Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 11.03.2021 – 19 O 4022/20
Titel:

Bußgeldbescheiden, Erwerbsvorgang, Preiserhöhung, Kartellabsprache, Sekundäre Darlegungslast, Klagepartei, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Preisvereinbarungen, Kartellbefangenheit, Ausforschungsbeweis, Erfahrungssätze, Kartelle, Haftungsausfüllende Kausalität, Warenbezug, Schadensberechnung, Wettbewerbswidriges Verhalten, Preisabsprachen, Anknüpfungstatsachen, Preisbildungsmechanismen, Erforderlicher Sachvortrag

Schlagworte:
Zulässigkeit der Klage, Zuständigkeit des Landgerichts, Aktivlegitimation, Schadensersatzanspruch, Kartellbefangenheit, Schadensfeststellung, Vorteilsanrechnung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66894

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.    Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 197.112,25 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um kartellrechtliche Schadensersatzansprüche.
2
Die Klägerin vertreibt in Deutschland in ca. 1.450 Filialen überwiegend Lebensmittel an Endverbraucher. Die Klägerin firmierte vormals unter dem Namen ... (vgl. Anlage K 1). Die mit der Klägerin wirtschaftlich verbundene (im Folgenden: Zedentin) trat ihre Ansprüche gegenüber der Beklagten an die Klägerin ab und ermächtigte sie zur Einziehung dieser Ansprüche (vgl. Anlage K 2).
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Die Beklagte ist einer der größten Bierhersteller in Deutschland.
4
Das Bundeskartellamt erließ u.a. gegen die Beklagte am 27.12.2013 einen Bußgeldbescheid, da diese mit weiteren deutschen Bierbrauereien rechtswidrige Vereinbarungen geschlossen hat, die geeignet waren, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und eine Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes zu bewirken (sog. „Bierkartell“). Die Beklagte beteiligte sich an diesem Kartell im Zeitraum von Oktober 2005 bis November 2008. Mit den weiteren Kartellanten einigte sich die Beklagte im Rahmen mehrerer Treffen und bilateraler Kontakte auf eine Preiserhöhung für Fassbier zum Herbst 2006 und war auch an deren Umsetzung beteiligt. Außerdem war die Beklagte an einer Einigung auf eine Flaschen- und Fassbierpreiserhöhung für Anfang 2008 und an deren Umsetzung beteiligt. Die umgesetzte Preiserhöhung betrug 1,00 € UVP pro Kasten (Referenzgebinde 24 x 0,33l bzw. 20 x 0,5l). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgelegten Bußgeldbescheid gegen die Beklagte (Anlage K6), den sich die Klagepartei als Sachvortrag zu eigen gemacht hat, Bezug genommen.
5
Die Klägerin und die Zedentin bezogen zwischen 2008 und 2012 unmittelbar von der Beklagten. Des Weiteren bezog die Klägerin in diesem Zeitraum über einen Getränkegroßhändler, die, das von der Beklagten hergestellte Produkt . Insoweit wird auf Seite 4 – 30 der Klageschrift (Blatt 4 – Blatt 30 d. A.) verwiesen.
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Die Klägerin hob ihre Ladenverkaufspreise für das gegenständliche in der 9. Kalenderwoche 2008 von 11,60 € pro Kasten bis Mitte 2010 konstant auf 12,60 € pro Kasten an. Die Kundennachfrage hinsichtlich war im relevanten Zeitraum zwischen 2007 bis 2012 preisunelastisch.
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Die Klägerin behauptet, die gegenständlichen Erwerbsvorgänge seien von den Kartellabsprachen betroffen gewesen. Sie trägt vor, ihr bzw. der Zedentin sei ein Schaden entstanden, da sie wegen kartellbedingter Preiserhöhungen für die gegenständlichen Erwerbsvorgänge 197.112,25 € zu viel bezahlt haben.
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Dieser Schaden setze sich zusammen wie folgt: Hinsichtlich des Produktes „... „sei der Klägerin und der Zedentin ein Schaden von insgesamt 12.779,95 € entstanden. Dieser Betrag ergebe sich wegen einer kartellbedingten Preiserhöhung je Gebinde von 0,05 € bei einer Bezugsmenge der Klägerin und der Zedentin im Zeitraum vom 27.02.2008 bis 01.10.2009 von insgesamt 255.599 Stück. Die kartellbedingte Preiserhöhung habe jeweils 0,05 € betragen, weil die Klägerin in diesem Zeitraum an die Beklagte für dieses Produkt einen Einkaufspreis von 2,25 € bezahlt habe. Dieser Einkaufspreis sei erst nach Ende des behaupteten Nachwirkungszeitraumes ab dem 07.12.2009 auf einen Betrag von 2,20 € abgesunken.
