Titel:
Sittenwidrigkeit, Klagepartei, Berufungsbeklagter, Arglistige Täuschung, Abschalteinrichtung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Abschaltvorrichtungen, Rechtshängigkeit, Typengenehmigung, Kosten des Berufungsverfahrens, Sittenwidrige Schädigung, Kaufvertrag, Rückabwicklung, Kostenentscheidung, Berufungskläger, Sicherheitsleistung, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Berufungsinstanz, Prozeßbevollmächtigter, Emissionsgrenzwerte
Schlagworte:
Sittenwidrige Schädigung, Manipulierte Software, Unzulässige Abschalteinrichtung, Typengenehmigungsverfahren, Kausalität, Vorsatz, Restreichweitenfunktion
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 07.04.2021 – 20 U 6394/20
LG Landshut, Berichtigungsbeschluss vom 13.11.2020 – 72 O 4001/19
LG Landshut, Endurteil vom 08.10.2020 – 72 O 4001/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 29.02.2024 – VII ZR 626/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65435
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 08.10.2020, Aktenzeichen 72 O 4001/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 45.855,28 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte als Herstellerin Ansprüche auf Rückabwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags über einen Audi A7 im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ geltend.
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Die Klagepartei erwarb aufgrund Bestellung vom 10.3.2016 das streitgegenständliche Fahrzeug, welches mit einem Motor des Typs EA 897 ausgestattet ist. Laut Fahrzeugschein weist der Motor die Kennbuchstaben „CRT“ auf.
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Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird wegen weiterer Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Landshut vom 08.10.2020 Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Täuschung in sittenwidriger Weise sei durch die Klagepartei nicht ausreichend substantiiert dargelegt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte eine Technik verwendet hätte, die gezielt zwischen dem Prüfstandsbetrieb und dem Straßenbetrieb unterscheide, bestünden nicht. Die diesbezüglichen klägerischen Behauptungen seien pauschal und „ins Blaue hinein“ aufgestellt. Auf den Rückruf des KBA vom Januar 2018 könne sich die Klagepartei schon deshalb nicht berufen, weil dieser ausweislich der vom Kläger vorgelegten Tabelle (Anl. K27) nicht den Motortyp des streitgegenständlichen Fahrzeugs betreffe. Der Rückruf des KBA vom Juni 2018 betreffe zwar auch das streitgegenständliche Fahrzeug, hier habe der Kläger sich aber mit der Darlegung der Beklagten, der Rückruf betreffe allein die Restreichweitenwarnung, wenn der für den Betrieb des SCR-Katalysators erforderliche Harnstoff (AdBlue) zur Neige gehe, nicht aber eine grundsätzlich unterschiedliche Funktionsweise des Motors im Prüfstands- und im Straßenbetrieb, nicht mehr auseinandergesetzt. Eine relevante Täuschungshandlung ergebe sich auch nicht aus der klägerischen Behauptung, dass der AdBlue-Tank zu klein bemessen sei, um die volle Wirkung des Katalysators abzurufen, da auch hiervon nicht eine unterschiedliche Funktionsweise auf dem Prüfstand und im Straßenbetrieb abhänge.
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Gegen das ihr am 8.10.2020 zugestellte Urteil hat die Klagepartei am 4.11.2020 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 8.2.2021 am 8.2.2021 begründet. Sie verfolgt ihre erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiter.
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Sie ist der Ansicht, das Landgericht habe zu Unrecht eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte verneint. Sie beruft sich darauf, dass das KBA hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs wegen der Reduzierung der Reagenseindüsung (AdBlue) bei Erreichen einer Restreichweite von weniger als 2.400 km einen verpflichtenden Rückruf angeordnet habe, weil es sich aus dessen Sicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele (Anl. K31). Insofern sei von Sittenwidrigkeit auszugehen, da die Beklagte durch den Einsatz der manipulierten Software massenhaft und mit erheblichem technischen Aufwand gesetzliche Umweltvorschriften ausgehebelt und umgangen habe. Dieses Vorgehen sei aus Gründen des Gewinnstrebens praktiziert und verschleiert worden, so dass gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern von einem planmäßigen Vorgehen zur Täuschung der Kunden, zur Benachteiligung der Wettbewerber und zur Schädigung der Umwelt durch die Beklagten ausgegangen werden müsse. Die Beklagte habe die Strategieentscheidung getroffen, die EG-Typgenehmigung von den dafür zuständigen Erteilungsbehörden zu erschleichen, ohne dass die materiellen Voraussetzungen dafür vorlagen.
