Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 09.09.2021 – 72 O 1219/21
Titel:

Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des Einbaus eines Thermofensters in ein Dieselfahrzeug (hier: Mercedes Benz ML 350 Bluetec 4Matic)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. auch zur - hier erst zweitinstanzlich thematisierten - Thematik der "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" bei Mercedes-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 38651; BeckRS 2022, 7010; BeckRS 2022, 12628; BeckRS 2022, 14779; BeckRS 2023, 37218; OLG Brandenburg BeckRS 2023, 33947; OLG Celle BeckRS 2023, 36841; KG BeckRS 2023, 36005; OLG Koblenz BeckRS 2020, 31540; OLG München BeckRS 2023, 35779; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 35775 sowie OLG Stuttgart BeckRS 2021, 33101; BeckRS 2022, 51626; BeckRS 2023, 29167; BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; BeckRS 2022, 40422 mwN in Ls. 1; anders OLG Köln BeckRS 2021, 10226. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verhalten, ein mit einem sog. Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, ist (zumindest im vorliegenden Fall) nicht als sittenwidrige Handlung einzustufen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Solange in Betracht zu ziehen ist, dass die Herstellerin die Rechtslage fahrlässig verkannt hat, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Schutzgesetzcharakter der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 ist zu verneinen (anders nachfolgend BGH BeckRS 2024, 14960). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, OM 642, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, Slipguard, Bit 13, Bit 14 und Bit 15, (kein) "großer" Schadensersatz, Schutzgesetzcharakter
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 25.07.2022 – 5 U 3731/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.09.2022 – 5 U 3731/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 04.06.2024 – VIa ZR 1486/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66344

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.633,13 € festgesetzt.
Berichtigt gem. Beschluss vom 14.10.2021

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem sog. „Diesel-Abgasskandal“. Die Klagepartei kaufte im Januar 2018 von der Beklagten den streitgegenständlichen Pkw zu einem Gesamtpreis von 35.540,00 Euro. Das Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten entwickelten Motor vom Typ … und ist unter der Fahrzeugklasse EURO 5 eingestuft. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 12.08.2021 unterlag das streitgegenständliche Fahrzeug keinem vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Zum Zeitpunkt des Erwerbs wies das verfahrensgegenständliche Fahrzeug einen km-Stand von 74.588 km auf. Am 12.08.20201 hatte dieser Pkw einen km-Stand von 113.836 km.
2
Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.12.2020 wurde die Beklagte erfolglos unter Fristsetzung bis 31.12.2020 aufgefordert, das streitgegenständliche Fahrzeug Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzunehmen.
3
Die Klagepartei trägt vor, die Beklagte als Herstellerin des in Streit stehenden Motors habe in die Steuerung der betreffenden Dieselmotoren unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen, und das Fahrzeug trotzdem und unter Verschweigen deren Funktionsweise in den Verkehr gebracht. Auf diese Weise sei die Klagepartei von der Beklagten vorsätzlich und sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB geschädigt worden. Die Beklagte und ihre Vorstände hätten positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der verwendeten Abschaltvorrichtungen und damit Schädigungsabsicht gehabt.
4
Die Klagepartei beantragt zuletzt zu erkennen:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges … mit der Fahrgestellnummer … an die Klagepartei 35.540,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 09.01.2021 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.064,68 Euro zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 09.01.2021 mit der Rücknahme des in Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeuges im Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihres Rechtsanwaltes … in Höhe von 2.033,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
5
Die Beklagte beantragt zu erkennen:
Die Klage wird abgewiesen.
6
Die Beklagte erwidert, das verfahrensgegenständliche Fahrzeug sei technisch sicher und gebrauchstauglich. Der klägerische Vortrag erschöpfte sich in der pauschalen, aber unzutreffenden Behauptung des Verbaus der aus der EA-189 Thematik bekannten Umschaltlogik sowie weiterer angeblich unzulässiger Abschalteinrichtungen, ohne aber hierfür konkrete Anhaltspunkte vorzutragen. Der Klagepartei gelinge es folglich nicht, substantiiert einen angeblichen Mangel des streitgegenständlichen Fahrzeugs bzw. eine hierüber erfolgte Täuschung darzulegen. Auf dieser Grundlage bestehe kein Anknüpfungspunkt für eine behauptete Haftung der Beklagten.
7
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf deren Schriftsätze mitsamt Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 12.08.2021.

