Inhalt

OLG München, Beschluss v. 14.10.2021 – 21 U 3234/21
Titel:

Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des Einbaus eines Thermofensters in ein Dieselfahrzeug (hier: Audi Q5 3.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 33393; BeckRS 2024, 7118; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG Hamm BeckRS 2021, 37295; OLG München BeckRS 2023, 32991; BeckRS 2024, 3294; BeckRS 2024, 7529; BeckRS 2024, 7526; OLG Naumburg BeckRS 2023, 41799; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 738; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinsichtlich eventueller Schadensersatzansprüche von Fahrzeugkäufern geht es nicht darum, ob das Thermofenster zum Zeitpunkt des Typgenehmigungsantrags zulässig war, sondern um den Vorsatz der Herstellerin zu diesem Zeitpunkt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3,0 Liter V6-Motor, EA 897, EA 896 Gen2, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Lenkwinkelerkennung, Aufheizstrategie, clustering
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 30.04.2021 – 83 O 4166/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 13.02.2024 – VIa ZR 465/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65244

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 30.04.2021, Aktenzeichen 83 O 4166/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 33.681,50 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
2
Die Klagepartei erwarb am 01.08.2013/17.09.2013 zu einem Preis von 59.604,21 € brutto einen … mit einem Kilometerstand von 12 km.
3
Das Auto ist mit einem V6-Dieselmotor ausgestattet. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es sich um einen Motor EA 897 (so die Klagepartei) oder um einen Motor EA 896 Gen2 (so die Beklagte) handelt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens und des Motors.
4
Das Fahrzeug hat die Schadstoffklasse Euro 5. Es ist von einem freiwilligen Rückruf des KBA betroffen, das Update wurde aufgespielt.
5
Die Abgasreinigung erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug über die Abgasrückführung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Die Abgasrückführung wird innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters reduziert („Thermofenster“). Das Fahrzeug verfügt nicht über einen SCR-Katalysator.
6
Die Klagepartei begehrte erstinstanzlich die Verurteilung zur Zahlung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen, unter Abzug einer Nutzungsentschädigung und des Verkaufserlöses, und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
7
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
8
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.04.2021 als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Thermofensters sei jedenfalls eine sittenwidrige Schädigung nicht ausreichend vorgetragen. Die übrigen behaupteten Abschalteinrichtungen seien nicht substantiiert vorgetragen.
9
Hiergegen wendet sich die Klagepartei mit der Berufung und begründet diese mit Schriftsatz vom 01.07.2021 (Bl. 226 ff. d.A.). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung und auf deren zusammenfassende Darstellung im Hinweisbeschluss verwiesen.
10
Die Klagepartei beantragt unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, 83 O 4166/20 verkündet am 30.04.2021 und zugestellt am 05.05.2021:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 59.604,21 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.11.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 25.922,71 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges … (2967ccm | 180kW | 245PS) 3.0 (2976) mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 22.11.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.434,74 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.11.2020 zu zahlen.
hilfsweise
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt,Az.: 83 O 4166/20, verkündet am 30.04.2021 und zugestellt am 05.05.2021, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen.
hilfsweise
die Revision zuzulassen.
11
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
12
Sie hat noch nicht auf die Berufung erwidert.
13
Mit Beschluss vom 04.08.2021 hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat.
14
