Inhalt

LG München I, Endurteil v. 15.04.2021 – 8 O 4057/20
Titel:

Vertragsstrafenregelung, Vereinbarte Vertragsstrafe, Vertragsstrafenabzug, Vertragsstrafenvereinbarung, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Schlußrechnung, Besondere Vertragsbedingungen, Nichtzulassungsbeschwerde, Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Leistungsverzeichnis, Auftragnehmer, Bewerbungsbedingungen, Rechtshängigkeit, Streitwert, Werklohnforderung, Umsatzsteuerbetrag, Restwerklohnanspruch, Rechnungsprüfung, Kosten des Rechtsstreits

Schlagworte:
Vertragsstrafe, Vertragsdurchführung, Abrechnung, Werklohn, Verzug, Mängelbeseitigung, Zahlungsverzug
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 18.01.2022 – 9 U 2808/21 Bau
BGH Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2024 – VII ZR 42/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65233

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 284.013,78 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.03.2019 und vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 3.579,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.05.2020 zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 284.013,78 € festgesetzt

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Zahlung restlichen Werklohns im Zusammenhang für ihre Arbeiten betreffend den Glasfaserkabelausbau in M..
2
Die Beklagte bestellte für das Projekt … die Realisierung der Glasfasererschließung gemäß dem Angebot der Klägerin vom 20.04.2016 (Los 1) am 01.06.2016 für die Angebotssumme in Höhe von 5.680.275,54 € netto, zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer (Anlage BF02).
3
Unter dem Oberpunkt „Ausführungsfristen“ steht im Schreiben der Beklagten vom 01.06.20216:
„Fristen für Beginn und Vollendung der Leistung:
Mit der Ausführung ist zu beginnen:
18.07.2016
Leistung ist zu vollenden (abnahmereif fertig zustellen):
30.11.2017
Im Übrigen siehe Ziffer 1.2 der BVB-VOB.“
4
Die Arbeiten, die die Klägerin mit Nachunternehmern erbrachte, wurden am 08.08.2018 fertig gestellt und am 26.09.2018 abgenommen (MEK-Anlage 2).
5
Mit Schlussrechnung vom 18.01.2019 rechnete die Beklagte für die beauftragte Leistungen sowie Nachträge insgesamt 5.126.412,10 € netto, 6.100.430,40 € brutto ab.
6
Die Beklagte hat auf die 1.-34. Abschlagsrechnung 5.310.407,33 € brutto bezahlt (Anlage BF 03 und BF 04).
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Die Beklagte hat – im Hinblick auf eine behauptete Vertragsstrafenregelung – insgesamt 284.013,78 € netto nicht an die Klägerin ausbezahlt. Diese Forderung ist Gegenstand des Rechtsstreits.
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Die Klagepartei führt insbesondere aus, dass zu keiner Zeit wirksam eine Vertragsstrafe vereinbart worden sei. Die Klägerin habe in ihrem neuen Angebot vom 20.04.2016, welches die Beklagte mit dem Bestellschreiben vom 01.06.2016 angenommen habe, nicht das Angebot, eine Vertragsstrafe für verspätete Fertigstellung zu zahlen, aufgenommen. Die Beklagte habe eine solche Vereinbarung auch nicht zum Gegenstand ihres Auftragsschreiben gemacht. Mithin sei die Beklagte nicht berechtigt eine Vertragsstrafe gegen die anerkannte Werklohnforderung zu verrechnen. Es sei während der Bauausführungen zu Planänderungen und Nachträgen der Beklagten gekommen, wodurch der Bauablauf zeitlich verzögert worden sei.
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Die Klagepartei beantragt daher:
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 284.013,78 € nebst Zinsen von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.03.2019 und vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 3.579,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Die Beklagtenpartei beantragt
Klageabweisung.
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Die Beklagte trägt vor, dass sich die Klägerin an der Ausschreibung der Beklagten für das streitgegenständliche Projekt der Glasfasererschließung … (Los 1) und … (Los 2) beteiligt habe. Zur Bewerbung für den Auftrag seien die Bewerbungsbedingungen mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes (Anlage MEK 3) über das Ausschreibungsportal der Beklagten bereitgestellt und durch die Klägerin am 17.02.2016 vollständig mit allen Anhängen und Unterlagen heruntergeladen worden. Die Aufforderung der Beklagten vom 16.02.2016 zur Abgabe eines Angebots beinhalte als deren Anlage B-A 11 die besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten (BVB-VOB). In den besonderen Vertragsbedingungen BVB-VOB sei unter Ziffer 2. die hier streitgegenständliche Regelung zur Vertragsstrafe enthalten.
12
Bei der Anlage B-A 11 handele es sich um besondere Vertragsbedingungen die – wie üblich bei allgemeine Geschäftsbedingungen-, bei der Klägerin gleichwohl Vertragsinhalt geworden seien (Bl. 73 d.A.).
13
Die 35. Abschlagsrechnung in Höhe von netto 85.184,96 € sei daher nicht zur Auszahlung gebracht worden. Den restlichen Betrag bis zur Höhe von netto 284.013,78 € habe die Beklagte bei weiteren Zahlungen in Bezug auf die Schlussrechnung in Abzug gebracht.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie die vorgelegte Unterlagen vollumfänglich Bezug genommen.
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Da es sich vorliegend ausschließlich um Rechtsfragen handelt, zu deren Klärung von den Parteien schriftliche Unterlagen vorgelegt wurden, war eine Einvernahme von Zeugen/Sachverständigengutachten nicht erforderlich.

Entscheidungsgründe

I.
16
Der Restwerklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 284.013,78 € steht der Klägerin in voller Höhe zu. Die Vertragsstrafe verfängt nicht.
1. Vertrag:
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1.1. Nach den Ausführungen der Beklagten Partei wurden die Bewerbungsbedingungen mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (MEK 3) über das Ausschreibungsportal der Beklagten bereitgestellt und konnten durch die Bewerber vollständig mit allen Anhängen und Anlagen heruntergeladen werden. Dass die Klägerin dies getan hat, wird als zutreffend unterstellt. Gegenteiliges wurde nicht behauptet.
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Die Aufforderung zur Abgabe des Angebots beinhaltete als Anlage B-A 11 die besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten (BVB-VOB). Dort ist unter Ziffer 2. folgendes geregelt:
„2 Vertragsstrafen (§ 11 VOB/B)
1. der Auftragnehmer hat bei Überschreitung der unter 1. genannten Einzelfristen oder der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:
(Variante nicht angekreuzt) … € (ohne Umsatzsteuer)
× 0,2 v.H. dem Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer;
Beträge für angebotene Instandhaltungsleistungen bleiben unberücksichtigt. Die Bezugsgröße zur Berechnung der Vertragsstrafen bei Überschreitung von Einzelfristen ist der Teil dieser Auftragssumme, der den bis zu diesem Zeitpunkt vertraglich zu erbringenden Leistungen entspricht.
2. 2. Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt.
2. 3. Verwirkte Vertragsstrafe für den Verzug wegen Nichteinhaltung verbindlichen Zwischentermine (Einzelfristen als Vertragsfristen) werden auf eine durch den Verzug wegen Nichteinhaltung der Frist für die Vollendung der Leistung verbürgte Vertragsstrafe angerechnet.“
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1.2. Die Klägerin hat am 23.03.2016 ein Angebot unterbreitet. Das Angebot umfasst unter anderem die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/B, Ausgabe 2012 (MEK-Anlage 4 Ziffer 1.2. 6. Spiegelstrich).
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1.3. Am 14.04.2016 fand ein Bietergespräch statt (Protokoll zum Bietergespräch MEK Anlage 5). Die Vertragsstrafe wurde – ausweislich des Protokolls – nicht näher individuell erörtert, ein ausdrücklicher Verhandlungsvermerk hierzu fehlt.
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1.4. Die Klägerin legte am 20.04.2016 ein Angebot vor (Anlage BF01). Das Angebot vom 23.03.20216 ist dadurch erloschen, §§ 146, 150 BGB.
22
Das Angebot vom 20.04.2016 (BF 01) enthält eine Bezugnahme auf das Leistungsverzeichnis, jedoch keine ausdrückliche Bezugnahme auf Anlagen bzw. die VOB/B.
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1.5. Die Beklagte beauftragte mit Bestellungsschreiben vom 01.06.2016 die Realisierung der Glasfasererschließung „gemäß Ihrem Angebot vom 20.04.2016 (Los 1)“ (Anlage BF 02 = MEK 1). Auf das alte klägerische Angebot vom 23.03.20216 wurde nicht Bezug genommen.
