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OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 03.11.2021 – 1 U 3287/21
Titel:

Rechtsanwaltsgebühren, verfassungsmäßig berufener Vertreter, Erfolgsaussichten der Berufung, Sittenwidrige Schädigung, Berufungsrücknahme, Sachverständigenbeweis, Darlegungs- und Beweislast, Neuer Sachvortrag, Deliktsrecht, Arglistige Täuschung, Substantiierung des Sachvortrags, Sekundäre Darlegungslast, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Drittschützende Wirkung, Rücknahme der Berufung, Beweiserleichterung, Gelegenheit zur Stellungnahme, Sittenwidrigkeit, Subjektive Voraussetzungen, VW-Abgasskandal

Schlagworte:
Abgasmessungen, Abschalteinrichtung, Euro 6, BMW X3, Stickoxidwerte, Realbetrieb, Prüfstand, Kaltaufheizen, Sittenwidrigkeit, Beweislast, Vorsatz, Kenntnis, Typengenehmigung, Substantiierungspflicht, Anspruchsbegründende Tatsachen, Sekundäre Darlegungslast, Manipulationssoftware, Sittenwidrige Schädigung, Deliktsrecht, Thermofenster, Vertragliche Ansprüche, Schutzgesetz, EU-Übereinstimmungsbescheinigung, Emissionsgrenzwerte, OBD-System, Manipulation, Anhaltspunkte, Gewinnerzielungsabsicht, Prüfstanderkennung, Klage auf Erstattung des Kaufpreises, Stickoxidemissionen, Deliktische Ansprüche, Berufung, Beweisangebote, sittenwidriges Verhalten, Emissionskontrollsystem, arglistiges Vorgehen, Abgasreinigung, Prüfstandbezogene Abschalteinrichtung, Haftung juristischer Personen, Schadensersatzanspruch, Tatbestandsmerkmale, Drittschützende Wirkung, Sachlicher Schutzbereich, Kostenersparnis
Vorinstanz:
LG Regensburg vom 13.08.2021 – 83 O 507/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.12.2021 – 1 U 3287/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 09.10.2023 – VIa ZR 56/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63944

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 13.08.2021, Az. 83 O 507/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

I.
1
1. Die klagende Gebrauchtwagenkäuferin verlangt vom beklagten Fahrzeughersteller Erstattung des gezahlten Kaufpreises wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung im erworbenen Kraftfahrzeug.
2
Die Klagepartei erwarb am 16.05.2015 von einem Privatmann ein gebrauchtes Fahrzeug der Modellreihe BMW X3 (Erstzulassung 13.06.2014, Kilometerstand: 23.476 km) zu einem Preis von 46.750,00 €. Herstellerin dieses Fahrzeugs ist die Beklagte. Das Fahrzeug ist mit einem Vierzylinder-Dieselmotor der Baureihe B47 (mit der internen Bezeichnung B47D20O0) mit einer Leistung von 140 kW ausgestattet. Das Fahrzeug verfügt über eine NOx-Abgasnachbehandlung. Die Abgasreduktion erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug ferner über die Abgasrückführung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Bei niedrigen und hohen Außentemperaturen wird die Abgasrückführungsrate reduziert und schließlich ganz abgeschaltet.
3
Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typengenehmigung mit der Schadstoffklasse „Euro 6“ erteilt. Das Fahrzeug unterliegt keinem offiziellen Rückruf des Kraftfahrtbundesamts wegen des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
4
Am 30.06.2021 hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 122.308.
5
Die Klagepartei hat schon in erster Instanz behauptet, dass die Beklagte in dem von ihr erworbenen Fahrzeug mehrere Mechanismen zur illegalen Abgasreinigung verbaut habe. Hierfür spräche, dass die Fahrzeuge der Beklagten die gesetzlichen Grenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten würden. Der Kläger trägt zum Beleg dieser Behauptung zahlreiche Messergebnisse, u. a. der Deutschen Umwelthilfe, des Deutschen Umweltamtes, des Kraftfahrtbundesamtes, des britischen Departments for Transport, des TÜV Essen sowie des ICCT vor. Die Beklagte habe eine Software verwendet, durch die das Verhalten des Fahrzeugs bei Erkennen einer Prüfsituation grundsätzlich anders gesteuert werde als im Realbetrieb. Im Prüfstand schalte das Fahrzeug in einen „sauberen“ Modus, während es im Realbetrieb die Abgasreinigung größtenteils vernachlässige. Ferner sei die Motorsteuerung so programmiert, dass die Abgasrückführung bei Drehzahlen ab 2.500 U/min reduziert und schließlich (ab 3.300 Umdrehungen pro Minute) komplett abgeschaltet werde. Auch die Beschleunigung im NEFZ sowie weitere Faktoren, welche die Klägerin als „hard cycle beating“ (Bl. 38-40 d. A.) bezeichnet, spielten hierbei eine Rolle. Zudem verfüge das streitgegenständliche Fahrzeug über ein unzulässiges „Thermofenster“. Dieses sei so gestaltet, dass die Abgasreinigung im Temperaturbereich über +33° C und unter +17° C reduziert bzw. deaktiviert werden. Daneben werde die Abgasrückführung auch nach einer Laufzeit von mehr als 20 Minuten reduziert und bei Geschwindigkeiten über 150 km/h komplett abgeschaltet. Weiterhin werde die zugesetzte Menge des Zusatzes „AdBlue“ zur Umwandlung der Stickoxide bei Geschwindigkeiten von über 145 km/h iterativ reduziert und ab 200 km/h auf 0 gesenkt. Ab einer Laufleistung von 60.000 km schalte die Beklagte die Abgasrückführung völlig aus.
6
Die Klagepartei hat weiter vorgetragen, dass die Beklagte die Abschalteinrichtungen auch nicht bei der Beantragung der Typengenehmigung angegeben habe. Das Onboard-Diagnosesystem (OBD) sei so kalibriert, dass es keine Fehler im System der Abgasreinigung anzeige, obwohl objektiv gesehen die Werte der NOx-Sonden einen deutlich zu hohen Wert ausgeben.
7
Die Beklagte hat den Einbau einer illegalen Abschalteinrichtung bestritten. Sie weist darauf hin, dass die Untersuchungskommission „Volkswagen“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) auch ein Fahrzeug der Beklagten mit identischem Motor getestet und es als unauffällig betreffend den Vorwurf einer prüfstandbezogenen Abgasbehandlung bewertet habe. Das KBA habe den streitgegenständlichen Motor geprüft und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen gefunden (Anlage B1). Die Beklagte hat weiterhin vorgetragen, dass die Ausführungen der Klagepartei zur SCR-Katalysatoren-Technik (Selective Catalytic Reduction) und dem hierfür notwendigen Zusatz „AdBlue“ vorliegend nicht relevant seien, da im streitgegenständlichen Fahrzeug kein SCR-Katalysator, sondern ein NSC-System verbaut worden sei. Das Fahrzeug des Klägers benötige deshalb keinen Zusatzstoff „AdBlue“ und verfüge folglich über keinen AdBlue-Tank.
8
Die Beklagte hat dargelegt, dass der Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes nicht den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp, sondern nur die Fahrzeugtypen BMW 750d und M550d, Euro 6, mit dem Motortyp N57D30S1 betroffen habe. Grund sei eine fehlerhafte „Bedatung“ dieser Fahrzeuge gewesen, was mit einem Dieselskandal nichts zu tun habe. Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I vom 25.02.2019 (Anlage B6) habe dies bestätigt. Danach hätten die umfangreichen Ermittlungen in enger Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrtbundesamt ergeben, dass es weder Hinweise für prüfstandbezogene Abschalteinrichtungen gebe noch, dass Mitarbeiter der Beklagten vorsätzlich gehandelt hätten.
