Inhalt

OLG München, Beschluss v. 31.05.2021 – 21 U 5477/20
Titel:

Klagepartei, Abschalteinrichtung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Offenbarungspflicht, Nutzungsentschädigung, Sittenwidrigkeit, Hinweisbeschluss, Darlehensverträge, Ergänzungsgutachten, Kraftfahrt-Bundesamt, Kosten des Berufungsverfahrens, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Zug-um-Zug, unwahre Angaben, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Revisionszulassung, Streitwert, Zurückweisung der Berufung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Ansprüche, Pkw-Kauf, Rücknahme, Annahmeverzug, Nutzungsentschädigung, Berufungsverfahren
Vorinstanz:
LG Ingolstadt vom 31.07.2020 – 51 O 273/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 01.02.2024 – VII ZR 688/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65436

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 31.07.2020, Aktenzeichen 51 O 273/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.897,26 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
1. Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sogenannten „Diesel-Abgasskandal“.
2
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts sowie im Hinweisbeschluss des Senats vom 31.03.2021 (Bl. 477 ff. d.A.) Bezug genommen.
3
Im Berufungsverfahren beantragte die Klagepartei mit Schriftsatz vom 12.11.2020 (Bl. 401 ff. d.A.):
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 57.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 09.03.2013 bis 06.12.2018 und seither 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.337,68 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer: … zu zahlen.
Hilfsweise zu 1)
Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges und Abtretung des Anspruchs auf Rückübereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer … aus dem Darlehensvertrag vom 18.01.2017 mit der Vorgangsnummer … an die Kläger Partei EURO 47.454,58 nebst Zinsen in Höhe von 4% seit dem 09.03.2013 bis 06.12.2018 und seither 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8337,68 € zu zahlen und den Kläger von seinen Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag bei der … Bank (Nummer …) freizustellen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 16.01.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.256,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2019 zu zahlen.
Hilfsweise,
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 51 O 273/19 verkündet am 31.07.2020 und zugestellt am 14.08.2020, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen.
Hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
4
Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt, aber im Übrigen noch nicht auf die Berufung erwidert.
5
2. Mit Schriftsatz vom 07.05.2021 (Bl. 502 ff. d.A.) hält die Klagepartei an ihrem Berufungsbegehren fest und führt im Wesentlichen aus:
6
Sie vertieft ihren Vortrag zum Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung mittels einer Lenkwinkelerkennung im Zusammenhang mit dem Getriebe. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Verwendung der Lenkwinkelerkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug überhaupt bestreite. In einer Vielzahl von Parallelverfahren werde der Einsatz der Lenkwinkelerkennung nicht bestritten, die Beklagte berufe sich dort lediglich darauf, die Lenkwinkelerkennung aktiviere weder den Teil des Emissionskontrollsystems noch die Abgasrückführung. Die Klagepartei beruft sich dazu u.a. auf ein Verfahren vor dem Landgericht Krefeld. Sie legt hierzu außerdem nunmehr als Anlage BB10 Unterlagen des …konzerns zum „Warmlaufprogramm“ vor. Diese belegten eine zyklusnah bedatete Lenkwinkelerkennung ähnlich der „Akustikfunktion“, in deren Folge die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte im normalen Straßenverkehr um ein Vielfaches überschritten würden. Sie beruft sich insoweit auf einen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt vom „02. September 2019“ zu Fahrzeugen der Beklagten der Modelle … und … mit dem Getriebe „AL 551“.
7
Ferner stützt sich die Klagepartei auf ein „Ergänzungsgutachten“ in einem Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld zu einem … vom 31.08.2020, nunmehr vorgelegt als Anlage BB11. Dies belege das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Abhängigkeit von der Außentemperatur. Das Gutachten sei in der klägerischen Kanzlei am 14.09.2020 eingegangen, der anwaltlichen Vertreterin der Klagepartei aber erst nach Verfassung der Berufungsbegründungsschrift bekannt geworden.
