Titel:
Abschluß des Reisevertrags, Ersparte Aufwendungen, Reiseleistung, Mietwagenkosten, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nichtbeförderung, Kostenentscheidung, Elektronischer Rechtsverkehr, Erheblicher Reisemangel, Elektronisches Dokument, Rechtshängigkeit, Pauschalreise, Reisende, Ausführendes Luftfahrtunternehmen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Reiseveranstalter, Maßgeblicher Zeitpunkt, Verspätung, Erledigungserklärung
Schlagwort:
Pauschalreise
Fundstellen:
ReiseRFD 2024, 175
BeckRS 2021, 64594
LSK 2021, 64594
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 83 % und die Beklagte 17 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Rückerstattungs- und Schadenersatzansprüche ... eine Pauschalreise nach Kuba und zurück im Zeitraum vom 08.02.2020 bis zum 23.02.2020 zu einem Reisepreis in Höhe von 3.998,00 € zzgl. Kosten in Höhe von 100,00 € für die Kuba Touristenkarte. Der Gesamtpreis wurde vollständig an die Beklagte entrichtet. Eingeschlossene Leistungen waren unter anderem die Flugreise vom M. Flughafen nach Santa Clara auf Kuba, eine von dort beginnende Kreuzfahrt mit einem Schiff (MS ....) durch die Karibik und ein sich an die Kreuzfahrt anschließender mehrtägiger Badeurlaub in Cayo Santa Maria auf Kuba samt Hotelaufenthalt. Ein R. & F.-Ticket der D B AG für eine Bahnfahrt jeweils am Hin- und Rückflugtag zum/vom Flughafen M. war im Pauschalreisepaket inbegriffen.
2
Rund eine Woche nach Restzahlung des Reisepreises am 09.01.2020 erhielt die Klägerin von der Beklagten per Brief die R. & F.-Tickets in einem Geheft „Ihre Reiseunterlagen“. Am 07.02.2020 checkte die Klägerin mit ihrem Ehemann für den Hinflug bei der L. online ein. Die Bordkarte, vorgelegt als Anlage K6, enthielt unter „Gepäckabgabe“ Folgendes: „Gepäckautomat nicht später als 11:10 Uhr“. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage K6 Bezug genommen.
3
Die Klägerin und ihr Ehemann nutzten für die Anreise von L. nach M. die von der Beklagten übersandten R. & F.-Tickets. Auf diesen ist folgender Hinweis aufgedruckt:
„Bitte wählen Sie Ihre Zugverbindung so, dass sie mindestens zwei Stunden vor Abflug den Check-in Schalter am Flughafen erreichen. Da man bei öffentlichen Verkehrsmitteln Verspätungen nie ausschließen kann, sollten Sie einen zusätzlichen Zeitpuffer (ca. 45 Minuten je 100 km Entfernung) einplanen oder die Reise bereits am Vortag vornehmen.“
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den R. & F. Fahrschein, vorgelegt als Anlage zum Protokoll vom 04.08.2021, Bezug genommen. Dieser Hinweis wurde von der Klägerin vor Antritt der Zugreise nicht wahrgenommen. Die Beklagte gab keine Zugverbindung vor. Als die Klägerin und ihr Ehemann am 08.02.2020 am M. Flughafen ankamen, hatte das Boarding für den Flug nach Kuba bereits begonnen. Eine Gepäckaufgabe war für die Klägerin und ihren Ehemann nicht mehr möglich, weder am Gepäckautomaten noch am Check-in Schalter der L.. Das Angebot der Service-Mitarbeiterin der L., den Flug ohne das Aufgabegepäck anzutreten, lehnten die Klägerin und ihr Ehemann ab. Kurz darauf flog die L.-Maschine ohne die Klägerin und ihren Ehemann planmäßig vom M. Flughafen ab. Das von der Beklagten noch am Abreisetag gegen 15:00 Uhr unterbreitete Angebot, gegen Zuzahlung von 450,00 € pro Person eine Woche später nach Kuba zu reisen, um dort den geplanten Badeurlaub anzutreten, lehnte die Klägerin am Folgetag ab.
