Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 12.02.2021 – 20 U 6129/20 Bau
Titel:

Sachverständigenfeststellung, Sachverständigenbeweis, Nachbesserungsansprüche, Berechtigtes Interesse, Beschaffenheitsvereinbarung, selbständiges Beweisverfahren, Vereinbarte Beschaffenheit, Landgerichte, Feststellungsinteresse, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Auftragsbestätigung, Streitwert, Hauptsacheverfahren, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Feststellungsantrag, Grobes Mißverhältnis, Handelnfür, Gelegenheit zur Stellungnahme, Konstitutives Schuldanerkenntnis, Ausschluss des Anspruchs

Schlagworte:
Vorschussanspruch, Mangelhaftigkeit des Werkes, Ausschluss des Anspruchs, Leistungsinteresse des Klägers, Schadensersatzanspruch, Feststellungsinteresse, Freistellung von Rechtsanwaltskosten
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 22.09.2020 – 73 O 4326/19
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 14.04.2021 – 20 U 6129/20 Bau
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 21.06.2023 – VII ZR 439/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64900

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 22.09.2020, Az. 73 O 4326/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf 45.268,82 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 12.03.2021.

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.
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1. Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung des begehrten Vorschusses nach § 637 Abs. 3 BGB verurteilt.
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a) Das Werk war durchgehend mangelhaft iSv. § 633 Abs. 2 S. 1. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, wonach die ursprünglich vereinbarte Beschaffenheit von „Kalkputz“ erweitert wurde auf „Kalk-Gips-Putz mit einem hohen Kalkanteil“. Dies ergibt sich bereits aus dem vorgelegten Schriftverkehr. Unabhängig davon, ob nach den heute geltenden DIN-Normen für Werktrockenmörtel noch eine Unterscheidung zwischen Kalk-Gips-Putz einerseits und Gips-Kalk-Putz andererseits gemacht wird, war damit für die fachkundige Beklagte offensichtlich, dass der Kläger nur soweit wie notwendig von dem ursprünglich gewünschten reinen Kalkputz abweichen wollte, so dass der verwendete Putz, der nach den Feststellungen des Sachverständigen im Bindemittel weniger als die Hälfte Kalkanteil aufweist, jedenfalls nicht der vereinbarten Beschaffenheit entspricht. Gleiches gilt für die vereinbarte Putzkorngröße von 0,6 mm. Der Sachverständige hat festgestellt, dass der verwendete Putz eine Korngröße von bis zu 1 mm aufweist, was eine nicht nur unerhebliche Überschreitung von 66% bedeutet. Schließlich entsprach der in den Bädern verwendete Kalkzementputz nicht der getroffenen Vereinbarung.
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b) Zu Recht hat das Landgericht einen Ausschluss des Anspruchs nach § 635 Abs. 3 BGB abgelehnt. Der für die Mängelbeseitigung erforderliche Aufwand steht in keinem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Klägers, §§ 635 Abs. 3, 275 Abs. 2 BGB. Der Kläger hat, bestätigt durch die Zeugin H., dargetan, dass ihm die Art des Putzes aus Gründen des Gebäudeklimas und der Gesundheit wichtig ist.
