Titel:
Unzulässige Klage in Dieselfall wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Klagezustellung
Normenketten:
InsO § 35, § 80 Abs. 1, § 85 Abs. 1 S. 1
ZPO § 240
Leitsatz:
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Kläger die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen iSv § 35 InsO, mithin auch über das streitgegenständliche Kraftfahrzeug, verloren. Aktivprozesse können ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich nur noch vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters liegt nicht vor. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Kraftfahrzeuges und der mit seinem Erwerb verbundenen Ansprüche fehlt dem Kläger daher weiterhin die Prozessführungsbefugnis. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässigkeit der Klage, Prozessführungsbefugnis, Insolvenzverfahren, Eröffnung vor Klagezustellung, fehlende Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters, Dieselfall
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 10.06.2024 – 19 U 5257/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66619
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung.
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Der Kläger erwarb am 15.03.2019 bei der Beklagten in München ein gebrauchtes Kraftfahrzeug – Motorart: Diesel – für 71.995,00 €. Der Pkw verfügt über ein SCR-System zur Abgasreinigung.
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Im Mai 2018 stellte das Kraftfahrtbundesamt bei der Überprüfung eines Fahrzeugtyps Diesel Euro 6 verbotene Abschalteinrichtungen fest. Mit Bescheid vom 23.05.2018 wurde deshalb vom Kraftfahrtbundesamt für den Diesel Euro 6 ein verpflichtender Rückruf angeordnet. Ein vom Kraftfahrbundesamt freigegebenes Software-Update war beim klägerischen Pkw am 04.12.2018 aufgespielt worden.
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Über das Vermögen des Klägers ist am 06.04.2020 um 12 Uhr ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die mit Schriftsatz vom 17.03.2020 beim Landgericht München II am 18.03.2020 eingegangene Klage ist der Beklagten am 14.04.2020 zugestellt worden. Am 24.06.2020 lag weder den Parteien noch dem Gericht die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters vor.
dass das Fahrzeug über eine unzulässige Abschaltvorrichtung verfüge, die dazu führe, dass das Kraftfahrzeug einen wesentlich höheren NOx-Ausstoß aufweist, als die Typengenehmigung des Kraftfahrt-Bundesamtes ausweise. Hierdurch sei der Kläger sittenwidrig geschädigt worden.
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerschaft 68.252,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von
a. 71.995,00 € vom 15.03.2019 bis Rechtshängigkeit und
b. 68.252,10 € ab Rechtshängigkeit
zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer,
- 2.
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festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet,
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die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.989,48 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor,
dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine wirksame EG-Typengenehmigung verfüge und somit uneingeschränkt genutzt werden könne. Im vorliegenden Fahrzeug sei keine manipulative Umschaltlogik verbaut, die den Prüfstand erkennt und als Folge auf dem Prüfstand ein anderes Emissionsverhalten erzeugt als auf der Straße. Die Beklagte ist der Ansicht, dass es rechtlich unbeachtlich sei, welche NOx-Emissionen das Fahrzeug außerhalb von den gesetzlich vorgesehenen Tests aufweist. Aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers am 06.04.2020 sei die Klage als unzulässig abzuweisen.
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Mit Beschluss vom 30.10.2020 hat das Landgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass die Rechtshängigkeit erst zu einem Zeitpunkt eintrat als der Kläger aufgrund des eröffneten Insolvenzverfahrens nicht mehr klagebefugt war und die Klage daher als unzulässig abzuweisen ist. Der Kläger kündigte mit Schriftsatz vom 22.12.2020 die Freigabe durch den Insolvenzverwalter an. Das Gericht hat den Kläger zuletzt in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass bis zum Verhandlungstag am 24.06.2021 keine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters eingegangen ist.
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Es wird ergänzend Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Hauptverhandlung vom 24.06.2021.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig, da der Kläger nicht prozessführungsbefugt ist.
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1. Durch die unstreitige Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 06.04.2020 hat der Kläger die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen i.S.v. § 35 InsO, mithin auch über das streitgegenständliche Kraftfahrzeug, verloren (§ 80 I InsO). Aktivprozesse können ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich nur noch vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden (§ 85 I 1 InsO). Eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters liegt nicht vor. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Kraftfahrzeuges und der mit seinem Erwerb verbundenen Ansprüche fehlt dem Kläger daher weiterhin die Prozessführungsbefugnis.
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2. Eine Unterbrechung des Verfahrens gem. § 240 ZPO kommt vorliegend nicht in Betracht, da die die Klage erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugestellt wurde. Wie der Beklagtenvertreter zutreffend ausgeführt hat, liegen die Voraussetzungen des § 240 ZPO nicht vor. Lediglich ein durch Klagezustellung rechtshängig gewordener Prozess (§§ 253 I, 261 I ZPO) kann gem. § 240 ZPO unterbrochen werden (vgl. Zöller, 31. Aufl., § 240 ZPO, Rdnr. 4 m.w.N.). Vorliegend erfolgte die Zustellung der Klage jedoch erst am 14.04.2020, mithin nach Insolvenzeröffnung am 06.04.2020. Die Rechtshängigkeit trat damit in einem Zeitpunkt ein, in dem der Kläger nicht mehr klagebefugt war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO. Somit hat der Kläger als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO.
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Der Streitwert für das Verfahren wurde auf 71.995 € festgesetzt, § 3 ZPO.