9
Zudem sei der Klägerin als mittelbarer Abnehmerin von ein Schaden von 184.332,30 € entstanden. Dieser ergebe sich aus der Bezugsmenge von 323.390 Gebinde im Zeitraum vom 27.03.2008 bis 31.12.2012 und einer kartellbedingten Preiserhöhung je Kasten von 0,57 €. Der Schaden betrage 0,57 € je Kasten, weil die Klägerin an die anstelle des bis zu diesem Zeitpunkt gezahlten Preises von 7,55 € seit dem 27.03.2008 einen Einkaufspreis von 8,12 € zu bezahlen gehabt habe. Die Erhöhung dieses Einkaufspreises beruhe darauf, dass die Beklagte zuvor ihre Verkaufspreise gegenüber der zum 01.02.2008 jedenfalls um 0,57 € pro Kasten Bier erhöht habe. Die habe diese Erhöhung sodann in voller Höhe an die Klägerin weitergegeben. Den ihr entstandenen Kartellschaden habe die Klägerin nicht an ihre Abnehmer weitergeleitet, da ihre Kunden äußerst preisbewusst seien und die Preise mit allen anderen Discountunternehmen vergleichen würden. Preiserhöhungen der Ladenverkaufspreise würden ausschließlich auf autonomen Motiven der Klägerin beruhen.
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Die Klägerin meint, sowohl für die Kartellbetroffenheit der gegenständlichen Erwerbsvorgänge, als auch für den Schadenseintritt bei der Klägerin spreche bereits ein Anscheinsbeweis. Jedenfalls bestehe eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise höher lägen als die im Wettbewerb erreichbaren Marktpreise. Wegen der „Schienenkartell IV“ Entscheidung des BGH (NZKart 2020, 539) treffe die Klägerin hinsichtlich einer Schadensweiterwälzung (“pass-on“) auf ihre Endkunden keine sekundäre Darlegungslast, da eine solche wegen mangelnder Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Endabnehmer zu einer unbilligen Entlastung der Beklagten führe.
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Die Klägerin beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 184.332,30 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 31.025,10 € seit 01.01.2009, aus 40.538,40 € seit 01.01.2010, aus 40.538,40 € seit 01.01.2011, aus 46.534,80 € seit 01.01.2012 sowie aus 25.695,60 € seit 01.01.2013 zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 12.779,95 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 5.342,15 € seit 01.01.2009 sowie aus 7.437,80 € seit 01.01.2010, zu bezahlen.
III. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 2.636,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils Basiszinssatz hieraus ab Klagezustellung zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe eine Preiserhöhung vollständig an ihre Kunden weitergeben. Die unstreitige Erhöhung der Ladenverkaufspreise von 1 € je Kasten habe zu einer Netto-Umsatzsteigerung von 0,84 € pro Kasten geführt. Mit einer Differenz von 0,27 € zu dem klägerseits behaupteten Schaden von 0,57 € je Kasten sei der behauptete Schaden sogar überkompensiert worden.
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Die Beklagte meint, die Klage sei teilweise unzulässig, weil die Abtretung wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz gemäß § 134 BGB nichtig sei. Die Beitreibung abgetretener Forderungen sei für die Klägerin eine fremde Angelegenheit im Sinne des § 2 Absatz 1 RDG. So ergebe sich aus der vorgelegten Abtretungsvereinbarung (Anlage K2) nicht, dass die Klägerin für die Forderungen auch das Bonitätsrisiko übernommen habe.
15
Auf das Sitzungsprotokoll vom 11.03.2021 wird verwiesen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Entscheidungsgründe

17
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
18
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Nürnberg-Fürth örtlich und sachlich zuständig.
19
Insoweit die Beklagte einen Verstoß gegen das RDG rügt und anführt, dass die Abtretung deshalb gemäß § 134 BGB nichtig sei, betrifft dies nicht die Zulässigkeit der Klage, sondern ist eine Frage der Begründetheit und im Rahmen der Aktivlegitimation zu prüfen.
B.
20
Die Klage ist unbegründet.
21
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 33 Abs. 3 GWB 2007.
22
1. Für den Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse geltende Recht maßgeblich (BGH, Urteil vom 11.12.2018 – KZR 26/17, Rn. 44 – Schienenkartell).
23
Dies ist für sämtliche verfahrensgegenständlichen Warenbezüge die Vorschrift des § 33 Abs. 3 GWB 2007, die im gesamten relevanten Zeitraum (2008-2012) unverändert geblieben ist. Die Vermutung des § 33a Abs. 2 GWB ist auf die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht anwendbar, weil diese sämtlich vor dem 26.12.2016 entstanden sind (vgl. § 186 Abs. 3 S. 1 GWB).
