Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 18.11.2021 – 5 U 2744/21
Titel:

Abschalteinrichtung, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Rechtsprechung des BGH, Emissionskontrolle, Gebrauchte Kraftfahrzeuge, Kraftfahrt-Bundesamt, Verbrauchsgüterkauf, Genehmigungsverfahren, Tatbestandswirkung, Landgerichte, Rücknahme des Rechtsmittels, Unzulässigkeit, Typgenehmigung, Aussicht auf Erfolg, Straßenverkehr, Ständige Rechtsprechung, Beweisantrag, Kaufvertrag, Rückabwicklung, Kraftfahrzeughändler

Schlagworte:
Schadensersatz, Abschalteinrichtungen, Thermofenster, Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Emissionskontrollsystem, Typgenehmigung
Vorinstanz:
LG Regensburg vom 28.06.2021 – 44 O 308/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.01.2022 – 5 U 2744/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 13.11.2023 – VIa ZR 252/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64446

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 28.06.2021, Az. 44 O 308/21, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO erfüllt sind.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger hat mit Vertrag vom 20.10.2016 bei einem selbständigen Kraftfahrzeughändler ein gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes Benz CLA 220 CDI zum Preis von 37.900,00 € erworben. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet und nach der Schadstoffklasse Euro 6 zugelassen; es verfügt nicht über ein SCR-System.
2
Mit der Behauptung, sein Fahrzeug, das von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes wegen Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erfasst ist, sei gleichwohl mit derartigen Einrichtungen versehen, die dazu führten, dass im Realbetrieb die Stickoxid-Emissionen weit oberhalb der gesetzlichen Grenzwerte lägen, nimmt der Kläger die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeuges auf Schadensersatz in Anspruch; er fordert die Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges, wobei er sich wegen der mit dem Fahrzeug inzwischen zurückgelegten Strecke einen Nutzungsersatz in Höhe von 8.336,82 € anrechnen lässt. Es handele sich bei den unerlaubten Einrichtungen im einzelnen um ein Thermofenster der Abgasrückführung, das dazu führe, dass außerhalb eines bestimmten Temperaturbereiches, den der Kläger mit 17° Celsius bis 30° Celsius angibt, die Abgasreinigung nur in reduziertem Umfang oder gar nicht arbeite, zum anderen um eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, die ihre emissionsverringernde Wirkung im wesentlichen nur auf dem Prüfstand entfalte, sowie um weitere Einrichtungen, die vom Kläger als Bit 13, Bit 14, Bit 15 und Slipguard bezeichnet werden. Die Beklagte habe alle diese Einrichtungen im Wissen um ihre Unzulässigkeit eingebaut und hafte dem Kläger daher aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Der Anspruch des Klägers ergebe sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten; sie hat geltend gemacht, das Fahrzeug sei in Übereinstimmung mit einer bestandskräftigen EG-Typgenehmigung produziert worden, die Tatbestandswirkung entfalte; es weise keine unzulässigen Abschalteinrichtungen auf, insbesondere keine Funktion des Emissionskontrollsystems, die in Abhängigkeit von der Erkennung eines Prüfstandsbetriebes die Wirkung der Emissionskontrolle beeinflusse. Vielmehr arbeiteten die Einrichtungen der Emissionskontrolle, die jedenfalls nach Auffassung der Beklagten sämtlich zulässig seien, auf dem Prüfstand nicht anders als unter vergleichbaren Umständen im wirklichen Straßenverkehr; das Fahrzeug sei vom Kraftfahrt-Bundesamt denn auch nicht beanstandet worden. Der Vortrag des Klägers zum Thermofenster der Abgasrückführung gehe an den Tatsachen vorbei; tatsächlich verfüge das streitgegenständliche Modell über eine kombinierte Hoch- und Niederdruck-Abgasrückführung, wodurch ermöglicht würde, dass die Abgasrückführung innerhalb eines weiten Temperaturbereiches bis hin zu Extremtemperaturen nicht durch die Außentemperaturen in ihrer Wirkung beeinflusst werde. Im Übrigen seien Thermofenster der Abgasrückführung zulässig und stellten – auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – gerade keine Abschalteinrichtungen dar. Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung bewirke einen Emissionsvorteil während der Warmlaufphase des Motors; dies geschehe im wirklichen Straßenverkehr nicht anders als auf dem Prüfstand, es handele sich auch hier nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Zumindest habe die Beklagte bei der Installation dieser Einrichtung in vertretbarer Weise die Zulässigkeit der Funktion annehmen müssen.
