Titel:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Klagepartei, Arglistige Täuschung, Greifbare Anhaltspunkte, Klageschrift, Berufungserwiderung, Berufungsrücknahme, Unbeachtlichkeit, EU-Übereinstimmungsbescheinigung, Gerichtsbekanntheit, Ermittlungsverfahren, Schriftsätze, Klageerwiderung, BGH-Beschluss, Besondere Verwerflichkeit, Haftungsbegründendes, Zurückweisung der Berufung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
Schlagworte:
Abgasaffäre, Sittenwidrigkeit, Thermofenster, Haftung, Sachvortrag, Beweisaufnahme, Abschalteinrichtungen, Schadenersatz, Berufung, Abschalteinrichtung, Motorsteuerung, Prüfzykluserkennung, Täuschung, § 826 BGB, Abgasrückführung, SCR-Technik, AdBlue-Strategie, Haftung der Beklagten, Unterschiedliche Testergebnisse, Emissionskontrollsystem, Deliktische Ansprüche
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 28.07.2020 – 4 O 195/20
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.07.2021 – 12 U 2944/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 23.10.2023 – VIa ZR 126/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 64028
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.07.2020, Az. 4 O 195/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei fordert von der beklagten Partei Schadenersatz wegen der Motorsteuerung des Dieselmotors Typ EA 288 EU 6, der von der Beklagten hergestellt und in einem von der Klagepartei erworbenen Kraftfahrzeug verbaut wurde.
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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; auf die Begründung des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
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Mit der Berufung verfolgt die Klagepartei ihr Begehren weiter und beantragt unter Neufassung des Endurteils:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 28.849,97 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.11.2020, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A5 Sportback 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XY, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs seit dem 20.11.2019 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Ö. AG, Schadennummer: 123 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.659,75 EUR und an die Klagepartei vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 150,00 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten, sowie die Ö. AG, zur Schadennummer: 132 von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 223,25 EUR gegenüber der V. Rechtsanwälten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
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Hinsichtlich des Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und das erstinstanzliche Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zutreffenderweise geht das Erstgericht davon aus, dass die Klagepartei die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs nicht ausreichend dargelegt hat.
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I. Kein Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, § 826 BGB Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet (§ 826 BGB).
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Sittenwidrig ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297, juris Rn. 14 m.w.N.; Beschluss vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 15 juris).
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Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass eine Prüfzykluserkennung – das Fahrzeug erkennt, ob es sich auf einem Prüfstand befindet – nicht per se unzulässig ist. So kann es beispielsweise erforderlich sein, dass bestimmte Sicherheitssysteme des Fahrzeugs auf dem Prüfstand automatisch abgeschaltet werden (OLG Frankfurt, Urteil vom 07.10.2020 – 4 U 171/18 Rn. 49, 55 juris). Zum nicht streitgegenständlichen Motortyp EA 189 hat der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung allerdings ein objektiv sittenwidriges Verhalten des Motorherstellers bejaht: „Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits […] die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Das gilt auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs handelt. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich aus einer Gesamtschau des festgestellten Verhaltens der Beklagten unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen“ (Beschluss vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 15 juris). Das an sich erlaubte Ziel der Erhöhung des Gewinns werde, so der Bundesgerichtshof weiter, auch im Verhältnis zu dem Käufer eines der betroffenen Fahrzeuge aber dann verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde – des KBA (§ 2 Abs. 1 EG-FGV) – erreicht werden soll, und dies mit einer Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt (BGH, Beschluss vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 23 juris).
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Gemessen an diesen Grundsätzen steht kein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten (§ 826 BGB) im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Motortyp EA 288 fest:
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1) Der Vortrag der Klagepartei zum Einsatz eines sog. Thermofensters zur (außen) temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung vermag ein sittenwidriges Handeln der Beklagten (§ 826 BGB) nicht schlüssig zu begründen.
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Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 Rn. 16 juris) reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei könne zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693).
