Titel:
Unklare Verkehrslage, Gesamtschuldnerische, Doppelte Rückschaupflicht, Stundenverrechnungssätze, Vollstreckungsschutz, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Sachverständigenkosten, Informatorische Anhörung, Reparaturkosten, Schadenspauschale, Streitwert, Elektronischer Rechtsverkehr, Referenzwerkstatt, Elektronisches Dokument, Haupt- und Hilfsanträge, Straßenverkehrsrecht, Erhöhte Betriebsgefahr, Hilfsantrag, Haftungsquote, Teilweise Klageabweisung
Schlagworte:
Schadensersatz, Haftungsverteilung, Verkehrsunfall, Betriebsgefahr, Verursachungsanteil, Reparaturkosten, Nutzungsausfallersatz
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64709
Tenor
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger weitere 517,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.11.2019 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger jedweden weiteren Schaden aufgrund des Verkehrsunfalls vom 14.09.2019 in H. (9. H., Schadennummer der Beklagten: …) zu 40% zu erstatten.
3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Klägervertreter weitere 78,89 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.11.2019 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 88 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 12 % zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die jeweils andere Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die vollstreckende Partei nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Der Streitwert wird auf 8.086,05 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Streitgegenständlich sind Ansprüche auf Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 14.09.2019 gegen 15:45 Uhr in H.
2
Der Kläger ist Halter und Eigentümer des im Unfallzeitpunkt ca. acht Jahre alten Pkws Ford, amtl. Kennzeichen … Er fuhr mit diesem auf der V. Straße aus Richtung V. kommend in Richtung H./W., um auf dem Parkplatz des Fußballplatzes H. zu parken. Außer auf der Rasenfläche war kein Parkplatz frei. Diese wird bei Fußballspielen regelmäßig als Parkfläche genutzt.
3
Um zu diesem freien Platz zu gelangen, fuhr der Kläger am Parkplatz vorbei, bog rechts in Richtung des Industriegebiets ab, wendete und fuhr wieder zurück, mithin nach links abbiegend, in die V. Straße ein – nunmehr also in entgegengesetzter Fahrtrichtung – um zurück zur Parkfläche zu gelangen.
4
Der Beklagte zu 1) fuhr zeitgleich mit seinem im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Motorrad, amtl. Kennzeichen …, auf selber Straße und in selber Fahrtrichtung (Richtung V. fahrend) hinter dem Kläger.
5
Der Beklagte zu 1) versuchte den Kläger links zu überholen und scherte hierzu nach links aus. Auf Höhe des Fußballplatzes bog der Kläger nach Betätigung des linken Blinkers nach links in Richtung Rasenfläche ab. Es kam es zur Kollision der Fahrzeuge.
6
Der Kläger forderte die Beklagten wiederholt zur Regulierung auf mit anwaltlichen Schreiben vom 23.09.2019, 07.10.2019 und 05.11.2019.
7
Die Beklagte zu 2) regulierte hieraufhin einen Gesamtbetrag von 2.755,95 € auf Basis einer Haftungsquote von 1/3. Hinsichtlich außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten regulierte die Beklagte zu 2) 334,75 €.
8
Der Kläger behauptet, er habe sich auf seiner Fahrbahnhälfte eingeordnet und die Abbiegeabsicht frühzeitig durch Betätigen des Blinkers angekündigt. Die Abbiegeabsicht sei für den Beklagten zu 1) erkennbar gewesen, während er selbst den Überholvorgang nicht habe erkennen können. Der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen. Der Beklagte zu 1) habe sich zudem mit überhöhter Geschwindigkeit, mithin mit über 70 km/h, angenähert.
9
Er beziffert seine Schäden wie folgt:
„Reparaturkosten nach erholtem Privatgutachten 7.304,67 €
Minderwert 250,00 € Nutzungsausfallentschädigung 38 €
Sachverständigenkosten 727,33 €
Zudem macht er den Ersatz einer Auslagenpauschale von 30,00 € geltend. Er habe das Fahrzeug in Eigenregie bis zum 18.10.2019 repariert. Er nutze das Fahrzeug seither weiter.“
10
Aufgrund des Unfalls drohe ihm ein Rückstufungsschaden bzw. Rabattverlust bei seiner Vollkaskoversicherung, soweit eine Alleinhaftung der Beklagten nicht festgestellt wird.
11
Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte zu 2) habe trotz Vorliegens einer unklaren Verkehrslage überholt und hierbei die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet. Die Beklagten seien daher vollumfänglich einstandspflichtig.
12
Der Kläger beantragte zuletzt,
- 1.
-
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 6.886,05 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.11.2019 zu zahlen.
- 2.
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Hilfsweise zu 1.: Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger jedweden weiteren Schaden aufgrund Verkehrsunfalls vom 14.09.2019 in H. (9. H., Schadennummer der Beklagten: … pol. Az. BY2219-006791-19/6) zu erstatten.
- 3.
-
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Klägervertreter 767,79 € an vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.11.2019 zu zahlen.
13
Die Beklagten beantragten,
Die Klage wird abgewiesen.
Hilfsweise wird Vollstreckungsschutz beantragt.
14
Die Beklagten trugen vor, der Beklagte zu 1) habe das klägerische Wendemanöver beobachtet und habe daher nicht mit einem zeitnahen erneuten Abbiegen des Unfallgegners gerechnet. Er habe sich zum Überholen aufgrund seiner weit höheren Geschwindigkeit entschlossen und seine Absicht durch Blinken angekündigt, bevor er ausgeschert sei. Der Kläger habe den Blinker plötzlich, jedenfalls nicht rechtzeitig, betätigt und sei unvermittelt nach links gefahren, als der Beklagte zu 1) bereits im Überholvorgang begriffen war. Dieser habe noch versucht, die Kollision mittels Vollbremsung zu verhindern.
15
Hinsichtlich der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs machen die Beklagten geltend, die Beschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs sei binnen sechs Tagen möglich. Die Reparaturkosten seien überhöht hinsichtlich der Stundenverrechnungssätze sowie der Preise für Ersatzteile und Kleinersatzteile. Die Reparatur sei bei den Referenzwerkstätten … – zertifizierten Eurogarant Fachbetrieben und DEKRA zertifizierte Innovationgroup Fachbetriebe – günstiger möglich gewesen. Diese befänden sich in 10,6 bzw. 22,1 km Entfernung zum klägerischen Wohnort, würden in gleicher Qualität wie eine markengebundene Fachwerkstatt arbeiten und böten einen Hol- und Bringservice für beschädigte Fahrzeuge an. Bei diesen Betrieben wären lediglich hinsichtlich des Arbeitslohns Kosten von 2.234,70 € angefallen. Auch die Kosten der Hohlraumkonservierung (70,20 € + Materialkosten in Höhe von 10,00 €) sowie die Lackierkosten (1.126,60 € + Materialkosten von 394,31 €) seien dort geringer. Diese günstigeren Preise würden nicht auf Sonderabreden der Beklagten zu 2) mit den Betrieben beruhen, sondern seien jedem zugänglich.
16
Die Kosten für Ersatzteile seien auf 3.166,23 € zu kürzen. Hinsichtlich des hinteren linken Reifens ergebe sich eine Verbesserung durch den Austausch, weshalb ein Abzug vom Reifenpreis in Höhe von 63% vorzunehmen sei. Die Materialpauschale für Kleinersatzteile in Höhe von 65,60 € sei nicht ersatzfähig.
17
Die Beklagten sind der Ansicht, der Kläger habe gegen seine doppelte Rückschaupflicht verstoßen und wäre zur äußersten Sorgfalt gem. § 9 Abs. 5 StVO verpflichtet gewesen. Dem Kläger sei die Reparatur seines Fahrzeugs in einer der genannten Referenzwerkstätte zumutbar gewesen.
18
Die vorgerichtlichen Anwaltsgebühren seien mit einem Gebührensatz von 1,5 überhöht.