5
Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.02.2020, vorgelegt als Anlage K4, forderte die Klägerin die Beklagte auf, bis spätestens 07.03.2020 4.321,44 € an die Klägerin zu zahlen. Mit Schreiben vom 09.03.2020, vorgelegt als Anlage K5, kündigte die Beklagte eine Erstattung ersparter Aufwendungen in Höhe von 736,00 € an und wies die Forderung im Übrigen zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Ablehnungsschreiben der Beklagten (Anlage K5) Bezug genommen. Der Betrag in Höhe von 736,00 € ging am 31.03.2020 bei der Klägerin ein.
6
Die Klägerin trägt vor, sie und ihr Ehemann seien am 08.02.2020 mit dem ICE von L. aus nach M. gereist. Abfahrt des Zuges von L. sei 5:48 Uhr, die planmäßige Ankunft am M. Hauptbahnhof 9:17 Uhr gewesen. Von dort habe man geplant, mit dem Taxi zum Flughafen zu fahren, sodass man ca. 9:45 Uhr am Flughafengebäude angekommen wäre und den L.-Schalter zur Gepäckabgabe deutlich vor 10:00 Uhr erreicht hätte. Die Klägerin ist der Auffassung, die gewählte Verbindung sei in jeder Hinsicht ausreichend gewesen, den Flug in M. zu erreichen. Der eingeplante Zeitpuffer habe mehr als 2 Stunden gerechnet von der planmäßigen Ankunft der Klägerin auf dem M. Flughafen bis zum geplanten Abflug des Flugzeuges in Richtung Kuba betragen. Allerdings habe der ausgewählte ICE kurz vor B. wegen eines der Klägerin nicht näher bekannten Schadens am Zug halten müssen, eine Weiterreise mit dem ICE sei nicht möglich gewesen. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten aber in einen anderen Zug umsteigen können, der zum M. Hauptbahnhof gefahren sei. Allerdings sei dieser Zug dort erst gegen 10:30 Uhr angekommen. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten daraufhin ein Taxi genommen, um möglichst schnell zum Flughafen zu gelangen, wofür gemäß der als Anlage K2 vorgelegten Rechnung Kosten in Höhe von 85,00 € entstanden seien. Nachdem der Klägerin nach Ankunft am L.-Schalter am M. Flughafen gegen 11:00 Uhr mitgeteilt worden sei, dass das Boarding für den Flug nach Kuba bereits im Gange und deswegen keine Gepäckannahme mehr möglich sei und auch die Service-Mitarbeiterin der L. der Klägerin nicht habe helfen können, habe sich die Klägerin sofort mit der Beklagten telefonisch in Verbindung gesetzt. Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe keinen Anteil daran, dass ihr die Flugreise und insgesamt die Pauschalreise verwehrt worden sei. Nach Auffassung der Klägerin wäre es für das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Leichtes gewesen, sie und ihren Ehemann trotz ihres verspäteten Erscheinens um 11:00 Uhr mitfliegen zu lassen, zumal nach den Regeln der L. eine Gepäckaufgabe für die Klägerin am Flugtag bis 11:10 Uhr hätte möglich sein sollen. Das bereits begonnene Boarding sei kein tauglicher Ablehnungsgrund gewesen, der Klägerin und ihrem Ehemann die Flugreise nach Kuba zu verweigern, zumal sie schon online eingecheckt waren. Die Klägerin trägt vor, die Gepäckabfertigung hätte 11:00 Uhr keine 5 Minuten gedauert, die Sicherheitskontrolle geschätzte 7 Minuten und der sich anschließende Weg zum Flugsteig hätte keine 5 Minuten in Anspruch genommen, sodass sie und ihr Ehemann 11:20 Uhr am Flugsteig angekommen wären, während das Boarding noch gelaufen wäre. Die Klägerin meint, ohne Umstände hätte die L. die Klägerin und ihren Ehemann ins Flugzeug bis 11:30 Uhr einsteigen lassen können, sodass der Beförderung der Klägerin und ihres Ehemannes mit dem Flugzeug nach Kuba nichts entgegengestanden hätte. Für die Weigerungshaltung der L. habe es keinen sachlichen Grund gegeben. Deren pflichtwidriges Verhalten müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Diese habe mittels ihres Beförderers die Flugreise der Klägerin grundlos abgebrochen. Für die Rückreise vom M. Flughafen nach Hause habe sich die Klägerin genötigt gesehen, einen Mietwagen in Anspruch zu nehmen (one way). Hierfür seien der Klägerin gemäß der als Anlage K3 vorgelegten Rechnung Mietwagenkosten in Höhe von 138,44 € entstanden.