24
Dass durch das Schreiben vom 01.06.2016 die BVB-VOB vollumfänglich wirksam einbezogen wurde, ergibt sich ausdrücklich nicht. Im Schreiben vom 01.06.2016 ist lediglich auf Ziffer 1.2. der BVB-VOB Bezug genommen.
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Der Werkvertrag wurde daher ausweislich der schriftlichen Unterlagen ausschließlich auf der Grundlage des schriftlichen Angebotes vom 24.04.2016 sowie der schriftlichen Bestellung vom 01.06.2016 geschlossen, § 631 BGB.
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Nach den Ausführungen der Beklagtenpartei war die Klägerin aufgrund des Leistungsverzeichnis vom 19.03.2019 in Position 04.01.0010, Position 04.01.0030 und Position 04.01.0050 sowie Position 04.01.0070 mit der Neuherstellung von insgesamt 1583 Hausanschlüssen für den Glasfaserkabelausbau beauftragt (Bl. 23).
2. Vertragsdurchführung:
27
2.1. Die Klägerin hat die Leistungen unstreitig mit Subunternehmern erbracht (vgl. Bl. 20 d.A. und Schreiben Klägerin vom 09.05.2017 BF 06). Die Abnahme erfolgte erst am 26.09.2018 (Bl. 5 d.A., Bl. 16 d.A.) Abnahmeprotokoll MEK Anlage 2) obwohl die Arbeiten unstreitig am 08.08.2018 fertig gestellt (Bl. 16 d.A.) waren.
28
2.2. Es gab ausweislich der vorgelegten Schreiben der Klägerin und der Beklagten Störungen im Bauablauf aus unterschiedlichen Gründen (Schreiben der Beklagten vom 10.03.20217 MEK 8, vom 04.05.2017 MEK Anlage 9, 29.06.2017 MEK Anlage 10, 03.07.017 MEK Anlage 11 und Schreiben der Klägerin vom 09.05.2017 BF 06, vom 28.06.2017 und Bedenkenanmeldung vom 21.08.2027 Anlagenkonvolut BF 06).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Bauvertrag grundsätzlich ein Kooperationsvertrag. Das bedeutet: Entstehen während der Vertragsdurchführung Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Notwendigkeit oder die Art und Weise einer Anpassung des Vertrages oder seiner Durchführung an geänderte Umstände, sind die Parteien grundsätzlich verpflichtet, durch Verhandlungen eine einvernehmliche Beilegung der Meinungsverschiedenheiten zu versuchen.
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Obwohl vorliegend bei Vertragsschluss absehbar war, dass es sich um eine relativ kurze Ausführungsdauer vom 18.07.2016 bis 30.11.2017 für die Neuherstellung von über 1500 Glasfaseranschlüssen im Großstadtgebiet M. handelte und die somit recht knapp bemessen war, erfolgte die Vereinbarung eines neuen Fertigstellungstermins nicht.
31
Kommt es bei einem unter strengen Zeitdruck bemessenen, im Verhältnis zur Erfüllung der Leistung zu knappen Ausführungszeitraum und es treten während der Ausführung nicht nur vom Auftragnehmer zu vertretende Verzögerungen ein, ist der gesamte Zeitplan umgeworfen, mit der Folge, dass eine vereinbarte Vertragsstrafe ganz entfällt (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 29.02.2016 28 U 3609/15, BGH Beschuss vom 25.04.2018 VII ZR 65/16 Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen in IBR 2019, 308).
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Das ist hier der Fall. Die unstreitigen Ausführungen in den Schriftsätzen der beiden Parteien sowie die vorgelegten Unterlagen belegen Schwierigkeiten bei der Bauausführung.
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2.3. Außerdem kam es unstreitig zu Planänderungen während der Bauphase (Bl. 4 und Bl. 20) aufgrund zwischenzeitlicher Veränderungen des baulichen Bestandes der Endkunden durch Abriss, Umbau oder Neuerrichtungen von Häusern (Bl. 21 d.A.). Außerdem kam es nach Vertragsschluss zu „Nacherschließungen“ (vgl. E-Mail der Beklagte vom 16.01.2018, Anlage BF 04) und zu unstreitigen Nachträgen (vgl. BF 03 und 04 E-Mail Beklagte vom 30.03.2020 Abrechnungsprüfung).
