Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.10.2021 – 23 ZB 19.33422
Titel:

Asylantrag, Abschiebung, Italien, Asylverfahren, Bescheid, Asyl, Einreise, Berufung, Leistungen, Mitgliedstaat, Migration, Zulassungsgrund, Auslegung, Ablehnung, internationaler Schutz, Bedeutung der Rechtssache, ernstliche Zweifel

Schlagworte:
Asylantrag, Abschiebung, Italien, Asylverfahren, Bescheid, Asyl, Einreise, Berufung, Leistungen, Mitgliedstaat, Migration, Zulassungsgrund, Auslegung, Ablehnung, internationaler Schutz, Bedeutung der Rechtssache, ernstliche Zweifel
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 08.08.2019 – B 7 K 17.31652
Fundstelle:
BeckRS 2021, 66089

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags.
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Die Klägerin wurde 2016 in Deutschland geboren. Ihre Eltern sind eigenen Angaben zufolge äthiopische Staatsangehörige vom Volk der O. und haben vor ihrer Einreise nach Deutschland im Sudan geheiratet. Den Asylantrag des Vaters lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. November 2018 als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung nach Italien an, wo ihm zuvor bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden war. Seine Klage gegen diese Entscheidung blieb ohne Erfolg (VG Bayreuth, U.v. 8.8.2019 – B 7 K 18.31937). Der Asylantrag der Mutter wurde ebenso wie der Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 25. April 2017 in der Sache abgelehnt, Abschiebungshindernisse wurden nicht festgestellt und beiden wurde die Abschiebung nach Äthiopien angedroht. Die hiergegen von beiden erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 8. August 2019 – B 7 K 17.31652 – ab. Zur Begründung führte es aus, der Vortrag der Mutter zu ihrer politischen Verfolgung in Äthiopien sei schon nicht glaubhaft, aber selbst bei Wahrunterstellung asylrechtlich nicht relevant; ein Nachfluchttatbestand wegen ihrer exilpolitischen Betätigung sei ebenfalls nicht gegeben. Ebenso wenig führe bei der Klägerin die für sie geltend gemachte geschlechtsspezifische Verfolgung (FGM) zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Auch könne ihr kein Familienasyl nach § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 AsylG – abgeleitet vom Vater – zuerkannt werden, da hierfür aufgrund der Akzessorietät zum Verfahren des Stammberechtigten Italien zuständig wäre. Schließlich komme auch keine isolierte Aufhebung der Sachentscheidung vom 25. April 2017 hinsichtlich der Klägerin und die Ablehnung ihres Asylgesuchs als unzulässig in analoger Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Betracht; eine Konstellation, wie sie dem von der Klagepartei hierzu angeführten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. November 2018 – 21 ZB 18.32867 – (juris) zugrunde gelegen habe, sei im Fall der Klägerin gerade nicht gegeben, da nicht beiden Elternteilen, sondern lediglich dem Vater seitens Italien internationaler Schutz zuerkannt worden sei. Diesbezüglich sei im Übrigen zweifelhaft, ob diese Zuerkennung dauerhaft Bestand haben werde, da die Angaben des Vaters in Deutschland zu seiner Fluchtgeschichte unglaubhaft seien.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel weiter. In der Hauptsache begehrt sie die (isolierte) Aufhebung des Bescheids, mit dem ihr Asylantrag in der Sache abgelehnt wurde, hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten, ihr internationalen Schutz zuzuerkennen bzw. Abschiebungsverbote festzustellen. Seitens der Mutter der Klägerin wurden keine Rechtsmittel gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil eingelegt.
II.
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Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von ihr geltend gemachten Berufungszulassungsgründe der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegen nicht vor bzw. wurden nicht entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt.
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1. Die Berufung gegen das von der Klägerin angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 8. August 2019 ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen einer Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zuzulassen.