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Die Klägerin behauptet, sie habe die R. & F.-Nutzungsbedingungen nie erhalten. Die Reise- und Zahlungsbedingungen der Beklagten (Anlage B1) seien nie Vertragsbestandteil geworden. Die Klägerin habe von den Bedingungen der Beklagten erst nach den Ereignissen vom 08.02.2020 erfahren, dass es sie geben solle. Gleiches gelte für die R. & F.-Nutzungsbedingungen. Auch der Hinweis der Beklagten auf dem R. & F.-Fahrschein sei nicht Vertragsinhalt geworden, im Übrigen sei dieser so klein gedruckt, dass er kaum lesbar sei. Für die Klägerin sei die als Anlage K1 überreichte Buchungsbestätigung vom 07.12.2019 Vertragsinhalt geworden.
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Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte müsse sich die Verspätung der D B als Reisemangel zurechnen lassen, denn der Bahntransfer mittels „R.&F.“ sei Inhalt des Reisevertrages mit der Klägerin geworden, insbesondere da die Beklagte die besondere Reiseleistung per Zug zum Flughafen in einem Zeitungsartikel im „S.-S.“ besonders beworben habe. Die Klägerin habe auf die Einhaltung der Abfahrts- und Ankunftszeit der D B vertraut und höchstens 10 Minuten Zugverspätung einkalkulieren müssen. (Nur) die Verspätung der Ankunft auf dem M. Flughafen sei ursächlich dafür gewesen, dass die Klägerin und ihr Ehemann die mit der Beklagten vereinbarte Reise nicht fortsetzen bzw. gar nicht erst hätten beginnen können. Da die Reise für die Klägerin keinerlei Wert gehabt habe, habe sie den Reisepreis zu 100 % mindern können, weshalb sie von der Beklagten den vollen Reisepreis zurückverlangen könne. Neben der Reisepreisminderung stehe der Klägerin ein Anspruch auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem ungewollten vorzeitigen Abbruch der Pauschalreise in Höhe von 85,00 € (Taxikosten für die Fahrt vom M. Hauptbahnhof zum Flughafen) und in Höhe von 138,44 € (Mietwagenkosten für die Fahrt von M. nach Hause am 08.02.2020) zu.
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Die Klägerin beantragte ursprünglich,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.321,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18.09.2020 erklärte der Klägervertreter den Rechtsstreit hinsichtlich der am 31.03.2020 erhaltenen 736,00 € für erledigt. Der Beklagtenvertreter stimmte der Teil-Erledigungserklärung unter Verwahrung gegen die Kosten zu.