4
Die übrigen vom Kläger angeführten Funktionen gebe es in dem Fahrzeug des Klägers nicht; die diesbezüglichen Behauptungen des Klägers entbehrten jeglicher Substanz und bezögen sich teilweise auf Fahrzeuge anderer Hersteller.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
6
Mit der Berufung macht der Kläger geltend, das Landgericht habe die Rechtsprechung des BGH verkannt und infolgedessen die Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen bezüglich unerlaubter Abschalteinrichtung überspannt. Darüber hinaus habe das Landgericht die Beweisanträge zum vorsätzlichen Handeln der Beklagten übergangen.
II.
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Das Rechtsmittel des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg Zu Recht hat das Landgericht die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen.
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1) Zutreffend – und mit der Berufung nicht angegriffen – hat das Landgericht festgestellt, weder hinsichtlich des sog. Thermofensters der Abgasrückführung noch hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung behaupte der Kläger, es handele sich dabei um Funktionen, die im realen Straßenverkehr unter vergleichbaren Bedingungen anders – und weniger wirksam – arbeiteten als in der Prüfungssituation selbst Die Auffassung des Landgerichts, infolgedessen ergebe schon der Klägervortrag nicht, dass die Beschaffenheit der – angeblichen – Abschalteinrichtungen den objektiven Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung belege, entspricht der Rechtsprechung des BGH (BGH, NJW 2021, 921, sowie MDR 2021, 483) und auch der ständigen Rechtsprechung des Senats.
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2) Ebenfalls zu Recht hat das Landgericht den Vortrag des Klägers zu den weiteren Abschalteinrichtungen, nämlich der Funktionen Bit 13 bis 15 und Slipguard, als prozessual unbeachtlich behandelt. Es handelt sich hier um willkürlichen, nicht auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Vortrag „ins Blaue hinein“. Diese Funktionen, die vom Kläger nur sehr pauschal in ihrer Wirkung beschrieben werden, sind in Fahrzeugen der Beklagten, die für den deutschen Markt bestimmt waren, bis heute nicht festgestellt worden. Keiner der inzwischen zahlreichen Rückrufbescheide des Kraftfahrt-Bundesamtes ist auf die Feststellung einer derartigen Funktion gestützt.
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3) Ist somit davon auszugehen, dass das Emissionskontrollsystem des streitgegenständlichen Fahrzeuges im Realbetrieb unter vergleichbaren Umständen nicht anders arbeitet als in der Prüfungssituation selbst, kommt eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach der Rechtsprechung des BGH nur bei Hinzutreten weiterer Umstände in Betracht; mindestens erforderlich wäre vorsätzliches Handeln der Beklagten im Hinblick auf die Unzulässigkeit der in Rede stehenden Funktionen.
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Der Senat hat jedoch bereits wiederholt entschieden, dass weder hinsichtlich des sog. Thermofensters der Abgasrückführung noch hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, unterstellt, diese Einrichtungen seien als Abschalteinrichtungen i.S.d. Art 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren und nach Art. 5 der genannten Verordnung nicht zulässig, ein vorsätzliches Handeln der Beklagten angenommen werden kann. Da es hierfür schon keinerlei Anhaltspunkte gibt, bedarf es der Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen nicht.
