Titel:
Vorläufige Vollstreckbarkeit, Darlegungs- und Beweislast, Elektronischer Rechtsverkehr, Tatbestandswirkung, Parallelverfahren, Sittenwidrigkeit, Abgasmanipulation, Elektronische Kommunikation, Streitwert, Greifbare Anhaltspunkte, Inverkehrbringen, Elektronisches Dokument, Qualifizierte elektronische Signatur, OLG Braunschweig, Verwaltungsakt, Hinweisbeschluss, Abschaltvorrichtungen, Abschalteinrichtung, Kraftfahrt-Bundesamt, Klagepartei
Schlagworte:
Unbegründete Klage, Ansprüche aus Erwerb, Unzulässige Abschalteinrichtung, Fehlende greifbare Anhaltspunkte, Kein amtlicher Rückrufbescheid, Bestandskräftige Typgenehmigung, Kein Schaden entstanden, Thermofenster, Unzulässige Abschalteinrichtungen, Typgenehmigung, Vorsatz, Täuschungshandlung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 22.02.2022 – 28 U 8424/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 18.09.2024 – VIa ZR 400/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66906
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 50.866,30 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klagepartei hat per Kaufvertrag vom 18.07.2018 von der Firma … & Co. KG einen gebrauchten PKW des Typs VW T 6 Multivan Trendline 2.0 TDI (FahrzeugIdentifizierungsnummer: …; Motorentyp EA 288. Baujahr 2017) zu einem Kaufpreis in Höhe von EUR 53.900,00 erworben (Anlage K 5).
2
Da der Erwerb des Fahrzeuges durch die Klagepartei gewerblich erfolgte, hatte sich die Klagepartei die Vorsteuer in Höhe von EUR 8.605,88 rückerstatten lassen.
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In diesem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein sog. Thermofenster und eine sog. Fahrkurvenerkennung eingebaut, von welchen die Klagepartei der Ansicht ist, dass es sich hierbei um unzulässige Abschalteinrichtungen handelt.
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Die Beklagte habe auch bewusst über das Vorliegen dieser unzulässigen Abschaltvorrichtung getäuscht, indem sie im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens gegenüber der Genehmigungsbehörde keine Angaben zu dem Vorliegen des Thermofensters der getätigt habe.
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Vorliegend handle es zwar nicht um den sog. Skandalmotor der Motorreihe EA 189. Der hier streitgegenständliche Zwei-Liter-Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei jedoch im Ergebnis vergleichbar zu der von einem Rückruf betroffenen Motorreihe EA189 aus Herstellung der Beklagten, da auch der Motor EA 288 durch eine doppelte Abschaltvorrichtung manipuliert werde. Es hat auch einen Rückruf wegen einer Konformitätsabweichung gegeben mit der Notwendigkeit, ein Update aufspielen zu lassen (Anlage K 14, K 15), was zwischenzeitlich auch erfolgt ist.
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Der Vorstand der Beklagten habe von der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschaltvorrichtung, insbesondere von dem Vorhandensein des Thermofensters, sowie auch von der nachträglichen Änderung der Motorsteuerungssoftware Kenntnis gehabt.
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Hätte die Klagepartei vom Einbau der illegalen Abschalteinrichtung, insbesondere der Prüfstanderkennung und des sog. Thermofensters, gewusst, hätte sie den streitgegenständlichen Pkw nicht erworben.
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Darüber hinaus besteht der Schaden darin, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem merkantilen Minderwert behaftet sei.
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Da das Verhalten der Beklagten auch sittenwidrig sei, stehe der Klagepartei ihr gegenüber ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB i.v.m. § 31, 831 BGB zu.
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Die Klagepartei beantragt daher:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 42.260,42 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW des Typs VW T 6 Multivan Trendline 2.0 TDI (Fahrzeug-Identifizierungsnummer: …).
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet, die Klagepartei von möglichen Erstattungsansprüchen hinsichtlich der an die Klagepartei rückerstatteten Umsatzsteuer in Höhe von EUR 8.605,88, freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte hinsichtlich des Klageantrages zu Ziffer 1) im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von EUR 1.527,00 zuzüglich 5% – Punkte über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
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Hierzu trägt sie insbesondere vor, dass der streitgegenständliche Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form der aus den EA189-Verfahren bekannten Umschaltlogik enthält. Sie weist insbesondere darauf hin, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den streitgegenständlichen Motortyp EA 288 eingehend überprüft und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt hat. Die Beklagtenpartei nimmt hierzu u.a. auf die, in anderen Gerichtsverfahren seitens des KBA erteilen Auskünfte Bezug (Anlagen B 9, B 21, B 18, B 22, B 15, B 32).
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage (§§ 32, 39 ZPO) ist unbegründet.
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Die Klagepartei hat gegenüber der Beklagten keine Ansprüche aus dem Erwerb des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs gem. §§ 823 Abs. 2, 826 BGB i.V.m. §§ 31, 831 BGB, § 263 StGB, §§ 6 I, 27 I EG-FGV.
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Die Klagepartei hat nicht bewiesen, dass das Fahrzeug bzw. dessen Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung besitzt bzw. dass die Beklagte vorsätzlich oder sittenwidrig gehandelt hat.
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Der BGH konnte sich zum VW Motor EA 288 bislang noch nicht äußern. Es liegen jedoch insbesondere überzeugende OLG-Entscheidungen vor, welche bei einer vergleichbaren Fallkonstellation Schadensersatzansprüche des jeweiligen Käufers im Ergebnis verneint haben.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Prozesspartei zwar grundsätzlich auch Umstände behaupten darf, von denen sie keine sichere Kenntnis hat, sondern die sie lediglich für möglich hält. Allerdings müssen greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts vorliegen (vgl. BeckOK ZPO/von Selle, 30. Ed. 15.9.2018, § 138 Rn. 32 m.w.N.), was vorliegend jedoch als nicht gegeben erachtet wird (vgl. ebenso OLG Braunschweig, Beschluss vom 04.11.2019 – 7 U 363/18 hinsichtlich eines PKWs mit dem Motor Typ EA 288).
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Selbst wenn die Klagepartei subjektiv die Befürchtung haben mag, ihr Fahrzeug weise eine Prüfstandserkennung auf, ist diese Behauptung mangels objektiver Tatsachengrundlage für ihre Richtigkeit als Vortrag ins Blaue hinein anzusehen.
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Konkrete objektive Anhaltspunkte dafür, dass das streitgegenständliche Fahrzeug bzw. Fahrzeuge dieser Baureihe mit dem auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor eine Prüfstandserkennung aufweisen, trägt die Klagepartei jedoch nicht vor. Im Übrigen soll es sich nach dem Vortrag der Klagepartei hierbei offensichtlich um das Thermofenster und die Lenkwinkelerkennung handeln.
Vgl. OLG Koblenz in einem Hinweisbeschluss vom 08.12.2020 – 2 U 385/20, in einem T6Parallelverfahren:
„Auch gemessen an diesen strengen Voraussetzungen ist die Behauptung des Klägers, der in seinem Fahrzeug verbaute Nachfolgemotor zum EA189 – der EA288 – verfüge über eine unzulässige Anschalteinrichtung, wie sie im EA189 verbaut sei, reine Spekulation und „aufs Geratewohl“ und „ins Blaue hinein“ aufgestellt. Während mehrere unstreitige Tatsachen die Behauptung der Beklagten stützen, der streitgegenständliche Motor weise keine solche unzulässige Abschalteinrichtung auf, stützt sich der Kläger alleine auf Mutmaßungen“.
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Für sämtliche Fahrzeuge des Motortyps EA288 der Marken Volkswagen, AUDI, Seat und Skoda gibt es insbesondere keinen amtlichen Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) im Zusammenhang wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Dies stellt bereits ein gewisses Indiz gegen das Vorhandensein einer solchen Einrichtung dar. In der Entscheidung vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 hat der BGH das Vorhandensein von „greifbaren Anhaltspunkten“ gerade auch darauf gestützt, dass mehrere Fahrzeugtypen der dortigen Beklagten, die mit dem streitgegenständlichen Motor ausgestattet sind, von einer Rückrufaktion betroffen waren.
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Zudem hat nach dem unstreitigen Sachvortrag der Beklagten das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den streitgegenständlichen Motortyp EA 288 eingehend überprüft und bereits im Jahr 2016 festgestellt, dass dort keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt. Wörtlich heißt es hierzu im Untersuchungsbericht vom April 2016 (Anlage B 1, S. 12, rechte Spalte oben): „Hinweise, die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 (Euro 6) seien ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen, haben sich hierbei auf Grundlage der Überprüfungen als unbegründet erwiesen“. Dabei ist davon auszugehen, dass eine etwaige vorhandene unzulässige Abschalteinrichtung bei diesen Überprüfungen auch entdeckt worden wäre.
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Das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVf) hat dies noch einmal bestätigt, so unter anderem in einer T. -Mitteilung vom 12.09.2019 (Anlage B 2) in der es heißt:
„Die Vorwürfe sind nicht neu. Das "KBA hat bereits 2016 eigene Messungen, Untersuchungen & Analysen durchgeführt. Unzulässige "Abschalteinrichtungen konnten dabei NICHT festgestellt werden“.
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Im Nachgang ergänzte das BMVI die Mitteilung und stellte klar: „und zwar auch nicht in Gestalt einer unzulässigen Zykluserkennung. “
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Das KBA hat sich zudem bereits in mehreren amtlichen Stellungnahmen betreffend Fahrzeuge mit EA288-Motoren, die in Parallelverfahren eingeholt wurden, dahingehend geäußert, dass es auf Basis umfangreicher Untersuchungen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen feststellen konnte (vgl. Anlagen B 9, B 21, B 18, B 22, B 15, B 32).
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Auch in einem T6-Paralleverfahren, anhängig am Landgericht Aurich, Az. 7 O 273/20, hat das KBA mit Auskunft vom 11. Januar 2021 (Anlage B 23) Folgendes mitgeteilt:
„Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrages (EA) 288 durch, so z.B. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten. Es wurde bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA288 aufweist und durch das KBA untersucht wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Es wurden daher weder Nebenbestimmungen angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen. “
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Auch in der Freigabe-Bestätigung vom 19. November 2018 (Anlage B 35) für die sich bereits im Feld befindlichen T6-Fahrzeuge betont das KBA, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt wurden.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug war zwar von einer sog. technischen Konformitätsabweichung erfasst. Diese stellt allerdings keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, wie das KBA bestätigt hat. Eine bloße technische Abweichung in Form einer Konformitätsabweichung begründet auch keine vorsätzliche Täuschung oder gar sittenwidrige Schädigung des Klägers (vgl. OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 29. 01.2021 – 3 U 1280/20, in einem T6-Parallelverfahren).
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Dass keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt, hat das KBA auch gegenüber dem Landgericht Freiburg im Breisgau in einem Parallelverfahren, in dem ebenfalls ein EA288 – Fahrzeug mit Abgasnorm EU6 streitgegenständlich war, bestätigt. Im Rahmen einer amtlichen Auskunft vom 12. Oktober 2020 stellte das KBA klar: „Das streitgegenständliche Fahrzeug […] weist nach diesseitigem Kenntnisstand keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens auf. Es wurden weder Nebenbestimmungen zu diesem Fahrzeug angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf. “
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In der amtlichen Auskunft des KBA vom 13. November 2020 (Anlage B 18) hat das KBA zudem gegenüber dem OLG Stuttgart für alle EA 288 EU5- wie EU6-Fahrzeuge insbesondere bestätigt: „Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3. Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen im KBA zeigen, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. “ Nach dem Thüringer OLG sind die Zivilgerichte auch an die Beurteilung des KBA als zuständige Behörde gebunden (OLG Thüringen, Hinweis vom 29. Juni 2020 – 1 U 883/19), wobei dem KBA die „Fahrkurvenerkennung“ bereits seit 2015 bekannt war.
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Absolut eindeutig ist auch die amtliche Auskunft gegenüber dem KBA vom 11. Januar 2021 gegenüber dem Landgericht Kempten (Anlage B 42), welche sich exakt auf das hier streitgegenständliche Fahrzeugmodell T6 und Motoraggregat (EA288, EU6, 2.0I TDI mit 110 kW und einem SCR-Katalysator bezieht. Hiernach stellt das KBA nach sehr umfassenden Untersuchungen fest, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung gefunden werden konnte und es sich speziell bei der Fahrkurvenerkennung nicht um eine solche handelt.
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In dem Urteil des OLG Frankfurt vom 7.10.2020 – 4 U 171/18 (vgl. auch Hinweisbeschluss vom 17.02.2020 – 12 U 353/19), bei welchem ebenfalls ein Fahrzeug mit einem EA288 – Motor streitgegenständlich war, führte das Gericht aus, “dass es für die klägerische Behauptung, auch bei dem in seinem Fahrzeug verbauten Motor sei eine illegale Abschalteinrichtung vorhanden, an konkreten Anknüpfungstatsachen fehlt, so dass diese „ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts“ (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19) aufgestellt wurde“.
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Weiter hat das Gericht ausgeführt, dass allein die Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für den Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb bei Einhaltung der Grenzwerte im Prüfstandbetrieb nicht geeignet ist, den Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu ziehen und dass allein den Messungen im Realbetrieb keine entscheidende Bedeutung zukommt. Außerdem habe das Kraftfahrtbundesamt im Auftrag des BMVI u.a. 8 Fahrzeuge der Emissionsklassen Euro 5 und 6 mit dem Motor EA 288 dahingehend überprüft, ob sie unzulässige Abschalteinrichtungen oder unzulässige Systematiken und Randbedingungen von Prüfstands- und Zykluserkennungen wie die in den EA189 – Fahrzeugen verbaute Umschaltlogik enthielten. Die Untersuchungen sind durch unabhängige Gutachter erfolgt und die Fahrzeuge unter variierten Prüfungsanforderungen sowohl im Labor auf dem Rollenprüfstand nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) als auch unter den gesetzlich nicht erforderlichen, realen Fahrbedingungen auf der Straße mithilfe von Real Diving Emissions-Messungen (RDEMessungen) getestet worden. Als Fahrprofile wurden neben dem gesetzlich vorgeschriebenen NEFZ auch NEFZvariierte Profile und in Anlehnung an den Vorschlag der Europäischen Kommission der RDE-Zyklus gefahren. Nach diesen Prüfungen ist das BMVI zu dem Ergebnis gekommen, dass in den Motoren des Typs EA 288 die aus den EA189 – Fällen bekannte Umschaltlogik nicht zum Einsatz kommt.
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Auch sei eine Prüfzykluserkennung, etwa mittels Fahrkurvenerkennung nicht per se unzulässig, sondern nur dann, wenn sie dazu benutzt wird, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu verändern, dass deren Wirksamkeit im normalen Fahrbetrieb verringert wird.
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Das OLG München, Beschluss vom 08.03.2021 – 17 U 6806/20 hat diesbezüglich insbesondere festgestellt, dass seitens des KBA 2016 umfangreiche Untersuchungen veranlasst worden sind mit dem Ergebnis, dass Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 (Euro 6) von Abgasmanipulationen nicht betroffen sind (vgl. S. 12 des Berichts der Untersuchungskommission,,Volkswagen“). Dieses Ergebnis sei seitens des BMVI in der bereits genannten T. meldung vom 12.09.2019 nochmals bestätigt worden und zwar mit dem Zusatz, dass unzulässige Abschalteinrichtungen,,auch nicht in Gestalt einer unzulässigen Zykluserkennung“ festgestellt werden konnten. Ebenso hat das OLG München im Urteil vom 19.03.2020 – 32 U 2840/19 festgestellt, dass die Messungen, die im Realbetrieb oder unter Straßenbedingungen erhoben werden, keine Indizwirkung in Bezug auf eine unzulässige Abschalteinrichtung haben und darauf, dass die Nachprüfung der Emissionen um tatsächlichen Fahrbetrieb (sogenannte Real Drive Emissions-Prüfung oder kurz RDE-Prüfung) erst bei Fahrzeugen neuerer Bauart verpflichtend geworden ist und die RDE-Grenzwerte gemäß der Übergangsregelung in Art. 3 Abs. 10 VO (EG) 692/2008 erst seit den 01.09.2017 für neue Fahrzeugtypen und seit dem 01.09.2018 für alle Neufahrzeuge gelten.
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Es ist überhaupt zweifelhaft, ob Funktionen, welche sowohl auf dem Prüfstand als auch im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise aktiv sind und sich nur aufgrund äußerer Umstände zwangsläufig in unterschiedlicher Weise auf den Schadstoffausstoß auswirken, überhaupt als (unzulässige) „Abschalteinrichtungen“ im Sinne des Art. 5 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 angesehen werden können und man hierbei von einer vorsätzlichen Täuschung der Prüfbehörden ausgehen kann. So hat auch der BGH im Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 im Falle des Thermofensters ein arglistiges Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde, deshalb verneint, da die Steuerung der Abgasrückführung in beiden Fahrsituationen, d.h. im Prüfstandsbetrieb als auch im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet.
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Letztlich deutet auf die Richtigkeit der klägerischen Behauptung, das Fahrzeug weise eine unzulässige Prüfstandserkennung auf, allein der Umstand hin, dass es mit einem Dieselmotor ausgestattet, von der Beklagten hergestellt worden ist und es sich um den Nachfolgemotor des Motors EA 189 handelt. Hieraus lässt sich aber nichts ableiten, was über Spekulationen hinausginge (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss v. 26.11.2020 – 5 U 4001/19). Insbesondere hat die Beklagte unstreitig vorgetragen, dass der Motortyp EA 288 mit dem Typ EA 189 nicht identisch, sondern vollständig unterschiedlich ist. Eine Beweisaufnahme, welche letztlich auf eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung hinauslaufen würde, war daher nicht veranlasst.
