Inhalt

LG Weiden, Endurteil v. 06.08.2021 – 15 O 66/21
Titel:

Abschalteinrichtung, Sekundäre Darlegungslast, Sittenwidrige Schädigung, Sittenwidrigkeit, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, verfassungsmäßig berufener Vertreter, Darlegungs- und Beweislast, Wissenszurechnung, Kraftfahrt-Bundesamt, Inverkehrbringen, Unzulässigkeit, OLG Koblenz, Kostenentscheidung, Nutzungsentschädigung, Typgenehmigung, Zug-um-Zug, Schädigungsvorsatz, Subjektive Tatbestandsmerkmale, Greifbare Anhaltspunkte

Schlagworte:
Sittenwidrige Schädigung, Abschalteinrichtung, Thermofenster, Schutzgesetz, Deliktische Haftung, Wissenszurechnung, Betrug
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 07.06.2022 – 5 U 3274/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 28.07.2022 – 5 U 3274/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 11.06.2024 – VIa ZR 1155/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66441

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger fordert von der Beklagten als Herstellerin eines von ihm gekauften Kraftfahrzeuges im Rahmen des sog. „Dieselskandals“ Schadensersatz wegen der Konzeption des Motors durch die Beklagte Am 05.09.2019 kaufte der Kläger vom Autohändler H.. M... GmbH & Co. KG ein Fahrzeug der Marke Mercedes Benz, C 220 mit einem Kilometerstand von 23.860 km zum Preis von 27.500 €. Am 16.07.2021 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand 54.566 km auf. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet.
2
Das Fahrzeug ist unter der Euro-5-Norm zugelassen und nicht von einem verbindlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamts betroffen. Der Voreigentümer hatte ein freiwilliges Software-Update des Herstellers aufspielen lassen.
3
In dem Fahrzeug ist ein Abgasregulierungsmechanismus in Form eines Thermofenster eingebaut, wobei zwischen den Parteien streitig ist bei welchen Temperaturen diese Funktion zum Einsatz kommt.
4
Der Kläger behauptet, dass in seinem Fahrzeug mehrere weitere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien. Diese unzulässigen Abschalteinrichtungen seien aufgrund eines Entschlusses des Vorstandes der Beklagten entwickelt worden. Das entwickelte Software-Update sei nicht geeignet Mängel der Abgassoftware zu beseitigen, da es zu diversen Folgeproblemen führe. Das Kraftfahrtbundesamt sei über die Existenz der Abschalteinrichtungen getäuscht worden.
5
Dies alles sei ihm beim Vertragsabschluss nicht bekannt gewesen. Hätte er dies gewusst, hätte er diesen Vertrag nicht geschlossen.
6
Der Kläger ist der Meinung, dass auch im realen Fahrbetrieb die Grenzwerte aus der VO (EG) Nr. 715/2007 einzuhalten wären. Es liege eine Täuschung und eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor. Die Verantwortlichen der Beklagten hätten von diesen Manipulationen gewusst und müssten sich diese zurechnen lassen.
7
Der Kläger beantragte,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Mercedes Benz C220 D mit der Fahrgestellnummer …53 an die Klagepartei 27.500,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 21.01.2021 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.229,41 Euro zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 21.01.2021 mit der Rücknahme des in Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeuges im Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihres Rechtsanwaltes Ma..o H.. in Höhe von 1.872,35 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen. Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
8
Die Beklagte trägt vor, das Fahrzeug entspreche den Abgasgrenzwerten der Euro-5-Norm und stimme mit der EG-Typ-Genehmigung überein. Im Übrigen sei in das Fahrzeug keine manipulative Umschaltlogik verbaut.
9
Maßgeblich für eine vertretbare Gesetzesauslegung seien die Umstände zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs. Eine technisch veranlasste Veränderung des Emissionskontrollsystems stelle keine „defeat device“ dar, sondern beruhe auf einer Abwägung bei unsicherer technischer Erkenntnislage.
10
Hinsichtlich der weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen sei der Vortrag viel zu pauschal und unsubstantiiert. Eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei in dem Fahrzeug nicht enthalten.
11
Die Beklagte ist der Meinung, dass keine sittenwidrige Schädigung und kein Vorsatz auf ihrer Seite gegeben sei. Im Übrigen habe der Kläger keinen wirtschaftlichen Nachteil erlitten. Im Übrigen seien etwaige Ansprüche verjährt und die Aktivlegitimation werde bestritten.
12
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Anlagen Bezug genommen, sowie auf das Protokoll vom 16.07.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
14
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keine deliktischen Ansprüchen auf Zahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
15
Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagte als Herstellerin des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs wegen sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder wegen des Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB mit einer entsprechenden Schutzvorschrift) sind nach Auffassung der Kammer nicht gegeben.
