Inhalt

LG Traunstein, Endurteil v. 06.08.2021 – 6 O 262/21
Titel:

Abschalteinrichtung, Tatbestandswirkung, Sittenwidrigkeit, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Unzulässigkeit, Kraftfahrt-Bundesamt, Inverkehrbringen, Verwaltungsakt, Greifbare Anhaltspunkte, Klagepartei, Strafrechtliches Ermittlungsverfahren, Sachverständigenbeweis, Kostenentscheidung, Zug-um-Zug, Betriebsuntersagung, Verrichtungsgehilfen, Rechtsverfolgungskosten, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, für Schadenersatzansprüche

Schlagworte:
Schadensersatzansprüche, Unzulässige Abschalteinrichtungen, Sittenwidrigkeit, Tatbestandswirkung, Typgenehmigung, Beweislast, Rechtsverfolgungskosten
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 01.06.2022 – 18 U 6343/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 17.09.2024 – VIa ZR 904/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66887

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 28.959,90 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerseite macht gegen die Beklagte Schadensersatz aufgrund des behaupteten Einbaus von unzulässigen Abschalteinrichtungen zur Abgasreinigung an seinem PKW, BMW X1, geltend.
2
Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft Deutschen Rechts. Sie ist Automobilherstellerin mit Sitz in M. Die Klägerpartei erwarb am 05.11.2014 bei einem Autohaus einen PKW BMW X1, FIN: als Gebrauchtwagen zum Bruttokaufpreis 31.990 €. Das Fahrzeug hatte einen Kilometerstand von 10.221 km. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe N47 verbaut, der von der Beklagten hergestellt wurde. Das Fahrzeug verfügt über eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse EU5. Zur Erlangung dieser Typengenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten, die unter Laborbedingungen gemessen werden. Für das streitgegenständliche Fahrzeug existiert kein verbindlicher Rückruf seitens des Kraftfahrtbundesamtes (im Folgenden: KBA) wegen des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteirichtung zur Abgasreinigung.
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Die Klagepartei trägt schriftsätzlich vor, sie habe ein umweltfreundliches Fahrzeug kaufen wollen. Sie hätte den Kauf bei Kenntnis der Sachlage nicht getätigt. Sie behauptet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen zur Abgasreinigung, vergleichbar mit Fahrzeugen des VW-Konzerns, verbaut. So würden Abgasmessungen verschiedener Einrichtungen belegen, dass der Emissionsausstoß im realen Fahrbetrieb um ein Vielfaches höher ist, als auf dem Prüfstand. Hieraus könne nur der Schluss gezogen werden, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug verbaut ist. Jedenfalls sei ein unzulässiges sog. Thermofenster installiert, welches so gestaltet sei, dass die Abgasreinigung nur im Temperaturbereich zwischen 17° und 33° zu 100% arbeite. Bei eine Drehzahl ab 3300 Umdrehungen/min werde die Abgasrückführung gänzlich deaktiviert, genauso ab einem Umgebungsdruck ab 88 kPa. Dies sei im Zulassungsverfahren dem KBA verschwiegen worden. Zudem würden weitere unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet, u.a. das sog. hard cycle beating.
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Die Klägerseite ist der Ansicht, dass sie von der Beklagten über den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung bewusst im Unklaren gelassen worden sei. Die Verwendung der unzulässigen Software sei nicht eigenständig durch die Entwicklungsabteilung der Beklagten erfolgt, sondern dieses Vorgehen sei mit Kenntnis des Vorstands der Beklagten alleine aufgrund Gewinnstrebens und dem Streben nach der Marktführerschaft im Markt für Pkw gewählt worden. Die Klageseite ist der Rechtsansicht, das Verhalten der Beklagten sei als sittenwidrige vorsätzliche Schädigung zu werten. Ihr stünden die geltend gemachten Ansprüche daher insbesondere aus §§ 826, 31 BGB zu. Auch seien auch 4% Deliktszinsen ab Kauf bis Verzugseintritt wegen Vorenthalten des Kaufpreises geschuldet.
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Die Klägerin beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 28.959,90 nebst Zinsen aus Euro 28.959,90 € hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.01.2021 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X1, FIN: .