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Augenscheinlich ist, dass diese Umstände in der Gesamtschau zu zeitlichen Verzögerungen führen können und auch geführt haben.
35
Es hätte daher aus den obengenannten Gründen ein neuer Fertigstellungstermin vereinbart werden müssen, so dass der in der Bestellung vom 01.06.2016 genannte Fertigstellungstermin bis zum 30.11.2017 im Ergebnis ganz entfallen ist.
3. Abrechnung:
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3.1. Die Klägerin rechnet mit Schlussrechnung vom 18.01.2019 prüfbar nach den Positionen des Leistungsverzeichnisses in Höhe von 4.783.123,53 € netto ab (vgl. BF 01 S. 5).
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3.2. Die Beklagte hat hiervon nach Rechnungsprüfung 4.766.312,36 € freigegeben (vgl. Anlage BF 04, E-Mail vom 30.03.2020, Anlage Plausibilitätskontrolle der SR-Massen zur Schlussrechnung 5208265 vom 18.01.2019 S. 2 oben).
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3.3. Hinzukommen Nachträge in Höhe von 112.311,64 € netto (Anlage BF 03 S. 6), die die Beklagte in voller Höhe freigegeben hat (vgl. a.a.O. S. 1).
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3.4. Von der Werklohnforderung hat die Beklagte 4.445,00 € Abzug wegen unvollständiger Mängelbeseitigung gemacht (Anlage BF 04 S. 3).
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Dieser Abzug wurde von der Klägerin offenbar hingenommen, da sie nur gegen den Vertragsstrafenabzug konkret vorgeht.
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Außerdem wurde ein Ausgleich Minder-/Mehrmengen in Höhe von 46.409,39 € gemacht (Anlage BF 04 S. 3), gegen die Klägerin ebenfalls keine Einwände erhoben hat.
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3.5. Die Zahlungen der Beklagten betragen unstreitig (Schlussrechnung Anlage BF 03 S. 7 und BF 04 E-Mail der Beklagten vom 30.03.2020 S. 3 Rechnungsprüfung) in Höhe von 5.310,407,33 € brutto (BF 03 und BF 04) und 206.029,09 € brutto (BF 04 a.a.O.).
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3.6. Von der Schlussrechnungssumme hat die Beklagte eine Vertragsstrafe in Höhe von 284.013,78 € abgezogen (vgl. Anlage BF 04 S. 2).
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Mit Schreiben vom 02.08.2018 teilte die Beklagte mit, dass sie die in Ziffer 2. der besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) – vorgelegt als Anlage B-A 11 der Bewerbungsbedingungen zur Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes vom 16.02.20216, MEK-Anlage 3 – genannte Vertragsstrafe wegen schuldhafter Überschreitung des Fertigstellungstermins vom 30.11.2017 geltend mache.
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Die Beklagte hat die Vertragsstrafe wie folgt berechnet (MEK-Anlage 13): nach Ziffer 2. 1. BVB-VOB B beträgt die Vertragsstrafe 0,2 % der netto-Auftragssumme die Werktage des Verzugs. Berechnet wurden 233 Werktage mal 11.360,55 € (0,2 % der Nettoauftragssumme von 5.680.275,54 €) = 284.013,78 €.
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3.7. Vorliegend verfängt die Vertragsstrafe nicht, aus den nachfolgenden Gründen:
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3.7.1. Die Vertragsstrafe wurde -wie oben unter Ziffer 1. bereits dargelegt- zwischen den Parteien im Angebot vom 20.04.2016 und der Bestellung vom 01.06.2016 nicht wirksam vereinbart.
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Die Beklagte führt selbst aus, dass es bei der Anlage B-A 11, den besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt (Bl. 73 d.A.).
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Die Vertragsstrafe ist in Ziffer 2. der Anlage B-A 11 der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes vom 16.02.2016 (MEK-Anlage 3) enthalten.
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Weder das Angebot der Klägerin 20.04.2016, noch die Bestellung der Beklagten vom 01.06.2016 nehmen hierauf Bezug. Im Schreiben vom 01.06.2016 wird lediglich auf Ziffer 1.2. der BVB-VOB Bezug genommen.