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Es genügt, dass der Kläger hier einen Zusammenhang sieht, zumal dieser Zusammenhang aufgrund der physikalischen Eigenschaften eines Kalkputzes auch nicht fernliegt. Das Interesse des Klägers, einen Putz zu erhalten, der jedenfalls nach seinen Vorstellungen für den Zustand des neugebauten Wohnhauses und für die Gesundheit der darin lebenden Bewohner dauerhaft von positiver Wirkung ist, ist – unabhängig von der Frage, ob die Beklagte diese Einschätzung des Klägers teilt – ein berechtigtes Interesse, welches auch hohe Kosten der Nachbesserung rechtfertigt. Bei der Abwägung ist zudem zu berücksichtigen, dass das Werk der Beklagten unter zwei Aspekten mangelhaft ist, wodurch das Leistungsinteresse des Klägers umso berechtigter erscheint. Die vom Landgericht zusätzlich herangezogene Überlegung, die Beklagte habe den Kläger durch Täuschung über eine angebliche Empfehlung eines Beraters der Fa. K. dazu gebracht, vom ursprünglich vereinbarten reinen Kalk-Putz auf einen Kalk-Gips-Putz auszuweichen, wird vom Senat geteilt, spielt aber hier keine entscheidende Rolle mehr. Die Kosten der Nachbesserung sind auch nicht unverhältnismäßig, da der Wert des Werkes schon nicht geringfügig ist und ein Putz aus reinem Kalk oder mit einem hohen Kalkanteil zumindest bei Personen, denen eine besonders ökologische Bauweise wichtig ist, als höherwertig angesehen wird. Hinzu kommen die nicht in Geld messbaren Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner, die zumindest nicht ausgeschlossen werden können. Soweit die Kosten dadurch erhöht sind, dass das Gebäude mittlerweile bewohnt wird (Hotelkosten, Möbelschutz u.ä.), kann sich die Beklagte hierauf nicht berufen, da der Streit über die ordnungsgemäße Ausführung der Arbeiten offensichtlich schon bestand, als das Haus noch nicht bezogen war.
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c) Da der nach den Berechnungen des Sachverständigen verlangte Vorschuss ausdrücklich keine Kosten für die Nachbesserung der Bäder beinhaltet, wird auch ausreichend berücksichtigt, dass durch die mit dem Kläger besprochenen Überputzungen in den Bädern der Nachbesserungsanspruch des Klägers insofern erloschen sein dürfte.
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2. Die Verurteilung zur Erstattung der Schäden an den Fensterbänken erfolgte ebenfalls zu Recht. Die Zeugin H. hat die Beschädigungen als solche bestätigt, die Beklagte hatte eine Erstattung vorgerichtlich sogar bereits zugesagt. Soweit die Beklagte die Höhe der Kosten „mit Nichtwissen“ bestritten hat, kommt es nicht darauf an, ob das Bestreiten mit Nichtwissen hier prozessual zulässig war, da es in jedem Fall angesichts der vorgelegten Rechnungen zu unsubstantiiert war. Eine Aufrechnung mit Kosten für den Überputz im Bad kommt nicht in Betracht, da es sich insofern um eine Maßnahme der Mängelbeseitigung handelt, für die die Beklagte aufkommen musste. Die ausweislich Anl. B11 möglicherweise erzielte abstrakte „Einigung“, sich die Kosten zu teilen, ändert daran nichts. Insbesondere ist ein konstitutives Schuldanerkenntnis des Klägers weder vorgetragen noch ersichtlich.
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3. Da der verlangte Vorschuss bisher lediglich auf einer Schätzung beruht, besteht ein Feststellungsinteresse für den darüberhinausgehenden Feststellungsantrag.
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4. Die Einwendungen der Beklagten gegen ihre Verurteilung in diesem Umfang greifen nicht durch:
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a) Die Vereinbarung eines „Kalk-Gips-Putzes mit hohem Kalkanteil“ ergibt sich aus dem vorgelegten Schriftverkehr, weder hat die Zeugin H. ausgesagt, beim Abschluss einer Vereinbarung anwesend gewesen zu sein, noch hat das Landgericht dies so seiner Würdigung zugrunde gelegt. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, der Kläger habe in einen „Kalk-Gips-Putz“ eingewilligt und einen hohen Kalkanteil gewünscht (§§ 16.3.2020, S. 3 = Bl. 33 d.A.), die von ihr behauptete spätere Einigung auf das Produkt Knauf MP75 Edelfilz konnte sie nicht nachweisen. Zu Recht hat das Landgericht die hierzu angebotene Parteieinvernahme der Geschäftsführerin der Beklagten nicht durchgeführt, da die Voraussetzungen der §§ 447 oder 448 ZPO nicht vorlagen. Der E-Mail des Klägers vom 18.11.2016 (Anl. B4) war auch keinesfalls zu entnehmen, dass er ohne Rücksprache auch mit jedem anderen Putz, insbesondere einem Gips-Kalk-Putz mit weniger als 50% Kalk im Bindemittel, einverstanden sein würde. Sollte die Beklagte die Auffassung vertreten, dass aufgrund ihrer Antwort-E-Mail eine Zustimmung der Beklagten zu einer Änderung der Beschaffenheitsvereinbarung auf den vom Kläger akzeptierten „KalkGips-Putz mit hohem Kalkanteil“ nicht vorläge, würde dies sogar dazu führen, dass keine Änderung der Beschaffenheitsvereinbarung zustande gekommen wäre und jeder Putz, der kein reiner Kalk-Putz ist, mangelhaft iSv. § 633 Abs. 2 S. 2 BGB wäre.