Vgl. auch das Urteil des OLG Frankfurt vom 6. November 2019, Az. 13 U 217/19: „Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sind keine greifbaren Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, nach denen davon ausgegangen werden könnte, dass auch der […] verbaute Motor mit der Bezeichnung EA 288 mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ausgestattet war, wie dies von VWMotoren mit der Bezeichnung EA 189 bekannt ist. Die Behauptungen des Klägers hierzu […] sind reine Spekulation. “ (vgl. ebenso greifbare Umstände verneinend, die den Verdacht auf eine Prüfstandserkennung im Motor des Kraftfahrzeugs nahelegen, OLG München, Hinweisbeschluss vom 05.08.2020 – 27 U 5477/19 – Audi A3 mit Motortyp EA 288).
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Soweit der BGH mit grundlegendem Urteil zum,,Dieselskandal“ festgestellt hat, dass ein Schaden auch im Abschluss eines Kaufvertrags über ein Fahrzeug liegen kann, bei dem das Risiko der Nichtbenutzbarkeit aufgrund des zu befürchtenden Widerrufs einer erschlichenen Typengenehmigung besteht, ist dies für den vorliegenden Fall nicht einschlägig, da unstreitig das KBA den Motor Typ EA 288 mehrfach untersucht hat und keinen Grund zur Beanstandung gefunden hat (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.03.2021 – 20 U 72871/20). Dies belegt nach dem OLG München, dass von vornherein das Risiko einer Nichtbenutzbarkeit nicht einmal abstrakt bestand, so dass nicht von einem objektiv wirtschaftlich nachteiligen Vertragsabschluss auszugehen ist.
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Indem die Klagepartei dennoch weiterhin behauptet, im Motor EA 288 sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, welche die erteilte Genehmigung in Frage stellt (und welche offensichtlich nach der Vorstellung der Klagepartei vom KBA im Rahmen der Untersuchungen stets übersehen wurde), und hierzu Sachverständigenbeweis anbietet, übersieht sie auch, dass das KBA die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde ist (siehe unten). Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag (OLG München aaO.).
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Hieraus und aus dem Umstand, dass das KBA offenbar trotz Kenntnis der im EA 288 hinterlegten Fahrkurve eine Änderung hinsichtlich der bereits genehmigten Modelle nicht verlangt hat, lässt sich umgekehrt gerade schließen, dass auch die, „Fahrkurvenerkennung“ bzw. die Lenkwinkelerkennung keine problematische Einrichtung darstellt (vgl. auch OLG München, Beschluss vom 15.03.2021- 20 U 7287/20; v. 08.02.2021 – 21 U 5254/20; LG München I, Urt. v.20.05.2021 – 31 O 17856/20).
41
Außerdem weist das KBA in einer Mitteilung an das Landgericht Bayreuth (Az. 21 O 367/20) vom 15.12.2020 (Anlage B 15) darauf hin, dass der bloße Verbau einer Prüfstandserkennung nicht unzulässig ist sowie dass bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA 288 aufweist und durch das KBA untersucht wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde.
42
Auch muss nicht zwangsläufig jeder auf dem deutschen Markt verkaufte Pkw mit dem Motor EA 288 über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügen, sofern eine solche bei einem anderen Pkw festgestellt worden sein sollte (OLG Braunschweig, Beschluss vom 04.11.2019 – 7 U 363/18: Es „verbleibt allein der vom Kläger geäußerte generelle Verdacht gegen Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 ohne tatsächliche Anhaltspunkte“).
43
Mit der Erteilung der Typgenehmigung hat das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten als Hersteller eben bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Anforderungen der „einschlägigen Vorschriften“ erfüllt, mithin auch diejenigen der VO (EG) Nr. 715/2007 hinsichtlich der Schadstoffemissionen. Unzweifelhaft handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber dem Fahrzeughersteller, dem hierdurch ermöglicht wird, die dem genehmigten Typ entsprechenden Fahrzeuge unter Ausstellung und Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung (§ 22 EG-FGV) in den Verkehr zu bringen. Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen genügt, so sind die Zivilgerichte auf Grund der sogenannten Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes daran gehindert, etwas anderes anzunehmen. Die Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes besagt, dass dann, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt erlassen hat, der ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich erlaubt, etwa durch eine Genehmigung, die Zulässigkeit des betreffenden Verhaltens eine Nachprüfung durch die Zivilgerichte so lange entzogen ist, als der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist (OLG Nürnberg, Beschluss v. 27.07-2020 – 5 U 4765/19,aaO.; LG München I, Urt. v.20.05.2021 – 31 O 17856/20; OLG Frankfurt, Hinweisbeschluss vom 21.01.2021, Az. 19 U 166/20).
44
Damit wäre es aber nicht vereinbar, wenn man annehmen würde, die Beklagte habe der Klagepartei gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, das dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung jedweder Art versehen ist, die der Erteilung einer Genehmigung entgegenstünde (OLG Nürnberg aaO, OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 7.8.2019 – 7 U 626/19).
45
Das Inverkehrbringen des, mit unterstellt vorhandenen und unzulässigen Abschaltvorrichtungen ausgestatteten streitgegenständlichen Fahrzeugs kann auch nicht als (konkludente) Täuschung durch positives Tun qualifiziert werden, zumal der Einsatz des Fahrzeugs mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung ohne weiteres möglich war und ist (vgl. OLG München Hinweisbeschlüsse vom 10.01.2020 – 3 U 5980/19; vom 10.01.2020 – 3 U 5980/19 (zur EG -Typgenehmigung); OLG Brandenburg Beschluss vom 18.11.2020 – 11 U 50/19, wonach die bestandskräftige Typgenehmigung Tatbestandswirkung dahingehend entfaltet, dass die Kontrolle der Zulässigkeit des so genannten Thermofensters der zivilgerichtlichen Überprüfung entzogen ist).
46
Speziell hinsichtlich des sog. Thermofensters (temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung) fehlt es jedenfalls an einem sittenwidrigen oder vorsätzlichen Verhalten.