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 7.852,89 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X1, FIN: …
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 22.12.2020 in Verzug befindet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.564,26 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, es sei keine unzulässige Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut und es sei nicht „manipuliert“ worden. Es würde ausschließlich versucht, Vorwürfe betreffend anderer Hersteller auf die Beklagte zu übertragen. Konkrete und greifbare Anhaltspunkte für die Behauptung, dass die Beklagte die Klagepartei tatsächlich durch Verbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung betrogen und geschädigt hat, lägen nicht vor. Das Fahrzeug habe zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch die Beklagte den damals geltenden gesetzlichen Anforderungen entsprochen. Der Einsatz eines sogenannten Thermofensters stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Einsatz kommende Thermofenster sei zulässig. Im übrigen sei es von vornherein nicht zur Begründung einer deliktischen Haftung der Beklagten geeignet.
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Das Kraftfahrtbundesamt habe zudem den Vorwurf betreffend des streitgegenständlichen Motortyps N47 ausdrücklich mit amtlicher Auskunft widerlegt. Der klägerische Vortrag sei im Übrigen unsubstantiiert. Eine Täuschung der Beklagten läge zudem nicht vor und auch kein Irrtum der Klagepartei. Ebenso sei der Klagepartei kein Schaden entstanden. Somit scheide ein klägerischer Anspruch aus jedweder Anspruchsgrundlage aus.
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Das Gericht hat am 16.06.2021 mündlich verhandelt (Bl. 317/318 d.A.). Im Übrigen wird Bezug genommen auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
I.
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Der Klägerseite stehen im vorliegenden Fall die geltend gemachten Schadensersatzansprüche weder aus §§ 826, 31 BGB noch aus anderen Vorschriften zu.
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1. Zwar kommen aufgrund des Inverkehrbringens eines Motors mit einer Umschaltlogik, die nur auf dem Rollenprüfstand die Grenzwerte nach Euro 5 einhält, grundsätzlich deliktische Schadensersatzansprüche (insb. aus §§ 826, 31 BGB) in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19; OLG München, Urteil vom 17.12.2019 – 18 U 3363/19).
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2. Die Klagepartei hat vorliegend jedoch nicht ausreichend vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug solche unzulässige Abschalteinríchtungen verbaut ist.
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a) Die Klägerseite hat nicht ausreichend vorgetragen, warum das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit diesem Thermofenster – unabhängig davon, ob es zu weitreichend ausgestaltet und damit unzulässig ist oder nicht – als sittenwidrige Handlung zu bewerten sein soll.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Im Allgemeinen genügt es dafür nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. In diesem Rahmen spielen Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden, die die Bewertung eines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen, eine Rolle. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, vorliegend nicht per se als sittenwidrige Handlung zu bewerten. So führt das OLG München (Hinweisbeschluss vom 10.02.2020 – 3 U 7524/19) zutreffend aus: „Bei einer anderen die Abgasreinigung (Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, wie hier dem Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei der Gesichtspunkte des Motorrespektive Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Demgegenüber muss bei dieser Sachlage, auch wenn – einmal unterstellt – hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen werden sollte, eine möglicherweise falsche aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/18, Juris, Rn. 6). Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise im streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Köln, a. a. O.).“
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Vorliegend behauptet die Klägerseite solche Anhaltspunkte jedoch nur unzureichend pauschal. Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle gerade nicht eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2a) VO (EG) 2007/715 auch der Umstand, dass sich das KBA wie auch das Bundesverkehrsministerium (im Folgenden: BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des Thermofensters im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeuges unstreitig bis heute nicht erfolgt.
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Selbst wenn man der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen keineswegs derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung nicht vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18).
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Insoweit hilft auch die Bezugnahme auf verschiedene Testberichte und Abgasmessungen, etwa der Deutschen Umwelthilfe nicht weiter. Auch hieraus lässt sich ein bewusstes Täuschen der Beklagten hieraus allein nicht ableiten.
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Ganz im Gegenteil hat das KBA im Verfahren des OLG München, Az.: 32 U 2840/19 mit Schreiben vom 17.10.2019 betreffend des Motortyps N47 mitgeteilt, dass dieser Motortyp durch das KBA überprüft wurde, jedoch keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden sein. Das die Beklagte das KBA im Rahmen des Zulassungsverfahrens getäuscht habe, wird von der Klägerseite unzureichend pauschal behauptet. Greifbare Anhaltspunkte hierfür nennt die Klägerseite nicht.