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Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus: Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems sei nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, dass der Automobilhersteller die grundlegende strategische Frage, mit welchen Maßnahmen er auf die Einführung der – im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren – Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm reagieren würde, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahingehend entscheidet, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten. Die Software sei in diesem Fall bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten würden (Umschaltlogik), und ziele damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 Rn. 17 juris; Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 Rn. 16 juris). Bei dem Einsatz eines Thermofensters fehle es an einem derartigen arglistigen Vorgehen des Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung unterscheide nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Sie weise keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere, sondern arbeite in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand, etc.) entspreche die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 Rn. 18 juris). Der Bundesgerichtshof erachtete dementsprechend in Bezug auf § 826 BGB allein den Umstand, dass die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird, nicht als haftungsbegründend (Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 Rn. 25 juris).
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Für eine Haftung nach § 826 BGB bedarf es vielmehr „weiterer Umstände“, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 Rn. 28 juris).
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Im Streitfall zeigt die Berufung keinen Sachvortrag der insoweit darlegungsbelasteten Klagepartei (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 35; Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 19) auf, dem Anhaltspunkte für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen zu entnehmen wären.
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a) Unbeschadet des Umstands, dass sich daraus die für eine Haftung erforderlichen „weiteren Umstände“ nicht ergeben (siehe bereits oben: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 Rn. 25 juris), ist das Vorbringen der Klagepartei zur Größe des für die Intensität der Abgasrückführung maßgeblichen Thermofensters als sog. „Behauptung ins Blaue hinein“ prozessual unbeachtlich. Die Klagepartei bringt insoweit vor, dass das Emissionskontrollsystem nur innerhalb des Temperaturfensters von 20 bis 30 Grad Celsius „beanstandungsfrei“ arbeitet (Klageschrift Seite 12). Die Beklagte bestreitet zwar den Einsatz eines Thermofensters nicht, tritt aber der behaupteten Reichweite des Fensters entgegen. Beim Motortyp EA 288 sei im Temperaturbereich von -24 bis +70 Grad Celsius die Abgasrückführung vollständig aktiviert (Klageerwiderung Seite 13).
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aa) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten. Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich der Kläger nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil er mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann. Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 Rn. 7 f. juris). Von einem Kläger kann nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, weshalb er von dem Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgeht und wie diese konkret funktionieren. Vielmehr ist von ihm nur zu fordern, dass er greifbare Umstände anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 Rn. 10 juris). Greifbare Anhaltspunkte sind nicht erst dann gegeben, wenn das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) auch bezüglich Fahrzeugen des beklagten Herstellers oder gar des konkreten Fahrzeugtyps des Klägers eine Rückrufaktion angeordnet hat (BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 Rn. 13 juris). Der Bundesgerichtshof hält insoweit das Vorbringen für ausreichend, dass aufgrund von Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens bekannt geworden ist, dass die V. AG auf Anordnung des KBA einen verpflichtenden Rückruf für diesen Motortyp durchzuführen habe und bereits in der Vergangenheit mehrere Fahrzeugtypen mit diesem Motortyp von einer Rückrufaktion betroffen gewesen seien.
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bb) Nach dieser Maßgabe erfolgte der Vortrag der Klagepartei zur Reichweite des Thermofensters mangels greifbarer Anhaltspunkte „aufs Geratewohl“. Denn die Klagepartei gibt keine konkrete Begründung, weshalb sie davon ausgeht, dass die Abgasrückführung nur in dem von ihr genannten Bereich vollständig aktiv ist.