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Die Klagepartei hat mit ihrer Klage in erster Instanz einen Anspruch auf Zahlung eines Betrags in Höhe von 37.937,70 € (Kaufpreis abzüglich Nutzungen) Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie einen Anspruch auf Zahlung von Deliktszinsen und einen Feststellungsanspruch betreffend den Annahmeverzug mit der Rücknahme des Fahrzeugs und einen Freistellungsanspruch betreffend vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.832,01 € geltend gemacht.
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2. Das Landgericht Regensburg hat die Klage mit Urteil vom 13.08.2021 (Bl. 365 d. A.) abgewiesen. Nach Auffassung des Landgerichts stehen der Klagepartei keine deliktischen Ansprüche zu. Der geltend gemachte Anspruch könne weder auf § 826 BGB noch auf § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB gestützt werden. Das Inverkehrbringen eines mit einem Thermofensters ausgestatteten Kraftfahrzeuges stelle sich subjektiv nicht als sittenwidrige Handlung der Beklagten dar. Das Thermofenster funktioniere sowohl auf dem Prüfstand als auch im normalen Fahrbetrieb. Die europarechtliche Gesetzeslage sei keinesfalls eindeutig. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Verletzung eines Schutzgesetzes könne der Kläger keine Ansprüche herleiten. Im Hinblick auf die weiteren von der Klagepartei behaupteten Abschalteinrichtungen habe diese unsubstantiiert „ins Blaue hinein“ vorgetragen.
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3. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klagepartei. Die Klagepartei beanstandet, dass das Erstgericht den klägerischen Vortrag zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB zu Unrecht als unsubstantiiert angesehen habe. Sie habe substantiiert dargelegt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine illegale Abschalteinrichtung gemäß Artikel 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 verfüge. Die Klagepartei habe konkret zur Funktionsweise der illegalen Abschalteinrichtung vorgetragen. Sie habe verschiedene Messungen vorgelegt und sowohl Zeugen als auch ein Sachverständigengutachten als Beweis angeboten. Diesen Vortrag und die Beweisangebote habe das Ausgangsgericht völlig außer Acht gelassen. Es habe ganz offensichtlich die Anforderungen an einen schlüssigen und substantiierten Vortrag überspannt. Das Erstgericht habe daher verfahrensfehlerhaft eine Beweisaufnahme unterlassen. Das Landgericht Düsseldorf habe im Urteil vom 31.03.2020 die hiesige Beklagte zu Schadensersatz verurteilt. Dieses Urteil zitiert der Kläger über weite Passagen (Bl. 398 d.A.). Beweisbeschlüsse in anderen Verfahren würden zeigen, dass der Vortrag ausreichend sei, um die angebotenen Beweise zu erheben. Der Kläger habe greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen und insbesondere durch die vorgelegten Messungen dargelegt, dass die Grenzwerte im Realbetrieb überschritten würden. Daraus ergebe sich, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Das Ausgangsgericht habe sich nicht mit der deutlichen Überschreitung der Grenzwerte auseinandergesetzt und es unterlassen, den angebotenen Sachverständigenbeweis zu erholen. Ein vom Oberlandesgericht Frankfurt erholtes Gutachten des Sachverständigen Mathis F2. belege, den Einbau einer „Abschalteinrichtung auf Basis der Diskrepanz der Werte im NEFZ und im Realbetrieb plausibel“. Das Gutachten wird als Anlage BK 5 vorgelegt. Die Frage der KBA Rückrufe sei nicht entscheidend.
12
Weiter rügt die Klagepartei, dass das Erstgericht den klägerischen Vortrag hinsichtlich des Thermofensters im Hinblick auf die Beweislast falsch bewertet habe. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine illegale Abschalteinrichtung im Sinne des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2 VO 715/2007/EG, da auch in diesem die Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich von +17° und +33° Celsius vollständig funktioniere. Die Verwendung eines Thermofensters habe die Beklagte noch nicht einmal bestritten. Die Beklagte sei dafür, dass eine Ausnahmevoraussetzung des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a) VO 715/2007/EG vorliege, darlegungs- und beweisbelastet. Entsprechendes habe die Beklagte aber nicht einmal ansatzweise behauptet.
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Die Klagepartei hält ferner die Ansicht des Erstgerichts für rechtsfehlerhaft, sie habe nicht dargelegt, dass ein nach § 31 BGB verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs eine für die Erfüllung der sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB erforderliche Handlung bzw. eine Täuschungshandlung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB (i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB) begangen habe. Es müsse berücksichtigt werden, dass der Klagepartei näherer Vortrag dazu nicht möglich und auch nicht zumutbar sei. Die Beklagte kenne dagegen alle wesentlichen Tatsachen. Sie treffe deswegen eine sekundäre Darlegungslast, welche sie nicht erfüllt habe. Es sei daher davon auszugehen, dass einer der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten alle Elemente des objektiven und subjektiven Tatbestandes des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB verwirklicht habe.
14
Die Klagepartei ist weiterhin der Ansicht, dass das Erstgericht zu der fehlerhaften rechtlichen Würdigung gelangt sei, dass ihr auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. § 263 StGB zusteht. Die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV seien entgegen der Auffassung des Ausgangsgerichts Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Die Klagepartei trägt zudem erstmals zu einer Abschalteinrichtung in Form des „Kaltlaufheizens“ vor (Seite 6 – 18 der Berufungsbegründung).
15
Mit Schriftsatz vom 03.11.2021 (Bl. 484ff d. A.) verteidigt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil.
II.
16
Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Erstgericht hat ohne Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO) angenommen, dass der Klagepartei die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen.
A.
17
Vertragliche Ansprüche bestehen zunächst nicht, da Vertragspartner des Kaufvertrages nicht die Beklagte ist.
18
Auch eine Haftung nach § 311 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten kommt nicht in Betracht. Nach den Grundsätzen für eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (cic) soll ein Schadensersatzanspruch eines nicht an einem Vertrag beteiligten Dritten auch dann möglich sein, wenn der Dritte in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss wesentlich beeinflusst (vgl. Palandt/Grüneberg, 80. Aufl., BGB § 311 Rn. 60 m.w.N.). Ferner wird eine Eigenhaftung eines Dritten wegen besonderer Umstände, etwa wegen eines besonderen wirtschaftlichen Eigeninteresses, als möglich angesehen. Voraussetzung ist, dass der selbst nicht am Vertrag beteiligte Dritte wirtschaftlich gleichsam in eigener Sache handelnd erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2002 – VII ZR 30/01-, beck online mit weiteren Nachweisen), oder wenn der Dritte im Vorfeld der Vertragsverhandlungen Erklärungen abgegeben hat, die sich zumindest im Bereich einer Garantie bewegen. Die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens setzt weiter voraus, dass der Dritte entweder an den Vertragsverhandlungen selbst beteiligt ist oder im Rahmen der Vertragsverhandlungen mit einem Anspruch auf Vertrauen hervortritt (BGH, NJW-RR 2005, 23, beck-online).
19
Diese Voraussetzungen liegen erkennbar nicht vor. Die Beklagte war an dem Abschluss des Kaufvertrages zwischen dem Kläger und der verkaufenden Firma weder mittelbar noch unmittelbar beteiligt. Insoweit hat sie auch keine Erklärungen abgegeben, mit der sie das konkrete Vertragsverhältnis beeinflusst haben könnte. Die Ausstellung der EU-Übereinstimmungsbescheinigung durch die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs erfolgte längere Zeit vor dem Kauf des Fahrzeugs durch den Kläger und ist nicht mit der Abgabe einer persönlichen Erklärung einer Person, die ein besonderes Vertrauen genießt und auf den potentiellen Käufer einwirkt, gleichzusetzen.
B.