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Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung im Sinne der Vorschrift liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden. Eine zulassungsbegründende Divergenz kann auch vorliegen, wenn im angefochtenen Urteil in derselben Tatsachenfrage mit einer verallgemeinerungsfähigen entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellung von einer ebensolchen Tatsachenfeststellung, die in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte aufgestellt wurde, abgewichen wurde. Die Zulassungsbegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist. Die bloße Behauptung einer schlicht fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die die betreffenden Gerichte in ihrer Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht (zum Ganzen vgl. z.B. BayVGH, B.v. 23.8.2021 – 15 ZB 21.31168 – juris Rn. 10 m.w.N.).
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Diese Maßstäbe zu Grunde gelegt greift die Divergenzrüge nicht durch.
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Die Klägerin führt aus, nach dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 25. April 2019 – 1 C 28/18 – (juris) dürfe in die Prüfung der Zuerkennung internationalen Schutzes nur eingestiegen werden, wenn vorab geprüft worden sei, dass die Voraussetzungen einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AsylG nicht vorlägen; dies gelte auch dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag in der Sache beschieden habe. Nach dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. November 2018 – 21 ZB 18.32867 – (juris) sei ein Asylantrag eines in Deutschland geboren minderjährigen Kindes in entsprechender Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, wenn den Eltern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits der internationale Schutzstatus zuerkannt und dementsprechend ihr Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt worden sei. Dabei habe der Verwaltungsgerichtshof gerade keine Unterscheidung dahingehend getroffen, ob dies nur zutreffe, wenn beiden Eltern des betroffenen Kindes internationaler Schutz in einem anderen EU-Mitgliedsstaat zuerkannt worden sei. Das Verwaltungsgericht gehe in seinem Urteil aber davon aus, dass im vorliegenden Fall entgegen den vorgenannten obergerichtlichen Entscheidungen eine andere Konstellation gegeben sei, da nur der Vater der Klägerin den internationalen Schutz in Italien zuerkannt bekommen habe. Inwieweit hierdurch eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gerechtfertigt sein solle, lege das Verwaltungsgericht aber nicht dar.
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Mit diesem Vortrag wird eine Abweichung schon nicht in dem Sinne substantiiert dargelegt, dass das Verwaltungsgericht einem vom Bundesverwaltungsgericht oder Bayerischen Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Rechtssatz ausdrücklich oder konkludent einen dem widersprechenden Rechtssatz entgegengestellt hätte. Vielmehr stellt die Zulassungsschrift selbst fest, dass das Verwaltungsgericht eine Konstellation, wie sie dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. November 2018 – 21 ZB 18.32867 – zu Grunde lag, im Fall der Klägerin gerade nicht als gegeben ansah und schon aus diesem Grund das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, die im Wege einer teleologischen Extension durch entsprechende Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asyl zu schließen wäre, verneint hat (UA S. 27). Mit ihrem Vortrag wirft die Zulassungsschrift dem Verwaltungsgericht in Wahrheit vor, dass es einen obergerichtlich aufgestellten Rechtssatz – die analoge Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asyl auf Asylanträge in Deutschland geborener Kinder von im EU-Ausland anerkannten Schutzberechtigten – im zu entscheidenden Einzelfall (fehlerhaft) für nicht anwendbar erachtet habe. Ein solcher Anwendungsfehler ist jedoch keine Divergenz im Sinne des Berufungszulassungsrechts; mit Angriffen gegen die verwaltungsgerichtliche Rechtsanwendung im Einzelfall kann eine Abweichungsrüge nicht begründet werden (stRspr, vgl. schon BVerwG, B.v. 10.7.1995 – 9 B 18.95 – NVwZ-RR 1997, 191; HessVGH, B.v.12.9.2002 – 12 UZ 1944/02.A – juris Rn. 2; Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 78 AsylVfG Rn. 37; jeweils m.w.N.). Auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils stellen im asylrechtlichen Verfahren keinen Zulassungsgrund im Rahmen von § 78 Abs. 3 AsylG dar.