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3.7.2. Die Ausführungen der Beklagten in nachgelassener Schriftsatzfrist verfangen nicht:
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Selbst wenn die Klägerin die „Bewerbungsbedingungen“ (Bl. 73 d.A.) mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes über das Ausschreibungsportal der Beklagten am 17.02.2016 vollständig mit allen Anhängen und Unterlagen heruntergeladen hat, handelt es sich nicht um eine Vereinbarung und selbstredend nicht um ein individuelles Aushandeln im Sinne des Gesetzes.
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3.7.3. Selbst wenn die Vertragsstrafe in Ziffer 2. der BVB-VOB Anlage B-A 11 durch bloßes Herunterladen der Klägerin am 17.02.2016 aus dem Portal der Beklagten „vereinbart“ worden wäre – wie nicht, ist hilfsweise zur Inhaltskontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 307 BGB) auszuführen:
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a) Der BGH entscheidet in ständiger Rechtsprechung, dass eine Vertragsstrafenvereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch die Interessen des Auftragnehmers ausreichend berücksichtigen muss.
55
Die Vertragsstrafe ist einerseits ein Druckmittel, um die termingerechte Fertigstellung des Bauwerks zu sichern, andererseits bietet sie die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung ohne Einzelnachweis (BGH, Urteil vom 18. November 1982, a.a.O.; Urteil vom 20. Januar 2000 – VII ZR 46/98, a.a.O.).
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Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Vertragsstrafe muss auch unter Berücksichtigung ihrer Druck- und Kompensationsfunktion in einem angemessen Verhältnis zu dem Werklohn stehen, den der Auftragnehmer durch seine Leistung verdient. Die Schöpfung neuer, vom Sachinteresse des Auftraggebers losgelöster Geldforderungen ist nicht Sinn der Vertragsstrafe (BGH, Urteil vom 18. November 1982, a.a.O. S. 313 f.). So soll insbesondere der Gewinn des Auftragnehmers nicht dadurch aufgezehrt werden (BGH, Urteil vom 17. Januar 2002 – VII ZR 198/00, BauR 2002, 790, 792 = NZBau 2002, 385 = ZfBR 2002, 471).
57
Vorliegend sollte die Fertigstellung bis zum 30.11.2017 erfolgen, erhebliche Nachteile sind der Beklagten durch die kurze Verzögerung der Fertigstellung inklusive der Nachträge am 08.08.2018 offenbar nicht entstanden. Zu beachten hierbei ist zudem, dass die Beklagte selbst es mit der Abnahme offenbar nicht eilig gehabt hat, da diese einen Abnahmetermin erst zum 05.09.2018 vorgeschlagen hat (Bl. 25 d.A.), laut Abnahmeprotokoll wurde die Abnahme letztlich rund 1,5 Monate nach Fertigstellung am 26.09.2018 durchgeführt wurde. Zudem wurde der Klägerin eine Frist zur Mängelbeseitigung bis zum 30.11.2018, also weitere 2 Monate später, eingeräumt (vgl. MEK-Anlage 2).
58
Es scheint daher in der Gesamtschau der durch die Unterlagen bestätigten Vorgänge treuwidrig, auf die ursprüngliche Fertigstellung am 30.11.2017 zu pochen, in dem der tatsächliche Ablauf ignoriert wird, der Werklohn der Klägerin jedoch durch den Abzug nicht nur unerheblich gemindert wird, § 242 BGB
59
b) Hinzukommt, dass der Beklagten kein montärer Schaden durch die verzögerte Fertigstellung entstanden ist, wie es beispielsweise der Fall wäre bei der verspäteten Fertigstellung einer Eigentumswohnung, wenn der Erwerber bis zum Erstbezug noch Miete für die bisherige Wohnung entrichten müsste.
60
Insoweit wäre die Beklagte ausreichend durch die Möglichkeit geschützt, den Schadensersatzanspruch gesondert zu verfolgen (BGH, Urteil vom 20. Januar 2000 – VII ZR 46/98, BauR 2000, 1049 = NZBau 2000, 327 = ZfBR 2000, 331).
61
c) Der BGH hat im Urteil vom 13. Dezember 2001 (VII ZR 432/00, BGHZ 149, 283, 287) entschieden, dass die Regelung des § 11 Nr. 2 VOB/B nach ihrem Sinn und Zweck die im Vertrag an anderer Stelle getroffene Vertragsstrafenvereinbarung ergänzt, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben.
