Titel:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, verfassungsmäßig berufener Vertreter, Sekundäre Darlegungslast, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nutzungsentschädigung, Darlegungs- und Beweislast, Elektronischer Rechtsverkehr, Beibringungsgrundsatz, Rechtshängigkeit, Beweiserleichterung, Streitwert, Greifbare Anhaltspunkte, Klagepartei, Substantiierung des Sachvortrags, Unzulässigkeit, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Zug-um-Zug
Schlagworte:
Klageänderung, Zuständigkeit, Anspruch, unzulässige Abschalteinrichtung, Darlegungs- und Beweislast, sekundäre Darlegungslast, deliktische Haftung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 30.11.2023 – 14 U 161/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64307
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 20.224,74 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Rahmen des sogenannten DieselAbgasskandals.
2
Der Kläger erwarb am 23.05.2016 einen Opel Insignia Sports Tourer mit der Fahrzeugidentifikationsnummer: …, mit einem Kilometerstand von 5.761 km zu diesem Zeitpunkt zu einem Kaufpreis in Höhe von 29.339,00 € bei Autohaus ... . Die Beklagte ist die Herstellerin des vorgenannten Fahrzeugs. In dem Fahrzeug ist der unter die Abgasnorm EURO 6 fallende und von der Beklagten hergestellte Dieselmotor verbaut. Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug zuletzt am Tag der mündlichen Verhandlung 124.541 km. Für dieses Fahrzeug war eine Typgenehmigung nach EU-Recht erteilt worden. Das Fahrzeug ist mit einem SCR-Katalysator ausgestattet.
3
Das Fahrzeug ist von einem nicht bestandskräftigen Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) betroffen.
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Der Kläger behauptet, von der Beklagten sittenwidrig und betrügerisch geschädigt worden zu sein. Das gekaufte Fahrzeug würde unter den sog. Abgasskandal fallen. Dieses sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen.
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Es sei eine Technik vorhanden, die die Messwerte bei Abgasprüfungen nach dem Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) manipuliere, indem in einen Modus geschaltet werde, in dem – im Gegensatz zum tatsächlichen Fahrbetrieb – die Abgasreinigung insoweit gewährleistet sei, dass die gesetzlichen Stickoxid-Grenzwerte eingehalten würden.
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Der Kläger behauptet, dass das Fahrzeug mit einem Emissionskontrollsystem ausgestette sei, welches in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur (unter 17 °C), Umgebungsluftdruck (unter 91,5 kPa) und Motorendrehzahl (über 2.750 Umdrehungen/min) in seiner Wirkungsweise verringert werde. Darüber hinaus werde 1180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen Betriebsmodus gewechselt und auf Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen umgeschaltet.
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Die Abschalteinrichtungen seien im Typengenehmigungsverfahren nicht offengelegt worden. Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von der Manipulation gehabt. Die Manipulation habe nur durch die höchsten Ebenen des Unternehmens veranlasst werden können.
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Das OBD-System zur Überwachung der Emissionen melde bei all dem keine Störung, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben sei.
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Das – unstreitig installierte – sog. Thermofenster stelle ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung dar.
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Zur Rechtfertigung ihrer Ansprüche beruft sich die Klagepartei insbesondere auf Schadensersatzansprüche nach § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB, § 826 BGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. § 27 EG-FGV sowie § 831 BGB.
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Der Kläger hat ursprünglich mit Schriftsatz vom 29.04.2021 den folgenden Antrag angekündigt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 29.339,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung eines Fahrzeugs Opel Insignia mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 29.339,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 13.694,67 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung eines Fahrzeugs Opel Insignia mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte bestreite, Manipulationen an dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorgenommen zu haben, die als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen seien. Der Kläger trage ins Blaue hinein und damit unsubstantiiert vor. Es bestehe keine Vergleichbarkeit des Motors mit dem Volkswagenmotor EA189 und der Motor enthalte auch keine Prüfzyklus- oder Vorkonditionierungserkennung. Der Rückrufbescheid sei noch nicht bestandskräftig und die Beklagte nach wie vor von der Zulässigkeit überzeugt. Auch das On-Board-Diagnose-System weise keine Manipulation auf. Die gesetzlich maßgeblichen Grenzwerte würden eingehalten. Eine Deaktivierung der Abgasrückführungsrate finde erst ab Temperaturbereichen unterhalb von minus 10°C und oberhalb von 50 °C statt. Neben den klimabezogenen Bedingungen wie Umgebungsluftdruck, Lufttemperatur oder Umgebungsluftdruck beeinflusse und bedinge auch eine Vielzahl weiterer Faktoren die Funktionsweise und Leistung des Motors. Die Steuerung des Emissionskontrollsystems erfolge sowohl auf dem NEFZ-Prüfstand als auch im Straßenbetrieb.