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Zu berücksichtigen sei auch, dass die Beklagte das KBA im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens getäuscht habe. Wie sich jetzt aufgrund des verpflichtenden Rückrufs herausgestellt habe, hätte das KBA die Typengenehmigung nicht erteilt, wenn die Beklagte diese im Verfahren angegeben hätte.
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Die Klagepartei hätte den Kaufvertrag nicht geschlossen, wenn ihr bekannt gewesen wäre, dass allein mit der vorgenommenen Manipulation die Typengenehmigung erlangt werden konnte.
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Für die Bejahung des entsprechenden Schädigungsvorsatzes der Beklagten sei ihr Bewusstsein ausreichend, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liege sowie die billigende Inkaufnahme des Schädigungsrisikos. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft habe der damalige Vorstand der Beklagten spätestens ab September 2015 von den Abgasmanipulationen Kenntnis gehabt. Ihm sei daher auch ersichtlich gewesen, dass Kunden solche Fahrzeuge erwerben würden, die mangelhaft seien. Die sich daraus ergebende Schädigung der Kunden hätten die verantwortlichen Personen daher mindestens billigend in Kauf genommen.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 7.4.2021 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Das Landgericht habe zu Recht in dem Rückruf des KBA vom Juni 2018 wegen der Restreichweiten-Problematik keinen ausreichenden Anhaltspunkt für eine vom Kläger behauptete Prüfstandserkennung gesehen. Die Reduzierung der Harnstoffeindüsung ab einer gewissen Restreichweite sei hinsichtlich des Vorwurfs der Sittenwidrigkeit auch nicht mit einer Prüfstandserkennung vergleichbar. Die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei nicht per se sittenwidrig, hinzutretende Umstände seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Anhaltspunkte für eine auf höchster Ebene getroffene strategische Entscheidung, durch eine arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde eine Zulassung zu erschleichen, seien – anders als in der Fallkonstellation des EA 189 – nicht erkennbar. Die Auffassung der Klagepartei, es sei davon auszugehen, dass die verantwortlichen Personen in dem Bewusstsein handelten, gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, vermöge der Senat ebenfalls nicht zu teilen. Anders als in der Fallkonstellation des EA 189 habe bei der hier geltend gemachten reichweitenabhängigen Reduzierung der Harnstoffeindüsung die Unzulässigkeit der Maßnahme nicht auf der Hand gelegen.
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Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 10.5.2021 hierzu Stellung genommen. Sie verweist darauf, dass die Beklagte im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens keine vollständigen Angaben zu den verwendeten Emissionsstrategien gemacht habe. Hierzu sei sie verpflichtet gewesen, wie sich bereits aus dem Grundsatzurteil des BGH vom 25.5.2020 ergebe, in welchem der BGH die geänderten Anforderungen an den Beschreibungsbogen aus dem Jahr 2016 bereits im Fall des ..-Motors EA 189 nicht zum Anlass genommen habe, die „arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde“ zu verneinen. Auch Art. 3 Abs. 9 der VO (EG) Nr. 692/2008 habe bereits damals vorgesehen, dass die Hersteller bei der Beantragung der Typengenehmigung der Genehmigungsbehörde belegen müssen, dass die NOx-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei -7 Grad Celsius innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreiche. Darüber hinaus seien Angaben zur Arbeitsweise des AGR-Systems zu machen, „einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen“, wobei diese Angaben „auch eine Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen“ umfassen müssten.
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Aus dem Umstand, dass ausweislich der Bekanntmachung der Kommission vom 26.1.2017 (Anl. K35, S. 2) bis dahin die Kommission u.a. seitens der Autoindustrie nicht um zusätzliche Klarstellung des Begriffs der Abschalteinrichtung ersucht worden sei, folge, dass man sich auf Herstellerseite der Unzulässigkeit der verwendeten Abschalteinrichtungen bewusst gewesen sei.
