Titel:
Mietwagenkosten, Mietpreisspiegel, Schwacke-Liste als Schätzungsgrundlage, Schadensschätzung, Selbstfahrervermietfahrzeuge, Normaltarif, Fraunhofer-Liste, Sachverständigengutachten, Selbstfahrermietfahrzeug, Ortsüblichkeit, Beweisbeschlüsse, Eigene Ermessensentscheidung, Richterliches Ermessen, Lange Verfahrensdauer, Vergleichsverhandlungen, Gelegenheit zur Stellungnahme, Ersparte Eigenaufwendungen, Autovermieter, Versicherungsprämie, Versicherungsfall
Schlagworte:
vorläufige Würdigung, Sach- und Streitstand, Zivilprozessordnung, Hinweis, Kammer, juristische Schlagworte, Tatsachenprüfung
Vorinstanz:
AG Eggenfelden vom -- – 1 C 671/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65566
Tenor
Die Kammer weist nach vorläufiger Würdigung des Sach- und Streitstands gem. § 139 ZPO auf Folgendes hin:
Tatbestand
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1. Die Parteien streiten über restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, welchen der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Pkws alleine zu vertreten hatte. Das Amtsgericht verurteilte die Beklagte in der Hauptsache zur Zahlung von insgesamt 1.921,39 €. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus restlichen Reparaturkosten in Höhe von 181,07 € sowie aus restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 1.803,32 €. Die Beklagte wendet sich mit der Berufung lediglich gegen die Verurteilung zur Zahlung der Mietwagenkosten. Hinsichtlich der Mietwagenkosten zog das Amtsgericht gem. § 287 ZPO die Schwacke-Liste als Schätzgrundlage heran und zog davon 10% ersparte Eigenaufwendungen ab. Zusätzlich zog das Amtsgericht vom Schwacke-Normaltarif pauschal 10% ab, da es sich bei dem Ersatzfahrzeug nicht um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handele. Die Beklagte wendet in der Berufungsbegründung ein, dass gegen § 287 ZPO verstoßen wurde, da ein Abzug von pauschal 10% vom Schwacke-Normaltarif, sofern es sich nicht um ein Selbstfahrervermietfahrzeug handelt, rechtsfehlerhaft sei. Zudem könne die Schwacke-Liste ohnehin nicht als taugliche Schätzgrundlage herangezogen werden.
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2. Sowohl die Schadensschätzung als auch das richterliche Ermessen beim Beweisverfahren unterliegen in der Berufungsinstanz der vollständigen Nachprüfung. Dies bedeutet, dass das Berufungsgericht seine eigene Überzeugung und seine eigene Ermessensentscheidung an die Stelle der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts setzen darf (vgl. MüKo/Prütting ZPO, 6. A. 2020, § 287 Rn. 35). Die Schätzung gem. § 287 ZPO ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dieser hat im Urteil konkrete Angaben über die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung und ihrer Verwertung darzulegen (vgl. BGHZ 6, 63; BGH VersR 1965, 239).
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a) Die Anwendung des Schwacke-Normaltarifs durch das Erstgericht ist nicht zu beanstanden.
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Die Art der Schätzungsgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden und ferner dürfen wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Acht bleiben. Der Bundesgerichtshof hat demgemäß bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den „Normaltarif“ auf der Grundlage des Schwacke-Mietpreisspiegels im Postleitzahlengebiet des Geschädigten ermitteln kann (Rechtsprechungsnachweise bei Oetker in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, § 249, Rn. 432).
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Allerdings können die Parteien Einwendungen gegen die Heranziehung des Schwacke-Mietpreisspiegels (oder einer anderen Liste oder Tabelle) erheben. Hierbei ist es jedoch nicht Aufgabe des Tatrichters, lediglich allgemein gehaltenen Angriffen gegen eine Schätzgrundlage nachzugehen. Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf nur dann der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken. Die Anwendung der Listen durch den Tatrichter begegnet also nur dann Bedenken, wenn die Parteien deutlich günstigere bzw. ungünstigere Angebote anderer Anbieter für den konkreten Zeitraum am Ort der Anmietung aufzeigen (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2012, VI ZR 316/11, Rn. 11). Mit einem solchen konkreten Sachvortrag muss sich der Tatrichter näher auseinandersetzen, um die Grenzen des eingeräumten Ermessens nicht zu überschreiten (vgl. a.a.O., Rn. 12).
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Den allgemein gehaltenen Argumenten der Beklagten bezüglich des Fraunhofer-Mietpreisspiegels und den strukturellen Schwächen des Schwacke-Mietpreisspiegels war und ist daher nicht näher nachzugehen. Beide Mietpreisspiegel sind grundsätzlich als Schätzgrundlage geeignet.
