Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 22.07.2021 – 23 O 2334/20
Titel:

Keine Amtshaftung wegen eines Unterbringungsbeschlusses aufgrund eines von Wachtmeistern gefertigen Vermerks

Normenketten:
GVG § 71 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 1, § 12, § 17
Leitsatz:
Ein Amtshaftungsanspruch wegen eines Unterbringungsbeschlusses aufgrund eines von Wachtmeistern gefertigen Vermerks setzt die (Mit)Kausalität des Vermerks für den Unterbringungsbeschluss voraus. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Amtshaftung, Unterbringung, Unterbringungsbeschluss, Vermerk, Wachtmeister, Sachverständigengutachten, Eigengefahr, Kausalität
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 22.02.2023 – 4 U 2927/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64389

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht Schmerzensgeld geltend, weil er u.a. aufgrund eines Vermerks der Wachtemeister H2. und H1. im Bezirkskrankenhaus M. untergebracht worden sei.
2
Die Wachtmeister H. und H1. stellten dem Kläger am 26.08.2015 drei Schriftstücke zu und fertigten hierüber folgenden Vermerk (Anlage K3):
Die Zustellungen wurden durchgeführt von Herrn H1. und Herrn H2. am 26.08.2015 um 10:55 Uhr. Beim Eintreffen in der L. straße 82 läuteten wir ordnungsgemäß bei der Klingel des Herrn H3. Sodann öffnete er ein Fenster und fragte „was wollen Sie?“. Ich erläuterte ihm, dass ich 3 persönliche Zustellungen für ihn habe. Daraufhin sagte er: „verlassen Sie sofort mein Grundstück, ich zeige Sie an wegen Hausfriedensbruch.“ Er nahm sofort sein Handy und stellte Strafanzeige gegen mich und meinen Kollegen bei der Polizei Eggenfelden. Ich sagte ihm, wenn er die Zustellungen nicht annimmt, lege ich sie in den Briefkasten, sie gelten dann auch als zugesteht. Er sagte: „haut endlich ab“ und schloss das Fenster. Daraufhin rief ich nochmal nach Herrn H3., er öffnete wieder das Fenster, sagte wirres Zeug. In der Zwischenzeit unterschrieb ich die Zustellungsbriefe und gab sie ihm in die Hand. Daraufhin warf er sie weit weg von sich und sagte, ich soll sie aufheben. Schließlich hat er nichts unterschrieben. Daraufhin sagte ich zu ihm, er muss nichts unterschreiben, sondern die Urkunde wird von mir beurkundet, dass ich ihm die Briefe übergeben habe. Ich hörte noch wie er zur Polizei sagte ich hätte ihm heute beim Amtsgericht 2 Feuerzeuge gestohlen. Daraufhin sagte ich, er habe mir ein Feuerzeug gegeben, da er meines das letzte Mal mitgegeben habe und das zweite gab er mit noch und sagte, ich habe ja schließlich genug Feuerzeuge. Wir gingen dann zum Auto. Er folgte uns und filmte uns mit seinem Handy. Er stellte sich vor das Fahrzeug, dass ich nicht wegfahren konnte. Dann riss er die Fahrertüre auf, ich sagte: „schließen sie die Fahrertüre wieder“. Er sagte: „wollt ihr euch mit mir anlegen, ihr legt euch mit dem Falschen an“. Dann wollte ich die Fahrertüre schließen und er riss sie wieder auf. Ich sagte: „Lassen Sie uns fahren“ daraufhin schlug er die Türe mit voller Wucht zu. Sagte wir sind Arschlöcher. Beim Wegfahren ging er auf die Beifahrerseite und schlug mit enormer Kraft gegen das Fenster der Beifahrerseite. Wir suchten dann schnall das Weite um die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen.
3
Das Landratsamt R.-I. beantragte sodann am 26.08.2015, die Unterbringung des Klägers nach Art. 9 UnterbrG anzuordnen (Anlage K4, Betreuungsakte, Bl. 2 mit Faxnachweis: 26.08.2015, 11). In diesem Antrag wurde auf den bereits am 10.08.2015 gestellten ersten Unterbringungsantrag sowie auf das Gutachten des Facharztes Dr. W. vom 12.08.2015 Bezug genommen (Anlage K4).