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Zur Kenntnis des Vorstandes habe die Klagepartei schon in der Klageschrift vorgetragen, dass schon im Oktober 2006 Führungskräfte der Beklagten über das Grundproblem beim Einsatz eines SCR-Katalysators mit „AdBlue“-Einspritzung informiert worden seien, aufgrund dessen sei klar gewesen, dass die geplanten „AdBlue“-Tanks für eine gründliche Abgasreinigung zu klein gewesen seien. Die EU-Kommission sei aufgrund einer Untersuchung im Jahr 2018 zu dem Ergebnis gekommen, dass B., D. und V., A. und P.) gegen das EU-Kartellrecht verstoßen hätten, indem sie „AdBlue“-Dosierstrategien abgesprochen und den Wettbewerb bei der Entwicklung von Technologien zur Reinigung der Emissionen eingeschränkt hätten; dabei hätten die Beteiligten in dem gemeinsamen Verständnis gehandelt, dass sie dadurch den AdBlue-Verbrauch und die Wirksamkeit der Abgasreinigung begrenzten (Anl. K36).
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Die Klagepartei hat im Berufungsverfahren beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger 45.844,28 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit aus einem Betrag in Höhe von 47.775,42 EUR zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges der Marke Audi vom Typ A7 3.0 TDI Sportback Quattro mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …423 nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte und Berufungsbeklagte verpflichtet ist, dem Kläger und Berufungskläger Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ A7 3.0 TDI Sportback Quattro mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …423 durch die Beklagte und Berufungsbeklagte resultieren.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte und Berufungsbeklagte mit der Annahme der in den vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug Leistung im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger und Berufungskläger die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 297,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie von weiteren Kosten in Höhe von 1.953,98 EUR freizustellen.
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Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das landgerichtliche Urteil, den genannten Hinweis des Senats sowie die in zweiter Instanz eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
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1. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 08.10.2020, Aktenzeichen 72 O 4001/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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a) Hinsichtlich der mangelnden Erfolgsaussichten der Berufung wird zur Begründung auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Die weiteren Ausführungen der Klagepartei im Schriftsatz vom 10.5.2021 veranlassen keine andere Beurteilung.
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aa) Für ihre erstinstanzlich erhobene und bis in die Berufungsinstanz aufrechterhaltene Behauptung, die Beklagte habe im streitgegenständlichen Fahrzeug eine Software verwendet, durch welche erkannt werde, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, und die dafür sorge, dass durch dann geänderte Vorgänge im Fahrzeug nur deshalb die Emissionsgrenzwerte eingehalten würden, bestanden weder erstinstanzlich noch in zweiter Instanz ausreichende Anhaltspunkte. Soweit von etwaigen Feststellungen und Rückrufen des KBA andere Konzerngesellschaften oder die Beklagte hinsichtlich anderer Motorentypen betroffen sein mögen, rechtfertigt dies nicht die Annahme der Klagepartei, auch in ihrem Fahrzeug seien prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen verwendet. Der einzig vorgetragene konkrete Anhaltspunkt für eine unzulässige Abschaltvorrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug ist der Bescheid des KBA bezüglich der Reduzierung der Reagenseindüsung (“AdBlue“) ab einer Restreichweite von 2.400 km (Anl. K31). Wie bereits hingewiesen, handelt es sich hierbei ganz offensichtlich nicht um eine prüfstandsbezogene Beeinflussung des Emissionsverhalten.
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ab) Soweit die Klagepartei sich in der Berufungsinstanz offenbar alternativ darauf stützen möchte, dass es sich bei der beschriebenen Restreichweitenfunktion jedenfalls um eine vom KBA als solche bezeichnete unzulässige Abschaltvorrichtung handele, führt auch dies nicht zum Erfolg der Berufung.
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(1) Wie bereits hingewiesen, ist die konkrete Ausgestaltung der Restreichweitenabsicherung durch Reduzierung der Reagenseindüsung nicht mit einer Prüfstanderkennungssoftware wie im Fall des EA 189 vergleichbar, so dass hinsichtlich der Feststellung der Sittenwidrigkeit die Bezugnahme der Klagepartei auf das (Grundsatz-)Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19, fehlgeht. Die Verwendung einer unzulässigen Abschaltvorrichtung allein begründet noch nicht den Vorwurf eines objektiv sittenwidrigen Handelns; dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat, vielmehr bedürfte es insofern weiterer Umstände (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847, Rn. 13 ff, 16).