24
2. Ein Kartellschadensersatz setzt auch nach dem Urteil des BGH vom 28.01.2020 (Az. KZR 24/17 – Schienenkartell II) noch voraus, dass die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge kartellbefangen waren. Zwar beteiligte sich die Beklagte im Zeitraum von Oktober 2005 bis November 2008 an einem sog. „Hardcore“ Kartell; es liegt auf der Grundlage der bindenden Feststellungen im gegen die Beklagte erlassenen Bußgeldbescheid ein Verstoß gegen § 1 GWB vor. Eine Kartellbefangenheit der streitgegenständlichen Beschaffungsvorgänge liegt jedoch nicht vor.
25
a) Der Bundesgerichtshof lässt es für die zum Haftungsgrund gehörende Betroffenheit im Sinne des § 33 Abs. 3 GWB nach neuerer Rechtsprechung genügen, dass dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das – vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise – geeignet ist, einen Schaden des Anspruchsstellers mittelbar oder unmittelbar zu begründen (vgl. BGH, Urt. v. 28.01.2020 – KZR 24/17 – Schienenkartell II = NZKart 2020, 136 ff., Rn. 25). Zur Ermittlung dieser haftungsbegründenden Kausalität muss nicht mehr festgestellt werden, ob sich das wettbewerbsbeschränkende Verhalten auf den streitgegenständlichen Auftrag tatsächlich ausgewirkt hat und dieser damit „kartellbefangen“ war (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 26). Vielmehr ist die Kartellbefangenheit einzelner Erwerbsvorgänge im Rahmen der Schadensfeststellung Gegenstand der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 27). Die zum Haftungsgrund gehörende Betroffenheit ist als eine „persönliche Betroffenheit“ zu verstehen (vgl. OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 12.5.2020 – 11 U 98/18 (Kart), Rn. 83). Somit genügt hierfür die abstrakte Möglichkeit, dass der Anspruchssteller durch den Kartellverstoß einen Schaden erlitten hat. Beeinträchtigt ist jeder, für den vorstellbar ist, dass er einen auf den Kartellverstoß zurückzuführenden Schaden erleiden könnte, wofür ein weites Verständnis anzulegen ist (vgl. OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 12.5.2020 – 11 U 98/18 (Kart), Rn. 86). Hinreichend ist, dass der Anspruchssteller als unmittelbarer Abnehmer Waren von den am wettbewerbswidrigen Verhalten Beteiligten bezogen hat, welche Gegenstand der Absprache bzw. des abgestimmten Verhaltens waren (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 25).
26
b) Die Klagepartei schon eine zeitliche Betroffenheit der Erwerbsvorgänge nicht dargelegt.
27
aa) Es liegt kein Vortrag der Klagepartei vor, wann sie die Konditionen der gegenständlichen Erwerbsvorgänge mit der Beklagten bzw. mit der vereinbart hat. Auf den fehlenden Sachvortrag bezogen auf die jeweiligen Preisvereinbarungen hat bereits die Beklagte hingewiesen. Auch die Kammer hat im Termin vom 11.03.2021 darauf abgestellt, dass der insoweit erforderliche Sachvortrag nicht erfolgt sei.
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Denn nur dann, wenn die Klagepartei die Konditionen während des Kartellzeitraums vereinbart hätte, könnte eine zeitliche Betroffenheit der Erwerbsvorgänge von der Kartellabsprache überhaupt bejaht werden. Zwar wurden nach unbestrittenen Beklagtenvortrag jedes Jahr Preisverhandlungen geführt. Allerdings ergibt sich hieraus kein Sachverhalt, welche Preisvereinbarungen bezogen auf welche streitgegenständlichen Beschaffungsvorgänge zu welchen Zeitpunkten getroffen wurden. Es kann also nicht subsumiert werden, dass und welche Beschaffungsvorgänge vom Kartell erfasst waren. Damit war die Klage schon allein aus diesem Grund mangels Kartellbetroffenheit hinsichtlich sämtlicher Erwerbsvorgänge abzuweisen.
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bb) Lediglich ergänzend ist anzuführen, dass die Klagepartei hinsichtlich des Produkts Schadensersatz für Erwerbsvorgänge bis Oktober 2009 und in Bezug auf das Produkt Schadensersatz bis Ende 2012 begehrt, sie aber keinen Sachverhalt vorgetragen hat, der eine Nachwirkung der Kartellverstöße begründet.
30
Ausweislich der Feststellungen im Bußgeldbescheid endete die Beteiligung der Beklagten am Kartell im November 2008. Es besteht weder eine Vermutung, noch ein Erfahrungssatz für die Nachwirkung eines Kartells (Immenga/Mestmäcker/Franck, 6. Aufl. 2020, GWB § 33a Rn. 90 f.). Hinzu kommt, dass nach unbestrittenem Beklagtenvortrag die Konditionen für die Belieferung jedes Jahr neu verhandelt worden seien, so dass bereits im Jahr 2009 Konditionen im Wettbewerb und unbeeinflusst von möglichen Verstößen vereinbart worden sein können. Sogar die Klägerin selbst geht in ihrem eigenen Sachvortrag davon aus, dass ab 2009 wieder ein Wettbewerb stattfand (vgl. die klägerische Schadensberechnung auf Seite 89 der Klageschrift, Bl. 89 d. A.).