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Der Kläger wurde am 26.08.2015 dem Richter vorgeführt. Im Rahmen seiner Anhörung, die in Anwesenheit des Sachverständigen Dr. W. durchgeführt wurde, schrie der Kläger mehrmals herum und lehnte sowohl den Richter als auch seinen Verfahrenspfleger als befangen ab. Zudem beschimpfte er den Sachverständigen (Anlage K2).
5
Der Sachverständige Dr. W. äußerte sich bei der Anhörung wie folgt: Herr H3. zeigt auch aktuell ein gereizt manisches Zustandsbild, in dem er die Realitäten völlig verkennt, keine Steuerung seiner Impulse und Vorstellungen mehr hat und es aus nervenärztlicher Sicht der sofortigen Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einer medikamentösen Behandlung bedarf. Die Unterbringung wird mindestens für 4 Wochen erforderlich sein. Es liegen die Voraussetzungen des Unterbringungsgesetzes vor, weil er bedrohlich auftritt, auch Beschädigungen gegen Sachen vornimmt. Andere Möglichkeiten zur Behandlung sind im Vorfeld ausgetestet worden. Er hat auch eine Möglichkeit zur Behandlung bei Prof. Spießl gehabt, hat wohl auch einen Termin wahrgenommen, aber keine Medikation eingenommen. Es besteht auch eine Eigengefahr insofern, als er durch sein jetziges Verhalten sich sämtlicher sozialer Beziehungen entledigt, sie jedenfalls erheblich schädigt. Ich korrigiere meine Aussage insofern, dass die Unterbringung wahrscheinlich zumindest 6 Wochen notwendig sein wird. Ob eine Zwangsbehandlung tatsächlich vor Ort noch notwendig sein wird oder ob er nicht auch von sich aus Medikamente nehmen wird, wird vor Ort entschieden werden müssen. Das Zustandsbild jedenfalls ist derzeit so bedeutsam, dass ein Verbleib im ambulanten Bereich ohne Medikation nicht möglich ist.
6
Auf Vorhalt des vom Betroffenen vorgelegten Attests vom 24.08.2015 erklärte Dr. W.:
7
Mit dem Attest von Prof. S. kann ich mich nicht einverstanden erklären, es kann durchaus sein, dass manische Patienten zu einigen Angelegenheiten oder Situationen ein relativ geordnetes Bild abgeben können, aber Herr H3. hat nicht zu jeden Situationen Kontrolle über seine Krankheit und seine Impulse, so dass die Beurteilung des Prof. S. nur für den Augenblick Bestand haben kann, aber mit der Langzeitverlaufsbeurteilung nicht übereinstimmt. Es ist zudem festzuhalten, dass durch die berufliche Tätigkeit Herr H3. auch Zugang zu Waffen hat. Zu der Notwendigkeit einer Betreuung sollte am besten ein Arzt des Bezirkskrankenhauses Stellung nehmen, da er dort unter längerer Beobachtung stehen wird.
8
Schließlich ergänzte der Sachverständige sein Gutachten wie folgt:
„Es besteht ein gereizt manisches Syndrom bei bipolarer Störung, Manie mit psychotischen Symptomen innerhalb einer bipolaren Störung.“
9
Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 26.08.2015 (Anlage K 2) Bezug genommen.
10
Durch Beschluss des Amtsgerichts Eggenfelden vom 26.08.2015 wurde die Unterbringung des Klägers in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses angeordnet und in diesem Zusammenhang wurde auf den Vermerk der Wachtmeister hingewiesen (Anlage K1). Die Unterbringung erfolgte sodann in der Zeit vom 26.08.-02.09.2015 im Bezirksklinikum M.. Am 02.09.2015 floh der Kläger aus dem Bezirksklinikum M.
11
Das Landgericht Landshut hat die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Eggenfelden vom 26.08.2015 mit Beschluss vom 30.09.2015, auf den Bezug genommen wird (Bl. 103 ff. der Betreuungsakte AG Eggenfelden), zurückgewiesen.
12
Der Kläger trägt vor, die schriftlichen Stellungnahmen der Wachtmeister H. und H1. seien vorsätzlich falsch erstellt worden und entsprächen nicht der Wahrheit. Zudem könnte in 12 Minuten (Verlassen des Grundstücks des Klägers 11:05 Uhr, Fax der Stellungnahme an das Ordnungsamt R.-I. um 11:17 Uhr) inklusive 5 Minuten Fahrzeit die Stellungnahme nicht verfasst worden sein. Es liege eine rechtswidrige Vorgehensweise der Wachtmeister, des Gerichts und des Sachverständigen vor.