16
1. Dem Kläger ist in vorliegendem Fall von der Beklagten nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden (§ 826 BGB). a)
17
Zwar kann im Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, grundsätzlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen, da dies dazu führt, dass der Widerruf der Typgenehmigung oder zumindest die Stilllegung des konkreten Fahrzeugs droht, sofern der Käufer nicht an der Rückrufaktion zur Beseitigung der Abschalteinrichtung teilnimmt. Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, d. h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschafen gefährdet ist. Dies setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typgenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamtes erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich nicht entspricht. Auch dies bestätigt der Hersteller mit der Inverkehrgabe zumindest konkludent (vergl. OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019, AZ: 12 U 246/19, Beck RS 2019, 25.135, RdNr. 28 mit weiteren Nachweisen). Die bloße Tatsache, dass ein Fahrzeug von einem Rückruf betroffen ist begründet nicht automatisch einen Anspruch aus § 826 BGB.
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b) Der Kläger hat sich in vorliegendem Fall auf verschiedene Sachverhalte berufen, die nach seinem Vortrag eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen, nämlich ein unstreitig vorhandenes sogenanntes „Thermofenster“ und eine Softwarefunktion, die eine spezielle Temperaturregelung aktiviert, die den Kühlmittelkreislauf künstlich kälter hält.
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Soweit die Beklagte sich darauf beruft, der Sachvortrag des Klägers hinischtlich des Thermofensters sei insoweit nicht schlüssig und nachvollziehbar und stelle lediglich Behauptungen „aufs Geratewohl“ und „ins Blaue hinein“ dar, ist dem, wenn es um die Feststellung der Mangelhaftigkeit eines Fahrzeugs aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder anderer technischer Eingriffe geht, zu widersprechen.
20
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Zuletzt: Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19) ist der Sachvortrag einer Partei zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Nähere Einzelheiten sind nicht erforderlich. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (vergl. BGH, Beschluss vom 28.01.2020, AZ: VIII ZR 57/19, RdNr. 7 mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris). Es sei, so der Bundesgerichtshof, einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässges Wissen besitze und auch nicht erlangen könne, diese aber nach Lage der Verhältnisse wahrscheinlich oder für möglich halte. Dies gelte insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen könne, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben könne.
21
Eine Behauptung sei erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden sei (vergl. BGH a.a.O. RdNR. 8).
22
Von einem Kläger kann deshalb nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, weshalb er von dem Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgeht und wie diese konkret funktionieren. Vielmehr ist von ihm nur zu fordern, dass er greifbare Umstände anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (vergl. BGH a.a.O., RdNr. 10).
23
Derartige greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sind nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht erst dann gegeben, wenn das Kraftfahrtbundesamt auch bezüglich des konkreten Fahrzeugtyps des Klägers eine Rückrufaktion angeordnet hat. Begründet wird dies vom Bundesgerichtshof damit, dass ein Sachmangel nach § 434 Abs. 1 BGB wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erst dann vorliege, wenn der Hersteller durch einen Bescheid des Kraftfahrtbundesamts eine Umrüstungsanordnung getroffen hat, sondern auch schon dann, wenn diese Behörde eine entsprechende Maßnahme gegenüber dem Hersteller noch nicht getroffen hat (vergl. BGH a.a.O. RdNr. 13).
24
c) Hinsichtlich des vom Kläger behaupteten und letztlich zwischen den Parteien unstreitigen Thermofensters stellt sich das Inverkehrbringen des Fahrzeugs des Klägers mit einem Thermofenster aus Sicht der Kammer nicht als sittenwidrige Handlung dar.
25
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (vergl. OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019, AZ: 12 U 246/19, BeckRS 2019, 25135, RdNr. 30 mit weiteren Nachweisen).
26
Nach diesen Maßstäben ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, im vorliegenden Fall nicht als sittenwidrige Handlung einzustufen.
27
Bei dieser, die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei der Gesichtspunkte des Motors bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jeglicher konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss hier eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vergl. OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019, AZ: 12 U 246/19, BeckRS 2019, 25135, RdNr. 31 mit weiteren Nachweisen).