31
Eine Nachwirkung kann auch nicht angenommen werden, soweit die Klagepartei die Feststellungen des BGH im Kartellbußgeldverfahren gegen (BGH NJW 2021, 395 ff. beck-online) in Bezug nimmt. Denn die dortige Feststellung, dass Preise bis 01.07.2009 unverändert geblieben sind, bezieht sich nicht auf die Preise und Preisverhandlungen der hiesigen Beklagten, sondern auf die Umstände der im dortigen Verfahren Betroffenen und betraf zudem nur den für die Verfolgungsverjährung im Bußgeldverfahren relevanten Zeitpunkt der Tatbeendigung.
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c) Darüber hinaus fehlt es hinsichtlich des Produkts an einer sachlichen Kartellbetroffenheit.
33
Die Klagepartei hat in Bezug auf die vereinbarte und umgesetzte Preiserhöhung für das Jahr 2006 unter Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid lediglich eine Erhöhung von Fassbierpreisen vorgetragen, nicht jedoch eine Erhöhung von Preisen für verkauft wird. Allein aus dem Umstand, dass im Jahr 2006 die Preise für ebenfalls erhöht worden sind, kann mangels weiterer Feststellungen im Bußgeldbescheid oder eines hierauf bezogenen Klagevortrags nicht darauf geschlossen werden, dass in Bezug auf überhaupt Kartellabsprachen getroffen worden sind.
34
Für das Jahr 2008 hat die Klagepartei eine Erhöhung der Preise des gegenständlichen nicht einmal behauptet, eine Ankündigung solcher Erhöhungen ergibt sich auch nicht aus den Feststellungen der Bußgeldbescheide.
35
Auch die weiteren Feststellungen der Bußgeldbescheide verhelfen der Klage insoweit nicht zum Erfolg. Die Bußgeldbescheide sprechen lediglich unkonkret von Gesprächen über die Erhöhung von Fassbier- bzw. Flaschenbierpreisen, die im Einzelnen aber nicht näher spezifiziert werden. Es bleibt unklar, welche Flaschenbiermarken in welchen Gebinden von diesen Gesprächen konkret betroffen waren. Konkret festgestellt wurde lediglich die Vereinbarung und Umsetzung der Erhöhung von um 1 € UVP im Jahr 2008. Diese bezieht sich jedoch auf, das in Kästen, also in Gebinden von 20 x 0,5 l bzw. 24 x 0,33 l, veräußert wurde und nicht auf 6 x 0,5 l Gebinde, in denen das Bier der Marke verkauft wurde.
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Soweit die Klagepartei meint, dass sich eine sachliche Betroffenheit von daraus ergebe, weil in den Rn. 70 f. im Bußgeldbescheid gegen die K9) festgestellt sei, dass Einigkeit bestanden habe, die Flaschenbierpreise 2006 zu erhöhen, kann die Kammer dem nicht beitreten. Denn dieser Abschnitt im Bußgeldbescheid bezieht sich auf eine Sitzung des am 14.06.2006, an der die Beklagte ausweislich der Feststellungen des Bußgeldbescheides nicht beteiligt war.
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3. Zudem ist die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Klägerin infolge des wettbewerbswidrigen Verhaltens der Beklagten mit der für § 287 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit (zum Maßstab hierfür vgl. nachfolgend unter a.) überhaupt ein Schaden entstanden ist. Weder streitet hierfür ein Anscheinsbeweis (nachfolgend unter b.), noch steht dies aufgrund der Feststellungen des Bundeskartellamts in den Bußgeldbescheiden im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den hiesigen Streitparteien bindend fest, weshalb auch unter Berücksichtigung von Erfahrungssätzen die umfassende Würdigung aller von den Parteien vorgebrachten Umstände keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den behaupteten Schaden ergibt (nachfolgend unter c.). Insbesondere liegt insoweit kein schlüssiger Sachvortrag vor, dass die, die ihrerseits das von der Beklagten erworben hat, einen Preiseffekt des Kartells auf die nächste Marktstufe, d.h. an die Klägerin, weitergewälzt hat. Ferner wäre unter Umständen auch der beklagtenseits erhobene Einwand der Vorteilsanrechnung (“pass-on“) zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen.
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a) Die Entstehung eines Kartellschadens einschließlich der Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen Kartellabsprache und dem Vorliegen eines individuellen Schadens ist der haftungsausfüllenden Kausalität zugeordnet, so dass der Anwendungsbereich von § 287 Abs. 1 ZPO eröffnet ist. Hiernach entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Der Tatrichter ist insoweit freier gestellt, als er Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen und Schätzungen anstellen kann und es in seinem Ermessen steht, ob und wie er Beweis erhebt. An der Beweislastverteilung zu Lasten des Anspruchstellers ändert dies hingegen nichts (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 287, Rn. 1). So darf die Schätzung nicht mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte „völlig in der Luft hängen“. Für die richterliche Überzeugung reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus, dass ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, Lottoblock II, a.a.O., Rn. 49; OLG Frankfurt, Urteil vom 12.05.2020 – 11 U 98/18 (Kart) –, Rn. 194, juris).
