdrehen müssen.
377
Die Diagrammscheibenaufzeichnung passe exakt zu dem vom Beklagten zu 1) genannten Fahrweg und korrespondiere auch mit seinen eigenen Feststellungen, da er die Fahrstrecke zweimal abgefahren sei. Der Geschwindigkeitsaufschrieb des Tachographen des Lkw sei extrem genau. Rund 25 m vor der Unfallstelle sei der Lkw mit einer Geschwindigkeit von 9 km/h gefahren. Der Lkw habe dann auf 15 km/h beschleunigt. Diese Beschleunigung sei mit einer Minimalbeschleunigung in dem Bereich von 0,1 m pro Quadratsekunde erfolgt. Gleichzeitig beginne mit der Einmündung der Zufahrt zu dem Anwesen, in dem das Pferd untergebracht gewesen sei, eine Steigung mit Werten von 1,8 bis 3,5 %. Dies bedeute, dass der Lkw hier in diesem Bereich habe Gas geben müssen, was mit einer entsprechenden geänderten Geräuschentwicklung und auch mit einem vermehrten Rauchausstoß aus der sich am Lkw links befindlichen Auspuffanlage einhergegangen sei. Ausgehend vom Blutfleck und dem möglichen Standort der Klägerin vor dem Ausschlagen des Pferdes ergebe sich bei Blickrichtung des Pferdes in Richtung des Stalles ein Abstand des Lkw beim Vorbeifahren von der Hinterhand des Pferdes von etwa ein bis zwei Metern und für den Fall, dass das Pferd bei dem Unfall vorher in Richtung des Lkw geblickt habe, ein Abstand des Pferdes von rund 5 Metern zum Lkw, was sich auf den Abstand des Kopfes zum Lkw beziehe, wenn das Pferd Richtung Lkw blicke.
378
Durch das Gasgeben des Lkw habe sich sowohl dessen Geräusch- als auch dessen Abgasverhalten (vermehrter Rauch, Gasabstoß aus der Auspuffanlage) geändert. Ein Vorbeifahren des Lkw-Fahrers in Schrittgeschwindigkeit am Pferd (5 km/h) wäre mit deutlich höheren Geräuschimmissionen einhergegangen; dies hätte demnach keinerlei Veränderung des Pferdeverhaltens herbeiführen können. Sofern man davon ausgehe, dass der vorbeifahrende Lkw das Scheuen des Pferdes ausgelöst habe, hätte der Beklagte zu 1) demnach den Unfall nur dann verhindern können, wenn er deutlich vor der Einmündung bereits angehalten hätte.
379
Fordere man vom Lkw-Fahrer ein Anhalten vor dem Pferd, wäre ihm das innerhalb einer Strecke von max. 3,5 bis 4 Metern möglich gewesen. Dies bedeute, dass er ohne weiteres vor der Einmündung der Zufahrt zum Hof … hätte anhalten können.
380
Aus der Fahrtrichtung … sei auf dem … ein Schild „Verboten für Reiter“ befindlich. Im Bereich des … und des dortigen Gehöfts befinde sich eine entsprechende Beschilderung nicht.
381
Im Bezug auf die Geräuschentwicklung des Lkw sei festzustellen, dass der Lkw bei einem Fahren mit 9 bis 15 km/h, wie an der Unfallstelle gezeigt, nahe der Leerlaufdrehzahl betrieben werde, das heiße mit einer Drehzahl in einer Größenordnung von etwa 700, max. 800 Umdrehungen. Dies bedeute, dass dessen Geräuschentwicklung einem Fahrgeräusch von etwa 82 dpa entspreche. Zu vergleichen sei diese Geräuschentwicklung mit der, die bei einem Traktor bzw. Radlader vorliege. Eine Geräuscherhöhung um 3 dpa entspreche einer Verdopplung der Lautstärke. Das Innengeräusch eines PKWs im Leerlauf betrage etwa 60 bis 65 dpa, das eines Transporters 73 dpa.
382
Die mögliche Verletzung am Hals des Pferdes lasse sich nicht mit einem Stein-Wegschleudern durch den Lkw vereinbaren.
383
Pfeifende Geräusche würden sich dann am Lkw ergeben, wenn Luft abgelassen würde. Dies erfolge immer beim Schalten bzw. beim Abbremsen des Fahrzeuges. Eine solche Abbremsung sei bereits 55 bis 25 m vor der Einmündung erfolgt. Es sei demnach fraglich, ob das Pferd dieses Geräusch habe hören können.
384
Beim Vorbeifahren an dem Pferd sei der Lkw von 9 auf 15 km/h beschleunigt worden. Die Qualm- bzw. Rauchentwicklung beim Gasgeben aus der Auspuffanlage des Fahrzeuges hänge insbesondere von der Einstellung der Einspritzanlage des Fahrzeuges ab. Der streitgegenständliche Lkw habe bereits eine Fahrleistung von rund 500.000 km aufgewiesen. Das Fahrzeug könne damit wenig, aber auch viel gequalmt haben. Genauere Angaben könnten hierzu nicht getroffen werden, da dies auch davon abhänge, wie stark der Lkw-Fahrer beschleunige.
385
Es sei davon auszugehen, dass sich der Lkw auch in einer kleinen Staubwolke genähert habe. Hierunter verstehe er eine Staubentwicklung bis etwa zur Oberkante der Räder.
386
Die Angaben des Zeugen …, der Lkw habe sich mit einer Geschwindigkeit zwischen 50 und 30 km/h der Unfallstelle angenähert, sei nicht ansatzweise mit der Diagrammscheibenauswertung in Einklang zu bringen.
387
Dass aus dem Auspuff des Lkw beim Beschleunigen mehr Rauchausstoß folge, sei absolut sicher. Fraglich sei, wie groß dieser Mehrausstoß gewesen sei, da dies vom Beschleunigungsverhalten des Fahrers abhänge und von der Einstellung der Einspritzanlage des Motors.
388
Im Übrigen wird vollumfänglich auf die Ausführungen des Prof. Dr. … im Termin vom 05.07.2018 gem. Protokoll vom 05.07.2018, Blatt 665-671 d.A., Bezug genommen.
bb) Dr. … (pferdekundliches Gutachten):
389
Der Sachverständige Dr. …, Pferdesachverständiger, erteilte im Termin vom 16.02.2018 ein mündliches Sachverständigengutachten wie folgt; auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 16.02.2018, Blatt 490 ff. der Akte, wird vollumfassend Bezug genommen:
390
Beim Annähern von landwirtschaftlichen Maschinen und Laufenlassen eines Motors eines großen Schleppers habe das Pferd keine besondere Schreckhaftigkeit gezeigt. Auch direktes Zufahren mit den Geräten auf das Pferd oder das nahe Vorbeiführen an größeren Schleppern mit laufendem Motor sei ohne jegliches Problem möglich gewesen. Bei der Begutachtung habe ein ausgeglichenes und wenig schreckhaftes Pferd vorgefunden werden können.
391
Dass man Zügel nicht um die Hand wickeln solle, sei einer der ersten Lektionen, die man beim Umgang mit dem Pferd erlernen solle.
392
Für eine führende Person, die eine gefährdende Situation entdecke oder bemerke, sei es sinnvoll, das Pferd auf diese eventuell angstauslösende Situation zuzuwenden, da das Pferd diese Situation dann auch optisch besser wahr nehmen könne. Wenn das Pferd jedoch weiterhin Angst habe und davon rennen wolle, werde es weiterhin von der Gefahr weglaufen.
393
Zur beschädigten Trense/Zügel erklärte der Sachverständige, dass derartige Beschädigungen sehr häufig durch das Treten der Pferde auf das Zügelende entstehen würden. Es sei letztendlich auch nicht gänzlich auszuschließen, dass dieser Druck ausgelöst worden sei, wenn die Zügel um die Hand geschlungen würden. In dieser Situation müsste die führende Person auch mitgeschleift worden sein, zumindest für ein Stück.
394
Ein Richtungswechsel könne das Pferd sicher nicht zu einer solchen Fluchtreaktion führen; es müsse immer ein Reiz vorhanden sein, der dem Pferd Angst einflöße. Ein solcher Reiz könne von überall herkommen, eine Staubwolke oder ein Geräusch sein. Bei einer ungewohnten Situation könne es immer passieren, dass das Pferd eine Schreckreaktion zeige. Ein solcher Reiz könne theoretisch auch vom Führer des Pferdes ausgelöst werden, wenn dieser z.B. stolpere und dann das Pferd durch die ungewohnte Bewegung erschrecke. Je näher das Auto an dem Pferd vorbeifahre, desto eher könne es zu einer Fluchtreaktion des Pferdes kommen. Der Reiz müsse nicht in jedem Fall von dem Auto kommen. Vermutlich habe das Pferd den Lkw die ganze Zeit optisch wahrnehmen können. Es seien aus seiner Sicht keine Anhaltspunkte von den Zeugen geschildert worden, die auf ein Anreiz bzw. Auslöser für die Flucht durch die Pferdeführerin schließen ließe. Die Fluchtreaktion des Pferdes könne verschiedenste Ursachen haben wie Staub, Motorengeräusche, Schattenwurf, Spiegelung der Sonne. Es sei möglich, dass irgendein optischer Reiz in Bezug auf den Lkw die Reaktion des Pferdes ausgelöst habe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehe er davon aus, dass der Lkw die Reaktion des Pferdes ausgelöst habe.
395
Wenn der Lkw-Fahrer rechtzeitig vor dem Pferd stehen bleibe, komme es wahrscheinlich zu keiner Fluchtreaktion. Als angemessenen Abstand würde er ca. 8 bis 10 m annehmen. Auch ein stehender Lkw, den das Pferd wahrnehme, könne ein potentieller Reiz sein. Wenn der Lkw mit einem Motorgeräusch stehe, sei bspw. die Annäherung nicht mehr vorhanden. Es sei wahrscheinlicher, dass es bei einem sich annähernden Lkw zu einer Fluchtreaktion des Pferdes komme als bei einem stehenden Lkw. Die vom Prof. … geschilderten möglichen Immissionen könnten potentielle Reize für das Pferd darstellen.
396
Im Übrigen wird vollumfänglich auf die Ausführungen gem. Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 441 ff. d.A., Bezug genommen.
cc) Prof. Dr. … (rechtsmedizinisches Gutachten):
397
Der Sachverständige Dr. … Rechtsmediziner, erstattete im Termin vom 16.02.2018 ein mündliches Sachverständigengutachten; auf das Protokoll vom 16.02.2018, Blatt 502 ff. der Akte, wird Bezug genommen:
398
Aufgrund des Frakturmusters müsse eine mehr oder weniger linear bzw. bandartig auf die Ebene der Augenhöhle und des Nasenbeines einwirkende Gewalt stattgefunden haben. Diese Gewalt müsse auch insbesondere linksbetont stattgefunden haben, da auch hier der linke Augapfel zerrissen worden sei. Das Verletzungsmuster müsse durch eine umschriebene, frontal, aber linksbetont, auf die Augenebene der Klägerin einwirkende im weiteren Sinne kantige Struktur verursacht worden sein. Ein Sturz auf den Boden erkläre das Verletzungsbild der Klägerin ebenso wenig wie ein Kopfstoß des Pferdes, da aufgrund der Lichtbilder an dem Pferd keine geeignete Kontur erkennbar sei, die dieses Verletzungsbild zur Folge haben könne.
399
Im Arztbrief seien keinerlei Verletzungen im Bereich eines Handgelenks der Klägerin dokumentiert. Dies sei aber im Hinblick auf die schweren Gesichtsverletzungen nicht extrem aussagekräftig, da z.B. bandförmige Rötungen und Schürfwunden an einem Handgelenk nicht im Vordergrund der Verletzungsfolgen gestanden seien und erfahrungsgemäß auch nicht unbedingt in einem Arztbrief Erwähnung finden würden.
400
Für den Fall, dass tatsächlich eine Schlaufe um das Handgelenk gebildet worden wäre, die bei entsprechendem Zug noch weiter schließe, sei im Übrigen die Frage zu stellen, warum die Klägerin dann nicht in dieser Position am Pferd noch hängend aufgefunden worden wäre. Für eine solche Situation würde sich nach der Beweisaufnahme keine Hinweise ergeben. Voraussetzung für einen solchen Mechanismus wäre zunächst, dass der Zügel in eine entsprechende Länge gezogen werden müsse, was die Distanz zwischen Geschirr des Pferdes und Handgelenk der Klägerin anbelange, da die Klägerin dann ja in die Nähe der Hufe kommen müssen, die bei einem üblichen Fluchtverhalten mit Galopp in Bodennähe zu suchen wäre. Dies würde bedeuten, dass die Klägerin mit dem Oberkörper und dem Kopf sehr nahe am Boden gewesen sein müsste. Dies wäre nur dann möglich, wenn der Zügel entsprechend lang gewesen wäre. Bei einem solchen Mechanismus wäre davon auszugehen, dass der Körper sich dahingehend drehe, dass die Hand, die über die Schlaufe mit dem Pferd verbunden sei, sich nach oben lokalisiert befinde und dann eine Drehung des Oberkörpers und damit auch des Gesichts bzw. des Kopfes in die entsprechende Richtung erfolge. Wenn man sich die dokumentierten Bewegungsmuster der Pferde betrachte und sich die Ausrichtung der Fläche der Hufe anschaue, sei auch erkennbar, dass das im Arztbrief beschriebene, auf den CT-Aufnahmen erkennbare Verletzungsmuster durch eine kantige Struktur, die mehr oder weniger direkt von frontal in die Gesichtsstrukturen wirke, hier nicht erklärbar wäre.
401
Dies wäre allenfalls dann denkbar, wenn das Gesicht der Klägerin mit einem 90-Grad-Winkel zur Längsachse des Pferdes gedreht wäre, dann von oben nach unten, z.B. im Rahmen eins Sturzes, bei gleichzeitig von unten nach oben geführten Huf und einem seitlichen Auftreffen der Hufkante erklärbar wäre. Inwiefern ein solcher Mechanismus hier unterstellt werden könne, entziehe sich seiner Kenntnis.
402
Er könne lediglich sagen, dass eine kantige Struktur mit sehr großer Energie auf die entsprechenden Gesichtskonturen eingewirkt haben müsse. Dies ließe sich z.B. sehr gut nach seiner Auffassung dadurch erklären, dass das Pferd etwas hochgestiegen sei, ein Vorderhuf nach vorne gerichtet gegen die Gesichtspartie der Klägerin getroffen sei, wobei diese aber dann mit dem Körper nach rechts zum Pferd gestanden sein müsse, weil sonst die linke Gesichtshälfte nicht bevorzugt getroffen hätte werden können.
403
Es könne nicht der Schluss gezogen werden, dass der Beginn der ersten Tropfenspur zwangsweise den Ort der Verletzungsursache repräsentiere.
404
Im Übrigen wird vollumfänglich auf die Ausführungen gem. Protokoll vom 15.02.2018, Bl. 441 ff. d.A., Bezug genommen.
405
dd) Das Gericht macht sich die nachvollziehbaren, sachkundigen Ausführungen aller genannter Sachverständigen zu eigen und legt diese in eigener Würdigung in ihrer Gesamtheit der Beurteilung zugrunde.
406
m) Die Klägervertreter sowie die Beklagtenvertreter haben der Verwertung der protokollierten Angaben gemäßen Protokollen vom 15.02.2018 und 16.02.2018 (informatorische Angaben der Klägerin, des Beklagten zu 1), des Geschäftsführers des Beklagten zu 5), des Beklagten zu 3), der Beklagen zu 4), Aussagen der Zeugen … und Ausführungen der Sachverständigen Dr. …, Prof. Dr. … und Prof. Dr. …), wie protokolliert und vorstehend ausgeführt, durch die erkennende Kammer zugestimmt. Eine Wiederholung der Befragung und Beweisaufnahme war insofern nicht erforderlich.
407
Hiervon ausgehend ist das Gericht unter Zugrundelegung des Beweismaßes nach § 286 ZPO davon überzeugt, dass die Vorbeifahrt des Lkw am Pferd ursächlich für dessen leichtes Steigen, das fluchtartige Davonrennen nach vorn und den damit einhergehenden Hufschlag ins Gesicht, welcher die Verletzungen der Klägerin auslöste, war.
408
Der direkte und unmittelbare Unfallzeuge … sprach davon, dass in dem Augenblick, als der Lkw vorbeigefahren sei, das Pferd fluchtartig nach vorne weggelaufen sei, es dabei etwas gestaubt habe und seine Freundin dann umgefallen sei wie eine Puppe. Der Zeuge … schätzte den Lkw als Auslöser für den Scheuvorgang des Pferdes ein.
409
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Zeuge als Lebensgefährte der Klägerin in einer engen Nähebeziehung zu dieser steht und dementsprechend auch ein erhebliches eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat, zumal er die Klägerin bis dato versorgt und sicherlich auch finanziell deutlich von entsprechenden Zahlungen profitieren würde. Dennoch erachtet das Gericht den Zeugen … in einer Analyse der protokollierten Angaben als glaubwürdig und dessen Angaben als glaubhaft. Er zeigte, wie sich aus dem Protokoll ergibt, grundsätzlich keine Tendenzen, das Vorgehen zu Lasten der Beklagten zu verschlimmern („etwas Staub“, „keine Steine gesehen“ etc.), wenngleich er die Geschwindigkeit des Lkw deutlich zu hoch einschätzte. Er machte insofern aber deutlich, dass es sich um eine Schätzung, also eine ca.-Angabe, handelte. Geschwindigkeiten werden von Zeugen oftmals falsch eingeschätzt.
410
Zudem erklärten sich die Parteivertreter ohnehin mit der Zugrundelegung der Angaben, wie protokolliert, einverstanden.
411
Auch die informatorischen Angaben der Beklagten zu 1) und des Geschäftsführers der Beklagten zu 5) bestärken diese Einschätzung. Der Beklagte zu 1) sprach davon, dass er in der Kurve an den Personen und dem Pferd vorbeigefahren sei, er in diesem Moment die Klägerin vermutlich wegen des toten Winkels nicht wahrgenommen habe und dann im Seitenspiegel gesehen habe, dass die Klägerin am Boden gelegen sei. Der Geschäftsführer der Beklagten zu 5) äußerte, dass der Beklagte zu 1) ihm vom Unfallhergang nur berichtet habe, dass er an einem Pferd und der Klägerin vorbeigefahren sei und dann im Rückspiegel gesehen habe, dass etwas passiert sei.
412
Hieraus ergibt sich, dass die Klägerin genau in dem Moment der Vorbeifahrt des Lkw am Pferd verletzt wurde und dadurch zu Fall kam.
413
Das Gericht verkennt nicht, dass das Pferd grundsätzlich beim Annähern von landwirtschaftlichen Maschinen und dem Laufenlassen eines Motors eines großen Schleppers keine besondere Schreckhaftigkeit zeigte und auch das direkte Zufahren mit den Geräten auf das Pferd oder das nahe Vorbeiführen an größeren Schleppern mit laufendem Motor ohne jegliches Problem möglich war, wie der Pferdesachverständige ausführte. Dies entspricht im Übrigen auch den Schilderungen der Beklagten zu 3), wonach es mit … in Bezug auf Lärm, Staub oder Geräusche keine Probleme gab und er mit … problemlos an der Bundesstraße entlangreiten und diese dort führen konnte.
414
Ferner berücksichtigt das Gericht insofern auch, dass Klägerin in ihrer informatorischen Anhörung angab, dass Herr … ihr mitgeteilt habe, dass es keine Auffälligkeiten mit dem Pferd gebe, sie selbst auch keine Auffälligkeiten feststellen konnte und dass bei einem vorherigen Ausritt im Gelände eine Begegnung mit einem Auto oder Lkw problemlos verlaufen sei. Zudem berücksichtigt das Gericht, dass die Klägerin das Verhalten des Pferdes vor dem Unfall als unauffällig beurteilte.
415
Allerdings handelte es sich vorliegend dennoch um eine besondere Situation, in welcher weitere Umstände hinzukamen, welche über ein Vorbeifahren bzw. Zufahren hinaus gingen. Das Gericht geht in Anlehung an die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … davon aus, dass sich der Lkw in einer kleinen Staubwolke, also einer Staubentwicklung bis etwa zur Oberkante der Räder, näherte und sich genau in dem Moment, als der Lkw beschleunigte und sich damit die Geräuschkulisse änderte und mehr Rauch ausgestoßen wurde, auf Höhe der Klägerin befand. Zudem war auch der … an sich nicht gewohnt für das Pferd; die Beklagte zu 3) äußerte, dass sie dort eher weniger mit … unterwegs gewesen sei. Diese Gesamtsituation stellte sich für das Pferd nach der Überzeugung der Kammer als ein Reiz dar, welcher dem Pferd einen Schreck bzw. Angst einflößte und es zu der Fluchtreaktion veranlasste. Auch der Pferdesachverständige ging im Übrigen davon aus, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Lkw die Reaktion des Pferdes ausgelöst habe; die dargestellten Umstände qualifizierte er als potentielle Reize. Zudem gab auch der Beklagte zu 1) in seiner informatorischen Anhörung an, dass er das Gefühl gehabt habe, dass der Lebensgefährte der Klägerin ihn als Verursacher ansehen könnte.
416
Das Gericht geht nicht davon aus, dass ausschließlich der Umgang bzw. das Führen des Pferdes durch die Klägerin zum Unfall geführt und das Vorbeifahren des Lkw hierbei keine Rolle gespielt hätte. Zwar erläuterte der Sachverständige Dr. … dass das Führen des Pferdes durch die Klägerin nicht einem Führen entsprach, wie es bei einem unvertrauten Verhältnis zwischen Reiter und Pferd gezeigt werden sollte. Er teilte aber auch mit, dass nicht davon auszugehen sei, dass ein Verhalten der Klägerin die Fluchtreaktion ausgelöst hätte. Ein Richtungswechsel könne das Pferd nicht zu einer solchen Fluchtreaktion veranlassen. Es müsse immer ein Reiz vorhanden sein, der dem Pferd Angst einflöße. Auch hätten aus seiner Sicht die Zeugen keine Anhaltspunkte geschildert, die auf einen Anreiz bzw. Auslöser für die Flucht durch die Pferdeführerin schließen lassen könnten. Bei seiner Beurteilung berücksichtigte er auch die Ausführungen des Herrn …. Er gehe, so der Pferdesachverständige, mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der Lkw die Reaktion des Pferdes ausgelöst habe.
417
In einer Gesamtbetrachtung der Unfallumstände hat das Gericht keinen Zweifel an der Ursächlichkeit der Vorbeifahrt des Lkw am Pferd für den Unfall. Das Pferd verhielt sich, wie alle Beteiligten übereinstimmend angaben, vor der Vorbeifahrt ruhig. Zum Zeitpunkt der Verletzung hatte sich nur der Umstand der Vorbeifahrt des Lkw geändert.
418
§ 286 ZPO verlangt den sogenannten Vollbeweis. Das Gericht darf eine beweisbedürftige Tatsachen nicht schon dann als erwiesen ansehen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Für den Beweis ist dagegen die volle richterliche Überzeugung erforderlich. Diese kann nicht mit mathematischen Methoden ermittelt werden und darf deshalb nicht allein auf mathematische Wahrscheinlichkeitsberechnungen gestützt werden. Es bedarf auch keiner absoluten Gewissheit oder „an Sicherheit grenzender“ Wahrscheinlichkeit. Erforderlich und ausreichend ist vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BeckOK-ZPO/Vorwerk-Wolf, § 286 Rn. 2 unter Rekurs auf BGH, NJW 2015, 2111 ff u.a.).
419
Unter Zugrundelegung dieses Beweismaßes ist das Gericht von der Ursächlichkeit der Vorbeifahrt des Lkw für das Steigen des Pferdes und damit für den Unfall überzeugt. Es handelte sich um einen schweren, großen Lkw, welcher auf einem Schotterweg mit Schlaglöchern, einem für das Pferd ungewohnten Weg, fuhr und dabei Staub aufwirbelte. Wenngleich nach allgemeiner Lebenserfahrung die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … zum Aufwirbeln eines Steines gegen das Pferd auf gewisse Zweifel stoßen, geht die Kammer unter Zugrundelegung der Darlegungen des Sachverständigen dennoch nicht davon aus, dass ein Stein gegen das Pferd geschleudert worden wäre. Genau in dem Zeitpunkt der Vorbeifahrt am Pferd änderte sich die Geräusch- und Rauchentwicklung des Lkw durch das Gasgeben wegen der Steigung. Zeitgleich stieg das Pferd leicht und lief davon. Nach der vollen richterlichen Überzeugung der Kammer war die Vorbeifahrt des Lkw der Auslöser für diese Reaktion des Pferdes.
Haftung der Beklagten zu 1), 2) und 5):
420
Die Beklagten zu 1), 2) und 5) haften nach § 115 Abs. 1 VVG i.V.m. § 7 Abs. 1 StVG bzw. § 18 StVG (vgl. auch den Hinweisbeschluss der Kammer vom 15.10.2020, Bl. 1113 ff. d.A.). Der Unfall passierte bei Betrieb des Fahrzeuges. Höhere Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG ist nicht gegeben. § 17 StVG ist vorliegend nicht anwendbar.
421
Der Beklagte zu 1) hätte nach der Überzeugung der Kammer aufgrund der gegebenen Gesamtumstände anhalten und mit der Weiterfahrt abwarten müssen, bis die Klägerin den Weg in Richtung Hofstelle mit dem geführten Pferd komplett verlassen hat, so dass ein Verschulden des Beklagten zu 1) vorliegt.
422
Ein Mitverschulden ist der Klägerin nicht anzulasten.
423
1. Gemäß § 7 Abs. 1 StVG ist der Halter dann, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
424
Beim … handelt es sich, was unstreitig ist, um eine gemeindliche öffentliche Ortsverbindungsstraße.
425
§ 7 Abs. 1 StVG erfasst aber ohnehin auch Schadensabläufe auf nicht öffentlichen Wegen oder Privatgelände (Laws-Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, JurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage, § 7 Randnummer 7 (Stand: 25.03.2020).
426
2. Die Verletzung der Klägerin und der daraus resultierende Schaden ist nach der Überzeugung der Kammer „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeuges verursacht worden. Dabei berücksichtigt die Kammer, dass es sich vorliegend um einen berührungslosen Unfall handelte. Die Kammer ist davon überzeugt, dass über die Anwesenheit am Unfallort hinaus die Fahrweise bzw. der Betrieb des Lkw zum Entstehen des streitgegenständlichen Unfalls beigetragen haben. Hierzu wird zunächst auf die obigen Ausführungen zur Ursächlichkeit der Vorbeifahrt des Lkw Bezug genommen. Vorliegend kann das Schadensereignis dem Betrieb des Kraftfahrzeugs nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden.