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(2) Hinreichende weitere Umstände, welche eine Sittenwidrigkeit begründen könnten, hat die Klagepartei nicht dargetan. Diese ist der Darstellung der Beklagten, zu welchem Zweck die Restreichweitenfunktion eingeführt worden sei, unter welchen (engen) Voraussetzungen und in welchem (geringen) Umfang diese zu einer reduzierten AdBlue-Einspritzung führe (vgl. Klageerwiderung S. 9 f. = Bl. 91 f. d.A.), ebenso wenig entgegengetreten wie der Behauptung der Beklagten, auch ohne diese Funktion würden die Emissionsgrenzwerte eingehalten. Die Darstellung der Beklagten wird sogar gestützt durch den von der Klagepartei vorgelegten Bescheid des KBA (Anl. K31), in welchem das KBA ausführt (S. 3):
„Hiermit folgt das KBA seiner im Bescheid zum VW Touareg vertretenen Rechtsposition. Es verkennt jedoch nicht, dass technisch nachvollziehbar die Abschaltung des Emissionskontrollsystems im weit geringeren Umfang stattfindet als im Fall des VW Touareg. Gleichwohl gebietet Art. 5 der VO EG 715/2007 die formale Einstufung als unzulässige Abschaltvorrichtung.“ Demnach kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Restreichweitenfunktion benutzt wurde, um die Abgasrückführung beeinflussen zu können und „nur auf diese Weise“ die Typengenehmigung zu erhalten, wie die Klagepartei behauptet. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die Deaktivierung dieser Funktion ohne Auswirkungen auf die Emissionsmessungen im NEFZ bleibt, da in dem 11 km langen Prüfzyklus eine Situation, in der eine Restreichweite von 2.400 km unterschritten wird, ohnehin nicht eintreten wird. Der Beklagten kann daher weder der Vorwurf gemacht werden, eine ansonsten nicht zu erreichende Typengenehmigung durch Täuschung des KBA erschlichen zu haben, noch, aus rücksichtslosem Gewinnstreben eine erhebliche Verschlechterung des Emissionsverhaltens des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps in Kauf genommen zu haben. Eine Strategieentscheidung zur planmäßigen Täuschung der Kunden über die Verwendbarkeit der gekauften Fahrzeuge im Straßenverkehr ist nicht ersichtlich.
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(3) Dass die Beklagte im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens die Reduzierung der AdBlue-Einspritzung ab Erreichen einer Restreichweite von 2.400 km in Verbindung mit einem unvorhergesehenen starken Anstieg des AdBlue-Verbrauchs nicht angegeben hat, stellt im konkreten Fall kein ausreichendes Indiz für eine vorsätzliche arglistige Täuschung des KBA und damit mittelbar der Kunden, wie der Klagepartei, dar. Denn eine Pflicht zur Darstellung aller verwendeten Emissionsstrategien bestand zum Zeitpunkt des Typengenehmigungsverfahrens (vor 2016) noch nicht. Soweit die Klagepartei insoweit auf Art. 3 Abs. 9 der VO (EG) Nr. 692/2008 (Angabe zur Arbeitsweise des AGR-Systems „einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen“) verweist, betrifft diese Norm erkennbar nicht die streitgegenständliche Restreichweitenfunktion. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klagepartei auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19. Dort ging es nicht um die Verwendung einer Emissionstrategie, sondern um eine Prüfstanderkennung, die zu einem gänzlich geänderten Emissionsverhalten des Fahrzeugs auf dem Prüfstand als im Straßenbetrieb führte. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beklagte – sei es auch rechtsfehlerhaft – davon ausging, dass die Restreichweitenfunktion im Hinblick auf die Problematik eines sich plötzlich unvorhersehbar erhöhenden AdBlue-Verbrauchs entweder keine Abschalteinrichtung oder aber eine ausnahmsweise zulässige Abschalteinrichtung darstellen würde, kann aus der Nichtangabe auch nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass die Beklagte insofern vorsätzlich oder gar arglistig handelte. Daraus, dass ausweislich der Bekanntmachung der Kommission vom 26.1.2017 (Anl. K35, S. 2) bis dahin die Kommission seitens der Autoindustrie nicht um zusätzliche Klarstellung des Begriffs der Abschalteinrichtung ersucht worden sei, folgt entgegen der Ansicht der Klagepartei nicht, dass sich die Beklagte über die Unzulässigkeit der Maßnahme im Klaren war.
