Inhalt

LG Traunstein, Endurteil v. 03.03.2021 – 6 O 3541/19
Titel:

Abschalteinrichtung, Sachverständigengutachten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kraftfahrt-Bundesamt, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Kostenentscheidung, Nutzungsentschädigung, Unerlaubte Handlung, Ausforschungsbeweis, Prozeßbevollmächtigter, Unzulässigkeit, Bußgeldverfahren, Klagepartei, Substantiierungsanforderungen, Klageabweisung, Abschaltvorrichtungen, Beweisbeschlüsse, Rückabwicklung des Kaufvertrags, Annahmeverzug, Anknüpfungstatsachen

Schlagworte:
Rückabwicklung des Kaufvertrages, deliktischer Schadensersatzanspruch, Abschalteinrichtung, Rückruf, Sachverständigengutachten, Ausforschungsbeweis, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 24.03.2022 – 18 U 1671/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 25.09.2024 – VIa ZR 577/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 67064

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 46.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht Rückzahlungsansprüche aus einem Kaufvertrag über einen Diesel-Pkw geltend.
2
Die Klagepartei erwarb am 22.06.2017 einen Pkw VW Tiguan II zu einem Kaufpreis von 46.000 Euro (Anlage K 1). Im Fahrzeug verbaut ist ein Motor des Typs EA288. Das Fahrzeug ist in die Abgasnorm Euro-6 eingestuft. Hersteller des Motors ist die Beklagtenpartei. Mit Schreiben vom 19.09.2020 forderte die Klagepartei die Beklagtenpartei zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert (Anlage K 11). Das streitgegenständliche Fahrzeug ist bislang von keinem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) betroffen.
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Die Klagepartei trägt vor, dass das Fahrzeug vom sog. Dieselabgasskandal betroffen sei, was bei Erwerb des Fahrzeuges bekannt gewesen sei. Die Klagepartei sei aufgrund der Herstellerverlautbarungen davon ausgegangen, dass der NOx-Ausstoß des Fahrzeuges innerhalb der für die Abgasnorm EU6 geltenden Bestimmungen liege. Die Einordnung in die Schadstoffklasse sei wesentlich für die Kaufentscheidung gewesen. Der Motortyp EA288 sei Nachfolgemodell des Motors EA189. Im streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine temperaturgesteuerte Abschaltvorrichtung verbaut. Die Abschalteinrichtung führe dazu, dass die Emissionsreinigung auf dem Prüfstand ausnahmslos funktioniere. Im realen Fahrbetrieb würden die Emissionsgrenzwerte jedoch nicht durchweg eingehalten. Das Fahrzeug sei so konstruiert, dass es spezifische Parameter ermittle, um zu erkennen, ob es sich auf dem Prüfstand befinde, um in diesem Fall die volle Leistungsfähigkeit der Systeme anzusteuern, die Abgasgrenzwerte einzuhalten und so die Zulassung für den europäischen Fahrzeugmarkt zu erhalten. Aufgrund der massiv erhöhten Emissionen könne das Fahrzeug jedoch nicht in die Abgasnorm EU6 eingestuft werden, da es die gesetzlichen Voraussetzungen aufgrund der überhöhten Stickoxid-Emissionen nicht erfülle. Die Beklagte habe sich damit eine Zulassung erschlichen, die es ohne die Täuschung der Behörden nie gegeben hätte. Der Kläger trägt vor, dass er das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn dies bekannt gewesen sei. Auch der Vorstand der Beklagten sei in die Vorgänge eingeweiht gewesen. Daher bestünden nach Auffassung der Klägerseite Ansprüche gegen die Beklagtenpartei insbesondere aus § 826 BGB.