427
a) Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ ist nach der Rechtsprechung des BGH entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine vom Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und dass das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht. Verlangt wird ein rechtlich relevanter Zusammenhang des Schadens mit der Funktion des Kraftfahrzeuges als Beförderungsmittel, setzt also voraus, dass sich die vom Kraftfahrzeug als solche ausgehende Gefahr auf den Schadensablauf ausgewirkt hat. Bei einem berührungslosen Verkehrsunfall ist die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen KfZ an der Unfallstelle für eine Haftung nicht ausreichend; vielmehr muss als Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebes des KfZ zu einem schädigenden Ereignis über die bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus das Fahrverhalten des Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst haben; es muss mithin das Kfz durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (BGH, Urteil vom 22.11.2016, VI ZR 533/15, SVR 2017, 181). Andererseits hängt die Haftung gemäß § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges verkehrswidrig verhalten hat und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn sich die von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An einem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (zum Ganzen: Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, juris-PK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage, Stand: 25.03.2020, § 7 Rn. 23 ff. mit weiteren Nachweisen).
428
Die weite Auslegung beruht auf dem Gedanken, dass die von Kfz im Straßenverkehr ausgehenden Gefahren immer größer werden, diese aber im Interesse des technischen Fortschritts und des Funktionierens des modernen Massenverkehrs nicht verboten werden können und deshalb vom Einzelnen hinzunehmen sind (BGH, r+s 1992, 11 m.w.N.).
429
Kann dagegen nicht festgestellt werden, dass das Fahrverhalten des in Anspruch genommenen in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Anspruchstellers beeinflusst hat, scheidet eine Inanspruchnahme nach § 7 Abs. 1 StVG auf der Beweisebene aus (zum Ganzen: Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage, Stand: 25.03.2020, § 7 Rn. 34 ff mit weiteren Nachweisen).
430
Den Ursachenzusammenhang, dass eine typische, mit dem Betrieb des Fahrzeugs verbundene Gefahr zu dem Unfall ursächlich beigetragen hat, muss der Geschädigte darlegen und beweisen.
431
Dieser Beweis ist naturgemäß oft schwierig, wenn eine Berührung nicht stattgefunden hat; auch in derartigem Fällen gehen jedoch etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit für den Unfall zu Lasten des Geschädigten. Jedes im Betrieb befindliche und an der Unfallstelle anwesende Fahrzeug nimmt parallel zu dem Unfallgeschehen ein – wie auch immer geartetes – Fahrmanöver vor. Dieses Fahrmanöver kann sich auf das spätere Unfallgeschehen auswirken, kann aber auch parallel dazu einen Verlauf nehmen, der sich in keiner Weise auch nur mitursächlich auswirkt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Ursächlichkeit und des Zurechnungszusammenhangs ist der Moment des Eintritts der konkreten kritischen Verkehrslage, die unmittelbar zum Schaden führt. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann. Zu welchen Zeitpunkt eine solche unmittelbar zum Schaden führende konkrete kritische Verkehrslage entsteht, unterliegt einer Einzelfallentscheidung (zum Ganzen: Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage, Stand: 25.03.2020, § 7 Rn. 40 ff. mit weiteren Nachweisen).
432
Der Haltereines Kraftfahrzeuges haftet nicht für Schäden, die durch Panikreaktionen bei Tieren in Folge von Unfallgeräuschen ausgelöst werden, wenn sich in dem Schadensfall in erster Linie ein von dem Geschädigten selbstgesetztes Risiko verwirklicht (Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage, Stand: 25.03.2020, § 7 Rn. 89 unter Rekurs auf BGH, Urteil vom 02.07.1991, VI ZR 6/91).
433
Gerät ein geführtes Pferd bei der Vorbeifahrt eines Kraftfahrzeuges bzw. beim Öffnen oder Zuschlagen der Fahrzeugtür in Panik und verletzt es beim Aufsteigen den Pferdeführer, ist dies dem Betrieb des Kraftfahrzeuges zuzurechnen, denn eine von einem Kraftfahrzeug verursachte Gefahrenlage besteht nicht nur in dem Moment, in dem dieses an dem Tier vorbeifährt; vielmehr kann die Gefahrenlage noch so lange fortbestehen, wie sich das Fahrzeug im Wahrnehmungsbereich des Tieres befindet, ohne dass deswegen der Zurechnungszusammenhang unterbrochen wäre (Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage, Stand: 25.03.2020, § 7 Rn. 90 unter Rekurs auf OLG Celle, Urteil vom 20.01.2016, 14 U 128/13).
434
b) Die Klägerin konnte vorliegend den genannten Ursachenzusammenhang des Unfalls mit der Zu- bzw. Vorbeifahrt des Lkw ausreichend beweisen. Es verbleiben für die Kammer insofern keine Zweifel an der Ursächlichkeit für den Unfall. Das Fahrmanöver des Beklagten zu 1) hat sich nach der Überzeugung der Kammer auf das spätere Unfallgeschehen zum Zeitpunkt des Eintritts der konkreten kritischen Verkehrslage, die unmittelbar zum Schaden geführt hat, nämlich der Zu- bzw. Vorbeifahrt an Pferd und Klägerin, ausgewirkt.
435
Vorliegend kann das Schadensereignis dem Betrieb des Kraftfahrzeugs nach dem Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch zugerechnet werden. Die Schädigung ist hier spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren, für welche die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will. Es hat sich kein gegenüber der Betriebsgefahr eigenständiger Gefahrenkreis verwirklicht (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 02.07.1991, VI ZR 6/91, NJW 1991, 2568, m.w.N.).
436
Die Reaktion des Pferdes, welche zur Verletzung der Klägerin geführt hat, wurde nach der Überzeugung des Gerichts durch den vorbeifahrenden Lkw ausgelöst. Sie hing damit ursächlich mit dem Betrieb des vom Erstbeklagten gefahrenen Lkw zusammen. Die Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs haben sich in der gegebenen Geräusch- und Rauchentwicklung verwirklicht. Es hat sich dagegen nicht ein von der Klägerin selbst geschaffenes Risiko verwirklicht. Die Klägerin hat das Pferd, als sie den Lkw wahrgenommen hat, zum Hof zurückführen wollen und hat, als sie erkannte, dass sie dies vor der Vorbeifahrt des Lkw nicht mehr schaffen würde, das Pferd in Richtung des Lkw gedreht. Die Klägerin hat hiermit keine gegenüber der Kfz-Betriebsgefahr eigenständige Gefahr geschaffen, deren Risiken sie selbst tragen müsste. Es liegt kein Fall vor, in welchem sich ein selbst von der Klägerin geschaffenes eigenständiges Risiko verwirklicht hätte.
437
Im Gegensatz zum Zuchtschweine-Fall des BGH (Urteil vom 02.07.1991, VI ZR 6/91, NJW 1991, 2568) oder Silberfüchse-Fall des RG (RGZ 158, 34) bestand vorliegend auch keine besondere, ungewöhnliche Empfindlichkeit des Pferdes, welche durch ungewöhnliche Haltungsbedingungen verursacht wäre. Eine besondere Schadensanfälligkeit war bei …, wie sich aus den Ausführungen des Pferdesachverständigen ergibt, nicht gegeben.
438
Vorliegend unterliegt es keinem vernünftigen Zweifel, dass sich der Schutzzweck der Gefährdungshaftung auch auf die hier gegebene Gefahr erstreckt. Dass … besonders emmissionsempfindlich gewesen wäre und deswegen gescheut hätte, hat sich nicht ergeben und wird auch von den Beklagten nicht behauptet.
439
Vorliegend ereignete sich die Tierreaktion in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang des Lkw. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … ist, nachdem die Klägerin selbst angegeben hat, den Kopf des Pferdes vor dem Unfall in Richtung des Lkw gedreht zu haben, von einem Abstand des Kopfes des Pferdes zum Lkw von rund 5 Metern auszugehen. Weiterhin stellt ein unberechenbares und schwer bis gar nicht zu beherrschendes Verhalten eines selbst Straßenverkehr gewohnten Pferdes eine vergleichsweise typische Reaktion desselben auf ein plötzlich herannahendes Pferd dar, auf das es – da es sich beim Pferd um ein Fluchttier handelt – mit einem plötzlichen Zurseitespringen oder fluchtartigem Vorwärtsstürmen reagieren kann (OLG Celle, Urteil vom 20.01.2016, 14 U 128/13, r+s 2016, 363).
440
Auch nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. … ergeben sich Anhaltspunkte für eine Beeinflussung der Pferdereaktion durch die Fahrweise des Beklagten zu 1) aus der Beschleunigung des Lkw von ca. 9 km/h auf 15 km/h bei vorhandener Steigung am Unfallort und den damit verbundenen Immissionen sowie erhöhter Geräuschentwicklung und vermehrten Rauchausstoß des Fahrzeugs. Auf die obigen Ausführungen hierzu wird entsprechend Bezug genommen.
441
Nach den informatorischen Angaben des Beklagten zu 1) nahm er die Klägerin und das Pferd, soweit sein Blickfeld reichte, beim Passieren wahr. Im Seitenspiegel sah er dann die Klägerin in Rückenlage liegen. Die Zeitphase des toten Winkels schätzte er auf ein paar Sekunden. Der Geschäftsführer der Beklagten zu 5) berichtete in der informatorischen Anhörung ebenfalls, dass ihm der Lkw-Fahrer berichtet habe, dass er im Rückspiegel beobachtet habe, dass etwas Schlimmes passiert sei.
442
Hieraus ergibt sich, dass vom zeitlichen Ablauf her der Unfall im Zeitpunkt der Vorbeifahrt passierte.
443
In einer Gesamtbetrachtung aller Umstände hat die Kammer daher keinen Zweifel, dass der Unfall durch den Betrieb des Lkw verursacht wurde. Das Zu- bzw. Vorbeifahren des Lkw stand in einem so dichten zeitlichen und räumlichen Verhältnis zu Pferd und Klägerin, dass die Kammer die zweifelsfreie Überzeugung gewonnen hat, dass der Betrieb des Lkw zurechenbar das leichte Steigen des Pferdes und den damit einhergehenden Huftritt verursacht hat.
444
3. Gemäß § 7 Abs. 2 StVG ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird. Dies ist nicht der Fall und steht auch nicht im Streit.
445
4. § 17 StVG ist nicht anwendbar.
446
a) Eine Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge nach § 17 Abs. 1 StVG ist nicht gegeben.
447
b) Auch ist § 17 Abs. 3 StVG nicht über § 17 Abs. 4 StVG anwendbar (Schadensverursachung durch ein Kraftfahrzeug und ein Tier), da dies nur der Fall ist, wenn die Klägerin für die Tiergefahr einstehen müsste (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Heß, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl., 2020, § 17 StVG Rn. 26), dies aber nicht gegeben ist.
448
aa) Die Klägerin ist keine Tierhalterin i.S.d. § 833 BGB.
449
Tierhalter ist derjenige, der nach der Verkehrsanschauung darüber entscheidet, ob Dritte der von einem Tier ausgehenden, nur unzulänglich beherrschbaren Gefahr ausgesetzt werden (Palandt/Sprau, 79. Aufl., 2020, § 833 Rn. 10). Die Klägerin übte aber weder die Bestimmungsmacht über das Tier aus, kam nicht für die Kosten des Tieres auf und trug nicht dessen Verlustrisiko.
450
bb) Auch war die Klägerin keine Tieraufseherin nach § 834 BGB.
451
Sie hat nicht, wie im Rahmen der Haftung nach § 834 BGB erforderlich, die allgemeine Gewalt und Aufsicht über das Tier übernommen (zum Ganzen: Palandt/Sprau, 79. Aufl., 2020, § 834 Rn. 2). Die Klägerin konnte zum Zeitpunkt des Unfalls nicht, wie vorausgesetzt, selbständig über Maßnahmen zur Steuerung der Tiergefahr entscheiden. Es handelte sich erst um die Kennenlernphase; der Klägerin war nur ein Führen erlaubt. Sie war von den Entscheidungen der Beklagten zu 3) und 4) abhängig. Sie hatte keinerlei Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Einer Haftung nach § 834 BGB steht insbesondere auch der eigene Vortrag der Beklagten zu 3) und 4) entgegen, dass bei den Besuchen der Klägerin stets einer der beiden Halter anwesend sein sollte. Dies zeigt, dass die Beklagten zu 3) und 4) keinerlei Gewalt und Aufsicht üben … auf die Klägerin delegiert hatten und auch nicht delegieren wollten.
452
Die Klägerin hatte die Aufsichtsführung zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht durch den Reitbeteiligungsvertrag übernommen, da dieser zum Unfallzeitpunkt nach der Überzeugung der Kammer noch keine Geltung haben sollte. Dies gilt auch in Berücksichtigung der Umstände, dass die Beklagten zu 3) und 4) im Termin vom 15.02.2018 angaben, dass der Vertrag bereits die Zeit des Führens abdecken und damit sofort gelten solle und dementsprechend auch das Datum des Vertragsbeginns eingesetzt wurde. Demgegenüber teilte die Klägerin in der informatorischen Befragung vom 15.02.2018 mit, dass ihr gesagt worden sei, dass sie … im Juli nur führen und kennenlernen solle und der Vertrag dann erst ab August Gültigkeit habe. Der Zeuge …, der bei der Vertragsunterzeichnung dabei war, teilte in seiner Zeugenvernehmung vom 15.02.2018 mit, dass der Reitbeteiligungsvertrag ab dem 01.08. gelten und es vorher eine Kennenlernphase geben sollte. Auch der Zeuge … bestätigte dies in seiner Zeugenvernehmung vom 16.02.2018; dies sei ihm von den … so mitgeteilt worden. Er gab zudem an, dass es nur für August eine Zahlung an die Eheleute … gab, nicht dagegen eine Zahlung für Juli. Dies ist unstreitig geblieben. Auch die Zeugin … berichtete, dass die Klägerin ihr am Unfalltag erzählt habe, dass sie das Pferd zunächst nur führe und erst später reiten werde. Nachdem auch die Beklagten zu 3) und 4) von einer anfangs vereinbarten Kennenlernphase, sprich einem lediglich gestattetem Führen des Pferdes, sprachen, keine Zahlung der Klägerin für Juli erfolgte und der Reitbeteiligungsvertrag seinem Duktus nach ein Reiten inkludiert, welches zum Unfallzeitpunkt noch nicht gestattet war, geht die Kammer nicht von einer Geltung des Vertrages zum Zeitpunkt des Unfalls aus. Hierfür spricht im Übrigen auch die Mail der Beklagten zu 4) an den Bruder der Klägerin vom 13.08.2014 (Anlage K 14), wonach es eine mündliche Abrede neben dem Vertrag gegeben habe, dass die Klägerin … erst ab August reiten solle.
453
5. Das für die Haftung des Beklagten zu 1) gem. § 18 StVG erforderliche Verschulden liegt vor, § 18 Abs. 1 S. 2 StVG. Die Klägerin konnte zur vollen Überzeugung der Kammer den Nachweis des Verschuldens des Beklagten zu 1) führen.
454
a) Der Beklagte zu 1) hat gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, indem er am Pferd vorbeigefahren ist und nicht in ausreichendem Abstand zum Pferd gewartet und damit der Klägerin den Rückweg zum Hof bzw. das Ausweichen in den angrenzenden Weg zum Hof ermöglicht hat bzw. sich jedenfalls nicht entsprechend vor der Vorbeifahrt mit der Klägerin verständigt hat.
455
aa) Ein an der Hand geführtes Pferd, das sich am Wegesrand eines Feldweges befindet, der mit einem Lkw befahren werden soll, kann sich erschrecken und scheuen. Für den Beklagten zu 1) war erkennbar, dass die Klägerin, als sie ihn gesehen hat, den Rückweg zum Hof mit dem Pferd angetreten hat. Damit musste der Beklagte zu 1) erkennen, dass die Klägerin eine Vorbeifahrt des Lkw am Pferd vermeiden möchte, sonst hätte diese nämlich nicht mit dem Pferd umgedreht, sondern hätte einfach an Ort und Stelle mit dem Pferd stehen bleiben können. Der Beklagte zu 1) hätte sich in Anbetracht der Gesamtumstände deswegen dem Tier und dem es festhaltenden Menschen vorsichtig nähern und dann in ausreichendem Abstand zu Pferd und Klägerin anhalten müssen, um der Klägerin den Rückweg mit dem Pferd zum Hof zu ermöglichen bzw. sich mit ihr zumindest aus ausreichender Entfernung zu verständigen müssen, ob er den Weg weiter befahren kann oder warten möge. Bei einem Pferd handelt es sich, wie bereits ausgeführt, bekanntermaßen um ein Fluchttier, so dass immer mit einem unverhofften Zurseitespringen, plötzlichen Rückwärtsgehen oder fluchtartigem Vorwärtsstürmen des Pferdes zu rechnen ist, das ein unberechenbares und schwer bis gar nicht zu beherrschendes Verhalten des Tieres darstellen kann (OLG Celle, Urteil vom 19.12.2002, 14 U 94/02, abrufbar in juris; LG Verden, Urteil vom 07.09.2017, 5 O 282/14, BeckRS 2017, 145678).
456
Indem der Beklagte zu 1) ohne anzuhalten und zu warten bzw. sich zu verständigen an Pferd und Klägerin im Abstand von 5 Metern zum Kopf des Pferdes vorbeigefahren ist, hat er damit die nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt nicht ausreichend beachtet. Der Beklagte zu 1) hat damit gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, der – auch wenn es sich nicht um einen öffentlich zugänglichen Weg handelt – zumindest entsprechend der Wertung nach zur Anwendung kommt.
457
Dem Beklagten zu 1) musste angesichts der für ihn erkennbaren Klägerin und deren Verhalten (Wenden und Zurücklaufen mit dem Pferd) sowie der Örtlichkeit klar sein, dass er mit einem Vorbeifahren an Pferd und Klägerin das Pferd der Gefahr des Scheuens aussetzen würde, auch wenn er sehr langsam und mit dem vom Sachverständigen Prof. Dr. … angegeben Abstand am Pferd vorbeifahren würde. Es war für ihn ersichtlich, dass die Klägerin keine Ausweichmöglichkeit hatte und einem Vorbeifahren eigentlich aus dem Weg gehen wollte. In Anbetracht der Dimension des Lkw, der Wegbeschaffenheit und des Verhaltens der Klägerin hätte der Beklagte zu 1) seinen Lkw in ausreichendem Abstand zum Pferd anhalten müssen. Er hätte der Klägerin die Gelegenheit zum gefahrlosen Rückzug geben müssen.
458
Daran ändert nichts, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Vorbeifahrt bereits angehalten hatte. Sie hatte sich erkennbar dazu entschlossen, weil der Rückweg ihr zeitlich nicht mehr möglich war.
459
Auch dass sich das Pferd zu diesem Zeitpunkt zunächst ruhig verhalten hatte, berechtigte den Beklagten zu 1) nicht zur Weiterfahrt, nachdem auf Grund der Dimensionen und der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Geräusche das Risiko des Erschreckens des Tieres während der gesamten Vorbeifahrt in voller Länge des Lkw bestand (ähnlich auch LG Verden, Urteil vom 07.09.2017, 5 O 282/14, BeckRS 2017, 145678).
460
bb) Dieser Verstoß hat sich auch ursächlich auf die Entstehung des Unfallgeschehens ausgewirkt. Wäre der Beklagte zu 1) in ausreichendem Abstand zur Klägerin mit seinem Lkw stehen geblieben, hätte die Klägerin das Pferd über den Zufahrtsweg zum Hof zurückbringen können und eine unfallauslösende Vorbeifahrt am Pferd wäre damit vermieden worden.
461
Auch der Sachverständige Dr. … bestätigte, dass es bei einem rechtzeitigen Stehenbleiben des Lkw vor dem Pferd wahrscheinlich zu keiner Fluchtreaktion komme.
462
Daran ändert nichts, dass der Sachverständige Dr. … angegeben hat, dass auch ein stehender Lkw, den das Pferd wahrnimmt, ein potentieller Reiz sein könne. Er gab aber auch an, dass es wahrscheinlicher ist, dass es bei einem sich annähernden Lkw zu einer Fluchtreaktion des Pferdes kommt als bei einem stehenden Lkw. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass, wie ausgeführt, die Vorbeifahrt unter Änderung der Geräusch- und Rauchentwicklung das Scheuen des Pferdes auslöste und dieses bei einem Stehenbleiben gerade nicht stattgefunden hätte.
463
cc) Das Anhalten vor dem Pferd wäre dem Beklagten zu 1) auch unproblematisch möglich gewesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … wäre ihm dies innerhalb einer Strecke von maximal 3,5-4 Metern möglich gewesen; er hätte ohne Weiteres vor der Einmündung der Zufahrt zum Hof … anhalten können.
464
b) Die Kammer geht dagegen nicht von einem unfallursächlichen Geschwindigkeitsverstoß bzw. unfallursächlichem verbotswidrigen Befahren des Weges durch den Beklagten zu 1) aus. Auch nimmt die Kammer keinen unfallursächlichen Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 StVO wegen nicht ausreichenden Seitenabstandes beim Vorbeifahren an.
465
Gleiches gilt für den klägerseits vorgetragenen Verstoß gegen § 23 Abs. 1 a StVO; das Telefonat mit dem Handy fand erst nach dem Unfall statt.
Haftung der Beklagten zu 3) und 4):
466
Die Haftung der Beklagten zu 3) und 4) ergibt sich aus § 833 BGB. Zunächst wird auf den Hinweisbeschluss vom 14.07.2016, Bl. 132 ff. der Akte, hierzu Bezug genommen.
467
1. Gemäß § 833 S. 1 BGB ist derjenige, der das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, wenn durch das Tier der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt werden. Es handelt sich hierbei um einen Fall der Gefährdungshaftung. Die Voraussetzungen sind gegeben. Beide Beklagte sind Tierhalter. Dies ist unstreitig. Die Beklagte zu 3) hat in ihrer informatorischen Anhörung vom 15.02.2018 auch angegeben, dass ihr Mann und sie sich die Pflege und Unterhaltung beider Pferde, also auch von …, auch finanziell, geteilt hätten.
468
2. Dieser Haftung steht vorliegend nicht die Haftungsfreizeichnung in § 6 des Reitbeteiligungsvertrages, Anlage K 1, entgegen.
469
Nach der entsprechenden Klausel verzichtet die Reitbeteiligung auf alle Haftungsansprüche gegen den Eigentümer, vor allem bei Schäden aufgrund arteigenem, tierischem und willkürlichem Verhalten des Pferdes. Die beiderseitige Haftung aufgrund grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz soll unberührt bleiben.
470
a) Bei diesem Reitbeteiligungsvertrag handelt es sich um einen Formularvertrag der Pferdefachzeitschrift …, der im Internet abrufbar ist.
471
Beim Formular, Anlage K 1, bzw. den Vertragsbedingungen in § 6 des Reitbeteiligungsvertrages, handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). Solche liegen auch dann vor, wenn sie, wie das vorliegende Vertragsformular, von einem Dritten für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind, auch wenn die Vertragspartei, die die Klausel stellt, sie nur in einem einzigen Vertrag verwenden will (BeckOK-BGB/Becker, 39. Edition, Stand 01.05.2016, § 305 Rn. 22-24 m.w.N.).
472
b) Die Zulässigkeit dieser Klausel bestimmt sich damit nach den §§ 307 ff. BGB. Gemäß § 309 Nr. 7a ist in AGB unwirksam ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen; nach Nr. 7b ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für sonstige Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen. Geschützt wird durch Nr. 7a auch der Schmerzensgeldanspruch (Palandt/Grüneberg, 79. Auflage, 2020, § 309 Rn. 43).
473
c) Hiervon ausgehend ist der vorliegende Haftungsausschluss unzulässig. Hieran ändert auch nichts, dass es sich bei § 833 BGB, wie beklagtenseits zu 3) und 4) vorgetragen, um eine Gefährdungshaftung handelt. Selbst wenn eine solche nicht unter § 309 Nr. 7a BGB fallen sollte, würde insofern zumindest das Klauselverbot nach § 307 BGB eingreifen, wonach ein Haftungsausschluss nicht möglich ist, wenn der Verwender gesetzlich oder standesrechtlich eine Haftpflichtversicherung abschließen muss oder eine solche üblich ist (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage, 2020, § 309 Rn. 50). Wegen der Gefährdungshaftung nach § 833 BGB ist eine solche Tierhalterhaftpflichtversicherung, noch dazu bei einem durch Größe, Schwere und Schlagkraft durchaus gefahrträchtigem Tier wie einem Pferd, absolut üblich und angezeigt.
474
d) Auch geht das Gericht vorliegend nicht von einem konkludenten Haftungsausschluss aus.
475
In der insofern beklagtenseits aufgeführten Entscheidung des OLG Nürnberg, Urteil vom 27.06.2011, 8 U 510/11, wird unter anderem maßgeblich darauf abgestellt, dass für einen konkludenten Haftungsausschluss besondere Umstände hinzutreten müssen. Im dort entschiedenen Streitfall bestanden – anders als hier – eine nähere persönliche Bekanntschaft und ein privater Umgang zwischen den Parteien. Es handelte sich nicht um eine geschäftlich geprägte Beziehung, mit welcher das Verhältnis der Parteien im hier zu entscheidenden Fall vergleichbar ist.
476
e) Der BGH hat im Urteil vom 09.06.1992, VI ZR 49/91, ebenfalls entschieden, dass eine Haftungsbeschränkung nur bei Hinzutreten besonderer Umstände in Frage kommt. Solche Umstände sind vorliegend nicht gegeben. Bezüglich des Haftungsausschlusses in § 6 des Reitbeteiligungsvertrages handelt es sich gerade nicht um einen ausgehandelten Punkt. Deswegen kann auch aus dem Vorhandensein dieser Klausel im Formularvertrag nicht darauf geschlossen werden, dass die Parteien tatsächlich an einen Haftungsverzicht bei Abschluss der Vereinbarung gedacht bzw. dies besprochen hätten. Auch die informatorischen Anhörungen geben hierfür keinen Anhalt. Insofern muss auch berücksichtigt werden, dass nach dem Rechtsgedanken des § 306 BGB eine Ersetzungsklausel, deren wirtschaftlicher Erfolg dem der unwirksamen so weit wie möglich entspricht, nach § 306 Abs. 2 BGB nichtig ist. Dies muss entsprechend dahingehend gelten, dass man hier nicht im Wege der Annahme einer konkludenten Haftungsfreistellung den wirtschaftlichen Erfolg der unwirksamen Klausel in den AGB herbeiführen kann.
477
f) Schließlich, ohne dass es hierauf noch maßgeblich ankommen würde, geht das Gericht auch davon aus, dass der genannte Vertrag bzw. die hier relevante Klausel im Zeitpunkt des Unfalls noch keine Geltung haben sollte. Auf die obigen Ausführungen hierzu wird entsprechend Bezug genommen.
478
Wie ausgeführt, haftet die Klägerin selbst weder nach § 833 BGB noch nach § 834 BGB.