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b) Die für eine Haftung gemäß § 826 BGB unabdingbaren „weiteren Umstände“ ergeben sich auch nicht aus einer Täuschung des KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens über das eingebaute „Thermofenster“. Die hierauf bezogenen wiederholten Angaben der Klagepartei sind uneinheitlich, widersprüchlich und damit nicht einlassungsfähig: An einer Stelle zieht sich die Klagepartei darauf zurück, mit Nichtwissen zu bestreiten, dass die Beklagte dem KBA die nach Art. 3 Nr. 9 VO 692/2008 erforderlichen Angaben im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens des Motors EA 288 gemacht habe und dem KBA die erforderlichen Unterlagen vollständig vorgelegen hätten (Klageschrift Seite 13). Die Beklagte habe ggf. darzulegen, dass dem KBA die Abgasnachbehandlungsstrategie in Gestalt des Thermofensters im Genehmigungsverfahren offen gelegt worden sei oder weshalb eine solche Offenlegung trotz Gefahrenbewusstseins nicht erfolgt sei (Berufungsbegründung Seite 16). An anderer Stelle führt die Klagepartei aus, dass die „verbauten Abschalteinrichtungen […] im Typgenehmigungsverfahren mangels Offenlegung durch die Beklagten nicht genehmigt“ wurde (Berufungsbegründung Seite 27). An wieder anderer Stelle ist davon die Rede, dass „die Beklagte lediglich angegeben hat, die Abgasrückführung richte sich nach der Lufttemperatur“ (Berufungsbegründung Seite 12). Vor diesem Hintergrund bleibt ohne streitentscheidende Bedeutung, dass die Beklagte nur zu der Rechtslage in Bezug auf die Anzeigepflichten gegenüber dem KBA ab 22.04.2016 vortrug (Berufungserwiderung Seiten 31 f.), wohingegen im Streitfall die EG-Übereinstimmungsbescheinigung bereits am 16.02.2016 erteilt worden war (Schriftsatz der Klagepartei vom 11.05.2020, Seite 68).
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Selbst wenn die Beklagte – hier einmal unterstellt – den Einbau eines Thermofensters komplett verschwiegen hätte, wäre damit nicht – wie es für eine Haftung nach § 826 BGB erforderlich wäre – erwiesen, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Denn die Beklagte bringt unwiderlegt vor, dass die Abgasrückrührung in der Temperaturzone von -24 Grad bis +70 Grad Celsius vollständig aktiv sei und sie deshalb „bei praktisch allen Fahrten aktiv“ sei (Klageerwiderung Seite 9). Sollte eine solche nahezu nur theoretisch Einschränkung der Emissionskontrolle gegenüber dem KBA nicht angegeben worden sein, lässt dies keinen zwingenden Schluss auf Unrechtsbewusstsein zu. Dabei ist auch zu sehen, dass sog. Thermofenster an sich bei Dieselfahrzeugen herstellerübergreifend lange Zeit weit verbreitet waren.
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2) Soweit die Klagepartei weiter vorbringt, dass die Abgasrückführung auch oberhalb von 1.000 Höhenmetern und bei mehr als 2.400 Umdrehungen / Minute (drehzahlgesteuerte Abgasrückführung) nicht (uneingeschränkt) aktiv ist, vermag auch dies eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB nicht zu begründen. Es handelt sich um prozessual unbeachtliche Behauptungen „aufs Geratewohl“, die zudem für sich genommen nicht haftungsbegründend wären. Die Ausführungen unter 1) zum sog. Thermofenster gelten hier sinngemäß.
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3) Eine Einstandspflicht der Beklagten nach § 826 BGB ergibt sich auch nicht daraus, dass sie selbst den Einsatz einer Prüfzykluserkennung in Form einer Fahrkurve einräumt (Berufungserwiderung Seite 5). Denn sie betont zugleich – unter Verweis auf ihr Schreiben vom 29.12.2015 an das KBA (Anlage Bb1), dass die – ab der 22. KW 2016 überhaupt nicht mehr eingebaute – Fahrkurve nicht zu einer Optimierung der NOx-Emissionen im Prüftstandsbetrieb genutzt wurde.
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4) Die Beklagte haftet nach § 826 BGB auch nicht im Zusammenhang mit der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten SCR-Technik (“AdBlue-Strategie“).
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Soweit die Klagepartei hierzu mehrfach vorträgt, dass „außerhalb des Temperaturfensters von 20 bis 30 Grad Celsius und bei einer Motordrehzahl von ca. über 2.400 Umdrehungen / Minute“ eine zu sparsame AdBlue-Einspritzung bis hin zu deren Abschaltung erfolgt (z.B. Schriftsatz der Klagepartei vom 11.05.2020, Seite 17), gelten die Ausführungen unter 1) zum sog. Thermofenster sinngemäß. Es handelt sich um prozessual unbeachtliche Behauptungen „aufs Geratewohl“, die zudem für sich genommen nicht haftungsbegründend wären.
