Titel:
Beiladung, Gesellschafterbeschluss, Abhängige Beschäftigung, mitarbeitende Gesellschafter, Gesellschafterversammlung, Bestellung des Geschäftsführers, Geschäftsführervertrag, Gesellschafter-Geschäftsführer, Geschäftsführerberufung, Geschäftsführeranstellungsvertrag, Bestellung zum Geschäftsführer, Gmbh-Geschäftsführer, Abberufung des Geschäftsführers, Selbstständige Tätigkeit, Widerspruchsbescheid, Änderungen des Gesellschaftsvertrages, Abänderungen des Gesellschaftsvertrages, Sozialversicherungsrechtliche, Elektronischer Rechtsverkehr, Handelsregistereintragungen
Schlagworte:
Zulässigkeit der Klage, Fristgerechte Klageerhebung, Abhängige Beschäftigung, Selbstständige Tätigkeit, Gesellschafter-Geschäftsführer, Eintragung ins Handelsregister, Sozialversicherungsbeiträge
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 06.12.2023 – L 6 BA 97/21
BSG Kassel vom -- – B 12 BA 1/24 R
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64636
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Tatbestand
1
Im Streit steht eine Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 42.523,02 €, die die Beklagte gegenüber der Klägerin aufgrund einer durchgeführten Betriebsprüfung nacherhebt. Grund der Nacherhebung ist die ebenfalls strittige Feststellung der Beklagten, dass die Tätigkeit des Beigeladenen bei der Klägerin in den Zeiträumen 01.01.2015 – 30.04.2015, 01.07.2015 – 31.10.2015, 01.01.2016 – 30.11.2016 und vom 01.01.2017 – 30.11.2017 (streitgegenständliche Zeiträume) eine abhängige Beschäftigung war.
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Die Klägerin wurde mit notariell beurkundeter Gründungsurkunde und einhergehender Satzung vom 22.03.2010 in der Rechtsform einer GmbH errichtet. Gegenstand des Unternehmens ist das Fondsmanagement und die Vermittlung von Investments, Versicherungen und Bausparverträgen. Satzung und Gesellschaftsvertrag blieben auch bis einschließlich der streitgegenständlichen Zeiträume unverändert bestehen.
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In § 6 der Satzung ist zu dem Punkt „Geschäftsführung“ geregelt:
„Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt er die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinschaftlich oder einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten. Die Gesellschafterversammlung kann bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer einzelnen von ihnen Einzelvertretungsbefugnis erteilen. (…)“
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Nach § 11 Nr. 9 der Satzung wird unter dem Punkt „Gesellschafterversammlung“ geregelt:
„Die Gesellschafterversammlung beschließt mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen, soweit Gesetz und Satzung keine größere Mehrheit vorsehen.“
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Des Weiteren ist in § 11 Nr. 4 der Satzung geregelt:
„Je 1 EURO eines Geschäftsanteils gibt eine Stimme.“
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Gesellschafter in den streitgegenständlichen Zeiträumen waren mit jeweils einem Anteil von 50% (mithin im Wert von je 12.500 €) am Stammkapital Frau M. und der Beigeladene.
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Frau M. wurde mit der Gründungsurkunde zur alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführerin unter Befreiung der Beschränkungen des § 181 BGB bestellt, was entsprechend ins Handelsregister eingetragen wurde.
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Mit Gesellschafterbeschluss, der in der Gesellschafterversammlung vom 17.12.2014 gefasst wurde, wurde der Beigeladene zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer unter Befreiung der Beschränkungen des § 181 BGB mit Wirkung zum 01.01.2015 bestellt. Das Protokoll wurde von Frau M. und dem Beigeladenen unterzeichnet.
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Der Beschäftigung des Beigeladenen liegt weiterhin ein am 30.12.2014 geschlossener und als Geschäftsführeranstellungsvertrag bezeichneter Vertrag zu Grunde, der von Frau M. und dem Beigeladenen unterzeichnet wurde.
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Dort ist in der Präambel geregelt:
„Herr E. wurde durch Gesellschafterbeschluss vom 30.12.2014 zum Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt. (…)“
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In Ziff. 1.1 ist geregelt:
„Herrn E. obliegt die Geschäftsführung der Gesellschaft. Herr E. führt die Geschäfte mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nach Maßgabe der Gesetze, des Gesellschaftsvertrages, einer etwaigen Geschäftsordnung für die Geschäftsführung und der Gesellschafterbeschlüsse“
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Unter Ziff 1.2 findet sich nachstehende Regelung:
„Herr E. ist stets einzelvertretungsberechtigt, wenn er einziger Geschäftsführer ist. Im Übrigen ist er berechtigt, die Gesellschaft gemeinschaftlich mit einem anderen Geschäftsführer oder einem Prokuristen zu vertreten.“
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In Ziff. 1.3 ist geregelt:
„Herr E. wird seine ganze Arbeitskraft und alle seine fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen ausschließlich der Gesellschaft widmen. Die Übernahme einer entgeltlichen oder unentgeltlichen Nebentätigkeit, von Ehrenämtern sowie von Aufsichtsrats-, Beirats- oder ähnlichen Mandaten bedarf eines zustimmenden Beschlusses der Gesellschafter.“
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Des Weiteren enthält der Vertrag Regelungen zu einer festen Jahresvergütung, welche jährlich angepasst werden sollte, entsprechend der Leistungen des Beigeladenen und der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft, mindestens aber um den Prozentsatz, um den im Durschnitt die Gehälter der übrigen Angestellten der Gesellschaft in dem betreffenden Jahr angepasst werden.
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Außerdem finden sich im Vertrag Regelungen zur Krankheitsfortzahlung im Krankheitsfall (6 Monate) und Urlaubsanspruch (30 Tage).
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Die Beklagte führte im Zeitraum vom 04.02.2019 bis 04.05.2020 eine Betriebsprüfung bei der Klägerin durch.
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Nach entsprechend erfolgter Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 16.10.2019 fest, dass es sich bei der Beschäftigung des Beigeladenen bei der Klägerin in den streitgegenständlichen Zeiträumen um eine abhängige Beschäftigung gehandelt habe und forderte entsprechend Beiträge zur Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung in Höhe von 4.2523,02 € von der Beklagten nach. Der hiergegen seitens der Klägerin eingelegte Widerspruch wurde mit undatiertem Widerspruchsbescheid als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, im Rahmen der sozialrechtlichen Prüfung sei der Beigeladene nur als mitarbeitender Gesellschafter anzusehen und nicht als Gesellschafter-Geschäftsführer, da die Bestellung zum Geschäftsführer nicht in das Handelsregister eingetragen worden sei. Zwar sei die Eintragung ins Handelsregister nach den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften nur deklaratorisch, jedoch müsse nicht alles, was nach gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zulässig sei, sozialversicherungsrechtlich auch hingenommen werden. Mit Blick auf die Funktion des Handelsregisters, Tatsachen und Rechtsverhältnissen der Kaufleute und Handelsgesellschaften, die für den Rechtsverkehr von wesentlicher Bedeutung sind einerseits und dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher- und beitragsrechtlicher Tatbestände andererseits, sei eine Eintragung für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Nöten. Die Einzugsstellen und Rentenversicherungsträger könnten nicht darauf verwiesen werden, bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflicht die Bestellung des Geschäftsführers als körperschaftsrechtlichen Akt, also den Bestellungsvorgang in seinen einzelnen gesellschafts- und handelsrechtlich bedeutsamen Phasen aufgrund einer Parallelwertung nachzuvollziehen. Der Handelsregisterauszug manifestiere jedenfalls einfach und rechtssicher, dass die Bestellung zum Geschäftsführer tatsächlich stattgefunden hat.
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Unter Berücksichtigung dessen, könne der Beigeladene nur als mitarbeitender Gesellschafter angesehen werden. Bei einem solchen sei bei einer Beteiligung von 50% davon auszugehen, dass er keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft haben könne. Nur mitarbeitende Mehrheitsgesellschafter hätten die Rechtsmacht, Einzelanweisungen der Geschäftsführung im Bedarfsfall jederzeit zu verhindern.
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Mit dem am 11.12.2020 an die Beklagte übermittelten Fax, welches am 15.12.2020 an das Sozialgericht Bayreuth weitergeleitet wurde, hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass ein Geschäftsführer zwar ins Handelsregister einzutragen sei, diese Eintragung aber nur deklaratorischen Charakter und keine konstitutive Wirkung habe. Die Bestellung des GmbH-Geschäftsführers sei auch dann wirksam, wenn sie noch nicht ins Handelsregister eingetragen worden sei. Vorliegend sei der Beigeladene mit Gesellschafterbeschluss vom 17.12.2014 als Geschäftsführer wirksam bestellt worden. Er sei daher als geschäftsführender Gesellschafter mit einem Geschäftsanteil von 50% als selbstständig beschäftigt anzusehen. Eine Änderung der Satzung der Gesellschaft sei dazu nicht erforderlich gewesen, da gemäß § 6 der Satzung der Gesellschaft die Gesellschaft ein oder mehrere Geschäftsführer haben könne. Auf § 54 GmbHG komme es daher vorliegend nicht an. Dieser regele nur, dass Änderungen des Gesellschaftsvertrags im Handelsregister anzumelden seien, was aber vorliegend weder stattgefunden hätte, noch erforderlich gewesen sei. Eine Übertragung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Hinblick auf Stimmrechtsabreden, welche außerhalb des Gesellschaftsvertrags geschlossen wurden, sei nicht angezeigt. Der insofern entschiedene Fall unterscheidet sich grundlegend von der Frage der wirksamen Bestellung eines Geschäftsführers. Anders als bei den Stimmbindungsabreden handele es sich bei der Bestellung eines Gesellschafters nicht um eine schuldrechtliche Vereinbarung, sondern um einen Gesellschafterbeschluss. Eine andere Ansicht würde dazu führen, dass eine Eintragung im Handelsregister faktisch konstitutiv sei, was aber gerade nicht der Rechtslage entspreche. Die Beklagte könne sich auch nicht auf § 15 HGB berufen, da sie positive Kenntnis von der Bestellung des Beigeladenen zum Geschäftsführers hatte. Ihr sei der entsprechende Gesellschafterbeschluss bekannt gewesen.
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Auch im Übrigen sei von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen. In dem der Beschäftigung zugrundeliegenden Geschäftsführervertrag vom 31.12.2014 seien keine typischen Arbeitnehmerverpflichtungen festgeschrieben worden.
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Des Weiteren sei aufgrund der finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft die vereinbarte Vergütung durch Gesellschafterbeschluss mehrfach reduziert bzw. ganz gestrichen worden. Dies sei zum einen gerade ein Indiz für die fehlende Abhängigkeit und außerdem habe sich damit vollumfänglich das Unternehmerrisiko realisiert.
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Die Klägerin beantragt daher,
den Bescheid vom 04.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids ohne Datum aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte verweist im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid. Sie meint weiterhin, es sei auch § 54 GmbHG zu beachten, denn demnach habe die Abänderung des Gesellschaftsvertrags und somit auch die Bestellung eines Geschäftsführers keine rechtliche Wirkung, bevor sie in das Handelsregister eingetragen worden sei. Der Beigeladene sei vorliegend aber erst mit Datum vom 24.06.2020 und damit nach Erteilung des hier angefochtenen Bescheids in das Handelsregister eingetragen worden.