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3. Soweit sich die Klägerin auf weitere behauptete unzulässige Abschalteinrichtungen stützt, sieht das Gericht ebenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte für Schadensersatzansprüche. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell kein verbindlicher Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes ergangen ist, aus dem sich ergibt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt und/oder der Hersteller deswegen zu einem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge verpflichtet wurde. Im Gegenteil: Der streitgegenständliche Motortyp N47 wurde vom KBA überprüft. Es konnten dabei keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt werden (siehe oben). Für das streitgegenständliche Fahrzeug bestand daher zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die Zulassungsbehörde. Ein dieser Wertung entgegenstehender substantiierter Vortrag erfolgte durch die Klagepartei nicht.
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4. Im Übrigen führt ein Überschreiten der Grenzwerte im sog. Realbetrieb auch nicht zur fehlenden Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugs bzw. zum Erlöschen der Typengenehmigung und ist daher kein tauglicher Anhaltspunkt für deliktische Schadensersatzansprüche (vgl. OLG München, Beschluss vom 11.05.2020, Az.: 27 U 248/20 mwN.).
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5. Es war auch kein Beweis über die Behauptung der Klägerseite zu erheben, in ihrem Fahrzeug seien illegale Abschalteinrichtung vorhanden. Zum einen ersetzt die vorgenannte amtliche Auskunft des KBA einen Sachverständigenbeweis (OLG München, Beschluss vom 23.03.2020, Az.: 32 U 204/20). Zum anderen würde dies eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung darstellen, da spekulativ „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufgestellt werden, ohne dass es hierfür greifbare Anhaltspunkte gibt. Auch unter Zugrundelegung der Entscheidung des BGH (Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19) hat die Klägerin das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in seinem konkreten Fahrzeug nicht schlüssig vorgetragen.
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a) Letzteres würde einen Sachvortrag voraussetzen, der in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich ist, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Dabei muss die Klägerin jedenfalls greifbare Umstände anführen, die den Verdacht begründen, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (BGH a.a.O.). Von Bedeutung können dabei insbesondere eine Rückrufaktion des Herstellers, bezogen auf den konkreten Fahrzeug- und Motorentyp oder die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sein (BGH a.a.O).
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b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe fehlt es an greifbarem Sachvortrag der Klägerin, das streitgegenständliche Fahrzeug könne eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen aufweisen. Die Tatsache allein, dass es im Bereich des Volkswagen-Konzerns zum Einsatz von unerlaubten Abschalteinrichtungen kam, führt jedenfalls nicht dazu, dass die Klägerin bezüglich des konkreten Fahrzeugs nicht mehr konkret darlegen muss, weshalb auch in seinem Fall konkrete Anhaltspunkte für eine solche Einrichtung bestehen. Die rein spekulative Äußerung eines Generalverdachts kann jedenfalls nicht als tatsächlicher Anknüpfungspunkt für die vorgetragene Vermutung einer Tatsache – den Einsatz einer Manipulationssoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug – angesehen werden. Die Klägerseite hat nicht ausreichend dargelegt, dass der verbaute Motor N47 mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen ist. Dies ergibt sich überwiegend aus der Tatsache, dass das KBA nach einer Überprüfung genau dieser Motorklasse im Zuge des VW-Dieselabgasskandals zu dem Ergebnis gelangte, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen.
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Die demgegenüber aufgestellten Beweisbehauptungen sind nicht geeignet, eine sekundäre Darlegungslast der Beklagtenseite auszulösen, oder Beweis über die Behauptungen zu erheben.
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Hieran ändert auch der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Schriftsatz der Klägerseite vom 21.07.2021 nichts, so dass nicht erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten war. Soweit hier der private Sachverständige Dr. H. Feststellungen getroffen haben will, beziehen sich diese ausweislich des vorgelegten Schriftsatzes auf den Motortyp B37 und B47 und damit nicht auf das hier streitgegenständliche Fahrzeug.
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6. Schließlich steht vorliegend jedenfalls die sog. Tatbestandswirkung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes entgegen.