Entscheidungsgründe

8
Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
I.
9
Das Landgericht Regensburg ist sachlich und örtlich zuständig. Das Landgericht Regensburg ist insbesondere gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig. Der Prüfung ist insoweit der klägerische Sachvortrag zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss v. 25. März 2014, Az. VI ZR 271/13). Die Klagepartei hat einen Anspruch (auch) aus § 826 BGB schlüssig vorgetragen. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Der Begehungsort liegt dabei überall dort, wo ein Teilakt der unerlaubten Handlung verwirklicht worden ist (vgl. BGH, Urteil v. 23.03.2010, Az. VI ZR 57/09; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. A. 2016, § 32 Rn. 16). Gehört der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung, ist damit (auch) der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 ZPO (vgl. MüKoZPO/Patzina, 5. A. 2016, § 322 Rn. 20; Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Werden Ansprüche – wie vorliegend der Fall – auf § 826 BGB gestützt, ist Begehungsort folglich (auch) der Belegenheitsort des Vermögens des Geschädigten, mithin in der Regel dessen Wohnsitz, denn geschütztes Rechtsgut der vorgenannten Vorschriften ist das Vermögen als solches (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Ort des Schadenseintritts ist demnach der Wohnort des Klägers/der Klägerin als Geschädigte/r (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.07.2017, Az. 13 SV 6/17; LG Offenburg, Urteil v. 12.5.2017, Az. 6 O 119/16), welcher sich im hiesigen Gerichtsbezirk befindet.
II.
10
Die Klage ist in der Sache jedoch nicht begründet.
11
1. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte nach Auffassung des Gerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz zu mit der Begründung, im verfahrensgegenständlichen Fahrzeug finde sich eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sog. Thermofensters.
12
a) Die Klagepartei kann einen solchen Anspruch insbesondere nicht aus §§ 826, 831 BGB herleiten, denn insoweit kann sich die Klagepartei nicht mit Erfolg darauf berufen, ihr sei von der Beklagten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden. Vielmehr geht auch das hiesige Gericht davon aus, dass das Inverkehrbringen eines Kraftfahrzeugs, dessen Dieselmotor mit einem „Thermofenster“ ausgerüstet ist, keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Käufers darzustellen vermag (so auch zuletzt OLG Hamm, Beschluss v. 05.11.2020 – 18 U 86/20).
13
aa) Zwar kann im Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, grundsätzlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen, da dies dazu führen kann, dass der Widerruf der Typengenehmigung oder zumindest die Stilllegung des konkreten Fahrzeugs droht, sofern der Käufer nicht an der Rückrufaktion zur Beseitigung der Abschalteinrichtung teilnimmt. Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, d.h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter, konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Dies setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamtes erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortbestand einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich nicht entspricht. Auch dies bestätigt der Hersteller mit der Inverkehrgabe zumindest konkludent (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19 OLG Karlsruhe, WM 2019, 881 ff.).
14
bb) Unabhängig von der Frage, ob die – von der Beklagten dem Grunde nach nicht bestrittene – Implementierung eines solchen Thermofensters in tatsächlicher Hinsicht objektiv mit den (unions-)rechtlichen Vorschriften vereinbar ist, stellt sich das Inverkehrbringen eines solchermaßen konzipierten Fahrzeugs nach Ansicht des Gerichts subjektiv jedenfalls nicht als sittenwidrige Handlung der Beklagten i.S.d. § 826 BGB dar.
15
(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, Urteil v. 28.6.2016 – VI ZR 516/15). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (vgl. Staudinger/Oechsler, BGB [2014], § 826 Rn. 31).
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(2) Ausgehend von diesem Beurteilungsmaßstab ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, im vorliegenden Fall nicht als sittenwidrige Handlung einzustufen. Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob das im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Bei einer sogenannten „Schummelsoftware“, wie sie in dem VW-Motor EA 189 verwendet worden ist, ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns per se aus der Verwendung einer Umschaltlogik, die – auf den Betriebszustand des Fahrzeugs abstellend – allein danach unterscheidet, ob sich dieses auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Eine solche Abschalteinrichtung ist eindeutig unzulässig; an dieser rechtlichen Wertung kann auch aus Sicht der Handelnden bzw. hierfür Verantwortlichen kein Zweifel bestehen. Bei einer anderen die Abgasreinigung (Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, wie dem hier in Rede stehenden Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19; OLG Stuttgart MDR 2019, 1248 f.; OLG Köln, Beschluss v. 04.07.2019 – 3 U 148/18). Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass die Implementierung einer solchen Einrichtung von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (vgl. OLG Stuttgart u. OLG Köln a.a.O.). Solche Anhaltspunkte hat die Klagepartei weder vorgetragen noch sind diese anderweitig ersichtlich. Allein der Umstand, dass mit einem Motor dieser Motorserie ausgestattete Fahrzeuge von einer vom KBA angeordneten Rückrufaktion in Zukunft betroffen sein könnten, ist hierfür nicht ausreichend (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19).