28
Dies ergibt sich aus folgenden Bewertungsgesichtspunkten:
29
Nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vom 20.06.2007 ist zwar die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Immissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 sieht jedoch Ausnahmen von diesem generellen Verbot von Abschalteinrichtungen vor, wenn die Einrichtung u. a. notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen. Die Funktion einer Abgasrückführung besteht darin, dass das nach dem Verbrennungsvorgang aus den Zylindern des Motors abströmende Gas in einem bestimmten Umfang erneut dem Verbrennungsvorgang zugeführt wird. Dabei ist offensichtlich, dass die Abgasrückführungsrate, also der Anteil des Abgases an dem zur Verbrennung vorgesehenen LuftTreibstoff-Gemisch nicht beliebig gesteigert werden kann. Die Abgasrückführungsrate kann deshalb unter allen denkbaren Betriebsbedingungen nicht gleich hoch sein, sollen unerwünschte Auswirkungen und Beschädigungen des Motors, insbesondere des Abgasrückführungsventils selbst, vermieden werden. Letztlich hat sich der Kläger auch nicht gegen die Behauptung der Beklagten gewendet, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs es dem Stand der Technik entsprochen habe, die Abgasrückführungsrate entsprechend den jeweiligen Betriebsbedingungen, wozu auch die Außentemperatur gehöre, variabel zu gestalten.
30
Die Kammer folgt deshalb nicht der Auffassung des Landgerichts Stuttgarts, dass eine derartige, von bestimmten Parametern abhängige Veränderung der Abgasrückführungsrate von der Definition der „Abschalteinrichtung“ in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erfasst werde, weil es sich bei der Abgasrückführung um ein „Immissions-Kontrollsystem“ handele und dass die Fahrzeughersteller sich zur Rechtfertigung dieser Variabilität nicht auf die Ausnahmebestimmung in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der genannten Verordnung berufen könnten, solange sie nicht den Nachweis führen könnten, dass sich solche Einrichtungen weder durch Konzeption noch durch Konstruktion oder Werkstoffwahl nach aktuellem Stand der Technik vermeiden ließen, weil die Automobilhersteller auf diese Art und Weise die Möglichkeit hätten, sich vom Verbot der Abschalteinrichtung dadurch zu befreien, dass sie Motoren bewusst so suboptimal konstruierten, dass diese bei vollem Greifen des Immissionskontrollsystems Schaden zu nehmen drohten (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 17.01.2019, Az: 23 O 178/18, Urteil vom 09.05.2019, Az: 23 O 220/18).
31
Wie bereits ausgeführt geht es im vorliegenden Fall nicht um das Vorliegen eines Mangels im kaufrechtlichen Sinne, sondern um die Frage, ob sich das Verhalten der Beklagten bei Verwendung eines sogenannten „Thermofensters“ als sittenwidrig darstellt. Dazu müsse die Beklagte zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung gehandelt haben. Der Annahme des Vorsatzes steht jedoch entgegen, dass die einschlägigen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen würde. Dies gilt insbesondere für die Ausnahme des Motorenschutzes, die den Herstellern die Definition weitreichender sogenannter Thermofenster ermöglicht. Letztlich bestimmt der Hersteller durch seine Motorkonstruktion, wie häufig eine Abschalteinrichtung greifen muss, damit die vorgegebene Lebensdauer des Motors erfüllt werden kann (vgl. dazu auch OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az: 5 U 1670/18, RdNr. 38 mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris).
32
Zutreffend erscheint auch die Annahme (vgl. OLG Nürnberg a.a.O. RdNr. 39), dass die Beklagte, wie es in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 vom 18.07.2008 in Art. 3 Nr. 9 vorgeschrieben ist, zur Erlangung der EG-Typgenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems einschließlich seines Funktionierens bei niedrigen Temperaturen nebst Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Immission gemacht hat, so dass dem Kraftfahrtbundesamt bei Erteilung der Typgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein muss, von ihm aber offensichtlich nicht beanstandet worden ist. Demzufolge konnte die Beklagte durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückrührung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden ist, was gegen ein vorsätzlich sittenwidriges Handeln der Beklagten spricht.
33
Dies zeigt auch nach Auffassung der Kammer, dass insoweit keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen welche die Beklagte bewusst verstoßen hätte (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019, Az: 12 U 246/19, BeckRS 2019, 2..5135 RdNr. 34). Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (vgl. OLG Koblenz a.a.O. RdNr. 35 mit weiteren Nachweisen).
34
Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 09.03.2021, (Az.: VI ZR 889/20) festgestellt, dass der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt sei. Eine Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setze vielmehr voraus, dass die verantwortlichen Personen auf beklagter Seite bei der Entwicklung und/oder Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Fehle es hieran, sei der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. VI ZR 889/20, Rn. 27, 28, zitiert nach juris). Ein Indiz für ein derartiges Unrechtsbewusstsein der verantwortlichen Personen wäre Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde. Eine solche ist von seitens des Klägers jedoch nicht näher dargelegt worden.