20
Der Senat sieht aber auch aus Deliktsrecht keine Erfolgsaussichten für die Berufung, weil der Kläger weder greifbare Anhaltspunkte für eine bewusst den Prüfstandbetrieb manipulierende Abschalteinrichtung, noch substantiiert zum Schädigungsvorsatz vorgetragen hat und damit die Voraussetzungen des § 826 BGB nicht hinreichend dargelegt sind (nachfolgend: Ziffern 1. und 2.). Schließlich stehen dem Kläger auch keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz zu (nachfolgend: Ziffer 3).
21
1. Dem Kläger stehen keine Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu.
22
Um Ansprüche nach den §§ 826, 31 BGB im Zusammenhang mit der Verwendung einer etwaigen Manipulationssoftware geltend machen zu können, müsste der Kläger sowohl zu den objektiven als auch zu den subjektiven Voraussetzungen einer Haftung und insbesondere zur Kenntnis der für die Beklagte handelnden Organe substantiiert vortragen. § 826 BGB setzt voraus, dass „in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich ein Schaden zugefügt wurde“. Dabei sind tatbestandlich vier Voraussetzungen zu erfüllen, um einen Anspruch zu begründen: Eintritt eines Schadens, Verursachung des Schadens durch den Täter, Sittenwidrigkeit des ursächlichen Verhaltens des Täters und vorsätzliches Handeln (vgl. etwa MüKo, 8. Auflage 2020, Rdn. 8 zu § 826 BGB). Grundsätzlich trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast sowohl für die sittenwidrige Schädigung als auch für den Vorsatz. Eine etwaige sekundäre Darlegungslast der Gegenseite kommt nur ganz ausnahmsweise und unter ganz besonderen tatsächlichen Umständen zum Tragen, setzt aber ebenfalls zunächst voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichend greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer Manipulationssoftware und das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes dargelegt hat (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19, Rdn. 74 zitiert nach juris).
23
a) Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, zu den Substantiierungsanforderungen an die Darlegung des Vorhandenseins eines Sachmangels wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einen Dieselmotor zwar entschieden, dass die Anforderungen an die Substantiierungspflicht nicht überspannt werden dürften. Gemessen an den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen genügt der Sachvortrag des Klägers jedoch nicht. Der Bundesgerichtshof hat in dem Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, ausgeführt, dass ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich sei, wenn die Partei Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich seien, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Es sei einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitze und nicht erlangen könne, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder für möglich halte. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich die Partei auf nur vermutete Tatsachen stütze, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von einzelnen Tatsachen haben könne.
24
Eine Behauptung sei erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte über das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs gerade Wohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden sei (BGH Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, Rdn. 8 zitiert nach juris). Bei der Annahme von Willkür sei Zurückhaltung geboten. In der Regel werde sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt sein. Der Bundesgerichtshof ergänzt, dass vom Kläger lediglich zu fordern sei, dass er greifbare Umstände anführe, auf die er den Verdacht begründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf. In der Folge legt der Bundesgerichtshof dar, warum aus seiner Sicht der Kläger in dem dort zu entscheidenden Fall solche greifbaren Umstände angeführt hatte. Dieser habe unter anderem auf ein von der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingeleitetes Ermittlungsverfahren hingewiesen. Zudem habe er auf eine Liste Bezug genommen, aus der sich ergebe, dass bereits im Jahr 2015 mehrere Fahrzeugtypen der dortigen Beklagten von einer Rückrufaktion betroffen waren. Schließlich habe ein Sachverhalt vorgelegen, bei welchem die Zulassungsbehörde eventuell Betriebsuntersagungen oder -beschränkungen vornehmen könnte.
25
b) Im Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, hat sich der Bundesgerichtshof grundsätzlich zur Darlegungslastverteilung im Hinblick auf die Kenntnis von Organen eines Konzerns verhalten. Das Urteil beschäftigt sich mit der Frage einer Haftung des VW-Konzerns aus § 826 BGB und in diesem Zusammenhang auch mit der Frage, in welchem Umfang eine sekundäre Darlegungslast für die Beklagte im Hinblick auf die Kenntnis der für sie handelnden Organe besteht. Dabei ist im Rahmen der Einordnung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs davon auszugehen, dass dem Urteil die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde lag, wonach die dortige Beklagte eine für ihren Konzern grundlegende strategische Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse, systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen getroffen hatte und dabei eine Motorsteuersoftware bewusst und gewollt so programmiert hatte, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden, um das Kraftfahrtbundesamt bei der Erlangung der Typengenehmigung zu täuschen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rdn. 16 zitiert nach juris).
26
Ferner lag der Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Feststellung zugrunde, dass die Abschalteinrichtung auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung über Jahre hinweg nicht nur im Unternehmen der dortigen Beklagten selbst, sondern auch bei mehreren Tochterunternehmen in verschiedenen Fahrzeugmodellen durch aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte, präzise Programmierung der Motorsteuersoftware zur Beeinträchtigung der Abgasrückführung in die Motorsteuerung eingebaut worden war, wobei bei einer Entdeckung der verwendeten Software eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte erfolgen können (vgl. BGH a.a.O., Rdn. 19 zitiert nach juris).
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Der Bundesgerichtshof führt in der Entscheidung aus, dass nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend mache, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, das heißt sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände, trage (vgl. BGH a.a.O., Rdn. 35 zitiert nach juris).
28
In bestimmten Fällen sei es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden hänge dabei davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen habe. In der Regel genüge gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lasse sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei sei (vgl. BGH a.a.O., Rdn. 36). Der Bundesgerichtshof führt sodann aus, dass im Fall der Verwendung einer Manipulationssoftware durch den VW-Konzern die Beklagte dann eine sekundäre Darlegungslast treffe, wenn der Kläger hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen habe. Dabei spreche die grundlegende Strategieentscheidung des Konzerns, weltweit alle Fahrzeuge mit Motoren der Serie EA189 mit einer Manipulationssoftware auszustatten, für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten.
29
c) Der Bundesgerichtshof hat sich nunmehr im Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, erstmals mit der Frage einer Haftung aus Deliktsrecht wegen des Einbaus eines Thermofensters befasst und dabei ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) nicht bereits deshalb gegeben seien, weil die dortige Beklagte den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht habe. Dieses Verhalten sei für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gelte auch dann, wenn die dortige Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Rdn. 13 zitiert nach juris). Der Bundesgerichtshof geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass es sich bei einer temperaturbeeinflussten Steuerung der Abgasrückführung um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung 715/2007 (EG) handelt (vgl. BGH, a. a. O., Rdn. 16 zitiert nach juris).
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Der Fall des Einbaus eines „Thermofensters“ unterscheide sich von dem durch den Bundesgerichtshof mit Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, entschiedenen Fall, in welchem ein Automobilhersteller im eigenen Kosten- und Gewinninteresse die grundsätzliche unternehmerische Entscheidung getroffen hatte, dem Kraftfahrtbundesamt zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten würden (vgl. BGH a. a. O., Rdn. 17 zitiert nach juris). Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehle es an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, welches die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Es handle sich insoweit nicht um eine Funktion, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere (vgl. BGH, a. a. O., Rdn. 18 zitiert nach juris). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit sei nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem vom Bundesgerichtshof unterstellten Verstoß gegen die Verordnung 715/2007 (EG) weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Für diese Umstände trage der Kläger die Darlegungs- und Beweislast.
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Vor dem Hintergrund dieser drei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu den Anforderungen an die Substantiierung des Sachvortrages, zum Bestehen einer sekundären Darlegungslast und zum „Thermofenster“ kommt der Senat im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der Kläger weder hinreichend substantiiert zur Verwendung einer Manipulationssoftware in dem streitgegenständlichen Fahrzeug (2a) noch substantiiert zu einem Vorsatz der Beklagten vorgetragen hat (2b) und dass darüber hinaus die Beklagte gemessen am Vortrag des Klägers keine sekundäre Darlegungslast trifft (2c).
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2. a) Die Klagepartei hat die nach den dargestellten Rechtsprechungsmaßstäben des Bundesgerichtshofs erforderlichen, greifbaren Anhaltspunkte für ein objektiv sittenwidriges Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen bezogen auf das streitgegenständliche Kraftfahrzeug der Modellreihe BMW X3, Euro 6, nicht aufgezeigt.
