Titel:
Unwirksamkeit einer formularmäßigen Abtretung hinsichtlich Gutachterkostenersatzes
Normenkette:
BGB § 307 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Eine Klausel "Das Sachverständigenbüro kann die Ansprüche zu jeder Zeit gegen mich geltend machen, verzichtet dann jedoch Zug um Zug gegen die Erfüllung auf die Rechte aus der Sicherungsabtretung gegenüber den Anspruchsgegnern" ist schon deshalb unklar, weil diese Formulierung einen Verzicht gegenüber dem Haftungsschuldner nahelegt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Transparenzgebot, Gutachterkosten, Abtretung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Urteil vom 09.08.2022 – 5 U 134/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 10.10.2023 – VI ZR 257/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64272
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt aus abgetretenen Recht Schadenersatz in Form von Gutachterkosten nach §§ 7 StVG, 823 BGB i.V.m. § 115 VVG.
2
Der Kläger ist von Beruf freier Kraftfahrzeugsachverständiger. Mit der Klageforderung verfolgt der Kläger von einzelnen Kunden an ihn abgetretene Schadenersatzanspüche in Höhe der offenen bzw. noch offenen Werklohnforderung, die ihm als Unternehmer gegenüber seinen Kunden aus den mit diesen jeweils getroffenen Vergütungsvereinbarungen zustehen. Der Kläger hatte mit allen seinen Kunden bei Auftragsvergabe eine Honorarvereinbarung getroffen und von diesen zugleich eine Sicherungsabtretung erhalten mit dem Auftrag, das Gutachten und die Honorarrechnung direkt bei dem Versicherer einzureichen. Die Beklagte ist unstrittig (mit Ausnahme Fall 10) Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung der unfallverursachenden Fahrzeuge. Die unbeschränkte Haftung der Beklagten ist insoweit unstreitig.
3
Die von den Kunden ursprünglich Unterzeichneten Sicherungsabtretungen enthielten eine Reserveabtretung hinsichtlich sonstiger Schadensposition, beschränkt auf die Höhe des Honorars. Auf Grundlage einer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 21.06.2016, VI ZR 475/15) aus der sich die Unwirksamkeit der ursprünglichen Abtretungen ergab, bat der Kläger seine Kunden darum zur Bestätigung ihres Willens eine erneute Abtretung zu unterzeichnen. Dies haben die Kunden in den streitgegenständlichen Fällen auch getan.
4
Die „neuen“ Abtretungen enthalten u.a. folgende Formulierung:
„Ich habe das o.g. Sachverständigenbüro mit der Erstellung eines Schadensgutachtens für mein o.g. Fahrzeuge aus o.g. Schadensfall beauftragt.“
Ich trete hiermit meinen Schadensersatzanspruch auf Erstattung von Gutachterkosten einschließlich Mehrwertsteuer
aus dem genannten Schadensereignis gegen Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des genannten Fremdfahrzeugs unwiderruflich an das Sachverständigenbüro ab.
Die Sicherungsabtretung erlischt erst nach vollständiger Bezahlung der mir berechneten Gutachterkosten. Das Sachverständigenbüro ist berechtigt, jedoch nicht verpflichtet, die Rechte aus dieser Abtretung gegenüber den mir Zahlungspflichtigen Dritten geltend zu machen. Für diesen Fall weise ich hiermit die Anspruchsgegner unwiderruflich an, den Forderungsbetrag des o.g. Kfz-Sachverständigenbüros unmittelbar dorthin zu begleichen. Mir ist bekannt, dass meine eigene Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Sachverständigenbüro erst nach vollständiger Bezahlung der Rechnung gleich von welcher Seite erlischt, und ich mich um die Durchsetzung meiner Schadensersatzansprüche selbst kümmern muss.
Das Sachverständigenbüro kann die Ansprüche zu jeder Zeit gegen mich geltend machen, verzichtet dann jedoch Zug um Zug gegen die Erfüllung auf die Rechte aus der Sicherungsabtretung gegenüber den Anspruchsgegnern.
Diese Abtretung ist ebenfalls für zusätzliche Kosten, die durch die Sicherungsverwahrung des o.g. unfallgeschädigten Fahrzeuges, sowie Kosten für Nachbesichtigung, Reparaturbestätigung, Nachprüfung, sachverst, Stellungnahme, Bewertung – soweit sie durch das o.g. Sachverständigenbüro anfallen – gültig einschließlich Mehrwertsteuer. Ich bin damit einverstanden, dass das Gutachten mit Rechnung über die Gutachtenkosten im Original an einen der Anspruchsgegner (bevorzugt die Versicherung) übersandt werden. Ich erhalte je eine Originalausfertigung davon.“
5
Im einzelnen begehrt der Kläger folgende Restforderungen:
- 1.1.1.
-
… Schadensnummer: 15-11-6...-K
Auftrags/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 06.03.2015 und 14.12.2018 (Anlagenkonvulut K 1)
Restforderung: 566,79 €
- 2.2.2.
-
… Schadensnummer: 15-11-6...-K:
Prüfbericht und Rechnung vom 12.05.2015 (Anlage K 2)
Forderung: 567,63 €
- 3.3.3.