4
Die Klägerseite beantragt,
die Beklagtenseite zu verurteilen, an die Klagepartei 46.000 Euro abzüglich einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.01.2020 zu bezahlen und aus einem Betrag von 46.000 Euro seit dem 22.06.2016 in Höhe von 4 Prozentpunkten bis 23.01.2020 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan, FIN …
sowie festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag genannten Pkw seit 22.06.2016 in Annahmeverzug befindet
und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren Schäden zu ersetzen, die saus dem Kauf dem og. Fahrzeugs VW Tiguan II aufgrund der falschen Abgaswerte sowie einer installierten Manipulationssoftware entstanden sind und noch entstehen werden
und ferner die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.791,74 Euro freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, dass im Motor des Typs EA 288 keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Das Kraftfahrtbundesamt habe den streitgegenständlichen Motortyp eingehend überprüft und bereits im Jahr 2016 festgestellt, dass dort keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Daher habe das Kraftfahrtbundesamt in diesem Zusammenhang keinerlei belastenden Bescheid für die Klageseite erlassen und auch keinen Rückruf angeordnet. Die Behauptungen der Klagepartei seien daher nicht substantiiert, so dass die Klage bereits unschlüssig sei. Es handle sich vielmehr um Behauptungen ins Blaue hinein, die keine Beweiserhebung rechtfertigen würden. Zudem sei der Motortyp EA288 mit dem Typ EA189 nicht identisch, sondern vollständig unterschiedlich.
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Sofern überhaupt eine Abschalteinrichtung vorliegen würde, sei nach Artikel 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 zwischen zulässigen und unzulässigen Abschalteinrichtungen zu unterscheiden. Die Messungen des KBA haben allerdings ergeben, dass bei den Motoren des Typs EA288 das verwendete Abgasnachbehandlungssystem bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte einhalten würde. Dies erfolge unabhängig von einer Fahrkurvenerkennung. Damit liege bereits tatbestandlich keine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der VO (EG) 715/2007 vor. Zudem sei im streitgegenständlichen Fahrzeug keine Fahrkurvenerkennung (Akustikfunktion) verbaut. Auch dies hätten Messungen des Kraftfahrtbundesamtes bestätigt. Es komme keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines unzulässigen Thermofensters zum Einsatz. Der Umfang der in den Motor zurückgeführten Abgase sei dabei von der Außentemperatur abhängig. Dies sei bei sämtlichen in der EU produzierten Dieselfahrzeugen mit Abgasrückführung der Fall, da dies technisch unverzichtbar sei, um Motorschäden zu vermeiden. Dabei handle es sich nicht um eine Abschaltvorrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007. Sie diene vielmehr dem Motorschutz und dem sicheren Betrieb des Fahrzeuges im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 715/2007. Auch dieser Vorwurf sei vom Kraftfahrtbundesamt überprüft und zurückgewiesen worden. Des Weiteren seien die übrigen, von der Klageseite vorgetragenen Vorwürfe zu unzulässigen Abschalteinrichtungen bei den betroffenen Fahrzeugen vom Kraftfahrtbundesamt bereits überprüft und verneint worden. Zudem sei die Behauptung der Klageseite, der Motor EA288 sei mit dem Motor EA189 nahezu baugleich völlig pauschal. Aus vorgenannten Gründen sei es auch zur Nachüberprüfung durch das KBA zu keinem Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beim streitgegenständlichen Motor gekommen. Das Fahrzeug verfüge daher über eine wirksame Typengenehmigung für die Emissionsklasse Euro-6.
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Wegen des weiteren Parteivortrages wird zur Ergänzung des Tatbestandes zudem auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat zunächst aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12.08.2020 am 11.09.2020 einen Beweisbeschluss erlassen und den Sachverständigen … beauftragt. Nach einem Richterwechsel und einem entsprechenden rechtlichen Hinweis vom 27.02.2021 hat das Gericht am 24.02.2021 erneut mündlich verhandelt. Auf die Stellungnahme des Sachverständigen vom 27.11.2020 und den gerichtlichen Hinweis vom 27.02.2021 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unter allen rechtlichen Gesichtspunkten unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages, insbesondere nicht aus § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB.
I.