Gesamtschuldnerische Haftung:
479
Die Beklagten zu 1) bis 5) haften der Klägerin als Gesamtschuldner nach §§ 421, 840 Abs. 1 BGB. Wie sich die Haftungsverteilung im Innenverhältnis darstellt, ist für die hier zu treffende Entscheidung nicht von Belang.
Kein Mitverschulden der Klägerin:
480
Der Klägerin ist kein Mitverschulden anzulasten, welches grundsätzlich im Rahmen des § 9 StVG, § 254 BGB berücksichtigt werden könnte. Dies setzt voraus, dass bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat. Dies wäre anzunehmen, wenn sie die Sorgfalt außer Acht gelassen hätte, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich vor Schäden zu bewahren. Hierbei folgt die Haftungsabwägung den zu § 17 Abs. 1 StVG entwickelten Rechtsgrundsätzen. Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge sind nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (zum Ganzen: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 9 StVG Rn. 7 ff).
481
Insofern trifft die Beweislast die Beklagten. Den Nachweis haben die Beklagten nicht geführt. Ein Verschulden der Klägerin ist unter keinem Gesichtspunkt gegeben.
482
1. Der Umgang der Klägerin mit dem Pferd am Unfalltag begründet kein Mitverschulden.
483
a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war der Klägerin zunächst ein anderweitiges Ausweichen mit dem Pferd nicht möglich. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … …, welcher mitteilte, dass der Zaun zusammen mit dem Gefälle auf der linken Seite erkläre, warum die Klägerin bei Annäherung des Lkw wieder in Richtung des Gehöfts umdrehen musste, hätte die Klägerin weder nach links noch nach rechts ausweichen können. Ihr blieb damit einzig der gewählte Rückweg, um eine Konfrontation bzw. ein Vorbeifahren des Lkw zu vermeiden.
484
b) Auch das Drehen des Pferdes bzw. Kopfes in Richtung des Lkw begründet kein Mitverschulden. Wie der Sachverständige Dr. … erläuterte, konnte der Richtungswechsel das Pferd sicher nicht zu einer solchen Fluchtreaktion veranlassen. Damit hat sich das Drehen jedenfalls nicht unfallursächlich ausgewirkt.
485
c) Auch hinsichtlich des Führens des Pferdes ist der Klägerin kein Mitverschulden anzulasten. Zwar hat sie, wie der Sachverständige Dr. … ausführte, das Pferd wohl nicht so geführt, wie es einem unvertrauten Verhältnis zwischen Reiter und Pferd gezeigt werden sollte. Insofern ist aber nicht nachgewiesen, dass dieses Führen ursächlich zum Unfallgeschehen beigetragen hat, nachdem die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls mit dem Pferd stand und das Pferd zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr in dieser Art und Weise führte.
486
d) Auch aus der Positionierung der Klägerin am Weg haben sich unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. … keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Klägerin ergeben.
487
e) Insgesamt teilte der Sachverständige … mit, dass sich aus seiner Sicht keine Anhaltspunkte für einen Anreiz bzw. Auslöser für die Flucht durch die Pferdeführerin schließen lassen. Dazu korrespondierend geht auch die Kammer nicht von einem unfallursächlichen Umgang der Klägerin mit dem Pferd aus.
488
f) Die Klägerin hatte überdies auch keine Kenntnis von Problemen des Pferdes beim Zusammentreffen mit Lkw oder Traktoren. Es ist unstreitig, dass es diese vor dem Unfall nicht gab und ihr das Pferd dementsprechend auch nicht als insoweit problematisch beschrieben wurde.
489
2. Es haben sich auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Klägerin die Zügel um die Hand gewickelt hätte.
490
Dabei nimmt die Kammer insbesondere Bezug auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … Die Klägerin hatte keine korrespondierenden Verletzungen an der Hand bzw. sind solche Verletzungen jedenfalls nicht festgehalten bzw. dokumentiert, wenngleich dies, was die Kammer nicht verkennt, in Anbetracht der schweren Gesichtsverletzungen nicht extrem aussagekräftig ist. Die Klägerin hätte dann aber auch, wie Prof. Dr. … erläuterte, in einer anderen Position, nämlich am Pferd hängend, aufgefunden werden müssen, wofür es keine Hinweise gibt. Weiterhin wäre, so Prof. Dr. …, auch das Verletzungsmuster mit einer derartigen Positionierung schwerlich vereinbar gewesen. Einzig in einer speziellen Konstellation wäre das Verletzungsmuster hiernach erklärbar, von welcher sich die Kammer aber nicht überzeugen konnte, da es hierfür keinerlei Anhaltspunkte gab, auch nicht im Rahmen der Zeugenvernehmungen und informatorischen Befragungen. Insbesondere sah auch der Beklagte zu 1) die am Boden liegende Klägerin und nicht diese hängend am Pferd. In einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Falles konnte sich die Kammer nicht ausreichend davon überzeugen, dass diese in der vom Sachverständigen Prof. Dr. … befindlichen Position befindlich gewesen wäre.
491
Die Kammer verkennt hierbei auch nicht, dass nach den informatorischen Angaben der Beklagten zu 3) und 4) die Klägerin bzw. die Mutter ihnen gegenüber geäußert habe, dass die Klägerin die Zügel um die Hand geschlungen gehabt habe. Jedoch schätzte dies die Beklagte zu 4) auch selbst so ein, dass dies nur gesagt worden sei, um sie zu trösten. Auch der unmittelbare Unfallzeuge … gab an, dass die Klägerin die Zügel nicht um die Hand gewickelt habe. Seine Freundin sein nicht mitgeschleift worden, sondern einfach umgefallen und habe dann den Zügel losgelassen.
492
Dass ein Teil des Zaumzeugs beschädigt wurde, lässt ebenfalls keinen hinreichenden Schluss auf ein Umwickeln der Hand zu. Vielmehr könnte dies auch mit einem Darauftreten durch das wegrennende Pferd und einen entsprechenden Abriss erklärt werden. Auch der Pferdesachverständige erklärte, dass derartige Beschädigungen sehr häufig durch das Treten der Pferde auf das Zügel-Ende entstehen würden.
493
Letztlich konnte auch die am Unfallort festgestellte Blutspur die Kammer nicht von einem Mitschleifen der Klägerin überzeugen. Wie die Beweisaufnahme ergeben hat, versuchte die Klägerin nach dem Unfall mehrmals aufzustehen; dies teilten insbesondere die Zeugen … und … mit. Weiterhin gab auch der Sachverständige Prof. … an, dass die Abtropfspuren auch durch eine sekundäre Verlagerung der Klägerin verursacht worden sein können. Auch nach den informatorischen Angaben des Beklagten zu 1) kam es zu keiner größeren Ortsverlagerung der Klägerin im Zusammenhang mit dem unmittelbaren Unfallgeschehen, so dass auch insofern nicht von einem Mitschleifen ausgegangen werden kann.
494
Nach alledem konnte sich die Kammer nicht ausreichend davon überzeugen, dass die Klägerin die Zügel um die Hand geschlungen gehabt hätte und mitgeschleift worden wäre.
495
3. Auch das Führen des Pferdes auf dem Unfallweg trotz des Schildes „Verboten für Reiter“ begründet kein Mitverschulden.
496
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … befindet sich dieses Schild in Fahrtrichtung …, nicht dagegen im Bereich des … und des dortigen Gehöfts …. Wie die Klägerin angab, hatte sie mangels Fahrens aus Fahrtrichtung … keine Kenntnis vom Verbotsschild für Reiter. Nicht einmal der Beklagte zu 4) hatte nach seinen informatorischen Angaben Kenntnis davon, dass der … für Reiter unzulässig ist.
497
Die Klägerin ist überdies auch nicht geritten, sondern hat das Pferd geführt. Ein Führen ist nicht mit einem Reiten gleichzusetzen. Das Reiten dient der eigenen Fortbewegung, das Führen dagegen nicht (für das Bußgeldverfahren so auch OLG Dresden, becklink 2001139).
498
4. Weiterhin ist der Klägerin auch nicht anzulasten, dass sie entgegen der Absprache mit den Beklagten zu 3) und 4) ohne deren Begleitung bzw. deren ausdrückliches Einverständnis am Unfalltag das Pferd … geführt hat.
499
Zwar teilte der Beklagte zu 3) informatorisch gehört mit, dass er dies vorausgesetzt habe. Dagegen äußerte die Beklagte zu 4) in der informatorischen Anhörung, dass sie das vorherige Melden voraussetze und nach Möglichkeit jemand von ihnen dabei sein solle. Die Beklagte zu 4) selbst stellte dies damit nicht als zwingendes Erfordernis dar.
500
Demgegenüber teilte die Klägerin in ihrer informatorischen Anhörung mit, dass sie Frau … angeboten habe, ihr Kommen mit SMS anzukündigen. Frau … habe nicht gesagt, dass sie ihr Kommen rechtzeitig ankündigen solle, damit bspw. jemand mitkommen könne.
501
Das vorherige Melden bzw. Ankündigen des Führens durch die Klägerin am Unfalltag war gegeben; diese SMS wurde von der Klägerin vor dem Führen des Pferdes an die Beklagte zu 4) unstreitig geschrieben. Nachdem die Klägerin dies – unbestritten – bei dem zeitlich vorausgehenden Führen des Pferdes ebenfalls so gehandhabt hatte, dabei ebenfalls keine Rückantwort abwartete und ohne die … mit dem Pferd ging, dies dann auch in der Folge von diesen nicht beanstandet wurde (solches ist nicht vorgetragen), konnte die Klägerin davon ausgehen, dass ein solches Vorgehen von diesen geduldet wäre. Auch die Beklagte zu 4) hat in der informatorischen Anhörung bestätigt, dass dieses zeitlich vorausgehende Vorgehen von ihr der Klägerin gegenüber als in Ordnung bestätigt worden sei.
502
Ein Verschulden durch abredewidriges Verhalten ist der Klägerin damit insofern nicht nachweisbar.
503
5. Die Klägerin war auch keine Tieraufseherin nach § 834 BGB, da sie keine selbständige Aufsichtsführung innehatte. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
504
Die Beklagten zu 1) bis 5) haften damit in voller Höhe gesamtschuldnerisch.
- Unfallbedingte Beschwerden und Behandlungen -
505
Kausal auf das Unfallgeschehen zurückzuführen sind nach der Überzeugung des Gerichts folgende Verletzungen, Beschwerden, Behandlungen und Folgen einschließlich Dauerfolgen:
506
1. – Zunächst die im Tatbestand als unstreitig ausgeführten Verletzungen, Beschwerden, Behandlungen und Folgen einschließlich Dauerfolgen, auf welche vollumfänglich Bezug genommen wird.
507
Ein Teil davon basiert auf den Ausführungen der Sachverständigen im Zuge der Begutachtung, welche sich die Klägerin sodann – beklagtenseits unangegriffen – zu eigen und zum Gegenstand ihres Sachvortrages gemacht hat.
508
Insofern wurde im Laufe des Verfahrens der vor dem Unfall bestehende Kinderwunsch der Klägerin, der zunächst bestritten war, nicht mehr in Abrede gestellt.
509
Ebenso wurde von den Beklagten der Problemkreis Regelblutung und Libidoverlust soweit unstreitig gestellt, als sich die damit zusammenhängenden Feststellungen aus den Sachverständigengutachten ergeben. Nachdem die sachverständige Begutachtung diesen Vortrag bestätigt hat (auf die unten dargestellten Ausführungen wird vollumfänglich Bezug genommen), ist dieser Vortrag nunmehr als unstreitig zu behandeln.
510
2. – Weiterhin haben sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme folgende Verletzungen, Beschwerden und Folgen erwiesen (die hier aufgeführten Folgen waren und blieben im Laufe des Verfahrens beklagtenseits bestritten):
+ ein kompletter und dauerhafter Verlust der Sehfähigkeit auf beiden Augen einschließlich einer nicht möglichen Unterscheidung von hell und dunkel,
+ ein vollumfänglicher und dauerhafter Verlust der Fähigkeit zum Riechen,
+ eine dauerhafte kombinierte Schwerhörigkeit bzw. Hörminderung linksseitig von 23 %, eine deutliche Einschränkung des Sprachverstehens in geräuschvoller Umgebung (im Vergleich zu einem Normalhörigen ohne schweres Schädel-Hirn-Trauma wird ca. 50 % weniger Sprache in geräuschvoller Umgebung verstanden), Einschränkungen beim Richtungshören, ein zumindest im Zusammenhang mit Paukenergüssen entstehendes Ohrgeräusch (Tinnitus) linksseitig,
+ eine dauerhaft reduzierte Geschmackswahrnehmung mit einem Nichterkennen des Geschmacksstoffs bitter,
+ zusätzliche negative Auswirkungen durch eine Kombination der aufgeführten Verluste und Einschränkungen, insbesondere einer dadurch erschwerten Orientierung und damit einhergehenden erhöhten Unfallgefahr mit anderen Verkehrsteilnehmer, ein hierdurch bedingtes wiederholtes Anstoßen des Kopfes und Beines sowie Umknicken und kleineren Verletzungen, auch Verbrennungen, wiederholte Magen-Darm-Erkrankungen wegen des fehlenden Geruchs- und Geschmackssinns.
511
Weiterhin ist die Kammer nach dem Ergebnis der sachverständigen Begutachtung auch davon überzeugt, dass sich die Klägerin noch weiteren unfallbedingten medizinischen Behandlungen und Operationen, insbesondere einer weiteren Rekonstruktion des Gesichtsfeldes, unterziehen muss, weitere Behandlungen am Auge, ggf. eine Entfernung des rechten Auges, und Zahn- und Kieferbehandlungen bzw. -operationen anstehen und die Klägerin nach wie vor auf physiotherapeutische und psychotherapeutische Behandlung sowie physiotherapeutische Behandlungen/Mobilitätstraining angewiesen ist, auch auf nicht absehbare Zeit wegen des gegenständlichen Unfalls noch auf medizinische Behandlung und Betreuung, insbesondere auch durch den Hausarzt, angewiesen sein wird.
512
Hinsichtlich der augenmedizinischen Folgen geht die Kammer bzgl. folgender künftig zu erwartender Beeinträchtigungen/Behandlungen nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … davon aus, dass mit diesen ernsthaft zu rechnen ist:
+ Auftreten einer Phthisis bulbi am rechten Auge im Laufe der kommenden 10 Jahre
+ Auftreten von Schmerzen im linken Auge, die im Verlauf zu einer Enukleation des Auges führen können, im Laufe der kommenden 10 Jahre
+ Erfordernis einer Auffütterung der Orbita mit einer Plombe zum besseren Halt der Augenprothese nach Enukleation
513
Hingegen geht die Kammer nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … davon aus, dass mit folgenden Beeinträchtigungen/Behandlungen nicht ernsthaft zu rechnen ist:
+ Auftreten eines erhöhten Augendrucks am rechten Auge
+ Auftreten einer sympatischen Ophtalmie am rechten Auge im Laufe der kommenden 10 Jahre
+ Auftreten einer bakteriellen Entzündung im Augapfel des rechten oder linken Auges, die bei fehlender Behandlung zu einer Sepsis oder zu einer Fortleitung des bakteriellen Entzündungsprozesses vom Auge über die Orbita in zerebrale Gefäße oder Narbengewebe im Laufe der kommenden 10 Jahre führt
514
Bezüglich der dauerhaften Hypophysenvorderlappeninsuffizienz geht die Kammer nicht davon aus, dass eine reduzierte Lebenserwartung von 8 bis 10 Jahren ernstlich zu erwarten und vorhersehbar wäre, da nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. … nicht davon auszugehen ist, dass die unfallbedingten Begleiterscheinungen (erhöhtes Risiko zur Osteoporose und Arteriosklerose sowie Fettstoffwechsel) nicht behandelt werden würden.
515
Diese Beurteilung stützt sich in ihrer Gesamtheit maßgeblich auf die augenmedizinischen, hno-ärztlichen, neurologischen/psychologischen und gynäkologischen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. …, PD Dr. …, Dr. … und PD Dr. ….
516
Das Gericht macht sich die nachvollziehbaren, sachkundigen Ausführungen aller genannter Sachverständigen vollumfassend zu eigen und legt diese in eigener Würdigung in ihrer Gesamtheit der Beurteilung zugrunde.
517
Im Einzelnen führten die Sachverständigen zu den Beweisfragen Folgendes aus:
1. Prof. Dr. … (augenmedizinisches Gutachten):
518
a) In seinem augenmedizinischen Gutachten vom 16.01.2019 teilte der Sachverständige Prof. Dr. … unter anderem Folgendes mit (auf das augenfachärztliche Gutachten vom 16.01.2019, Blatt 778 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
519
Aufgrund des Schädel-Hirn-Traumas mit Fraktur der Schädelbasis und des Mittelgesichtes sei es zu einer Abtrennung des Sehnerven des Augapfels rechts und zu einer Bulbusruptur am linken Auge gekommen. Am 16.05.2018 habe am rechten Auge aufgrund der Netzhautablösung und aufgrund der aufgehobenen Nervenleitfähigkeit eine vollständige Erblindung bestanden. Am linken Auge habe aufgrund des geschrumpften Auges durch die unfallbedingte Eröffnung des Augapfels mit Verlust von Augengewebe ebenfalls eine vollständige Erblindung bestanden. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass eine Wiederherstellung der Sehfähigkeit auf beiden Augen aussichtslos sei. Es sei aufgrund der am rechten Auge bestehenden Abtrennung des Sehnerven vom Augapfel rechts und der Netzhautablösung sowie am linken Auge aufgrund des geschrumpften Auges davon auszugehen, dass die Klägerin dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, zwischen hell und dunkel zu unterscheiden. Am rechten Auge bestünden eine gute Beweglichkeit und keine Hinweise auf eine Notwendigkeit einer Enukleation (Entfernung des Auges). Am linken Auge bestünde ein geschrumpftes Auge mit ausgeprägtem subjektiven Problemen durch Tränenträufeln. Es sei bereits ein operativer Versuch unternommen worden, einen verbesserten Prothesensitz und eine verbesserte Tränenabflusssituation zu schaffen. Es sei durchaus wahrscheinlich, dass im linken Auge weitere unfallbedingte medizinisch notwendige Operationen durchgeführt werden müssen.
520
Durch den Unfall vom 28.07.2014 sei die Klägerin rechts und links vollständig erblindet. Eine Wiederherstellung der Sehfähigkeit auf beiden Augen sei aufgrund der irreversiblen Schäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Es sei durchaus wahrscheinlich, dass am linken Auge bei weiterer Schrumpfung und Schmerzentwicklung weitere unfallbedingte medizinische Operationen durchgeführt werden müssten.
521
Im Übrigen wird auf das schriftliche augenmedizinische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. … vom 16.01.2019, Bl. 778 ff. der Akte, Bezug genommen.
522
b) In seinem Ergänzungsgutachten vom 31.05.2019 führt der Sachverständige Prof. Dr. … unter anderem Folgendes aus (auf das augenfachärztliche Ergänzungsgutachten vom 31.05.2019, Blatt 832 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
523
Am rechten Auge bestehe eine Netzhautablösung und eine Durchtrennung des Sehnerven. Es sei möglich, aber nicht sicher, dass im weiteren Verlauf auch am rechten Auge eine Augapfelschrumpfung eintrete. Ebenso sei ein Verlauf möglich, dass im rechten Auge ein erhöhter Augendruck auftrete. Beide Verläufe könnten mit starken Schmerzen verbunden sein und zu einer Entfernung des Auges führen. Die Auftretenswahrscheinlichkeit der beiden Verläufe können nicht valide bestimmt werden. Das Auftreten einer Augapfelschrumpfung am rechten Auge im Laufe der kommenden 10 Jahre schätze er als wahrscheinlich und das Auftreten eines erhöhten Augendruckes als nicht wahrscheinlich ein.
524
Es sei nicht unwahrscheinlich, dass im linken Auge ein spezieller Entzündungsprozess in Gang komme, der zu einer entzündlichen Mitbeteiligung des rechten Auges führen könne. Es sei durchaus möglich, dass es im Zuge dessen zu einer Entfernung des rechten Auges kommen könne. Die Auftretenswahrscheinlichkeit dessen könne nicht valide bestimmt werden. Das Auftreten im Laufe der kommenden 10 Jahre schätze er als nicht wahrscheinlich ein.
525
Es sei durchaus wahrscheinlich, dass im linken Auge weitere unfallbedingte medizinische notwendige Operationen durchgeführt werden müssten. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Schmerzen im linken Auge, die im Verlauf zu einer Entfernung des Auges führen können, könne nicht valide bestimmt werden. Er schätze die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Schmerzen im linken Auge, die im Verlauf zu einer Entfernung des Auges führen könnten, im Laufe der kommenden 10 Jahre als wahrscheinlich an.
526
Eher selten, aber nicht ausgeschlossen, sei eine bakterielle Entzündung im Augapfel des rechten oder linken Auges, die bei fehlender Behandlung zu einer Sepsis oder Fortleitung des bakteriellen Entzündungsprozesses vom Auge über die Orbita in zerebrale Gefäße oder Nervengewebe führen könne. Die Auftretenswahrscheinlichkeit für das Auftreten einer nach zerebral fortgeleiteten bakteriellen Entzündung könne nicht valide bestimmt werden. Er schätze die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bakteriellen Entzündung im Augapfel des rechten oder linken Auges, die bei fehlender Behandlung zu einer Sepsis oder einer Fortleitung des bakteriellen Entzündungsprozesses über das Auge in die Orbita in zerebrale Gefäße oder Nervengewerbe führten, im Laufe der kommenden 10 Jahre als unwahrscheinlich ein.
527
Ergänzend wird auf das Ergänzungsgutachten vom 31.05.2019, Bl. 832 ff. der Akte, Bezug genommen.
528
c) Im zweiten ergänzenden augenfachärztlichen Gutachten vom 08.10.2019 führt der Sachverständige Prof. Dr. … unter anderem Folgendes aus (auf das zweite ergänzende augenfachärztliche Gutachten vom 08.10.2019, Blatt 930 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
529
Die Wahrscheinlichkeit, dass am rechten Auge ein erhöhter Augendruck auftrete, was er als nicht wahrscheinlich bezeichnet habe, entspreche einem von zehn Patienten.
530
Die Wahrscheinlichkeit, dass im rechten Auge eine Schrumpfung auftrete, was er mit wahrscheinlich bezeichnet habe, entspreche ca. neun von zehn Patienten.
531
Die Wahrscheinlichkeit, dass am rechten Auge eine sympathische Ophtalmie im Laufe der kommenden 10 Jahre auftrete, was er mit nicht wahrscheinlich bezeichnet habe, entspreche einem von zehn Patienten.
532
Das Auftreten von Schmerzen im linken Auge, die im Verlauf zu einer Entfernung führen könnten, was er mit wahrscheinlich konstatiert habe, entspreche neun von zehn Patienten.
533
Für das Auftreten einer bakteriellen Entzündung im Augapfel des rechten oder linken Auges, das bei fehlender Behandlung zu einer Sepsis oder Fortleitung eines bakteriellen Entzündungsprozesses vom Auge über die Orbita in zerebrale Gefäße oder Nervengewebe führen könne, was er als unwahrscheinlich angenommen habe, entspreche einem von 100 Patienten.
534
Für das Auftreten von Schmerzen im linken Auge, die im Verlauf zu einer Entfernung der Augen führen könnten, was er als wahrscheinlich konstatiert habe, entspreche neun von zehn Patienten.
535
Es sei sehr wahrscheinlich, dass bei einer Entfernung des Auges eine Auffütterung der Orbita mit einer Plome zum besseren Halt der Augenprothese nötig sei. Die Auffütterung bei Enukleation sei wahrscheinlich, was neun von zehn Patienten entspreche.
536
Ergänzend wird auf das Ergänzungsgutachten vom 08.10.2019, Bl. 930 ff. der Akte, Bezug genommen.
537
d) Der Sachverständige Prof. Dr. … erklärte im Termin vom 13.10.2020 unter anderem Folgendes (auf das Protokoll der Sitzung vom 13.10.2020, Bl. 1102 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
538
Enukleation bedeute die Entfernung des Auges. Dabei handle es sich um einen stationären Eingriff.
539
Die von ihm genannten Wahrscheinlichkeiten habe er aus seiner klinischen Erfahrung heraus angegeben. Es handele sich um einen gutachterlichen Versuch, die Begrifflichkeiten in Zahlen umzuwandeln.
540
Beim rechten Auge sei die Entwicklung eines erhöhten Augendrucks nicht wahrscheinlich. Die Möglichkeit sei gegeben, aber nicht wahrscheinlich. Man könne nicht beurteilen, ob dies bei der Klägerin der Fall sei. Grundsätzlich sei bei einer Netzhautablösung und einem Sehnervabriss wie bei der Klägerin häufiger eine Verkleinerung des Auges als eine Druckerhöhung gegeben. 1 von 10 Patienten habe eine Druckerhöhung, die restlichen 9 von 10 hätten eine Schrumpfung.
541
Eine sympathische Ophtalmie sei sehr selten; er gehe hier von einer Wahrscheinlichkeit von 1 von 10 Personen aus.
542
Der Vorgang gehe oft mit Schmerzen einher. Dem Patienten gehe es dann meist besser, wenn ein Auge entfernt werde, was bei 9 von 10 Patienten der Fall sei, wenn Schmerzen auftreten würden.
543
Die zerebrale Entzündung trete bei 1 von 100 Personen auf.
544
Wenn es im rechten Auge zu starken Schmerzen komme, dann wünschten erfahrungsgemäß, wenn das Auge erblindet sei, 9 von 10 Patienten die Entfernung des Auges. Wenn es zu einer Enukleation komme, dann sei die Auffüllung der Orbita natürlich denkbar, da die Prothese auch nicht richtig festzumachen sei. Die Auffüllung passiere, um der Prothese Halt zu geben. Es sei nicht immer notwendig, aber wahrscheinlich. Wenn die Prothese nicht stabil halte, werde die Auffütterung bei 9 von 10 Patienten vorgenommen.
545
Es sei nachvollziehbar, dass die Klägerin unter einer ständigen Entzündung in den Augen, links beginnend und auf das rechte übergreifend, leide. Es sei auch nachvollziehbar, dass die Klägerin seit Januar/Februar 2020 unter einem multiresistenten Keim im linken Auge leide. Sie sei häufig in vielen Kliniken gewesen, was sicher eine Rolle gespielt habe.
546
Es sei nachvollziehbar, dass ihr der Rat gegeben worden sei, aufgrund der Entzündung den geschrumpften Augapfel links zu entfernen.
547
Es sei möglich bzw. wahrscheinlich, dass der multiresistente Keim auch auf das rechte Auge übertrete. Multiresistente Keime stellten dann ein Problem dar, wenn sie einen akuten Infekt des Augeninneren hervorrufen oder ins angrenzende Gewebe übertreten würden. Dann sei eine antibiotische Behandlung nicht so einfach und setze eine Vielzahl von antibiotischen Versuchen voraus.