13
Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe ein Schmerzensgeldanspruch zu, da die Unterbringung im Bezirksklinikum M. aufgrund des falschen Vermerks der Wachtmeister H. und H1. erfolgt sei und mithin eine mittelbare Freiheitsberaubung vorliege. Daher stehe ihm ein Amtshaftungsanspruch gegen den Beklagten zu.
14
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.000,00 € zu bezahlen nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit der Zustellung der Klage.
15
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Der Beklagte ist der Auffassung, dass keine Amtspflichtverletzung vorliege und zudem jedenfalls einer Kausalität nicht zu bejahen sei, da sich der Beschluss des Amtsgerichts Eggenfelden vom 26.08.2015 auf die Anhörung und das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. stütze.
17
Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung, weil dem Kläger der gesamte Sachverhalt spätestens 2015 bekannt gewesen sei und deshalb eventuelle Ansprüche nach Ablauf des Jahres 2018 verjährt seien. Der Kläger weist in diesem Zusammenhang auf § 197 BGB hin.
18
Das Landgericht Regensburg hat am 10.06.2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.06.2021 sowie auf die zur Klagebegründung und Klageerwiderung eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

19
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
20
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Regensburg ist für das vorliegende Amtshaftungsverfahren gem. § 1 ZPO i.V.m. § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG sachlich und nach §§ 12, 17 ZPO örtlich zuständig.
II.
21
Die Klage ist unbegründet, da der Kläger gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen einer Amtspflichtverletzung hat. Denn der geltend gemachte Amtshaftungsanspruch setzt unabhängig von der Richtigkeit der Angaben der Wachtmeister H. und Hermann voraus, dass der über die Zustellung gefertigte Vermerk mit kausal für den Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts Eggenfelden vom 26.08.2015 war. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben.
22
Zwar erwähnt der Beschluss des Amtsgerichts Eggenfelden vom 26.08.2015 die Niederschrift der Gerichtswachtmeister H. und Hermann über die am gleichen Tag erfolgte Zustellung. Der Beschluss stützt sich jedoch auf die gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. bei der Anhörung vom 26.08.2015 und auf das Verhalten des Klägers während seiner Anhörung. Das Amtsgericht Eggenfelden geht in seinem Beschluss ausdrücklich davon aus, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung in erheblichem Maße die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und stürzt sich in diesem Zusammenhang auf das Verhalten des Klägers während seiner Anhörung. Der Inhalt des Vermerks der beiden Wachtmeister wird im Unterbringungsbeschluss nicht erwähnt, es wird lediglich auf den Vermerk Bezug genommen. Auch die ausführlichen Darlegungen des Sachverständigen Dr. W. nehmen zu dem Vermerk der Wachtmeister H. und H1. keinen Bezug. Dies zeigt, dass der Unterbringungsbeschluss aufgrund eines medizinischen Krankheitsbildes, das der Sachverständige Dr. W. dargelegt hat, erfolgt ist und der Vermerk der Wachtmeister H. und H1. für den Unterbringungsbeschluss nicht maßgebend war. Im Übrigen wies der Sachverständige bei der Anhörung ausdrücklich darauf hin, dass eine Eigengefahr bestehe, weil der Kläger sich durch sein Verhalten sämtlicher sozialer Beziehungen entledige, sie jedenfalls erheblich schädige.
23
Die seitens des Klägers aufgeworfenen Fragen, ob die Anordnung der Unterbringung durch das Amtsgericht Eggenfelden am 26.08.2015 ordnungsgemäß erfolgt ist, insbesondere ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, sind im vorliegenden Verfahren genauso wenig entscheidungserheblich wie die Frage, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung nach Unterbringungsgesetz vorlagen. Entscheidend ist hier, wie bereits dargelegt, dass sich der Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts Eggenfelden vom 26.08.2015 unabhängig von der Frage der Richtigkeit der seitens der Wachtmeister H1. und H2. getätigten Angaben auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. in der Anhörung sowie auf das Verhalten des Klägers in der Anhörung stützt.
24
Im Ergebnis besteht daher kein Anspruch auf Schmerzensgeld.
III.
25
Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.