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In Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klage ist zulässig. Das Sozialgericht Bayreuth ist gemäß § 8 SGG sachlich und gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG örtlich zuständig.
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Die Klage wurde auch fristgerecht erhoben. Nach unwidersprochenem Vortrag der Klägerin ging der Widerspruchsbescheid der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11.11.2020 zu. Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 10.12.2020, welcher bei der Beklagten am 11.12.2020 per Fax einging und dem Sozialgericht Bayreuth am 15.12.2020 übermittelt wurde, erhoben. Zwar war die Klagefrist von einem Monat (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGG) bereits verfristet als die Klage das zuständige Sozialgericht Bayreuth erreichte (§ 90 SGG), jedoch ging die Klage innerhalb der Klagefrist bei der Beklagten, mithin einer anderen inländischen Behörde, ein, weshalb die Frist für die Erhebung der Klage gemäß § 91 SGG als gewahrt gilt.
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Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 04.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids ohne Datum. Die Klägerin wendet sich gegen die dort getroffenen Feststellungen im Hinblick auf die abhängige Beschäftigung des Beigeladenen und die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Gänze. Das Klageziel kann entsprechend mit der isolierten Anfechtungsklage gemäß § 54 Absatz 1 Satz 1 1. Alternative SGG erreicht werden.
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Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der angegriffene Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.
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Bei der Beschäftigung des Beigeladenen in den streitgegenständlichen Zeiträumen handelte es sich um eine abhängige Beschäftigung, weshalb dafür die nacherhobenen Beiträge zur Sozialversicherung abzuführen sind.
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Der Beigeladene war bei der Klägerin abhängig beschäftigt. Ob eine Tätigkeit eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit darstellt, ergibt sich aus § 7 Abs. 1 SGB IV. Demnach ist eine (abhängige) Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine solche (abhängige) Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Diese abstrakten Tatbestandsmerkmale wurden durch eine Vielzahl von Urteilen des Bundessozialgerichts konkretisiert.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (stRspr; vgl. zum Ganzen z.B. BSG Urteil vom 16.08.2017 – B 12 KR 14/16 R – BSGE 124, 37 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 31, RdNr. 17 <Kreishandwerksmeister>; BSG Urteil vom 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R – BSGE 123, 50 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 30, RdNr. 21 <Erziehungsbeistand>; BSG Urteil vom 30.04.2013 – B 12 KR 19/11 R – SozR 4-2400 § 7 Nr. 21 RdNr. 13 mwN; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG <Kammer> Beschluss vom 20.05.1996 – 1 BvR 21/96 – SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG Urteil vom 23.05.2017 – B 12 KR 9/16 R – BSGE 123, 180 = SozR 4-2400 § 26 Nr. 4, RdNr. 24 <Taxifahrer>).
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Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen, den die Verwaltung und die Gerichte konkret festzustellen haben. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (BSG Urteil vom 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 25, RdNr. 17 mwN).
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Diese Wertungen sind auch anzulegen bei der Beurteilung, ob es sich bei der Tätigkeit eines Gesellschafters einer GmbH, sei es als Geschäftsführer oder als mitarbeitender Gesellschafter, um eine abhängige Beschäftigung handelt.
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Bei der Tätigkeit eines Gesellschafters ist aber insbesondere maßgeblich über welche Rechtsmacht und damit über welchen rechtlichen Einfluss auf die Willensbildung derjenige in der Gesellschaft verfügt (BSG, Urteil vom 14.03.2018 – B 12 KR 13/17 R; BSG, Urteil vom 23.06.1994 – 12 RK 72/92; Schlegel, NZA 2021, 310).
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Maßgeblich hierfür ist die Anzahl der Stimmen in der Gesellschafterversammlung. Der Beigeladene war am Stammkapital der Klägerin in Höhe von 25.000 € mit einem Gesellschaftsanteil in Höhe von 12.500 € beteiligt. Nach dem einschlägigen Gesellschaftsvertrag vermittelte je 1 € der Beteiligung eine Stimme. Der Beigeladene verfügte mithin in der Gesellschafterversammlung über 50% der Stimmen.
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Bei einer Beteiligung in Höhe von exakt 50% und entsprechendem Stimmanteil in der Gesellschafterversammlung ist zu unterscheiden, ob der Beigeladene als Geschäftsführer oder als mitarbeitender Gesellschafter tätig war. Während bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer, der über einen Stimmenanteil von 50% in der Gesellschafterversammlung verfügt, davon ausgehen kann, dass er sich nichtgenehmen Weisungen widersetzen kann und daher nicht weisungsabhängig ist (vgl. BSG, Urteil vom 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R, Schlegel, NZA 2021,310), ist bei einem bloß mitarbeitenden Gesellschafter für eine die Weisungen ausschließende Rechtsmacht ein Stimmenanteil von mehr als 50% erforderlich. Das ergibt sich daraus, dass ein nur mitarbeitender Gesellschafter den Weisungen des Geschäftsführers untersteht und er sich nichtgenehmen Weisungen nur durch Abberufung des Geschäftsführers erwehren könnte, wofür aber in der Gesellschafterversammlung eine Mehrheit erforderlich wäre. Das bloße Verhindernkönnen von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung reicht insofern nicht aus (BSG, Urteil vom 23.06.1994 – 12 RK 72/92; Schlegel NZA 2021, 310).
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Der Beigeladene ist vorliegend statusrechtlich in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht als Geschäftsführer anzusehen. Er wurde zwar mit Gesellschafterbeschluss vom 17.12.2014 von der Gesellschafterversammlung zum Geschäftsführer bestellt, jedoch erfolgte eine Eintragung in das Handelsregister im streitgegenständlichen Zeitraum nicht.
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Für die statusrechtliche Beurteilung, ob ein mitarbeitender Gesellschafter als Geschäftsführer anzusehen ist oder nicht, ist eine Eintragung ins Handelsregister aufgrund des Grundsatzes der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 14.03.2018 – B 12 KR 13/17 R) unerlässlich (zum Ganzen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.11.2020 – L 8 BA 889/20).
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Der Geschäftsführer der GmbH wird gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 GmbHG im Gesellschaftsvertrag oder nach den Vorschriften des dritten Abschnitts des GmbHG bestellt. Die Bestellung des Beigeladenen erfolgte nicht im Gesellschaftsvertrag, sondern durch Beschluss der Gesellschafter. Dieser wäre nach § 39 Abs. 1 GmbHG in das Handelsregister einzutragen gewesen.
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Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die nach § 39 GmbHG bestehende Pflicht zur Eintragung nach dem Gesellschaftsrecht rein deklaratorischen Charakter hat und für die Bestellung des Geschäftsführers an sich nicht konstitutiv ist (Baumach/Hueck/Beurskens, 22. Aufl. 2019, GmbHG § 39 Rn. 25).
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Allerdings kann dann derjenige, in dessen Angelegenheiten die Tatsache einzutragen war, diese Tatsache nach § 15 Abs. 1 HGB einem Dritten nicht entgegensetzen, es sei denn, dass die Tatsache dem Dritten bekannt war.
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Diese Regelung führt dazu, dass die nicht eingetragene Bestellung eines Geschäftsführers zwar im Innenverhältnis der Gesellschaft wirksam ist, ohne Eintragung nach außen hin aber solange nicht wirkt, als der Dritte Kenntnis von dem Umstand hat.
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Die Beklagte ist dabei als Dritter in diesem Sinne anzusehen. Dritte sind immer Personen (juristische oder natürliche), die am ursprünglichen Rechtsverhältnis nicht beteiligt sind. Die Beklagte ist an dem Gesellschaftsrechtsverhältnis nicht beteiligt und daher Dritter.
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Die Beklagte hatte auch keine Kenntnis im Sinne des § 15 Abs. 1 HGB. Für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals der „Kenntnis“ muss positive Kenntnis vorliegen. Selbst grob fahrlässige Unkenntnis reicht dagegen nicht aus (BeckOK HGB/Müther, 33. Ed. 15.04.2021, HGB § 15 Rn. 13).
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Wenn es um Kenntnis geht, ist bei juristischen Personen auf deren gesetzliche Vertreter bzw. deren in der Organisation für den jeweiligen Umstand zuständigen Mitarbeiter abzustellen.
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Ausgehend hiervon hatte die Beklagte durch ihre zuständigen Mitarbeiter nicht positive Kenntnis über die Bestellung des Beigeladenen zum Geschäftsführer. Zwar kannte die Beklagte den Beschluss vom 17.12.2014 über die Bestellung des Beigeladenen zum Geschäftsführer, jedoch liegt damit noch keine positive Kenntnis vor.
51
Die Beklagte kann aus dem bloßen Umstand der Existenz des Beschlusses nämlich nicht herauslesen, ob dieser wirksam gefasst wurde und damit auch eintragungsfähig ins Handelsregister gewesen ist.
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Erst durch die weitergehende Prüfung der Eintragungsfähigkeit durch das Registergericht tritt eine entsprechende Rechtssicherheit ein, dass die Beschlussfassung rechtmäßig ist und der Rechtsverkehr sich darauf verlassen kann.
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Dass es sich bei der Prüfung des Registergerichts dabei nicht um eine bloße Förmelei handelt, sondern um eine weitere Prüfungsebene, die die Bestellung des Geschäftsführers objektiviert, ergibt sich nicht zuletzt auch aus der Tatsache, dass das Registergericht bei begründeten Zweifeln berechtigt und verpflichtet ist, den wahren Sachverhalt aufzuklären (MHLS/Terlau, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 39 Rn. 17).
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Des Weiteren fehlt es ohne die Eintragung an einer nach § 39 Abs. 3 GmbHG erforderlichen Erklärung des neubestellten Geschäftsführers, dass seiner Bestellung keine Umstände nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nummern 2 und 3 sowie Satz 3 GmbHG entgegenstehen. Da es sich bei dieser Erklärung nach § 82 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG um eine strafbewehrte Versicherung handelt, ist dieser auch im Hinblick auf die Rechtssicherheit der Bestellung besondere Bedeutung zuzumessen.
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Daher kann sich die Klägerin aufgrund der fehlenden Eintragung und der fehlenden abweichenden positiven Kenntnis nach § 15 Abs. 1 HGB nicht auf die Bestellung des Beigeladenen zum Geschäftsführer berufen.
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Diese Auslegung von § 15 Abs. 1 HGB im Hinblick auf die Anforderungen an die positive Kenntnis des Dritten ist in Bezug auf das vom Bundessozialgericht zurecht aufgestellte Statut der Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher Tatbestände auch geboten.
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Gerade dieses Postulat der Vorhersehbarkeit ist es, das das Recht der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung prägt und von Wertungen des – an ganz anderen praktischen Bedürfnissen ausgerichteten – Gesellschaftsrechts unterscheidet (so BSG, Urteil vom 11.11.2015 – B 12 KR 13/14 R, Rn. 27 a.E.). Dieses Postulat führt zu einer Objektivierung der Beurteilung der Sozialversicherungspflicht. Und dem stünde es entgegen, wenn es allein vom Willen der Gesellschafter abhinge, einen getroffenen Beschluss in den Rechtsverkehr zu bringen oder eben nicht (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.11.2020 – L 8 BA 889/20) und entsprechend Rechtsfolgen in der Sozialversicherung auszulösen oder nicht.