35
d) Was das vom Kläger pauschal behauptete Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Form einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung anbelangt, hatte die Beklagte nachvollziebar dargelegt, dass diese Regelung im streitgegenständliche Fahrzeug nicht enthalten ist. Im Übrigen vermag eine Vorrichtung, welche im wirklichen Straßenbetrieb ebenso arbeitet, wie auf dem Prüfstand den Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht zu begründen.
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Weitere gerügte Abschalteinrichtungen Hinsichtlich der weiteren von dem Kläger als unzulässig gerügten Abschalteinrichtungen, mit deren Existenz der Kläger den von ihm geltend gemachten Schadensersatzanspruch ebenfalls zu rechtfertigen versucht, ist es dem Kläger nach der Überzeugung der Kammer bereits nicht gelungen, hinreichend darzutun, dass diese „Vorrichtungen“ überhaupt in seinem Fahrzeug vorhanden sind. Dies betrifft den Vortrag des Klägers in seinem Fahrzeug sei weiterhin die Abschalteinrichtungen Bit 13,14,15 und Slipguard enthalten.
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e) Im Übrigen trägt bei einer deliktischen Haftung der Kläger grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen, wobei, wenn es um die grundsätzliche Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder einer sonstigen unzulässigen Maßnahme geht, ihm die oben bereits dargestellten Grundsätze zugute kommen und Angaben von Einzelheiten zum Ablauf bestimmter Ereignisse grundsätzlich nicht erforderlich sind, wenn diese für die Rechtsfolgen ohne Bedeutung sind.
38
Ein Anspruch aus § 826 BGB setzt jedoch darüber hinaus voraus, dass eine Zuordnung des inkriminierten Verhaltens zum Handeln einer natürlichen Person, bei der es sich um ein Organ im aktienrechtlichen Sinne, also insbesondere um ein Vorstandsmitglied oder um einen anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreter handelt, möglich ist. Bezüglich der subjektiven Tatbestandsmerkmale kommt es deshalb auf derartige Personen an. Eine mosaikartige Zurechnung von Wissen mehrerer Personen eines Unternehmens scheidet dabei in der Regel aus. Sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale müssen angesichts des personalen Charakters der sittenwidrigen Schädigung vielmehr grundsätzlich in einer natürlichen Person verwirklicht sein (vergl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az: VI ZR 536/15, RdNr. 23 ff., zitiert nach juris).
39
Im vorliegenden Fall hat der Kläger nicht substantiiert behauptet, dass ein Repräsentant der Beklagten Kenntnis der maßgeblichen Umstände in Bezug auf den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp hatte. Er beruft sich lediglich darauf, dass es sinngemäß undenkbar sei, dass der Vorstand der Beklagten über den Einbau der behaupteten Abschalteinrichtungen und sonstigen Manipulationen keine Kenntnis gehabt haben solle.
40
Der Kläger kann sich im vorliegenden Fall nicht auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten im Bezug auf die Frage, wer bei der Beklagten welche Kenntnisse hat, berufen, da aus Sicht der Kammer keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte für eine Kenntnis vorliegen. Fehlt es an jeglichen, auch pauschalem Vortrag dazu, welche Kenntnisse bzw. welches Verhalten welchem Organ oder Repräsentanten vorgeworfen wird, dann kommt eine sekundäre Darlegungslast nicht in Betracht.
41
Aber selbst wenn eine hinreichend konkrete Behauptung einer Kenntnis des Vorstands oder eines anderen Repräsentanten des in Anspruch genommenen Unternehmens vorliegt, löst dies nicht stets seine sekundäre Darlegungslast aus.
42
Vom Standpunkt des Unternehmens, das eine Kenntnis bestreitet, müsste der ihm sonst aufgegebene Vortrag auf eine sogenannte negative Tatsache zielen, nämlich die Unkenntnis des fraglichen Vorstands oder sonstigen Repräsentanten. Wenn eine Partei eine solche negative Tatsache behauptet und gegebenenfalls beweisen muss, führt dies regelmäßig allerdings gerade umgekehrt zu einer sekundären Darlegungslast der anderen Partei, damit die darlegungsbelastete Partei überhaupt in der Lage ist, einen sachgerechten Vortrag zu halten. Würde man der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast für die Unkenntnis auferlegen, obwohl die Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis eines Vorstandsmitgliedes oder eines sonstigen Repräsentanten von den haftungsbegründeten Merkmalen einer Norm an sich beim Kläger liegt, müsste die Beklagte faktisch die gesamte Kommunikation innerhalb des Unternehmens über einen jahrelangen Zeitraum offen legen. Dies ist praktisch nicht möglich und grundsätzlich unzumutbar.