10
Der Kläger hat die tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten deliktischen Schadensersatzanspruches nicht hinreichend konkret dargelegt. Im Gegensatz zum Motor der Baureihe EA189, auf den die Klägerseite auch Bezug nimmt, ist vorliegend offen, ob das Fahrzeug überhaupt mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und ob es damit vom sog. Dieselskandal betroffen ist. Die Beklagte bestreitet dies substantiiert und unter Bezugnahme auf die maßgebliche Verordnung (715/2007/EG).
11
Das Kraftfahrtbundesamt hat bezüglich des streitgegenständlichen Motortyps umfangreiche Überprüfungen vorgenommen. Ein Rückruf liegt unstreitig für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht vor. Dies unterscheidet diese Fallkonstellation maßgeblich von den Motoren der Klasse EA189, bei denen ein Rückruf durch das KBA angeordnet wurde und ein Softwareupdate aufzuspielen war. Vorliegend vermutet die Klägerseite lediglich eine Manipulation durch die Beklagte und nimmt dabei Bezug auf Unregelmäßigkeiten bei der Abgasrückführung. Als Beweis wird ein Sachverständigengutachten angeboten. Konkrete Anknüpfungstatsachen, weshalb die Motorisierung des Fahrzeuges nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen würde, trägt die Klägerin dagegen nicht vor. Lediglich die Behauptung einer illegalen Abschalteinrichtung rechtfertigt keine Beweiserhebung. Es reicht zur Substantiierung insbesondere nicht aus, dass bei anderen Fahrzeugen mit anderen Motoren eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde. Darüber hinaus fehlt es auch an einem konkreten Vortrag, welcher Vertreter der Beklagten den Tatbestand einer unerlaubten Handlung verwirklicht haben soll, so dass eine Zurechnung über § 31 BGB erfolgen kann. Lediglich die Bezugnahme auf Bußgeldverfahren reicht hier nicht aus. (OLG München, Beschluss vom 22.03.2019, 21 U 533/19). Auch der zunächst gerichtlich beauftragte Sachverständige hatte Schwierigkeiten, die Beweisfrage zu konkretisieren und diese technisch umzusetzen.
12
Selbst unter Berücksichtigung der Vorgaben des BGH im Beschluss vom 28.01.2020 (VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740) hat die Klageseite die Substantiierungsanforderungen bezüglich des Klagevortrages nicht erfüllt. Vorliegend handelt es sich um einen Motor einer anderen Baureihe. Dass dieser nahezu baugleich mit dem Motor der Baureihe EA189 sei, hat die Klageseite lediglich ins Blaue hinein behauptet. Dies wurde von der Beklagtenseite substantiiert bestritten. Vorliegend fehlt es auch an den im Beschluss des Bundesgerichtshofes genannten Anhaltspunkten, die für die Richtigkeit des klägerischen Vortrages sprechen. Im konkreten Fall kam es unstreitig nicht zu einer Rückrufaktion bezüglich des verbauten Motortyps, noch wurde konkret vorgetragen, dass es zu strafrechtlichen Ermittlungen gekommen ist. Die Erholung eines Sachverständigengutachtens zu dem Vorbringen der Klägerseite wäre daher lediglich ein Ausforschungsbeweis. Der Umstand, dass einzelne Fahrzeugtypen eines Herstellers mit einer sog. Abschalteinrichtung versehen sind, führt nicht dazu, dass sämtliche Dieselfahrzeuge dieses Herstellers unter dem Verdacht stehen, ebenfalls manipuliert zu sein, ohne dass es hierfür konkrete Anhaltspunkte, insbesondere auch von Behördenseite gibt. Maßgeblich ist hier insbesondere auch, dass die gegenständlichen Vorwürfe einer Überprüfung durch das Kraftfahrtbundesamt unterzogen wurden und es gerade zu keinem Rückruf gekommen ist. Die Klägerseite kann daher das streitgegenständliche Fahrzeug so wie erworben, weiterhin nutzen, ohne dass dies einem zwangsweisen behördlichen Rückruf ausgesetzt ist.
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Auf dieser Tatsachengrundlage ist für die Erholung eines Sachverständigengutachtens kein Raum. Damit liegen die Voraussetzungen für einen deliktischen Anspruch nicht vor.
II.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.