Titel:
Schadenminderungspflicht, Restwertangebot, Wiederbeschaffungsaufwand, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Prozeßbevollmächtigter, Elektronischer Rechtsverkehr, Streitwertfestsetzung, Elektronisches Dokument, Wiederbeschaffungswert, Höchstrichterliche Rechtsprechung, Wiederbeschaffungskosten, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Sachverständigengutachten, Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, Gutachterkosten, Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht, Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, Günstigere Verwertungsmöglichkeit
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Restwertangebot, Schadensminderungspflicht, Verwertungspflicht, Wiederbeschaffungskosten, Integritätsinteresse, Verkehrssicherheit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65621
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 1.050,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallgeschehen vom 14.05.2020 in M… E….
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An dem Unfall waren beteiligt der Kläger als Eigentümer eines VW Golf 1.9 TDI sowie die Beklagte als Haftpflichtversicherung des Unfallgegners im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls. Den Auffahrunfall hat allein schuldhaft der Versicherungsnehmer der Beklagten verursacht.
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Das klägerische Fahrzeug erlitt aufgrund des Verkehrsunfalls einen wirtschaftlichen Totalschaden. Zur Beseitigung der durch den Unfall an dem klägerischen Fahrzeug entstandenen Schäden fallen Reparaturkosten in Höhe von 7.590,60 Euro netto an. Der Wiederbeschaffungswert beträgt zum Zeitpunkt des Unfalls 4.200,00 Euro. Der Kläger hat ein Haftpflichtschadensgutachten eingeholt. Hierfürwurden ihm 963,31 Euro in Rechnung gestellt. Im klägerseits eingeholten Haftpflichtschadensgutachten wird ein Restwert in Höhe von 700,00 Euro ausgewiesen.
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Mit Schreiben vom 03.06.2020 übermittelte die Beklagte an den Kläger ein konkretes Restwertangebot als „verbindliches Kaufangebot“ in Höhe von 1.750,00 Euro der B… U. GmbH. Zudem wurde mitgeteilt, dass das Fahrzeug des Klägers am jetzigen Standort abgeholt und bezahlt wird. Der Kläger nahm das Restwertangebot nicht an.
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Der Kläger hat das Fahrzeug bislang nicht repariert. Eine Nutzung des Fahrzeugs als solches ist aufgrund der Schäden nicht möglich.
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Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 02.06.2020 forderte der Kläger von der Beklagten die Regulierung eines Wiederbeschaffungsaufwands in Höhe von 3.500,00 Euro, 963,31 Euro Gutachterkosten sowie 25,00 Euro Unkostenpauschale. Die Beklagte regulierte unter Berücksichtigung eines Restwertes in Höhe von 1.750,00 Euro. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 15.07.2020 forderte der Kläger die Regulierung des Restbetrages in Höhe von 1.050,00 Euro unter Berücksichtigung eines Restwertes in Höhe von 700,00 Euro bis 23.07.2020. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 22.07.2020 ab.
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Der Kläger ist der Ansicht, es sei lediglich ein fiktiver Restwert anzunehmen, welcher sich auf 700,00 Euro belaufe. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, das Restwertangebot der Beklagten anzunehmen, da eine Weiternutzung des Fahrzeugs nicht erforderlich sei.
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Der Kläger beantragt deshalb:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.050,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2020 zu bezahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 78,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, indem er das an ihn übermittelte Restwertangebot in Höhe von 1.750,00 Euro nicht angenommen hat. Für eine Abrechnung auf Basis eines Restwertes in Höhe von 700,00 Euro wäre eine weitere Nutzung des Fahrzeugs erforderlich.
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Eine Beweisaufnahme ist nicht erfolgt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hatte in der Sache keinen Erfolg.
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Der Kläger kann von der Beklagten nicht gem. § 7 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG Schadensersatz in Höhe von eines Differenzbetrages von 1.050,00 Euro hinsichtlich Restwertansatzes verlangen.
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Grundsätzlich steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch zur Beseitigung der ihm aufgrund des Verkehrsunfalls entstandenen Schäden zu 100 % zu, § 249 BGB.
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Der Wiederbeschaffungsaufwand beläuft sich vorliegend lediglich auf 2.450,00 Euro und nicht auf den klägerseits begehrten Betrag in Höhe von 3.500,00 Euro. Der Kläger muss sich vorliegend auf das Restwertangebot der Beklagten in Höhe von 1.750,00 Euro verweisen lassen und hat durch die Nichtannahme gegen seine Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) verstoßen. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für ein Restwertangebot sind vorliegend erfüllt. Das Angebot ist so gefasst, dass der Kläger es mit einem einfachen „Ja“ hätte annehmen können. In dem Restwertangebot wird die Höhe des Preises genannt, wie lange dieses gilt, Kontaktmöglichkeiten und auch, dass eine kostenlose Abholung am Standort des Fahrzeugs enthalten ist. Unerheblich ist hierbei, ob das Angebot vom regionalen Markt stammt, da dem Kläger keine Abholkosten entstanden wären. Der Kläger hatte Fahrzeug auch bis zur Abgabe des Restwertangebotes noch nicht veräußert. Der Wiederbeschaffungsaufwand beläuft sich deshalb auf 4.200,00 Euro Wiederbeschaffungskosten abzüglich 1.750,00 Euro Restwertangebot.