8
Sie wiederholt und vertieft ihren Vortrag zum vorsätzlichen Handeln der Beklagten. Sie bezieht sich auf das vor dem EuGH geführte Verfahren Az.: C-693/18. Es sei ausgeschlossen, dass die Beklagte, die einem strengen Qualitätsmanagement unterliege, nicht etliche interne Sitzungen und Abstimmungen hinsichtlich einer möglichen Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen abhielt und diese dokumentierte. Hätte die Beklagte die Abschalteinrichtungen als zulässig erachtet, hätte sie diese dem Kraftfahrtbundesamt offengelegt. Es ergebe sich eine Offenbarungspflicht aus dem Beschluss des BGH vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19.
9
Zum Thermofenster trägt die Klagepartei nunmehr ohne Klarstellung in Bezug auf den bisherigen Vortrag vor, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug bereits bei Temperaturen unter 20° C sowie über 30° C die Abgasrückführung zurückgefahren wird, wobei eine signifikante Reduktion jedenfalls bei einer Temperatur von 5° C erfolgt. Eine Offenlegung gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt sei insoweit nicht erfolgt. Sie bezieht sich auf ein Urteil des OLG Stuttgart vom 22.09.2020, Az.: 16a U 55/19, und Hinweisbeschlüsse anderer Oberlandesgerichte. Die Beklagte habe gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt unwahre Angaben gemacht.
II.
10
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 31.07.2020, Aktenzeichen 51 O 273/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
11
Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Hinweisbeschluss vom 31.03.2021 Bezug, in dem bereits ausführlich dargelegt wurde, weshalb der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, und an dem der Senat festhält. Frau Richterin am Oberlandesgericht …, die an dem Hinweisbeschluss nicht beteiligt war, tritt diesem in vollem Umfang bei. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 07.05.2021 geben keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung. Ergänzend ist insofern auszuführen:
12
1. Zu der Behauptung, das streitgegenständliche Fahrzeug sei betroffen von einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Bezug auf das Getriebe, bei der ein „Warmlaufprogramm“ mittels Lenkwinkelerkennung die Emissionen prüfstandsbezogen manipuliere, ist zunächst festzuhalten, dass die Beklagte die Betroffenheit des Fahrzeuges von dem insoweit von der Klagepartei zitierten Rückruf der Nummer „7130“ bereits erstinstanzlich bestritten hat (Bl. 367 ff. d.A.). Der Vortrag der Klagepartei in der Berufungsbegründung zum Bußgeldverfahren gegenüber der ZF Friedrichshafen wie auch der nunmehrige Vortrag zu den internen Konzernunterlagen zum Warmlaufprogramm wäre damit verspätet.
13
Letztlich kann dies aber dahinstehen. Denn auch bei Zulassung dieses Vortrags bildet dieser kein Indiz für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die eine Haftung nach § 826 BGB begründen könnte. Der bloße Umstand, dass das Fahrzeug aufgrund von bestimmten Parametern in der Lage ist, einen Prüfstandslauf zu erkennen, genügt allein nicht zur Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur prüfstandsbezogenen Manipulation der NOx-Emissionen. Denn auch andere technische Einrichtungen wie das elektronische Stabilitätsprogramm oder die adaptive Fahrwerksregelung werden im Prüfstand nicht aktiviert zur Vermeidung von Messverfälschungen oder Sicherheitsrisiken. Unzulässig und objektiv sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB sind solche Einrichtungen nur dann, wenn damit gezielt Emissionen in grenzwertrelevanter Weise auf dem Prüfstand manipuliert werden zur Erschleichung der Typengenehmigung. Dies hat die Klagepartei zwar behauptet, doch die von ihr insoweit zum Beleg vorgelegten Unterlagen (Anlage BB10) bestätigen dies gerade nicht: Vielmehr ergibt sich aus den Ausführungen gemäß Bl. 505 d.A., die NOx-Grenzwerte (Diesel) würden eingehalten, und gemäß der auf Bl. 510 d.A. wiedergegebenen Seite der Anlage wird ausgeführt, dass die Unterschiede im Hinblick auf die NOx-Emissionen zumeist gering seien und dass nach den bisherigen Tests an gebrauchten Fahrzeugen auch nach Ausbedatung bei Dieselfahrzeugen die NOx-Grenzwerte im NEFZ zumeist eingehalten würden. Dies trägt schon den Vorwurf des objektiv sittenwidrigen Verhaltens im Sinne von § 826 BGB nicht.