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1. Es kann als wahr unterstellt werden, dass die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Kraftfahrzeug der Klagepartei bei kühleren und sehr hohen Außentemperaturen reduziert und schließlich ganz abgeschaltet wird (sog. „Thermofenster“). Dies reicht aber nach den vorgenannten Rechtsprechungsgrundsätzen des Bundesgerichtshofs für sich genommen nicht aus, um das Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen als sittenwidrig zu qualifizieren. Es kann dabei zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass die behauptete temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Artikel 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz der Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen, hierfür bedürfte es weiterer Umstände (vgl. BGH, NJW 2021, 921, 923, Rn. 16).
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Soweit die Klagepartei darüber hinaus behauptet, dass z. B. bei bestimmten Drehzahlen, Geschwindigkeiten sowie Drehmomentzahlen oder Laufleistungen die Abgasrückführung reduziert und schließlich ganz deaktiviert werde, würde es sich wertungsmäßig um eine einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems vergleichbare Steuerung handeln. Auch eine solche Regelung der Motorsteuerungssoftware unterscheidet in ihrer Wirkungsweise nicht – wie bei dem VW-Motor des Typs EA189 – zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem normalen Straßenbetrieb. Der Einbau dieser Regelung reicht daher zur Qualifizierung des Verhaltens der für die Beklagten handelnden Personen als sittenwidrig allein ebenso wie eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung nicht aus.
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2. Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus dem Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 09.04.2021 – 1 U 94/20. Das OLG Schleswig-Holstein sah im dortigen Fall schon den Vortrag des klagenden Gebrauchtwagenkäufers, das erworbene Fahrzeug verfüge über eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung, als ausreichend substantiiert an, weil ein Thermofenster – abhängig von den Parametern, nach denen die Rate der Abgasrückführung gesenkt werde, – durchaus zu einem System der Prüfstanderkennung und des Betriebs des Fahrzeugs in zwei verschiedenen Modi führen „kann“. Das sei der Fall, wenn die Parameter so gewählt seien, dass die Abgasrückführung bei den Bedingungen, die auf dem Prüfstand herrschen, voll wirksam sei, und so die Grenzwerte sicher erreicht würden, im Straßenverkehr die Abgasrückführung reduziert werde, weil dort die auf dem Prüfstand herrschenden Bedingungen „häufig“ andere sein würden.
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Die Auffassung des OLG Schleswig-Holstein steht in Widerspruch zu der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, und vermag den Senat nicht zu überzeugen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Umstand allein, dass die für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen einen Fahrzeugtyp mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben, zur Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens gerade nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier von der Klagepartei vorgetragen – das Thermofenster die Abgasrückführung nur in einem Bereich zwischen +17° C und +33° C vollständig vornimmt, welcher jedenfalls im Kern auch im Temperaturbereich des NEFZ liegt. Auch bei einem so gestalteten Thermofenster handelt es sich nicht um eine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung, weil sie nicht nur im Prüfstand, sondern auch im Realbetrieb im gleichen Temperaturbereich gleichermaßen funktioniert. Für die Beurteilung, ob die für den Automobilhersteller handelnden Personen arglistig und damit objektiv sittenwidrig gehandelt haben, kommt es aber nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheidend darauf an, dass die Rate der Abgasrückführung unter den für den Prüfzyklus maßgeblichen Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, …) im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspricht (BGH ebd.). Das ist aber auch bei dem von der Klagepartei behaupteten „Thermofenster“ und den übrigen von ihr vorgetragenen „Abschalteinrichtungen“ der Fall. Die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 09.04.2021, Az. 1 U 94/20, berücksichtigt nicht hinreichend, dass es das Wesen jeder temperaturgesteuerten Abgasreinigung ist, dass sie egal in welchem Fahrbetrieb immer nur in einem bestimmten Temperaturbereich funktioniert. Auch der Einbau einer mit dem im NEFZ herrschenden Temperaturbereich von 20° C bis 30° C übereinstimmenden Steuerung des Emissionskontrollsystems würde daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für den Automobilhersteller handelnden Personen alleine nicht ausreichen. Es müssen hierfür nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weitere Umstände hinzutreten, welche den Einsatz der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung besonders verwerflich erscheinen lassen.
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Ungeachtet dessen ist anzumerken, dass der von der Klagepartei behauptete Temperaturbereich, in dem die Abgasrückführung vollständig oder zumindest teilweise vorgenommen werden soll, über die im NEFZ vorgeschriebenen Temperaturen von 20° C bis 30° C bei kühleren Temperaturen nicht unerheblich hinausgeht, was indiziell für den Einsatz der Temperatursteuerung zum Motorschutz spricht. Die Klagepartei hat selbst behauptet, dass die Temperatursteuerung so ausgestaltet sei, dass sie zwischen -11 ° C und +17° C lediglich iterativ reduziert und erst ab unter -11° C vollständig deaktiviert werde.
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Auch bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems wie im vorliegenden Fall behauptet fehlt es daher an einem vom Bundesgerichtshof verlangten arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde.
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3. Zur Darlegung einer objektiv sittenwidrigen Schädigung war es somit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlich, dass die Klagepartei weitere Umstände vorträgt, welche dem Einsatz einer (unterstellt) unzulässigen Abschalteinrichtung ein sittenwidriges Gepräge geben. Solche zusätzlichen Umstände hat die Klagepartei jedoch nicht dargelegt:
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(1) Aus behördlichen Ermittlungen oder Verlautbarungen ergeben sich bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeugmodell BMW X3, Euro 6, keine Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung oder ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
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Die Staatsanwaltschaft München I hat zwar Anfang 2018 ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Mitarbeiter der Beklagten wegen des Verdachts der Verwendung prüfstandbezogener Abschalteinrichtungen geführt. Das Verfahren betraf aber weder dasselbe Fahrzeugmodell wie im Streitfall noch zumindest denselben Motor. Es wurde wegen der – hier nicht streitgegenständlichen – Modellreihen BMW M550d xDrive und 750d xDrive, Euro 6, geführt. Die Ermittlungen betrafen auch nicht denselben Motor. In den ermittlungsgegenständlichen Modellen ist ein 3,0-Liter-Reihensechszylindermotor des Typs N57 mit einer Leistung von 280 kW verbaut. Im streitgegenständlichen Fahrzeug wird hingegen ein Vierzylinder-Dieselmotor der Reihe B47 mit einer Leistung von 140 kW verwendet. Für eine fehlende Vergleichbarkeit der Abgasreduktion spricht zudem, dass das Kraftfahrbundesamt nur Fahrzeuge der Modellreihen M550d xDrive und 750d, Euro 6, nicht aber auch Fahrzeuge der streitgegenständlichen Modellreihe BMW X3, Euro 6, zurückgerufen hat.
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Die geführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen lassen somit keine Rückschlüsse auf die Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware und die Regelung der Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug des Typs BMW X3 zu.
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Aber selbst wenn man solche Rückschlüsse ziehen könnte, ergäben sich aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I weder Anhaltspunkte für die Verwendung prüfstandbezogener Abschalteinrichtungen noch für ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten und der Pressemittelung der Staatsanwaltschaft München I vom 25. Februar 2019 haben die umfangreichen Ermittlungen, die in enger Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrtbundesamt erfolgten, weder Nachweise dafür ergeben, dass bei den ermittlungsgegenständlichen Modellreihen des Typs BMW M550d xDrive und 750d xDrive tatsächlich prüfstandbezogene Abschalteinrichtungen verbaut wurden, noch dass Mitarbeiter der BMW AG vorsätzlich gehandelt hätten. Die Ermittlungen haben nach der staatsanwaltschaftlichen Pressemitteilung zwar ergeben, dass auf Grund einer fehlerhaften Bedatung des für die Abgasreinigung zuständigen Bereichs der Motorsteuerungssoftware ab dem Erreichen einer gewissen Wärmemenge die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators bis zum nächsten Zündwechsel unterblieb, was zu einem Anstieg der Stickoxidemissionen bis zum nächsten Zündwechsel führte, wenn und sobald die Kapazität des NOx-Speicherkatalysators erreicht war. Von diesem Fehler seien weltweit 7.965 Fahrzeuge betroffen. Die Staatsanwaltschaft München I legte der Beklagten insofern aber kein vorsätzliches Verhalten zur Last, sondern eine fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung des Unternehmens nach § 130 Abs. 1 OWiG.