39
Der Tatrichter kann nur unter Heranziehung derjenigen Umstände, die darauf schließen lassen, wie sich das Marktgeschehen ohne die Kartellabsprache wahrscheinlich entwickelt hätte, zu Feststellungen zum hypothetischen Marktpreis gelangen (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 34). Denn die Feststellung, dass der Preis, den ein an einer Kartellabsprache beteiligtes Unternehmen mit einem Abnehmer vereinbart, höher ist, als er ohne die Kartellabsprache wäre, oder allgemein das Preisniveau, welches sich auf einem von einer Kartellabsprache betroffenen Markt einstellt, über demjenigen Preisniveau liegt, das sich ohne die Absprache eingestellt hätte, kann nur aufgrund von Indizien getroffen werden.
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Die nach § 287 ZPO vorzunehmende Würdigung hat alle Umstände einzubeziehen, die entweder im Sachvortrag der Parteien (derjenigen Partei, die sich auf einen ihr günstigen Umstand mit indizieller Bedeutung für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells beruft) oder in den bindenden Feststellungen der kartellbehördlichen Entscheidung eine hinreichende Stütze finden (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 36, 38). Ebenso sind Erfahrungssätze und gutachterliche Stellungnahmen der Parteien zu berücksichtigen (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 39, 46).
41
b) Ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Klägerin und der Zedentin den Geschäften, auf die sie ihr Begehren stützt, ein Schaden entstanden ist, besteht nicht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung betreffend Quoten- und Kundenschutzkartelle fehlt es für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen, ihrer Durchführung und ihrer Wirkungen an der erforderlichen Typizität des Geschehensablaufs. Es ist nicht hinreichend gesichert, dass eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Quoten- und Kundenschutzabsprachen tatsächlich und in jedem Einzelfall beachtet und erfolgreich umgesetzt werden, auch dann nicht, wenn sie auf eine umfassende Wirkung ausgerichtet sind (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 57, 60; bestätigend BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 31).
42
Die vorstehenden Entscheidungen betreffen ausdrücklich Quoten- und Kundenschutzkartelle. Es handelt sich dabei um sog. „HardcoreKartelle“; nichts anderes gilt deshalb für die vorliegenden Preisabsprachen. Denn wenn schon bei Quoten- und Kundenschutzabsprachen – die dadurch charakterisiert waren, dass jedem Kartellanten bestimmte „Stammkunden“ zugewiesen waren, so dass bei jeder Ausschreibung ohne weiteres klar war, welcher Kartellant diesen Auftrag erhalten sollte – von einer vergleichsweise hohen Kartelldisziplin ausgehen ist, das Risiko mangelnder Kartelldisziplin aber dennoch einen Anscheinsbeweis ausschließen soll, dann gilt dies erst recht für andere Arten von Kartellen, insbesondere für Preisabsprachen (Immenga/Mestmäcker/Franck, 6. Aufl. 2020, GWB § 33a Rn. 80).
43
c) Nur der Bußgeldbescheid gegen die Beklagte (Anlage K6) entfaltet im hiesigen Prozess Bindungswirkung, § 33 Abs. 4 GWB a.F. Aber auch den im Bußgeldbescheid gegen die Gruppe (Anlage K9) festgestellten Sachverhalt, den sich die Klagepartei zu eigen gemacht hat, als zutreffend unterstellt, hat die vorzunehmende Gesamtwürdigung keine verlässliche Grundlage dafür erbracht, dass der Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit überhaupt ein Schaden entstanden ist. Da die Kammer die Klage auf der Grundlage des Inhaltes des Bußgeldbescheides gegen, auf welchen sich die Klagepartei bezieht, für unbegründet erachtet, war es auch nicht veranlasst, die insoweit auf den dortigen Sachverhalt angebotenen Beweise zu erheben.
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aa) Zunächst war vorliegend zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Produkte nur ein mittelbarer Erwerb vorliegt, da die Klägerin die Produkte nicht unmittelbar von der Beklagten, sondern über die Großhändlerin erworben hat. Die Darlegungslast dafür, dass und gegebenenfalls in welcher Höhe ein kartellbedingter Preisaufschlag auf die nachfolgende Marktstufe abgewälzt wurde, trägt der indirekte Abnehmer, der sich hierauf beruft (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10 –, BGHZ 190, 145-172, Rn. 44, vgl. ausführlich auch z.B. LG Stuttgart, Urteil vom 30. Januar 2020 – 30 O 9/18 –, Rn. 46 ff., juris m.w.N.). Hierauf hat die Beklagte bereits mit der Klageerwiderung (dort S. 17, Bl. 118 d.A.) hingewiesen. Die Klägerin ist ihrer Darlegungslast jedoch nicht nachgekommen.