Hierauf hat die Klagepartei mit Schriftsatz vom 26.08.2021 Stellung genommen. Sie ist der Auffassung, die Sittenwidrigkeit ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beklagte im Typgenehmigungsantrag Existenz und Funktionsweise des Thermofensters bewusst verschwiegen habe. Die Beklagte sei gesetzlich verpflichtet gewesen, Angaben hierzu zu machen. Die Beklagte könne sich vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 14.03.2019, C-724/17) nicht darauf berufen, dass die Interpretation nicht vorhersehbar gewesen wäre.
15
Die Klagepartei habe ein Gutachten zu einem baugleichen Motor vorgelegt, aus dem sich ergebe, dass das Fahrzeug unter allen Bedingungen außerhalb des Prüfstands ein Mehrfaches an NOx ausstoße. Hier greife der Beweis des ersten Anscheins, dass dies nur durch eine Änderung des Fahrzeugverhaltens auf dem Prüfstand gegenüber dem Normalbetrieb erfolge.
16
Zudem habe die Klagepartei Aufheizstrategie und Lenkwinkelerkennung hinreichend genau beschrieben und greifbare Anhaltspunkte für deren Vorhandensein im streitgegenständlichen Fahrzeug vorgetragen. Sie verweist u.a. auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, sowie die Rechtsprechung des OLG Stuttgart, Urteil vom 16.06.2020, Az 16a U 228/19, und des Brandenburgischen OLG, Beschluss vom 18.11.2020, Az. 11 U 50/19. Es genüge, dass der klägerische Vortrag Umstände anführe, auf die der Verdacht gegründet sei, das Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf. Im vorliegenden Fall genüge es, wenn zur Überzeugung des Gerichts ein Fahrzeugtyp der Motorenfamilie EA 89x softwaretechnisch manipuliert sei, um eine Beweiserhebungspflicht des Gerichts auszulösen.
II.
17
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 30.04.2021, Aktenzeichen 83 O 4166/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
18
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Auf die Stellungnahme der Klagepartei sind noch folgende Ausführungen veranlasst:
1. Soweit die Klagepartei vorträgt, die Beklagte habe im Typgenehmigungsantrag Existenz und Funktionsweise des Thermofensters bewusst verschwiegen, stellt dies eine Vermutung ins Blaue hinein dar. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte nicht ohnehin alle damals erforderlichen Angaben gemacht hat, weil jedenfalls ein vorsätzliches Handeln der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen ist. Ein solches ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH. Wie in der deutschen Rechtsprechung auch, ist die Rechtslage nach einer höchstrichterlichen Entscheidung auch für die Vergangenheit geklärt. Hier geht es aber nicht darum, ob das Thermofenster zum Zeitpunkt des Typgenehmigungsantrags zulässig war, sondern um den Vorsatz der Beklagten zu diesem Zeitpunkt. Dieser ist nach wie vor nicht hinreichend dargelegt. Im Übrigen hat auch der Bundesgerichtshof in seinen jüngsten Entscheidungen vom 16.09.2021, vgl. Pressemitteilung 173/21, einen Anspruch aus § 826 BGB wegen des Thermofensters verneint.
Zum Gutachten des LG Bielefeld wird auf die Ausführungen auf S. 9 des Hinweisbeschlusses verwiesen. Ein Beweis des ersten Anscheins ergibt sich daraus ebenso wenig wie aus den Messergebnissen im Normalbetrieb. Diesen kommt kein Indizcharakter zu; es wird Bezug genommen auf BGH, Urteil vom 13.07.2021, Az.: VI ZR 128/20, Rdnr. 23 a.E.
2. Zur Lenkwinkelerkennung wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss verwiesen. Hinsichtlich der Aufheizstrategie sind keine greifbaren Anhaltspunkte dazu vorgetragen, weshalb der Kläger davon überzeugt ist, dass sie auch in seinem Fahrzeug zum Einsatz kommt (vgl. hierzu II.1.a. des Hinweisbeschlusses).
3. Die von der Klagepartei zitierte Rechtsprechung ergibt keine andere Beurteilung. Insbesondere ergibt sich auch aus den zitierten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Stuttgart und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nicht, dass der hier streitgegenständliche Motor die gleichen Grundkonfigurationen aufweist, wie die zurückgerufenen Fahrzeuge. Motoren der Beklagten mit der Schadstoffklasse 5 wurden wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen nur in der 230 kW BiTurbo-Variante zurückgerufen (vgl. Hinweisbeschluss). Eine Vergleichbarkeit liegt in diesen Fällen ebenso wenig vor wie zu Motoren der Schadstoffklasse 6. Entsprechend führt auch das von der Klagepartei ins Feld geführte technische „clustering“ nicht zu einer anderen Wertung.
19
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
III.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
21
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
22
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.