14
Darüber hinaus hat auch das Kraftfahrtbundesamt diese Getriebesteuerung ausweislich des Rückrufes Nr. 7130 nicht als „unzulässige Abschalteinrichtung“, sondern – nach der auch aus dem Klagevortrag ersichtlichen Berichtigung des Eintrags – als bloße Konformitätsabweichung eingestuft, worauf bereits mit Beschluss vom 31.03.2021 hingewiesen wurde. Die Beklagte hat zudem erstinstanzlich Korrespondenz mit dem Kraftfahrtbundesamt vorgetragen, die dies explizit nochmals bestätigt.
15
Soweit die Klagepartei insoweit auf den Rückruf vom „02. September 2019“ abstellt, geht der Senat davon aus, dass damit der Rückruf vom 02. Dezember 2019 unter der Nummer 7130 gemeint ist und es sich nur um ein Schreib-/Diktatversehen handelt, da auch der dazu zitierte Artikel aus dem Südkurier sich inhaltlich auf den Rückruf Nummer 7130 bezieht.
16
2. Auch der Vortrag zu dem „Ergänzungsgutachen“ aus einem Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld vom 31.08.2020 ist verspätet. Denn vom Eingang dieses Gutachtens am 14.09.2020 bis zum Verfassen der Berufungsschrift am 12.11.2020 verstrichen zwei Monate. Aber auch dies kann letztlich offen bleiben. Denn die Ausführungen in dem vorgelegten Ergänzungsgutachten sind – unabhängig von der Vergleichbarkeit des untersuchten Fahrzeugs mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug – nicht geeignet als greifbarer Anhaltspunkt zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vergleichbar der Umschaltlogik beim Motor EA 189. Denn die dortigen Ausführungen bezogen sich auf Änderungen im Abgasverhalten allein in Abhängigkeit von der Außentemperatur. Eine Messreihe erfolgte bei 23° C und eine bei 15° C, weshalb bereits der Einsatz eines Thermofensters – wie es die Klagepartei in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug vorgetragen hat – die Messwerte mitbeeinflusst.
17
3. Ohne greifbare Anhaltspunkte zum Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Bezug auf das Emissionssystem stellt sich die Problematik des Vorsatzes nicht. Zur Frage des sittenwidrigen Verhaltens in Bezug auf das Thermofenster wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf die Ausführungen im Beschluss vom 31.03.2021. Die von der Klagepartei zitierte Entscheidung des OLG Stuttgart ist überholt durch die Entscheidungen des BGH vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20. Im Übrigen zitiert die Klagepartei bloße Hinweise von Oberlandesgerichten. Eine allgemeine Offenbarungspflicht zum Thermofenster ergibt sich – anders als die Klagepartei einwendet – nicht aus BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19. Die von der Klagepartei insoweit zitierte Passage (Rdnr. 22 ff.) bezieht sich auf die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit und damit Berücksichtigungspflicht von Sachvortrag in dem dort entschiedenen Verfahren. Inhaltlich ging es um den Vortrag, die Beklagte im dortigen Verfahren habe unzutreffende Angaben im Typengenehmigungsverfahren gemacht. Hierin liegt ein maßgeblicher Unterschied zum hiesigen Verfahren, in dem die Klagepartei stets behauptet hat, das Thermofenster sei nicht offengelegt worden. Hierauf wurde bereits mit Beschluss vom 31.03.2021 hingewiesen – worauf die Klagepartei nunmehr ersichtlich ins Blaue behauptet, die Beklagte habe unwahre Angaben gemacht bei den Angaben zum Funktionieren des Abgasrückrückführungssystems bei niedrigen Temperaturen.
III.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
19
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
20
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung von § 40, 47, 48 GKG, § 3 ZPO bestimmt.