548
Nach Enukleation des linken Auges könne man eine Auffüllung mit Eigenfett oder Hydroxylapatit-Plomben vornehmen. Beim Hydroxylapatit könne man ein gutes kosmetisches Ergebnis erzielen und die Augenmuskeln so einnähen, dass sich die Augen bewegen lassen würden. Das sei eine einmalige Operation. Beim Eigenfett könne es zu einer Schrumpfung des Fettes kommen, sodass man die Prothese ändern oder das Ganze wiederholen müsse.
549
Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. … im Termin vom 13.10.2020 gem. Protokoll vom 13.10.2020, Bl. 1102 ff. d.A., Bezug genommen.
2. PD Dr. … (HNO-ärztliches Gutachten):
550
a) Der Sachverständige Privatdozent Dr. … führt im Hals-Nasen-Ohren-fachärztlichen Gutachten vom 09.07.2019 unter anderem Folgendes aus (auf das Hals-Nasen-Ohren-fachärztlichen Gutachten vom 09.07.2019, Blatt 849 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
551
Unmittelbar durch das Unfallgeschehen vom 28.07.2014 sei auf HNO-ärztlichen Gebiet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine funktionelle Anosmie (Verlust des Geruchssinns) verursacht worden. Durch den Unfall sei es zu einer irreversiblen Schädigung der Olfaktoriusrinne (Lamina cribrosa) mit Abriss des Riechepithels gekommen. Bei der funktionellen Anosmie handle es sich um eine Dauerschädigung.
552
Bei der Klägerin liege eine Hypogeusie (reduzierte Geschmackswahrnehmung) vor, wobei ausschließlich der Geschmacksstoff bitter nicht erkannt werde. Es sei wahrscheinlich, dass die Hypogeusie sekundär durch den Verlust des Riechvermögens entstanden sei. Bei der funktionellen Anosmie und der Hypogeusie (bitter) handle es sich um einen Dauerzustand einer Gesundheitsstörung.
553
Es erscheine wahrscheinlich, dass es unfallbedingt bei der Klägerin zu einer Commotio labyrinthi linksseitig gekommen sei (Innenohrschädigung). Unabhängig von der Commotio labyrinthi habe sich ein rezidivierender Paukenhöhlenerguss bei unfallbedingter Entwicklung einer Tubenbelüftungsstörung bei Zustand nach Schädel-Basis-Fraktur ausgebildet. Ein Hörverlust rechts habe zweifelsfrei vor dem Unfall nicht bestanden. Es liege eine kombinierte Schwerhörigkeit vor. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit liege eine annähernde Normakusis rechtsseitig (normales Hörvermögen) und eine kombinierte Schwerhörigkeit linksseitig vor. Es errechne sich ein prozentualer Hörverlust rechts von 0 % und links von 23 %. Das Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung sei deutlich eingeschränkt. Im Vergleich zu einem Normalhörigen ohne schweres Schädel-Hirn-Trauma werde ca. 50 % weniger Sprache in geräuschvoller Umgebung verstanden. Es erscheine möglich, dass das Ohrgeräusch links im Zusammenhang mit der Commotio labyrinthi stehe. Es wäre auch plausibel, wenn das Ohrgeräusch erst bei der Entwicklung eines Paukenhöhlenergusses wahrgenommen werde.
554
Zusammenfassend leide die Klägerin unter einer unfallbedingten dauerhaften Hörminderung linksseitig. Mit Wahrscheinlichkeit stehe die heute vorliegende Innenohrschädigung im Zusammenhang mit einer Commotio labyrinthi. Es sei wahrscheinlich, dass das Ohrgeräusch unfallbedingt sei, als Zeichen einer Schädigung eines Innenohres. Unabhängig davon liege eine unfallbedingte chronische Tubenventilationsstörung vor, die zu einer schwankenden Schallleitungskomponente führe.
555
Der medizinische Heil- und Behandlungsverlauf sei nicht abgeschlossen.
556
Derzeit sei eine Hörgeräteversorgung nach den Heil- und Hilfsmittelrichtung nicht indiziert.
557
Diese Gesundheitsstörung sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unfallbedingt.
558
Im Übrigen wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten des Sachverständigen PD Dr. … vom 09.07.2019, Bl. 849 ff. der Akte, Bezug genommen.
559
b) In seinem ergänzenden HNO-fachärztlichen Sachverständigengutachten führte der Sachverständige PD Dr. … unter anderem Folgendes aus (auf das Ergänzungsgutachten vom 15.05.2021, Blatt 1288 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
560
Autologer Fetttransfer stelle ein anerkanntes Verfahren zum Ausgleich von z.B. Gesichtsformstörungen dar. Die Überlebensrate des Fetttransfers hänge von der Aufbereitung des Materials, dem Anschluss der transferierten Fettzellen an ein Blutgefäß und der Empfängerregion ab. Da Fettzellen sehr fragil sein könnten und auch druck- und temperaturempfindlich reagierten, sei zweifelsfrei die Überlebensrate der Fettzellen bei der Fettaugmentation im vernarbten Gesichtsbereich nicht vorhersehbar. Da bei der Klägerin im linken Wangenbereich indurierte Haut auf imprimiertem Knochen liege, der augmentiert werden solle, könne nicht abschließend mitgeteilt werden, wie häufig ein Fetttransfer noch vonnöten sein werde. Mittelfristig, nach mehrfacher Applikation, solle die Region langfristig eine Konturverbesserung erfahren können. Ggf. seien alternative Verfahren zu erörtern, die zu einer langfristigen Konturverbesserung führten.
561
Ergänzend wird auf das Ergänzungsgutachten vom 15.05.2021, Bl. 1288 ff. der Akte, Bezug genommen.
562
c) Der Sachverständige PD Dr. … wurde in den Terminen vom 13.10.2020 und 15.06.2021 noch ergänzend mündlich angehört und teilte u.a. Folgendes mit:
563
Der Sachverständige PD Dr. … führte im Termin vom 13.10.2020 u.a. Folgendes aus (auf das Protokoll der Sitzung vom 13.10.2020 Bl. 1102 ff. d.A., wird vollumfänglich Bezug genommen):
564
Bei der Klägerin liege eine komplette funktionelle Anosmie vor. Die Klägerin könne also nichts mehr riechen. Man orientiere sich über den Geruch. Wenn man nichts mehr rieche, schränke dies die Lebensqualität immens ein. Man nehme z.B. über den Geruch auch den Partner wahr. Auch sei es wichtig, Fäkalien zu riechen, oder auch den Eigengeruch wahrzunehmen. All dies könne die Klägerin nicht mehr, was ihr sehr unangenehm sei. Auch falle ein Lustgewinn weg, beispielsweise beim Essen oder Trinken. Sie könne wegen des fehlenden Geruches auch Gefahren schlechter wahrnehmen. Sie könne z.B. auch Rauch nicht wahrnehmen. Das Wahrnehmen und die Lokalisation von Gefahren sei ihr damit unmöglich. Die Angaben der Klägerin seien absolut plausibel gewesen.
565
Die Klägerin habe auch kein Empfinden mehr, was Nuancen des Geschmacks des Essens angehe. Bezüglich des Geschmackes müsse man Beeinträchtigungen durch eine Befragung feststellen. Vorliegend sei eine direkte Schädigung der drei an der Geschmacksfindung beteiligten Nerven eher unwahrscheinlich. Dass aber der Geschmack der Klägerin durch den Unfall beeinträchtigt sei, sei nicht zweifelhaft. Die Klägerin könne nur den Geschmack bitter nicht wahrnehmen. Eine isolierte Schädigung des Geschmackssinnes bitter sei zwar nicht denkbar. Derartige isolierte Beeinträchtigungen würden nach Traumata aber sehr oft beschrieben. Es sei absolut denkbar, auch vom Verlauf her, dass der Geschmack der Klägerin durch den Unfall abgenommen habe. Nach seiner Einschätzung sei das kausale Folge des Unfalls. Die Bahnung sei bei der Klägerin aufgrund des Verlusts des Geruchsinnes nicht mehr vorhanden und dies habe Einfluss auf den Geschmackssinn. Das nicht mehr vorhandene Riechvermögen wirke sich auch auf das Schmeckverhalten aus, sodass dieses auch dadurch beeinträchtigt werde.
566
Für einen Menschen, der den Geruchsinn verliere und noch dazu blind sei, sei es noch viel dramatischer, den Geruchsinn zu verlieren.
567
Es sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Dauerzustand.
568
Ohne jeden Zweifel wirke sich die Beeinträchtigung des Hörens bei der Klägerin im Zusammenspiel mit der Blindheit und dem Verlust des Geruchsinns und der Beeinträchtigung des Geschmacksinns dramatisch aus. Die Klägerin habe für ihre Wahrnehmung nur noch den Kanal Hören. Hier gebe es Schwankungen und es sei eine Innenohrkomponente gegeben. Die festgestellte Schwerhörigkeit schränke die Klägerin beim Richtungshören ein und auch beim Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung. Hier höre die Klägerin schlechter als der Durchschnitt. Das Hören sei linksseitig deutlich eingeschränkt. Diese Schwerhörigkeit habe bei der Klägerin viel dramatischere Auswirkungen als bei einer nicht so eingeschränkten Person. Das Hörvermögen sei auch Schwankungen unterlegen aufgrund der Paukenergüsse und des Drucks im Mittelohr.
569
Es sei plausibel, dass die Klägerin beim Spazierengehen aufgrund des beeinträchtigten Hörvermögens Schwierigkeiten habe, z.B. Elektroautos oder Fahrräder wahrzunehmen. Das sei für sie nur akustisch wahrnehmbar, was sie nur eingeschränkt auf der linken Seite könne.
570
Im Rahmen der Begutachtung hätten sich Anhaltspunkte für eine zentrale Gleichgewichtsstörung wie auch periphere Gleichgewichtsstörungen ergeben. Diese schienen ausgeglichen zu sein, also zentral kompensiert. Es sei denkbar, dass sie bei Müdigkeit schwanke, da es dann nicht mehr bewusst kontrollierbar sei.
571
Die Schwerhörigkeit links stelle eine unfallbedingte Dauerschädigung dar.
572
Es sei anzunehmen, dass bei der Klägerin ein Ohrgeräusch vorliege und auch durch den Unfall verursacht worden sei. Der Schwindel liege abends bei Müdigkeit vor.
573
Es sei möglich, dass die Klägerin beim Gehen manchmal das Gefühl habe, dass sich das schwarze Bild verschiebe, was eine neurologische Problematik darstelle.
574
Beim Ohrgeräusch gebe es Hinweise auf eine Ursächlichkeit einer Innenohrschädigung. Dies wäre dann eine dauerhafte Beeinträchtigung. Wenn das Ohrgeräusch auf Paukenergüsse zurückzuführen wäre, wäre die Frage mit der Dauerhaftigkeit von der Entwicklung der Paukenergüsse abhängig.
575
Der Sachverständige PD Dr. … führte im Termin vom 15.06.2021 u.a. Folgendes aus (auf das Protokoll der Sitzung vom 15.06.2021 Bl. 1384 ff. d.A., wird vollumfänglich Bezug genommen):
576
Die Fettaufspritzungen müssten voraussichtlich wiederholt werden. Man könne aber derzeit nicht sagen, wie oft und in welchen Intervallen. Dies sei von der Entwicklung und dem Zustand abhängig. Man könne hoffen, dass sich die Fettzellen dann langfristig ansetzten und die betroffene Stelle ausgeglichen werde. Man müsse damit rechnen, dass die vorgenommene Fettaufspritzung nicht von Dauer sei und weitere Fettaufspritzungen auf die Klägerin zukämen.
577
Wenn die Fettaugmentation langfristig nicht erfolgreich sein sollte, gebe es noch die Möglichkeit, ein Implantat zu setzten, z.B. aus Kunststoff, was einen langfristigen Ausgleich darstellen würde. Nachteil sei aber, dass sich Implantate infizieren könnten. Vorzugswürdig sei deshalb derzeit die Fettaufspritzung. Nur wenn diese nicht langfristig helfe, sollte man auf die Alternativen zurückgreifen. Es gäbe dazu auch noch Kollagen. Die Fettaufspritzung habe keine Schutzfunktion; sie diene eher zum Ausgleich der kosmetischen Beeinträchtigungen.
578
Die Fettaufspritzung sei derzeit das Mittel der ersten Wahl.
579
cc) Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. … in den Terminen vom 13.10.2020 und 15.06.2021 gem. Protokollen vom 13.10.2020, Bl. 1102 ff. d.A., und 15.06.2021, Bl. 1384 ff. d.A., Bezug genommen.
3. PD Dr. … (gynäkologisches Gutachten)
580
a) Der Sachverständige PD Dr. … führt in seinem gynäkologischen Sachverständigengutachten vom 24.07.2020 u.a. Folgendes aus (auf das gynäkologische Sachverständigengutachten vom 24.07.2020, Blatt 983 ff. der Akte, wird Bezug genommen):
581
Aufgrund des Unfallgeschehens vom 28.07.2014 sei es bei der Klägerin zu einem schwerwiegenden Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen im Bereich des Schädels sowie multiplen Frakturen im Bereich des Gesichtsschädels gekommen. Als typische Folge des Schädel-Hirn-Traumas sei eine Hypophysenvorderlappeninsuffizienz eingetreten. Hieraus resultierten Störungen des weiblichen Zyklus sowie auch ein Libidoverlust.
582
Aufgrund der Erblindung sei eine Blutungskontrolle für die Klägerin unmöglich geworden. Hieraus resultiere ein erhöhter pflegerischer Aufwand.
583
Eine Schwangerschaft sei aus gutachterlicher Sicht nicht vertretbar aufgrund unkalkulierbarer und möglicherweise lebensbedrohlicher somatischer sowie psychologischer Risiken. Der grundsätzliche Schwangerschaftseintritt erscheine rein biologisch möglich, insbesondere unter Zuhilfenahme reproduktionsmedizinischer Maßnahmen.
584
Im Übrigen wird auf das schriftliche gynäkologische Gutachten des Sachverständigen PD Dr. … vom 24.07.2020, Bl. 983 ff. der Akte, Bezug genommen.
585
b) Der Sachverständige PD Dr. … führte in seiner mündlichen Anhörung im Termin vom 13.10.2020 unter anderem Folgendes aus (auf das Protokoll der Sitzung vom 13.10.2020 Bl. 1102 ff. d.A. wird vollumfänglich Bezug genommen):
586
Die bei der Klägerin bestehende Hypophysenvorderlappeninsuffizienz sei eindeutig dem Trauma zuzuordnen. Hierüber würden die wesentlichen Hormonkreisläufe, unter anderem die Eierstöcke und die Schilddrüse, gesteuert. Die Schilddrüse sei bei der Klägerin operativ entfernt worden und es finde eine Substitution statt. Die Eierstockfunktion sei schon frühzeitig in Mittleidenschaft gezogen gewesen und bessere sich in der Regel dann auch nicht. Bei einem Trauma reiche schon die Schwellung des Umgebungsgewebes aus, damit die Hypophysenfunktion eingeschränkt sei. Es sei also absolut nachvollziehbar, dass bei der Klägerin Zyklusstörungen eingetreten seien und andauerten. Dies werde sich nach seiner klinischen Erfahrung auch nicht mehr in absehbarer Zeit ändern, insbesondere da diese Störungen seit dem Unfall andauerten und sich diese im Laufe der Zeit regelmäßig verfestigten. Durch die Hypophysenvorderlappeninsuffizienz sei auch der Libidoverlust zu erklären. Für die Erregung würden auch das Sehen und das Riechen eine große Rolle spielen. Gleichzeitig sei bei der Klägerin Hypophyse betroffen. Damit spreche hier auch viel für einen dauerhaften Libidoverlust.
587
Eine Schwangerschaft sein rein theoretisch somatisch denkbar. Die spontane Schwangerschaftswahrscheinlichkeit sei aber deutlich reduziert. Er gehe davon aus, dass bei der Klägerin keine Eizelle reife bzw. dies nur sehr unregelmäßig wegen der Hypophysenvorderlappeninsuffizienz geschehe. Durch Reproduktionsmedizin sei eine Schwangerschaft grundsätzlich herbeiführbar. Es gebe aber deutliche Faktoren, die gegen eine Schwangerschaft sprechen würden. Es würde sich um eine Hochrisikoschwangerschaft handeln. Die Klägerin hätte ein erhöhtes Einblutungs- und Entzündungsrisiko im Bereich der Hypophyse, was sich bei bis zu 10 % bewege. Dies würde dann nochmals eine deutliche und schwerwiegende Schädigung des Hirns verursachen.
588
Das Risiko einer Osteoporose sei im Laufe des Lebens erhöht, da nicht mehr genug Östrogen gebildet werde. Dies werde aber medikamentös bei der Klägerin behandelt.
589
Es bestehe auch ein erhöhtes Risiko für eine Arteriosklerose. Ursache sei eine Fettstoffwechselstörung, welche behandelt werde.
590
Bei der dauerhaften Hypophysenvorderlappeninsuffizienz habe man insgesamt eine reduzierte Lebenserwartung von 8 bis 10 Jahren, wenn die Begleiterscheinungen unbehandelt bleiben würden, wovon er nicht ausgehe.
591
Bei den Eierstöcken sei es so, dass sie sich in einem dauerhaften Ruhezustand befänden. Dies bedinge aber nicht ein erhöhtes Risiko der Entfernung.
592
Bei den Wechseljahren seien bei der Klägerin keine Besonderheiten zu erwarten.
593
Ab dem Eintritt in die Wechseljahre könne man die Hormonsubstitution beenden und kontrollieren, ob sich die Osteoporose entwickle. Wechseljahresbeschwerden würden bei der Klägerin eher gering ausfallen, da es keinen plötzlichen Abfall der Hormone gebe.
594
Die Osteoporose gehe dann, soweit das Entstehen einer Osteoporose nicht durch Substitution verhindert werden könne, mit einer erhöhten Gefahr für Knochenbrüche einher, insbesondere wenn man öfter stürze. Man könne die Entwicklung der Osteoporose kontrollieren, diese entwickle sich über Vorstufen.
595
Wenn die Fettstoffwechselstörung unbehandelt bleibe, gehe damit ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall einher, was die reduzierte Lebenserwartung um 8 bis 10 Jahre bedinge.
596
Das Risiko einer Arteriosklerose könne durch Medikamente, Vorsorge und Check-Up reduziert werden.
597
Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. … im Termin vom 13.10.2020 gem. Protokoll vom 13.10.2020, Bl. 1102 ff. d.A., Bezug genommen.
4. Dr. … (neurologisches/psychologisches Gutachten):
598
a) Der Sachverständige Dr. … führte im nervenärztlichen Gutachten vom 08.03.2021 u.a. Folgendes aus (auf das schriftliche nervenärztliche Gutachten vom 08.03.2021, Blatt 1184 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
599
Auf nervenärztlichem Fachgebiet bestünden in der Folge des Unglücks vom 28.07.2014 ein stattgehabtes komplexes und schweres Schädel-Hirn-Trauma, verbunden mit einer linkshirnigen Contusio cerebri (und einem bis zuletzt 2020 dokumentierten hirnorganischen Psychosyndrom einschließlich sprachlichen Defiziten), verbunden auch mit einer Schädigung der Filae olfctoriae (und damit korrelierend einer Geruchs- und Geschmacksstörung), einer Verletzung beider Augen (und einer damit begründeten Erblindung), einer Schädigung eines Nervus facialis links (mit fehlender Einschleusung in und unwillkürlichen Zuckungen im Gesicht links), einer Schädigung des peripher vestibulocochlearen Organs links (Hypakusis, Tinnitus und Schwindel verursachend). Unbedingt anzunehmen sei im Übrigen eine schwere Anpassungsstörung (DD posttraumatische Belastungsstörung).
600
Die Klägerin habe aufgrund der Schwere der erlittenen Verletzungen im Zuge des Unfalls vom 28.07.2014 initial nachvollziehbar nicht auf äußere Reize reagieren können, Kontakt aufnehmen und sich bewegen können.
601
Das in der Akte beschriebene Zittern der Extremitäten und des Kopfes ordne er als Hirnstamm-Myoklonien ein, nachdem eine intrakranielle Drucksteigerung und Mittellinienverlagerung, damit auch eine potentielle Irritation des Hirnstamms, bereits in der Akte beschrieben worden sei.
602
Im Zug der linkshirnigen und frontal betonten Hirnsubstanzschäden seien kognitive Einschränkungen, Konzentrationsstörungen und Impulskontrollstörungen typische Folgen. Daneben seien Auffassungs- und Umstellungserschwernis, Gedächtnisstörungen, sprachliche Defizite und auch eine reizbare Schwäche zu erwarten.
603
Mit dem Ende der intensivmedizinischen Behandlung und der Möglichkeit, die eigene Situation zu realisieren, sei eine akute psychoreaktive Störung i.S. eines Schockzustandes unbedingt begründet.
604
In der Folge des Unfalls seien in der Akte neben einer Sensibilitätsstörung der kompletten linken Gesichtshälfte, der Oberlippe und der Unterlippe, auch motorische Phänomene (i.S. von Fehleinsprossungen nach einer Facialisparese) dokumentiert.
605
Eine Botox-Behandlung sei in diesem Zusammenhang konsequent und notwendig. Durchaus möglich seien auch neuropathische Schmerzen in diesem Zusammenhang (schmerzhafte Kribbelparästhesien).
606
Im Kontext der psychoreaktiven Störung (Anpassungsstörung – DD posttraumatische Belastungsstörung) seien Angst, Depressivität, Schlafstörungen, Albträume etc. zu erklären. Die Wesensänderung sei auf die hirnorganische Beeinträchtigung, auf die Hirnsubstanzschädigung zu beziehen.
607
Die Hirnsubstanzschädigung begründe (Kurzzeit-)Gedächtnisstörungen, Defizite der kognitiven Belastbarkeit und Konzentrationsfähigkeit, ebenso auch die Fähigkeit, sich zu orientieren.
608
Dies gelte auch für Schwindel und Unsicherheitsgefühl, Erschöpfungszustände bzw. für eine Verminderung von Belastbarkeit und Ausdauer.
609
Nachvollziehbar seien Störungen des Tag- und Nachtrhythmus und auch in diesem Zusammenhang (neben der psychoreaktiven Störung) Beeinträchtigungen des Nachtschlafes. Eine entsprechende Tagesmündigkeit, Lethargie und Verlangsamung seien Folgen von Schlafstörungen (neben der Hirnleistungsstörung, die ebenfalls derartige Symptome begründen könne).
610
An einer depressiven (psychoreaktiven) Störung mit Angst sei nicht zu zweifeln. In diesem Zusammenhang seien Spannungskopfschmerzen häufig. Im vorliegenden Fall sei im Kontext der massiven knöchernen Verletzungen am Hirn- und Gesichts – Schädel auch von narbenbedingten Kopfschmerzen zu sprechen.
611
Eine psychotherapeutische Maßnahme (und seines Erachtens auch psychopharmakologische – schmerzdistanzierende und thymoleptischen stabilisierende Behandlung) sei seit Anfang des Jahres 2015 und bis auf weiteres notwendig.
612
Eine neuropsychologische Behandlung sei im Kontext der Hirnsubstanzschädigung unbedingt notwendig und zielführend. In der Regel sei 3 Jahre nach dem schädigenden Ereignis ein Rehabilitationspotential aufgebraucht, sodass von einem Dauerzustand auszugehen sei. Je nach Persönlichkeit und vor allem Willen zur Rehabilitation sei auch in den Jahren danach noch (wenn auch nur noch eine leichtere) Verbesserung möglich.
613
Eine Einschränkung der Hirnfunktion bestehe in Höhe von 40 %. Eine grundsätzliche Verschlechterung im Alter sei nicht zu erwarten. Sicherlich seien allerdings die Kompensationsmöglichkeiten von altersdegenerativen Veränderungen geringer als bei völlig gesunden Menschen.
614
Im Übrigen wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 08.03.2021, Blatt 1177 ff. der Akte, Bezug genommen.
615
b) In seinem ergänzenden nervenärztlichen Gutachten vom 17.05.2021 (Blatt 1305 ff. der Akte) führt der Sachverständige Dr. … unter anderem Folgendes aus (auf das Ergänzungsgutachten vom 17.05.2021, Blatt 1305 ff. der Akte, wird vollumfänglich Bezug genommen):
616
Es könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin während der intensivmedizinischen Behandlung überwiegend sediert gewesen sei. Im Zuge der wiederholt stattgehabten operativen Interventionen seien Verwirrtheitszustände und Impulskontrollstörung während der Wachphasen nachvollziehbar. Bzgl. der Schädigung des Nervus facialis und der schmerzhaften Kribbelparästhesien handle es sich um eine periphere Schädigung, wobei der Mundwinkel und der Stirnast betroffen seien. Schmerzhafte Kribbelparästhesien halte er für grundsätzlich möglich im Kontext der stattgehabten Kieferverletzungen und damit verbundenen Hautnervenschädigungen im Gesicht. Beeinträchtigungen beim Essen und Trinken seien anzunehmen. Typisch für eine periphere Nervenschädigung (hier im Bereich der sensiblen Versorgung des Gesichts), typisch für neuropathische Missempfindungen oder eine Allodynie sei, dass bei Kälte oder Wärme (beides sei möglich) schmerzhafte Missempfindungen verstärkt würden, dass eine Berührung nicht als solche, sondern als Schmerz, empfunden werde. In der Regel sei 3 Jahre nach einer Schädigung neuraler Strukturen dass Rehabilitationspotenzial aufgebraucht und es müsse von einem Dauerschaden ausgegangen werden.
617
Das hirnorganische Psychosyndrom und die depressive Störung einerseits, auch der gestörte Schlaf-Wach-Rhythmus, beeinflussten sich in ungünstiger Weise gegenseitig. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen könnten sowohl vor dem Hintergrund einer depressiven Störung als auch vor dem Hintergrund einer hirnorganischen Beeinträchtigung bestehen, Mattigkeit und Müdigkeit, Einschränkung der Aufmerksamkeit tagsüber vor dem Hintergrund einer Störung des Nachtschlafes bzw. des Schlaf-Wach-Rhythmus ebenso wie vor dem Hintergrund einer Depressivität.
618
Eine peripher vestibuläre Störung im Zuge einer Commotio labyrinthi, einer aufgetretenen Cupulolithiasis, könne immer wieder exazerbieren (dann als lagerungsabhängig auftretender massiver Drehschwindel mit Übelkeit und Brechreiz). Der zentral vestibuläre Schwindel sei eher diffus, weniger als Drehschwindel, sondern mehr als Unsicherheitsgefühl zu beschreiben. Hinsichtlich des zentral vestibulären Schwindels sei von einem Dauerschaden auszugehen. Der periphere Schwindel würde mit hoher Wahrscheinlichkeit in Intervallen immer wieder exazerbieren und zeitlich begrenzt vorhanden sein.