19
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung des Zeugen … im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2021 sowie durch Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen …, ergänzt durch die Stellungnahme vom 23.11.2020 (Bl. 109/123 d.A.). Zudem wurden der Kläger und der Beklagte zu 1) informatorisch angehört.
20
Zur Ergänzung des Sachverhalts sowie des Parteivortrags wird Bezug genommen auf die Verfahrensakte des Landgerichts Passau, Az.: 3 O 1969/19, insbesondere auf die hierin enthaltenen Schriftsätze der Parteivertreter sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2021.
Entscheidungsgründe
21
Die zulässige Klage ist in Haupt- und Hilfsantrag nur zum Teil begründet.
22
Die Klage ist zulässig.
23
Das Landgericht Passau ist insbesondere sachlich (§§ 23 Nr.1, 71 Abs. 1 GVG) und örtlich (§§ 32 ZPO, 20 StVG) zuständig.
24
Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2, 1, 18 Abs. 1, 3 StVG iVm § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG in Höhe von weiteren 517,80 €.
25
Im Übrigen war die Klage wegen der klägerischen Mithaftung und mangels Erstattungsfähigkeit einzelner Schadensposten kostenpflichtig abzuweisen.
26
1. Unstreitig wurde das klägerische Fahrzeug beim Betrieb des vom Beklagten zu 1) geführten und im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeugs beschädigt.
27
Die Haftung ist nicht gem. § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da der Unfall nicht auf höherer Gewalt beruhte. Auch eine Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens für den Beklagten zu 1) im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG wurde nicht geltend gemacht.
28
2. Da damit die grundsätzliche Haftung der Beklagten feststeht, ist zu prüfen, ob eine Mithaftung der Klägerseite gem. § 17 Abs. 1, 2 StVG zu berücksichtigen ist.
29
Dem Kläger gelang der Nachweis einer Unvermeidbarkeit des Unfalls für ihn nicht.
30
Das hinsichtlich dieser Fragestellung erholte Gutachten des Sachverständigen … führt aus, primäre Unfallursache sei ein Verstoß des Klägers gegen dessen Rückschaupflicht gewesen, soweit man von einer Rückschaupflicht ausgehe. Hätte dieser in den linken Außenspiegel geblickt und hätte er das Sichtfeld nach hinten geprüft, bevor er nach links abgebogen ist, hätte er den Beklagten zu 1) und dessen Motorrad sehen können und müssen, den Unfall mithin durch Zurückstellen seines Abbiegevorgangs verhindern können (S. 13 d. Gutachtens, Bl. 40 d.A.). Dies wurde im Rahmen der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme weiter aufrechterhalten und untermauert. Es sei für die Frage einer Unvermeidbarkeit unerheblich, ob der Beklagte im Kollisionszeitpunkt noch gefahren war, oder zuvor umgekippt und gegen des klägerische Fahrzeug geschlittert sei. Entscheidend sei nicht der Kollisions-, sondern der Abbiegezeitpunkt. Im Zeitpunkt, in dem der Kläger seinen Linksabbiegevorgang eingeleitet hatte, habe er den Beklagten sehen können und müssen durch Blick in den Seitenspiegel (S. 4 der ergänzenden Stellungnahme, Bl. 112 d.A.).
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Die Ausführungen des langjährig gerichtsbekannten Sachverständigen, an dessen Sachkunde keine Zweifel bestehen, überzeugen. Die Ausführungen sind durchweg nachvollziehbar, widerspruchsfrei und schlüssig. Sie werden zudem untermauert durch die Darstellung der Spiegelsichtfelder, welche in Anlage A 1 der ergänzenden Stellungnahme, Bl. 114 d.A., beigefügt sind. Das Gericht macht sich die Ausführungen zu eigen und ist überzeugt, dass das Unfallgeschehen unter Zugrundelegung einer Rückschaupflicht des Klägers vermeidbar war.
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Eine solche (doppelte) Rückschaupflicht des abbiegenden Klägers ergibt sich vorliegend aus § 9 Abs. 1 S. 4 StVO.