11
Die Klägerin beantragt zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.321,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit der Klage abzüglich am 31.03.2020 gezahlter 736,00 € zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, dass sie nicht für Verspätungen der D B einzustehen habe, da es sich hierbei nicht um eine eigentliche Reiseleistung der Beklagten handele. Falls es zu Verzögerungen bei den von den Reisenden gewählten Zugfahrten komme, habe die Beklagte hierfür genauso wenig wie bei der Anreise mit dem eigenen Auto zum Flughafen einzustehen. Die von der Beklagten im Rahmen des Reisevertrages gebündelten Reiseleistungen hätten erst mit dem Einchecken für den vertraglich vereinbarten Hinflug begonnen. Die Beklagte habe sachgemäß Hinweise für die rechtzeitige Ankunft am Flughafen erteilt und die Reisenden darauf hingewiesen, dass diese allein dafür verantwortlich seien, dass sie eine geeignete Zugverbindung mit angemessener Zeitreserve auswählten, um rechtzeitig am Flughafen anzukommen. Entgegen der wiederholten und deutlichen Hinweise der Beklagten hätten die Reisenden gar keine, allenfalls eine unangemessen kurze Zeitreserve von wenigen Minuten für ihre Anreise bei einer Fahrtstrecke vom Heimatbahnhof zum M. Flughafen von mehr als 400 km eingeplant. Bereits ohne Hinweise der Beklagten sei für jeden erwachsenen Reisenden offenkundig gewesen, dass diese klägerische Zugplanung fahrlässig sei. Mögliche Verspätungen seien allgemein bekannt und daher deren Möglichkeit für die Reisenden vorhersehbar. Die Nichtdurchführung der Reise sei ausschließlich durch die Klägerin verursacht und verschuldet worden. Die Beklagte habe zum vereinbarten Zeitpunkt sämtliche Reiseleistungen zur Verfügung gestellt. Selbst wenn bei der Zugfahrt von einer Reiseleistung der Beklagten auszugehen wäre, scheide ein Anspruch gegen die Beklagte aus, da die Nichtbeförderung ausschließlich auf der schuldhaften Verletzung der geschuldeten Mitwirkungshandlungen der Reisenden beruhe. Die Beklagte sei nach Versäumung des Hinfluges nicht verpflichtet gewesen, Abhilfe zu schaffen, da es sich nicht um einen Reisemangel handele. Soweit die Beklagte kulanzweise für die Folgewoche eine Alternativreise mit einem Aufpreis von 450,00 € angeboten habe, habe es sich hierbei nicht um eine Abhilfe und nicht um eine reiserechtlich geschuldete Handlung der Beklagten gehandelt. Eine Kündigung oder ein Rücktritt von dem geschlossenen Reisevertrag sei durch die Klägerin nicht erfolgt, sodass ein sogenannter No Show vorgelegen habe. Aus diesem Grunde sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, überhaupt Erstattungen vorzunehmen.
14
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme des Zeugen X. Die Klägerin wurde informatorisch zum Sachverhalt gehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Anhörung wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 04.08.2021 Bezug genommen.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und Aktenbestandteilen sowie auf die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vom 18.09.2020 und 04.08.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16
Die zulässige Klage ist – soweit noch in der Sache darüber zu entscheiden war – nicht begründet.
17
1. Der Klägerin steht der geltend gemachte weitere Zahlungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
18
a) Die Beförderung der Klägerin mit der D B durch die Beklagte ist vorliegend Bestandteil der reisevertraglichen Leistungen geworden (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2010, XaZR 46/10).
19
Der Nichtantritt der Weiterbeförderung per Flugzeug durch die Klägerin trotz entsprechendes Angebotes der Beklagten bzw. ihres Beförderungsunternehmens stellt eine konkludente Kündigung des Reisevertrages dar.
20
Die Kündigung war nicht wirksam, § 651 l Abs. 1 Satz 1 BGB, da kein (erheblicher) Reisemangel vorlag.
21
Die Nichtbeförderung des Reisegepäcks stellt bereits grundsätzlich keinen erheblichen Reisemangel dar, der zu einer Kündigung des Reisevertrages nach § 651 l Abs. 1 Satz 1 BGB berechtigen würde. Die Nichtbeförderung des Reisegepäcks durch das ausführende Beförderungsunternehmen nach ordnungsgemäßer Gepäckaufgabe löst nach der Rechtsprechung abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls regelmäßig Minderungsansprüche im Bereich von 20–40 % aus. Dabei ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die Nichtbeförderung hier bereits bei Abflug angekündigt und damit für die Reisenden voraussehbar war, so dass diese ohne Weiteres die dringend für den Urlaub und insbesondere die beabsichtigte Kreuzfahrt benötigten Gegenstände umpacken und im Handgepäck hätten befördern können.