619
Eine grundsätzliche Verschlechterung der Hirnleistungsstörung/Hirnsubstanzschädigung im Alter sei nicht zu erwarten. Sicherlich seien allerdings die Kompensationsmöglichkeiten von Alters degenerativen Veränderungen geringer als bei völlig gesunden Menschen.
620
Die Spannungskopfschmerzkomponente werde mit einer zunehmenden Stabilisierung der Psyche abnehmen. Der narbenbedingte Kopfschmerz werde als Dauerkopfschmerz bestehen bleiben.
621
Er gehe nicht davon aus, dass eine psychotherapeutische Behandlung bis ans Lebensende notwendig sein werde.
622
Eine Verbesserung des psychiatrischen Status sei zu erwarten. Hinsichtlich des hirnorganischen Befundes werde man keine weitere Besserung erhoffen können. Hier sei von einem Dauerzustand auszugehen, der mit einer Invalidität von 40 % zu beurteilen sei. Ein geschädigtes Hirn verfüge über wenig Ressourcen, welches Veränderungen des Alters ausgleichen könne.
623
Eine Persönlichkeitsveränderung im Kontext der organischen Beschädigung liege bereits vor; daran werde sich in Zukunft nichts ändern. Die Störung der Orientierung sei in erster Linie durch die Beeinträchtigung des Visus begründet. Gleichzeitig lägen neuropsychologische Defizite vor, die die Verarbeitung von taktilen und akustischen Sinnesinformationen erschweren könnten. Ebenso sei davon auszugehen, dass es der Klägerin durch eine Beeinträchtigung der allgemeinen Hirnleistungsfähigkeit schwerfallen werde, die notwendige Konzentration und Aufmerksamkeit länger aufrecht zu erhalten, um die Orientierung zu gewährleisten.
624
Mit zentral vegetativen Störungen und zentral vestibulären Störungen sei die höhere Verarbeitung von Gleichgewichtsinformationen beschrieben.
625
Verletzte neurale Strukturen, Narbenbildungen im Gehirn führten zu einer Störung der Erregungsleitung und es bestehe in diesem Zusammenhang die Gefahr von epileptischen Anfällen.
626
Weitere Beschwerden und Einschränkungen durch die fehlende visuelle Kontrolle und dadurch ergebende Fehlstellungen des Bewegungs- und Halteapparates könne er sich nicht vorstellen.
627
Eine blinde, im Gleichgewicht und hirnorganisch beeinträchtigte Mutter sei mit Blick auf die Sorge um ein neugeborenes Kind massiv gefordert und aus seiner Sicht schneller als jede andere Mutter überfordert. Unsicherheit, Schwindel und Sturzneigung könnten wegen der Hirnsubstanzschädigung entstehen.
628
Im Übrigen wird auf das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. … vom 17.05.2021, Blatt 1305 ff. der Akte, Bezug genommen.
629
c) In seinem zweiten nervenärztlichen Ergänzungsgutachten vom 13.06.2021 führt der Sachverständige Dr. … u.a. Folgendes aus (auf das Ergänzungsgutachten vom 13.06.2021, Blatt 1340 ff. der Akte) wird Bezug genommen:
630
Diagnostisch ergebe eine eingehende Untersuchung und Exploration im Zusammenhang mit dem Unfall am 28.07.2014 ein komplexes und schweres Schädel-Hirn-Trauma, verbunden mit einer linkshirnig betonten Contusio cerebri (von einem bis zuletzt 2020 dokumentierten hirnorganischen Psychosyndrom einschließlich sprachlichen Defiziten), einer aktuell feststellbaren Hemisymtomatik links (als Korrelat eines auch rechtshirnigen Defizits), einer Schädigung der Filae olfactoriae (und damit korrelierend einer Geruchs- und Geschmacksstörung), einer Verletzung beider Augen (und einer damit begründeten Erblindung), einer Schädigung des Nervus facialis links (mit Fehleinsprossungen und unwillkürlichen Zuckungen im Gesicht links), einer Schädigung des Nervus Trigeminus links, hier in erster Linie des ersten Astes und einer damit verbundenen Allodynie und einer Schädigung des peripher vestibulocochleären Organs links (Hypakusis, Tinnitus und Schwindel verursachend). Weitergehend bestünden anhaltend eine schwere Anpassungsstörung (DD posttraumatische Belastungsstörung) und ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndorm (vertebragene Kopfschmerzen).
631
Eine Invalidität von 40 % sei gerechtfertigt vor dem Hintergrund einer bilateralen Hirnsubstanzschädigung und in diesem Zusammenhang einer Hemisymtomatik links, restaphasischen Störung, pseudoneurasthenen Schwäche und zentralen vegetativen Regulationsstörung.
632
Die multiplen Hirnschäden begründeten massive Einschränkungen, die mit Blick auf den Visus alleine bereits eine höchstgradige, 100 %ige Invalidität begründeten. Im Kontext der Fehleinsprossungen im Verlauf des Nervus facialis sei die konsequente weitere Botoxtherapie auch weiter notwendig.
633
Er gehe von einer schweren und im Kontext der Verletzung und ihrer Folgen prolongierten Anpassungsstörung aus und nehme eine Invalidität von 30 bis 40 % bis heute und bis auf weiteres anhaltend an.
634
Grund für die prolongierte Anpassungsstörung an den Unfall und seine Folgen sei die Erblindung, das Zurückgezogensein (sie könne allein ihr privates Umfeld nicht verlassen) und das letztendlich eingeschränkte Leben, die reduzierte Fähigkeit, abgelenkt zu sein und eine gleichzeitig nicht adäquate Behandlung.
635
Das eigenommene Amitriptylin wirke zwar antidepressiv, aber gleichzeitig auch alptraumverstärkend. Besser geeignet wäre eine Substanz wie Sertralin oder Escitalopram tagsüber, evtl. auch antriebssteigernd Fluoxtein, daneben abends eine Sedierung mit Atarax oder Quetiapin. Denkbar sei auch ein Behandlungsversuch zusätzlich mit einer spät abendlichen Gabe von Melatonin. Gleichzeitig sei eine klare Schlafhygienemaßnahme anzuraten.
636
Eine Invalidität von bis auf weiteres 30 % sei für die schwere und auch weiterhin bestehende Anpassungsstörung unbedingt gerechtfertigt.
637
Ergänzend wird auf das zweite Ergänzungsgutachten vom 13.06.2021, Bl. 1340 ff. der Akte, Bezug genommen.
638
d) In seiner mündlichen Anhörung im Termin vom 16.06.2021 erläuterte der Sachverständige Dr. … schließlich noch Folgendes (auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2021, Bl. 1438 ff. d.A., wird vollumfänglich Bezug genommen):
639
Seine Einschätzung in den Sachverständigengutachten erhalte er im Hinblick auf seine persönliche Untersuchung der Klägerin und die Angaben bei den Terminen vom 14.06., 15.06. und dem heutigen Tag aufrecht.
640
Zu den Kopfschmerzen sei es so, dass man diese bei Wetterumschwung und auch an Narben spüren könne. Das sei hier bei der Klägerin der Fall. Bei der Klägerin bestehe zusätzlich die Problematik, dass sie eine veränderte Statik habe. Es würden hierdurch automatische Zuckungen verursacht durch die Kurzschlüsse beim Heilen des Nerven. Dafür bekomme die Klägerin Botox-Behandlungen, also dafür, dass der Nerv nicht mehr zucke. Das führe aber zur Muskelerschlaffung. Das wiederum mache das Kauen für die Klägerin schwieriger, was wiederum zu Kieferproblemen führe, was wiederum zu Kopfschmerzen führe. Die Kopfschmerzen seien also absolut nachvollziehbar und es sei auch absolut nachvollziehbar, dass diese persistieren würden. In Momenten, wo sie vielleicht abgelenkt sei, könne sie das vielleicht weniger stark spüren. Sie werde aber immer mit Kopfschmerzen zu tun haben.
641
Die Klägerin habe keine epileptischen Anfälle.
642
Die Schäden an den Nerven im Gesicht könnten zu Fehlimpulsen führen. Das löse dann epileptische Anfälle aus. Das sehe man aber in der Regel innerhalb des ersten Jahres nach dem Trauma. Nach diesem Zeitpunkt sei es extrem unwahrscheinlich, dass solche epileptischen Anfälle noch auftreten würden. Hier habe die Klägerin beidseits eine strukturelle Hirnverletzung. Die epileptischen Anfälle wären jetzt nach dem Zeitablauf schon da. Es sei auch nicht zu erwarten, dass sich solche noch entwickelten. Grundsätzlich könnten epileptische Anfälle dann beim Älterwerden wieder auftreten, z.B. wenn sie in der Kindheit schon mal aufgetreten seien. Ein vorgeschädigtes Hirn mit Narben habe auch weniger Möglichkeit in der Kompensation beim Älterwerden. Dennoch sei es bei der Klägerin sehr unwahrscheinlich, dass im weiteren Verlauf noch epileptische Anfälle auftreten würden.
643
Die anderen Medikamente zielten insbesondere auf einen Austausch des Amitriptylins hin. Bei der Klägerin sei der Tag/Nacht Rhythmus verschoben; auch einen Ausstoß von Melantonin habe sie nicht mehr. Das führe dazu, dass sie nachts stundenlang wach liege. Das wiederum empfinde man als schlimm, man fange dann an zu grübeln, habe Ängste und bekomme Alpträume in dem oberflächlichen Schlaf, in den man dann falle. Dieses Amitriptylin sei ein Medikament, was die Alpträume verstärke; das sei nicht optimal für die Klägerin. Ein Austausch klappe aber auch nur, wenn man dann tagsüber konsequent nicht schlafe. Das meine er mit klaren Schlafhygienemaßnahmen. Das Sertralin müsste man dann für den antidepressiven Effekt geben. Es gehe also dabei nur darum, die Alptraumproblematik, die bei der Klägerin bestehe, nicht noch weiter zu verstärken. Das Amitriptylin verursache das nicht, sondern verstärke dies.
644
Die psychische Störung der Klägerin sei vollkommen nachvollziehbar aufgrund der Schädigungen. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ein Anpassungsprozess an die Krankheit noch nicht stattgefunden.
645
Ergänzend wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.06.2021, Bl. 1438 ff. d.A., Bezug genommen.
646
Aus diesen plausiblen, nachvollziehbaren Einschätzungen der Sachverständigen ergeben sich die oben festgestellten unfallbedingten Einschränkungen, Beschwerden, Folgen und erforderlichen Maßnahmen.
647
Die Einstandspflicht des Schädigers erstreckt sich zum einen auf alle Vermögenseinbußen der Geschädigten aus der dieser zugefügten Verletzung, da der Schädiger gem. § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen hat, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (Grundsatz der Totalreparation). Er hat insbesondere die Nachteile auszugleichen, die der Verletzten infolge dauernder Beeinträchtigung ihres körperlichen Wohlbefindens entstehen. Das Ziel besteht dabei in der (Wieder)Herstellung eines dem Lebenszuschnitt, der ohne das schädigende Ereignis bestünde, möglichst nahekommenden Zustands. Die §§ 842, 843 BGB schränken den Grundsatz des vollen Schadensausgleichs nicht ein (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 10.03.2020, VI ZR 316/19, NJW 2020, 2113).
648
Daneben besteht ein Anspruch auf Schmerzensgeld, § 253 BGB, § 11 S. 2 StVG.
649
Der Klägerin steht ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 400.000 € zu.
650
Die Beklagten zu 1) bis 5) sind der Klägerin zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 400.000,00 € verpflichtet, § 11 S. 2 StVG, § 253 Abs. 2 BGB. Hiernach kann der Geschädigte bei einer Verletzung des Körpers auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld fordern.
651
1. Diese bemisst das Gericht gem. § 287 Abs. 1 ZPO unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgebender Umstände nach freier Überzeugung und erachtet insofern einen Schmerzensgeldbetrag für das gegenwärtig feststellbare körperliche und psychische Schadensbild einschließlich künftiger vorhersehbarer Schäden in Höhe von 400.000,00 € als angemessen, aber auch ausreichend.
652
2. Das Schmerzensgeld ist nach der Lehre von der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes der Höhe nach auf Grund einer ganzheitlichen Betrachtung unter Einbeziehung der absehbaren zukünftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (BGH, BGHZ 18, 149).
653
In gewissen Konstellationen besteht für den Kläger die Option zur Erhebung einer offenen Teilklage. Nachdem die Klägerin vorliegend zunächst eine offene Teilklage erhoben hat, hat sie in der Folge davon Abstand genommen. Mit Schriftsatz vom 04.06.2021 teilte die Klägerin bzgl. des Schmerzensgeldes mit, dass in die Schmerzensgeldbemessung alle diejenigen Schadensfolgen einzubeziehen seien, die bereits eingetreten sind und objektiv erkennbar waren und deren künftiger Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden können. Solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar ist, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden muss, würden insofern außer Betracht bleiben. Damit sind vorliegend die eingetretenen und absehbaren künftigen Schadensfolgen in die Betrachtung einzubeziehen.
654
Damit erfasst das Gericht vorliegend bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch solche Verletzungsfolgen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht eingetreten waren, aber deren Eintritt objektiv vorhersehbar war, das heißt, mit denen ernstlich zu rechnen ist (BGH, NJW 2004, 1243, 1244).
655
Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers (vgl. BGH, NJW 1998, 2741, 2742).
656
Dabei wurde seitens der Kammer berücksichtigt, dass die Klägerin mit dem Schmerzensgeld einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten soll und das Schmerzensgeld sie in die Lage versetzen soll, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen, sowie Genugtuung verschaffen soll (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., 2020, § 253 Rn. 4). Die Kammer hat insbesondere Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden berücksichtigt. Im Sinne einer Objektivierung der Leiden wurden insbesondere die Art der Verletzung, die Dauer und Art der Behandlung, die Dauer der Arbeitsunfähgikeit und das Ausmaß des Dauerschadens berücksichtigt (Slizyk, IMM-DAT-Kommentierung, 15. Aufl., 2019, Rn. 20).
657
Die Kammer hat folgende Umstände in die Abwägung einbezogen:
658
1. Die Klägerin hat einen ausgesprochen langen und von einer Vielzahl prägender, belastender Behandlungen, Therapien und Schmerzen begleiteten Behandlungsweg hinter sich.
659
Zum Therapieverlauf und zu den berücksichtigten Verletzungen und Verletzungsfolgen nimmt die Kammer vollumfassend Bezug auf die diesbezüglichen Ausführungen im unstreitigen Teil des Tatbestandes sowie auf die Ausführungen zu den unfallbedingten Verletzungen und Verletzungsfolgen in den Urteilsgründen.
660
Hiernach war die Klägerin wegen der unfallbedingten Erkrankungen monatelang in stationärer Behandlung, auch über einen langen Zeitraum in intensivmedizinischer Behandlung. Die erste Zeit nach dem Erwachen war für die Klägerin durch die Realisierung des Verlustes ihres Augenlichtes und die damit verbundene schwere Traumatisierung dabei exorbitant leidvoll.
661
Über die mehrfachen stationären Aufenthalte hinaus musste sich die Klägerin wegen der Verletzungsfolgen auch regelmäßig andauernd ambulant ärztlich und fachärztlich behandeln lassen, Eingriffe über sich ergehen lassen und Medikamente einnehmen, desweiteren zahlreiche Termine bei begleitenden Therapien wahrnehmen.
662
Auch in Zukunft werden weitere Arzttermine, Therapietermine, Behandlungen und Eingriffe notwendig werden.
663
Damit waren und sind die durch die Gesundheitsbeeinträchtigung notwendig gewordenen Behandlungsmaßnahmen insgesamt auch sehr belastend und von ihrer Zeitdauer immens.
664
Insgesamt erlitt die Klägerin damit eine Vielzahl schwerster Verletzungen, welche einen sehr langen Heilungsverlauf verursachten, der immer noch nicht abgeschlossen ist und wohl lebenslang Behandlungen, Untersuchungen und weitere Eingriffe bedingen wird. Die Klägerin erlitt über einen längeren Zeitraum deutliche Schmerzen, leidet auch noch anhaltend unter Schmerzen, insbesondere Kopfschmerzen. Auch in der Nachtruhe wirken sich die Folgen des Unfalls auf ihr Wohlbefinden immer noch aus.
665
Die Dauer der ärztlichen und therapeutischen Heilbehandlung war immens. Die Gesamtzeit des Heilungsprozesses, der nach wie vor nicht ganz abgeschlossen ist, betrug mehrere Jahre.
666
2. Die Klägerin ist durch den Unfall schwerst geschädigt und beeinträchtigt. Sie erlitt langwierige, deutlich ausgeprägte Schmerzen; ihr Wohlbefinden war und ist durch den Unfall nachhaltig, unwiederbringlich und in extremer Form eingeschränkt.
667
Die Klägerin ist durch den Unfall dauerhaft vollständig erblindet, hat ihr komplettes Geruchsvermögen dauerhaft verloren, Teile ihres Geschmackssinns dauerhaft eingebüßt und ist überdies im Hörvermögen dauerhaft eingeschränkt. Sie hat damit einen Großteil ihrer Sinne verloren, damit einhergehend ihre Selbständigkeit und Lebensqualität. In einer Kombination wirkt sich dieser Verlust bzw. die Beeinträchtigung mehrerer Sinne auch leidensverstärkend aus, da die Orientierung, Kommunikation und verbleibende Freuden des Lebens damit noch weiter erschwert werden.
668
Hinzu kommen weitere Folgen, welche das Wohlergehen der Klägerin nachhaltig und intensiv beeinträchtigen. Sie hat mit Deformationen ihres Gesichts zu kämpfen, Schwindelprobleme, Kopfschmerzen und Schlafprobleme, zudem eine Depression und neurologische/psychische Probleme entwickelt.
669
Auch die gynäkologischen Folgen stellen sich für die Klägerin ausgesprochen belastend dar. Sie erlebt beschämende Situationen durch die nicht mehr mögliche Blutungskontrolle. Sie musste ihren Kinderwunsch verletzungsbedingt aufgeben, so dass sich durch den Unfall auch ihre Lebensplanung geändert hat. Die Verletzung geschah zu einem Zeitpunkt, als sie in einen neuen Lebensabschnitt mit ihrem Lebensgefährten starten wollte und damit die Perspektive einer Familienplanung hinfällig wurde. Auch ist ihre Libido unfallbedingt beeinträchtigt. Damit wirkt sich die Verletzung auch stark auf ihre Beziehung zum Lebensgefährten und die damit verbundene Lebensplanung aus.
670
Sie erlitt ein schwerwiegendes Leid, das sich tagtäglich und nahezu rund um die Uhr auf ihren Alltag auswirkt.
671
3. Sie ist schwerstbehindert und in der Mitte ihres Lebens erwerbsunfähig geworden. Infolge des Unfalls musste sie ihre beiden Berufe, welches sie ausgesprochen gerne ausgeübt hat, aufgeben und ihr Berufsleben, welches sie sehr erfüllt hat, beenden. Die Berufsaufgabe kann berücksichtigt werden, da im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung auch die psychischen Belastungen auszugleichen sind (Slizyk, Schmerzensgeldtabelle IMMDAT plus, 2 d „Berufsaufgabe, berufliche Schwierigkeiten, Berufswunschvereitelung“). Mit der Beendigung des Berufslebens ist eine Beeinträchtigung der Lebensfreude, des Selbstwertgefühls und ein allgemeines Gefühl der Nutzlosigkeit verbunden (Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, 17. Aufl., 2021, Rn. 39). Dies ist auch bei der Klägerin der Fall. Bei der Klägerin liegt eine immense psychische Beeinträchtigung durch die Berufsaufgabe vor. Sie kann verletzungsbedingt dauerhaft nicht mehr berufstätig sein, was sie außerordentlich belastet, nachdem sie ihren Wunschberuf als Stewardess ergreifen konnte und in diesem Beruf auch sehr erfolgreich war, mit der Perspektive auf mögliche Beförderungen. Auch hierin spiegelt sich ihr Augenmerk auf Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Erleben, Freiheit wider, was ihr unfallbedingt nahezu vollständig genommen wurde. Gleichzeitig musste sie auch dauerhaft einen weiteren, von ihr geliebten, Beruf als Krankenschwester aufgeben, der ihr auch persönlich sehr wichtig war.
672
4. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin unfallbedingt in ihren Hobbys bzw. der Freizeitgestaltung sehr eingeschränkt ist. Diese Freiheit, in gleicher Weise wie vor dem Unfall persönlichen Neigungen bei der Freizeitgestaltung uneingeschränkt nachgehen zu können, kann bei einer – wie hier – irreversiblen körperlichen Schädigung in tatsächlicher Hinsicht nicht wiederhergestellt werden; insofern ist eine immaterielle Beeinträchtigung der Lebensfreude gegeben (Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, 17. Aufl., 2021, Rn. 41). Vor dem Unfall kochte die Klägerin sehr gerne und ausgiebig, zog sich Pflanzen und Kräuter, hatte Haustiere, um welche sie sich kümmerte. Sie ritt seit ihrer Kindheit. All dies ist der Klägerin verletzungsbedingt vollständig unmöglich geworden. Andere Aktivitäten wie Spazierengehen, Sport treiben, Mode einkaufen, Schminken etc., Restaurantbesuche sind nur in Begleitung und mit einer deutlich eingeschränkten Wahrnehmung davon und damit einhergehend deutlich weniger Erleben und Freude daran möglich.
673
5. Es liegt ein Dauerschaden vor. Die verbleibenden Folgen sind schwerwiegend und dauerhaft; diese werden zeitlebens den Alltag der Klägerin Alltag beeinflussen und ihr kein selbständiges Leben mehr ermöglichen. Die subjektive Wahrnehmung der Belastung infolge der Verletzung und Behinderung ist für die Klägerin durch den Hilfebedarf allgegenwärtig und aufs Stärkste belastend. Die Klägerin kann in Anbetracht ihrer Verletzung nie wieder auch nur annähernd in ihr zuvor geführtes Leben zurückfinden. Die Art und Intensität der körperlichen Einschränkungen der Klägerin ist beträchtlich.
674
Die Klägerin stand zum Unfallzeitpunkt in der Mitte ihres Lebens. Nachdem vorliegend ein Dauerschaden gegeben ist, kommt dem Lebensalter der Klägerin hier auch eine maßgebliche Bedeutung zu, da dies maßgeblich dafür ist, wie lange sich die erlittene Beeinträchtigung auf das Leben der Geschädigten auswirkt (Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, 17. Aufl., 2021, Rn. 31 unter Rekurs auf OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 5200).
675
Der erlittene Dauerschaden ist selbstredend auch mit einer konkreten Beschwernis für das Leben der Klägerin verbunden.
676
6. Ausgehend hiervon ergibt sich auch eine starke persönliche Belastung. Die Klägerin nimmt die nunmehr gegebenen Einschränkungen, ihren Hilfsbedarf mit der damit einhergehenden Abhängigkeit und die Unabänderlichkeit ihrer Situation vollumfänglich wahr und realisiert ihren Zustand umfassend.
677
Dies beeinträchtigt die Klägerin auch subjektiv besonders stark, da sie zuvor ein aktiver, unternehmungslustiger, kontaktfreudiger und geselliger Mensch war, der viel unterwegs war und Freude an Unternehmungen, Einkaufen, Ausflügen, Reisen und sonstigen Aktivitäten hatte und der Selbständigkeit sehr wichtig war. All dies kann sie nur noch mit Hilfe bewerkstelligen und dabei keine visuellen Wahrnehmungen machen, welche einen Großteil des Genussfaktors hierbei ausmachen.
678
Die Klägerin musste unfallbedingt ihr gesamtes Leben, ihre gesamte Lebensplanung, und damit ihren persönlichen Lebensstil gravierend umstellen. Sie verlor einen Großteil ihrer persönlichen Selbstverwirklichung. Die Klägerin wurde verletzungsbedingt in ihrer von ihr gewählten individuellen Lebensführung aufs Stärkste beeinträchtigt.
679
7. Vorschädigungen auf Seiten der Klägerin sind nicht zu berücksichtigen.
680
8. Die Kammer hat weiter berücksichtigt, dass dem Beklagten zu 1) nur (einfach) fahrlässiges Handeln zur Last fällt, wobei sich dies der Höhe nach ohnehin nicht auswirkt, da das Schmerzensgeld, das nur auf Gefährdungshaftung gestützt werden könnte, ohnehin nicht geringer zu bemessen ist als bei einer Haftung aus einfach fahrlässigem Verhalten (Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, 17. Aufl., 2021, Rn. 31 unter Rekurs auf OLG Celle, NJW 2004, 1185). Das (einfach) fahrlässige Verhalten des Beklagten zu 1) wirkt damit nicht schmerzensgelderhöhend (BeckOK-BGB/Walter, Stand: 01.07.2018, § 11 StVG Rn. 14). Ein Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße ist nicht gegeben. Es besteht kein Anhalt, dass schon einfache, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden wären und das nicht beachtet worden wäre, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste (Palandt/Grüneberg, 77. Aufl., 2018, § 277 Rn. 5).
681
9. Ein Mitverschulden ist der Klägerin – wie bereits ausgeführt – nicht anzulasten.
682
Dies gilt auch im Hinblick auf eine Schadensminderungspflicht der Geschädigten. Insofern haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich die Klägerin erfolgsaussichtsreichen Operationen verschlossen, sich in vorwerfbarer Weise ärztlichen Anordnungen oder Empfehlungen widersetzt oder diese missachtet hätte oder aber sich nicht in ausreichender Weise Hilfsmitteln zur Linderung der Schadensfolgen bedienen würde (zum Ganzen: Slizyk, Handbuch Schmerzensgeld, 17. Aufl., 2021, Rn. 147).
683
10. Ein verzögertes Regulierungsverhalten der Beklagten berücksichtigt die Kammer nicht.
684
Das Regulierungsverhalten des Kfz-Haftpflichtversicherers kann nur berücksichtigt werden, wenn es an einem schützenswerten Interesse an der prozessualen Haltung der Schädigerseite fehlt, also eine grundlose Verzögerung der Entschädigungsleistung vorliegt, was nur bei einem erkennbar begründeten Anspruch der Fall sein kann. Eine verzögerte Regulierung scheidet überall dort als Bemessungsfaktor aus, wo die Rechtsverteidigung mit einigem Erfolg den Einwand erhebt, insbesondere auf der Ebene der Haftungsabwägung, für die Folgen der Schädigung nicht einzustehen. Vorausgesetzt ist weiter, dass die verzögerte Regulierung weiteres Leid verursacht oder einer Linderung durch die frühzeitige Verwendung des Schadensersatzes entgegenwirkt (zum Ganzen: BeckOK-BGB/Walter, Stand: 01.07.2018, § 11 StVG Rn. 17; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., 2020, § 253 Rn. 17); insofern ist entsprechender Klägervortrag erforderlich. Auch dann, wenn der Gläubiger den Schadensersatz dazu verwenden wird, um die Auswirkungen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu lindern, kann die Verzögerung der Schadensregulierung eine Anhebung des Schmerzensgeldes zur Folge haben (OLG Saarbrücken, Urteil vom 15.11.2011, 4 U 593/10, BeckRS 2011, 26869).