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b) Die Vereinbarung der Körnung ergibt sich aus der Auftragsbestätigung (Anl. K1) und dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien, dass statt „6 mm“ tatsächlich „0,6 mm“ gemeint sei. Anders als es die Beklagte darstellt, hat der Sachverständige insofern nicht nur Vortrag der Parteien wiedergeben, sondern eigene Feststellungen zur tatsächlichen Korngröße getroffen (Gutachten vom 9.11.2018, S. 16, Punkt 56; S. 18 Punkt B). Damit kommt es auf die – soweit ersichtlich im Hauptsacheverfahren bisher nicht erhobene und unter Beweis gestellte – Behauptung der Beklagten, sie habe extra für die Wünsche des Klägers eine Sondermischung hergestellt, nicht mehr an.
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c) Dem angebotenen Sachverständigenbeweis zum Sinn eines gipsgebundenen Materials musste das Landgericht nicht nachgehen, weil es allein darum geht, was mit dem Kläger vereinbart wurde, nicht, was vernünftig gewesen wäre.
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d) Ob, wie die Beklagte behauptet hat, kein Kalk-Gips-Putz mit überwiegendem Kalkanteil auf dem Markt existiert, musste das Landgericht nicht aufklären. Wäre die Behauptung richtig, hätte die Beklagte den Kläger hierüber aufklären müssen, statt ohne Rückfrage einen Gips-Kalk-Putz mit einem Kalkanteil von unter 50% zu verwenden. Der Kläger weist insofern zu Recht darauf hin, dass für den Kläger die Alternative darin hätte bestehen können, darauf zu warten, dass die Wände stärker trocknen. Im Übrigen ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen, dass es im Bereich der baustellengemischten Putze sogar nach den heute geltenden DIN-Normen Kalk-Gips-Putze mit einem festgelegten Kalkanteil gibt. Eine Beschränkung des Angebots der Beklagten auf Werktrockenmörtel lässt sich der Auftragsbestätigung nicht entnehmen.
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e) Die Ausführungen der Beklagten zu Zuschlagstoffen, die im Ergebnis dazu führen könnten, dass nach dem Abbindeprozess genauso viel Kalksteinanteil in einem Gips-Kalk-Putz enthalten sein könne wie in einem Kalk-Gips-Putz, vermögen an den getroffenen Feststellungen des Sachverständigen nichts zu ändern. Dieser hat Proben des konkret verwendeten Putzes untersucht und einen Kalkanteil von unter 50% festgestellt. Es ist davon auszugehen, dass der Abbindeprozess entweder zu diesem Zeitpunkt schon beendet war, so dass weitere Steigerungen nicht zu erwarten sind, oder dass – wie die Beklagte an anderer Stelle ausgeführt hat – der Abbindeprozess bis zu 6 Jahre dauert, was aber für die Bewohner bedeutet, dass zumindest in diesen 6 Jahren nur ein geringerer Kalkanteil im Putz enthalten ist. Die Einholung eines weiteren (angebotenen) Gutachtens zu diesem Punkt war nicht geboten.
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Zweifel an der Richtigkeit der sachverständigen Feststellungen sind nicht dargetan, insbesondere hat der Sachverständige auf entsprechenden Einwand der Beklagten erklärt, dass das von ihm gewählte Verfahren zur Bestimmung der Bindemittelanteile dem üblichen und anerkannten Vorgehen entspreche. Soweit die Beklagte sich auf ein Schreiben des von ihr benannten Zeugen Dr. E. (Mitarbeiter der Fa. K.) beruft, wonach ein anderes Verfahren zur Anteilsbestimmung hätte verwendet werden müssen, ergeben sich hieraus keine Zweifel iSv. § 412 ZPO.
