Titel:
Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des Einbaus einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) in ein Dieselfahrzeug (hier: Mercedes-Benz GLC 220 d 4Matic)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, 2
Leitsätze:
1. Vgl. auch zur Thematik der "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" bei Mercedes-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 38651; BeckRS 2022, 7010; BeckRS 2022, 12628; BeckRS 2022, 14779; BeckRS 2023, 37218; OLG Brandenburg BeckRS 2023, 33947; BeckRS 2024, 10442; OLG Celle BeckRS 2023, 36841; KG BeckRS 2023, 36005; OLG Koblenz BeckRS 2020, 31540; OLG München BeckRS 2023, 35779; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 35775 sowie OLG Stuttgart BeckRS 2021, 33101; BeckRS 2022, 51626; BeckRS 2023, 29167; BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; BeckRS 2022, 40422 mwN in Ls. 1; anders OLG Köln BeckRS 2021, 10226. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Prüfstanderkennung kann nur angenommen werden, wenn die Schaltkriterien im realen Fahrbetrieb nicht auftreten und die Sollwertabsenkung mithin im realen Fahrbetrieb nicht zur Anwendung kommt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, OM 651, unzulässige Abschalteinrichtung, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), Prüfstandserkennung, realer Fahrbetrieb, KBA
Vorinstanz:
LG Augsburg, Entscheidung vom 16.02.2021 – 21 O 1854/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 07.08.2024 – VIa ZR 451/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66716
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 16.02.2021, Aktenzeichen 021 O 1854/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 52.307,60 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs wegen einer behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung geltend.
2
So erwarb die Klagepartei am 17.02.2016 von der Beklagten einen Pkw Mercedes-Benz GLC 220 d 4Matic, ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 der Euro-6-Norm, zu einem Preis von 52.307,60 €.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
4
Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, für eine Haftung aus § 826 BGB fehle es an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass das Fahrzeug mit einer Software ausgestattet ist, die die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu begründen vermag. Ein Anspruch aus § 823 Abs. BGB i.V.m. § 16 Abs. 1 UWG scheitere aus Rechtsgründen. Auch die Voraussetzungen des § 437 Nr. 3 BGB lägen nicht vor. Ein entsprechender Anspruch sei jedenfalls verjährt. Nicht zuletzt hat des Erstgericht auch bereicherungsrechtliche Ansprüche abgelehnt.
5
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Augsburg vom 16.02.2021 Bezug genommen, § 540 ZPO.
6
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klagepartei, die in der Berufungsinstanz beantragt (Bl. 284 f. d. A.):
1. Das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 16.02.2021, 021 O 1854/20 wird aufgehoben und wie folgt abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei € 52.307,60 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.02.2020 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Mercedes-Benz GLC 220 d, FIN: … sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des PKW.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei für über Klageantrag Ziffer 1 hinausgehende Schäden, die aus der Manipulation des in Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs durch die Beklagte resultieren, Schadensersatz zu leisten.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerpartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.880,20 freizustellen.
7
Wegen des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung der Klagepartei vom 26.05.2021 (Bl. 284/363 d. A.) Bezug genommen.
8
Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz,
die Berufung zurückzuweisen (Bl. 282 d.A.).
9
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 16.02.2021, Aktenzeichen 021 O 1854/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
10
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Der Senat bleibt bei seiner im Hinweis vom 11.01.2022 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird.
11
Die Stellungnahme der Klagepartei vom 03.03.2022 enthält keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten.
12
So bleibt der Senat insbesondere dabei, dass in Bezug auf die Kühlmittelsolltemperaturregelung (KSR) eine Prüfstandsbezogenheit nicht dargetan ist. So versteht der Senat den Begriff der Prüfstandsbezogenheit mit dem Bundesgerichtshof (vgl. BGH Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 17, beck-online) dahingehend, dass es maßgeblich darauf ankommt, ob die Abschalteinrichtung auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz nicht in gleicher Weise arbeitet. Entsprechendes hat die Klagepartei auch mit dem Vorbringen im Schriftsatz vom 03.03.2022 nicht dargetan, insbesondere nicht unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des KBA vom 29.03.2021, vorgelegt als Anlage KB 9. So geht aus dieser nur hervor, dass die von der Beklagten applizierten Schaltkriterien so gewählt sind, dass wesentliche Randbedingungen des gesetzlichen Prüfverfahrens abgedeckt werden und die Sollwertabsenkung mit Sicherheit bei der gesetzlichen Prüfung Typ 1 im NEFZ aktiv ist sowie außerhalb dieser Schaltkriterien die Regelung abgeschaltet wird. Daraus lässt sich nicht der (für eine Prüfstanderkennung erforderliche) Schluss ziehen, dass die Schaltkriterien im realen Fahrbetrieb nicht auftreten und die Sollwertabsenkung mithin im realen Fahrbetrieb nicht zur Anwendung käme. Ebenso wenig lässt sich dieser Schluss aus den Ausführungen der Klagepartei zur Timerfunktion – unter Bezugnahme auf die als KB 10 vorgelegte Stellungnahme des KBA vom 20.09.2021 – ziehen. Dazu, dass es für eine Prüfstandsbezogenheit nicht genügt, dass sich die KSR nur innerhalb eines kurzen Zeitraums auswirkt, wurde im Hinweisbeschluss vom 11.01.2022 bereits ausgeführt.
13
Auch die Ausführungen der Klagepartei in der Stellungnahme vom 03.03.2022 zu den Aktivierungsparametern der KSR vermögen eine Prüfstandsbezogenheit derselben nicht zu begründen.
14
Soweit die Klagepartei im Schriftsatz vom 03.03.2022 weiterhin eine objektive Sittenwidrigkeit unter dem Aspekt unzureichender Angaben gegenüber dem KBA annimmt, so bleibt der Senat dabei, dass die Klagegepartei bereits Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, nicht darlegt hat (BGH Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 20, beck-online). Dass der Klagepartei darin Recht zu geben ist, dass die Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug erst nach Abschluss des Kaufvertrags, genauer am 08.06.2016 erfolgte und mithin nach dem maßgeblichen Stichtag (16.05.2016), zu welchem die genaue Beschreibung der Emissionsstrategie mit der Verordnung (EU) 2016/646 eingeführt wurde, ist mithin nicht entscheidungserheblich. Auch wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG ggf. gehalten gewesen wäre, Angaben zu den Einzelheiten der Abgasrückführung zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (vgl. BGH Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 20, beck-online).
15
Auch in Bezug auf die Differenzierung der Dosierstrategien unter dem sogenannten Online- und Speichermodus fehlt es gerade auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Stellungnahme vom 03.03.2022 an der Darlegung einer Prüfstandsbezogenheit so wie sie der Senat versteht. Für eine solche genügt eben nicht der Umstand, dass der „effektive Modus“ im normalen Straßenverkehr nur in einem Bruchteil der Zeit greift.
16
Mangels Darlegung einer objektiven Sittenwidrigkeit zielen die Ausführungen der Klagepartei zur sekundären Darlegungslast betreffend die unternehmensinternen Verantwortlichkeiten ins Leere.
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
18
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
19
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.