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(4) Dass nach dem Vortrag der Klagepartei verschiedene Hersteller sich auf einen „zu kleinen“ AdBlue-Tank einigten, um einen Wettbewerb im Umgang mit der AdBlue-Technologie untereinander zu vermeiden, führt zu keiner anderen Beurteilung. Kartellrechtliche Verstöße sind für die Frage der sittenwidrigen Schädigung der Klagepartei durch (mittelbare) Täuschung bei Abschluss des Kaufvertrags ohne Relevanz. Ein „zu kleiner“ Tank liegt nach der eigenen Darstellung der Klagepartei allenfalls insofern vor, als dies bedeutet, dass in kürzeren Abständen als bei einem „großen“ Tank Harnstoff (AdBlue) nachgefüllt werden muss. Weder wird das KBA oder der Käufer über die Größe des Tanks getäuscht, noch ist die Größe des Tanks direkt ursächlich für eine höhere oder geringe AdBlue-Einspritzung. Es handelt sich daher für sich genommen allenfalls um das Problem, in welchen Abständen dem Fahrer Nachfüllmaßnahmen zugemutet werden sollen, welches nach dem Vorbringen der Klagepartei die Hersteller möglichst „einheitlich“ lösen wollten, um sich nicht gegenseitig mit den Argumenten „Reichweite des Tanks“ oder „Größe des verbleibenden Kofferraums“ Konkurrenz zu machen. Soweit die EU-Kommission nach dem Vortrag der Klagepartei festgestellt haben will, dass die an der Absprache Beteiligten mit dem gemeinsamen Verständnis handelten, „dass sie dadurch den AdBlue-Verbrauch und die Wirksamkeit der Abgasreinigung begrenzten“ (Anl. K36), ist damit lediglich das – von der Tankgröße an sich unabhängige – Problem der geringeren Dosierung unter bestimmten Voraussetzungen angesprochen, welches unter (2) und (3) bereits erörtert wurde.
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(5) Schließlich würde es nach dem eigenen Vortrag der Klagepartei bereits an der Kausalität eines Handelns der Beklagten für die Kaufentscheidung der Klagepartei fehlen, da diese lediglich vorgetragen hat, sie hätte den Pkw nicht gekauft, wenn ihr bekannt gewesen wäre, dass allein mit der vorgenommenen Manipulation die Typengenehmigung erlangt werden konnte (Replik vom 28.4.2020, S. 20 = Bl. 163 d.A.). Für diesen Umstand bestehen jedoch keine Anhaltspunkte (s.o.).
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ac) Auf die Frage, inwieweit verantwortliche Personen iSv. § 31 BGB bei der Beklagten mit dem erforderlichen Vorsatz handelten, den Kläger sittenwidrig zu schädigen, kommt es nicht mehr an. Lediglich ergänzend ist daher auszuführen, dass nach dem Vortrag der Klagepartei weiterhin nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass für die Beklagte handelnde Personen annahmen, dass durch die Verwendung der Restreichweitenfunktion das KBA „unter falschen Voraussetzungen“ eine Typengenehmigung erteilen würde und infolgedessen für potentielle Käufer das greifbare Risiko bestehen würde, ein Fahrzeug zu erwerben, welches sie im Straßenverkehr nicht nutzen können würden. Erst recht kann wegen der Leichtigkeit, mit der die Restreichweitenfunktion ausgeschaltet werden kann, und der damit verbundenen Folgenlosigkeit ihrer Deaktivierung für die Einhaltung von Grenzwerten auf dem Prüfstand nicht angenommen werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen eine ausgeschlossene Nutzbarkeit des Fahrzeugs in ihrer Vorstellung billigend in Kauf genommen hätten.
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b) Die Entscheidung konnte durch Beschluss ergehen, da die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO auch im Übrigen vorliegen. Die Entscheidung steht im Einklang mit der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, ein Fall der Divergenz ergibt sich auch nicht aus den von der Klagepartei zitierten Entscheidungen, die entweder andere Fallkonstellationen betreffen oder – ohne einen abstrakten Rechtssatz aufzustellen – die Frage der Sittenwidrigkeit im konkreten Einzelfall anders beurteilen (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 9.7.2007, II ZR 95/06, Rn. 2 m.w.N.).
28
a) Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
29
b) Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
30
c) Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.