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Im Übrigen ist die Rechtsauffassung, wie sie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. November 2018 – 21 ZB 18.32867 – (juris) vertreten hat, zwischenzeitlich überholt. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat nunmehr in seinem Urteil vom 23. Juni 2020 – 1 C 37/19 – (NVwZ 2021, 251) festgestellt, dass der Asylantrag eines in Deutschland geborenen Kindes, dessen Eltern zuvor in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt wurde, gerade nicht auf der Grundlage einer analogen Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden könne (vgl. BVerwG a.a.O. juris Rn. 22). Eine etwaige Abweichung des verwaltungsgerichtlichen Urteils von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hätte sich daher insoweit im Ergebnis als nicht entscheidungserheblich erwiesen (vgl. dazu OVG NW, B.v. 5.11.1992 – 22 A 3120/91.A – juris Rn. 10).
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2. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
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Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2021 – 23 ZB 18.33102 – juris Rn. 19, B.v. 7.2.2014 – 13a ZB 13.30225 – juris Rn. 2; jeweils m.w.N.).
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Nach diesen Maßgaben ist keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt.
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2.1. Die von der Klägerin zunächst aufgeworfene Frage,
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„ob auch, wenn nur ein[em] Elternteil internationaler Schutz in einem anderen Mitgliedstaat zuerkannt worden ist, für den anderen Elternteil im Bundesgebiet ein materielles Asylverfahren durchgeführt wurde, für ein im Bundesgebiet geborenes Kind zu dessen Asylantrag keine Sachentscheidung ergehen, sondern eine Unzulässigkeitsentscheidung getroffen werden muss“,
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wäre für ein Berufungsverfahren vorliegend vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2020 – 1 C 37/19 – (NVwZ 2021, 251) nicht (mehr) entscheidungserheblich (vgl. auch BVerwG, U.v. 25.5.2021 – 1 C 2.20 – juris).
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In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Streitfall hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag eines in Deutschland geborenen Kindes, dessen Eltern zuvor in Italien internationaler Schutz gewährt worden war, auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG mit der Begründung als unzulässig abgelehnt, dass nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) Italien für die Prüfung des Antrags zuständig sei: Es bedürfe nicht der Einleitung eines Zuständigkeitsverfahrens für das nachgeborene Kind, weil Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO über eine erweiternde Auslegung bzw. analog Anwendung finde; hiernach sei die Situation des Kindes untrennbar mit der seiner Eltern verbunden und die Zuständigkeit desjenigen Mitgliedstaats gegeben, der für die Prüfung des Asylantrags der Eltern zuständig sei.
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In seiner Revisionsentscheidung vom 23. Juni 2020 (a.a.O.) ließ das Bundesverwaltungsgericht letztlich offen, ob grundsätzlich eine analoge Anwendung des Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO auf nachgeborene Kinder von international Schutzberechtigten in Betracht komme (dahingehend: VGH BW, B.v. 14.3.2018 – A 4 S 544/18 – juris Rn. 9 ff.; NdsOVG, B.v. 26.2.2019 – 10 LA 218/18 – juris Rn. 5 ff.; OVG Saarl, B.v. 29.11.2019 – 2 A 283/19 – juris Rn. 10; im Ergebnis siehe auch SächsOVG, B.v. 5.8.2019 – 5A/595/19.A – juris Rn. 5; ablehnend: OVG SH, B.v. 25.6.2020 – 1 LB 9/20 – juris Rn. 31 ff.); denn die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Kindes sei in dem dort zu entscheidenden Fall jedenfalls deshalb auf Deutschland übergangen, weil dieses versäumt habe, fristgerecht ein Aufnahmegesuch nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO an Italien zu stellen. Ein solches Aufnahmegesuch wäre – so das Bundesverwaltungsgericht weiter – selbst dann nicht entbehrlich, wenn Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO grundsätzlich analog anwendbar wäre. Denn jedenfalls der letzte Halbsatz von Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO, wonach es keiner Einleitung eines „neuen Zuständigkeitsverfahrens“ für das Kind bedürfe, sei bei einem Kind von bereits schutzberechtigten Eltern nicht analog anwendbar. Anderenfalls würden Schutzmechanismen der Dublin III-VO ausgehebelt; so könnte das Kind anders als jeder andere dem Dublin-Verfahren unterworfene Asylbewerber ohne die dort vorgesehenen zeitlichen Grenzen an den anderen Mitgliedstaat überstellt werden. Ferner drohte dann die Gefahr einer „refugee in orbit“-Situation, in der sich kein Mitgliedstaat für die sachliche Prüfung des Asylantrags als zuständig ansehe. Die Unzulässigkeitsentscheidung könne in dieser Fallgestaltung auch nicht in analoger Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aufrechterhalten werden (BVerwG, U.v. 23.6.2020 a.a.O. juris Rn. 22; entgegen BayVGH, B.v. 22.11.2018 – 21 ZB 18.32867 – juris; s.o.); im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof mehrfach betont, dass Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/EU die Situationen, in denen die Mitgliedstaaten ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten könnten, abschließend aufzähle.