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Ein Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagte bestehe unter keinem rechtlich denkbaren Gesichtspunkt. Die Beklagte habe weder vorsätzlich noch sittenwidrig gehandelt. Der Vortrag der Klägerin hierzu sei unsubstantiiert und erfolge ins Blaue hinein. Der Beklagten könne auch kein arglistiges Verhalten vorgeworfen werden. Die Beklagte meint, das vorliegend in Rede stehende parametergesteuerte Emissionskontrollsystem rechtfertigte auch Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keine deliktische Haftung.
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Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
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Das Gericht hat am 02.11.2021 mündlich zur Sache verhandelt. Beweis wurde nicht erhoben. Auf das Protokoll vom 02.11.2021 wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vervollständigung des Tatbestands auf sämtliche zwischen den Parteien gewechselten umfangreichen Schriftsätze nebst Anlagen und sonstige Aktenbestandteile Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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Die seitens des Klägervertreters beantragte Schriftsatzfrist war nicht zu gewähren. Es wurden bereits keine Umstände behauptet, aus denen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 283 ZPO hervorgehen würde. Es ist schon gar nicht dargelegt, dass und im Hinblick auf welches konkrete Vorbringen in dem Schriftsatz vom 22.10.2021 eine sofortige Erklärung im Termin nicht möglich gewesen sein soll.
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Die Klage ist zulässig.
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I. Die Klageänderung ist nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässig.
22
II. Das Landgericht Kempten (Allgäu) sachlich gem. §§ 1, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gem. § 32 ZPO zuständig.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die begehrte Zahlung.
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I. Dem Kläger steht kein Anspruch gemäß § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB analog zu.
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Dem Kläger trägt im Rahmen der genannten Anspruchsgrundlage die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen, nicht im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 2007/715 notwendigen Abschalteinrichtung. Der Kläger muss also darlegen und beweisen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug jedenfalls eine von ihm behauptete, unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist und die Beklagte durch die Verwendung einer solcher Abschalteinrichtung den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat.
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Einen solchen Nachweis hat der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts geführt.
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1. Hinsichtlich des sog. Thermofensters kann auf den BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 verwiesen werden:
„Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände.
Entgegen der Auffassung der Revision ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Senatsurteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179) zugrunde liegt und in der der Senat das Verhalten des beklagten Automobilherstellers gegenüber dem klagenden Fahrzeugkäufer als sittenwidrig qualifiziert hat.
Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems wie im vorliegenden Fall fehlt es an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand, etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung 715/2007/EG i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28. Juli 2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom 27. Dezember 2006, S. 246 ff.)) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand.
Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem – hier unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 35).
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Derartige greifbare Anhaltspunkte sind hier nicht vorgetragen.
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2. Im Übrigen verweist die Beklagte zu Recht darauf, dass auf der Grundlage des klägerischen Vortrags keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beim hier streitgegenständlichen, also konkret durch den Kläger erworbenen Fahrzeug bestehen.
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a) Hinsichtlich der Anforderungen an einen Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs wird auf die folgenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 28.01.2020, Aktenzeichen VIII ZR 57/19, NJW 2020,1740 Bezug genommen:
„Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934 Rn. 43; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 Rn. 6 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 11 mwN). Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (BGH NJW-RR 2017, 22 Rn. 27). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa BGH WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939, jew. mwN).
Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (stRspr; vgl. BGH NJW-RR 2004, 337 unter II 1 mwN; Beschluss vom 9.11.2010 – VIII ZR 209/08, BeckRS 2010, 29314 Rn. 15). Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich – wie hier der Kl. – nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 13). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (stRspr; vgl. etwa BGH NJW-RR 2004, 337; NZG 2016, 658 = WM 2016, 974 Rn. 20; Beschluss vom 9.11.2010 – VIII ZR 209/08, BeckRS 2010, 29314; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 13, jew. mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH NJW-RR 2004, 337 mwN).“
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b) Gemessen an diesen Anforderungen stellen die Behauptungen des Klägers hinsichtlich weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen als Behauptungen „ins Blaue hinein“ dar.