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a) Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell eine bestandskräftige und auch nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkte Typgenehmigung des Kraftfahrtbundesamtes vorliegt. Die EG-Typgenehmigung ist die für einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Anwendung der RL 2007/46/EG, der Richtlinie 2002/24/EG sowie der RL 2003/37/EG erteilte Bestätigung, dass der zur Prüfung vorgestellte Typ eines Fahrzeuges, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit die einschlägigen Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt. Mit der Erteilung der Typgenehmigung hat das Kraftfahrtbundesamt somit der Beklagten, bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Anforderungen der „einschlägigen Vorschriften“ erfüllt, mithin auch diejenigen der Verordnung EG Nr. 715/2007 hinsichtlich der Schadstoffemissionen. Es handelt sich hierbei um einen Verwaltungsakt des Kraftfahrtbundesamtes gegenüber dem Fahrzeughersteller, dem hierdurch ermöglicht wird, die dem genehmigten Typ entsprechenden einzelnen Fahrzeuge unter Ausstellung und Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung (§ 22 EG-FGV) in den Verkehr zu bringen. Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen – hier insbesondere der Euro 6 Norm genügt, so sind die Zivilgerichte aufgrund der sog. Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes daran gehindert, in einem Rechtsstreit zwischen einem Fahrzeugkäufer und dem Hersteller etwas anderes anzunehmen (BGH, Urteil vom 27.11.2019 – VIII ZR 285/18).
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b) Mit der Tatbestandswirkung der vom Kraftfahrtbundesamt bestandskräftig erteilten und unverändert – also nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkt – wirksamen Typ-Genehmigung wäre nicht vereinbar, wenn das Gericht annähme, die Beklagte habe (auch) der Klägerin gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, das dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung versehen sei, die der Erteilung einer Genehmigung entgegenstünde (so auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2020 – 5 U 4765/19; OLG Celle, Beschluss vom 07.08.2019, Az. 7 U 726/19; OLG Frankfurt, Urteil vom 12.06.2020, Az. 10 U 193/19).
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c) Das die Beklagte die EG-Typengenehmigung durch eine arglistige Täuschung erschlichen hätte und sich deshalb nicht auf die Tatbestandswirkung berufen kann (so in der grundlegenden Entscheidung des BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19), wird von der Klägerseite nur unzureichend behauptet und ist durch nichts belegt.
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7. Letztlich ist das Gericht auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin das Fahrzeug auch bei Kenntnis der Sachlage nicht erworben hätte. Dies wird zwar schriftsätzlich vorgetragen. Dies reicht jedoch für die notwendige Überzeugungsbildung des Gerichts nicht aus, nachdem es auch eine große Anzahl von Fahrzeugkäufern gibt, denen (mögliche) Manipulationen der Abgaswerte nachrangig sind, da sie das Fahrzeug aus anderen Motiven (z.B. Leistung, Ausstattung, Kaufpreis) erworben haben.
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8. Der Klägerin stehen nach dem Vorgesagten auch keine Ansprüche unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten zu.
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Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EGFGV in Verbindung mit Art. 3 Nummer 10 der VO 715/2007 kommt nicht in Betracht.
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Mit der ganz herrschenden Meinung ist der Schutzgesetzcharakter der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. von Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nummer 10 der VO Nummer 7 115/2007 zu verneinen. Diese Normen stellen kein Schutzgesetz zugunsten der Endkunden dar, sondern geradezu ein klassisches Beispiel für eine die Allgemeinheit schützende Norm (vergleiche OLG München Beschluss vom 29.08.2019, Az.: 8 U 1449/19 mit ausführlicher Begründung). Diese Normen sollen jedenfalls den Kunden nicht vor dem Abschluss von nachteiligen Kaufverträgen schützen (vgl. OLG München vom 23.03.2020, 32 U 204/20).
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Eine Haftung nach §§ 831, 826 BGB scheidet ebenfalls aus. Anhaltspunkte für die rechtswidrige Erfüllung des objektiven Tatbestandes einer unerlaubten Handlung durch einen Verrichtungsgehilfen der Beklagten wurden nicht ausreichend vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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9. Nachdem in der Hauptsache schon kein Anspruch besteht, sind auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht erstattungsfähig: Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen zwar grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis adäquat kausal verursachten Rechtsverfolgungskosten. Allerdings hat der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat kausal verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGHZ 127, 348 [350]). Die Insanspruchnahme eines Anwalts zur Durchsetzung einer nicht bestehenden Forderung ist jedoch niemals erforderlich und zweckmäßig, sodass vorliegend keine Anwaltskosten zuzusprechen waren.
II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 709 S. 1 und S. 3 ZPO. Die Entscheidung zum Streitwert beruht auf §§ 1, 3 ZPO.