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Diese Rechtsausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt wäre in Bezug auf die Klägerin eine etwaige Zuständigkeit Italiens jedenfalls gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen; denn weder aus dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25. April 2017 noch aus den übermittelten Asylakten ist ersichtlich, dass die Beklagte binnen der in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 Dublin III-VO genannten Fristen die Republik Italien um die Aufnahme der Klägerin ersucht hat; auch eine etwaige Unterrichtung über die Geburt der Klägerin wäre insoweit nicht ausreichend (BVerwG, U.v 25.5. 2021 – 1 C 2.20 – juris Rn. 19).
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Eine Unzulässigkeitsentscheidung kam im Fall der Klägerin daher unabhängig von der in der Berufungszulassungsschrift aufgeworfenen Frage, ob es hierfür ausreiche, dass nur einem Elternteil des nachgeborenen Kindes zuvor in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt worden ist, während für den anderen Elternteil im Bundesgebiet ein materielles Asylverfahren durchgeführt wurde, weder in analoger Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG noch nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO analog in Betracht.
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2.2. Auch hinsichtlich der weiter aufgeworfenen Frage,
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„ob ein in Deutschland geborenes Kind, bei dem zumindest ein sorgeberechtigter Elternteil in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union den internationalen Schutz bestandskräftig zuerkannt bekommen hat, einen Anspruch auf Zuerkennung des internationalen Schutzes gemäß § 26 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 AsylG hat“,
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wird eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit nicht aufgezeigt. Vielmehr kann die aufgeworfene Rechtsfrage aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden.
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Sowohl aus Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass das Familienasyl und der internationale Schutz für Familienangehörige nach § 26 AsylG an eine Schutzgewährung durch die Bundesrepublik Deutschland anknüpfen; aus einer Statusentscheidung eines anderen EU-Mitgliedsstaates lassen sich hieraus keine Rechtsansprüche für Angehörige ableiten.
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Bei dem Familienschutz nach § 26 AsylG handelt es sich systematisch um einen akzessorischen Rechtsanspruch; er wird vom Status eines „Stammberechtigten“ abgeleitet, dem diese Berechtigung aufgrund eigener politischer Verfolgung bzw. Gefährdungslage zusteht. Mit der Regelung, dass den Familienangehörigen nicht nur die nach Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU vorgeschriebenen aufenthalts- und sozialrechtlichen Leistungen gewährt werden, sondern sie dem Stammberechtigten ohne individuelle Prüfung einer Bedrohungssituation im Status folgen, hat der Bundesgesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben insoweit „überschießend“ umgesetzt (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 21; BVerwG, U.v. 17.11.2020 – 1 C 8.19 – juris Rn. 26; zur Richtlinienkonformität vgl. Art. 3 RL 2011/95/EU sowie EuGH, U.v. 4.10.2018 – Ahmedbekova u. Ahmedbekov, C-652/16 – NVwZ 2019, 541). Der Anspruch setzt voraus, dass die Statusentscheidung des Stammberechtigten unanfechtbar und nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (vgl. § 73 Abs. 2b Satz 2 und 3, § 73b Abs. 4 AsylG).