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Es gibt betreffend den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp auch keinen verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamts.
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(2) Die Klagepartei hat behauptet, dass in den Motoren der von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge die zugesetzte Menge des Zusatzes „AdBlue“ zur chemischen Reinigung bei Geschwindigkeiten von über 145/km/h iterativ reduziert und ab 200 km/h auf 0 gesenkt werde. Dieser Vortrag bezieht sich allerdings schon nicht hinreichend auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Dieselmotor des Typs B47 und geht nicht auf den konkreten Einwand der Beklagten ein, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug des Typs BMW X3, Euro 6, gar kein SCR-System verbaut sei, sondern dieses mit einem NOx-Speicherkatalysator ausgestattet sei, der ohne Additive funktioniere. Der klägerische Vortrag ist daher widersprüchlich und unschlüssig. Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ist damit dem hierauf bezogenen Zeugenbeweis nicht nachzukommen.
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(3) Die von der Klagepartei vorgelegten Abgasmessungen der Technischen Universität Graz (im Folgenden: „TUG“) sowie der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (im Folgenden: „EMPA“) aus dem „Handbuch für Emissionsfaktoren im Straßenverkehr Version 3.3“ (HBEFA) lassen ebenfalls keine weiteren Schlüsse auf die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung zu.
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Gegenstand der Untersuchungen war schon nicht die Analyse der Funktionsweise der Abgasrückführung als solche, sondern die Messung der Emissionen außerhalb der Bedingungen des NEFZ-Prüfstands nach dem nicht rechtsverbindlichen „Common Artemis Driving Cycle“ (CADC), der einen Stadtanteil mit realistischem Beschleunigen, einen Landstraßenanteil und einen Autobahnanteil enthält (Wikipedia, Stichwort „Fahrzyklus“). Eine solche Messung nach einem anderen Testzyklus lässt nur bedingt Rückschlüsse auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu und dies auch nur bei einer Überschreitung der gesetzlichen Grenzwerte um ein Vielfaches. Die in der VO (EG) 715/2007 festgelegten Emissionsgrenzwerte waren notwendigerweise zu standardisieren und beziehen sich auf den Emissionsausstoß im Rahmen eines definierten Prüfungszyklus. Im Realbetrieb können hingegen andere Außentemperaturen, Beschleunigungen etc. vorkommen, so dass auch nicht bereits aus jeglicher Überschreitung dieser Emissionswerte im realen Fahrverhalten bei gleichzeitiger Einhaltung der Grenzwerte auf dem Prüfstand ohne weiteres darauf zu schließen wäre, dass in dem betreffenden Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet werde (OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019 – 7 U 367/18, juris Rn. 34; OLG München, Urteil vom 5.9.2019 – 14 U 416/19, BeckRS 2019, 26072, Rn. 168; OLG Bremen, Hinweisbeschluss vom 14.10.2020 – 1 U 4/20, BeckRS 2020, 31082, Rn. 48). Das Überschreiten der zulässigen Emissionen im Realbetrieb oder bei einem realitätsnäheren Testzyklus könnte daher nur bei einer Überschreitung um ein Mehrfaches ein mittelbarer Anhaltspunkt für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sein (vgl. OLG Bremen, a.a.O.).
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Den vorgelegten Abgasmessungen lassen sich keine Indizien dafür entnehmen, dass in der streitgegenständlichen Modellreihe BMW X3, Euro 6, eine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung verwendet wird.
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Zwar überschreiten die im realitätsnäheren Fahrzyklus CADC gemessenen Stickoxidwerte der untersuchten Fahrzeuge den nach der Euro-6-Norm geltenden Stickoxidgrenzwert für Dieselfahrzeuge von 80 mg/km zum Teil massiv. Die hohen Werte sind aber nach der Pressemitteilung 16/2017 des Umweltbundesamts (abrufbar unter www.umweltbundesamt.de/presse/) darauf zurückzuführen, dass erstmals auch für den betriebswarmen Motor Messungen bei allen in Deutschland typischen Außentemperaturen berücksichtigt wurden und vor allem an kalten Tagen hohe Stickoxidemissionen aufgetreten sind. Da das Vorhandensein einer temperaturabhängigen Abschalteinrichtung ohnehin als wahr unterstellt werden kann, ist in Folge hiervon eine – je nach Außentemperatur und Fahrsituation – unter Umständen drastische Überschreitung der zulässigen Emissionen im Realbetrieb oder bei einem realitätsnäheren Testzyklus zu erwarten (vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags vom 22. Juni 2017, BT-Drs. 18/12900, S. 154 zu den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Peter Mock bei Verlassen des Temperaturbereichs beim Thermofenster). Die festgestellte massive Überschreitung der Stickoxidwerte im realitätsnahen CADC-Zyklus mag ein Indiz dafür sein, dass in den untersuchten Fahrzeugen – in der stärkeren Ausbaustufe des Motors B47 – eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems verwendet wird. Sie ist aber kein notwendiges zusätzliches Indiz dafür, dass in den untersuchten Fahrzeugen oder gar im streitgegenständlichen Fahrzeug eine prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung verbaut ist oder dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
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(4) Auch aus den vorgetragenen Abgasmessungen der Deutschen Umwelthilfe e.V. ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug des Typs BMW X3, Euro 6.
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Die Messungen des Deutschen Umwelthilfe e.V. betrafen ein mit dem Fahrzeug der Klagepartei vergleichbares Fahrzeug des Typs BMW 320d, Euro 6. Diese Messungen wurden bei Außentemperaturen von unter +10° C durchgeführt.
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Die nur bei den sehr niedrigen Außentemperaturen von unter +10° C festgestellten, erheblichen Grenzwertüberschreitungen um ein Vielfaches sind daher ein starkes Indiz dafür, dass in den untersuchten Fahrzeugen ausschließlich eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung verwendet wird, was aber – wie ausgeführt – für die Annahme einer objektiven sittenwidrigen Schädigung alleine nicht ausreicht und daher ohnehin als wahr unterstellt werden kann. Auch die Gutachten sind nur geeignet, den ohnehin als wahr unterstellten Sachvortrag zu untermauern.
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(5) Ebenfalls keine greifbaren Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug liefert der Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur .
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Die mit Blick auf die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen vorgenommenen Abgasmessungen bei einem BMW 216d, Euro 6, lassen nur bedingt Rückschlüsse auf die Abgasemissionen des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu. Das untersuchte Fahrzeug ist zwar ebenfalls mit einem Motor der Serie B47 ausgestattet, allerdings mit einer deutlich niedrigeren Leistung von 85 kW, was für den Stickoxidausstoß ersichtlich bedeutsam ist.
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Ungeachtet dessen hat die Untersuchungskommission zwar bei einer ersten Messung festgestellt, dass das geprüfte Fahrzeug im NEFZ warm den Grenzwert von 80 mg/km deutlich überschreitet (vgl. Anlage K C3, S. 28), während die Werte beim NEFZ 10°-Test und die PEMS-Straßenmessung für NEFZ und NEFZ Back niedrig und unauffällig waren. Zur Klärung, ob eine vermutete Fehlmessung vorlag, wurden Messungen an einem weiteren baugleichen Fahrzeug durchgeführt. Es bestätigte sich dabei nach dem Untersuchungsbereich die Vermutung, dass die Messung des NEFZ warm auf einem sehr niedrigen Niveau lag. Die Analyse der erhöhten Werte bei den NEFZ + 10% NEFZ, NEFZ -10% und die RDE-Messungen lassen nach Einschätzung der Kommission auf eine Partikelfilterregeneration schließen, was weitere Messungen bestätigten.