33
3. Gem. § 17 Abs. 1 und 2 StVG hängt damit der Umfang der Haftung von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
34
Für das Maß der Verursachung in diesem Sinne kommt es darauf an, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, derartige Schäden herbeizuführen.
35
Das Gericht kann im Rahmen der gem. § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung nur solche Tatsachen zulasten einer Partei berücksichtigen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind (BGH, NJW 2012, 1953), also hinsichtlich ihrer Unfallursächlichkeit unstreitig, zugestanden oder bewiesen sind (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. A., § 17 StVG, Rn. 16 m.w.N.). Nur vermutete Tatbeiträge oder bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung bleiben außer Betracht (Saarländisches OLG Saarbrücken, Urt. V. 14.03.2019 – 4 U 112/17).
36
Die Beweislast für die ihn selbst entlastenden Umstände und die Tatsachen, die einen als Verschulden anzurechnenden Umstand oder aber eine die Betriebsgefahr des anderen erhöhende Tatsache darstellen würden, trägt derjenige, der sie geltend macht (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. A., § 17, Rn. 21).
37
a) Bei der Bewertung des Verursachungsanteils der Beklagten ist daher zum einen deren Betriebsgefahr und zum anderen der Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) zu berücksichtigen.
38
Der Beklagte zu 1) verstieß vorliegend gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO. Er entschloss sich trotz Vorliegens einer unklaren Verkehrslage zum Überholvorgang.
39
Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf (BayObLG NZV 1990, 318), wenn also die Verkehrslage unübersichtlich ist oder ihre Entwicklung nach objektiven Umständen (OLG Düsseldorf BeckRS 2008, 11857) nicht beurteilt werden kann (OLG Zweibrücken VM 1979, 52; OLG Koblenz VRS 44, 192). Hierfür ist auch ausreichend, dass das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer, welche für den Überholvorgang maßgeblich sind – vorliegend des zu überholende Fahrers – nicht überblickt werden kann (OLG Köln, BeckRS 2010, 30479).
40
Die maßgebliche objektive Verkehrslage verbot vorliegend die Annahme einer gefahrlosen Überholmöglichkeit. Bloß subjektive Annahmen sind hierfür unerheblich. Vorliegend lag in der extrem verlangsamten Fahrt des Klägers in Kombination mit den örtlichen Gegebenheiten eine Verkehrslage vor, welche die Annahme der Möglichkeit eines ungefährlichen Überholvorgangs nicht mehr als plausibel zu erscheinen lässt.
41
Auf dem streitgegenständlichen Streckenabschnitt ist die Geschwindigkeit auf 70 km/h reguliert. Die Unfallörtlichkeit befindet sich hierbei unweit des Ortsausgangs von Oberschöllnach. Der Kläger fuhr auf diesem Streckenabschnitt, wie auch seitens des Beklagten zu 1) bestätigt (vgl. S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2021, Bl. 141 d.A.), mit bloßer Schrittgeschwindigkeit. Dies wird durch die Feststellungen des Sachverständigen nicht widerlegt. Diesem fehlten die erforderlichen objektiven Anknüpfungstatsachen, um die Geschwindigkeiten zu ermitteln (vgl. S. 9 des. Gutachtens, Bl. 36 d.A.). Das Fahren mit Schrittgeschwindigkeit erscheint zudem auch vor dem Hintergrund plausibel, dass der Kläger erst wenige Meter zuvor nach seinem Wendevorgang zurück auf die Straße Richtung V. eingefahren war in der Absicht, von dieser gleich wieder abzufahren.
42
Vorliegend handelte es sich auch nicht um eine rein abstrakte Gefahrenlage, welche die Annahme einer unklaren Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO nicht rechtfertigt. Der Kläger fuhr nicht lediglich langsam (OLG Brandenburg, BeckRS 2018, 34880), sondern es traten überdies konkrete Umstände hinzu, die das klägerische Verhalten als nicht vorhersehbar erscheinen lassen.
