Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 08.09.2021 – 201 ObOWi 957/21
Titel:

Anforderungen an das Entschuldigungsvorbringen im Rechtsbeschwerdeverfahren nach Verwerfungsurteil

Normenketten:
OWiG § 33 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 9, Nr. 10, Nr. 11, § 74 Abs. 2, Abs. 4, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Ein Urteil, durch das der Einspruch eines Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen wird, ist grundsätzlich nur mit einer Verfahrensrüge angreifbar, die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO iVm § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG entsprechen muss. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beruft sich der Betroffene auf eine Erkrankung als Entschuldigungsgrund, gehören zum notwendigen Rechtsbeschwerdevorbringen neben der Angabe der Art der Erkrankung eine Darstellung der aktuell zum Terminszeitpunkt bestehenden Symptomatik und die Darlegung der daraus zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen (OLG Hamm BeckRS 2012, 24046). (Rn. 8 und 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nachträgliches Entschuldigungsvorbringen, das das Gericht bei Urteilserlass noch nicht berücksichtigen konnte, ist im Rahmen eines Antrags auf Wiedereinsetzung gem. § 74 Abs. 4 OWiG geltend zu machen und findet in der Rechtsbeschwerde keine Berücksichtigung. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4. Enthält ein reines Prozessurteil keine Feststellungen materiell rechtlicher Art zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage, kann mit der Sachrüge nur das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung oder das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses gerügt werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwerfungsurteil, Prozessurteil, Erkrankung, Rechtsbeschwerde, Verfahrensrüge, Sachrüge, Entschuldigungsvorbringen, Attest, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Wiedereinsetzung
Vorinstanz:
AG Bayreuth, Urteil vom 07.05.2021 – 2 Owi 149 Js 12606/19
Rechtsmittelinstanz:
VerfGH München, Entscheidung vom 14.05.2024 – Vf. 81-VI-21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65922

Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 07.05.2021 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
1
Mit Urteil vom 07.05.2021 verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle vom 30.08.2019, mit dem wegen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt und ein mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot von einem Monat angeordnet worden war, gemäß § 74 Abs. 2 OWiG.
2
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt und insbesondere geltend gemacht wird, das Verwerfungsurteil habe nicht ergehen dürfen, da der Betroffene am Tage der Hauptverhandlung krankheitsbedingt hinreichend entschuldigt gewesen sei.
3
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 21.07.2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 07.05.2021 als unbegründet zu verwerfen.
4
Hierzu hat die Verteidigung unter dem 01.09.2021 eine Gegenerklärung abgegeben.
II.
5
Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde erweist sich als unbegründet.
6
1. Ein Urteil, durch das der Einspruch eines Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen wird, ist grundsätzlich nur mit einer Verfahrensrüge angreifbar, die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG entsprechen muss (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 48b m.w.N.).
7
Danach sind die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau mitzuteilen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein anhand der Rechtsbeschwerdebegründung prüfen kann, ob die Rüge begründet ist, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen. Die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände hat der Betroffene zur ordnungsgemäßen Erhebung der Verfahrensrüge im Einzelnen darzulegen.
8
Beruft sich der Betroffene – wie hier – auf eine Erkrankung als Entschuldigungsgrund, gehören zum notwendigen Rechtsbeschwerdevorbringen neben der Angabe der Art der Erkrankung eine Darstellung der aktuell zum Terminszeitpunkt bestehenden Symptomatik und die Darlegung der daraus zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Ist der vorgebrachte Entschuldigungsgrund nämlich offensichtlich ungeeignet, das Fernbleiben des Betroffenen zu entschuldigen, kann das Urteil auf diesem Mangel nicht beruhen (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 23.08.2012 – III – 3 RBS 170/12 und vom 30.10.2012 – III – 3 RVS 81/12 beide bei juris).
9
Termin zur Hauptverhandlung war hier anberaumt auf den 07.05.2021 um 11:10 Uhr. Der Vortrag des Betroffenen in der Rechtsbeschwerde erschöpft sich darin, dass er seinen Zustand am Tag vor der Hauptverhandlung schildert. Der Betroffene bringt vor, er habe am Morgen des 06.05.2021 zunehmende kolikartige Schmerzen in seiner linken Körperseite erlitten, die er aufgrund früherer gleichartiger Beschwerden einem abgegangenen Harn- bzw. Nierenstein zuordnete. Er habe dies kurz nach 10:00 Uhr einer Justizangestellten mitgeteilt und mehrfach ergebnislos versucht, den Richter telefonisch zu erreichen. Es sei ihm gelungen, einen Termin in einer urologischen Gemeinschaftspraxis für den 07.05.2021 um 12:00 Uhr zu vereinbaren. Am 06.05.2021 um 16:10 Uhr habe er einen Verlegungsantrag übersandt, in welchem er die kolikartigen Schmerzen in der linken Seite, die vermutlich auf einem abgegangenen Stein beruhen, die Einnahme von Schmerzmitteln und den vereinbarten Termin im MVZ vom 07.05.2021 um 12:00 Uhr mitgeteilt habe.
10
Mit dem insoweit in der Rechtsbeschwerdebegründung enthaltenen Vorbringen ist dem Senat die Beurteilung der tatsächlichen Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit des Erscheinens des Betroffenen zur Hauptverhandlung jedenfalls nicht möglich.
11
Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 21.07.2021 zutreffend vorträgt, ergibt sich weder aus dem Vorbringen des Betroffenen gegenüber dem Amtsgericht noch aus dem Vortrag in der Rechtsbeschwerde, in welchem Zustand sich der Betroffene zum Zeitpunkt der anberaumten Hauptverhandlung befunden hat. Es versteht sich auch keinesfalls von selbst, dass sich der Betroffene am 07.05.2021 um 11:10 Uhr krankheitsbedingt in einem derartigen Zustand befunden hat, dass ihm die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht möglich war. Dem Vortrag in der Rechtsbeschwerde zufolge habe der Betroffene am 06.05.2021 unter kolikartigen Schmerzen gelitten und Schmerzmittel eingenommen. Vor diesem Hintergrund, insbesondere der Einnahme von Schmerzmitteln, erscheint es – entgegen dem Vorbringen in der Gegenerklärung – nicht fernliegend, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der anberaumten Hauptverhandlung in der Lage war, an dieser teilzunehmen. Ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung verhandlungsfähig war, kann der Senat nur aufgrund des Vorbringens in der Rechtsbeschwerde überprüfen, denn nur dem Betroffenen ist sein gesundheitlicher Zustand bekannt. An entsprechendem Sachvortrag aber fehlt es vorliegend, sodass sich die entsprechende Verfahrensrüge als unzulässig erweist.
12
Dass der Tatrichter hier unter Umständen zu Unrecht ein ärztliches Attest angefordert hat und etwaigen Zweifeln über das Vorliegen einer geltend gemachten Erkrankung im Freibeweisverfahren hätte nachgehen müssen und ein etwaiger Mangel der Aufklärbarkeit im Entscheidungszeitpunkt der Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG entgegengestanden hätte (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 74 Rn. 29, 32 m.w.N.), führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn dies entbindet den Betroffenen nicht von der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ergebenden Verpflichtung, selbst in der Rechtsbeschwerde die tatsächlichen Umstände der Erkrankung nach ihrer Art und konkreten Symptomatik zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zur formgerechten Erhebung der Rüge im Einzelnen darzutun (so zutreffend OLG Hamm, Beschluss vom Beschluss vom 23.08.2012 – III – 3 RBS 170/12 bei juris; BayObLG, Beschluss vom 08.06.2020 – 202 ObOWi 702/20 unveröffentlicht).
13
Soweit die Rechtsbeschwerde darauf verweist, dass der Betroffene unter dem 10.05.2021 eine ärztliche Bescheinigung der urologischen Fachpraxis vom 07.05.2021 sowie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 08.05.2021 vorgelegt hat, ist dies unbehelflich. Es wird insoweit nicht dargelegt und ist auch aufgrund des zeitlichen Ablaufs nicht möglich, dass diese Umstände dem Gericht in der Hauptverhandlung bekannt gewesen sind bzw. hätte bekannt sein müssen. Nachträgliches Entschuldigungsvorbringen, das das Gericht bei Urteilserlass noch nicht berücksichtigen konnte, ist im Rahmen eines Antrags auf Wiedereinsetzung gemäß § 74 Abs. 4 OWiG geltend zu machen (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 329 Rn. 42, 48) und kann in der Rechtsbeschwerde keine Berücksichtigung finden. Hieran ändert nichts, dass vorliegend kein Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden ist.
14
2. Da das Urteil nach § 74 Abs. 2 OWiG als reines Prozessurteil keine Feststellungen materiell rechtlicher Art zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage enthält, kann mit der Sachrüge nur das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung oder das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses gerügt werden (vgl. Göhler § 74 Rn. 48a und b; OLG Bamberg, Beschluss vom 10.01.2007 – 2 Ss OWi 1255/06). Hierfür liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor. Insbesondere wurde die Verfolgungsverjährung jeweils rechtzeitig gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 9, Nr. 10, Nr. 11 OWiG unterbrochen.
III.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
16
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.