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Andernorts bringt die Klagepartei vor, dass das Fahrzeug erkennt, ob es auf dem Prüfstand steht. Nur dann werde ausreichend AdBlue eingespritzt. Dagegen werde im normalen Fahrbetrieb auf der Straße viel weniger AdBlue verwendet (Schriftsatz der Klagepartei vom 11.05.2020, Seiten 19 und 38). Insofern handelt es sich auch unter Beachtung der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze (Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19) um eine prozessual unbeachtliche Behauptung „ins Blaue hinein“. Denn für diese streitige Behauptung fehlen greifbare Anhaltspunkte:
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a) Die Klagepartei verweist wiederholt auf eine Pressemitteilung der Europäischen Wettbewerbsbehörde vom 05.04.2019, wonach nach vorläufiger Auffassung der Kommission BMW, Daimler und VW ihre AdBlue-Dosierstrategien, die Größen ihrer AdBlue-Tanks sowie die mit einer Tankfüllung möglichen Reichweiten koordiniert hätten, und zwar mit dem gemeinsamen Verständnis, dass sie dadurch den AdBlue-Verbrauch und die Wirksamkeit der Abgasreinigung begrenzten. Diese Mitteilung hat schon in zeitlicher Hinsicht keine hinreichende Aussagekraft: Die Absprachen sollen nach dem Bericht zwischen 2006 und 2014 erfolgt sein. Im Streitfall wurde das Fahrzeug im April 2016 zugelassen. Die EG-Übereinstimmungsbescheinigung war zwei Monate zuvor erteilt worden.
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b) Soweit die Klagepartei in der Klageschrift (Seite 7) auf eine „Beschreibung der SCR-Dosierungsstrategie im Zyklus und außerhalb des Zyklus“ in „vorgenannten VW-Dokumenten“ verweist, ist die Einlassung zu unsubstantiiert.
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c) Die – erstmals mit der Berufungsbegründung – erfolgte Vorlage der „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ kann für sich genommen den erforderlichen Sachvortrag nicht ersetzen.
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d) Die Klagepartei dringt auch nicht durch, soweit sie sich auf einen Bericht von tagesschau.de vom 12.09.2019 stützt (Klageschrift Seite 6), in dem Folgendes aus der „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ zitiert wird: „Nutzung und Erkennung des […] NEFZ, um die Umschaltung der Rohemissionsbedatung streckengesteuert auszulösen“. Ungekürzt lautet die Passage wie folgt: „SCR: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Erkennung des Precon und NEFZ, um die Umschaltung der Rohemissionsbedatung (AGR-High/low) streckengesteuert auszulösen (bis Erreichung SCR-Arbeitstemperatur und OBD-Schwellwerte“. Diesem Satz lässt sich der Prüfstandbetrieb (“NEFZ“) als Anknüpfungspunkt für eine Veränderung der Emissionsbehandlung und damit das Vorhandelsein einer „Umschaltlogik“ entnehmen. An dieser Stelle ist indes nicht weiter zu vertiefen, wie dieser Prüfstandserkennungsmechanismus sich im Einzelnen darstellte. Denn aus dem weiteren Text der Entscheidungsvorlage ergibt sich, dass bereits für den Produktionsstart im Zeitraum KW 47/2015 bis KW 21/2016 diese „Fahrkurve“ nicht (mehr) zur Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte genutzt werden darf. Diese müsste „durch Ausbedatung oder Software-Änderung“ entfernt werden. Für den streitigen Fall lässt sich daher aus der zitierten Textpassage schon in zeitlicher Hinsicht nichts ableiten, da von einem Produktionsstart vor dem 16.11.2015 nicht ausgegangen werden kann: Die EU-Übereinstimmungsbescheinigung wurde im Februar 2016 erteilt. Die Erstzulassung des Fahrzeugs erfolgte im April 2016.