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Zwar ist bei der Bemessung des Restwerts des Unfallfahrzeugs zu berücksichtigen, dass bei der Ausübung des Ersetzungsbefugnisses nach § 249 Satz 2 BGB der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist, jedoch ebenso, dass diesen nach § 254 BGB eine Schadensminderungspflicht obliegt. Seit dem Verkehrsunfall am 14.05.2020 hat der Kläger das Fahrzeug nicht mehr genutzt, mithin über einen Zeitraum von deutlich mehr als sechs Monaten hinaus. Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Abrechnung nach fiktiven Wiederbeschaffungskosten in der Regel der in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen ist (vgl. BGH, NJW 2000, Seite 800; BGH, Urteil vom 06.03.2007, Az.: VI ZR 120/06; BGH, Urteil vom 10.07.2007, Az.: VI ZR 217/06). Jedoch geht die höchstrichterliche Rechtsprechung in all diesen Entscheidungen davon aus, dass das unfallgeschädigte Fahrzeug auch tatsächlich weiter genutzt wird. Letztlich folgt aus dem auf § 242 BGB zurückgehenden Rechtsgedanken der Schadensminderungspflicht gem. § 254 BGB, dass der Geschädigte gehalten sein kann, unter besonderen Umständen von einer zulässigen Verwertung Abstand zu nehmen und andere sich ihm darbietende Möglichkeit der Verwertung im Interesse der Geringhaltung des Schadens im Rahmen des Zumutbaren zu ergreifen. Dies darf jedoch nur in engen Grenzen geschehen, da, wie bereits dargelegt, der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist. Vorliegend hat der Kläger das Fahrzeug weder verwertet, noch nutzt er es. Hieraus folgen für das Gericht Umstände, welche einen Verstoß gegen die sich aus § 254 Abs. 2 BGB ergebende Pflicht zur Geringhaltung des Schadens darstellen. Ein berechtigtes Interesse des Klägers, das Fahrzeug weder zu nutzen noch zu verwerten, ist nicht erkennbar und wurde auch nicht dargelegt. Auch ist nicht erkennbar, inwieweit dem Kläger unzumutbar sein soll, das Fahrzeug zu nutzen oder zu verwerten. Soweit sich der Kläger auf die Corona-Pandemie beruht, ist darauf hinzuweisen, dass in den gesamten letzten Monaten, und zwar über sechs Monate hinaus, Werkstätten nicht von Schließungen betroffen waren. § 249 BGB geht von Wiederherstellung oder Ersatzbeschaffung aus, um den Zustand wieder herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht. Der Kläger hat vorliegend nach Ablauf einer angemessenen Überlegungszeit keine der gesetzliche vorgesehenen Maßnahmen ergriffen. Hierbei stehen beide Varianten unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Das bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensbehebung gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen des ihm zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage grundsätzlich den wirtschaftlichsten Weg zu wählen hat – sogenanntes subjektbezogene Schadensbetrachtung. Will der Geschädigte in einem solchen Fall sein Fahrzeug weiter nutzen, muss er sich den Restwert seines Fahrzeugs anrechnen lassen, auch wenn er diesen nicht realisiert, da ihm ein Integritätsinteresse hinsichtlich des beschädigten Fahrzeugs nicht zugebilligt werden kann. Im Veräußerungsfall leistet der Geschädigte im Allgemeinen dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit Genüge und bewegt sich in dem für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen Regionalmarkt ermittelt hat oder, der ihm ohne weiteres zugänglichen günstigeren Verwertungsmöglichkeit (vgl. BGH, a.a.O.). Vorliegend hat der Kläger das Fahrzeug zwar behalten, jedoch ist dieses nicht verkehrssicher und wurde durch den Kläger auch nicht mehr genutzt. Damit ist er mit einem Geschädigten, der sein Fahrzeug behält und es in einen verkehrssicheren Zustand versetzt und anschließend über mehrere Monate weiter nutzt nicht gleichzustellen. Ein Integritäts- und/oder Mobilitätsinteresse des Klägers ist gerade nicht erkennbar.
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Damit liegt seitens des Klägers ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor und die Klage war abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, § 63 Abs. 2 GKG.