47
Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen als Rechtfertigung ein Motor- oder Bauteilschutz ernsthaft angeführt werden kann, kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, dass die Verantwortlichen in dem Bewusstsein handelten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
48
Dies haben mittlerweile zahlreiche Oberlandesgerichte überzeugend bestätigt (z.B. OLG Stuttgart, Urteil vom 11.12.2020 – 3 U 101/18; OLG München, Hinweisbeschluss vom 13.05.2020 – 27 U 1368/20: „…eine vertretbare Auslegung des Unionsrechts (kann) schwerlich als verwerfliches Verhalten im Sinne des § 826 BGB gewertet werden“; OLG Karlsruhe, Urteil vom 23.06.2021 – 6 U 142/20; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17.02.2020 – 8 U 178/19 (Anlage B 3) (BMW Motortyp N 47) -„…fehlt es an jedweden konkreten Anhaltspunkten, ungeachtet dessen, dass völlig offen ist, wer von den Organen der Beklagten Kenntnis von den maßgeblichen Umständen gehabt haben soll. Dem schlichten Verweis der Klägerin auf die sekundäre Darlegungslast der Beklagten fehlt ohne greifbaren Anhalt auf Seiten der primären Behauptung die gesetzliche Grundlage“; OLG München, Beschluss vom 12.12.2019 – 5 U 4627/19 – der in Literatur und in den Entscheidungen der 23. Zivilkammer des LG Stuttgart betriebene – erhebliche – Begründungsaufwand zeigt, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen welche die Beklagte bewusst verstoßen hätte).
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Ein sittenwidriges Verhalten kann der Beklagten allenfalls erst dann vorgeworfen werden, wenn ihre Verantwortlichen trotz positiver Kenntnis von der Chancenlosigkeit der Erhaltung der Betriebserlaubnis geschwiegen hätten, also in Kenntnis des Umstands, dass eine Untersagung der Betriebserlaubnis unmittelbar bevorstand. Letzteres war vorliegend ersichtlich nicht der Fall. Sogar in den VW-Abgas-Fällen den Motortyp EA 189 betreffend würde allein die Kenntnis von der noch entfernt liegenden (und tatsächlich auch nicht eingetretenen) Möglichkeit, dass die Betriebserlaubnis entzogen werden könnte und die Endkunden der Beklagten hierdurch Schäden erleiden würden, nicht genügen (BGH, Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 124/09, Rn. 14 bei JURIS zur parallelen Situation bei einer noch entfernt liegenden Möglichkeit, dass eine Geschäftstätigkeit gemäß § 37 KWG untersagt werden könnte). Für die Annahme der Sittenwidrigkeit genügt es auch nicht, dass die Klagepartei zur Wahrung ihrer Vermögensinteressen auf eine wahrheitsgemäße Darstellung angewiesen ist. Denn dies mag zwar eine Rechtspflicht zur vollständigen und richtigen Aufklärung begründet haben. Die im Rahmen des § 826 BGB erforderliche Sittenwidrigkeit der unterlassenen Aufklärung folgt daraus jedoch regelmäßig – und auch hier – noch nicht. Das Unterlassen der Aufklärung über die (unterstellt vorhandenen und unzulässigen) Abschaltvorrichtungen stellt (ähnlich wie das Unterlassen der Aufklärung über wesentliche regelwidrige Auffälligkeiten einer Kapitalanlage) nicht schon dann einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB dar, wenn eine (vertragliche) Pflicht zur Aufklärung besteht (OLG München, Hinweisbeschluss vom 10.01.2020 – 3 U 5980/19).
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Eine Aufklärungspflicht über den Einsatz etwaiger vorhandener und unzulässiger Abschaltvorrichtungen angenommen, hätte eine darin begründete Pflichtverletzung jedenfalls keine solche Schwere, als dass eine Aufklärung einem sittlichen Gebot entsprochen hätte. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs gegenüber einer bestehenden vertraglichen oder vorvertraglichen Bindung, die eine Offenbarungspflicht nur bei Vorliegen erkennbar wertbestimmender Faktoren beinhaltet, ist darauf abzustellen, ob erhebliche wertbildende Faktoren verletzt werden. Das ist zu verneinen (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17, Rn 174; LG Braunschweig, Urteil vom 14.07.2017 – 11 O 4033/16).
51
Die Klagepartei nutzt das Fahrzeug derzeit sowie auch weiterhin legal und uneingeschränkt. Es wurde zu keiner Zeit stillgelegt. Außerdem wurde die Typgenehmigung weder zurückgenommen noch widerrufen und ist nach wie vor bestandskräftig und wirksam. Auch ist nicht ersichtlich, dass akut die Gefahr besteht, dass das Kraftfahrtbundesamt die EGTypengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug widerruft (vgl. OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 17.02.2020 – 12 U 97/19 (Anlage B 2)- „keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt“; OLG Frankfurt a.M., Hinweisbeschluss vom 17.02.2020 – 8 U 178/19 (Anlage B 3), jeweils (BMW-Motortyp N47). Bei dieser Sachlage kann von der Verletzung erheblicher wertbildender Faktoren nicht ausgegangen werden (OLG München Hinweisbeschluss vom 10.01.2020 – 3 U 5980/19; vgl. im Übrigen auch LG Braunschweig, Urteile vom 30.08.2017, 3 O 1165/16; vom 14.07.2017, 11 O 4033/16; LG Bamberg, vom 16.01.2017, 2 O 243/16, BeckRS 2017, 155532; OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 31.03.2020 – 3 U 57/19; LG Braunschweig, vom 14.07.2017, 11 O 4033, juris-Rn. 27; vom 20.12.2017, 3 O 2052/16; OLG Celle, Urteil vom 18.12.2019 – 7 U 511/18; KG, Urteil vom 18.02.2020 – 14 U 74/19). Auch ist durch den Abschluss des Kaufvertrages kein Schaden entstanden, da von Anfang an keine Gefahr bestand, dass das Fahrzeug für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar ist (vgl. OLG München, Urteil v. 15.07.2021 – 31 U 1565/20).