17
(3) Solange nach allem entsprechend der vorstehenden Überlegungen in Betracht zu ziehen ist, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt hat, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rn. 8). Dass auf Seiten der Beklagten die Erkenntnis eines möglichen Gesetzesverstoßes, zumindest in Form eines billigenden Inkaufnehmens desselben vorhanden war, ist von der – insoweit darlegungs- und beweispflichtigen – Klagepartei weder dargetan noch aus den Gesamtumständen ersichtlich. Die europarechtliche Gesetzeslage ist an dieser Stelle nicht zweifelsfrei und nicht eindeutig. Dies zeigt bereits die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 2007/715. Nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im Bericht der Kommission zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 715/2007 ausdrücklich (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123): „Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein.“ Schließlich zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen die die Beklagte bewusst verstoßen hätte (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19).
18
Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.).
19
(4) An diesem Ergebnis würde sich auch dann nichts ändern, wenn das Fahrzeug von einer Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes betroffen wäre, denn insoweit kommt es für die Frage, ob die von der Beklagten vorgenommene Gesetzesauslegung vertretbar ist, auf die Umstände zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs an. Hinzu kommt, dass der Streit um die Zulässigkeit und Größe eines Thermofensters einen Expertenstreit darstellt (vgl. dazu z.B. Führ, NVwZ 2017, 265 f.), bei dem nicht nur Rechtsfragen, sondern auch technische Details eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund würde der Umstand, dass das im Fahrzeug der Klagepartei verbaute Thermofenster möglicherweise in seiner technischen Ausgestaltung als unzulässig anzusehen sein könnte, nicht dazu führen, dass von einem Sittenverstoß auf Seiten der Beklagten auszugehen wäre (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19).
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cc) Unter Berücksichtigung der dargelegten, aus den Gesamtumständen erkennbaren Bewusstseinslage der Beklagten fehlt es daher – bezogen auf das behauptete Ausstattungsmerkmal „Thermofenster“ mangels feststellbaren sittenwidrigen Handelns bereits in subjektiver Hinsicht an der Tatbestandsmäßigkeit i.S.d. § 826 BGB.
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b) Vor dem Hintergrund des fehlenden sittenwidrigen, täuschenden Verhaltens der Beklagten bleibt auch kein Raum für eine deliktische Haftung aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB. Solange die Beklagte nicht – jedenfalls nicht nachweisbar – in dem Bewusstsein handelte, ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, fehlt es auch an dem Nachweis einer willentlichen Täuschung des Käufers über das Nichtvorhandensein einer solchen (möglicherweise unzulässigen) Einrichtung (vgl. u.a. OLG Koblenz, Urt. v. 20.04.2020 – 12 U 1570/19).
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c) Der mit der Klage geltend gemachte Schadensersatzanspruch lässt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV herleiten, denn mit der ganz h.M. ist bereits der Schutzgesetzcharakter der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 zu verneinen (vgl. OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019 – 7 U 134/17; OLG München, Beschluss v. 29.08.2019 – 8 U 1449/19).
23
2. Soweit dagegen die Klage ergänzend auch auf die Ausstattung mit einer Prüfstandserkennung (Umschaltlogik) und weitere Abschalteinrichtungen gestützt wird, welche geeignet wären, objektiv eine Sittenwidrigkeit zu begründen (s.o.), handelt es sich seitens der Klagepartei um Vermutungen, die in Analogie zur VW-Motorgattung EA189 vorgetragen werden. Insofern handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um Vermutungen „ins Blaue hinein“, für die keine hinreichenden tatsächlichen Umstände angegeben werden. Darüber hinaus fehlt jedenfalls ein über die Behauptung „ins Blaue hinein“ hinausgehender Vortrag, dass der Vorstand der Beklagten Kenntnis von einer solchen Ausstattung und sittenwidrige Beweggründe hatte. Die Klägerin nimmt erkennbar auf die Fälle des VW-Motors EA189 Bezug; dies ist zwar nachvollziehbar, stellt aber für die hier gegenständliche Motorgattung keinen hinreichend konkreten Vortrag dar. Insbesondere führt dieser Vortrag auch nach den Kriterien der BGH-Rechtsprechung (Urteil vom 25. Mai 2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19; hier Rn. 39) noch nicht zur sekundären Darlegungslast der Beklagtenseite.
24
3. Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht besteht, war die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Nebenforderungen abzuweisen.
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4. a) Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
26
b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
27
5. Der Streitwert war auf 30.633,13 Euro festzusetzen. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1295 f.).