43
Zum einen fuhr der Kläger nicht lediglich derart verlangsamt, wie dies nach Einfahren in eine Straße üblich ist, sondern beschleunigte auch nach der Einfahrt nicht wieder. Er behielt die geringe Geschwindigkeit vielmehr bei. Zum anderen stellte sich die konkrete Umgebungssituation als unklar dar. Während Fußballspielen wird die Umgebung des Fußballplatzes inklusive der Rasenflächen regelmäßig als Parkfläche genutzt. Dies war dem mit der Örtlichkeit vertrauten Beklagten zu 1) (S. 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2021, Bl. 142 d.A.) überdies auch bewusst. Mit einem Aus- oder Einparkvorgang musste gerechnet werden.
44
Der Beklagte zu 1) musste vorliegend auch nicht vermindert mit einem Abbiegen des Klägers rechnen, weil dieser erst kurz zuvor in die Straße eingebogen war. Eine solche Einfahrt erweckt für den nachfolgenden Verkehr gemeinhin den Anschein, dass der Verkehrsteilnehmer nicht im unmittelbaren Zusammenhang erneut abbiegen will. Vorliegend hatte der Beklagte zu 1) aber über die Einfahrt des Klägers auf die Straße hinaus auch dessen Wendevorgang bemerkt. In Kombination mit der Parksituation und der enorm reduzierten Geschwindigkeit des Klägers rechtfertigte sich daher der Eindruck nicht, dass mit einem erneuten Abbiegen nicht zu rechnen war. Die Verkehrslage erscheint vielmehr gerade auch in Kenntnis des Wendevorgangs als unübersichtlich.
45
Dem steht nicht entgegen, dass vorliegend nicht aufklärbar war, ob der Kläger seine Linksabbiegeabsicht rechtzeitig durch Betätigen der Lichtzeichenanlage angezeigt hat (OLG Düsseldorf, BeckRS 2008, 11857). Der Zeuge …, welcher hinter dem Kläger gefahren war und im Unfallzeitpunkt an der Kreuzung zur Einfahrt in die V. Straße stand, konnte keine Angaben zum Blinken des Klägers machen.
46
Die Annahme eines Überholverbots aufgrund unklarer Verkehrslage rechtfertigt sich aber bereits aus den oben dargestellten Umständen.
47
Der Nachweis einer unangepassten Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) gelang dem Kläger demgegenüber nicht. Der Sachverständige konnte mangels objektiver Anknüpfungspunkte keine Angaben zur Geschwindigkeit der Unfallfahrzeuge machen. Die Feststellung, dass der Beklagte zu 1) mit größerer Geschwindigkeit als der Kläger gefahren ist, beweist eine über 70 km/h liegende Geschwindigkeit nicht.
48
Auch die Behauptung eines zu engen Ausscherens des Beklagten zu 1) im Rahmen des Überholvorgangs und einer Unterschreitung des erforderlichen Abstands konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden. Dass der Beklagte zu 1) im Rahmen seiner informatorischen Anhörung konkret schilderte, wie viele Meter er bei Bemerken des Blinkens vom Kläger entfernt war bzw. inwiefern sich diese Angaben mit den Feststellungen des Sachverständigen in Übereinstimmung bringen lassen, erachtet das Gericht als unerheblich. Abstandsschätzungen von Unfallbeteiligten ist grundsätzlich eher geringer Beweiswert beizumessen. Aufgrund der eigenen Bewegung sowie des dynamischen Verkehrsgeschehens sind diese wenig aussagekräftig. Zudem ist der Beweis eines Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1) im Rahmen dieser Argumentation nicht möglich. Soweit das erholte Gutachten im Widerspruch zu den Darstellungen des Beklagten zu 1) steht, vermochte der Sachverständige doch keinen weiteren konkreten Verstoß objektiv festzustellen.
49
b) Bei der Bewertung des klägerischen Verursachungsanteils ist die aufgrund des Rückschauverstoßes erhöhte Betriebsgefahr des Klägers zu berücksichtigen.