22
Zudem begründen nicht im Verantwortungsbereich des Reiseveranstalters liegende Umstände, die zu einer Beeinträchtigung der Pauschalreise führen (können), überhaupt keinen Mangel (vgl. Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 651 i Rn. 10). Insofern ist vorliegend darauf abzustellen, dass die Klägerin ein erhebliches (Mit-)Verschulden an der Nicht-Beförderung des Aufgabegepäcks trifft, das eine Haftung der Beklagtenseite in Gänze ausschließt (vgl. auch AG Frankfurt, Urteil vom 20. Februar 2018, 32 C1966/17, zitiert nach juris).
23
Einem Reisenden obliegen bei der Durchführung einer Reise grundsätzlich Mitwirkungsobliegenheiten, wie etwa bei Flugreisen die Pflicht, rechtzeitig am Flughafen zur Abfertigung zu erscheinen und bei vereinbarter Bahnanreise die Pflicht, die Zugverbindung so zu planen, dass der Reisende rechtzeitig am Flughafen erscheinen kann. Diese vertraglichen Nebenpflichten werden bereits konkludent mit Abschluss des Reisevertrages vereinbart und durch anlässlich dessen oder nachträglich bis zum Reiseantritt gewährte Informationen des Reiseveranstalters inhaltlich konkretisiert. Beachtet der Reisende diese Informationen nicht, läuft er Gefahr, seine Mitwirkungspflicht zu verletzen und die Durchführung der Reise ernsthaft zu gefährden. Es liegt im Risiko des Reisenden, wenn er solche Hinweise nicht beachtet (LG Frankfurt am Main, Urteil vom 07.11.2017, Aktenzeichen 2-24 S 40/179). Vorliegend hat die Beklagte auf den von der Klägerin genutzten R. & F.-Tickets empfohlen, die Anreise so zu planen, dass der Reisende den Check-in Schalter zwei Stunden vor Abflug erreicht, und zusätzlich einen Zeitpuffer von 45 Minuten je 100 km Anreise einzuplanen. Der Hinweis auf den erforderlichen Zeitpuffer befindet sich auf der Vorderseite der R. & F.-Tickets und ist zwar klein gedruckt, aber gut lesbar. Auch hat die Klägerin die Reiseunterlagen nach eigenem Vortrag bereits Mitte Januar erhalten, so dass sie mehr als zwei Wochen Zeit hatte, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Etwaige Wahrnehmungsdefizite der Klägerin sind der Beklagten nicht anzulasten. Tatsächlich ist die Klägerin den Empfehlungen der Beklagten nicht gefolgt, indem sie eine Zugverbindung gewählt hat, die eine planmäßige Ankunft am Flughafen nicht einmal zwei Stunden vor Abflug um 11:50 Uhr vorsah. Die von der Klagepartei angegebenen Zeiten für das Erreichen des Flughafens bei planmäßiger Ankunft des gewählten Zuges sind gerichtsbekannt auf Grund der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten wenig realistisch. Bei planmäßiger Zugankunft um 9:17 Uhr darf man realistisch erwarten, dass man gegen 9:25 Uhr am Taxistand des Hauptbahnhofes eintrifft, so dass sich der Flughafen frühestens gegen 10:00 Uhr erreichen lässt. Die reine Fahrtzeit mit dem Taxi liegt im Regelfall verkehrsbedingt zwischen 30 und 45 Minuten. Vom Taxistand am Flughafen geht man noch einige Minuten im Flughafengebäude zum Check-in Schalter. Selbst wenn man aber von den von der Klägerin vorgetragenen Zeiten und einer zu erwartenden Ankunft am Check-in Schalter um 10:00 Uhr ausgeht, so war angesichts der von der Fluggesellschaft auf dem Boardingpass (Anlage K 6) avisierten Abflugzeit um 11:50 Uhr der von der Klagepartei eingeplante Zeitpuffer zu gering bzw. tatsächlich überhaupt kein Puffer vorhanden, da sich die Klägerin spätestens zwei Stunden vor Abflug am Check-in Schalter hätte einfinden sollen. Ein