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So hat auch der BGH kürzlich entschieden, dass das Inverkehrbringen eines in der Motorsteuerung installierten Thermofensters für sich genommen weder als sittenwidrige Handlung einzustufen ist, noch sich daraus der erforderliche Schädigungsvorsatz der dortigen Beklagten, der D. B. AG, ergibt, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19). Solche Umstände, sind vorliegend weder konkret vorgetragen noch ersichtlich, wobei sich diese Ausführungen auch auf die anderen, seitens der Klägerin vorgetragenen Einrichtungen übertragen lassen. Zugleich hat der BGH betont, dass nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, der Anspruchssteller, also der Kunde und somit der Kläger trägt. Auch diese Vorgabe kann ohne weiteres auf die anderen im Fahrzeug vorhandenen Einrichtungen übertragen werden, wobei die Klagepartei vorliegend – im Gegensatz zu der BGH-Entscheidung – weder konkret behauptet noch bewiesen hat, sondern lediglich vermutet, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise der nach Ansicht der Klägerin unzulässigen Einrichtungen gemacht hat. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens unrichtige Angaben gemacht wurden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass dem nicht weiter nachgegangen werden muss (vgl. OLG München Hinweisbeschlüsse v. 13.5.2020 – 27 U 1368/20). v. 04.02.2021 – 1 U 4977/20), v. 08.03.2021 – 21 U 380/21; LG Nürnberg Zurückweisungsbeschluss vom 07.04.2021 – 1 U 3971/20). Insbesondere ist auch der EU-Kommission der Einsatz von Thermofenstern seit 2008 bekannt (vgl. Mitteilung der Kommission vom 19.07.2008 „Anwendung und künftige Entwicklung EU5 und EU 6“ Nr. 8). Im Beschluss v. 9.3.2021 (Az:VI ZR 889/20) hat der BGH nochmals seine Ansicht bekräftigt, dass die Implementierung einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) nicht ausreicht, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierbei betont er auch nochmal ausdrücklich, dass ein solches Thermofenster nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen ist, die die Beklagte bei dem Mototyp EA189 zunächst zum Einsatz gebracht hatte, sondern demgegenüber in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet.
53
Von daher kommt auch eine Vorlageanordnung gem. § 421 ZPO – wie seitens der Klagepartei beantragt – gegenüber der Beklagten hinsichtlich des Typengenehmigungsantrages nicht in Betracht. Denn grundsätzlich ist es nicht Angelegenheit einer Partei, der anderen Partei Material für deren Prozessführung bzw. Prozesserfolg zu verschaffen (vgl. BGH, Urt. v. 26.06.1958 – II ZR 66/57). Eine Anordnung zur Vorlage darf von daher nicht der Ausforschung Vorschub leisten (vgl. von SelleBeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf 40. Edition Stand: 01.03.2021 § 142 Rn. 1). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der sog. sekundären Darlegungslast. Denn diese führt jedoch weder zu einer Umkehr der Beweislast, noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch genommenen, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen und erfordert daher, dass das – unstreitige oder nachgewiesene – Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte für die gegnerische Behauptung enthält (vgl. BGH, Urt. v. 08.03.2021 – VI ZR 505/19; v. 26.06.1958 – II ZR 66/57; OLG Braunschweig, Beschluss vom 04.11.2019 – 7 U 363/18; OLG München, Beschluss vom01.03.2021 – 1 U 6442/20). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
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Im vorliegenden Fall spielen vermeintliche Inhalte von Antragsunterlagen ohnehin keine Rolle, denn schon Ende 2015 erfolgten die Untersuchungen zu dem Motortyp im Rahmen der Untersuchungskommission, der Bericht wurde im April 2016 veröffentlicht und bestätigt, dass der Motor in Ordnung ist.
Vgl. hierzu auch OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 08.03.2021 – 3 U 246/20 (zum BMW 320d EU5, Motor N47):
„Greifbare Anhaltspunkte für eine bewusste Verletzung der Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 vermag der Senat dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen. Sie ergeben sich auch nicht aus den Umständen selbst. Eine Täuschung des KBA über eine etwaige unzulässige Abschalteinrichtung ist nicht substantiiert vorgetragen. Hiergegen spricht im Übrigen, dass nach wie vor seitens des KBA kein Rückruf betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug angeordnet wurde. Der von der Klägerseite vorgelegte Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen (Anlage K C3) kommt zu dem Ergebnis, dass die Messwerte des streitgegenständlichen Motorentyps „in unauffälliger Höhe“ lägen (S. 23). Es wurde gerade keine dem Motorentyp E 189 vergleichbare Abschalteinrichtung festgestellt (S. S. 13 ff., 18 f.)“.
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Die Klagepartei hat lediglich behauptet, dass die Beklagte die, nach Ansicht der Klagepartei unzulässigen Abschalt-Einrichtungen im Typengenehmigungsverfahren nicht angegeben hat, während die Beklagte dies bereits in der Klageerwiderung in Abrede gestellt und vorgetragen hat, dass dem KBA keinerlei Informationen vorenthalten worden sind.
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Vielmehr spricht für die Behauptung der Beklagtenpartei z.B. die Aussage des vor dem LG Landshut zu Az. 75 O 2466/20 am 18.02.2021 als Zeuge vernommenen Leiter der Motorenentwicklung der V. AG, Herr …O (Anlage B 31). Zur Offenlegung des Thermofensters und von Emissionsstrategien in der Motorsoftware und damit insbesondere zur Offenlegung der Applikationsrichtlinien und der dort enthaltenen „technischen Beschreibungen“ erklärte der Zeuge u.a.:
„Das KBA hat den Motortyp EA 288 seit dem Jahr 2015 detailliert untersucht. Es haben auch Befragungen des KBA stattgefunden dazu, welchen Einfluss die Außentemperaturen auf die Abgasrückführung haben. Es gibt hier konkret eine erste Besprechung im Januar 2016. Ich war damals persönlich an dem Gespräch beteiligt. Dem KBA wurde offengelegt und erklärt, wie die Abgasrückführung im vorliegenden Motortyp funktioniert und inwieweit sie temperaturabhängig ist. Daneben hat es auch umfassende eigene Untersuchungen des KBA zuvor schon gegeben. Das KBA hat seit 2016 alle Motorenhersteller verpflichtet, die emissionsreduzierenden Strategien in den Motorsteuerungen offenzulegen. Sowohl VW als Motorenhersteller als auch Audi als Hersteller des streitgegenständlichen Fahrzeugs haben dann Beschreibungen aller Funktionen gegenüber dem KBA offengelegt“.