-
… Schadensnummer: 15-11-6...0:
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 26.03.2015 und 13.11.2018 (Anlagenkonvulut K 3)
Restforderung: 316,90 €
- 4.4.4.
-
… Schadensnummer: 15-11-6...-K:
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 30.03.2015 und 2018 (Anlagenkonvulut K 5)
Restforderung: 151,32 €
- 5.5.5.
-
… Schadensnummer: 15-11-6...1
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 28.05.2015 und 14.12.2018 (Anlagen K 7)
Restforderung: 440,02 €
- 6.
-
…/…
- 7.
-
…/…
- 8.8.8.
-
… Schadensnummer: 16-11-6...-L
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 28.01.2016 und 14.12.2018 (Anlagenkonvulut K 9)
Restforderung: 795,10 €
- 9.9.9.
-
… Schadensnummer: 16-11-6...-L
Reparaturbestätigung und Rechnung 25.02.2016 (Anlage K 11)
Forderung: 99,92 €
- 10.10.10.
-
… Schadensnummer 16-11-5...-C
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 04.04.2016 und 19.12.2018 (Anlagenkonvulut K 12)
Restforderung: 352,69 €
- 11.11.11.
-
… Schadensnummer 16-11-6...-Z
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 23.06.2016 und 14.12.2018 (Anlagenkonvulut K 14)
Restforderung: 947,25 €
- 12.12.12.
-
…, Schadensnummer 16-11-6...-PL
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 10.08.2016 und 18.12.2018 (Anlagenkonvulut K 16)
Restforderung: 315,04 €
- 13.13.13.
-
…, Schadensnummer 16-11-6...7-K
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 31.10.2016 und 29.01.2019 (Anlagenkonvulut K 18)
Restforderung: 407,48 €
- 14.14.14.
-
…, Schadensnummer 17-11-6...0
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 09.05.2017 und 02.06.2020 (Anlagenkonvulut K 20)
Restforderung: 1.234,41 €
- 15.15.15.
-
…, Schadensnummer 17-11-6...0:
Auftrag/Honorarvereinbarung und Abtretungen vom 16.05.2017 und 03.11.2020 (Anlagenkonvulut K 22)
Restforderung: 737,37 €
6
Der Kläger trägt vor, dass die von ihm angesetzten Vergütungen üblich und angemessen seien. Er ist der Auffassung das die „neuen“ Abtretungen nicht den Regelungen der §§ 305 ff. BGB unterliegen, da ein „Stellen“ von allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Vertragsschluss nicht gegeben sei.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.931,92 € zzgl. Prozeßzinsen in Höhe von 5 %-Punkten aus 5.744,06 € ab Zustellung des Mahnbescheid, aus weiteren 450,49 € ab 22.05.2017 und aus weiteren 735,37 ab dem 09.06.2017 zu zahlen.
8
Die Beklagte beantragt,
9
Die Beklagte macht geltend, das der Kläger nicht aktiv legitimiert sei. Die von dem Kläger geltend gemachten Abtretungserklärungen seien unwirksam, da sie gegen das Transparenzgebot verstoßen würden.
10
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
11
Die zulässige Klage ist unbegründet.
12
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche aus§§ 7 StVG, 823 BGB i.V.m. § 115 VVG, §398 BGB nicht zu, da es ihm an der Aktivlegitimation fehlt. Er ist durch die vorgelegten formularmäßigen Abtretungserklärungen nicht Forderungsinhaber der Schadensersatzansprüche der Unfallgeschädigten geworden. Die Abtretungen erweisen sich wegen Verstoß gegen das Transparenzgebot als unwirksam, § 307 Abs. 1 S. 2 S. 1 BGB.
13
Bei den vorgelegten Abtretungserklärungen handelt es sich ersichtlich um Vertragsbedingungen im Sinne des § 305 BGB. Vertragsbedingungen sind alle Regelungen, die den Vertragsinhalt gestalten sollen. So verhält es sich hier im Hinblick auf die vorgelegten Erklärungen zu einer „Sicherungsabtretung“. Ersichtlich stehen diese im Zusammenhang mit den jeweils zugrunde liegenden Hauptverträgen (Gutachten/Stellungnahme/Reparaturbestätigung).
b) Für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert:
14
Offenkundig ist auch, dass die vorgelegten Sicherungsabtretungserklärungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind. Diese ergibt sich schon daraus, als der Kläger (Verwender) die hier vorliegenden Formulierungen in einer Vielzahl von Fällen in den Rechtsstreit eingeführt hat.
c) Stellen bei Abschluss eines Vertrages:
15
Entgegen der Rechtsauffassung der Klagepartei sind die „neuen“ Sicherungsabtretungserklärungen auch bei Abschluss eines Vertrages gestellt worden.
16
Die Klagepartei verkennt, dass es sich bei den „neuen“ Sicherungsabtretungserklärungen um Abänderungserklärungen zu vorab vereinbarten allgemeinen Geschäftsbedingungen handelt. So ist ausdrücklich in den jeweiligen Abtretungserklärungen auch aufgeführt, dass die ursprüngliche Sicherungsabtretung durch diese „neue Sicherungsabtretung“ ersetzt wird.