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Nach den durchgeführten Kontrollmessungen ergeben sich somit keine Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandbezogenen und damit evident unzulässigen Abschalteinrichtung im Fahrzeug der Klagepartei.
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Das Kraftfahrtbundesamt hat aufgrund der nicht festgestellten unzulässigen Abschalteinrichtungen für die untersuchte Modellreihe BMW 216d, Euro 6, keinen verpflichtenden Rückruf angeordnet. Der Typ BMW 320 d, Euro 5, welcher ebenfalls Gegenstand der Untersuchung war, ist mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht vergleichbar.
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(6) Die vorgelegten Abgasmessungen des Kraftfahrtbundesamts, die zwei Fahrzeuge des Typs BMW 320d, Euro 6 betrafen, sind nicht aussagekräftig. Den vorgelegten Ausdrucken kann außer einer nicht näher spezifizierten Temperatur- und Streckenangabe nicht entnommen werden, unter welchen Fahrbedingungen und sonstigen Bedingungen die Abgasmessungen durchgeführt worden sind.
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(7) Auch aus den vorgelegten Abgasprüfungen des Department for Transport (Anlage K C5) ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung verbaut worden ist. Diese belegen zunächst, dass ein BMW 320d, Euro 6, im NEFZ die Werte eingehalten hat und dass es bei Bedingungen außerhalb des Prüfzyklus zu teilweise deutlichen Überschreitungen kommt.
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(8) Der Umstand, dass der TÜV Essen bei abweichend vom normierten Prüfverfahren des NEFZ ohne vorherige „Konditionierungen“ im „halbwarmen“ Zustand durchgeführten Abgasmessungen eines BMW 320d Touring einen Stickoxidausstoß in Höhe von 106 mg/km und nach vorheriger Konditionierung nur in Höhe von 27 mg/km festgestellt hat, ist kein Hinweis auf die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung.
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Die Vorgaben der UN/ECE Regelung Nr. 83 schreiben für das Prüfverfahren eine sogenannte Konditionierung des Kraftfahrzeugs vor. Im Hinblick auf die Partikelmessung ist zur Vorkonditionierung der Fahrzeuge höchstens 36 Stunden und mindestens sechs Stunden vor der Prüfung der Teil 2 des Fahrzyklus durchzuführen. Nach dieser Vorkonditionierung sind die Fahrzeuge vor der Prüfung in einem Raum einer relativ konstanten Temperatur zwischen 20° C und 30° C auszusetzen. Diese Konditionierung muss mindestens sechs Stunden lang durchgeführt werden und so lange dauern, bis die Temperatur des Motoröls und des Kühlmittels auf ±2K genau der Raumtemperatur entspricht. Bei einer Messung unter abweichenden Rahmenbedingungen des NEFZ – wie sie vom TÜV vorgenommen wurden – sind daher Abweichungen beim Abgasausstoß schon aufgrund der höheren oder niedrigeren Temperatur des Motoröls und des Kühlmittels zu erwarten. Allenfalls bei einer Überschreitung um ein Vielfaches könnten sich Rückschlüsse auf eine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung ergeben. Dies ist vorliegend aber gerade nicht der Fall. Der gesetzliche Grenzwert von 80 mg/km wurde ohne Konditionierung nur in unauffälliger Weise überschritten.
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Der Umstand, dass der TÜV Essen bei einem Fahrzeug des Typs BMW 320d mit höheren Drehzahlen als im NEFZ durchgeführten Abgasmessungen einen Stickoxidwert von 372,92690 mg/km festgestellt hat, mag ein Indiz dafür sein, dass der – ohnehin als wahr unterstellte – Vortrag der Klagepartei zutrifft, dass die Abgasrückführung auch bei bestimmten Drehzahlen reduziert und dann ganz abgeschaltet wird. Hierbei würde es sich aber um keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung handeln, die ein sittenwidriges Bewusstsein belegt, sondern um eine Steuerung, die nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet.
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(9) Die Messungen des ICCT, welche einen BMW 520 d betrafen, sind zunächst nicht vergleichbar, belegen aber letztlich – ebenso wie die Gutachten von – nur die vom Senat ohnehin zu Gunsten der Klagepartei unterstellte Abweichung des Realbetriebes vom NEFZ Betrieb bei bestimmten Faktoren und das Vorhandensein von unzulässigen Abschalteinrichtungen, nicht aber eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung in Form von bewusst den Prüfstandzyklus manipulierenden Abschalteinrichtungen.
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(10) Soweit die Klagepartei in der Klageschrift behauptet, dass die Beklagte die verwendeten Abschalteinrichtungen bei der Beantragung der Typengenehmigung gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt und der National Standards Authority of Ireland (NSAI) nicht angegeben habe, ist dies kein weiterer Umstand, der die Annahme rechtfertigt, dass die für die Beklagte handelnden Personen im Bewusstsein gehandelt haben, eine – unterstellt – unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut zu haben.
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Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 (NJW 2021, 921) den vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Vortrag des dortigen Klägers, die Beklagte habe im Typengenehmigungsverfahren in Bezug auf die Abgasrückführung lediglich angegeben, diese sei „kennfeldgesteuert“, als möglicherweise entscheidungserheblich angesehen, weil sich hieraus gegebenenfalls Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen ergeben „könnten“, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung verwendet zu haben.
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Im Streitfall lässt die hier behauptete, unterbliebene Angabe der Abhängigkeit der AGR-Rate von der Außentemperatur solche Schlüsse nicht zu. Im amtlichen Muster des Beschreibungsbogens (Anhang 3 zur VO (EG) Nr. 692/2008) wird unter Nr. 3.2.12.2.4.1 lediglich grob und stichwortartig nach „Kennwerte (Durchflussmenge usw.)“ gefragt. Aufgrund der fehlenden Bestimmtheit in Bezug auf den Umfang dieser Frage, ließe sich aus der unterlassenen Offenlegung der temperaturabhängigen Steuerung der AGR-Rate, jedenfalls keine vorsätzliche Falschbeantwortung der für die Beklagte handelnden Personen und damit kein Verschleierungsvorsatz ableiten, welcher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Indiz für ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen sein könnte, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
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Eine fehlende Verschleierungsabsicht der für die Beklagten handelnden Personen wird durch das Vorbringen im Schriftsatz vom 25.05.2021 (Bl. 228 d. A.) untermauert. Die Klagepartei trägt darin vor, dass die Angaben in den vorgelegten Unterlagen bewusst schwammig gehalten seien und die Genehmigungsbehörden nicht in die Lage versetzt hätten, die Abschalteinrichtung als solche zu erkennen, so heiße es z.B. in Bezug auf die temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung, dass die Abgasrückführung von folgenden Parametern gesteuert werde: (viele geschwärzte Zeilen) „Temperatur“ (vgl. Schriftsatz, a.a.O., S. 4). Die Beklagte hätte mit der Angabe „Temperatur“ einen zwar knappen, aber gleichwohl klaren Hinweis auf eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung gegeben. Hätte das Kraftfahrtbundesamt diesen für unzureichend gehalten, hätte es weitere Angaben verlangen können und auch müssen (vgl. zu ähnlicher Fallgestaltung auch OLG Nürnberg, Urteil vom 4.2.2020 – 5 U 5765/19, BeckRS 2020, 8420, Rn. 14). Eine Verschleierungs- oder eine Täuschungsabsicht der für die Beklagten Handelnden zur Erlangung der EG-Typengenehmigung kann daher nicht festgestellt werden.