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Ähnlich haben sich bereits verschiedene Senate des Oberlandesgerichts München in EA288 – Verfahren geäußert. Nach Ansicht des 21. Zivilsenats z.B. hat das KBA „unbestritten“ umfangreiche Felduntersuchungen an EA 288 – Fahrzeugen durchgeführt und „anschließend ebenso wie das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bestätigt, dass es bei dem Motor EA 288 keine Anhaltspunkte für Abgasmanipulationen gibt. Damit ergibt sich kein Anhalt für ein sittenwidriges Verheimlichen“ (Beschluss vom 08.03.2021 – 21 U 5254/20).
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Selbst wenn die Angaben der Beklagten tatsächlich unvollständig gewesen sein sollten, wäre dies auch noch kein konkreter Anhaltspunkt für deren Bewusstsein, eine unzulässige Abschalteinrichtung bei Verheimlichung dieses Umstands zu verwenden bzw. verwendet zu haben. Dies gilt umso mehr als der Einsatz von Thermofenstern in Dieselfahrzeugen der Europäischen Kommission schon im Jahr 2008 bekannt war.
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Es wäre letztlich Sache des KBA gewesen, vermeintlich unvollständige Angaben im Typgenehmigungsverfahren zu monieren, was offensichtlich nicht geschehen ist (so OLG München, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021, 8 U 2122/20, S. 18, vergleichbar auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 16.02.2021, 8 U 7073/19, S. 13, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021, 8 U 6116/20 Hinweisbeschluss vom 03.03.2021, 8 U 6938/20). So hat auch der BGH im oben genannten Beschluss vom 19.01.2021 lediglich angeführt, dass sich aus einer Verschleierung durch den Hersteller im Typgenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführungsrate in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp durch die Außentemperatur mitbestimmt wird, gegebenenfalls Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen ergeben können, eine – unterstellt – unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, nicht jedoch, dass selbiges damit bereits bewiesen wäre.
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Hinzu kommt noch, dass sich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, speziell der unklaren Formulierung des Art. 5 Abs. 2 nicht eindeutig entnehmen lässt, ob die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist (OLG Nürnberg, Urt. v. 19.7.2019 – 5 U 1670/18). Zu dieser Einschätzung ist auch die vom BMVI eingesetzte Untersuchungskommission Volkswagen gelangt. Danach liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster angesichts der „Unschärfe“ der Regelung jedenfalls nicht eindeutig vor (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123; OLG München, Beschluss vom 01.03.2021 – 1 U 6442/20).
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Ob es sich bei dem sog. Thermofenster und der Fahrkurvenerkennung um eine gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG handelt, kann somit dahingestellt bleiben. Im Gegensatz zu der, in den vom Abgasskandal betroffenen VW-Diesel-Fahrzeugen mit dem Motor EA 189 eingebaute Abschalteinrichtung sind die vorliegend von der Klagepartei genannten Vorrichtungen auch im Straßenbetrieb und nicht nur auf dem Prüfstand aktiviert, was jedenfalls gegen ein bewusste und gewollte Täuschung der Prüfbehörden und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Käufer spricht (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2020 – 12 U 2149/19: kann nicht als eine unzulässige Abschaltvorrichtung angesehen werden; OLG Stuttgart, Urteil vom 11.12.2020 – 3 U 101/18). Hierbei spricht gegen eine beabsichtigte Täuschung, dass davon auszugehen ist und auch die Beklagte mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen sein dürfte, dass die Prüfbehörden wissen, dass sich die Bedingungen im realen Fahrbetrieb verändern und eine Messung im Prüfstand diesem Zustand nicht entspricht (vgl. OLG Köln Hinweisbeschluss v. 4.5.2020 – 9 U 295/19, BeckRS 2020, 22836 Rn. 6: „Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation nicht vergleichbar ist“; OLG Stuttgart, Beschl vom 14.12.2020 – 16a U 155/19 LG Landshut, Urt. v. 11.03.2021 – 75 O 2466/20, welches zureichende, greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Überschreitung in einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, verneint hat). Eine Überschreitung der für den NEFZ vorgegebenen Werte in nicht genormten Fahrzyklen auf der Straße liefert daher kein Indiz für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
62
Auf die nachfolgenden Entscheidungen samt deren jeweiligen umfangreichen Begründungen wird Bezug genommen:
OLG München Beschlüsse vom 28.11.2019 – 32 U 3155/19, vom 29.09.2020 – 8 U 201/20, vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, vom 10.2.2020 – 3 U 7524/19, vom 09.05.2019 – 32 U 1304/19; Endurteil v. 20.01.2020 – 21 U 5072/19; Hinweisbeschluss vom 28.11.2019 – 32 U 3155/19; ebenso z.B. OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 7.11.2019 – 6 U 119/18, LG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; OLG Hamm, Urteil vom 02.09.2020 – 30 U 192/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.7.2019 – 10 U 134/19; OLG Koblenz, Urteile vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; vom 07.09.2020 – 12 U 1702/19; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020 – I-5 U 110/19; OLG Dresden, Urteil vom 16.07.2019 – 9 U 567/19; OLG Bamberg, Beschluss vom 17.10.2019 – 4 U 147/19: Industriestandard; LG Brandenburg, Urteil vom 19.12.2019 – 5 U 103/18; OLG Köln, Beschluss vom 4.7.2019 – 3 U 148/18; Urteil vom 27.09.2019 – 6 U 57/19; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18, Beschluss vom 26.11.2020 – 5 U 4001/19; LG Stuttgart, Urteil vom 23.05.2019 – 9 O 341/18; zum Thermofenster als Update vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.09.2020 – 30 U 192/19, OLG München, Beschluss vom 03.06.2019 – 19 U 4356/18; LG München I, Endurteil vom 05.10.2020 – 31 O 5692/20; LG Amberg, Endurteil vom 02.05.2019 – 21 O 849/18; OLG Schleswig, Beschluss vom 19.12.2019 – 3 U 13/19; OLG Koblenz (12. Zivilsenat), Urteil vom 18.05.2020 – 12 U 2149/19 (Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung und Thermofenster; OLG Schleswig, Beschluss vom 19.12.2019 – 3 U 13/19 (Kühlmittel-SolltemperaturRegelung); LG Stuttgart Urteil vom 06.07.2020 – 18 O 158/19 (n.v.) – hierzu hat die Beklagte vorgetragen, dass die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung bei Herstellung des Fahrzeugs bekannter Industriestandard gewesen ist, welches das Landgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachten festgestellt hat).