50
Nicht abgestellt werden kann vorliegend darauf, ob der Kläger, wie vom Beklagten zu 1) vorgetragen, nach Durchführung des Wendemanövers ohne Anhalten seines Fahrzeugs in die V. Straße eingefahren ist und hierbei der Beklagte zu 1) vorrangig hätte fahren dürfen. Es wurde nicht vorgetragen, dass die Kollision auf einem Vorfahrtsverstoß des Klägers beruhte, dieser mitursächlich war oder der Unfall daher für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen wäre. Von einer zu engen Einfahrt des Klägers konnte sich das Gericht auch keine Überzeugung bilden. Daher ist nur das klägerische Fahrverhalten in der konkreten Unfallsituation, dem Abbiegevorgang in die Parklücke auf der Rasenfläche, maßgeblich.
51
Zu welchem Zeitpunkt der Kläger seine Abbiegeabsicht angezeigt hat, war vorliegend nicht aufzuklären. Damit steht auch ein Verstoß gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Anzeige der Abbiegeabsicht gem. § 9 Abs. 1 StVO nicht fest. Die Schilderungen der Parteien erscheinen hierbei aufgrund der kurzen Wegstrecke zwischen Wiedereinfahrt des Klägers auf die V. Straße und dem Abbiegevorgang in die Parklücke von nur 20 Metern (vgl. Anlage A 2 des Gutachtens des Sachverständigen vom 23.11.2020, Bl 115 d.A.) plausibel und nicht widersprüchlich.
52
Die erneute Betätigung der Lichtzeichenanlage erforderte die hinreichende Einfahrt auf die Straße, bei welcher diese zunächst automatisch deaktiviert wird. Auch wenn die Lichtzeichenanlage in der Folge umgehend wieder betätigt wurde, konnte der Kläger sich aufgrund der geringen Distanz logisch nicht weiter als 20 Meter von seiner Abbiegeposition entfernt befunden haben und es ist nachvollziehbar, dass der Beklagte zu 1) in diesem Zeitpunkt bereits seinen Fahrspurwechsel durchgeführt hatte.
53
Das Gericht ist jedoch überzeugt, dass der Kläger sich vor Beginn des Abbiegevorgangs entsprechend mittig eingeordnet hat.
54
Der Zeuge … schilderte, dass der Kläger sich mittig, bzw. eher links auf der Straße orientiert hatte, bevor er versuchte, abzubiegen. Das Gericht erachtet die Aussage des Zeugen als glaubhaft, auch wenn der Zeuge seine Beobachtung im Wesentlichen darauf stützte, es hätte anders ausgesehen, wenn der Kläger den Abbiegevorgang aus falscher Positionierung auf der Straße heraus begonnen hätte (Bl. 143 d.A.). Die Darstellung scheint vor dem beruflichen Hintergrund des Zeugen als Kraftfahrer aber als nachvollziehbare Schilderung, welche die klägerische Schilderung insoweit stützt.
55
Das Gericht ist in Zusammenschau der Beweisaufnahme daher überzeugt, dass der Kläger sich hinreichend deutlich mittig eingeordnet hatte. Ob er zudem den Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig betätigt hatte, ist aufgrund der Beweisaufnahme nicht mehr aufzuklären.
56
Zulasten des Klägers ist aber der durch das erholte Gutachten feststehende Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht bei bestehendem rückwärtigen Verkehr zu werten.
57
4. Bei Abwägung sämtlicher Umstände gelangt das Gericht zur Auffassung, dass der Verursachungsanteil des Klägers den Verursachungsanteil der Beklagtenpartei mäßig übersteigt. Eine Haftungsverteilung von 60:40 zulasten der Klagepartei erscheint daher angemessen.
58
Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz von 40% der Schäden.
59
5. Der klägerische Gesamtschaden ist auf 8.184,37 € zu beziffern.
60
a) Die geltend gemachten unfallbedingten Reparaturkosten sind nicht vollumfänglich ersatzfähig. Der Kläger muss sich vorliegend auf die benannten Referenzwerkstätten (Anlage B 2) verweisen lassen. Eine Unzumutbarkeit der Verweisung wurde nicht geltend gemacht.
