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OLG München, Hinweisbeschluss v. 07.04.2021 – 20 U 6394/20
Titel:

Sittenwidrigkeit, Sekundäre Darlegungslast, Arglistige Täuschung, Klagepartei, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Manipulations-Software, Anspruchsgrundlage, Abschaltvorrichtungen, Rücknahme der Berufung, Erstinstanzliches Vorbringen, Gelegenheit zur Stellungnahme, Gerichtsgebühren, Kostenverzeichnis, Substantiierter Vortrag, Rückruf, Entscheidung des Berufungsgerichts, Landgerichte, Streitwert, Berufungsverfahren, Fehlende Anhaltspunkte

Schlagworte:
Manipulationssoftware, Rückruf, Abschalteinrichtungen, Prüfstanderkennung, Sittenwidriges Handeln, Sekundäre Darlegungslast, Schutzgesetz
Vorinstanzen:
LG Landshut, Berichtigungsbeschluss vom 13.11.2020 – 72 O 4001/19
LG Landshut, Endurteil vom 08.10.2020 – 72 O 4001/19
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 19.05.2021 – 20 U 6394/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 29.02.2024 – VII ZR 626/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65565

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 08.10.2020, Az. 72 O 4001/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 47.775,42 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 26.4.2021.

Entscheidungsgründe

1
Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Behauptung der Klagepartei, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine Manipulationssoftware, die gezielt zwischen einem Prüfstandsbetrieb und dem Straßenbetrieb unterscheide und im Prüfungsbetrieb für einen geringeren Schadstoffausstoß sorge, ohne hinreichenden Anhaltspunkte „ins Blaue hinein“ erfolgte und daher keine Beweisaufnahme veranlasste.
2
Erstinstanzlich hat die Klagepartei sich auf zwei Rückrufe des KBA wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betreffend des Fahrzeugtyps Audi A7 3.0 TDI (EU6) vom Januar 2018 und vom Juni 2018 gestützt, die als hinreichende Anhaltspunkte anzusehen seien. Hierzu hat das Landgericht ausgeführt, dass der Rückruf vom Januar 2018 nicht den Motortyp des streitgegenständlichen Fahrzeugs betreffe, sondern nur Fahrzeuge des Modells A7 mit den Motorkennbuchstaben CKV und CVU, während das streitgegenständliche Fahrzeug die Motorkennbuchstaben CRT aufweise. Daher lasse sich aus diesem Rückruf für das streitgegenständliche Fahrzeug nichts ableiten. Der Senat teilt diese Auffassung, gegen welche die Klagepartei auch nichts erinnert. Der Rückruf vom Juni 2018 betrifft nach dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten, mit dem die Klagepartei sich erstinstanzlich nicht mehr auseinandergesetzt hat und welches sie sich in der Berufungsbegründung zu eigen macht, lediglich eine bestimmte Funktion des SCR-Katalysators, die Eindüsung von Harnstoff (AdBlue) zu reduzieren, wenn der AdBlue-Tank nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 km ausreiche. Das Landgericht hat zu Recht hierin keinen ausreichenden Anhaltspunkt für eine behauptete Prüfstanderkennung angenommen, da diese Funktion ganz offensichtlich unabhängig von einer Prüfstandsituation arbeitet.
3
Soweit die Klagepartei mit der Berufungsbegründung darauf verweist, dass das KBA in dieser Reduzierung der Harnstoffeindüsung eine unzulässige Abschaltvorrichtung erkannt habe, vermag dies der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen, da es weiterhin an substantiiertem Vortrag zu einem vorsätzlich sittenwidrigen Handeln der Beklagten im Hinblick auf gerade den Kläger fehlt. Die reichweitenabhängige Reduzierung der Harnstoffeindüsung, die erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt einsetzt als nach einer Prüfstandfahrt, ist nicht mit einer Prüfstanderkennung wie beim EA 189 vergleichbar. Die Verwendung einer unzulässigen Abschaltvorrichtung ist nicht per se sittenwidrig, hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rn. 16). Solche Umstände sind hier nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Anhaltspunkte für eine auf höchster Ebene getroffene strategische Entscheidung, durch eine arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde eine Zulassung zu erschleichen, sind – anders als in der Fallkonstellation des EA 189 – nicht erkennbar. Die Berufungsbegründung zeigt solche Anhaltspunkte auch nicht auf, sondern erschöpft sich in der Wiedergabe anderer, nicht notwendig einschlägiger Gerichtsentscheidungen.
4
Die Auffassung der Klagepartei, es sei davon auszugehen, dass die verantwortlichen Personen in dem Bewusstsein handelten, gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, vermag der Senat ebenfalls nicht zu teilen. Anders als in der Fallkonstellation des EA 189 lag bei der hier geltend gemachten reichweitenabhängigen Reduzierung der Harnstoffeindüsung weder die Unzulässigkeit der Maßnahme auf der Hand, noch kann unterstellt werden, dass die entsprechenden Entscheidungen, eine solche Restreichweitenwarnfunktion zu verwenden und – jedenfalls nach der pauschalen Behauptung der Klagepartei – im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens nicht anzugeben, von den zuständigen Organen der Beklagten selbst getroffen oder zumindest gebilligt wurden (§ 31 BGB). Dass die Beklagte „die Bescheide“ (einschlägig ist auch nach dem Berufungsvortrag der Klagepartei nur derjenige vom Juni 2018) nicht angefochten hat, lässt keine Rückschlüsse auf ein Vorstellungsbild der Organe oder Repräsentanten der Beklagten bei Beantragung der Typengenehmigung oder spätestens bei Abschluss des Kaufvertrags durch die Klagepartei zu. Auch die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, Herrn R. S., Anklage u.a. wegen Betrugs „im Zusammenhang mit 3.0 Liter-Motoren“ erhoben hat, lässt die Notwendigkeit der Feststellung eines vorsätzlichen sittenwidrigen Handelns gerade zum Nachteil der Klagepartei nicht entfallen. Schließlich verfängt auch der Hinweis der Klagepartei auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten nicht, da es vorliegend schon an der notwendigen Grundlage, nämlich einer Vorgehensweise, welche wegen ihrer Bedeutung und ihrer Gefahr für das Unternehmen nur auf höchster Ebene getroffen worden sein kann, fehlt. Erst die auf der Basis des objektiven Vorwurfs gerechtfertigte Unterstellung des Wissens „irgendwelcher hochrangiger Personen“ löste in der grundlegenden Entscheidung des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19, die sekundäre Darlegungslast aus, welche es dem dortigen Kläger ersparte, konkret zu einzelnen Personen vorzutragen (BGH, a.a.O., Rn. 39). Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast greifen dagegen nicht, wenn schon nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass überhaupt Personen iSd. § 31 BGB strategische Entscheidungen zur arglistigen Täuschung des KBA und potentieller Kunden über Umstände trafen, die gerade die Klagepartei betreffen (vgl. auch BGH, Urteil vom 8.3.2021, 505/19, Rn. 20, 21).
5
Andere Anspruchsgrundlagen als §§ 826, 31 BGB kommen entgegen der Auffassung der Klagepartei nicht in Betracht, insbesondere sind die Art. 4, 5 VO 715/2007 kein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 5/20, Rn. 10 ff.).
6
Aus Kostengründen regt der Senat dringend die Rücknahme der Berufung an. Im Fall der Rücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Oberlandesgericht München
München, 07.04.2021