Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 14.01.2021 – 19 O 1948/20
Titel:

Kommissionsentscheidung, Klagepartei, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Zuwiderhandlung, über Preise, Abgestimmte Verhaltensweise, Elektronischer Rechtsverkehr, Privatgutachten, Elektronisches Dokument, Kartellbefangenheit, Schadensberechnung, Streitwertentscheidung, Preiserhöhung, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Erwerbsschaden, Darlegungslast, Qualifizierte elektronische Signatur, Beschaffungsvorgang

Schlagworte:
Zuständigkeit, Kartellbefangenheit, Kausaler Schaden, Darlegungslast, Mittelbarer Erwerb, Anscheinsbeweis, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Berichtigungsbeschluss vom 22.02.2021 – 19 O 1948/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66885

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.656,62 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Zahlung von Schadensersatz zuzüglich Zinsen aufgrund des von der Europäischen Kommission mit Beschluss vom 19. Juli 2016 (AT.39824 – Trucks, bekannt gegeben unter dem Aktenzeichen C(2016) 4673; nachfolgend: Kommissionsentscheidung) festgestellten sogenannten „Lkw-Kartells“.
2
Klagepartei ist eine Marktgemeinde im Landkreis ...  . Die Beklagte ist ein deutsches Tochterunternehmen der und in der Vermarktung und Betreuung des Vertriebs von mittleren und schweren Nutzfahrzeugen der Marke „...“ in Deutschland tätig.
3
Die Beklagte beteiligte sich mit anderen europäischen Herstellern von Lastkraftwagen an Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, wie sie Gegenstand der Feststellungen der Kommission in der Kommissionsentscheidung vom 19.07.2016 sind, deren Adressatin auch die Beklagte ist. Die Beklagte beteiligte sich im Zeitraum vom 26.06.2001 bis 18.01.2011. Die kollusiven Kontakte zwischen den Adressatinnen der Kommissionsentscheidung fanden von 1997 bis 2010 in Form regelmäßiger Treffen statt und umfassten auch Kontakte über E-Mail und Telefon. Die Hauptverwaltungen der Adressatinnen waren bis 2004 direkt an den Gesprächen über Preise, Preiserhöhungen und die Einführung von neuen Emissionsnormen beteiligt. Spätestens ab August 2002 liefen die Gespräche über deutsche Tochtergesellschaften, die an ihre Hauptverwaltungen berichteten. Die Absprachen umfassten Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen mit dem Ziel, die Bruttopreise im Europäischen Wirtschaftsraum zu koordinieren, sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien nach den Abgasnormen Euro 3 bis Euro 6. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird vollumfänglich auf die Kommissionsentscheidung Bezug genommen (vgl. die als Anlage K2 vorgelegte „provisional non-confidential version“ in englischer Sprache).
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Weder die Beklagte noch deren Muttergesellschaft sind mit der, von der die Klagepartei den streitgegenständlichen Lkw erworben haben will, gesellschaftsrechtlich verbunden.
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Die Klagepartei behauptet, ihr sei wegen eines Lkws, der ausweislich der Rechnung vom 28.04.2009 gemäß Anlage K3 im Kartellzeitraum von der zu einem am 06.05.2009 bezahlten Kaufpreis in Höhe von 58.131,50 € erworben worden sei, ein Schaden entstanden, weil sie aufgrund der in der Kommissionsentscheidung festgestellten Verhaltensweisen in Bezug auf die Absprache von Bruttopreisen zu viel gezahlt habe. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei weiterhin Bestandteil des Fuhrparks der Klagepartei.
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Hinsichtlich der Höhe des entstandenen Schadens beruft sie sich auf ein Gutachten der vom 20.11.2017 (Anlage K5) und deren individuelle Schadensberechnung für die Klagepartei (Anlage K4). Zum Gutachten der Beklagtenpartei legt die Klagepartei eine Stellungnahme von vom 06.11.2020 als Anlage K8 vor. Aus dem Gutachten ergebe sich, dass die Klagepartei bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs als Schaden einen kartellbedingten Preiseffekt von 3.673,13 € netto, zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 697,89 €, erlitten habe. Teil des kartellbedingten Schadens seien zudem die Aufwendungen des Klägers im Zusammenhang mit der Beteiligung an der wettbewerbsökonomischen Begutachtung zur Aschadensermittlung. Hierfür habe die Klagepartei eine Teilnehmerpauschale in Höhe von 476,00 € und zusätzlich für die Einzelauswertung bezüglich ihres kartellbefangenen Erwerbsvorgangs 95,20 €, insgesamt mithin ein Honorar von 571,10 € bezahlt.
7
Die Klagepartei beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.656,62 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.371,02 € seit 06.05.2009 und aus 285,60 € seit 11.08.2018, ferner 492,54 € an vorgerichtlichen Anwaltskosten zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
9
Die Beklagte behauptet, die Bruttolistenpreise hätten für die Kundennettopreise keine Bedeutung. Die Beklagte verweist auf ein privates Sachverständigengutachten vom 08.05.2019 zur Beurteilung etwaiger Auswirkungen des „Lkw-Falls“ der (Anlagen) sowie auf eine Plausibilitätsanalyse der). Die Beklagte behauptet unter Verweis auf die eingeholten Gutachten, dass sich im relevanten Zeitraum Bruttolistenpreise und Nettopreise völlig unterschiedlich entwickelt hätten. Die im Zeitraum des Kartells schwankenden Marktanteile der LKW-Hersteller, die die Beklagte unter Verweis auf die in den Privatgutachten aufbereiteten Daten darstellt, zeigten, dass es einen Preiswettbewerb weiterhin gegeben habe.
10
Soweit die Klagepartei, die lediglich mittelbare Abnehmerin des streitgegenständlichen Lkws sei, behaupte, aufgrund des Erwerbs Schäden in Gestalt höherer Kaufpreise erlitten zu haben, fehle es jedenfalls an Sachvortrag der Klägerin dazu, wie eine preiserhöhende Wirkung der Zuwiderhandlung auf der ersten Marktstufe die von ihr angeblich auf nachgelagerter Marktstufe gezahlten Preise negativ beeinflusst haben soll.
11
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2021 Bezug genommen.
12
Die Kammer hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
14
Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist sachlich und örtlich zuständig.
B.
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I. Die Klage ist unbegründet, da von der Klagepartei lediglich ein indirekter Erwerb des streitgegenständlichen Lkws behauptet wird und sie schon nicht dargelegt hat, dass ein etwaiger kartellbedingter Preisaufschlag auf sie von der abgewälzt worden ist.
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1. Für den Schadensersatzanspruch ist das zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse geltende Recht maßgeblich (BGH, Urteil vom 11.12.2018 – KZR 26/17, Rn. 44 – Schienenkartell). Für Bestellungen 01.01.1999 bis 30.06.2005 ist die Vorschrift des § 33 S. 1 GWB in der Fassung vom 26.08.1998 und ab dem 01.07.2005 die Vorschrift des § 33 Abs. 3 GWB in der Fassung vom 07.07.2005 maßgeblich. Somit ist auch die Vermutung des § 33a Abs. 2 GWB auf die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche nicht anwendbar (§ 186 Abs. 3 GWB).
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2. Ein Kartellschadensersatz setzt auch nach den Urteilen des BGH vom 28.01.2020 (Az. KZR 24/17 – Schienenkartell II) und vom 23.09.2020 (Az. KZR 35/19 – Lkw-Kartell) noch voraus, dass die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge kartellbefangen waren. Maßgeblich für die Kartellbefangenheit ist die Frage, ob dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das – vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise – geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers mittelbar oder unmittelbar zu begründen. Für die Feststellung dieser Voraussetzungen gilt der Maßstab des § 286 ZPO (BGH, Urteil vom 28.1.2020 – KZR 24/17 –, Rn. 25 – Schienenkartell II).
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Ob die Voraussetzungen der Kartellbefangenheit hinsichtlich des streitgegenständlichen Beschaffungsvorgangs vorliegen, kann hier dahingestellt bleiben.
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3. Die Klage ist nämlich bereits unbegründet, weil kein kausaler Schaden ersichtlich ist. Hierfür wäre erforderlich, dass die festgestellte Zuwiderhandlung eine preissteigernde Wirkung hatte, die Beschaffungsvorgänge von dieser Wirkung erfasst waren und der Klagepartei daher durch die Zuwiderhandlung mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.01.2020 – KZR 24/17, juris Rn. 35 – Schienenkartell II). Dies ist nicht der Fall.
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Denn es wird lediglich der mittelbare Erwerb des streitgegenständlichen Lkw behauptet und die Klagepartei hat schon nicht dargelegt, dass ein etwaiger kartellbedingter Preisaufschlag auf sie von der abgewälzt worden ist.
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a) Die Darlegungslast dafür, dass und gegebenenfalls in welcher Höhe ein kartellbedingter Preisaufschlag auf die nachfolgende Marktstufe abgewälzt wurde, trägt der indirekte Abnehmer, der sich hierauf beruft (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10 –, BGHZ 190, 145-172, Rn. 44, vgl. ausführlich auch z.B. LG Stuttgart, Urteil vom 30. Januar 2020 – 30 O 9/18 –, Rn. 46 ff., juris m.w.N.).
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Ein Anscheinsbeweis kommt der Klagepartei nicht zugute. Wenn das kartellierte Produkt nicht direkt von einem der an der Preisabsprache beteiligten Kartellanten, sondern von selbstständigen Zwischenhändlern bezogen worden ist, spricht angesichts der ökonomischen Komplexität der Preisbildung, des eigenständigen Spielraums bei der Preisgestaltung und des unterschiedlichen Wettbewerbsdrucks auf den jeweiligen nachgelagerten Märkten keine allgemeine Vermutung dafür, dass eine im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kartell auftretende Preiserhöhung auf den Anschlussmärkten ursächlich auf das Kartell zurückzuführen ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.6.2011 – KZR 75/10).
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b) Die Klägerin ist hinsichtlich des streitgegenständlichen Lkws allenfalls mittelbare Abnehmerin, weil sie den streitgegenständlichen Lkw nicht von der Beklagten, sondern von einem unabhängigen Händler, der, die keine Adressatin des Bußgeldbescheides ist, erworben haben will. Soweit die Klägerin behauptet, aufgrund des Erwerbs des streitgegenständlichen Lkw einen Schaden in Gestalt höherer Kaufpreise erlitten zu haben, fehlt es an Sachvortrag der Klägerin dazu, wie eine preiserhöhende Wirkung der Zuwiderhandlung auf der ersten Marktstufe die von ihr angeblich auf nachgelagerter Marktstufe gezahlten Preise negativ beeinflusst haben soll. Dieser Vortrag wäre aber notwendig, weil angesichts der ökonomischen Komplexität der Preisbildung und des unterschiedlichen Wettbewerbsdrucks auf den jeweiligen nachgelagerten Märkten keine Vermutung dafür spricht, dass eine im zeitlichen Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung auftretende (angebliche) Preiserhöhung auf den Anschlussmärkten ursächlich auf die Zuwiderhandlung zurückzuführen ist (BGH, Urt. v. 28.06.2011 – KZR 75/10, juris Rn. 47 – ORWI).
24
Die Kausalität muss hier stets im Einzelfall nachgewiesen werden (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2011 – KZR 75/10, juris Rn. 45 ff. – ORWI).
25
Vortrag, dass ein etwaiger kartellbedingter Preisaufschlag vom unmittelbaren Erwerber auf die Klagepartei abgewälzt worden wäre, unterblieb in der Replik der Klagepartei, obwohl bereits in der Klageerwiderung auf diesen Umstand ausführlich hingewiesen wurde (vgl. S. 131ff. des Klageerwiderungsschriftsatzes).
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II. Der Klagepartei steht somit auch kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für ihr vorprozessual erholtes Privatgutachten zu. Ebenfalls teilen die Nebenforderungen das Schicksal der Hauptforderung.
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III. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit war nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO zu entscheiden.
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Die Streitwertentscheidung beruht auf § 3 ZPO.