685
Mit ihren Argumentationen zum Haftungsausschluss bzw. Mitverschulden haben die Beklagten in Anbetracht der Besonderheiten des Falles nicht den akzeptablen Rahmen verständlicher Rechtsverteidigung verlassen; auch die geleisteten Vorschüsse sind in Anbetracht der beklagtenseits vorgebrachten Einwände nicht völlig unzureichend und damit nicht als gegen Treu und Glauben verstoßender Zermürbungsversuch zu werten.
686
11. Weiterhin berücksichtigt die Kammer, dass der Behandlungsverlauf und etliche Folgen von Anfang an unstreitig waren; streitig war im Wesentlichen der Umfang der Einschränkungen (vollständig/teilweise) und deren Dauerhaftigkeit.
687
12. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten fand Berücksichtigung, dass beklagtenseits eine Haftpflichtversicherung beteiligt ist (hierzu: Slizyk, Schmerzensgeldtabelle IMMDAT plus, 2 g „Wirtschaftliche Verhältnisse der Beteiligten“; BeckOK-Spindler, 38. Ed., Stand: 1.11.2013, § 253 Rn. 43).
688
Unter Abwägung all dieser Umstände hält das Gericht unter Berücksichtigung der in vergleichbaren Fällen ausgeworfenen Schmerzensgeldbeträge (BGH, VersR 1970, 281) ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 400.000,00 € für angemessen, aber auch ausreichend.
689
1. Folgende Entscheidungen zur Schmerzensgeldhöhe können im Rahmen einer Vergleichsbetrachtung herangezogen werden:
690
a) + Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Entscheidungen von Kopf bis Fuß, Nr. 5346, Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 31.01.2017, 8 U 155/16, BeckRS 2017, 139887:
691
Bei einer 100 %igen Haftung bei immateriellem Vorbehalt wurde ein Schmerzensgeld von 560.000,00 € zugesprochen.
692
Es handelte sich um einen 21-jährigen Mann, der durch einen groben Behandlungsfehler als Dauerschaden eine Totalerblindung, schwere Hirnnervparesen mit 100 %iger geistiger Behinderung und Gesichtslähmung, eine linksbetonte Tetraspastik mit einem Kraftgrad von etwa 4/5, erlitt, wobei spontanmotorisch die linke Körperhälfte nicht benutzt werden kann; ferner erlitt er eine deutliche Rumpfataxie und Standataxie mit ungerichteter Fallneigung; fortwährend bestehende Schmerzen und zunehmende Konkrakturen aller Gelenke und Osteoporose und Arthrose in den Gelenken; weiterhin Depressionen und einen Wirbelsäulen-Dauerschaden.
693
Bei dem Kläger handelt es sich um einen Intensivpflegefall; er benötigte rund um die Uhr (365 Tage/24 Stunden) Pflege für alle täglichen Verrichtungen (Nahrungsaufnahme, An- und Auskleiden, Toilettengang etc). Seine „Lebensperspektive“ wurde – im jungen Alter von nur 21 Jahren – „vollständig zerstört“. Das OLG wies darauf hin, dass durch das von ihm bestätigte Schmerzensgeld in Höhe von 560.000 EUR „das in Schmerzensgeldtabellen angelegte allgemeine Entschädigungsgefüge nicht gesprengt, sondern fortgeschrieben“ werde und wies auch die Behauptung der Beklagten zurück, dass durch derart hohe Schmerzensgeldbeträge die „Versichertengemeinschaft“ in unzumutbarer Weise belastet werde.
694
b) +Ziffer 2980, Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2017, 35. Auflage, 2017:
695
Das OLG Frankfurt am Main sprach mit Urteil vom 15.02.2007, 16 U 70/06, bei einer 100 %-igen Haftung ohne immateriellen Vorbehalt ein Schmerzensgeld von 254.516,00 € und 200,00 € monatliche Rente zu (Anp. 2017: 287.177,00 €) (= Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Entscheidungen von Kopf bis Fuß, Nr. 3864).
696
Dort erlitt eine 39-jährige Bankkauffrau ein Polytrauma mit multiplen Gesichtsverletzungen, einer totalen Fragmentation des rechten Auges, einer Quetschung des Sehnervs links, einer erst – bis zweitgradigen offenen Fraktur des Oberschenkelknochens, einer drittgradigen offenen Unterschenkelfraktur rechts, einer offenen Wunde am linken distalen Oberschenkel mit Durchtrennung der Sehne des musculus tibialis, einen Hämatothorax rechts, Frakturen des Mittelfußknochens zweiten, dritten und vierten rechts, eine Claviculafraktur rechts und einen Unterarmbruch rechts.
697
Die Geschädigte war drei Monate im Krankenhaus; das rechte Auge wurde entfernt und eine Kugelplombe implantiert. In der Folgezeit erfolgten mehrfache stationäre Behandlungen mit plastischer Rekonstruktion; nach weiteren sieben Monaten eine Rekonstruktion der Tränenkanäle.
698
Als Dauerschaden ist festgehalten, dass diese praktisch erblindet sei und am linken Auge lediglich hell und dunkel unterscheiden könne sowie gelegentlich eine schattenhafte Wahrnehmung größerer Gegenstände habe. Sie habe den Geruchssinn verloren und sei im Geschmackssinn eingeschränkt.
699
Ferner ist festgehalten Zustand nach multiplen Mittelgesichtsfraktur mit Rekonstruktionen, Entstellung durch Narben, fehlender Lidschluss und Verengung der Nase; schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Extremitäten; auf Rollstuhl und Inanspruchnahme anderer Menschen angewiesen (Anziehen, Treppen steigen, Toilettengänge und Unterschriftsleistungen).
700
Bei den besonderen Umständen ist festgehalten, dass es im Kopf- und Gesichtsbereich immer wieder zu eitrigen Entzündungen gekommen sei, die zum Teil operativ hätten beseitigt werden müssen. Weiterhin bestehe ein erhöhtes Krebsrisiko und die Nutzung eines Blindenhundes sei wegen Hundehaarallergie ausgeschlossen.
701
c) +Weiter kann die Nummer 2195, Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2017, 35. Auflage, 2017 (= Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Entscheidungen von Kopf bis Fuß, Nr. 1418 bzw. 2010), vergleichend herangezogen werden.
702
Dort erblindete ein dreijähriger Junge nach Fortschreiten der Verminderung der Sehkraft nach vier Jahren mit dem 7. Lebensjahr völlig (Totalerblindung auf beiden Augen; Entfernung des rechten Auges, keine Sehkraft mehr auf dem linken Auge).
703
Hierfür sprach das LG Hanau am 21.03.1995, 4 O 944/87, bestätigt durch das OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.02.1996, 23 O 171/95, ein Schmerzensgeld von 500.000,00 DM und einer Rente von 500,00 DM zu (Anp. 2017: 334.060,00 €). Die zugesprochene Höhe sei außergewöhnlich, doch werde der Rahmen des Üblichen nicht überschritten. Der Verlust jeglicher visueller Erkenntnis- und Erlebnisfähigkeit gebiete bereits einen hohen Schmerzensgeld-Sockelbetrag. Regulierungsverzögerung wurde angenommen.
704
d) +Unter der laufenden Nummer 2202, Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2017, 35. Auflage, 2017, ist festgehalten, dass bei einer Frau, die den Geruchssinn verlor und deren Geschmackssinn beeinträchtigt ist (Dauerschaden) vom Landgericht Wuppertal am 10.12.1996 60.000,00 DM Schmerzensgeld zugesprochen wurden (Anp. 2017: 39.256,00 €).
705
e) + Nach Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Entscheidungen von Kopf bis Fuß, Nr. 3048, wurde vom OLG Naumburg, Urteil vom 28.11.2001, 1 U 161/99, bei einer 100 %igen Haftung ein Schmerzensgeld von 255.645,94 € mit einer Rente von 306,78 € bei immateriellem Vorbehalt ausgeworfen (kapitalisiert: 328.760 €). Es handelte sich um einen Geburtshilfefehler, schwerster mit mehrfachen groben Behandlungsfehlern. Extreme Regulierungsverzögerung war gegeben. Als Dauerschaden ist festgehalten Totalerblindung, Rollstuhl, Sprachstörung, Inkontinenz u.a.
706
f) + Nach Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Entscheidungen von Kopf bis Fuß, Nr. 3259, wurde vom KG, Urteil vom 15.03.2004, 20 U 19/03, bei einer 100 %igen Haftung ohne immateriellen Vorbehalt ein Schmerzensgeld von 230.081,35 € und eine Rente von 332,34 € ausgeworfen.
707
Es handelte sich um eine Totalerblindung eines 4-jährigen Jungen nach Gehirnschädigung infolge behandlungsfehlerbedingt zu hohem Gehirndruck.
708
g) +Nach Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Entscheidungen von Kopf bis Fuß, Nr. 5177, wurde vom OLG Stuttgart, Urteil vom 03.02.2016, 1 U 135/15, bei einer 100 %igen Haftung mit immateriellem Vorbehalt ein Schmerzensgeld von 200.000,00 € angesetzt.
709
Ein einjähriges Kind erlitt infolge eines groben Behandlungsfehlers eine komplette Netzhautablösung mit unumkehrbarer Totalerblindung.
710
h) + Weiter wurde nach Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Entscheidungen von Kopf bis Fuß, Nr. 1010, vom OLG Saarbrücken bei einer 100 %igen Haftung ohne immateriellem Vorbehalt ein Schmerzensgeld von 160.000,00 DM zugesprochen. Es handelte sich um einen Mann mittleren Alters mit Totalerblindung beider Augen.
711
i) + Nach Slizyk, beck-online.Schmerzensgeld, Entscheidungen von Kopf bis Fuß, Nr. 3363, wurde vom OLG Köln, Urteil vom 26.05.1998, 22 U 254/97, bei einer 66 %igen Haftung ohne immateriellem Vorbehalt ein Schmerzensgeld von 153.387,56 € und eine Rente von 204,54 € ausgeworfen.
712
Eine 23-jährige Frau erlitt durch einen Pferdetritt gegen den Kopf eine dauerhafte Totalerblindung mit dauerhaften psychischen Folgen.
713
2. Diese Entscheidungen exemplarisch als Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt und unter Berücksichtigung der Abweichungen nach Art und Ausmaß der Beeinträchtigungen und Gegebenheiten der jeweiligen Einzelfälle sowie der Geldentwertung seit Erlass der Entscheidungen, insbesondere auch nach Abwägung der vergleichbaren und nicht vergleichbaren Gesichtspunkte, erachtet die Kammer in einer Gesamtabwägung einen Gesamtbetrag von 400.000 € als angemessen.
714
Hierbei berücksichtigt die Kammer in besonderem Maße, dass bei der Klägerin über die vollständige Erblindung hinaus auch noch der weitere Sinn Geruch vollständig aufgehoben ist, darüber hinaus das Gehör eingeschränkt sowie der Geschmack beeinträchtigt ist, zudem neurologische und psychologische Probleme gegeben sind, was der Klägerin zum einen die Orientierung und Verständigung noch weiter erschwert und zum anderen zu einer Summierung der Beeinträchtigungen führt, welches über das ohnehin bereits schwere Schicksal der vollständigen dauerhaften Erblindung hinaus die Qualität und das Ausmaß des Leidens noch deutlich verstärkt.
715
Insgesamt ist festzustellen, dass die Klägerin schwerste physische und deutliche psychische Beeinträchtigungen erlitt, die eine langwierige Heilbehandlung mit einer Vielzahl von Operationen und Therapien erforderte,, schwere Leiden verursachten, eine lebenslange Abhängigkeit und Angewiesenheit auf Dritte zur Bewältigung bzw. Verständlichmachung des Alltages und täglichen Lebens hervorgerufen haben, die gesamte Berufs- und Familienplanung der zum Unfallzeitpunkt 35-jährigen Klägerin zunichte gemacht haben und der Klägerin einen Großteil ihrer Lebensfreude raubten.
716
Bezahlt wurden hierauf bereits insgesamt 150.000,00 €. Damit stehen restliche 250.000,00 € zur Zahlung aus.
717
In Bezug auf die erfolgten Teilzahlungen wurde zuletzt jeweils übereinstimmend für teilerledigt erklärt.
718
Auch dem Feststellungsantrag zum Schmerzensgeld war – in der aus dem Tenor ersichtlichen Form bzw. Beschränkung auf nicht vorhersehbare Folgen – stattzugeben.
719
Die Klägerin hat dem Grunde nach wegen des streitgegnständlichen Unfalls gegen die Beklagten zu 1) bis 5) einen Schadensersatzanspruch (s.o.).
720
Die Klägerin hat daher neben dem Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes auch einen Anspruch auf Schmerzensgeld für künftige, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht vorhersehbare, also noch nicht ernstlich zu erwartende, weitere Folgen.
- Feststellungsantrag materielle Schäden -
721
Die Klägerin hat ferner einen Anspruch auf Erstattung aller bereits entstandenen (über die bezifferten Schäden hinaus) und noch zukünftig entstehenden materiellen Schäden.
722
Solche sind auch wahrscheinlich. Die Klägerin war berufstätig und ist infolge des Unfalls erwerbsunfähig. Sie hat deshalb einen Verdienstausfall erlitten. Auch stehen Mehraufwendungen etc. im Raum.
723
Auch sind weitere Behandlungen und Eingriffe wahrscheinlich.
- Verdienstausfallschaden -
724
Als Verdienstausfallschaden für den Zeitraum 28.07.2014 bis 30.11.2017, wie beantragt, hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von 37.034,97 €, davon 20.379,63 € bezüglich der Tätigkeit als Flugbegleiterin bei der … und 16.655,34 € bzgl. der Tätigkeit als Krankenschwester beim ….
725
Der nach §§ 249 ff, 842, 843 BGB zu ersetzende Erwerbsschaden umfasst grundsätzlich auch den Verlust des Einkommens und alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Aufl., 2016, Rn. 40).
726
Wie sich aus dem Protokoll der Sitzung vom 14.06.2021, Bl. 1358 d.A., ergibt, wurde beklagtenseits zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt, dass die Klägerin verletzungsbedingt ihren Tätigkeiten als Flugbegleiterin und Krankenschwester nicht mehr nachgehen konnte. Sie war damit, was sich ohne Weiteres auch aus der Art und Qualität der Verletzungsfolgen ergibt, unfallbedingt arbeitsunfähig. Eine vollständig Erblindete kann weder als Stewardess noch als Krankenschwester tätig sein.
727
Beklagtenseits wurde im Termin vom 14.06.2021, Bl. 1358 d.A., weiterhin erklärt, dass Lohnersatzansprüche bzw. Krankengeld nicht bestritten werden, soweit sie anlagentechnisch nachgewiesen werden. Weiterhin wurde das von der Klägerin bei der … erzielte Gehalt nebst Nebenleistungen insofern unstreitig gestellt, als sich die geltend gemachten Beträge aus den vorgelegten Unterlagen ergeben. In Bezug auf den Schriftsatz der Klagepartei vom 07.05.2021 erklärten die Beklagtenvertreter weiter, dass der Vortrag insofern nicht in Abrede gestellt wird, als er durch die vorgelegten Unterlagen nachgewiesen ist. Es wurde unstreitig gestellt, dass die Klägerin als Krankenschwester tätig war. Der diesbezügliche Verdienst wurde insoweit unstreitig gestellt, als er durch Unterlagen nachgewiesen ist. Dass die Klägerin den bei der … und als Krankenschwester verdienten Verdienst ohne den Unfall weiterhin bezogen hätte, mit Ausnahme der vorgetragenen Corona-Kündigungs-Problematik, wurde ebenfalls unstreitig gestellt.
728
Als berücksichtigungsfähiger entgangener Verdienst im Zeitraum vom 28.07.2014 bis 30.11.2017 ergibt sich für die … ein Betrag von 20.379,63 €.
729
1. Die Kammer geht nach § 287 ZPO von einem gesetzlichen Nettoverdienst der Klägerin bei der … einschließlich aller Zulagen im hier relevanten Zeitraum vom 28.07.2014 bis 30.11.2017 in Höhe von insgesamt 81.846,68 € aus.
730
a) Gemäß den Ausführungen der Zeugin …, Personalreferentin bei der …, Bl. 1445 d.A., hatte eine der Klägerin vergleichbare Mitarbeiterin mit identischem Verlauf nach Einstellungsdatum, Vergütungssteigerung, Steuerklasse, Arbeitszeitmodell im Zeitraum vom 01.08.2014-30.11.2017 einen gesetzlichen Nettoverdienst von 81.578,76 € inklusive sämtlicher Zulagen. Nach den Ausführungen der Zeugin … stellt dieser Betrag einen repräsentativen Wert dar, der für die Klägerin bei regulärer Arbeitsleistung ohne Unfall als Nettoverdienst ungefähr angenommen werden kann, auch wenn Mehrflugstunden und Bordverkaufsprovision variabel sind.
731
Hieraus ergibt sich für diese 1.218 Tage ein täglicher Betrag von 66,98 €. Für den Zeitraum vom 28.07.-31.07.2014 sind 4 zusätzliche Tage zu berücksichtigen, also 267,92 €. Damit ergibt sich ein Gesamtbetrag von 81.846,68 €.
732
b) Dieser Betrag des Verdienstausfalls im angegebenen Zeitraum ergibt sich für die Kammer in gleicher Höhe auch im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO in einer Anknüpfung an die Schätzgrundlagen zum entgangenen Verdienst in einer Gesamtschau der vorgelegten Unterlagen zum Verdienst bei der … (Anlagen K 54-K 57, K 125 ff) und den diesbezüglichen informatorischen Angaben der Klägerin sowie den Angaben der Zeuginnen … und … im Termin. Auch insoweit geht die Kammer gem. § 287 ZPO davon aus, dass der Klägerin im Zeitraum vom 28.07.2014 bis 30.11.2017 ein Verdienst bei der … in Höhe von insgesamt 81.846,68 € entgangen ist.
733
2. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit bei der … erhielt die Klägerin im Zeitraum von 08/2014 bis 11/2017 insgesamt 49.823,85 € netto an Lohnersatzleistungen.
734
a) Insofern nimmt die Kammer zunächst auf die Darlegungen der Klagepartei in den Schriftsätzen vom 05.12.2017 (Bl. 295 ff. d.A.), 05.10.2020 (Bl. 1030 ff d.A.) und 07.05.2021 (Bl. 1268 ff d.A.) Bezug. Die Lohnersatzleistungen ergeben sich aus den genannten Anlagen K 90 bis K 99, K 111 bis K 113, K 116 ff.
735
b) Damit sind folgende Lohnersatzleistungen zu berücksichtigen:
- 08/2014: Arbeitgeber …/Entgeltfortzahlung/Gehalt: 1.374,30 €.
- 29.08.2014 bis 15.01.2016: Krankengeld …: 23.914,35 € abzgl. Rückforderung der Krankenkasse für diesen Zeitraum in Höhe von 8.331,92 € = 15.582,43 €
- 04/2015: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 70,09 €
- 05/2015: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 977,12 €
- 10/2015: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 244,32 €
- 11/2015: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 139,58 €
- 01/2016: Arbeitgeber/Gehalt …, sonstige Vergütungsbestandteile: 59,82 €
- Erwerbsminderungsrente 04-06/2015 (netto) 3 × 866,12 € = 2.598,36 €
- Erwerbsminderungsrente 07/2015-02/2016 (netto) 8 × 884,28 € = 7.074,24 €
- Erwerbsminderungsrente 03/2016-06/2016 (netto) 4 × 882,30 € = 3.529,20 €
- Erwerbsminderungsrente 07/2016-12/2016 (netto) 6 × 919,77 € = 5.518,62 €
- Erwerbsminderungsrente 01/2017-06/2017 (netto) 6 × 917,71 € = 5.506,26 €
- Erwerbsminderungsrente 07/2017-11/2017 (netto) 5 × 935,18 € = 4.675,90 €
Die Klägerin erhielt ab 02/2016 Arbeitslosengeld 1 seitens der Bundesagentur für Arbeit ausbezahlt wie folgt:
- 03/2016 bis 01/2017: monatlich je 1.059,30 € = 11 × 1.059,30 € = 11.652,30 €
abzüglich 10.802,95 € (Rückforderung von Seiten der ARGE/Verrechnung mit der Erwerbsminderungsrente durch die DRV Bund mit Forderungen der ARGE wegen dieser Leistungen, 03/2016-01/2017 in Höhe von 10.802,95 €).“
->> insgesamt 49.823,85 €
736
Insgesamt erhielt die Klägerin Lohnersatzleistungen im Zeitraum 08/2014 bis 11/2017 in Höhe von zusammen 49.823,85 €.
737
c) Das von der Klägerin erhaltene Blindengeld ist insofern nicht anrechnungsfähig. Eine Anrechnung scheidet in der Regel bei fehlender Legalzession aus (Küppersbusch/Höher, 12. Aufl., 2016, Rn. 90. Dies ist beim Blindengeld der Fall, da insofern keine Kongruenz besteht (Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., 2020, § 116 SGB X Rn. 23; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., 2007, § 34 Rn. 4; so auch OLG Hamm, Urteil vom 09.09.2016, 26 U 14/16).
738
Es entspricht auch dem Zweck der Leistung, diese der Klägerin zu belassen. Hierdurch sollen die besonderen Erschwernisse, denen Blinden ausgesetzt sind, erleichtert werden. Diese Leistung soll nach dem Zweck nur der Klägerin wegen der besonders belastenden Art der Schädigung, aber nicht dem Schädiger zugute kommen.
739
3. Im genannten Zeitraum ist ein Vorteilsausgleich hinsichtlich ersparter Aufwendungen bzgl. der Tätigkeit bei der … AG im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO in Höhe von 11.643,20 € vorzunehmen. Bei Verdienstausfallschäden sind die ersparten Kosten für die Fahrten zur und von der Arbeitsstätte abzuziehen (BeckOK-BGB/Flume, 47. Ed., Stand: 01.08.2018, § 249 Rn. 339).
740
a) Dabei geht die Kammer von Fahrtkosten zum Arbeitsantritt bei der … in … vom Wohnort … von 432,00 € pro Jahr aus (ca. 30 km vom Wohnort … zum Flughafen …, 4 × monatlich, a’0,30 € × 12 Monate) und von Standgebühren für das Kfz der Klägerin am Flughafen … von 240,00 € pro Jahr, zudem von Fluggebühren ca. 64,00 € für Hin- und Rückflüge …, 4 × monatlich, 12 × jährlich = 3.072,00 €, aus. Damit ergeben sich ca. 3.744,00 € pro Jahr, damit ca. 312,00 € pro Monat. Der genannte Zeitraum erfasst 40 Monate, damit 12.480,00 €. Die 4 fehlenden Tage für 07/2014 addiert die Kammer nicht auf, da insofern 4 Flüge monatlich berücksichtigt werden und die Kammer im Wege der Schätzung davon ausgeht, dass sich diese 4 Tage deshalb nicht relevant auswirken werden.
741
Für urlaubsbedingte Abwesenheit berücksichtigt die Kammer 5 Wochen pro Jahr, sodass von vorstehenden Beträgen wiederum 1.170,00 € in Abzug zu bringen sind.
742
Damit ergibt sich der Abzugsbetrag von 11.310,00 €.
743
b) Die Arbeitskleidung wurde der Klägerin von Seiten des Arbeitgebers gestellt. Ausgaben für Fachliteratur, Beiträge für Berufsverbände, Werkzeug etc. hatte die Klägerin nicht.
744
Für die Kosten der Reinigung der Arbeitskleidung „Stewardessen-Kostüm“, Rock und Jacke, setzt die Kammer im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO Ausgaben in Höhe von 4 × jährlich 25,00 €, also 100,00 € jährlich, damit 8,33 € monatlich, an. Für 40 Monate ergeben sich 333,20 €.
745
c) Es ergibt sich ein Gesamtabzug von 11.643,20 €.
746
4. Damit ergibt sich ein entgangener Verdienst bzgl. der Tätigkeit der Klägerin bei der … vom 28.07.2014 bis 30.11.2017 in Höhe von insgesamt 20.379,63 € (81.846,68 € entgangener Nettoverdienst abzüglich Lohnersatzleistungen 49.823,85 € abzüglich Vorteilsausgleich 11.643,20 €).
747
5. Weiter geht die Kammer nicht davon aus, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Flugbegleiterin coronabedingt gekündigt worden wäre. Wie die Zeugin … glaubhaft bekundete, besteht bei der … bis Mitte 2024 Kündigungsschutz; Kündigungen stehen hiernach auch aktuell nicht im Raum.
748
Kurzarbeitsabschläge sind für den zu berechnenden Zeitraum (s.o.) ebenfalls nicht relevant, da die Kurzarbeit nach den Angaben der Zeugen … erst seit 11.03.2020 besteht.
749
6. Für den hier zu berechnenden Zeitraum ist ferner keine Gehaltssteigerung durch Beförderung bei der … zu berücksichtigen, da nach den glaubhaften Angaben der Zeugin … bis zur Beförderung zur „P1“, der ersten Beförderungsstelle, mindestens 10 Jahre vergehen; dann würden, so die Zeugin, die Überlegungen erst einmal losgehen, ob man vielleicht zum „P1“ aufsteigen könne. Die Klägerin bekam den Arbeitsvertrag im Februar 2008. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie bis Ende 2017 bereits „P1“ gewesen wäre.
750
Als entgangener Verdienst bzgl. der Krankenschwestertätigkeit sind im Zeitraum vom 01.09.2014 bis 30.11.2017 16.655,34 € berücksichtigungsfähig.
751
1. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin nach dem Umzug zu ihrem Lebensgefährten in … ihre Tätigkeit als Krankenschwester wieder aufgenommen hätte. Sie selbst bestätigte dies in ihrer informatorischen Anhörung; auch ihre Mutter bekräftigte dies glaubhaft in ihrer Zeugenvernehmung ebenso wie der Zeuge …, der auch erklärte, dass die Klägerin diesbezüglich bereits konkrete Schritte, nämlich Gespräche mit den Krankenhäusern in … und …, unternommen hatte. Diese Absicht bestätigte darüber hinaus auch die Zeugin ….
752
2. Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass die Klägerin eine vergleichbare Tätigkeit zeitnah nach dem beabsichtigten Umzug wieder aufgenommen hätte, da insofern bereits Vorgespräche mit den Krankenhäusern … und … stattfanden. Die Kammer geht diesbezüglich von einer Wiederaufnahme der Tätigkeit, wenn der Unfall nicht passiert wäre, ab 09/2014 aus.