17
Eine allgemeine Geschäftsbedingung verliert ihren Charakter als nach §§ 305 ff. BGB der Inhaltskontrolle unterliegende Klausel aber nicht allein dadurch, dass sie von den Parteien nachträglich geändert wird. Vielmehr muss die nachträgliche Änderung in einer Weise erfolgen, die es rechtfertigt, sie wie eine von vornherein getroffene Individualvereinbarung zu behandeln. Das ist nicht der Fall, wenn der Verwender auch nach Vertragsschluss dem Vertragspartner keine Gestaltungsfreiheit einräumt und den gesetzesfremden Kerngehalt der Klausel nicht zur Disposition gestellt hat und die Parteien auf dieser Grundlage eine Einigung finden, mit der die nachteilige Wirkung der Klausel lediglich abgeschwächt wird. (vgl. BGH Urteil vom 07.03.2013 VII ZR 162/12 m.w.Nachw., juris)
18
Denn in diesem Fall wirkt die zum Nachteil des Vertragspartners unangemessen ausgeübte Gestaltungsmacht des Verwenders fort.
19
So verhält es sich hier. Es fehlen jegliche Ausführungen dazu, dass der Kläger seinen Kunden in Bezug auf die „neu“ verwendeten Sicherungsabtretungserklärungen Gestaltungsfreiheit eingeräumt und den Kerngehalt der Klausel erkennbar zum Inhalt von ergebnisoffenen Verhandlungen gemacht hätte. Demgemäß unterliegen auch die „neuen“ Erklärungen dem Regelungsgefüge der §§ 305 ff. BGB. Würde man das anders sehen, wären jegliche nachträglich vereinbarten oder abgeänderten Geschäftsbedingungen – z.B. im Bereich des Versicherungswesens oder Bankwesen eine gängige und übliche Praxis – dem Schutzbereich der §§ 305 ff. BGB entzogen, da eine nachträgliche Einbeziehung oder Veränderung von AGB’s, selbstverständlich immer einer Vereinbarung bedarf, also „freiwillig“ erfolgt. Dies wäre eine dem Gesetzeszweck der §§ 305 ff. BGB offenkundig nicht entsprechende Rechtsanwendung.
20
Die „neuen“ Sicherungsabtretungserklärungen sind wegen Verstoß gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 S. 2, S, 1 BGB unwirksam.
21
Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners auch daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Der Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Er muss folglich einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Andererseits soll der Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen können, damit er nicht von deren Durchsetzung abgehalten wird. Maßgeblich sind dabei die Verständnis- und Erkenntnismöglichkeiten eines typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden. (st. Rspr. BGH, zuletzt Urteil vom 17.07.2018 VI Zr 274/17).
22
Diesen Anforderungen wird die hier verwendete Klausel zur „Sicherungsabtretung“ nicht gerecht. Unklar im dargestellten Sinne ist die Klausel schon alleine deshalb, weil aus ihr für den als durchschnittlichen Kunden angesprochenen (durchschnittlichen) Unfallgeschädigten nicht hinreichend deutlich wird, welche Rechte ihm gegenüber dem Sachverständigen zustehen sollen, wenn der Sachverständige nach Abtretung des Schadensersatzanspruches den ihn nach der Klausel verbleibenden vertraglichen Honoraranspruch geltend macht. Zwar sieht die Klausel für diesen Fall vor, der Sachverständige „verzichtet dann jedoch Zug um Zug gegen die Erfüllung auf die Rechte aus der Sicherungsabtretung gegenüber den Anspruchsgegnern“. Diese Regel ist aber schon sprachlich missglückt. Denn ihr – für die Auslegung von AGB’s in erster Linie relevanter – Wortlaut legt nahe, der Sachverständige habe bei Inanspruchnahme des Geschädigten gegenüber den Schuldnern der Schadensersatzforderung, also gegenüber Schädigern und Kraftfahrzeughaftversicherer, auf die Schadensersatzforderung zu verzichten, wovon der Geschädigte freilich keinen Nutzen hätte, (vgl. BGH a.a.O.) Die damit intransparent geregelte Frage, was mit der vom Geschädigten an den Sachverständigen abgetretenen Schadensersatzforderung geschehen soll, wenn der Sachverständige nach der Abtretung seinen vertraglichen Honoraranspruch geltend macht, führt deshalb nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel über die „Sicherungsabtretung“.
23
Demgemäß kann sich der Kläger – der sich ausschließlich auf diese Erklärungen stützt – nicht auf eine Aktivlegitimation berufen.
24
Lediglich ergänzend wird bemerkt, dass auch die ursprünglich vereinbarten Sicherungsabtretungen – wie von der Klagepartei selbst zutreffend vorgetragen – gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sind.
25
Da ein Anspruch auf die Hauptforderung nicht besteht, entfällt auch der geltend gemachte Zinsanspruch.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 S. 1 ZPO.