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(11) Mit dem Vortrag der Klagepartei, die Beklagte habe das Onboard-Diagnosesystem (OBD) dahingehend manipuliert, dass dieses keine Fehler der Abgasreinigung feststelle, obwohl objektiv gesehen die Werte der NOx-Sonden einen deutlich zu hohen Wert ausgeben, der bei einem zulässig konstruierten Fahrzeug nur durch einen Fehler der Abgasreinigung zu erklären wäre, hat diese greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandbezogenen Abschalteinrichtung nicht aufgezeigt.
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Der Umstand, dass im Realbetrieb die in der VO (EG) 715/2007 festgelegten Emissionsgrenzwerte überschritten werden können, ist aufgrund der vom definierten Prüfungszyklus abweichenden Umgebungs- und Fahrbedingungen – wie ausgeführt – zu erwarten. Es ist daher kein Indiz für eine Manipulation des OBD-Systems, dass dieses das Überschreiten der gesetzlichen Stickoxidwerte im realen Fahrbetrieb nicht als Fehler wertet und festhält.
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(12) Soweit die Klagepartei weiter pauschal behauptet, dass die Emissionsstrategie ferner von der Lenkradstellung und dem Betrieb von Nebenverbrauchern beeinflusst werde, und dass die Abgasrückführung ab einer Laufleistung von 60.000 km schlichtweg ausgeschaltet werde, zeigt diese keinerlei Anhaltspunkte auf, worauf sie die Behauptung stützt. Der Vortrag ist „ins Blaue hinein“ aufgestellt und daher prozessual unbeachtlich.
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4. Der neue Sachvortrag rechtfertigt – unabhängig von der Frage, ob er überhaupt noch berücksichtigt werden darf – keine von der mitgeteilten Rechtsauffassung des Senats abweichende Bewertung der Erfolgsaussicht der Berufung. Die Verwendung der behaupteten Abschalteinrichtung in Form eines „Kaltstartheizens“, welche die Beklagte bestritten hat, ist kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen.
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1) Die Klagepartei hat zur Funktionsweise der behaupteten Abschalteinrichtung vorgetragen, dass die vom Privatgutachter Heitz festgestellte Funktion des Kaltstartheizens dazu führe, dass Kraftstoff den Motor unverbrannt verlasse und erst später, im Abgasstrang, verbrannt werde. Hintergrund sei, dass der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute NOx-Speicherkatalysator zunächst eine sehr hohe Temperatur erreichen müsse (zwischen 250°C und 500°C), um Stickoxid wirksam zu filtern. Bleibe der Katalysator kalt, könne Stickoxid nicht wirksam reduziert werden. Die notwendigen Temperaturen könne der Speicherkatalysator auf dem NEFZ mit geringer Last, Drehzahl und Geschwindigkeit in der vorgegebenen Zeit des NEFZ praktisch nicht oder erst kurz vor Ende des NEFZ erreichen. Daher habe die Beklagte das „Kaltaufheizen“ entwickelt, das unter sehr engen Bedingungen nach Motorstart die Verbrennung so regle, dass Kraftstoff unverbrannt den Motor verlassen könne und erst im Abgasstrang verbrannt werde, um diesen sehr schnell auf Temperatur zu bekommen. Dieses Aufheizen sei jedoch, werde es häufig angewandt, schädlich für den Abgasstrang und würde zu häufigeren Wartungsintervallen und höherem Verschleiß führen. Daher habe die Beklagte entschieden, die Strategie des „Kaltaufheizens“ nur dann einzusetzen, wenn diese wirklich nötig sei, nämlich bei entsprechenden Prüfungen des Fahrzeugs. Damit die Funktion des „Kaltaufheizens“ gestartet werde, müssten folgende drei Bedingungen bei Motorstart kumulativ vorliegen:
- Die Außentemperatur liegt im Temperaturbereich zwischen 15°C und 35,5°C und
- die Motorkühlmitteltemperatur liegt unter 15°C und
- der gemessene Luftdruck liegt unter einem Wert, der einer Höhe über Null von 900m entspricht.
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Die Klagepartei trägt weiter vor, dass die Funktion aufgrund der gewählten Parameter im NEFZ immer, im normalen Gebrauch hingegen sehr selten bis gar nicht aktiviert werde. Es handle sich somit um eine unzulässige Abschalteinrichtung.
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2) Wenn man die vorgetragene Programmierung der Motorsteuerungssoftware als wahr unterstellt, würde sich hieraus kein Anhaltspunkt für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen ergeben, eine unterstellt unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen:
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Bei der behaupteten Funktion des Kaltaufheizens handelt es sich ebenfalls um keine prüfstandbezogene Abschalteinrichtung, weil sie nicht nur im Prüfstand, sondern auch im Realbetrieb im gleichen Temperaturbereich, beim gleichen Luftdruck und im gleichen Temperaturbereich des Motorkühlmittels gleichermaßen funktioniert. Für die Beurteilung, ob die für den Automobilhersteller handelnden Personen arglistig und damit objektiv sittenwidrig gehandelt haben, kommt es aber nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheidend darauf an, dass die Rate der Abgasrückführung unter den für den Prüfzyklus maßgeblichen Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, …) im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspricht. Das ist aber auch bei dem von der Klagepartei behaupteten Funktion des „Kaltaufheizens“ der Fall.
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Hinzukommt, dass der von der Klagepartei behauptete Temperaturbereich, in dem das „Kaltaufheizen“ aktiviert ist, über die im NEFZ vorgeschriebenen Temperaturen von 20°C bis 30°C im unteren und oberen Bereich hinausgeht, was indiziell für den Einsatz der Temperatursteuerung zum Motorschutz spricht. Zudem wird aufgrund des im NEFZ vorgeschriebenen Temperaturbereich von 20°C bis 30°C die Motorkühlmitteltemperatur nicht unter 15°C liegen können, so dass das Kaltaufheizen im NEFZ praktisch nicht zur Anwendung gelangen würde. Auch dies spricht gegen ein arglistiges Vorgehen der für die Beklagten handelnden Personen.
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Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Klagepartei keine greifbaren Umstände aufgezeigt hat, die das Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Sie hat insbesondere keine Umstände vorgetragen, aus denen sich unmittelbare oder zumindest mittelbare Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug des Typs BMW X3, Euro 6, eine Abschalteinrichtung verbaut ist, die so programmiert ist, dass die gesetzlichen Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb dagegen überschritten werden. Die Verwendung einer – evident – unzulässigen Abschalteinrichtung, die unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde zielte, hat die Klagepartei somit nicht aufgezeigt. Es ist daher bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 826 BGB nicht gegeben.
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5. Die Rüge der Klagepartei, das Erstgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den zur Funktionsweise der illegalen Abschalteinrichtung angebotenen Zeugen- und Sachverständigenbeweis zu erheben, ist nicht begründet. Es kann – wie ausgeführt – in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als wahr unterstellt werden, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer temperaturabhängigen Motorsteuerungssoftware ausgestattet ist, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Artikel 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 anzusehen ist, so dass die hierauf bezogenen Tatsachenbehauptungen nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen nicht beweisbedürftig sind. Darüber hinaus hat die Klagepartei – wie ausgeführt – insbesondere keine greifbaren Anhaltspunkte für die Verwendung einer prüfstandsbezogenen und damit einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Kraftfahrzeug vorgetragen.
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6. Ebenso unbegründet ist die Rüge der Klagepartei, das Erstgericht habe verkannt, dass die Beklagte dafür darlegungs- und beweisbelastet sei, dass eine Ausnahmevoraussetzung des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a) VO (EG) Nr. 715/2007 vorliege. Wie bereits ausgeführt, kann zugunsten der Klagepartei als wahr unterstellt werden, dass die verbaute temperaturabhängige Abschalteinrichtung unzulässig ist. Die Frage, ob die Beklagte hinsichtlich des Ausnahmetatbestands des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a VO (EG) Nr. 715/2007 darlegungs- und beweispflichtig ist, ist daher nicht entscheidungserheblich.