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e) Hinreichend belastbare Anhaltspunkte bietet ferner auch nicht der auf handelsblatt.com veröffentlichte Artikel vom 05.12.2019 „Volkswagens nächste Großbaustelle: Auch der aktuelle Dieselmotor sorgt für Probleme“. Die Berufung stützt sich insoweit auf die Aussage eines „Beschuldigten D.“ in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Braunschweig, wonach die AdBlue-Dosierstrategie im SCR-Katalysator eindeutig mit der Rollenstandserkennung verknüpft sei und auf maximale Wirkung und geringe Emission ziele. Auf der Straße sei diese Strategie anders. Dort würde die AdBlue-Einspritzung reduziert, so dann ein bestimmtes Wartungsintervall geschaffen werde. Auch der „Beschuldigte P.“ habe in seiner Vernehmung angegeben, dass beim EA 288 „auf der Rolle“ länger im stickoxidarmen Normalbetrieb gefahren worden sei, „als dies der Kunde auf der Straße fahren würde“. Der „Beschuldigte E.“ habe erklärt, dass eine Abschalteinrichtung im EA 288 im Bereich Abgasnachbehandlung genutzt werde. Nähere Angaben zu den zitierten Personen, deren fachlichen Hintergrund – es sollen „vernommene Ingenieure“ sein – und deren Berührpunkten mit dem Motortyp EA 288 sind nicht bekannt. Darüber hinaus enthält der Handelsblatt-Artikel auch inhaltlich anders lautende Aussagen. So soll „ein anderer Beschuldigter“ lediglich von der „Möglichkeit“ gesprochen haben, über eine entsprechende Onlinedosierung zwischen Rolle und Straße zu unterscheiden. Noch deutlicher habe der „Beschuldigte K.“ ausgesagt, dass der EA 288 die gleiche Software wie der EA 189 drin habe, bloß sei die Funktion nicht aktiviert. Das erwähnte Ermittlungsverfahren betraf zudem nach dem Bericht nicht die im Rahmen der § 826 BGB für die Haftung der Beklagten relevanten Personen (§ 31 BGB), sondern „gegen einzelne Personen weit unterhalb des Vorstands“. Die Veröffentlichung des Artikels liegt ferner bereits längere Zeit – mehr als eineinhalb Jahre, zurück. Dass die damals getätigten Aussagen noch immer den aktuellen Sachstand widerspiegeln, ergibt sich aus dem Klagevortrag allerdings nicht. In zeitlicher Hinsicht kommt noch ein zentraler Gesichtspunkt hinzu: Aus dem Handelsblatt-Artikel geht nicht hervor, auf welchen Zeitraum sich die Aussagen beziehen. Denkbar bleibt, dass sie ausschließlich die Zeit vor dem 16.11.2015 betreffen, in der unstreitig beim EA 288 eine sog. Fahrkurve existierte und im Rahmen der SCR-Technologie zur Abgasnachbehandlung eingesetzt wurde. Im Streitfall wurde die EU-Übereinstimmungsbescheinigung hingegen erst im Februar 2016 erteilt. Die Erstzulassung des Fahrzeugs erfolgte im April 2016. Nach der „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ durfte zu dieser Zeit die Fahrkurve nicht (mehr) zur Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte genutzt werden.