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aaa) Ein Anscheinsbeweis kommt der Klagepartei dabei nicht zugute. Wenn das kartellierte Produkt nicht direkt von einem der an der Preisabsprache beteiligten Kartellanten, sondern von selbstständigen Zwischenhändlern bezogen worden ist, spricht angesichts der ökonomischen Komplexität der Preisbildung, des eigenständigen Spielraums bei der Preisgestaltung und des unterschiedlichen Wettbewerbsdrucks auf den jeweiligen nachgelagerten Märkten keine allgemeine Vermutung dafür, dass eine im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kartell auftretende Preiserhöhung auf den Anschlussmärkten ursächlich auf das Kartell zurückzuführen ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.6.2011 – KZR 75/10).
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Die Kausalität muss vielmehr im Einzelfall nachgewiesen werden. Die Ursächlichkeit einer Kartellabsprache für die Preisbildung auf nachfolgenden Marktstufen ist dabei anhand des Preisniveaus zu ermitteln, das sich dort ohne die kartellbedingte Überteuerung eingestellt hätte (nach Wiedemann KartellR-HdB, § 62 Kartellschadensersatzprozesse Rn. 25, beck-online):
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Da die Preisbildung von zahlreichen Faktoren der Marktstruktur und der jeweiligen kaufmännischen Strategie beeinflusst wird, genügt es für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs nicht, dass auch auf dem Anschlussmarkt im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kartell die Preise gestiegen sind. Vielmehr bedarf es der Feststellung, dass die Preiserhöhung gerade auf das Kartellgeschehen und nicht etwa auf andere preisbildende Faktoren zurückgeht. So ist es z. B. möglich, dass der Preissetzungsspielraum des Abnehmers auf der vorgelagerten Marktstufe nicht auf der durch das Kartell geschaffenen Marktlage, sondern auf einer davon unabhängigen, besonderen Marktstellung oder anderen Gegebenheiten des Anschlussmarkts beruht. Dann ist der vorgelagerte Abnehmer unabhängig von dem erhöhten Einstandspreis in der Lage gewesen, seinen Verkaufspreis anzuheben.
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Zu den Faktoren, die in diesem Zusammenhang erheblich sind, gehören die Preiselastizität von Angebot und Nachfrage, die Dauer des Verstoßes sowie die Intensität des Wettbewerbs auf der betroffenen Marktstufe. Müssen die meisten der dort auftretenden Anbieter den Kartellpreis entrichten und hat ihre Marktgegenseite keine oder nur geringe Ausweichmöglichkeiten, kann eine Kostenwälzung grundsätzlich jedenfalls dann als kartellbedingt angesehen werden, wenn der Wettbewerb auf dem Anschlussmarkt ansonsten funktionsfähig ist. Hat sich der weiterliefernde Abnehmer seinen Preissetzungsspielraum dagegen durch besondere kaufmännische Leistungen und Anstrengungen erworben, fehlt es an der erforderlichen adäquaten Kausalität des Kartells für die Preiserhöhung auf dem Folgemarkt.
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bbb) Die Klagepartei hat insoweit lediglich pauschal behauptet, dass die einen kartellbedingten Preisaufschlag in vollem Umfang auf sie weitergewälzt habe. Dem dazu angebotenen Zeugenbeweis war nicht nachzugehen, weil es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gehandelt hätte. Denn es fehlt an einem am Maßstab der oben dargelegten ORWI Rechtsprechung orientierten substantiiertem Sachvortrag, dass die einen Schaden auf die Klägerin abgewälzt hat. Vielmehr beschränkt sich der Klagevortrag allein darauf, dass Einkaufspreise wegen Kartellabsprachen gestiegen seien. Wie aufgezeigt, genügt allein dies jedoch nicht für die Feststellung eines Ursachenzusammenhangs. Es fehlt an jeglichem Vortrag, dass die Preiserhöhung nicht auf andere preisbildende Faktoren zurückgeht, wie beispielsweise eine besondere Marktstellung oder andere Gegebenheiten des Anschlussmarktes. Außerdem verhält sich der Klagevortrag nicht zur Preiselastizität von Angebot und Nachfrage und der Wettbewerbsintensität auf der Marktstufe im Verhältnis zwischen der als Großhändlerin und der Klägerin als Discounter.
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Eine Schadensweiterwälzung der in Bezug auf Bitburger hat die Klägerin somit nicht dargelegt.
