Titel:
Streitwertfestsetzung, Verwaltungsgerichte, Nichtabhilfeentscheidung, Streitwertbeschwerde, Nichtabhilfebeschluss, Spruchkörperbesetzung, Unzuständigkeit, Besetzung des Beschwerdegerichts, Aufhebung und Zurückverweisung, Einzelrichterentscheidung, Sachentscheidung, Streitwertbeschlüsse, Abhilfeverfahren, Kostenrecht, Übereinstimmende Erledigungserklärung, Berichterstatter, Vorbereitendes Verfahren, Erstinstanzliches Verfahren, mündlich Verhandlung, Abhilfeentscheidung
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Zuständigkeit, Besetzung, Abhilfeentscheidung, Unzuständigkeit, Aufhebung, Zurückverweisung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 26.10.2020 – M 19 K 19.5086
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64041
Tenor
I. Auf die Streitwertbeschwerde der Beklagten hin werden die Streitwertfestsetzung in Nr. III des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Oktober 2020 und der zugehörige Nichtabhilfebeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 8. Dezember 2020 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Streitwertfestsetzung an das Bayerische Verwaltungsgericht München zurückverwiesen.
Gründe
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Der Ausgangsrechtsstreit betraf eine naturschutzrechtliche Anordnung zum Austausch von Ersatzpflanzungen. Nachdem die Beteiligten vom Verwaltungsgericht mit gerichtlichen Schreiben vom 4. August 2020 zur mündlichen Verhandlung auf den 28. Oktober 2020 geladen worden waren, nahm die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid mit Bescheid vom 16. Oktober 2020 zurück. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit mit Schreiben vom 16. und 23. Oktober 2020 für erledigt.
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Mit Beschluss vom 26. Oktober 2020 stellte das Verwaltungsgericht in Kammerbesetzung das Verfahren ein (I.), legte die Kosten des Verfahrens der Beklagten auf (II.) und setzte den Streitwert auf 10.000 Euro fest (III.).
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Der dagegen erhobenen Streitwertbeschwerde der Beklagten half das Verwaltungsgericht nicht ab, wobei der Nichtabhilfebeschluss vom 8. Dezember 2020 nicht von der Kammer, sondern vom Berichterstatter „als Einzelrichter“ gefasst wurde.
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Nach Vorlage der Streitwertbeschwerde an den Senat hörte dieser die Beteiligten zur beabsichtigten Aufhebung und Zurückverweisung mangels Zuständigkeit der Kammer (§ 87a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 und 4 VwGO) an. Die Beklagte wendet sich gegen eine Zurückverweisung, wobei sie eine Heilung des Zuständigkeitsmangels der Kammer durch die Nichtabhilfeentscheidung des Berichterstatters für möglich hält. Klägerseits wurde mitgeteilt, soweit die Möglichkeit bestehe, trotz fehlerhafter erstinstanzlicher Besetzung zu entscheiden, werde hierzu der Verzicht erklärt bzw. das Einverständnis erteilt, um das Verfahren im Sinne der Effektivität zu verkürzen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
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1. Über die Streitwertbeschwerde ist in Senatsbesetzung zu entscheiden, weil die ursprüngliche erstinstanzliche Streitwertfestsetzung durch die Kammer erfolgte (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG). Daran ändert der Umstand nichts, dass der – für die Streitwertfestsetzung an sich gemäß § 87a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 3, 4 VwGO zuständige – Berichterstatter die Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat; denn der Nichtabhilfebeschluss ist nicht die angefochtene Entscheidung (OVG NW, B.v. 15.8.2014 – 6 E 847/14 – juris Rn. 1).
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Offen bleiben kann dabei, ob anderes zu gelten hat in der umgekehrten Konstellation, dass sich die Nicht-Abhilfeentscheidung eines Spruchkörpers die Ausgangsentscheidung eines Einzelrichters „zu eigen“ macht (vgl. zum diesbezüglichen Streitstand OLG München, B.v. 24.9.2012 – 5 W 1650/12 – NJW-RR 2013, 441 m.w.N.); denn vorliegend hat gerade nicht der Spruchkörper über die Frage der Abhilfe entschieden und sich bei der Nicht-Abhilfe eine „Einzelrichterentscheidung“ zu eigen gemacht, sondern es hat – ganz im Gegenteil – der Berichterstatter der Streitwertbeschwerde gegen eine Spruchkörperentscheidung nicht abgeholfen.
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2. Der verwaltungsgerichtliche Streitwertbeschluss (Nr. III des Beschlusses vom 26.10.2020) wurde unzuständiger Weise von der Kammer als Spruchkörper gefasst. Die übereinstimmende Erledigungserklärung (§ 161 Abs. 2 VwGO) erfolgte „im vorbereitenden Verfahren“ außerhalb der mündlichen Verhandlung und ohne Zusammenhang mit einer Sachentscheidung des Spruchkörpers, so dass gemäß § 87a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 3 und 4 VwGO nicht der Spruchkörper, sondern der Berichterstatter für die Streitwertfestsetzung zuständig gewesen wäre. Dem Spruchkörper vorbehalten sind solche Entscheidungen, die in oder aufgrund einer mündlichen Verhandlung oder im Zusammenhang mit einer vom Spruchkörper erlassenen Sachentscheidung ergehen (BVerwG, B.v. 29.12.2004 – 9 KSt 6.04 – NVwZ 2005, 466/467 unter II.1.; BayVGH, B.v. 16.11.2000 – 15 B 97.2746 – NVwZ-RR 2001, 543/543 f. mit Hinweis auf BTDrs. 11/7030 S. 27). Dabei änderte vorliegend auch der bloße Umstand, dass im Zeitpunkt der Erledigungserklärungen – wie auch des erledigenden Ereignisses – bereits zur mündlichen Verhandlung „geladen“ worden war, nichts daran, dass sich das Verfahren noch in einem diese Verhandlung „vorbereitenden“ Stadium befand; denn eine vom vorsitzenden Mitglied des Spruchkörpers zu verfügende Terminsbestimmung (§ 216 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1, § 102 Abs. 1 Satz 2 VwGO) bereitet eine mündliche Verhandlung des Spruchkörpers gerade erst vor und stellt erst recht keine Sachentscheidung des Spruchkörpers dar.
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3. Nicht geheilt wurde die unzuständigerweise in Spruchkörperbesetzung erfolgte Streitwertfestsetzung dadurch, dass der verwaltungsgerichtliche Nichtabhilfebeschluss vom 8. Dezember 2020 vom – an sich gemäß § 87a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 3, 4 VwGO zuständigen – Berichterstatter gefasst wurde.
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Der Senat lässt offen, ob (Nicht-)Abhilfeentscheidungen ausnahmslos und formal betrachtet – auch im Bereich des § 148 VwGO – in derjenigen Besetzung zu treffen sind, in der die angegriffene Ausgangsentscheidung ergangen ist, was zur Folge hätte, dass eine „Heilung“ durch den an sich Zuständigen keine „Heilung“ bewirken kann, wenn die Ausgangsbesetzung dem nicht entsprochen hat.
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Jedenfalls bei Nicht-Abhilfeentscheidungen gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG kommt eine solche Heilung nicht in Betracht. Dafür spricht schon der Wortlaut des Gesetzes – § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG schreibt vor, dass „das Gericht“ über die Abhilfe zu entscheiden hat, was darauf hindeutet, dass damit „das Gericht“ in derjenigen Besetzung gemeint ist, in der es den Streitwert festgesetzt hat (Laube in Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, BeckOK Kostenrecht, Stand 1.9.2020, § 68 GKG Rn. 129 mit Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut). Vor allem aber würde eine derartige „Heilung“ Unklarheiten bei der Bestimmung der richtigen Besetzung des Beschwerdegerichts selbst mit sich bringen (vgl. Laube a.a.O. Rn. 136). Gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 (i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5) GKG besteht nämlich bei Streitwertbeschwerden die Besonderheit, dass die Besetzung des Beschwerdegerichts abhängig ist von derjenigen Besetzung, in der die „angefochtene Entscheidung“ erlassen worden ist – hat erstinstanzlich der Spruchkörper entschieden, ist auch zweitinstanzlich in Senatsbesetzung zu entscheiden; bei erstinstanzlicher „Einzelrichterentscheidung“ hat auch zweitinstanzlich im Ausgangspunkt eine Einzelrichterentscheidung zu erfolgen, wovon nur unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 6 Satz 2 (i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5) GKG mittels einer Übertragung auf den Spruchkörper abgewichen werden kann. Für die daraus folgende Besetzung des Beschwerdegerichts kommt es – wie gezeigt (siehe 1.) – im Ausgangspunkt eindeutig auf die Besetzung bei der erstinstanzlichen Ausgangsentscheidung, nicht aber auf die Besetzung bei der Nicht-Abhilfeentscheidung an, wobei die Nicht-Abhilfeentscheidung schon begrifflich gerade nicht die Ausgangsentscheidung ist (OVG NW, B.v. 15.8.2014 – 6 E 847/14 – juris Rn. 1). Wird aber erstinstanzlich – wie hier (siehe 2.) – in unrichtiger Besetzung entschieden und wäre eine Heilung dergestalt möglich, dass nach (unzuständiger) Ausgangsentscheidung des Spruchkörpers der (an sich zuständige) Berichterstatter nicht abhilft und dem Beschwerdegericht vorlegt, bliebe unklar, ob eine derart „heilende“ Wirkung auch der Bezugspunkt für die Bestimmung der Besetzung beim Beschwerdegericht zu sein hätte. Wollte man dies bejahen, wäre die Frage, wer zweitinstanzlich zu entscheiden hätte, letztlich von der Handhabung im erstinstanzlichen Abhilfeverfahren abhängig, was aber gerade dem gesetzlichen Anknüpfungspunkt des § 66 Abs. 1 Satz 6 (i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5) GKG widerspräche.