753
3. Für den hier relevanten Zeitraum vom 01.09.2014 bis 30.11.2017 geht die Kammer im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO von einem insoweit zu erzielenden monatlichen Nettoverdienst in Höhe von 427,06 € aus. Die Schätzung beruht auf dem durchschnittlich von der Klägerin zuvor in einer vergleichbaren Einrichtung in … erzielten monatlichen Nettoverdienst, wobei die Kammer dabei insbesondere Bezug nimmt auf die Anlagen K 59 bis K 60 und die Angaben der Zeugen … und …. Die Kammer geht im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO davon aus, dass die Klägerin im Raum … in einer vergleichbaren Einrichtung auch einen vergleichbaren Verdienst erzielt hätte, zumal Tätigkeit und deren Umfang durch die Klägerin hätten beibehalten werden sollen.
754
Für 39 Monate ergibt sich damit ein Betrag in Höhe von 16.655,34 €.
755
4. Die …-Versorgungsrente ist nicht anrechenbar.
756
Es handelt sich hierbei um eine freiwillige arbeitsvertragliche Pensionszusage der … gegenüber der Klägerin. Es entspricht dem Zweck der Leistung, diese der Klägerin zu belassen. Es handelt sich um ein Pendant zur früheren Arbeitsleistung der Klägerin, welche nur der Klägerin, aber nicht dem Schädiger zugute kommen soll (ähnlich/vrglb. OLG München, Urteil vom 02.02.200, 7 U 4410/99, r+s 2002, 15; Geigel/Pardey, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., 2020, Kap. 4, Rn. 136 ff, 155 ff).
757
5. Die Arbeitskleidung wurde der Klägerin von Seiten des Arbeitgebers gestellt. Ausgaben für Fachliteratur, Beiträge für Berufsverbände, Werkzeug etc. hatte die Klägerin nicht.
758
Der beklagtenseits für den Fall der Realisierung des Kinderwunsches der Klägerin in den Raum gestellte Verdienstverlust ist vorliegend nicht relevant, da der Verdienstausfall nur für die Zeit vom 28.07.2014 bis 30.11.2017 beziffert wurde und die Kammer nicht davon ausgeht, dass dieser Aspekt in diesem Zeitraum bereits zum Tragen gekommen wäre. Die Klägerin und der Zeuge … kannten sich noch nicht sehr lange; der Umzug stand erst bevor. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht davon überzeugt, dass er „der Richtige“ wäre, die Beziehung stand erst am Anfang, wie auch die Zeugen bestätigten. Die Klägerin wollte sich zum diesem Zeitpunkt die weitere Entwicklung noch offenhalten. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie dem Kinderwunsch alsbald hätte nachgehen wollen, zumal zuvor noch berufliche Veränderungen anstanden (Wiederaufnahme der Krankenschwestertätigkeit). Hätte die Klägerin einen zeitnahen Kinderwunsch gehabt, hätte sie diese berufliche Veränderung wohl zunächst zurückgestellt. Eine Reduzierung des entgangenen Verdienstes ist damit für den hier relevanten Zeitraum nicht angezeigt.
759
Auch liegen keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer „gestörten Erwerbsbiographie“ bei der Klägerin hinsichtlich beider Berufe vor, insbesondere unter Zugrundelegung der Angaben der Zeugen … und … und … sowie ….
760
Damit ist ein Anspruch in Höhe von insgesamt 37.034,97 € begründet.
- Haushaltsführungsschaden -
761
Der Ausfall der Haushaltstätigkeit gehört zu den vermehrten Bedürfnissen, soweit er sich auf die eigene Bedarfsdeckung bezieht (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., 2020, § 843 Rn. 8).
762
Wenn, wie vorliegend, keine Hilfskraft eingestellt wird, besteht der Schaden in dem Nettolohn, der der Hilfskraft für diese Arbeit bezahlt werden müsste. Die Bemessung erfolgt nach Arbeitszeitaufwand und Qualifikation, wobei insbesondere die konkret auszuführende Tätigkeit, Größe des Haushalts, Kinderzahl und Verhältnis zur Erwerbstätigkeit des Geschädigten als Kriterien dienen; ggf. ist eine Schätzung nach § 287 ZPO anhand von Tabellen vorzunehmen (zum Ganzen: Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., 2020, § 843 Rn. 8 unter Rekurs auf BGH, NJW-RR 1990, 34 und BGH, NJW 2009, 2060).
763
1. Ausgangspunkt der Berechnung ist der (fiktive) Ein-Personen-Haushalt der Klägerin in ….
764
a) Im Rahmen einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, wie hier gegeben, besteht der Anspruch des Verletzten grundsätzlich nur, soweit der Eigenbedarf gemäß § 843 Abs. 1 2. Alt. BGB, § 11 Abs. 1 S. 1 2. Alt. StVG, betroffen ist (vgl. dazu auch Schirmer, DAR 2007, 8). Hingegen ist der auf Wegfall des Fremdbedarfs gestützte Anspruch gemäß § 843 Abs. 1 1. Alt. BGB, § 11 Abs. 1 S. 1 1. Alt. StVG grundsätzlich zu verneinen (so auch die wohl überwiegende Rspr., etwa OLG Nürnberg, NZV 2006, 209; OLG Köln, ZfS 1984, 132; a.A.: LG Zweibrücken, NJW 1993, 3207; OLG Karlsruhe DAR 1993, 391; ausführlich zum Meinungsstand: Huber, NZV 2007, 1). Denn die Haushaltsführungspflicht entsteht in dem gesetzlichen Rahmen der §§ 1353, 1356, 1360 BGB (Unterhaltspflicht im Umfang der Abrede der Ehegatten), den es für die nicht eheliche Lebensgemeinschaft gerade nicht gibt (zum Ganzen: OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2009, 1 U 95/08, BeckRS 2009, 24688).
765
Insoweit kann die Klägerin grundsätzlich lediglich Ersatz für den Ausfall in der Haushaltsführung verlangen, wie sie in ihren eigenen Bedürfnissen betroffen ist. Bei der Bemessung ist dabei allerdings ein „fiktiver Einpersonenhaushalt“, zugrunde zu legen d.h. es ist so zu rechnen, als hätte die verletzte Klägerin als Alleinstehende einen Haushalt geführt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2009, 1 U 95/08, BeckRS 2009, 24688; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Aufl., 2016, Rn. 183 m.w.N.).
766
Da tatsächlich keine Ersatzkraft eingestellt wurde, handelt es sich um eine fiktive Berechnung.
767
Hierfür kann lediglich der Nettobetrag (unter Herausnahme von Steuern und Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Sozialversicherungsabgaben) … abgerechnet … werden (Burmann/Heß/Jahnke/Janker-Jahnke, StVR, 22. Aufl., 2012, § 842 Rn. 11 unter Rekurs auf BGH VersR 1979, 670). Zusätzliche Abgaben werden aber auch nicht geltend gemacht.
768
b) Auch die Klägerin geht als Bezugspunkt gem. Schriftsatz vom 05.12.2017; Bl. 303 d.A., vom Ein-Personenhaushalt in … aus. Die Beklagten zu 3) und 4) erachteten mit Schriftsatz vom 17.01.2018 (Bl. 356 d.A.) ebenfalls den fiktiven Ein-Personenhaushalt als zutreffenden Ausgangspunkt der Berechnung. Die Beklagten zu 1), 2) und 5) erklärten sich im Termin vom 14.06.2021 ebenfalls damit einverstanden, dass die Kammer von einem 1-Personen-Haushalt ausgeht.
769
Im Termin vom 14.06.2021 wurde beklagtenseits zu 1), 2) und 5) zudem der Wohnungszuschnitt und die Ausgestaltung der Wohnung in … sowie deren Größe sowie die einzelnen Tätigkeiten mit Ausnahme der dafür erforderlichen Zeit unstreitig gestellt; beklagtenseits zu 3) und 4) war dies in gleicher Form unstreitig. Bzgl. der Wohnung(en) in … waren diese Parameter ebenfalls unstreitig. Die Beklagten erklärten sich auch mit einer Schätzung des Zeitaufwandes gem. § 287 ZPO einverstanden.
770
2. Das Gericht ist zunächst davon überzeugt, dass die fehlende bzw. eingeschränkte Fähigkeit zur Haushaltsführung seit dem Unfall auf dem Unfallereignis mit den daraus resultierenden Folgen basiert und dass die Klägerin vor dem Unfallereignis in Eigenregie ihren Haushalt in … verrichtet hat.
771
Da Familienmitglieder vor dem Unfall nicht bzw. nur sehr wenig im Haushalt mithelfen mussten, entfällt der Schaden nicht bei deren Hilfe oder Unterstützung (Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl., 2013, S. 11). Dies gilt gleichfalls im Hinblick auf die Unterstützungsleistungen des Lebensgefährten der Klägerin. Es ist bei kostenloser Unterstützung durch die Familie bzw. Bezugspersonen auf den Nettolohn einer vergleichbaren, entgeltlich eingesetzten Hilfskraft abzustellen (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Aufl., 2016, Rn. 265 unter Rekurs auf BGH, NZV 1999, 76).
772
3. Die Kammer stuft den Haushalt der Klägerin als Durchschnittshaushalt ein (vgl. hierzu auch Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl., 2013, Tabelle 7_1, S. 103). Ob insofern, wie klägerseits geltend gemacht, die Wohnung in … oder, wie beklagtenseits zu 3) und 4) geltend gemacht, die Wohnung(en) in … Bezugspunkt der Berechnung sind, muss nicht entschieden werden, da die genannte Einstufung als Durchschnittshaushalt für die Haushalte gleichermaßen gilt. Wesentliche, relevante Abweichungen haben sich insofern nicht ergeben.
773
Hierbei berücksichtigt das Gericht insbesondere die Größe und Struktur des klägerischen Haushaltes und die Tatsache, dass die Klägerin vor dem Unfall voll berufstätig in zwei Berufen war.
774
Es handelt sich um mittlere Wohnverhältnisse. Es ist von einer durchschnittlichen technischen Ausstattung auszugehen. Auch erzielte die Klägerin ein durchschnittliches Nettoeinkommen. Ihre Berufstätigkeit ist als mittlere Position einzuschätzen. Damit erscheint insgesamt die Annahme einer mittleren Lebenshaltung mit daraus abzuleitenden mittleren Anforderungen in der Aufgabenerledigung gerechtfertigt.
775
4. Die Kammer geht im Rahmen des § 287 ZPO davon aus, dass die Klägerin für ihre Haushaltsführung vor dem Unfall insgesamt 28 Wochenstunden aufgewendet hat.
776
a) Bei einem 1-Personen-Haushalt mit Verhaltensalternative 2 bzw. Anspruchsstufe 2 (mittel), wie vorliegend, ist bei einer erwerbstätigen Frau von grundsätzlich 23,1 Wochenstunden auszugehen (Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl., 2013, Tabelle 1, S. 44 bzw. 47).
777
Bei der Schätzung des Haushaltsführungsschadens nach § 287 ZPO darf sich der Tatrichter grundsätzlich an dem Tabellenwerk von Schulz-Borck/Hofmann orientieren (BGH, Urteil vom 03.02.2009, VI ZR 183/08, r+s 2009, 262; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2009, 1 U 95/08).
778
b) Die Klägerin selbst schätzte den zeitlichen Aufwand in ihrem Vortrag und auch in ihrer informatorischen Anhörung etwas höher ein. Insbesondere schätzte sie, was auch durch die Angaben der Zeugen … und … bestätigt wurde, den Kochaufwand höher ein und teilte mit, sehr ordentlich und sauber gewesen zu sein, sodass die Kammer im Rahmen der Schätzung gem. § 287 ZPO insofern bei den Punkten Ernährung und Reinigung eine etwas höheren Stundenanzahl, als nach der Tabelle vorgegeben, in Ansatz bringt.
779
c) Aus allen Bereichen, die in der Tabelle genannt werden (Ernährung, Bekleidung, Gesundheits- und Körperpflege [Reinigung, Pflege Flächen Sanitärbereich], Schlafen, Wohnen [Reinigung Wohnzimmer]) wurden Tätigkeiten genannt. Unter „Allgemeines“ ist zusätzlich ein weiterer Aufwand berücksichtigt.
780
d) Eine Zeit für die Tierhaltung ist dem Hobbybereich zuzuordnen, wurde beim Schmerzensgeld berücksichtigt und ist daher bei der Haushaltsführung nach Auffassung der Kammer zeitlich nicht zu berücksichtigen (vgl. auch Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl., 2013, Tabelle 1, S. 68; auch das OLG München, Schlussurteil vom 21.04.2011, 1 U 2363/10, BeckRS 2011, 12191, nahm hierfür keinen Aufschlag vor). Bzgl. der Pflanzenpflege auf dem Balkon ist ebenfalls kein zusätzlicher Zeitaufwand in Ansatz zu bringen, zum einen, da dies ebenfalls dem Hobbybereich zuzuordnen ist und zum anderen, da entsprechende Arbeiten jedenfalls nur hinsichtlich eines Gartens ansatzfähig wären (vgl. auch Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl., 2013, Tabelle 1, S. 68; auch das OLG München, Schlussurteil vom 21.04.2011, 1 U 2363/10, BeckRS 2011, 12191, setzte für eine Terrasse mangels Gartenbestandteils keinen Aufwand an).
781
e) In der Tabelle sind maßgeblich die klassischen Haushaltstätigkeiten im engeren Sinne, insbesondere Kochen, Spülen, Abwaschen und Putzen, aufgeführt. Daneben können beim Haushaltsführungsschaden weitere Arbeiten wie Reparaturen, Wagenpflege und Schriftverkehr anfallen. Diese Arbeiten sind ebenfalls dem Haushalt zuzuordnen (BGH, Urteil vom 29.03.1988, VI ZR 87/87, NZV 1988, 60).
782
Damit sind vorliegend auch die übrigen von der Klägerin vorgebrachten Arbeiten, insbesondere auch die Arbeiten der Organisation (Terminverwaltung, Korrespondenzverwaltung/Schriftverkehr, Karten, Bankgeschäfte etc.) dem Grunde nach berücksichtigungsfähig.
783
f) In einer Gesamtschau schätzt die Kammer den Zeitaufwand vorliegend auf insgesamt 28 Wochenstunden.
784
Die geschätzte Stundenzahl von wöchentlich 28 Stunden ist in Anbetracht der Ausstattung und der Größe des Haushaltes und der damit verbundenen Tätigkeiten angemessen und nachvollziehbar.
785
5. Die Kammer geht im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO von einer konkreten unfallbedingten Minderung der Haushaltsführungstätigkeit der Klägerin von 26 Stunden aus, d.h. die Kammer schätzt den Anteil, der von dieser Arbeitszeit von einer Hilfskraft übernommen werden müsste, um die Behinderung des Haushaltsführenden auszugleichen, auf 26 Stunden wöchentlich.
786
Insofern legt die Kammer der Schätzung zunächst die informatorischen Angaben der Klägerin zu ihren verbleibenden Fähigkeiten und Möglichkeiten der Haushaltsführung sowie die Angaben der Zeugen … und … zugrunde, welche insofern einen guten Einblick in den Alltag der Klägerin haben und das verbleibende Leistungsspektrum der Klägerin durch jahrelange Erfahrung im Umgang mit der Klägerin einschätzen können. Diese Einschätzung korrespondiert auch mit den Angaben der medizinischen Sachverständigen zu den unfallbedingten Verletzungen und Einschränkungen der Klägerin.
787
Hilfsmittel zur Schätzung der konkreten haushaltsspezifischen Behinderung ist die von Reichenbach/Vogel entwickelte und unter Mitwirkung von Ludwig, Ludolph, Probst und Schulz-Borck fortentwickelte Tabelle des sog. Münchner Modells über die konrekte haushaltsspezifische Behinderung (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Aufl., 2016, Rn. 195, unter Rekurs auf BGH, NJW-RR 1992, 792). Das Münchner Modell stellt jeweils für bestimmte Verletzungstypen die konkreten unterschiedlichen Auswirkungen in den einzelnen Tätigkeitsbereichen des Haushalts prozentual fest. Es wird der Grad der konkreten Behinderung im Haushalt insgesamt ermittelt. Der auf diesem Weg festgestellte Prozentsatz der konkreten Behinderung bezogen auf den Arbeitszeitaufwand der unverletzten Hausfrau ergibt die Zeit, die eine geeignete Hilfskraft arbeiten müsste (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Aufl., 2016, Rn. 196).
788
Nach dieser von Reichenbach/Vogel entwickelten und unter Mitwirkung von Ludwig, Ludolph, Probst und Schulz-Borck fortentwickelten Tabelle des Münchner Modells (in Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl., 2013, Tabelle 5_1, S. 85) ist bei beidseitigem Augenverlust eine Einschränkung bei Einkauf, Ernährung, Raumreinigung, Gartenarbeit, Kleinarbeit von 100 % und bei Geschirrspülen, Wäsche, Betreuung von 90 % sowie bei Planung von 80 % gegeben. Nach der Tabelle zur Gesamt-MdH (in Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl., 2013, Tabelle 5_2, S. 88) bei beidseitigem Augenverlust-Erblindung eine konkrete Behinderung der Hausfrau von 100 % und eine rechnerisch kalkulierte Gesamtbehinderung (konkrete MdH) von 97 % angenommen.
789
Auch die Tabelle von Schah Sedi/Schah Sedi (in Pardey, Der Haushaltsführungsschaden, 8. Aufl., 2013, Tabelle 6, S. 91) geht von einer MdH von über 90 % bei beidseitiger Erblindung aus.
790
Die Kammer geht in einer Gesamtschau dieser genannten Parameter im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO davon aus, dass die Klägerin nur noch im Umfang von ca. 2 Stunden wöchentlich den berücksichtigungsfähigen Haushaltstätigkeiten nachgehen kann. Dies bezieht die Kammer insbesondere auf Hilfsarbeiten der Klägerin bei der Zubereitung von Mahlzeiten und entsprechende Begleitarbeiten, den Bereich der Wäsche und den Bereich Lüften/Heizen; in diesen Bereichen hat die Klägerin in der Klageerweiterung vom 05.12.2021 die Einschränkungen insofern auch selbst mit jeweils 90 % beziffert.
791
Damit ist nach § 287 ZPO von einer Zeit, die eine geeignete Hilfskraft arbeiten müsste, um die konkreten unfallbedingten Behinderungen der Klägerin auszugleichen, in Höhe von 26 Stunden wöchentlich auszugehen.
792
6. Ausgleichsfähig ist weiterhin der verletzungsbedingte Mehraufwand an Zeit bzw. der Zuwachs an Arbeit (Pardey, Grundsätze der Ermittlung des Haushaltsführungsschadens, Teil 1, SVR 2018, 81).
793
Die Kammer geht nach den informatorischen Angaben der Klägerin und den Angaben der Zeugen … und … von einem erhöhten Abstimmungs-/Planungs-/Ordnungs-, Reinigungs- und Wäschebedarf aus.
794
Durch die unfallbedingte Erblindung und den Verlust des Geruchssinns wird im Haushalt der Klägerin mehr verschüttet und verunreinigt und es entsteht ein erhöhter Wäschebedarf. Insbesondere fällt mehr Tischwäsche und Bett- und Kleiderwäsche an, nachdem die Klägerin das Einsetzen ihrer Regelblutung unfallbedingt nicht mehr bemerken kann, was zu einem erhöhten Reinigungsaufwand führt, und auch deutlich mehr Wäsche durch Verschütten, u.ä. verschmutzt. Weiterhin kann sie durch den Verlust des Geruchssinns einen etwaigen Schweißgeruch nicht einschätzen, weswegen sie nachvollziehbar häufiger die Wäsche wechselt.
795
Es ist außerdem wichtig, dass alle Dinge an einem bestimmten Ort liegen, damit die Klägerin sie findet und weiß, was sie genau greift. Dies muss abgestimmt werden. Auch im Rahmen der Korrespondenzverwaltung muss der Schriftverkehr abgestimmt, Schreiben vorgelesen und jegliche Verrichtung abgesprochen und abgestimmt werden.
796
Von diesem Zeitmehraufwand ist die Kammer überzeugt; die entsprechenden Angaben waren plausibel und nachvollziehbar; die entsprechenden Einschränkungen durch die medizinischen Sachverständigengutachten nachgewiesen.
797
Im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO geht die Kammer insoweit von einem Zeitmehraufwand von 1 Stunde täglich aus, damit insgesamt 7 Stunden wöchentlich.
798
Hierbei berücksichtigt die Kammer im Rahmen der Schätzung auch, dass der Zeitmehraufwand für Begleittätigkeiten insofern im Rahmen der Haushaltsführungstätigkeit nicht berücksichtigt werden kann, da ansonsten eine doppelte Erstattung vorläge.
799
7. Damit ergibt sich insgesamt ein ersatzfähiger Zeitaufwand von 33 Stunden wöchentlich.
800
8. Zeitlich ist der Haushaltsführungsschaden ab 16.12.2014 berücksichtigungsfähig. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Klägerin aus dem Bezirksklinikum … entlassen. Für die Zeit im Krankenhaus macht die Klägerin auch keinen Haushaltsführungsschaden geltend (vgl. auch BGH, Urteil vom 03.02.2009, VI ZR 183/08, r+s 2009, 262).
801
9. Eine Kompensation der Einschränkungen durch die verwendeten Hilfsmittel ist der Klägerin nicht bzw. nicht in einem relevanten Umfang möglich.
802
Die Klägerin hat insofern nachvollziehbar, plastisch und plausibel dargelegt, dass sie alles versucht hat, ihren Alltag zu erleichtern, alle Hilfsmittel probiert hat und sich mit anderen Blinden ausgetauscht hat, um besser zurecht zu kommen und ggf. mehr Selbständigkeit zu erreichen, was ihr aber nicht oder nur sehr gering – ohne relevante Verbesserung – möglich war und ist. Unter dem Gesichtspunkt des § 254 BGB sind daher keine Abzüge vorzunehmen.
803
10. Den Stundensatz schätzt die Kammer auf 8,50 € pro Stunde (netto), § 287 ZPO, und zwar für alle diesbezüglich geltend gemachten Tätigkeiten.
804
Hierbei berücksichtigt das Gericht wiederum die Einstufung des Haushaltes der Klägerin als Durchschnittshaushalt und die dem zugrunde liegenden, o.g. Aspekte.
805
Für Ersatzkräfte für derartige Haushaltsstrukturen sind auch durchschnittliche Stundensätze aufzubringen.
806
In Anbetracht dieser Besonderheiten des klägerischen Haushaltes geht das Gericht davon aus, dass für eine Haushaltshilfe für einen solchen Haushalt ein Stundenlohn von 8,50 € netto aufgewendet werden muss (vgl. zu den Schätzbeträgen auch Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Aufl., 2016, Rn. 203, Fn. 526 m.w.N. aus der Rechtsprechung; auch das OLG München, Schlussurteil vom 21.04.2011, 1 U 2363/10, BeckRS 2011, 12191, geht von 8,50 € aus).
807
Einen erhöhten Stundensatz für die Bewältigung der übrigen Organisation hält die Kammer nicht für erforderlich, da für diese Arbeiten, insbesondere Terminsabsprachen, Grußkartenschreiben, Bankgeschäfte etc. kein Spezialwissen erforderlich ist, sondern es sich um Tätigkeiten handelt, welche in jedem durchschnittlichen Haushalt anfallen; zumindest ist darüber Hinausgehendes hinsichtlich der Haushaltsführung im weiteren Sinne nicht vorgetragen. Auch wurde die Notwendigkeit von Nachfragen, Vorlesen etc. im Rahmen des Zeitmehraufwandes berücksichtigt.
- vom 16.12.2014 bis 31.10.2017 -
808
Dieser geltend gemachte Zeitraum umfasst 150,1 Wochen.
150,1 × 33 Stunden pro Woche × 8,50 € ergeben 42.103,05 €.
809
Gem. § 843 Abs. 1 BGB hat die Klägerin weiter einen Anspruch auf Festsetzung einer jährlichen Rentenzahlung. Gem. § 843 Abs. 2, § 760 Abs. 2 BGB ist diese für 3 Monate vorauszuzahlen.
810
Für die Mehrbedarfsrente besteht keine zeitliche Grenze (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., 2020, § 843 Rn. 10).
811
Dabei sind künftig zu erwartende vermehrte Bedürfnisse hinsichtlich der Haushaltsführungstätigkeit der Klägerin gem. § 287 ZPO zu schätzen.
812
Im Rahmen der Schätzung berücksichtigt die Kammer, dass die Klägerin im Zeitraum vom 05.02.2018 bis 14.07.2019 vom Haushalt an 275 Tagen abwesend war wegen der berufsvorbereitenden Maßnahme im Berufsförderwerk …. Weiterhin berücksichtigt die Kammer eine Abwesenheit der Klägerin vom Haushalt vom 16.12.2014 bis 12.02.2020 von insgesamt 57 Tagen wegen stationärer Aufenthalte.
813
Bei einem Ein-Personen-Haushalt sind die vermehrten Bedürfnisse deutlich reduziert, wenn sich die Geschädigte in stationärer Behandlung befindet (Balke/Reisert/Schulz-Merkel-Balke, Regulierung von Verkehrsunfällen, 2. Aufl., 2021, 8.4. Rn. 17).; gleiches gilt für die Berufsförderungsmaßnahme. Es findet eine umfassende Versorgung durch die jeweilige Einrichtung statt, sodass vermehrte Bedürfnisse nur in geringem Umfang entstehen. Der Haushaltsführungsschaden beschränkt sich dabei im Allgemeinen auf notwendige Erhaltungsmaßnahmen; die Kammer geht im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO für diese Zeiträume von einer auf 15 % geminderten Bemessung des Haushaltsführungsschadens aus.
814
In die Schätzung eines Durchschnittswertes berücksichtigungsfähiger Abwesenheitszeiten für die Rentenleistung ab 01.11.2017 für die Zukunft preist die Kammer ein, dass die Klägerin durch die Berufsförderungsmaßnahme 2018 bis 2019 für eine ganz erhebliche Zeit vom Haushalt abwesend war, zukünftig eine solche Berufsförderungsmaßnahme aber wohl nicht mehr ansteht, so dass sich diesbezügliche Abwesenheitszeiten künftig wohl nicht mehr ergeben werden. Im Rahmen stationärer Aufenthalte war die Klägerin seit der Entlassung am 16.12.2014 bis 02/2020 an 57 Tagen abwesend, also doch häufiger. Die Kammer berücksichtigt aber auch, dass sich die Anzahl der stationären Aufenthalte im Zeitraum seit dem Unfall im Verlauf reduziert hat. Im weiteren Verlauf sind weitere Eingriffe und Operationen zu erwarten, wenngleich nicht in einem ähnlich großen zeitlichen Umfang wie zuvor.
815
In einer Gesamtschau geht die Kammer im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO daher unter Berücksichtigung all dieser Aspekte im Rahmen der Prognose von einer durchschnittlichen Reduzierung im Gesamtverlauf von 1 1/2 Stunden wöchentlich aus.
816
Daher setzt die Kammer ab 11/2017 eine durchschnittliche Wochenstundenzahl von 31,5 Stunden (33 Stunden abzüglich 1 1/2 Stunden) im Rahmen der Minderung der Haushaltsführungstätigkeit an.