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bb) Die Wahrscheinlichkeit eines Schadens kann auch in Bezug auf das Produkt, das unmittelbar von der Beklagten bezogen wurde, nicht bejaht werden:
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Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung streitet zwar eine tatsächliche Vermutung – im Sinne eines Erfahrungssatzes – dafür, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache bildeten. Soweit ein Kartell auf eine umfassende Wirkung gerichtet ist, kann darüber hinaus auch eine tatsächliche Vermutung dafür streiten, dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprache fallen, von diesen erfasst wurden und damit kartellbefangen waren (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 55, 61; BGH, Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 40). Der Bundesgerichtshof hat diese tatsächlichen Vermutungen für sog. Kernbeschränkungen des Wettbewerbs formuliert.
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Anders als bei Geltung eines Anscheinsbeweises kommt einer tatsächlichen Vermutung kein abstrakt quantifizierbarer Einfluss auf das Ergebnis der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu, da dies mit dem Grundsatz der freien richterlichen Überzeugungsbildung unvereinbar wäre. Das Gewicht des Erfahrungssatzes hängt vielmehr entscheidend von der konkreten Gestaltung des Kartells und seiner Praxis sowie davon ab, welche weiteren Umstände feststellbar sind, die für oder gegen einen Preiseffekt der Kartellabsprache sprechen (vgl. BGH, Schienenkartell II, a.a.O., R. 41). Die Vermutung der preissteigernden Wirkung eines Kartells kann beispielsweise an Gewicht gewinnen, je länger und nachhaltiger das Kartell praktiziert wurde (vgl. BGH, Schienenkartell, a.a.O., Rn. 55). Umgekehrt können Anzeichen für eine fehlende Kartelldisziplin dem entgegenstehen (vgl. BGH Schienenkartell II, a.a.O., Rn. 38).
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aaa) Es kann dahin stehen, ob selbst für den Fall einer (hier aber nicht vorliegenden) Kartellbetroffenheit die Vermutung eines Schadens zu Gunsten der Klagepartei anzunehmen wäre. Insoweit müsste, wie ausgeführt, eine umfassende Würdigung aller fallrelevanten Umstände vorgenommen werden.
55
bbb) Jedenfalls ergibt sich aus dem Sachvortrag der Klagepartei nicht, dass der konkret eingeklagte Schaden eingetreten ist. Insoweit war die Kammer auch nicht verpflichtet das klägerseits beantragte Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe einzuholen. Der Beweis eines Schadens wird nicht dadurch angetreten, dass für die Entstehung oder das Fehlen eines Schadens Sachverständigenbeweis angeboten wird. Denn auch der Sachverständige wird die Frage, ob der von der Beklagten geforderte Preis einem hypothetischen Marktpreis entsprach, der sich ohne die Kartellabsprache eingestellt hätte, nur aufgrund einer sachverständigen Bewertung der gegebenen Anknüpfungstatsachen und einem darauf beruhenden Schluss von den vorliegenden Indizien auf die unter Beweis gestellte Haupttatsache beantworten können (BGH Urt. v. 28.1.2020 – KZR 24/17, BeckRS 2020, 2504 Rn. 37, „Schienenkartell II“, beck-online).
56
Die Beauftragung eines Sachverständigen käme vorliegend aber einem unzulässigen Ausforschungsbeweis gleich, weil die klägerseits vorgebrachte Preisreduzierung für um 0,05 € keine gesicherte Anknüpfungstatsache für eine Schadensschätzung darstellt. Wie schon ausgeführt, fehlt es an Vortrag zu den vor dem Kartell bezahlten Preisen und ob sich eine Preissenkung auch aus Gründen erklären kann, die nicht auf das Kartellende zurückzuführen sind.
57
cc) Es kann auf dieser Grundlage dahin stehen, ob der vorliegend hinsichtlich der Erwerbsvorgänge geltend gemachte „passing-on“ Einwand, den die Beklagte erhoben hat, durchgreift. Die Beklagte hat jedenfalls einen unstreitigen Sachverhalt vorgetragen, mit dem eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung zumindest ernsthaft in Betracht kommt.
58
Die Beklagte hat nämlich dargelegt, dass die Klägerin ihre Preise für von der 9. Kalenderwoche 2008 bis Mitte 2010 von 11,60 € konstant auf 12,60 € angehoben hat. Dadurch hat sie eine Netto-Umsatzsteigerung von 0,84 € pro Kasten erwirtschaftet, weshalb die Umsatzsteigerung den geltend gemachten Kartellaufschlag von 0,57 € um 0,27 € übersteigt.