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Die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter durch einen anderen Staat vermag indes die akzessorischen Rechtsansprüche nach § 26 AsylG für Familienangehörige systematisch nicht zu vermitteln. Denn eine solche Anerkennung wirkt völkerrechtlich nicht wie eine Statusentscheidung durch deutsche Behörden und entfaltet in diesem Sinne keine umfassende Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29 = juris Rn. 29; vgl. auch U.v. 30.3.2021 – 1 C 41.20 – juris Rn. 32). Zwar liegt die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 einheitliche Kriterien für die Qualifizierung als Flüchtling fest, sieht aber keine völkerrechtliche Bindung eines Vertragsstaats an die Anerkennungsentscheidung eines anderen vor (vgl. BVerfG, B.v. 14.11.1979 – 1 BvR 654/79 – BVerfGE 52, 391; BVerwG, U.v. 29.4.1971 – 1 C 42.67 – BVerwGE 38, 87; U.v. 17.6.2014 a.a.O.; U.v. 30.3.2021 a.a.O.). Eine solche Bindungswirkung ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht; insbesondere sieht die maßgebliche RL 2011/95/EU (Qualifikations-/Anerkennungsrichtlinie) gerade keine in der ganzen Union gültige Statusentscheidung vor (BVerwG, U.v. 17.6.2014 a.a.O. m.w.N.). Lediglich aufgrund der nationalrechtlichen Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 3. Alt. AufenthG kommt der ausländischen Flüchtlingsanerkennung insoweit eine begrenzte Bindungswirkung zu, als aus ihr automatisch ein von der Bundesrepublik Deutschland zu beachtendes gesetzliches Abschiebungsverbot in den Verfolgerstaat folgt. Es besteht aber gerade kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Feststellung subsidiären Schutzes (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG) in Deutschland. Vielmehr ist das Bundesamt bei Vorliegen einer ausländischen Anerkennungsentscheidung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der (erneuten) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland grundsätzlich weder verpflichtet noch berechtigt und ein gleichwohl gestellter Antrag insoweit unzulässig. Dies entspricht auch Unionsrecht, denn Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat; von dieser Ermächtigung hat der Bundesgesetzgeber in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG Gebrauch gemacht. In einer solchen Konstellation ist der Schutzberechtigte – sofern ihn dort nicht im Ausnahmefall Lebensverhältnisse erwarten, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh beinhalten – regelmäßig auf die Schutzgewährung durch den zuerkennenden EU-Mitgliedstaat verwiesen (BVerwG, U.v. 17.11.2020 – 1 C 8.19 – juris Rn. 15 f. m.w.N.).
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Auch die Gesetzesbegründung zur Änderung von § 26 AsylG zur Umsetzung des Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU (vgl. Art. 1 Nr. 20 Gesetz v. 28.8.2013 – BGBl I S. 3474 – und BT-Drs. 17/13063 S. 21) geht, wie das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil zutreffend ausführt (UA S. 20 f.), systematisch ersichtlich davon aus, dass (nur) derjenige Staat, der über die Stammberechtigung zu befinden hat, auch für die akzessorischen Ansprüche zuständig ist.
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Ferner sprechen auch Sinn und Zweck der Vorschrift dagegen, bei der Gewährung des internationalen Schutzes für Familienangehörige an Statusentscheidungen anderer Mitgliedstaaten anzuknüpfen.