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a) Den substantiierten Vortrag der Beklagten, die Abgasrückführung arbeite im streitgegenständlichen Fahrzeug, abgesehen von Extremtemperaturen, die in Europa nahezu nicht vorkommen dürften, nicht in Abhängigkeit von der Außentemperatur, hat der Kläger nicht beachtet. Unterstellt man gleichwohl seinen Vortrag als richtig, es gebe in seinem Fahrzeug ein „echtes“ Thermofenster, etwa dergestalt, dass die Abgasrückführung nur zwischen 17° Celsius und 30° Celsius mit voller Wirksamkeit erfolge, so gilt, wie der Senat bereits vielfach entschieden hat, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell eine derartige Temperaturabhängigkeit von den Genehmigungsbehörden als technisch gerechtfertigt und deshalb zulässig angesehen wurde; der Kläger bezweifelt auch nicht, dass die Beklagte diese Temperaturabhängigkeit im Genehmigungsverfahren angezeigt hatte. Die Gesetzeslage konnte jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt – im Streitfall ist die Typgenehmigung spätestens im Jahr 2015 erteilt worden – auch keineswegs als so eindeutig angesehen werden, dass sich die Unzulässigkeit der Funktion geradezu aufdrängen musste und hieraus auf einen Vorsatz der Beklagten geschlossen werden könnte. Einer solchen Annahme stünde zudem die ständige Genehmigungspraxis der Typgenehmigungsbehörden entgegen. Diese vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung, die von zahlreichen Oberlandesgerichten geteilt wird, hat der BGH gebilligt (Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20). Auf die heutige Sicht, die von einer Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 (C-693/18) beeinflusst ist, kann es für die Beurteilung des Vorsatzes nicht ankommen. Unerheblich ist auch der Hinweis des Klägers auf die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 23.09.2021 in Bezug auf Vorlagefragen österreichischer Gerichte betreffend das Thermofenster. Der Generalanwalt befürwortet, das dort zur Überprüfung gestellte Thermofenster als eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Verordnung (EG) Nr. 715/2007 einzuordnen und ein so ausgestattetes Fahrzeug als nicht dem Kaufvertrag gemäß i.S.d. Richtlinie 1999/44 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1990 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter anzusehen. Dies beeinflusst jedoch nicht die Beurteilung der Frage, ob damit dem Käufer, ein gegen den Hersteller gerichteter Anspruch auf (Rück-) Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrages zustehen sollte (Beschluss des BGH vom 13.10.2021, VII ZR 185/21).
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b) Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung wird, wie allgemein bekannt, vom Kraftfahrt-Bundesamt nicht generell beanstandet, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen, die im streitgegenständlichen Fahrzeugmodell, da es nicht von einem Rückruf betroffen ist, ersichtlich nicht verwirklicht sind. Unabhängig hiervon, also auch mit Geltung für Rückruffälle, hat der Senat ein vorsätzliches Handeln der Beklagten im Hinblick auf die Unzulässigkeit bereits wiederholt verneint. Da die Schaltbedingungen für die Aktivierung der Solltemperatur-Absenkung jedenfalls unter Betriebsbedingungen, die denen der gesetzlichen Emissionsprüfung entsprechen, auch im Realverkehr erfüllt sind, wenn auch möglicherweise unter davon abweichenden Bedingungen mehr oder weniger häufig nicht, ist die Funktion geeignet, auch im Realbetrieb durch Verlängerung der Warmlaufphase des Motors nach einem Kaltstart, wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum, die Stickoxid-Emissionen zu senken, was dem vom Gesetzgeber mit der Emissionsregulierung verfolgten Ziel der Verringerung der Stickoxid-Emissionen im innerstädtischen Verkehr bei hoher Verkehrsdichte nach einem Kaltstart dient. Dass die Regelung gleichwohl nicht zulässig sein sollte, musste sich der Beklagten keineswegs aufdrängen (siehe etwa Urteil des Senats vom 17.06.2021, 5 U 2780719).
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Da somit die Berufung des Klägers ohne Erfolg bleiben wird, regt der Senat an, die Rücknahme des Rechtsmittels zur Kostenersparnis in Erwägung zu ziehen.
15
Der Kläger kann zu diesem Hinweis binnen dreier Wochen nach Zustellung schriftsätzlich Stellung nehmen.