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f) Sich womöglich zum Teil sogar nicht unerheblich unterscheidende Testergebnisse im Prüfstand- und im tatsächlichen Straßenbetrieb sind ohne hinreichende Aussagekraft für die hier bedeutsame Frage, ob das Emissionskontrollsystem des Motortyps EA 288 zwischen Prüfstand und realem Fahrbetrieb unterscheidet und darauf mit unterschiedlichen Verfahrensabläufen bei der Abgasemission reagiert (OLG Frankfurt, Urteil vom 07.10.2020 – 4 U 171/18 Rn. 44 juris; OLG Bamberg, Urteil vom 26.11.2020 – 1 U 368/19 Rn. 41 juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2021 – 16a U 196/19 Rn. 60 ff. juris; a.A. OLG Köln, Urteil vom 12.03.2020 – 3 U 55/19 Rn. 40 juris). Es ist gerichtsbekannt, dass Emissionswerte regelmäßig im normalen Fahrbetrieb höher sind als unter Prüfbedingungen. In diesem Sinne stellte auch der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 Rn. 18 juris) klar, dass die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand nur „unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.“ entsprechen kann. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen EU 5 und EU 6 im Jahr 2013 die Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte und erst zwischenzeitlich für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb nach WLTP-Standard vorschreibt, kommt es nicht darauf an, dass das Fahrzeug im Normalbetrieb die der Zulassung zugrunde liegenden Werte im NEFZ nicht einhält (OLG Frankfurt, Urteil vom 07.10.2020 – 4 U 171/18 Rn. 44 juris). Dem Senat ist auch kein bestimmter Faktor bekannt, ab dem eine Grenzwert-Überschreitung im Realbetrieb sich nicht mehr allein mit oben genannten Umständen erklären lässt (ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2021 – 16a U 196/19 Rn. 63 juris).
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g) Kein stichhaltiger Anhaltspunkt ergibt sich ferner aus den von der Klagepartei genannten Rückrufaktionen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) (Schriftsatz vom 11.05.2020, Seite 9). Der Rückruf in Bezug auf das Fahrzeugmodell VW T6 (Baujahr 2014-2017) betraf einen nicht streitgegenständlichen Fahrzeugtyp. Als Beschreibung war in der amtlichen Mitteilung zudem angegeben: „Konformitätsabweichung führt zur Überschreitung des Euro-6-Grenzwertes für Stickoxide“. Einen Schluss auf eine „unzulässige Abschalteinrichtung“ – so wie dies in anderen gerichtsbekannten KBA-Mitteilungen zur Rückruf-Beschreibung ausdrücklich beschrieben wird – lässt dies nicht zu. Bemängelt wird damit nicht, dass die zur Erlangung der Typgenehmigung vorgestellten Fahrzeuge als Vertreter für die Serie über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt haben sollen (OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2021 – 16a U 196/19 Rn. 49 juris). Zu dem weiter erwähnten Rückruf beim Pkw-Modell Golf VII wurde über die Hintergründe nicht konkret vorgetragen.
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5) Schließlich ergibt sich eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB auch nicht aufgrund einer behaupteten Manipulation des On-Board-Diagnosesystems (OBD). Unabhängig von der Frage, ob das OBD selbst überhaupt eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 darstellen kann, obwohl es unstreitig die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems selbst weder aktiviert, verändert, verzögert noch deaktiviert (vgl. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007), ist ein auf die Programmierung des OBD gestützter Anspruch ausgeschlossen, soweit dieses im normalen Straßenverkehr sowie im Rahmen der Abgasuntersuchung und der Inspektion keine Fehlfunktion des Abgassystems anzeigt. Denn das OBD kann tatsächlich und rechtlich nicht selbstständig betrachtet werden, sondern ist im Zusammenhang mit dem im Fahrzeug eingerichteten Emissionskontrollsystem zu sehen: Seine Warnfunktion kann sich immer nur auf die Betriebsabläufe des konkret im Fahrzeug eingerichteten Abgasrückführungsystems beziehen (“Annexfunktion“). Erfüllt die Einrichtung dieses Systems nicht den Tatbestand des § 826 BGB, dann kann mangels selbständigen Handlungsunrechts eine Haftung wegen sittenwidrigen Verhaltens auch nicht mit der Adaption des OBD an das für sich genommen nicht haftungsauslösende Abgasrückführungssystem begründet werden (vgl. ferner OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2019 – 17 U 296/19 Rn. 72 juris und OLG Bamberg, Urteil vom 26.11.2020 – 1 U 368/19 Rn. 64 juris).
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II. Nach vorstehenden Ausführungen bestehen auch weitere – allein in Betracht kommende – deliktische Ansprüche (aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der Verletzung von Schutzgesetzen oder aus § 831 BGB) nicht.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).