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Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) schuf der Gesetzgeber in § 7a Abs. 3 AsylVfG a.F. erstmals eine gesetzliche Grundlage für das Familienasyl. Die Regelung zielte auf die „Entlastung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, da sie die Möglichkeit eröffnet[e], von einer u.U. schwierigen Prüfung eigener Verfolgungsgründe der Familienangehörigen eines Asylberechtigten abzusehen“. Sie wurde zudem als „sozial gerechtfertigt“, weil der „Integration der nahen Familienangehörigen der in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigte aufgenommenen politisch Verfolgten“ förderlich erachtet (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2020 – 1 C 8.19 – juris Rn. 25 mit Verweis auf BT-Drs. 11/6960 S. 29 f.). An dieser auf der gesetzlichen Vermutung einer Verfolgung basierenden Konzeption des Familienasyls hielt der Gesetzgeber im Zuge der Neufassungen im Grundsatz fest (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2020 a.a.O. juris Rn. 25 f. mit Verweis auf BT-Drs. 12/2718 S. 60; s.a. BVerwG, U.v. 17.12.2002 – 1 C 10.02 – juris Rn. 7, m.w.N.). Auch bei der Umsetzung der Vorgaben aus Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU zur Wahrung des Familienverbands beschritt der Gesetzgeber nicht den Weg einer rein aufenthalts- und sozialrechtlichen Umsetzung, sondern entschied sich nicht zuletzt im Interesse einer Verfahrensvereinfachung für eine unionsrechtlich überschießende asylrechtliche Umsetzung (BVerwG, U.v. 17.11.2020 – 1 C 8.19 – juris Rn. 26 mit Verweis auf BT-Drs. 17/13063 S. 21).
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Das Verwaltungsgericht führt zu Recht aus (UA S. 21), dass, auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt und die Gerichte primär von der Prüfung eigener Verfolgungsgründe bei den Familienangehörigen entlasten wollte, es dem mit § 26 AsylG angestrebten Ziel der Verfahrensvereinfachung widerspräche, wenn sie die Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten hinsichtlich des Stammberechtigten ermitteln, diese auf ihre Bestandskraft überprüfen sowie etwaige Widerrufs- oder Rücknahmevoraussetzungen feststellen müssten (so auch VG Berlin, GB.v. 15.11.2017 – 33 K 275.14 A – juris Rn. 13; VG Cottbus, U.v. 18.08.2021 – 5 K 243/21.A – juris Rn. 30).
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Auch der mit dem Institut des Familienschutzes vor allem verfolgte Zweck, die Integration naher Angehöriger eines politisch Verfolgten bzw. subsidiär Geschützten in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu fördern, könnte bei der Anknüpfung des Familienschutzes an eine Statusentscheidung eines anderen Mitgliedstaats insoweit nicht erreicht werde, als der Stammberechtigte in diesem Fall regelmäßig gerade nicht über eine Aufenthaltsberechtigung für Deutschland verfügt.
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Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2020 – 1 C 8/19 – (NVwZ 2021, 796), wonach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in den Fällen des § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 bis 3 AsylG keine Anwendung findet und insoweit die Gewährung internationalen Schutzes durch einen anderen EU-Mitgliedstaat nicht die Zuerkennung des von einem schutzberechtigten Familienangehörigen abgeleiteten internationalen Familienschutzes hindert; denn in der dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Konstellation knüpft – anders als im vorliegenden Fall – der Angehörigenschutz (dort des Vaters) gerade an eine Statusentscheidung durch das Bundesamt (Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für seine drei Kinder) an.
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Schließlich rechtfertigt eine abweichende Beurteilung auch nicht der Einwand der Klägerin, es entspreche dem grundlegenden Schutzgedanken der Richtlinienvorschrift, dass nicht die minderjährigen Kinder eines Schutzberechtigten letztlich durch eine Verneinung der Familienflüchtlingseigenschaft gezwungen würden, in den Verfolgerstaat zurückzukehren und hierdurch nicht nur der Familienverband auseinandergerissen, sondern darüber hinaus auch dem Verfolgerstaat die Möglichkeit gegeben würde, über diese Kinder Einfluss und Zwang gegen den Schutzberechtigten auszuüben. Dieser Argumentation ist zum einen entgegenzuhalten, dass das Bundesamt (selbstverständlich und gerichtlich überprüfbar) verpflichtet ist, den Asylantrag der Kinder im Hinblick darauf, ob bei ihnen selbst die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, in der Sache vollumfänglich zu prüfen (vgl. § 24 Abs. 1 AsylG). Zum anderen besteht für die Klägerin die Möglichkeit, worauf auch das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat (UA S. 21), anknüpfend an den Status des Vaters in Italien um Familienschutz i.S.v. Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU zu ersuchen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
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4. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten des Zulassungsantrages war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzulehnen.
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Mit dieser nach § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts gemäß § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.