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f) Entgegen der Darstellung der Beklagten hat das Landgericht keinen weiteren Mangel angenommen, „wenn“ Gips-Kalk-Putz bei der Abbindephase eher zu Schimmelbildung neigt. Vielmehr hat das Landgericht – zutreffend – im Rahmen der Abwägung des berechtigten Interesses des Klägers (§ 635 BGB) auf einen entsprechenden Unterschied zwischen kalkgebundenen Putzen und Putzen mit hohem Gipsanteil abgestellt. Diese Überlegung beruht auf entsprechenden Ausführungen des Sachverständigen.
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g) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass es gefühlt keinen Unterschied mache, ob die Wände mit Kalk-Gips-Putz oder Gips-Kalk-Putz verputzt seien. Abgesehen davon, dass nicht nur „fühlbare“, sondern ggf. auch „messbare“ Unterschiede ein berechtigtes Interesse des Klägers begründen können, ist nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass auch die Menge des Gipsanteils im Putz einen Unterschied hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften des Putzes macht. Der Sachverständige hat auf Nachfrage hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass er den mangelhaften Putz als „sensorisch wahrzunehmende Unregelmäßigkeit“ einstufen würde, deren Gewicht er als „mäßige Beeinträchtigung“ nach der Mängelmatrix eines Fachbuches bezeichnen würde, vergleichbar mit dem Fehlen von etwas Leistung bei einem Fahrzeugmotor (Gutachten vom 11.2.2019, S. 7 Punkt 15).
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Dem – im übrigen unsubstantiierten – Beweisangebot der Beklagten, ein Gutachten zum Beweis zu erholen, dass „durch die propagierte Sanierungsmaßnahme der Kläger nichts anderes erhält an herausgestellten baubiologischen Eigenschaften“ (§§ 16.3.2020, S. 9 = Bl. 40 d.A.) musste das Landgericht daher nicht nachgehen.
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h) Wie ausgeführt, musste das Landgericht angesichts der detaillierten Rechnungen und dem lediglich unsubstantiierten Bestreiten der Höhe nach und dem vorgerichtlichen Anerkenntnis der Beklagten (E-Mail vom 18.12.2016, Anl. B4; anwaltliches Schreiben vom 28.3.2017, Anl. A9 in OH-Verfahren) keine weitere Beweisaufnahme über die Höhe der Kosten für die Beseitigung der Beschädigungen durchführen.
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5. Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte gegen die Verpflichtung zur Freistellung des Klägers von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Diese hat die Beklagte schon deshalb zu tragen, weil es sich um Kosten der Nacherfüllung i.S.d. § 635 Abs. 2 BGB handelt (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2018 – VIII ZR 66/17, NJW 2019, 292/299 Rn. 86 ff. zu § 439 BGB; Palandt/Retzlaff BGB 80. Aufl. 2021 § 635 Rn. 6).
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6. Zu Recht hat das Landgericht die Kosten auch des selbständigen Beweisverfahrens der Beklagten auferlegt, da ein Teil der behaupteten Mängel bestätigt wurde und zur (vollen) Verurteilung der Beklagten im Hauptsacheverfahren führte. Ein Fall des § 96 ZPO liegt nicht vor; selbst wenn der Sachverständige einige der behaupteten Mängel nicht bestätigt hat, sind hierdurch keine ausscheidbaren Mehrkosten entstanden, ebenso haben die verneinten Mängel keine Auswirkung auf den Umfang des mit der Klage verfolgten Anspruchs gehabt.
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7. Streitwert: 38.080,- € + 1.188,82 € (Verurteilung Ziff. 1 und Ziff. 2) + 6.000,- € (Ziff. 3).
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Der Senat legt der Beklagten nahe, die Berufung zurückzunehmen. Auf Ziffer 1222 KV-GKG wird hingewiesen.