ausreichender Zeitpuffer war jedoch von der Klägerin – völlig unabhängig davon, ob sie von der Beklagten hierauf vorab hingewiesen worden war – im eigenen Interesse einzuplanen, da es bei einer Anreise über mehrere 100 km nach der Lebenserfahrung ungeachtet des genutzten Verkehrsmittels zu (erheblichen) Verspätungen kommen kann. Es ist zudem allgemein und war nach eigenen Angaben auch der Klägerin bekannt, dass die Fluggesellschaften im Rahmen internationaler Flüge ein Erscheinen am Check-in Schalter spätestens zwei Stunden vor Abflug erwarten. Dies gilt erst recht für Reisen außerhalb des Schengen-Raumes, wie vorliegend, da hier Grenz- bzw. Passkontrollen stattfinden. Wie sich die Klägerin und ihr Ehemann angesichts der vorgetragenen Reiseerfahrung von mehr als 20 Jahren dem verschließen konnten, ist nicht nachvollziehbar. Auch nicht nachvollzogen werden kann insoweit die Rechtsprechung des Landgerichts Frankfurt, Az. 2-24 S 74/19, wonach bei Bahnanreise lediglich eine Zugverspätung von 10 Minuten einzukalkulieren sei. Zugverspätungen in diesem Rahmen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Es geht jedoch gerade darum, durch eine vorausschauende Auswahl des Zuges auch außergewöhnlichen Umständen Rechnung zu tragen. Je länger die Strecke ist, desto wahrscheinlicher ist nach der Lebenserfahrung eine Verspätung. Die Obliegenheit der Klägerin, für ein pünktliches Erscheinen zum Reiseantritt Sorge zu tragen, lässt sich auch im Rahmen einer Pauschalreise nicht auf den Veranstalter abwälzen.
24
Der Hinweis des ausführenden Luftfahrtunternehmens auf der Boardkarte (Anlage K6), eine Gepäckabgabe am Gepäckautomaten könne später als 11:10 Uhr nicht erfolgen, vermag an dem überwiegenden Verschulden der Klägerin an der Nicht-Beförderung ihres Gepäcks vorliegend nichts zu ändern. Denn zum einen handelt es sich insoweit lediglich um eine Erklärung der Erfüllungsgehilfin der Beklagten, auf welche die Klägerin angesichts der sich aus dem R. & F.-Ticket ergebenden entgegenstehenden Anreisehinweise der Beklagten als ihrer Vertragspartnerin nicht vertrauen durfte. Zum anderen durfte die Klägerin auch nicht davon ausgehen, dass sie tatsächlich bis zur buchstäblich letzten Minute Gelegenheit haben würde ihr Gepäck abzugeben. Darauf deutet bereits der Wortlaut des Hinweises „nicht später als“ (statt: „bis“) hin. Auch sind geringfügige Verschiebungen der Abflug- und Boardingzeiten vor und zurück aufgrund der Abläufe an einem großen Flughafen wie dem Münchner mit eng getakteten Zeitkorridoren und einer Vielzahl von Abflügen und Ankünften regelmäßig zu erwarten. Und schließlich ist für den einzelnen Reisenden nicht absehbar, wie viele andere Reisende ebenfalls von einer Gepäckabgabe in letzter Minute Gebrauch machen möchten, so dass sich etwaige hieraus ergebende Wartezeiten einzukalkulieren wären. Maßgeblicher Zeitpunkt ist daher allein die Ankunft am Check-in Schalter des Flughafens zwei Stunden vor Abflug und nicht, wann nach Angaben des Luftbeförderungsunternehmens die Gepäckabgabe beendet ist. Hieran vermag auch der von den Reisenden durchgeführte online Check-in nichts zu ändern, denn das Boarding hatte unstreitig bereits begonnen und die Reisenden hatten bis zu diesem Zeitpunkt weder ihr Gepäck aufgegeben, noch hatten sie die Sicherheits- und Passkontrolle passiert. Eine Beförderung ihres Gepäcks konnte die Klägerin daher zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erwarten.