61
Das pauschale Bestreiten der qualitativen Gleichwertigkeit sowie die Behauptung, die Preise würden auf Abreden der Beklagten zu 2) mit den Werkstätten beruhen, verfangen nicht. Beides wurde nicht substanziiert dargelegt, wohingegen seitens der Beklagten vorgetragen wurde, die Werkstätte seien durch eine anerkannte Organisation zertifiziert (durch TÜV, DEKRA oder dem ZKF), Reparaturen erfolgten unter Beachtung der Richtlinien der Fahrzeughersteller und unter Verwendung von Original Ersatzteilen. Das Gericht hat daher keine Zweifel an der Arbeitsqualität der Fachwerkstätten. Mängel wurden seitens des Klägers nicht konkret aufgezeigt oder benannt.
62
Dem Verweis steht auch nicht entgegen, dass dieser erst nach Durchführung der Reparatur in Eigenregie erfolgt ist (BGH, NJW 2013, 2817) nachdem auf Gutachtenbasis abgerechnet werden soll.
63
Die benannten Referenzwerkstätten legen günstigere Stundenverrechnungssätze zugrunde, verfügen über eine Lackiererei und berechnen keine weiteren Aufschläge auf Kleinersatzteile, Anlage B 2. Insoweit ist unerheblich, dass der Sachverständige im Rahmen des Gutachtens vom 04.08.2020 (S. 13, Bl. 40 d:A.) ausgeführt hat, die Verbringungskosten und Ersatzteilpreisaufschläge seien ortsüblich. Der konkrete Verweis ist unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die klägerische Forderung bereits auf ortsüblichen Parametern beruht (BGH, NJW 2019, 852).
64
Insbesondere sind auch die beklagtenseits angeführten Kosten zugrunde zu legen. Maßgeblich sind die Kosten, welche sich im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung als erforderlich erweisen (BGH, NJW 2020, 1795). Vorliegend wurde aber seitens keiner Partei vorgetragen, dass sich die erforderlichen Kosten in den beklagtenseits benannten Werkstätten zwischenzeitlich tatsächlich erhöht hätten.
65
Der Schadensersatzbemessung sind mithin Reparaturkosten in Höhe von 7.002,04 € zugrunde zu legen (Anlage B 2).
66
b) Der unfallbedingte Minderwert des klägerischen Fahrzeugs beträgt unstreitig 250 €. Die Kosten des vorgerichtlichen Gutachtens betragen 727,33 €.
67
c) Der Kläger hat Anspruch auf Nutzungsausfallersatz für lediglich 5 Tage in Höhe von täglich 36 €. Einen entsprechenden weitergehenden Ausfall konnte der Kläger nicht darlegen. Die Mietwagenklasse ist zwischen den Parteien unstreitig.
68
Das Gericht ist von der Durchführung der Reparatur aufgrund des Belegs der DEKRA, Anlage K 2, sowie der Weiternutzung des Fahrzeugs aufgrund der durchgeführten Reparatur sowie der glaubhaften Schilderung des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Anhörung überzeugt. Das Gericht legt gem. § 287 ZPO jedoch die im Gutachten, Anlage K 1, genannte Reparaturdauer zugrunde. Der Kläger vermochte nicht nachzuweisen, dass die Reparatur darüber hinausgehend vom Unfalltag bis zum 18.10.2018 andauerte. Die als Anlage K 2 vorgelegte Bescheinigung der DEKRA bestätigt lediglich, dass das Unfallfahrzeug bei Besichtigung am 31.10.2018 repariert war. Wann die Reparatur über welchen Zeitraum durchgeführt wurde, vermag sie demgegenüber nicht zu untermauern.
69
Soweit geltend gemacht wurde, dem Kläger stünde eine entsprechende Überlegenszeit zu, da es sich um einen Grenzfall zwischen Wiederbeschaffung und Reparatur gehandelt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Der Kläger gab selbst an, dass er von Beginn an lediglich eine Reparatur beabsichtigt hatte (S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2021, Bl. 141 d.A.).
70
d) Der Kläger hat darüber hinaus Anspruch auf Ersatz von 40% der Schadenspauschale.
