Titel:
Vorläufige Vollstreckbarkeit, Klagepartei, Sittenwidrigkeit, Klageantrag, Mittelbar Geschädigte, Sittenwidrige Schädigung, Verjährung, Abschalteinrichtung, Kostenentscheidung, Mängel der Kaufsache, Deliktsrecht, Deliktischer Anspruch, Sitzungsniederschrift, Vertragsschluss, Entscheidungsgründe, Schriftsätze, Klageschrift, Klageabweisung, Nicht nachgelassener Schriftsatz, Rechtshängigkeit
Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Anspruch auf Zahlung, Deliktische Ansprüche, Fehlende Täuschungshandlung, Unzulässige Abschalteinrichtung, Fehlende Verwerflichkeit, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 21.01.2022 – 19 U 1848/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 18.09.2024 – VIa ZR 290/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 67123
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche nach dem Erwerb eines Dieselfahrzeugs geltend.
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1. Die Klagepartei erwarb am 31.05.2017 (Rechnung Anlage K2) einen neuen Pkw der Marke … T6 California Beach 2.0 TDI zum Bruttopreis von 43.250,00 Euro zuzüglich Zubehör zum Preis von 1.190,00 Euro (Anlage K4). Der Kaufpreis ist bezahlt.
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Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor ausgestattet. In dem Fahrzeug befindet sich ein Motor, der der Abgasnorm Euro 6 entsprechen soll. Der Fahrzeugtyp war von einer Rückrufaktion des KBA betroffen (Mitteilung des KBA vom 23.01.2018).
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2. Die Klagepartei behauptet, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Die Software des Motors stelle die Zuführung von AdBlue in der Regenerationsphase des Rußpartikelsfilters ab. Deswegen stünden ihr Schadensersatzansprüche aus Delikt nach §§ 823 Abs. 2, 826 BGB zu.
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3. Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 29.10.2020 den Zinsanspruch in Höhe von 4%, der mit dem den ursprünglichen Zahlungsantrag Ziff. 2. der Klageschrift geltend gemacht worden ist, nicht mehr angekündigt und den Klageantrag Ziff. 1. der Klageschrift reduziert.
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4. Die Klagepartei beantragt zuletzt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 39.157,10 nebst Zinsen hieraus in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw … T 6 California Beach 2.0 TDI (FahrzeugIdentifikationsnummer:…).
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte hinsichtlich des Klageantrages zu Ziffer 1) im Annahmeverzug befindet.
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5. Die Beklagte beantragt,
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6. Die Beklagte bestreitet, dass der Klagepartei deliktische Ansprüche gegen sie zustehen.
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7. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die von ihnen eingereichten Unterlagen Bezug genommen.
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Wegen des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 29.01.2021 (Bl. 177/179 der Akten) verwiesen.
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Der Klagepartei ist durch Beschluss vom 29.01.2021 nachgelassen worden, sich zum Schriftsatz der Beklagten vom 21.01.2021 bis 15.02.2021 zu äußern, was sie mit Schriftsatz vom 15.02.2021, der beim Landgericht am selben Tag eingegangen ist, auch getan hat.
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Die Beklagte hat den nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 05.03.2021 am selben Tag beim Landgericht eingereicht.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der Klagepartei steht der mit Klageantrag Ziffer 1. geltend gemachte Anspruch auf Zahlung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs nicht zu.
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Es kommen nur deliktische Ansprüche in Betracht.
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Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB:
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Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz, insbes. mit Betrug, besteht nicht, da eine für die Vermögensverfügung der Klagepartei -den Abschluss des Kaufvertrages über den streitgegenständlichen Pkwkausale Täuschungshandlung nicht vorliegt und auch nicht vorgetragen ist.
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Selbst wenn unterstellt wird, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt (Verstoß gegen VO (EG) 715/2017 Art. 3 Nr. 10, Anhang I Tabelle 2), so ist nicht schlüssig vorgebracht und auch aus objektiven Gründen nicht erkennbar, dass dieser Umstand für den Vertragsschluss relevant war bzw. bei Aufklärung darüber, die Klagepartei vom Vertragsschluss Abstand genommen hätte. Es handelt sich bei der Abgasreinigung um ein unerhebliches Detail in Zusammenhang mit dem Abschluss des Kaufvertrages. Dies belegt schon der Umstand, dass es in der Kaufrechnung, die ganz offenbar die wesentlichen Punkte der Kaufabrede anspricht, keinerlei Erwähnung gefunden hat. Dass insoweit eine mündliche Vereinbarung bestehen würde, hat die Klagepartei nicht vorgebracht. In der Rechnung ist noch nicht einmal erwähnt, dass das Fahrzeug der Norm Euro 6 entsprechen soll.
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Ein anderes Schutzgesetz, als dasjenige des § 263 Abs. 1 StGB kommt nicht in Betracht. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des BGH vom 30.07.2020 (VI ZR 5/20) verwiesen.
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Anspruch aus § 826 BGB:
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Auch ein Anspruch aus § 826 BGB ist nicht gegeben.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
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Verletzt der Handelnde eine Pflicht und ruft dadurch einen Vermögensschaden hervor, so genügt dies im Allgemeinen nicht. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Es kann deswegen auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen.
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Verwerflichkeit kann sich aus einer bewussten Täuschung ergeben.
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Der BGH hat in seinem Urteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) festgestellt, dass das Verhalten der … im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen der mit der Manipulationssoftware versehenen Motoren sowohl gegenüber Käufern von Neuwagen als auch gegenüber Gebrauchtwagenkäufern als mittelbar Geschädigten, die das Fahrzeug vor der Verhaltensänderung der … im Herbst 2015 erwarben, objektiv sittenwidrig war. Entscheidend war, dass die … auf Grund einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in großem Umfang Fahrzeuge mit Motoren mit unzulässiger Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht hat, womit eine erhöhte Belastung der Umwelt sowie die Gefahr einhergegangen sind, dass bei einer Aufdeckung des Sachverhaltes eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte.
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Daran fehlt es vorliegend. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass die Beklagte mit dem Einbau der beanstandeten Software eine vergleichbare strategische grundlegende Unternehmensentscheidung getroffen hat. Nicht jeder Verstoß gegen die vielfältigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Zusammenhang mit der Erteilung einer Typengenehmigung rechtfertigt den Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens. Nicht jeder Umstand, der einen Mangel der Kaufsache nach § 434 Abs. 1 BGB darstellt, ist -gewissermaßen automatischGrundlage eines Deliktanspruchs. Das Deliktsrecht dient nicht dem Zweck, dem Käufer nach Verjährung der Gewährleistungsrechte aus dem Kaufrecht zu Ansprüchen gegen den Hersteller zu verhelfen.
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Selbst wenn also unterstellt wird, dass es sich bei der Motorsteuerung, die die Abgasreinigung unter bestimmten Voraussetzungen im Wesentlichen außer Betrieb setzt, um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) handelt, so genügt dies nicht, um das Umwelturteil der sittenwidrigen Schädigung zu rechtfertigen. Auf die Entscheidung des BGH vom 09.03.2021 (VI ZR 889/20) wird zur Ergänzung Bezug genommen.
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Da schon der Hauptanspruch der Klagepartei nicht besteht, bestehen auch die Nebenansprüche nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 2 ZPO.