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b) Es fehlt bereits am Vortrag greifbarer Umstände für eine objektiv sittenwidrige schädigende Handlung. Zudem hat der Kläger die subjektiven Voraussetzungen unzureichend dargelegt. Der Kläger führt dazu lediglich allgemein aus, die Beklagte habe sich die Kenntnis ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne von § 31 BGB hinsichtlich der subjektiven und objektiven Voraussetzung des § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB zurechnen zu lassen. Die Manipulationen seien nur dadurch zu erklären, dass die Beklagte nicht bereit gewesen sei, die hohen Kosten für eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Abgasreinigung aufzuwenden.
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Die allgemein gehaltenen Darlegungen zu den subjektiven Voraussetzungen reichen nicht aus. Auch hier müsste der Kläger darlegen, weshalb vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft München I lediglich von einer fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung und gerade nicht von einem Betrug bei der Beklagten ausgeht, die Organe der Beklagten dennoch von einer manipulierten Software gewusst haben sollen. Die Staatsanwaltschaft hatte keinen hinreichenden Tatverdacht für ein vorsätzliches Handeln. Vor diesem Hintergrund genügt eine pauschale Behauptung, wonach der Vorstand Kenntnis gehabt habe, nicht. Es ist Sache des Klägers jedenfalls zunächst darzulegen, welche konkreten Anhaltspunkte er für ein betrügerisches Handeln der Beklagten und für eine Kenntnis der verantwortlichen Personen hat.
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Soweit die Klagepartei zum Vorsatz der Beklagten und einer etwaigen Zurechnung des Verhaltens ihrer Organe und Mitarbeiter vorgetragen hat, ist dies lediglich pauschal und undifferenziert erfolgt. Erforderlich wäre ein konkreter Vortrag der Klagepartei, welches verfassungsmäßige Organ bzw. Repräsentant zu welchem Zeitpunkt Kenntnis von welchen Tatsachen hatte und die Klagepartei habe schädigen wollen. Dieser Vortrag muss sich gerade auf den streitgegenständlichen Motortyp und die konkret gerügten, die Sittenwidrigkeit begründenden, Umstände beziehen (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Az. 8 U 144/19, Rdn. 143 zitiert nach juris).
83
Auch im Hinblick auf den Einbau eines Thermofensters hat der Kläger nicht vorgetragen, dass im allein relevanten Zeitpunkt des „In-Verkehr-Bringens“ die Organe der Beklagten die erforderliche Kenntnis hatten, dass es sich dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt und in diesem Wissen die Typengenehmigung erschlichen haben. Gerade vor dem Hintergrund der schwierigen Auslegung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 (EG) müsste der Kläger darlegen, dass und warum die verantwortlichen Organe der Beklagten andere Kenntnisse hatten und trotz dieser Kenntnisse gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt falsche oder bewusst unvollständige Angaben gemacht haben. Der Kläger nimmt auch hier eine sekundäre Darlegungslast an, Eine solche sekundäre Darlegungslast besteht aber, wie nachfolgend dargelegt, nicht.
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c) Die Beklagte trifft im vorliegenden Fall gerade keine sekundäre Darlegungslast. Würde man ihr eine solche Darlegungslast für die Unkenntnis auferlegen, müsste sie faktisch die gesamte Kommunikation innerhalb des Unternehmens über einen mehrere Jahre dauernden Zeitraum offenlegen. Dies ist ihr praktisch nicht möglich und grundsätzlich unzumutbar (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az. 10 U 134/19, Rdn. 98 zitiert nach juris).
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Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, könnte etwas anderes nur dann gelten, wenn das Verwenden einer Manipulationssoftware im Rahmen einer strategischen Unternehmensentscheidung erfolgt wäre und sozusagen zum Geschäftsmodell geworden ist. Auch dies hat die Klagepartei nicht hinreichend substantiiert dargelegt; der allgemeine Vortrag, dass Vorstandsmitglieder bzw. sonstige Repräsentanten Kenntnis von „Manipulationen“ hatten, reicht hier keinesfalls aus, weil der Kläger keine greifbaren Umstände für ein vorsätzliches Handeln vorgetragen hat. Solche sind auch – anders als im VW-Abgasskandal – nicht aus anderen Umständen, wie etwa dem Ergebnis staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, ersichtlich.
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Im Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, hat der Bundesgerichtshof auch keine sekundäre Darlegungslast der dortigen Beklagten im Hinblick auf die Angaben gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt im Typengenehmigungsverfahren postuliert.
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3a) Der Klagepartei steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB zu. Die Beklagte selbst kann als juristische Person zunächst gemäß § 14 StGB keine Straftaten begehen. Zwar sind ihr über § 31 BGB zivilrechtlich Handlungen verfassungsmäßig berufener Vertreter zurechenbar. Eine Haftung besteht jedoch nicht, wenn es – wie vorliegend – an der gebotenen Darlegung der Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB durch die entsprechenden Personen seitens der Klagepartei fehlt (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019, Az. 7 U 134/17, Rdn. 162 ff. zitiert nach juris; OLG München, Beschluss vom 09.05.2019, Az. 32 U 1304/19, Rdn. 4 f. zitiert nach juris). So ist es im vorliegenden Fall: Es fehlt an substantiiertem Vortrag dazu, welche Personen bei der Beklagten wann welche Kenntnisse hatten und wie sie im Hinblick auf diese Kenntnisse gehandelt haben (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az. 3 U 148/18, Rdn. 6 zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.7.2019, Az. 10 U 134/19, Rdn. 104 zitiert nach juris). Dies gilt sowohl für die behauptete Verwendung einer Manipulationssoftware und – vor dem Hintergrund der geführten wissenschaftlichen Diskussionen – erst Recht für die Verwendung eines Thermofensters, wobei immer auf den Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens abzustellen ist.
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3b) Auch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV steht dem Kläger kein Anspruch zu. Der Bundesgerichtshof hat sich im Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, auch mit der Frage der drittschützenden Wirkung von §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV befasst. Der Bundesgerichtshof führt dabei aus, dass eine Rechtsnorm dann ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sei, wenn sie zumindest auch dazu dienen solle, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür komme es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt, oder doch mitgewollt habe. Nicht ausreichend sei es, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht werde; er müsse vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruches müsse sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in welchen die Norm gestellt sei, zu prüfen sei, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen. Dies sei ständige Rechtsprechung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2020, Rdn. 73 – zitiert nach juris).
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Der eingetretene Schaden müsse in den sachlichen Schutzbereich der Norm fallen. Der konkret Geschädigte müsse von dem persönlichen Schutzbereich der verletzten Norm erfasst sein und zum Kreis derjenigen Person gehören, deren Schutz die verletzte Norm bezwecke (vgl. BGH ebd.). Diese Voraussetzungen lägen im Hinblick auf den vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall eines Schadensersatzanspruches wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 EG-FGV nicht vor. Inhalt des Vorwurfs des dortigen Klägers sei es gewesen, dass er von der dortigen Beklagten zur Übernahme einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst worden sei. Vor diesem Hintergrund verlange er die Erstattung des von ihm an den Käufer entrichteten Kaufpreises. Aus diesem Vorwurf könne der Kläger aber in Bezug auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 2 EG-FGV nichts für sich herleiten. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Norm.
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Die Revision des dortigen Klägers zeige keine Anhaltspunkte dafür auf, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen; solche seien auch nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Rdn. 76 – zitiert nach juris). Auch im vorliegenden Fall, welcher – wie dargelegt – dem VW-Abgasskandal noch dazu nicht vergleichbar ist, hat der Kläger keine solchen Anhaltspunkte aufgezeigt.
III.
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Der Senat regt daher zur Kostenersparnis die Rücknahme der Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.