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aa) Soweit die Klagepartei behauptet, dass im Fahrzeug eine Rollenprüfstandserkennung eingebaut worden sei, bei der die Motorsteuerungssoftware so programmiert sei, dass sie die Prüfstandsituation des NEFZ erkenne und in dieser eine schadstoffmindernde Strategie des AGR-Systems und des SCR-Systems mit dem Ergebnis betreibe, dass auf dem Prüfstand geringere NOx-Werte erzielt würden als im normalen Straßenbetrieb, ist es der Klagepartei bereits nicht gelungen, diese Behauptung substantiiert und in einer Beweisaufnahme zugänglichen Art und Weise darzutun.
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Zwar lässt sich aus dem Gesamtzusammenhang des klägerischen Vortrags entnehmen, dass der Kläger hinsichtlich der von ihm behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung von einer Manipulation der Motorsteuerungssoftware ausgeht, welche konkreten Parameter zur Abschaltung der Abgasreinigung führen, wird jedoch nicht substantiiert mitgeteilt. Die Klagepartei behauptet lediglich pauschal und damit letztlich „ins Blaue hinein“, dass in seinem Fahrzeug eine Abschalteinrichtung verbaut sei, bei der auf dem Prüfstand eine schadstoffmindernde Strategie des AGR-Systems und des SCR-Systems mit dem Ergebnis betrieben werde, dass auf dem Prüfstand geringere NOx-Werte erzielt würden als im normalen Straßenbetrieb. Welche Parameter dies sein sollen, führt die Klagepartei nicht näher aus. Eine Beweiserhebung über die Behauptung des Klägers liefe hier daher letztlich auf einen in der ZPO nicht vorgesehenen Ausforschungsbeweis hinaus.
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Für die Klagepartei kamen zu ihren Gunsten nicht die Grundsätze der sogenannten sekundären Darlegungs-/Behauptungslast zum Tragen. Zwar trifft den Bestreitenden nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine sekundäre Darlegungslast dann, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm detaillierte Angaben zuzumuten sind. Für die Frage der Zumutbarkeit ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Beibringungsgrundsatz nicht ausgehöhlt werden darf, nachdem es zunächst dem Beweisbelasteten obliegt, die ihm günstigen Umstände in der erforderlichen Tiefe darzulegen. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast reduzieren nicht bereits die allgemeinen Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegung des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale. Dem Autohersteller ist es grundsätzlich nicht zuzumuten, auf die bloße pauschale Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung hin im Einzelnen darlegen zum müssen, welche konkreten Abschalteinrichtungen ein bestimmter Motor enthält und warum diese gegebenenfalls für notwendig gehalten werden, um den Motor vor Beschädigungen oder Unfällen zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Eine solche Sichtweise würde den Beibringungsgrundsatz aushöhlen und dem beklagten Autohersteller eine der Zivilprozessordnung fremde allgemeine Aufklärungspflicht auferlegen. Vorliegend fehlt es somit bereits an der Grundlage für die Anwendung des Rechtsinstituts der sekundären Behauptungslast, der klägerischen Darlegung der konkreten Betroffenheit des im Streit stehenden Fahrzeugs (OLG Koblenz12. Zivilsenat, Urteil vom 18.05.2020 – 12 U 2149/19).
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Der Umstand, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug ein Rückrufbescheid des KBA vorliegt, ist für sich allein genommen ebenfalls nicht ausreichend, die von dem Kläger aufgestellte Behauptung als hinreichend substantiiert anzusehen, zumal die Klagepartei nicht einmal substantiiert behauptet, dass der konkrete Rückrufbescheid wegen einer in seinem Fahrzeug vorhandenen und nach Klägervortrag behaupteten Abschalteinrichtung ergangen sei. Dass der Rückruf des KBA wegen einer an eine Prüfstanderkennung geknüpfte Abschalteinrichtung erfolgt wäre, stellt sich als bloße Spekulation dar.
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bb) Soweit der Kläger vorträgt, dass auch das OBD-System manipuliert worden sei, ist zum einen bereits nicht ersichtlich, worin hier eine Sittenwidrigkeit zu sehen ist. Zum anderen greift das OBD-System auch nach den klägerischen Ausführungen nicht aktiv in die Abgasreinigung ein und soll dies auch nicht tun, sodass schon begrifflich keine Abschalteinrichtung vorliegt.