43
Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn eine bestimmte Verhaltensweise eines Unternehmens offensichtlich zum Geschäftsmodell geworden und deshalb davon auszugehen ist, dass der Vorstand dieses Geschäftsmodell gebilligt hat. Dann kann eine deutlich erhöhte Substantiierungslast des Unternehmens eintreten (vergl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az: 10 U 134/19, RdNr. 98 und 99, zitiert nach juris).
44
Im Gegensatz zu den Verfahren gegen die VW AG, die eine Manipulation durch eine Abschalteinrichtung bei mehreren Millionen Motoren vorgenommen hat und bei denen die Manipulation stets sämtliche Modelle einer Baureihe betraf, betrifft die Verwendung einer möglicherweise unzulässigen Abschalteinrichtung bei der Beklagten, wie es letztlich unstreitig ist und wie sich auch aus vorgelegten Presseberichten und der Online-Liste der Beklagten ergibt, nie sämtliche Modelle einer Baureihe und ist darüber hinaus u.a. auch abhängig von der jeweiligen Motorvariante. Die Anzahl der vom Kraftfahrtbundesamt offiziell wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zurückgerufenen Fahrzeuge der Beklagten ist auch um ein Vielfaches geringer, als beim VW-Konzern. Auf dieser Grundlage kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, in welcher Variante auch immer, vom Vorstand der Beklagten als Geschäftsmodell aller Wahrscheinlichkeit nach gebilligt worden sein muss. Die Beklagte trifft daher insoweit keine sekundäre Darlegungslast. Es fehlt somit an Anknüpfungspunkten für eine Wissenszurechnung, so dass eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB ausscheidet.
45
2. Ein Anspruch auf Ersatz des Klägers gegenüber der Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 831 BGB. Dafür ist zwar ausreichend, wenn der Kläger eine Sorgfaltspflichtverletzung des Unternehmens darlegt und nachweist. Eine solche Darlegung ist jedoch nicht erfolgt.
46
a) Was das Thermofenster anbelangt, fehlt es an den subjektiven Voraussetzungen eines deliktischen Handelns.
47
b) Soweit der Kläger weitere unzulässige Abschalteinrichtungen und technische Maßnahmen behauptet hat, führt auch dies nicht zu einer Haftung nach § 831 BGB i.V. m. § 826 BGB. Das Wollenselement des Schädigungsvorsatzes gemäß § 826 BGB setzt grundsätzlich korrespondierende Kenntnisse derselben natürlichen Person voraus. Dies steht der Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung und der Wissenszusammenrechnung im Rahmen des § 826 BGB regelmäßig entgegen (vgl. BGH NJW 2017, 250 ff.).
48
Die Anwendung des § 831 BGB im Rahmen des Vorwurfs einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung scheidet deshalb aus Sicht der Kammer im vorliegenden Fall von vornherein aus. Vielmehr kommt es maßgeblich auf den entsprechenden Schädigungsvorsatz bei den Organen bzw. den Repräsentanten der Beklagten an.
49
c) Auch die Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB sind nicht gegeben. Dies folgt bereits daraus, dass der Kläger einen Gebrauchtwagen erworben hat. Die tatbestandsmäßige Begründung eines Betrugs in diesem Fall ist nicht möglich, da die Beklagte den Wagen zunächst an einen Vertragshändler auslieferte, diesen den Wagen an einen Kunden verkaufte, der Kunde den Wagen wieder zurück an einen Händler verkaufte und erst im letzten Schritt der Kläger den streitgegenständlichen Wagen von diesem Händler erwarb.
50
Eine Täuschungshandlung im Sinne des § 263 StGB der Beklagten gerade gegenüber dem Kläger ist nicht ersichtlich. Von dem Kauf des Klägers vom Voreigentümer hatte die Beklagte keine Vorteile und solche waren auch nicht erstrebt (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.04.2019, Az: 32 U 2720/18).
51
d) Auch weitere Anspruchsgrundlagen gemäß § 823 Abs. 2 in Verbindung mit einem Schutzgesetz kommen vorliegend nicht in Betracht. Weder die Bestimmungen der Verordnung (EG) 715/2007 noch die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, weil sie den Schutz individueller Interessen nicht berücksichtigen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019, Az: 12 U 246/19, RdNr. 63 ff. BeckRS 2019, 25135).
52
3. Die Klage war deshalb, auch im Hinblick auf die Nebenanträge, als unbegründet abzuweisen.
II.
53
Die Kostenentscheidung folgt aus der Vorschrift des § 91 ZPO; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus der Vorschrift des § 709 Satz 1 ZPO.
 Verkündet am 06.08.2021