25
Damit liegt bereits kein Reisemangel vor. Die Klägerin war daher nicht zu einer Kündigung des Reisevertrages nach § 651 l BGB berechtigt.
26
Die Kündigung lässt sich auch nicht auf § 314 BGB stützen (soweit dieser neben § 651 l BGB überhaupt Anwendung findet, was streitig ist). Die Nichtbeförderung des Aufgabegepäcks stellt keinen wichtigen Grund im Sinne des § 314 BGB dar, der zu einer Unzumutbarkeit der Fortführung der Reise führen würde, zumal auch insoweit das überwiegende (Mit-)Verschulden der Klägerin zu berücksichtigen ist.
27
Kündigt der Reisende, obwohl die Kündigungsvoraussetzungen nicht vorliegen, tritt die Rechtsfolge des § 651 l Abs. 2 BGB nicht ein, sodass der Anspruch auf den vollen Reisepreis grundsätzlich bestehen bleibt. Allerdings hat der Reiseveranstalter dem Reisenden die ersparten Aufwendungen zu erstatten, da er anderenfalls besser gestellt würde als bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Reisevertrages (vgl. jurisPK-BGB-Steinrötter, 9. Aufl., § 651 l BGB (Stand: 11.05.2020), Rn. 32 m.w.N.). Die Beklagte hat vorliegend ersparte Aufwendungen in einem Umfang von 736,00 € erstattet, deren Höhe nicht bestritten ist. Ein weitergehender Erstattungsanspruch der Klägerin besteht nicht.
28
b) Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Schadensersatz scheidet aus, da bereits kein Mangel der Reiseleistung vorlag. Selbst wenn man vorliegend von einem Mangel der Reiseleistung ausgehen wollte, so wäre ein Schadensersatzanspruch der Klägerin jedenfalls nach § 651 n Abs. 1 Nr. 1 BGB ausgeschlossen, da die in Aussicht gestellte Nichtbeförderung des Aufgabegepäcks der Klägerin maßgeblich auf der Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten bei der Auswahl der Anreisezeit beruhte und damit jedenfalls von ihr verschuldet war.
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2. Der geltend gemachte Anspruch auf Nebenkosten teilt das Schicksal der Hauptsacheforderung. Auch soweit die Beklagte vorliegend einen Betrag in Höhe von 736,00 € erstattet hat, besteht kein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 249 BGB, da sich die Beklagte bei Mandatierung des klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht in Verzug befand und die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwaltes aus Ex-ante Sicht nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Es wäre der Klägerin ohne Weiteres zuzumuten gewesen, ihre Ansprüche zunächst selbst bei der Beklagten geltend zu machen. Ein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten besteht daher weder unter Verzugs- noch unter Schadensersatzgesichtspunkten.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 91 a ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren die Kosten der Beklagten aufzuerlegen, da diese in dem Rechtsstreit insoweit voraussichtlich unterlegen wäre. Bei der von der Beklagten vorgenommenen Rückzahlung handelt es sich um den Betrag der ersparten Aufwendungen, zu deren Erstattung die Beklagte verpflichtet war. Diese befand sich auch nach Ablauf der mit Rechtsanwaltsschreiben vom 26.02.2020 gesetzten Zahlungsfrist insoweit in Verzug, so dass der Rechtsgedanke des § 93 ZPO keine Anwendung findet.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.