817
Bei durchschnittlich 52,14 Wochen pro Jahr × 31,5 Stunden × 8,50 € ergibt sich ein jährlicher Betrag in Höhe von 13.960,49 €, damit monatlich (/12) 1.163,37 €, damit vierteljährlich (x3) 3.490,11 €.
- Vermehrte Bedürfnisse – Glasaugen-, Augenbrauen –, Hand –, Fußpflege, Schminken -
818
Vermehrte Bedürfnisse im Sinne des § 843 Abs. 1 BGB sind alle unfallbedingten, ständig wiederkehrenden Aufwendungen, die den Zweck haben, diejenigen Nachteile auszugleichen, die dem Verletzten in Folge dauernder Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens entstehen. Hierzu gehören auch die geltend gemachten vermehrten Bedürfnisse durch die unfallbedingt fehlende Fähigkeit der Klägerin, verschiedene Tätigkeiten der Körperpflege dauerhaft nicht mehr selbst ausführen zu können.
819
Diesbezüglich wurde beklagtenseits im Termin vom 14.06.2021 unstreitig gestellt, dass die Klägerin vor dem Unfall Augenbrauen-, Hand- und Fußpflege sowie Schminken betrieben hat und dies verletzungsbedingt nicht mehr selbst ausführen kann; bestritten wurde der hierfür klägerseits angesetzte Zeitaufwand.
820
Die Kammer schätzt die hierfür erforderliche Zeit gem. § 287 ZPO und orientiert sich im Rahmen der Schätzung an den Angaben der Klägerin und den Zeitangaben des Zeugen Radmacher.
821
Der geltend gemachte Zeitaufwand wie folgt:
- Glasaugenpflege 70 Minuten wöchentlich
- Augenbrauenpflege 20 Minuten wöchentlich
- Handpflege 60 Minuten wöchentlich
- Fußpflege 30 Minuten wöchentlich
- Schminken 105 Minuten wöchentlich
-> insgesamt 205 Minuten wöchentlich, d.h. 3,41 Stunden pro Woche
erscheint der Kammer in dieser Höhe angemessen und nachvollziehbar. Auch die Zeugin … bestätigte, dass die Klägerin vor dem Unfall und auch jetzt noch viel Wert auf diese Pflegemaßnahmen legte, so dass diese Minutenangaben nicht übersetzt erscheinen.
822
Den diesbezüglichen Stundensatz schätzt die Kammer auf 10,00 € pro Stunde (netto), § 287 ZPO, und berücksichtigt dabei insbesondere, dass sich die Vornahme der Tätigkeiten im Gesicht auf Grund der unfallbedingten Entstellung erschwert darstellt und die Glasaugen-, Fuß- und Handpflege Verletzungsrisiken birgt, es sich also um etwas anspruchsvollere Tätigkeiten handelt, für welche ein etwas erhöhter Stundensatz in Ansatz zu bringen ist.
- vom 16.12.2014 bis 31.10.2017 -
823
Für den geltend gemachten Zeitraum vom 16.12.2014 bis 31.10.2017, also 150,1 Wochen, besteht ein Anspruch in Höhe von 5.118,41 € (150,1 × 3,41 Stunden pro Woche × 10,00 €).
824
Auch insoweit kann die Klägerin eine Rentenzahlung gem. §§ 843 Abs. 1, 760 Abs. 2 BGB beanspruchen.
52,14 Wochen pro Jahr × 3,41 Wochenstunden × 10,00 € = 1.777,97 € pro Jahr/12 Monate = 148,16 € * 3 (vierteljährlich) 444,48 €.
825
Von diesem Betrag geht die Kammer im Wege einer Schätzung gem. § 287 ZPO für die künftigen diesbezüglichen Bedürfnisse aus.
- Vermehrte Bedürfnisse – Begleitperson -
826
Die Einstandspflicht des Schädigers erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Kosten einer verletzungsbedingt erforderlichen Begleitung der Geschädigten durch eine Betreuungsperson, beispielsweise bei Behördengängen, Spaziergängen, kulturellen Veranstaltungen oder Ähnlichem (BGH, Urteil vom 10.03.2020, VI ZR 316/19, NJW 2020, 2113; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Auflage, 2016, Rn. 264), auch für Fahrten zum Arzt und zur Krankengymnastik; hierbei ist eine Schätzung nach § 287 ZPO erforderlich, wenn – wie hier – keine konkreten Kosten anfallen; bei Begleitung durch Familienangehörige oder Lebensgefährten muss eine Abgrenzung zur nicht unfallbedingten persönlichen Fürsorge erfolgen (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Auflage, 2016, Rn. 264 m.w.N.). Es müssen die Grenzen zwischen der personenbezogenen Fürsorge und der Wahrnehmung der eigenen Lebensinteressen gezogen werden (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 15.02.2007, 16 U 70/06, BeckRS 2008, 4229).
827
Der erforderliche Aufwand für eine Begleitperson lässt sich ebenfalls gem. § 287 ZPO schätzen (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 15.02.2007, 16 U 70/06, BeckRS 2008, 4229).
828
Die Notwendigkeit einer Begleitperson hat die Klägerin durch konkrete Tatsachen untermauert. Sie hat dargelegt, dass sie bei Spaziergängen, Einkäufen, Essen, kulturellen Veranstaltungen, Freizeitaktivitäten o.ä. begleitet werde und sie einer Begleitung bei Arztbesuchen, Therapien u.ä. bedürfe.
829
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin auf Grund der unfallbedingten Erblindung, zusätzlichen Hörminderung und neurologischen Problematik, einhergehend u.a. mit Schwindel, dauerhaft einer Begleitung bei Verrichtungen des täglichen Lebens bedarf, insbesondere für die zahlreichen Arzttermine, Therapiebehandlungen und Behördengänge, aber auch für die täglichen Spaziergänge, die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, Restaurantbesuche und Kleiderkauf u.ä.
830
Die Kammer schätzt die hierfür erforderliche Zeit gem. § 287 ZPO auf 20 Stunden wöchentlich und orientiert sich im Rahmen der Schätzung insbesondere an den Angaben der Klägerin, den Angaben des Zeugen … und der Zeugin … Hierbei berücksichtigt die Kammer bei ihrer Schätzung auch die o.g. Abgrenzung zur nicht unfallbedingten persönlichen Fürsorge und insbesondere auch die Eigeninteressen der Begleitperson im Rahmen der Freizeitaktivitäten. Die Kammer stellt in die Schätzung insbesondere auch ein, dass die Klägerin weit überwiegend vom Zeugen … begleitet wird, welcher der Lebensgefährte der Klägerin ist. Weitere Begleitperson ist die Mutter. Die Kammer berücksichtigt, dass der Zeuge … die Unternehmungen, die der Freizeitgestaltung dienen, nicht nur zur Begleitung einer Behinderten unternimmt, sondern auch zwecks Begleitung seiner Lebenspartnerin. Gleiches gilt, in geringerem Ausmaß, auch für die Mutter. Ausgehend von den Darlegungen der Klägerin und den Angaben der Zeugen … und … steht für die Kammer aber auch fest, dass regelmäßig Stunden zur Begleitung der Klägerin anfallen, die ausschließlich durch den Unfall bedingt sind und durch die Zeugen oder Dritte geleistet werden müssen. Auch die Zeugin … schilderte den fortwährenden Begleit- und Hilfsbedarf der Klägerin. Weiterhin berücksichtigt die Kammer, dass in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Unfall mehr Arzt-, Therapie- und Behördentermine anfielen, jedoch weniger Freizeitaktivitäten, durch den Zeitablauf dann aber die Arzt-, Therapie- und Behördentermine weniger wurden, durch die Stabilisierung des Zustands der Klägerin im Gegenzug aber Freizeitaktivitäten zunahmen. In einer Gesamtschau erscheint ein Ansatz von 20 Wochenstunden angemessen und nicht übersetzt.
831
Den diesbezüglichen Stundensatz schätzt die Kammer wiederum auf 8,50 € pro Stunde (netto), § 287 ZPO; auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
- Begleitperson ohne Urlaub -
1. – vom 16.12.2014 bis 31.10.2017 -
832
Für den geltend gemachten Zeitraum vom 16.12.2014 bis 31.10.2017, also 150,1 Wochen, besteht ein Anspruch in Höhe von 25.517,00 € (150,1 × 20 Stunden pro Woche × 8,50 €).
833
Auch insoweit kann die Klägerin eine Rentenzahlung für eine Begleitperson gem. §§ 843 Abs. 1, 760 Abs. 2 BGB beanspruchen (hierzu auch OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 15.02.2007, 16 U 70/06; BeckRS 2008, 4229).
52,14 Wochen pro Jahr × 20 Wochenstunden × 8,50 € = 8.863,80 € pro Jahr/12 Monate = 738,65 € * 3 (vierteljährlich) 2.215,95 €.
834
Von diesem Betrag geht die Kammer im Wege einer Schätzung gem. § 287 ZPO für die künftigen diesbezüglichen Bedürfnisse aus.
- Begleitperson im Urlaub -
835
Es können auch die Kosten einer behinderungsbedingt erforderlichen Begleitung des Geschädigten bei einer Urlaubsreise ersatzfähig sein, wobei sich der Mehrbedarf nach den Dispositionen bestimmt, die ein verständiger Geschädigter in seiner besonderen Lage treffen würde; maßgebend ist grundsätzlich, was ein verständiger Geschädigter an Mitteln aufwenden würde, wenn er diese selbst zu tragen hätte und tragen könnte. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn die vom Geschädigten vorgenommene Ortsveränderung mit unverhältnismäßigen, für den Schädiger auch unter Berücksichtigung der Belange des Geschädigten nach Treu und Glauben nicht zumutbaren Aufwendungen verbunden wäre (BGH, Urteil vom 10.03.2020, VI ZR 316/19, NJW 2020, 2113).
836
Beklagtenseits wurde, wie im Termin vom 14.06.2021 mitgeteilt, nicht in Abrede gestellt, dass die Klägerin vor dem Unfall, wie vorgetragen, Urlaubsreisen unternommen hat und dass eine Begleitung im Urlaub erforderlich ist. In Abrede gestellt wurde, dass die Begleitung durch Familienangehörige bzw. den Lebensgefährten zu Mehrkosten geführt hat.
837
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin auf Grund der unfallbedingten Erblindung, zusätzlichen Hörminderung und neurologischen Problematik dauerhaft einer Begleitung im Urlaub mit Ausnahme der Schlafenszeiten und Ruhezeiten bedarf, da im Urlaub die komplette Umgebung für sie neu ist, sie dementsprechend keine Gewöhnung an ein bekanntes Umfeld hat und folglich nicht auf bekannte, erlernte Muster zurückgreifen kann. Die Kammer berücksichtigt insofern insbesondere die informatorischen Angaben der Klägerin sowie die Angaben der Zeugen … und … zum Urlaub.
838
Damit besteht für die Begleitperson ein deutlich geringerer Urlaubs- bzw. Erholungseffekt, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass sich der Hilfsbedarf in ähnlicher Form auch zu Hause gestaltet, also sicherlich ein gewisser Gewöhnungseffekt besteht. Weiterhin berücksichtigt die Kammer in diesem Zusammenhang auch ganz besonders die Abgrenzung zur Wahrnehmung eigener Lebensinteressen der Begleitperson, insbesondere wiederum des Zeugen … als Lebensfährten der Klägerin.
839
Da die Klägerin, wie sie selbst angab und dies auch von den Zeugen … und … bestätigt wurde, immer schon großen Wert auf Reisen gelegt hat, auch ihren Berufswunsch und ihre Berufswahl hieran orientiert hat, sind im Fall der Klägerin die Kosten einer behinderungsbedingt erforderlichen Begleitung bei Urlaubsreisen ersatzfähig. Nach Auffassung der Kammer würde eine verständige Geschädigte in der besonderen Lage der Klägerin weiterhin Urlaubsreisen unternehmen, um sich ein Stück weit das frühere Leben aufrecht zu erhalten und den Dingen nachzugehen, die ihr Lebensfreude verschafft haben und eine besondere Priorität in ihrem Leben hatten. Insofern ist im vorliegenden Fall nicht davon auszugehen, dass die Urlaubsreisen der Klägerin mit unverhältnismäßigen, für den Schädiger auch unter Berücksichtigung der Belange des Geschädigten nach Treu und Glauben nicht zumutbaren Aufwendungen verbunden wären. Dies entspricht nach Überzeugung der Kammer auch dem, was ein verständiger Geschädigter an Mitteln aufwenden würde, wenn er diese selbst zu tragen hätte und tragen könnte.
840
Unter Berücksichtigung der obigen Erwägungen erachtet die Kammer einen Ansatz von 8 Stunden täglich für eine Begleitperson im Urlaub im Rahmen der Schätzung gem. § 287 ZPO als angemessen, ausgehend von Nacht- und Ruhezeiten sowie anteiliger eigener Urlaubsfreude der Begleitperson.
841
Den diesbezüglichen Stundensatz schätzt die Kammer wiederum auf 8,50 € pro Stunde (netto), § 287 ZPO; auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
1. – für 2016 und 2017: -
842
Für den geltend gemachten Zeitraum von 2016 bis 2017 war die Klägerin 2016 21 Tage und 2017 28 Tage im Urlaub:
2016: 21 Tage × 8 Stunden × 8,50 € = 1.428,00 €
2017: 28 Tage × 8 Stunden × 8,50 € = 1.904,00 €,
843
Auch insoweit kann die Klägerin eine Rentenzahlung für eine Begleitperson gem. §§ 843 Abs. 1, 760 Abs. 2 BGB beanspruchen.
844
Im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO der künftig anfallenden vermehrten Bedürfnisse für eine Begleitperson während des Urlaubs geht die Kammer in Anlehnung an die vor dem Unfall bestehende Urlaubsfrequenz und den auch nach dem Unfall absolvierten Urlauben, auch unter Berücksichtigung des fortschreitenden Alters auf der einen Seite und der nunmehr stabileren Gesundheitssituation auf der anderen Seite, von künftig durchschnittlich 28 Tagen Urlaubsreisen (4 Wochen) aus. Ob der Kinderwunsch insofern zu berücksichtigen ist, kann dahinstehen, da die Kammer davon ausgeht, dass in Anlehnung an die Präferenzen der Klägerin Urlaubsreisen in gleichem Umfang auch nach etwaiger Familiengründung erfolgt wären; ggf. dann mit anderen Zielen, was aber irrelevant ist.
28 Tage jährlich × 8 Stunden × 8,50 € = 1.904,00 € pro Jahr/12 Monate = 158,66 € * 3 (vierteljährlich) 475,98 €.
845
Von diesem Betrag geht die Kammer im Wege einer Schätzung gem. § 287 ZPO für die künftigen diesbezüglichen Bedürfnisse aus.
- Krankenversicherungsbeiträge -
846
Ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten 4.242,61 € für die Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen von 01-10/2017 durch die Klägerin ist nicht gegeben, da bei der Klägerin insofern kein Schaden mehr gegeben bzw. jedenfalls nicht mehr sicher nachvollziehbar ist.
847
a) Die Klägerin begehrt diesbezüglich Erstattung der von ihr geleisteten Krankenversicherungsbeiträge von 01/2017-10/2017.
848
Mit Schriftsatz vom 07.05.2021, Bl. 1269 d.A., teilte der Klägervertreter mit, dass unstreitig sei, dass die Klägerin für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2017 zu viel bezahlte, freiwillige Versicherungsbeiträge für Krankenversicherung, Zusatzbeitrag und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 3.712,17 € von Seiten der … ausgewiesen und ausbezahlt erhalten hat. Weiter teilte er mit, Bl. 1271 d.A., dass die … für den Zeitraum der freiwilligen Versicherung vom 15.01.2017 – 31.10.2017 ein Beitragsguthaben wie folgt ausgewiesen habe:
- Januar 2017 (-) ausstehender Beitrag in Höhe von 107,63 €
- Februar 2017 (+) Beitragsguthaben 247,08 €
- 03-10/2017: (+) Beitragsguthaben 3.572,25 € (KV 351,25 €, Zusatzbeitrag 25,09 €, PV 70,25 € × jeweils 8 Monate = gesamt 3.572,72 €).
849
b) Aus dem Schreiben des Zeugen …, vom 06.05.2021, Bl. 1273 d.A., ergibt sich u.a., dass die Klägerin ab dem 15.01.2017 bis 08.02.2017 als sonstige freiwillig Versicherte (stellenlos) bei der … versichert gewesen sei. Ab dem 09.02.2017 hätten sie die Klägerin als Rentenantragsstellerin freiwillig krankenversichert. Die Beiträge seien aus den Einnahmen ihrer Kapitalerträge errechnet und von der Klägerin selbst aufgebracht worden. Am 16.06.2020 hätten sie vom Rentenversicherungsträger eine rückwirkende Rentenbewilligung erhalten. Durch die Rentenbewilligung sei die Klägerin versicherungspflichtig in der Krankenversicherung der Rentner geworden. Die Einnahmen aus Kapitalerträgen hätten daher rückwirkend nicht mehr einer Versicherungspflicht. Die Beiträge aus der freiwilligen Versicherung als Rentenantragstellerin seien in Höhe von 10.542,10 € an die Klägerin erstattet worden. Die Klägerin habe mit Schreiben vom 29.06.2020 einen Beitragsbescheid zur Erstattung sowie einen Verlaufsvergleich zu dem entstandenen Guthaben erhalten.
850
Aus diesem Schreiben der … an die Klägerin vom 29.06.2020, Anlage K 97 bzw. Anlage K 113, ergibt sich, dass der Klägerin von Seiten der … für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 ein Beitragsguthaben von 10.542,10 € ausbezahlt wurde.
851
c) Der Zeuge … konnte zu diesem Problemkreis bzw. Zeitraum keine relevanten Angaben machen.
852
d) Es ist jedenfalls eine Erstattung der Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 3.572,72 € erfolgt. In dieser Höhe ist der Schaden nachweislich entfallen.
853
In Bezug auf die verbleibende Differenz von 669,89 € steht ein Schaden der Klägerin nicht zur nötigen Überzeugung der Kammer fest. Für Januar 2017 wird ein Betrag geltend gemacht, obwohl offenbar kein Betrag gezahlt wurde (klägerseits wird dieser als „ausstehend“ bezeichnet, s.o.). Weiterhin wird der Betrag von 3.572,72 € auf den Zeitraum 03-10/2017 bezogen; auch insgesamt kam ein deutlich höherer Verrechnungsbetrag an die Klägerin zur Auszahlung (10.542,10 €). Durch die Beweisaufnahme konnte insofern keine hinreichende Aufklärung erfolgen. Die verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten der Klägerin.
- Weitere Feststellungsanträge -
- Erhöhung von Steuerlast, Sozialversicherungsbeiträgen -
854
Ferner war die Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich einer etwaigen Erhöhung der Steuerbeträge der Klägerin durch die Verdienstausfallzahlung gemäß Ziff. IX des Urteilstenors, wie beantragt, sowie hinsichtlich eines etwaigen Mehraufwandes für Sozialversicherungsbeiträge und Steuern hinsichtlich der Rentenzahlungen gemäß Ziff. II, IV, VI, VIII, festzustellen.
855
Der Geschädigte soll durch die Schadensersatzleistung auch in steuerlicher Hinsicht so gestellt werden, wie er ohne den Schadensfall stehen würde. Soweit die Steuerbelastung durch den Schadensfall höher ist als ohne den Schadensfall, ist auch eine hieraus resultierende Mehrbelastung zu ersetzen (MünchKomm-BGB/Oetker, 8. Aufl., 2019, § 249 Rn. 505 f.). Dies gilt auch für einen etwaigen Mehraufwand an Sozialversicherungsbeiträgen.
856
Auch die Verpflichtung zum Ersatz der Steuerberaterkosten war auszusprechen.
857
Es wurde beklagtenseits unstreitig gestellt, dass die Steuererklärung durch die Klägerin nicht mehr selbst erstellt werden kann. Bezüglich der vorherigen Erstellung durch die Klägerin begnügten sich die Beklagten mit der Anhörung der Klägerin, welche dies entsprechend bestätigte.
858
Zinsen aus dem Schmerzensgeld kann die Klägerin gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.12.2014 verlangen.
859
Die Beklagten zu 1) bis 5) wurden u.a. mit Schreiben vom 27.10.2014 zur Anerkennung der Einstandspflicht hinsichtlich des streitgegenständlichen Unfallereignisses aufgefordert.
860
Die Dauer der Prüffrist wird in der Rechtsprechung unterschiedlich angesetzt. Die Spanne reicht hierbei von zwei Wochen (AG Erlangen, DAR 2005, 690) über mindestens zwei bis drei Wochen (OLG Saarbrücken, MDR 2007, 1190; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 114; LG München I, ZfS 1984, 367: mindestens 12-15 Arbeitstage, 3-4 Wochen – LG München I, VersR 1973, 871; LG Düsseldorf, VersR 1981, 582, 583; LG Bielefeld, ZfS 1988, 282; i.Erg. auch OLG München, VersR 1979, 479, etwa 1 Monat: OLG Frankfurt a.M., OLG-Report 1996, 77, bis hin zu 4-6 Wochen (OLG Rostock, OLG-NL 2001, 92; KG, VersR 2009, 1262; OLG Dresden, Beschl. v. 29.6.2009, BeckRS 2009, 21980 [zu I. 2.]; OLG Saarbrücken, Beschl. 9.2.2010 – 4 W 26/10 – 03), vgl. zum Ganzen OLG München, Beschluss vom 29.07.2010, 10 W 1789/10, NZV 2011, 307).
861
Die Dauer der Prüffrist ist von der Lage des Einzelfalls abhängig, beträgt in der Regel aber maximal vier Wochen (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.07.2010, 10 W 1789/10, NZV 2011, 307; in dieser Richtung auch OLG München, VersR 1979, 479; Senat, Urt. v. 21.6.2010 – 10 U 5028/09).
862
Verzug lag daher, wie klägerseits beantragt, jedenfalls ab 15.12.2014 vor.
863
Im Übrigen wurden Zinsen ab Rechtshängigkeit beantragt, § 291 BGB.
864
Zwar sind Teil des ersatzfähigen Schadens grundsätzlich auch die Rechtsanwaltskosten. Beklagtenseits wurden die Zahlung und Aktivlegitimation der Klägerin bestritten. Weiterer Vortrag oder Beweis hierzu erfolgte jedoch nicht. Ein Anspruch ist damit nicht gegeben.
865
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, hinsichtlich des übereinstimmend teilerledigt erklärten Teils auf § 91 a ZPO (Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl., 2020, § 91 a Rn. 44).
866
Die Klägerin gewinnt die Klage wie folgt:
- Ziffer VIII: 6.663,72 €
- Ziffer X1: 1.500,00 € (die Kammer nimmt insofern einen Abschlag gem. § 3 ZPO vor, da der Obsiegensanteil hinsichtlich Ziffer IX. geringer ausfällt als beantragt)
- Ziffer X2: 10.000,00 € (die Kammer nimmt auch hier einen Abschlag gem. § 3 ZPO vor, da auch der Obsiegensanteil hinsichtlich Ziffer II, IV, VI, VIII geringer ausfällt als beantragt)
- Ziffer X4: 30.976,82 € (Verdienstausfall vom 28.07.2014 – 30.11.2017 in Höhe von 37.034,97 € = 1222 Tage = 30,31 € täglich, × 365 Tage × 3,5 = 38.721,03 €, davon 80 %)
- Ziffer XI: 330.000,000 €
+ 150.000 € hinsichtlich der Teilerledigungserklärungen Schmerzensgeld (der Anspruch war jeweils begründet)
= 725.153,53 €, was in Relation zum höchsten Streitwert von 990.128,10 € einem Prozentsatz von 73 % entspricht.
- vorläufige Vollstreckbarkeit -
867
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert hinsichtlich der Zahlungsansprüche jeweils auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
868
Zunächst betrug der Streitwert 480.000,00 € (400.000,00 € Schmerzensgeld und 80.000,00 € Feststellungsantrag). Den Streitwert des Feststellungsantrages schätzte die Klägerin auf 80.000,00 €, § 3 ZPO.
869
Ab 05.12.2017 betrug der Streitwert 990.128,10 € (Ziff. I 60.580,29 €, Ziff. II 73.652,88 € [4 × 5.260,92 € × 3,5, § 48 Abs. 1 GKG, § 9 ZPO], Ziff. III 6.909,85 €, Ziff. IV 8.400,84 € [4 × 600,06 € × 3,5, § 48 Abs. 1 GKG, § 9 ZPO], Ziff. V 36.812,02 €, Ziff. VI 44.377,62 € [4 × 3.169,83 € × 3,5, § 48 Abs. 1 GKG, § 9 ZPO], Ziff. VII 5.768,32 €, Ziff. VIII 28.420,07 € [8.120,02 € × 3,5, § 48 Abs. 1 GKG, § 9 ZPO], Ziff. IX 64.522,39 €, Ziff. X 4.242,61 €, Ziff. XII 1. 2.500,00 €, § 3 ZPO, 2. 14.000,00 € [§§ 3, 9 ZPO, geschätzt pro Jahr 5.000,00 € × 3,5 Jahre = 17.500,00 €, davon 80 %], 3. 2.800,00 € [§§ 3, 9 ZPO, geschätzt pro Jahr 1.000,00 € × 3,5 Jahre = 3.500,00 €, davon 80 %], 4. 93.141,21 € [Verdienstausfall, §§ 3, 9 ZPO, geschätzt auf 3,5 Jahre, davon 80 %], 14.000,00 € [Rentenschaden, §§ 3, 9 ZPO, geschätzt auf 3,5 Jahre, davon 80 %], 50.000,00 € [Sonstiges, § 3 ZPO], Ziff. XIII 480.000,00 €).
870
Die Klägerin erklärte mit Schriftsatz vom 05.12.2017, Bl. 296 d.A., den Rechtsstreit hinsichtlich gezahlter 100.00,00 € Schmerzensgeld teilweise für erledigt. Die Beklagten zu 3) und 4) erklärten sich im Termin vom 15.02.2018 hiermit einverstanden, nachdem sie sich zuvor der Teilerledigungserklärung widersetzt hatten. Bei übereinstimmender Teilerledigungserklärung ist von der Zustimmung an der Wert des nichterledigten Teils maßgebend (Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl., 2020, § 91 a Rn. 58, dort auch zum Streitstand). Damit wurde der Streitwert ab 15.02.2018 auf 890.128,10 € festgesetzt.
871
Eine weitere Teilerledigungserklärung der Klägerin wegen Zahlung weiterer 50.000,00 € auf das Schmerzensgeld erfolgte mit Schriftsatz vom 04.06.2021 (Bl. 1312 d.A.). Im Termin vom 14.06.2021 erklärten sich die Beklagten hiermit einverstanden, so dass wird der Streitwert ab 14.06.2021 auf 840.128,10 € festzusetzen war.