62
Vorliegend haben die Parteien haben durch den Klammerzusatz nach Ziff. 2 BVB-VOB B-A 11 deutlich gemacht, dass § 11 VOB/B Anwendung findet. Demnach wäre auch vereinbart, dass die Vertragsstrafe den Verzug des Auftragnehmers voraussetzt. Dieser wiederum setzt dessen Verschulden voraus.
63
Allein der Umstand einer zeitlich späteren Fertigstellung der Leistungen belegt noch nicht das für die Verwirkung einer Vertragsstrafe nötige Verschulden des Auftragnehmers (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 04.07.2012, 13 U 63/08).
64
Zwar muss sich der Auftragnehmer für sein fehlendes Verschulden an der Terminüberschreitung entlasten, § 286 Abs. 4 BGB, dies ist jedoch vorliegend in der Gesamtschau der Umstände aufgrund der vorgelegten Unterlagen ohne weiteres festzustellen:
65
Die unstreitigen Planänderung durch Abriss/Neubau/Umbau von Häusern der Endkunden der Glasfaseranschlüsse, die unstreitig vergüteten Nachträge und die damit naturgemäß verbundenen zeitlichen Verzögerungen bei der Bauleistung sowie das klägerische Schreiben vom 21.08.2017, worin schriftlich Bedenken gegen die von der Beklagten geplante weitere Bauausführung anmeldet und auf weitere Zeitverzögerungen hingewiesen wurde, entlasten die Klägerin.
66
Somit verfängt die Vertragsstrafenregelung in Ziffer 2. der BVB-VOB der Beklagte nicht. Der Abzug der Vertragsstrafe in Höhe von 284.013,78 € ist daher nicht berechtigt.
II. Somit ergibt sich folgende Abrechnung des klägerischen Restwerklohns:
1) Summe Leistungsverzeichnis netto: 4.766.312,36 €
2) Summe Nachträge netto 112.311,64 €
3) Abzug Vertragsstrafe 284.013,78
4) Zzgl. Ausgleich Minder-/mehr Mengen: 46.409,39 €
5) Abzug unvollständiger Mängelbeseitigung: 4.445 € Summe netto: 4.636.574,61 €
6) abzüglich Position Summe netto abzüglich Position 07.01.00105 verkehrsrechtliche Genehmigung 5.723 € da umsatzsteuerfrei
7) 19 % Umsatzsteuer hieraus 879.861,81
Summe brutto 5.516.436,42 €
8) Zzgl. 284.013,78 (ohne Umsatzsteuer), da Abzug der Vertragsstrafe unter 3) unberechtigt war
9) Summe brutto neu: 5.800.450,00 €
10) Abzug erhaltene Zahlungen 5.310.407,33 € brutto
Zwischensumme offener Restwerklohn: 490.042,80 € brutto
11) Abzug weiterer Auszahlungsbetrag der Beklagten: 206.029,09 € brutto
noch offener Restwerklohn: 284.013,78 €.
67
Die Klägerin verfolgt mit der Klage eine Zahlung der Beklagten in Höhe von 284.013,78 €. Die Klage ist daher vollumfänglich begründet.
III. Kosten/Zinsen/Anwaltskosten/vorläufige Vollstreckbarkeit/Streitwert:
68
1. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 ZPO.
69
2. Die Zinsfolge ergibt sich aus §§ 286 Abs. 3, 288 Abs. 3 BGB, nach dem Zugang der klägerischen Schlussrechnung vom 18.01.20219 am 07.02.2019 (Bl. 6 d.A.) ist die Beklagte seit 08.03.2019 (BF 04) im Zahlungsverzug.
70
3. Das anwaltliche Honorar beträgt 3.579,50 € (1,5 Geschäftsgebühr aus 284.013,78 € § 13 RVG, Nr. 2300 VV RVG = 3559,50 € Post- und Telekommunikation, Nummer 7 002 VV RVG 20,00 € = 3.579,50).
71
Dieser Betrag wird seit Rechtshängigkeit (Zustellung der Klage am 07.05.2020 Bl. 12 d.A.) und somit seit 08.05.2020 geschuldet, § 288 Abs. 1 BGB.
72
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung, § 709 ZPO.
73
5. Der Streitwert beträgt aufgrund der Höhe der Klageforderung 284.013,78 €, § 3 ZPO.