59
aaa) Um erfolgversprechend eine Vorteilsausgleichung geltend zu machen, muss der beklagte Kartellteilnehmer zunächst anhand der allgemeinen Marktverhältnisse auf dem relevanten Absatzmarkt, insbesondere der Nachfrageelastizität, der Preisentwicklung und der Produkteigenschaften, plausibel dazu vortragen, dass eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung zumindest ernsthaft in Betracht kommt. Weiter ist darzutun und gegebenenfalls nachzuweisen, dass der Weiterwälzung keine Nachteile des Abnehmers gegenüberstehen, insbesondere kein Nachfragerückgang, durch den die Preiserhöhung (ganz oder teilweise) kompensiert worden ist. Der Kartellteilnehmer hat auch darzulegen, wie sich gegebenenfalls eigene Wertschöpfungsanteile des weiterverkaufenden Abnehmers auf den Vorteilsausgleich auswirken. Soweit sich Preiserhöhungen auf den eigenen Wertschöpfungsanteil des Weiterverkäufers beziehen, können sie nicht als kartellbedingt angesehen werden (vgl. BGH NJW 2012, 928 Rn. 69 – ORWI).
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bbb) Es ist naheliegend, dass bei dem vorliegenden Produkt von einer niedrigen Nachfrageelastizität auszugehen ist. Bei Bier handelt es sich um einen Impulsartikel, dessen Kauf durch Verzehranlässe bedingt ist.
61
Auch die Produkteigenschaft von Bier erlaubt ohne Weiteres bei einem Weiterverkauf im Supermarkt die Weiterwälzung eines Schadens.
62
Zudem hat die Beklagte unstreitig vorgetragen, dass die Klagepartei ihre Preise für von der 9. Kalenderwoche 2008 bis Mitte 2010 von 11,60 € konstant auf 12,60 € angehoben worden sind.
63
Ebenfalls unstreitig lag kein Nachfragerückgang bei den Kunden der Klägerin vor. So war die Kundennachfrage in den Jahren zwischen 2007 und 2012 preisunelastisch.
64
Ein eigener, das weiterveräußerte Produkt betreffender, Wertschöpfungsanteil der Klägerin liegt nicht vor, da sich die Tätigkeit der Klägerin auf den bloßen Weiterverkauf von Bier beschränkt.
65
Sofern die Beklagte hiermit ihrer Darlegungslast in Bezug auf den „pass-on“ Einwand nachgekommen ist, wäre es dann im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast Aufgabe der Klägerin gewesen, entsprechend vorzutragen, in welchem Umfang Preiserhöhungen auf die nachfolgende Marktstufe an den Endverbraucher weitergegeben worden sind. Dem ist die Klägerin jedoch nicht nachgekommen. Sie hat lediglich unsubstantiiert und nicht näher konkretisiert eingewendet, die Erhöhung der Verkaufspreise sei aufgrund der eigenen Geschäftstüchtigkeit (“autonom“) erfolgt.
66
Auch der weitere Einwand der Klägerin, sie habe preisbewusste Kunden und müsse sich an Preisänderungen am Marktführer (“ “) orientieren, ist ohne Erfolg. Denn unstreitig hat im gegenständlichen Zeitraum kein vertrieben.
67
ccc) Die Klägerin könnte sich auch nicht darauf berufen, von einer sekundären Darlegungslast befreit zu sein.
68
An der Erforderlichkeit einer Mitwirkung der Klagepartei fehlt es, wenn die Beklagten sich mittels Streitverkündung vor einer doppelten Inanspruchnahme schützen können. Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn der Schaden auf einen unüberschaubaren Personenkreis weitergewälzt wurde. In einem solchen Fall ist eine Streitverkündung unzumutbar (vgl. BGH NJW 2012, 928 Rn. 74 – ORWI). Vorliegend besteht ein unüberschaubarer Kundenkreis der Klägerin, da es sich um eine hohe Anzahl von Endkunden eines Supermarktes handelt, die einzelne Bierprodukte kaufen. Es besteht deshalb eine Erforderlichkeit für die sekundäre Darlegungslast der Klägerin, weil der Beklagten Streitverkündungen gegenüber Endkunden der Klägerin unzumutbar sind.
69
Im Übrigen kommt eine sekundäre Darlegungslast des Kartellgeschädigten im Hinblick auf die näheren Umstände seiner Preiskalkulation zwar grundsätzlich nicht in Betracht, wenn zum einen bei einer Abwälzung des Schadens allenfalls marginale, kaum verlässlich und nur mit großem Aufwand feststellbare Auswirkungen einer Schadensabwälzung auf die Angebotspreise des nachgelagerten Markts zu erwarten sind und zum anderen wegen mangelnder Durchsetzung möglicher Schadensersatzansprüche der Abnehmer auf der nachgelagerten Marktstufe eine unbillige Entlastung des Schädigers droht (vgl. BGH NZKart 2020, 539 Rn. 62 – „Schienenkartell IV“). Im Gegensatz zur Fallgestaltung im Schienenkartell, bei dem die Entgelte auf dem nachgelagerten Markt des öffentlichen Personennahverkehrs einem hochkomplexen Preisbildungsmechanismus unterliegen, ist jedoch bei Bierwaren nicht von einer komplexen Preisgestaltung auf der nachgelagerten Marktstufe auszugehen.
II. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
C.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.