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Die besagten Schwierigkeiten ließen sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren dadurch vermeiden, dass im Fall einer im Abhilfeverfahren erkannten unzutreffenden Besetzung bei der Ausgangsentscheidung der Beschwerde abgeholfen und sodann eine neue Entscheidung in richtiger Besetzung getroffen wird (so für die spiegelbildliche Konstellation einer unzutreffenden Ausgangsentscheidung durch den Einzelrichter Laube in Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, BeckOK Kostenrecht, § 68 GKG Rn. 136). Erfolgt eine solche Korrektur nicht erstinstanzlich, ist das Beschwerdegericht gehalten, eine derartige Korrektur zweitinstanzlich durch Aufhebung und Zurückverweisung zu bewirken, damit die Ausgangsfestsetzung des Streitwerts erstinstanzlich in zutreffender Besetzung erfolgen kann (siehe 4.).
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4. Den angesichts der Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Spruchkörpers (siehe 2.) mangels Heilung (siehe 3.) rechtswidrigen Streitwertbeschluss (Nr. III des Beschlusses vom 26.10.2020) einschließlich des zugehörigen Nichtabhilfebeschlusses vom 8. Dezember 2020 hebt der Senat auf und verweist die Sache entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO (i.V.m. § 173 VwGO) zur erneuten Entscheidung über die Streitwertfestsetzung an das Verwaltungsgericht zurück (vgl. zu dieser Verfahrensweise allgemein OVG LSA, B.v. 20.10.2008 – 2 O 196/08 – NVwZ-RR 2009, 271; HessVGH, B.v. 26.11.2009 – 7 B 2994/09 – NVwZ-RR 2010, 501; siehe zur Möglichkeit einer Zurückverweisung im Kontext des § 66 GKG auch LAG RhPf, B.v. 22.6.2009 – 10 Ta 205/08 – juris Rn. 9; KG Berlin, B.v. 29.10.2012 – 12 W 103/12 – MDR 2013, 114).
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Dem steht jedenfalls vorliegend nicht die Wertung des § 66 Abs. 6 Satz 4 (i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5) GKG entgegen, wonach Rechtsmittel auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung nicht gestützt werden können. Denn eine unterlassene „Übertragung“ vom Einzelrichter auf den Spruchkörper (vgl. zur möglichen Aufhebung auch in solchen Fällen Laube in Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, BeckOK Kostenrecht, § 68 GKG Rn. 125 mit Hinweis auf BGH, B.v. 13.3.2003 – IX ZB134/02 – NJW 2003, 1254 und OLG Köln, B.v. 23.1.2006 – 2 W 4/06 – NJOZ 2007, 178) steht hier schon nicht im Raum. Vielmehr geht es um eine von vornherein bestehende Unzuständigkeit des Spruchkörpers bei der Ausgangsentscheidung, wobei diese Unzuständigkeit im Kern aus Vorgaben Verwaltungsgerichtsordnung (§ 87a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3, 4 VwGO) – nicht des Gerichtskostengesetzes selbst – resultiert.
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Der Senat verkennt bei seiner Ermessensentscheidung zur Zurückverweisung nicht, dass eine Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht zu einem schnelleren Verfahrensabschluss führen würde. Weil aber – wie gezeigt – infolge der unterschiedlichen erstinstanzlichen Besetzungen bei Ausgangs- und Abhilfeentscheidung die Bestimmung der Besetzung, in der der Verwaltungsgerichtshof eine solche Sachentscheidung zu treffen hätte, nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit möglich wäre (siehe 3.), sprechen die besseren Gründe für die Aufhebung und Zurückverweisung. Diese Gründe werden durch das klägerseits angebotene Einverständnis bzw. den erklärten „Verzicht“ nicht relativiert, weil die hier im Raum stehenden gesetzlichen Zuständigkeitsvorschriften (§ 87a VwGO; § 66 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG) nicht zur Disposition der Beteiligten stehen.
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5. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (vgl. § 68 Abs. 3 GKG). Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).