71
Diese ist vorliegend jedoch nur mit 25 € zu bemessen(vgl. OLG München, Urt. v. 06.12.2019, 10 U 2254/19).
72
Die Festsetzung der Schadenspauschale beruht gem. § 287 ZPO auf richterlicher Schätzung. Das Gericht hält 25,00 € für ausreichend und angemessen. Eine Erhöhung der Pauschale auf 30,00 € wird dagegen nicht als sachgerecht angesehen, auch unter Einbeziehung der Inflation und steigender laufender Kosten. Insbesondere aufgrund der im Allgemeinen deutlich gesunkenen Telekommunikationspreise sowie der Zunahme von Flatrate-Angeboten, ist die Bemessung mit 25,00 € angezeigt. Zudem ist den Parteien und Parteivertretern stets die Möglichkeit eröffnet, tatsächlich höhere Kosten konkret darzulegen und hierdurch eine umfangreichere Erstattung zu erwirken.
73
e) Der klägerische Gesamtschaden beträgt 8.184,37 €. Ersatzfähig sind mithin 3.273,75 €. Der Kläger hat unter Abzug der bereits geleisteten Zahlungen Anspruch auf Zahlung weiterer 517,80 €.
74
Da eine vollumfänglich Haftung der Beklagten nicht festgestellt werden konnte, ist über den klägerischen Hilfsantrag, Ziff. 2 zu entscheiden.
75
1. Dieser ist unter der Bedingungen einer teilweisen Klageabweisung zulässig formuliert worden, nachdem es sich vorliegend um die rein innerprozessuale Bedingung einer teilweisen Klageabweisung handelt.
76
Auch ist ein entsprechendes Feststellungsinteresse, § 256 ZPO, zu bejahen. Nach (Mit) Verursachung eines Verkehrsunfalls droht dem Versicherungsnehmer regelmäßig eine Rückstufung sowie ein Rabattverlust, welcher nicht durch vorrangige Leistungsklage vorab beziffert werden kann.
77
2. Der Hilfsantrag ist aber nur teilweise begründet. Entsprechend der dargestellten Haftungsquote hat der Kläger Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten ihm gesamtschuldnerisch zum Ersatz von 40% jedes weiteren Schadens aufgrund des Verkehrsunfalls verpflichtet sind.
78
Hinsichtlich der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat der Kläger Anspruch auf Zahlung der Kosten, welche bei Abrechnung auf Basis der Mittelgebühr von 1,3 aus der berechtigten Forderung entstehen.
79
Der Kläger hat insoweit keine die Gebühr erhöhende besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeit der Rechtssache vorgetragen. Eine solche ist bei der Regulierung des vorliegenden Verkehrsunfalls nicht zu erkennen.
80
Berechtigt gefordert hat der Kläger 3.273,50 €. Der begehrte Feststellungstenor, dessen Anerkenntnis auch bereits außergerichtlich gefordert wurde (K 3), ist mit 1.200 € zu bewerten.
81
Dem entsprechenden klägerischen Vortrag im Rahmen der Klageschrift wurde nicht entgegengetreten. Zu berücksichtigen ist diesbezüglich erneut nur der Umfang der berechtigten Forderung, entsprechend der Haftungsquote von 40%.
82
Die vorgerichtlichen Gebühren berechnen sich mithin aus 3.753,50 € und betragen 413,64 €.
83
Abzüglich der geleisteten Zahlung besteht Anspruch auf Zahlung weiterer 78,89 €.
84
Der klägerische Zinsanspruch folgt nach endgültiger Leistungsverweigerung der Beklagten zu 2) aus Verzugsgesichtspunkten, §§ 286 Abs. 1, 288, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.
85
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
86
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt für den Kläger sowie die Beklagten (hinsichtlich der Kosten) aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
87
Die Gestattung von Vollstreckungsschutz auf den Hilfsantrag der Beklagten war nicht veranlasst. Entsprechende Gründe wurden nicht vorgetragen.
VIII. Streitwert: § 3 ZPO.