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Konkrete günstigere Angebote anderer Anbieter wurden und werden von der Beklagten aber schon gar nicht aufgezeigt. Die als B 11 vorgelegten Screenshots stellen keine solchen konkreten günstigeren Angebote dar, die geeignet wären die Schwacke Liste in Zweifel zu ziehen. Es handelt sich lediglich um pauschale Hinweise. Es bleibt vollkommen unklar, was die Mietwagenunternehmen der Klägerin konkret angeboten hätten, wenn sie sich mit Ihnen in Verbindung gesetzt hätte. Hier schließt sich die Kammer uneingeschränkt der Ansicht des Erstgerichts an.
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b) Richtig ist zudem die Unterscheidung zwischen der Zulassung als Werkstattersatzwagen und Selbstfahrervermietfahrzeug. Dieser sich aktuell im Vordringen befindlichen Rechtsprechung schließt sich auch die Kammer an, da die Unterscheidung von schadensrechtlicher Relevanz ist (zutr. Ziegenhardt in NJW Spezial 2020, 201). Selbstfahrermietfahrzeuge (§ 13 II 2 FZV) werden gewerblich vermietet und haben deshalb u.a. höhere Zulassungsauflagen zu erfüllen, haben höhere Versicherungsprämien und sind darüber hinaus mit weiteren preisbildenden Faktoren belastet (vgl. Ziegenhart a.a.O.). Da dies eben nicht für Werkstattersatzwägen gilt, ist die Unterscheidung gerechtfertigt mit der Folge, dass für Werkstattersatzwägen die üblichen Schätztabellen (Schwacke, Fraundorfer etc.) nicht sachdienlich sind.
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c) Bezugnehmend auf das Urteil des Erstgerichts ist nicht ersichtlich, auf welchen Erwägungen der Abzug von pauschal 10% auf den Schwacke-Normaltarif basiert. Eine Schätzgrundlage wird im Urteil nicht dargelegt. Die Kammer bezweifelt, dass hinreichend konkrete Schätzgrundlagen bzw. Erfahrungswerte ohne Erholung eines Sachverständigengutachtens vorliegen. So ist auch die aktuelle Rechtsprechung in dieser Thematik uneinheitlich. Es werden teilweise Abschläge auf die Schwacke- bzw. Fraunhofer-Preise vorgenommen. So nehmen das AG Würzburg (BeckRS 2019, 22610) einen Abschlag von 50% auf den Mittelwert zwischen der Schwacke- und der Fraunhofer-Liste, das AG Berlin-Mitte einen Abschlag von 50% auf die Schwacke-Liste (BeckRS 2020, 3937), das AG München einen Abschlag von 20-30% auf die Fraunhofer Liste vor (BeckRS 2019, 40008 und BeckRS 2020, 3939) – jedoch alle ohne tiefergehende Begründung. Das LG Erfurt hingegen schätzt bei fehlendem Nachweis, dass es sich um ein als Selbstfahrermietfahrzeug zugelassenes Fahrzeug handelt, die erforderlichen Kosten auf 40,- € pro Tag.
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d) Nach Ansicht der Kammer können die erforderlichen Werkstattersatzwagenkosten ohne weitere Erkenntnisse derzeit nicht durch einen pauschalen prozentualen Abzug des jeweiligen Betrags nach der Schwacke- oder der Fraunhofer-Liste geschätzt werden. Beide Listen spiegeln die Tarife gewerblicher Autovermieter, mithin nicht die Tarife für Werkstattersatzwägen, wider. Es ist – soweit ersichtlich – bisher nicht geklärt, inwieweit sich die ortsüblichen Kosten für Werkstatttersatzwägen prozentual hinter denen von gewerblichen Autovermietern bewegen und ob überhaupt ein prozentualer Abschlag sachgerecht ist. Diesbezüglich fehlen dem Gericht konkrete Schätzgrundlagen. Insbesondere ist nicht dargetan, welche Kosten der von der Klägerin beauftragte Reparaturbetrieb Auftraggebern üblicherweise (auch wenn kein „Versicherungsfall“ vorliegt) für den Werkstattwagen in Rechnung stellt. Daher müsste ein Gutachten zur Ortsüblichkeit der Werkstattersatzwagenkosten für die Schätzung der erforderlichen Kosten gem. § 287 ZPO erholt werden.
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Zur Vermeidung einer längeren Verfahrensdauer und weiterer Kosten, die in Anbetracht des Streitwerts womöglich unverhältnismäßig hoch ausfallen könnten, wird angeregt, eine gütliche Regelung zu erwägen. Das Gericht kann etwaige Vergleichsverhandlungen auf Wunsch gerne unterstützen.
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Andernfalls ist beabsichtigt einen Beweisbeschluss zu erlassen.
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3. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen.