Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 09.06.2021 – 10 O 1375/21
Titel:

OLG Nürnberg, Sittenwidrige Schädigung, Abschalteinrichtung, Erfüllungsinteresse, Unerlaubte Handlung, Klagepartei, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Beschlüsse, Merkantiler Minderwert, Haftung für Verrichtungsgehilfen, Streitwert, Unzulässigkeit, Typgenehmigung, Übereinstimmungsbescheinigung, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Prozeßbevollmächtigter

Schlagworte:
Zulässigkeit der Klage, Schadensersatzanspruch, Deliktische Ansprüche, Manipulation des Fahrzeugs, Erfüllungsinteresse, Schutzgesetzverstoß, Schädigungsvorsatz
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64631

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 7.424,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei fordert von der Beklagten als Herstellerin eines von der Klagepartei erworbenen Kraftfahrzeuges Schadensersatz, weil die Beklagte das Fahrzeug vorsätzlich mit einer nicht zulässigen Motorsteuerung ausgestattet habe, die zu einer überhöhten Abgasemission im Fahrbetrieb führe.
2
Die Klagepartei erwarb aufgrund Bestellung vom 22.10.2019 von der … das streitgegenständliche Fahrzeug … gebraucht für 37.120,00 €.
3
Im streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 897 verbaut.
4
Der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor wurde von der … hergestellt.
5
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine EG-Übereinstimmungsbescheinigung. Es unterliegt der Schadstoffklasse Euro 5.
6
Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde mit einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung versehen, durch die die Abgasrückführung, die zur Reduktion des Stickoxidausstoßes eingesetzt wird, bei niedrigen Außentemperaturen reduziert wird (sog. „Thermofenster“).
7
Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor: Es sei davon auszugehen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien: Abschalteinrichtung in Form einer „Aufwärmfunktion“, Abschalteinrichtung in Form einer „Lenkwinkelerkennung“, Abschalteinrichtung in Form eines „Thermofensters“. Die Beklagte habe die Software des Motors derart modifiziert, dass nur auf dem Prüfstand Abgaswerte gemessen worden seien, die auch die angegebene EURO-Abgasnorm einhalten. Entsprechende Werte zur Einhaltung der Abgasnorm seien bei normalen Betrieb auf der Straße hingegen niemals erreicht worden. Auf diesem Wege habe die Beklagte – auf der Grundlage gefälschter Abgasmessungen – auch für das streitgegenständliche Fahrzeug eine durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ausgestellte EU-Typgenehmigung erlangt. Das Fahrzeug habe einen Wertverlust erlitten. Der Minderwert betrage mindestens 20 % im Verhältnis zu dem Fahrzeugwert vor Bekanntwerden der doppelten Abschaltvorrichtung. Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs gehabt. Denn er habe über die rechtswidrige Abgasmanipulation zur Einhaltung der EU-Abgasnormen gehabt haben müssen.
8
Die Klagepartei meint, die Einrichtung eines sog. Thermofensters sei als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 1, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren.
9
Die Klagepartei meint, ihr stünden gegen die Beklagte Ansprüche aus § 311 II Nr. 3, III BGB, § 826 BGB, § 823 II i.V.m. § 263 StGB, § 823 II i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV und § 831 BGB zu. Der Kläger begehrt Ersatz des merkantilen Minderwerts, der sich auf 20 % des Kaufpreises belaufe. Er habe Anspruch darauf, so behandelt zu werden, als wäre es ihm bei Kenntnis der Manipulationen gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen.
10
Die Klagepartei beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 7.424,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 919,87 EUR freizustellen.
11
Die Beklagtenpartei beantragt,
die Klage abzuweisen.
12
Die Beklagte trägt vor, ein Thermofenster stelle keine „unzulässige Abschalteinrichtung“ dar, sondern beschreibe eine legitime Funktion des Abgasreinigungssystems, welche nicht Teil der NOx-Nachbehandlung, sondern eine innermotorische Maßnahme sei. Die Abgasreinigung mit Thermofenster sei eine in modernen Dieselfahrzeugen gängige Technik zur Reduktion von Stickoxiden. Sie sei als innermotorische Maßnahme der AGR streng zu unterscheiden von Einrichtungen zur Abgasnachbehandlung, wie sich auch aus der VO (EG) 692/2008 selbst ergibt, die zwischen Abgasrückführung und NOx-Nachbehandlungseinrichtungen differenziert. Thermofenster würden dem Stand der Technik entsprechen und zum Motor eines Dieselfahrzeugs wie die Kupplung zur Schaltung oder die Achse zum Lenkrad gehören. Um den Ausstoß von Stickoxid (also einer gasförmigen Verbindung von Sauerstoff und Stickstoff) zu optimieren, werde das Abgas im Rahmen der Abgasrückführung aus dem Auslassbereich des Motors, noch bevor das Abgas aus dem Fahrzeug herausgeleitet wird, über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet. Dort ersetze das rückgeführte Abgas einen Teil der Frischladung, die für den nächsten Verbrennungsprozess benötigt werde. Durch das Gemisch aus Frischluft und bereits verbranntem Abgas werde eine Absenkung der Verbrennungstemperatur erreicht. Bei geringerer Verbrennungstemperatur würden in der Folge von vornherein weniger Stickoxide entstehen. Im System der Abgasrückführung könne es insbesondere bei kalten Temperaturen und einer stetig hohen AGR-Rate zu Ablagerungen („Versottung“) kommen. Diese Versottung könne zu Motorschäden führen. Daher werde die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren. Dieser Vorgang nenne sich „Ausrampen“ der Abgasrückführung und sei bei Dieselmotoren aller Hersteller notwendig und üblich.
13
Die Beklagte meint, die Voraussetzungen des § 826 BGB und der § 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB seien nicht hinreichend dargelegt, dies gelte auch für die behauptete Kenntnis der Beklagten. Der geltend gemachte Minderwert sei nicht erstattungsfähig, die Klagepartei könne keinen Ersatz des positiven Interesses verlangen.
14
Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.
15
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
17
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist örtlich (§ 32 ZPO) und sachlich (§§ 23 Nr. 1, 71 I GVG) zuständig.
B.
18
In der Sache hat die Klage keinen Erfolg.
19
I. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Zahlung von 7.424,00 €. Die Klage scheitert bereits wegen der begehrten Rechtsfolge, der behauptete Minderwert ist schadensersatzrechtlich nicht erstattungsfähig.
20
1. Die Klagepartei hat keinen Schadensersatzanspruch aus Delikt in Höhe des behaupteten Minderwertes des Fahrzeugs gegen die Beklagte.
21
Die Klagepartei steht mit der Beklagten in keinem Vertragsverhältnis. In Betracht kommen mithin nur Ansprüche aus Delikt.
22
Mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, ist grundsätzlich geklärt, dass das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer unzulässige Abschalteinrichtung eine sittenwidrige Schädigung der Käufer zur Folge haben kann. Dabei greift in Bezug auf die von der Beklagten bestrittenen Kausalität ein Erfahrungssatz zugunsten des Erwerbers, wonach dieser das Fahrzeug bei Kenntnis der unzulässigen Technik und der damit verbundenen Risiken nicht gekauft hätte. Der Schaden des Erwerbers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs kann dabei in der „ungewollten Verbindlichkeit“ in Form des geschlossenen Vertrages zu sehen sein. Der Käufer könnte damit unter Umständen von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Wagens unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich gezogenen Nutzungen verlangen. Er kann jedoch vom Hersteller keine „Minderung“ verlangen, wie im Rahmen der Gewährleistung von seinem Vertragspartner. Im Falle einer unerlaubten Handlung der Beklagten hat die Klagepartei nach der Rechtsprechung des BGH nämlich grundsätzlich keinen Anspruch auf das Erfüllungsinteresse (positives Interesse), sondern sie kann nur das negatives Interesse ersetzt verlangen (so ausdrücklich auch BGH vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 70). Der Käufer kann deshalb lediglich fordern, so gestellt zu werden, als hätte er den Pkw nicht gekauft (BGH, NJW 2011, 1962, 1963 Rn. 11). Eine Rückabwicklung des Kaufvertrags begehrt die Klagepartei aber nicht.
23
Im Einzelnen (vgl. auch OLG München, Endurteil vom 10.08.2020 – 21 U 2719/19):
24
Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, ist nach der sogenannten Differenzhypothese durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen. Der nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder nach § 826 BGB zum Schadensersatz Verpflichtete hat den Differenzschaden zu ersetzen. Davon zu unterscheiden ist der Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Dieses ist zu ersetzen, wenn der Anspruchsinhaber verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Regelmäßig besteht nur bei vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehungen die begründete Erwartung der Deckung des Erfüllungsinteresses. Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft, stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem Erfüllungsinteresse als solche nicht (hierzu mit vielen Nachweisen BGH, Urteil vom 18.01.2011, Az. VI ZR 325/09).
25
Die Klagepartei könnte also – bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen – nur verlangen, so gestellt zu werden, wie sie stünde, wenn sie nicht über die Manipulation getäuscht worden wäre, mithin so, als ob sie den Kaufvertrag über das Fahrzeug nicht abgeschlossen hätte. Sie kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als hätte sie einen Vertrag zu einem niedrigeren, den „Mangel“ angemessen berücksichtigenden Preis geschlossen. Einen Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages hat die Klagepartei jedoch nicht geltend gemacht. Hier will die Klagepartei das Fahrzeug behalten und darüber hinaus noch den ihr „aus dem Erwerb entstandenen Schaden“ ersetzt erhalten. In der Sache ist ihr Begehren mithin darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als hätte sie einen Kaufvertrag über ein nicht manipuliertes Fahrzeug abgeschlossen. Damit beansprucht sie aber das Erfüllungsinteresse, denn sie möchte im Ergebnis so gestellt werden, als wäre der Vertrag ihr gegenüber ordnungsgemäß erfüllt worden. Ein solcher Anspruch steht ihr gegenüber der Beklagten als Dritter nach den für Ersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gemäß § 249 Satz 1 BGB maßgebenden Grundsätzen der Differenzhypothese nicht zu (wie hier: OLG Karlsruhe, Az. 13 U 670/19; a.A. dagegen OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.12.2019, Az. 14 U 92/19).
26
Ein allgemeiner rechtlicher Grundsatz, dem zufolge vertragliche und gesetzliche Haftung stets den gleichen Inhalt haben müssten, existiert nicht. Jeder Anspruch ist nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seiner Durchsetzung selbständig zu beurteilen und folgt seinen eigenen Regeln. Abweichungen von diesem Grundsatz kommen nur ganz ausnahmsweise in Betracht und beschränken sich typischerweise auf Fallgestaltungen, in denen die deliktischen Ansprüche den Zweck einer für den vertraglichen Anspruch geltenden Vorschrift vereiteln und die gesetzliche Regelung im Ergebnis aushöhlen würden, vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2014, Az. VI ZR 15/14, Rdnr. 32. Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben.
27
Zwar muss der Differenzschaden nicht notwendigerweise geringer sein als das positive Interesse des Geschädigten an der Vertragserfüllung. Es ist anerkannt, dass die Anwendung der Differenzhypothese in dem Fall, in dem der Geschädigte nachweist, dass er ohne die für den Abschluss des Vertrags ursächliche Täuschungshandlung einen anderen, günstigeren Vertrag abgeschlossen hätte, im Ergebnis das Erfüllungsinteresse verlangen kann, und zwar deswegen, weil der Schaden in diesem Ausnahmefall dem Erfüllungsinteresse entspricht, vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2011, Az. VI ZR 325/09, Rdnr. 10. Hierzu fehlt jedoch jeglicher Vortrag.
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2. Deliktische Ansprüche wären im Übrigen auch dem Grunde nach nicht gegeben.
29
a. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagten wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB), sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen, nämlich mit einer Prüfstandserkennung verbundenen Abschalteinrichtung sind von der Klagepartei unschlüssig und nicht ausreichend dargelegt worden. Über ihre Behauptung, das streitgegenständliche Fahrzeug enthalte eine unzulässige, nämlich mit einer Prüfstandserkennung verbundene Abschalteinrichtung ist kein Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18).
30
(1) Zwar darf ein Kläger im Rechtsstreit auch solche Tatsachen behaupten, über deren Vorliegen er kein sicheres Wissen hat und ein solches nicht erlangen kann. Eine Partei kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (zuletzt BGH, NJW-RR 2015, 829). So liegt es auch hier: Die Klagepartei kann, sofern sie keine mutmaßlich aufwändige technische Untersuchung durchführen lässt, kein sicheres Wissen darüber haben, ob die Motorsteuerung ihres Pkws so gestaltet ist, dass sie einen Prüfstandbetrieb erkennt und dann den Verbrennungsvorgang im Motor so steuert, dass die relevanten Emissionsgrenzwerte, hier der EURO-5-Norm, eingehalten werden, während außerhalb des Prüfzyklus, also im gewöhnlichen Fahrbetrieb, der Verbrennungsvorgang anders gesteuert wird und es deshalb insbesondere zu höheren, nicht mehr normgerechten Stickoxid-Emissionen kommt. Jedoch wird ein solches prozessuales Vorgehen dann unzulässig, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürliche Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt, was nur angenommen werden darf, wenn es an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten für die Richtigkeit der betroffenen Behauptung fehlt (BGH, a.a.O., sowie NJW-RR 2004, 337).
31
(2) Im vorliegenden Fall fehlt es in diesem Sinne an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten. Weder hatte die Klagepartei solche aufgezeigt noch sind sie sonst für das Gericht in irgendeiner Weise erkennbar.
32
Offenkundig ist, dass die inzwischen allgemein bekannte Verwendung einer manipulativen Motorsteuerung in Fahrzeugen des …, die mit dem Motor der Baureihe EA 189 ausgestattet sind, für den Streitfall keinerlei Aussagekraft haben kann. Denn dieser Motor ist im Fahrzeug der Klagepartei unstreitig nicht eingebaut.
33
b. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagten wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB), sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sog. thermischen Fensters gegeben.
34
(1) Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB. Nach § 823 Abs. 1 BGB ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum oder ein sonstiges absolutes Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Die gleiche Verpflichtung trifft gemäß § 823 Abs. 2 S. 1 BGB denjenigen, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Bei dem Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB handelt es sich um ein solches Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Betrug im Sinne des § 263 StGB ist die Vermögensschädigung durch Täuschung eines anderen in Bereicherungsabsicht. Er setzt im äußeren Tatbestand eine Täuschungshandlung des Täters, einen Irrtum des Getäuschten, eine Vermögensverfügung des Getäuschten und einen Vermögensschaden des Getäuschten oder eines anderen voraus. Im inneren Tatbestand setzt er den zumindest bedingten Vorsatz voraus hinsichtlich aller Merkmale des äußeren Tatbestandes und des zwischen ihnen notwendigen Kausalzusammenhangs sowie einen erstrebten (nicht notwendig erreichten) rechtswidrigen Vermögensvorteil des Täters oder eines Dritten. Zwischen den Merkmalen des äußeren Tatbestandes muss ein kausaler und funktionaler Zusammenhang und zwischen dem Schaden und dem Vorteil die sogenannte Stoffgleichheit bestehen. Geschütztes Rechtsgut ist dabei ausschließlich das Vermögen; nicht die Redlichkeit im Geschäftsverkehr und auch nicht die Dispositionsfreiheit als solche (vgl. Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Rn. 1, 2 m.w.N.).
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Eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB durch die Beklagte vermag das Gericht nicht festzustellen. Die Beklagte müsste zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung gehandelt haben, und zwar zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs (OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19 mit weiteren Nachweisen), hier also im Jahr 2014. Der heutige Meinungsstand – und insbesondere die heutige Auffassung eines Zivilgerichts – ist dagegen nicht maßgeblich (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19 mit weiteren Nachweisen), ebenso wenig die Auffassung der Generalstaatsanwältin in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C-693/18 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union am 30.04.2020, wonach die Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eng auszulegen sei.
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Der Annahme des Vorsatzes steht hier entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, nämlich Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10, keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte konnte vielmehr durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei. Denn die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen war nicht derart eindeutig, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die unpräzise Fassung der Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 räumt den Motorherstellern möglicherweise einen weiten Ermessensspielraum (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19).
37
Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Beklagte, wie in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 in Art. 3 Nr. 9 vorgeschrieben, zur Erlangung der EG-Typgenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des zur Erlangung der EG-Typgenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems, einschließlich seines Funktionierens bei niedrigeren Temperaturen nebst Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emission gemacht hat, so dass dem Kraftfahrbundesamt bei Erteilung der Typgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein muss, von ihm aber – offensichtlich – nicht beanstandet worden ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Dass die EG-Typgenehmigung trotz Fehlens der vorgeschriebenen Angaben erteilt worden ist, kann ausgeschlossen werden (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Hätte das Kraftfahrtbundesamt hinsichtlich der Zulässigkeit der u.a. temperaturabhängig gesteuerten Abgasrückführung Bedenken gehegt, so hätte es die Typgenehmigung nicht oder nicht ohne weiteres erteilt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Weshalb den verantwortlichen Personen auf Seiten der Beklagten gleichwohl bewusst gewesen sein sollte, dass die von ihnen gewählte Steuerung der Abgasrückführung unzulässig sei, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht aufgezeigt. War aber die Einstufung der temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung aufgrund der damals (2014) geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene, so ist der Schluss nicht gerechtfertigt, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und somit die Typgenehmigungsbehörde und damit auch die Käufer täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19).
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(2) Ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 besteht ebenfalls nicht. Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Zwar können EU-Verordnungen im Einzelfall grundsätzlich Schutzgesetze gemäß § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Im vorliegenden Fall kommt Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 jedoch bereits keine individualschützende, das heißt insbesondere das Vermögen Privater schützende Funktion zu. Ausweislich der Erwägungsgründe zu der vorzitierten Verordnung dient diese der Verwirklichung des Binnenmarktes (vergleiche Ziffer 1 der Erwägungsgründe) sowie der Verbesserung der Luftqualität und der Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere zur Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vergleiche Ziffern 5 und 6 der Erwägungsgründe).
39
(3) Ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV besteht ebenfalls nicht. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Diese Vorschriften der EG-FGV, welche die Richtlinie 2007/46/EG in nationales Recht umsetzen, berücksichtigen nicht den Schutz individueller Interessen, sondern stellen eine (nur) die Allgemeinheit schützende Norm dar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Individualschutz – hier der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs – im Aufgabenbereich der genannten Vorschriften liegt oder aber aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Richtlinie 2007/46/EG folgt.
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Aus den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) der Richtlinie 2007/46/EG ergibt sich eindeutig, dass das Ziel der Richtlinie in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist. Überdies sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finden darin keine Erwähnung. Auch sonstige Erwägungsgründe der Richtlinie, insbesondere die unter Nrn. 14 und 17 genannten, betreffen neben den bereits genannten Erwägungsgründen ausschließlich weitere Allgemeingüter, nämlich ein hohes Umweltschutzniveau, den Schutz der Gesundheit und den Schutz der Verbraucher, ohne dass der Vermögensschutz des Einzelnen darin angesprochen wäre.
41
Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Zweck der Art. 18 Abs. 1 und 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG selbst, deren Umsetzung die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen. Soweit nach Art. 26 Abs. 1 die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf und die Inbetriebnahme von Fahrzeugen gestatten, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind, zielt dies auf die Erleichterung des Binnenmarktes; Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie auf den Schutz des Vermögens des Autokäufers abstellt, ergeben sich nicht.
42
(4) Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte ergibt sich auch nicht aus § 826 BGB. § 826 BGB ist als übergeordnete allgemeine Norm des Schadensrechts grundsätzlich neben anderen Anspruchsgrundlagen innerhalb und außerhalb des BGB anwendbar und ergänzt insoweit die konkreten Tatbestände des § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Teichmann in Jauernig, BGB, 17. Aufl., § 826 Rn. 2). Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen gemäß § 826 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
43
Auch hier gilt, dass die Beklagte zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung gehandelt haben müsste. Der Annahme des Schädigungsvorsatzes steht jedoch hier wie oben ausgeführt unter B. I. 2. b. (1) entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Da die Einstufung der temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung aufgrund der damals (2014) geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene, ist der Schluss nicht gerechtfertigt, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und somit die Typgenehmigungsbehörde und damit auch die Käufer täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19).
44
(5) Ansprüche der Klagepartei gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 826 BGB und gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB sind ebenfalls nicht gegeben. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB stellt keine Zurechnungsnorm, sondern einen eigenständigen Haftungstatbestand dar. Der Verrichtungsgehilfe muss den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 826 BGB bzw. des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB erfüllt haben, und zwar rechtswidrig (Sprau in Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 831 Rn. 8) sowie auch subjektive Elemente der unerlaubten Handlung, nämlich Vorsatz gemäß § 826 BGB und bei vorsätzlicher Straftat wie hier der des Betrugs im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB (vgl. Sprau in Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 831 Rn. 8). Auch hier gilt das oben Ausgeführte: Der Annahme des Vorsatzes steht jedenfalls entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen).
II.
45
Die Nebenforderung sowie der Klageantrag in Ziffer 2. teilen das Schicksal des Hauptanspruchs.
III.
46
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
IV.
47
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 ZPO.