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3. Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht hinreichend substantiiert dargestellt, dass eine Zurechnung nach § 31 BGB gegeben wäre. Damit ein sittenwidriges Verhalten einer juristischen Person wie der Beklagten zugerechnet werden kann, bedarf es hierfür gemäß § 31 BGB der Kenntnis und der bewussten Täuschungshandlung eines ihrer Organe bzw. verfassungsmäßig berufenen Vertreters (siehe zu diesem Begriff BGHZ 49, 19 (21)). Darlegungs- und beweisbelastet hierfür ist dabei der Kläger. Dieser ist seiner Darlegungslast nicht nachgekommen. Es fehlt an jeglichem konkreten Vortrag, welches Organmitglied oder welcher Repräsentant wann und auf welcher Grundlage was gewusst haben soll (so auch OLG München, Beschluss vom 25.07.2017, Az. 13 U 566/17) und welches Organmitglied oder welcher Repräsentant mit welchem deliktisches Handeln gerade die Kaufentscheidung des Klägers beeinflusst haben soll. Die pauschale Behauptung, der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von der Abschalteinrichtung gehabt und die Aufzählung, wer in welchem Zeitraum für die Beklagte tätig war, ist nicht ausreichend, um die sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen. Jeglicher konkreter Tatsachenvortrag zur Kenntnis eines Organs bzw. verfassungsmäßig berufenen Vertreters fehlt.
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Der Kläger kann sich insoweit auch nicht, wie er meint, auf Beweiserleichterungen im Sinne einer sekundären Darlegungslast durch die Beklagte stützen. Das Ausmaß der sekundären Darlegungspflicht hängt vom gegnerischen Vortrag ab (BGH NJW-RR 1998, 712). Die Beklagte soll also auf konkrete Tatsachenbehauptungen erwidern und ist nicht gezwungen, einen pauschalen Vorwurf zu entkräften, indem sie selbst konkret und detailliert innerbetriebliche Abläufe offenbart. Soweit es um die Frage geht, wer wann und auf welcher Grundlage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses was gewusst haben soll, verkennt das Gericht nicht, dass sich der Kläger in einer Darlegungs- und Beweisnot befindet, da ihm die innerbetrieblichen Vorgänge der Beklagten aus eigener Wahrnehmung nicht bekannt sein können. Diese Beweisnot allein kann aber nicht zu Beweiserleichterungen oder zu einer sekundären Darlegungslast der Beklagten dergestalt führen, dass diese verpflichtet ist, sämtliche betriebsinternen Vorgänge offen zu legen, um so dem klägerischen Anspruch zum Erfolg zu verhelfen. Das Ausmaß der sekundären Darlegungspflicht der Beklagten ist vom gegnerischen Vortrag abhängig (BGH NJW-RR 1998, 712 (713)). Die Beklagte ist gehalten, auf konkrete Tatsachenbehauptungen zu erwidern (BGH NJW 2005, 2710), keineswegs ist sie gezwungen, einen pauschalen Vorwurf des betrügerischen bzw. sittenwidrigen Verhaltens durch detaillierte Darlegung innerbetrieblicher Abläufe zu entkräften, denn „der Umfang der jeweils erforderlichen Substantiierung des Sachvortrags bestimmt sich aus dem Wechsel von Vortrag und Gegenvortrag, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweisbelasteten Partei ist“ (BGH NJW 1999, 1859). Die Erklärungen der Beklagten genügen – gemessen am Vortrag des Klägers – den Anforderungen an ihre Darlegungslast.
39
II. Dem Kläger stehen auch keine Ansprüche aus § 831 BGB zu, da es, wie unter I. dargestellt, an einer hinreichenden Darlegung für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung fehlt.
40
III. Dem Kläger stehen auch keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu, da vor dem Hintergrund des fehlenden Nachweises eines sittenwidrigen täuschenden Verhaltens der Beklagten kein Raum für eine deliktische Haftung der Beklagten nachweisbar ist.
41
IV. Dem Kläger steht auch kein Anspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV zu, da es sich bei §§ 6, 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB handelt (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 11.05.2020, BeckRS 2020, 9863).
42
V. Mangels einer hinreichenden Darlegung für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung besteht auch kein Anspruch nach § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB.
43
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
44
II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.