58
Ohne dass es hierauf im vorliegenden Rechtsstreit entscheidend darauf ankäme, zeigt sich aber gerade auch in diesem Fall, dass die vorgenannten Anforderungen an eine sichere Kenntnis zutreffend sind. So ergibt sich beispielsweise vorliegend im Hinblick auf die Vertretungsmacht eine unklare Situation. Während gemäß dem Gesellschafterbeschluss vom 17.12.2014 dem Beigeladenen eingeräumt wird, die Gesellschaft allein zu vertreten, wird ihm diese Alleinvertretungsbefugnis im Geschäftsführungsanstellungsvertrag vom 30.12.2014 nur unter der Voraussetzung eingeräumt, dass er alleiniger Geschäftsführer ist (vgl. Ziffer 1.2). Dies unter Berufung auf einen Gesellschafterbeschluss vom 30.12.2014, der aber entweder nicht gefasst wurde, weil es sich um eine fehlerhafte Darstellung im Vertrag handelt, oder aber eben nicht in den Verkehr gebracht wurde.
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Der Beigeladene ist daher wegen der fehlenden Eintragung als Geschäftsführer ins Handelsregister statusrechtlich als mitarbeitender Gesellschafter anzusehen.
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Wie oben bereits dargestellt, kann ein mitarbeitender Gesellschafter aber nur dann als selbstständig tätig angesehen werden, wenn er über ein Stimmrecht von mehr als 50% innehat und damit die Rechtsmacht hat, sich quasi durch die Möglichkeit des Abberufens des Geschäftsführers ungenehmer Weisungen erwehren kann. Dies war beim Beigeladenen aber nicht der Fall.
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Auch sonstige Umstände sind nicht ersichtlich, die Zweifel an dieser generellen Auffassung aufkommen ließen.
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Insbesondere ergeben sich aus dem der Beschäftigung zu Grunde liegenden Geschäftsführeranstellungsvertrages keine weiteren Indizien, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen. Im Gegenteil. Es werden dort auch für Arbeitnehmer nicht untypische Vereinbarungen getroffen, wie ein verstetigtes Entgelt, Urlaubsanspruch und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auch die Regelungen zu Nebentätigkeiten in Ziff. 1.3 sprechen deutlich mehr für eine abhängige Beschäftigung als dagegen. V.a. vor dem Hintergrund, dass eben aufgrund der fehlenden Stimmenmehrheit der Gesellschafterversammlung ein entsprechend erforderlicher zustimmender Beschluss nicht herbeigeführt werden kann.
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Dass in der realen Durchführung das Weisungsrecht eingeschränkt gewesen sein mag und der Beigeladene auch im Hinblick auf Ort und Zeit der Arbeitsleistung frei gewesen sein mag, ist gerade bei Diensten höherer Art nicht unüblich und spricht nicht gegen eine abhängige Beschäftigung (s.o.).
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Auch der Umstand, dass in verschiedenen Monaten das Gehalt gekürzt bzw. ganz gestrichen wurde, ist insofern statusneutral zu bewerten, denn zum einen kann dies für ein unternehmerisches Risiko sprechen, ist aber gleichermaßen auch gegenüber abhängigen Beschäftigten ein Mittel, das durchaus zur Anwendung kommt. Aus dem Umstand, dass dies formell durch „Beschluss“ erfolgte, ergeben sich keinerlei Besonderheiten, denn dieser wurde von beiden Beteiligten, der Geschäftsführerin und dem Beigeladenen unterschrieben und könnte daher auch gleichermaßen als Vereinbarung zum Gehaltsverzicht angesehen werden.
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Im Hinblick auf die Bemessung des nachgeforderten Gesamtsozialversicherungsbeitrags ergeben sich keine Anhaltspunkte, die für eine Rechtswidrigkeit sprächen. Insbesondere wurde beachtet, dass wegen Höhe des Entgelts eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung nicht besteht und es wurden nur Beiträge auf die tatsächlich bezahlten Entgelte erhoben.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.