63
Im Übrigen setzt nach der Rechtsprechung des OLG München, Beschluss vom 29. August 2019 – 8 U 1449/19 (Rn. 55 – 59, 68) (vgl. auch OLG Koblenz Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19) ein schlüssiger Vortrag zu einer angeblich „unzulässigen Abschalteinrichtung“ grundsätzlich voraus, dass vom Anspruchsteller konkret dargelegt wird, dass (1) ein „Konstruktionsteil“ im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden ist, (2) das in bestimmten, konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen etc. i.S.v. Art. 3 Nr.10 EGVO die Abgasreinigung abschaltet, und dass (3) dies nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Trotz der Formulierung von Art. 5 II lit. a) EG-VO („Dies ist nicht der Fall, wenn …“) trägt dabei der Anspruchsteller jedenfalls im Rahmen einer unerlaubten Handlung grundsätzlich auch für das Nichteingreifen dieser Ausnahme als weitere Anspruchsvoraussetzung die volle Darlegungs- und Beweislast.
64
Das OLG München hat bereits mit Beschluss vom 29.08.2019, 8 U 1449/19 OLG München darauf hingewiesen, dass jedenfalls eine konkrete Darlegung erforderlich ist, warum Organe der Beklagten die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung mindestens billigend in Kauf genommen haben sollen. Dass die relevanten Umstände erkennbar waren und die Beklagte sie hätten kennen können oder kennen müssen, reicht für die Feststellung des Vorsatzes nicht aus, sondern rechtfertigt nur den Vorwurf der Fahrlässigkeit (BGH, Urteil vom 6. November 2015 – V ZR 78/14, Rz. 25). Insoweit dürfte hier – anders als in den VW-Fällen mit einer Abschalteinrichtung, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet, und deren Unzulässigkeit somit offensichtlich ist – der Streit um Zulässigkeit und Größe eines „Thermofensters“ eher einen Expertenstreit darstellen als eine vorsätzliche „unerlaubte Handlung“ des Herstellers. Hinzu komme, dass für einen etwaigen Vorsatz nicht auf einen heutigen Meinungsstand abgestellt werden muss, sondern auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs durch die Beklagte.
65
Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden. Die nunmehrige Entscheidung des EuGH vermag daran im Nachhinein nichts zu ändern (OLG Koblenz, Urteil vom 07.09.2020 – 12 U 170219). Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass das Thermofenster und die Fahrkurvenerkennung gerade zur Täuschung auf dem Prüfstand konzipiert war, im Gegensatz zu der Softwareprogrammierung, welcher dem Grundsatzurteil des BGH v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19 zugrunde lag (OLG München, Beschlüsse v. 28.11.2019 – 32 U 3155/19; v. 10.2.2020 – 3 U 7524/19).
Vgl. hierzu auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 29.12.2020 – 5 U 6164/20: „Der Verweis auf die Ausführungen des EuGH zur Unzulässigkeit von Abschaltvorrichtungen (Rs.C693/18) führt nicht weiter, weil diese sich nicht zu der Frage verhalten, ob in der Verwendung einer Abschaltvorrichtung ein vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu sehen ist“.
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 08.03.2021 – 3 U 246/20 20 (zum BMW 320d EU5, Motor N47): „Greifbare Anhaltspunkte für eine bewusste Verletzung der Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 vermag der Senat dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen. Sie ergeben sich auch nicht aus den Umständen selbst. Eine Täuschung des KBA über eine etwaige unzulässige Abschalteinrichtung ist nicht substantiiert vorgetragen. Hiergegen spricht im Übrigen, dass nach wie vor seitens des KBA kein Rückruf betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug angeordnet wurde. Der von der Klägerseite vorgelegte Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen (Anlage K C3) kommt zu dem Ergebnis, dass die Messwerte des streitgegenständlichen Motorentyps „in unauffälliger Höhe“ lägen (S. 23). Es wurde gerade keine dem Motorentyp E 189 vergleichbare Abschalteinrichtung festgestellt (S. S. 13 ff., 18 f.)“.
66
Etwaige Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheiden mangels Vorsatzes (vgl. OLG München, Beschluss vom 28.11.2019 – 32 U 3155/19; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 17.02.2020 – 12 U 353/19; OLG Naumburg, Urt. v. 08.10.2020 – 9 U 6/20; OLG München, Hinweisbeschluss vom 05.08.2020 – 27 U 5477/19 – auch verneint mangels einer substantiierten Darlegung einer Täuschungshandlung) sowie wegen Fehlen der (Dritt) Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit eines etwaigen erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden aus (vgl. OLG Bamberg, Urt. v. 25.02.2021 – 1 U 249/20; Beschluss vom 10.02.2021 – 8 U 276/20; LG Offenburg Urt. v. 03.05.2021 – 2 O 27/21). Im Übrigen ist es auch zweifelhaft, ob seitens der Beklagtenpartei überhaupt eine Täuschungshandlung im hier gegeben Kauf eines Gebrauchtwagens von einem Händler vorliegt.
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Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV. Zum einen liegt keine Verletzung der genannten Normen des EG-Typgenehmigungsrechts vor. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von keinem KBABescheid im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfasst und verfügt über eine wirksame EGTypgenehmigung. Zum anderen fehlt es am individual- bzw. drittschützenden Charakter der Regelungen der VO (EG) Nr. 715/2007 und §§ 6, 27 EG-FGV (vgl. OLG München, Beschlüsse v. 22.02.2018 – 27 U 2827/17; v. 28.11.2019 – 32 U 3155/19; v. 05.08.2020 – 27 U 5477/19; OLG Köln, Beschluss vom 22.08.2018 – 15 U 76/18; OLG Naumburg, Urt. v. 08.10.2020 – 9 U 6/20; BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19; v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20).
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Kosten: § 91 ZPO; vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO; Streitwert: §§ 3 ZPO, 45 Abs. 1 S. 2 GKG. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs erhöht den Streitwert nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25.08.2020 – XI ZR 108/20).