Titel:
Abschalteinrichtung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Streitwert, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Abgasskandal, Wert des Beschwerdegegenstandes, Klagepartei, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Substantiierter Vortrag, Zug-um-Zug, Gebrauchtwagenkauf, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Schädigungsvorsatz, Ausforschungsbeweis, Schutzgesetzcharakter, Parteivorbringen, Qualifizierte elektronische Signatur
Schlagworte:
Schadensersatzansprüche, illegale Abschalteinrichtung, Beweislast, Thermofenster, Betrug, Schädigungsvorsatz, EG-FGV
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Urteil vom 08.02.2022 – 5 U 112/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 374/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63936
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 19.730,36 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines von der Beklagten hergestellten gebrauchten Pkws mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Rückabwicklung des Kaufs geltend.
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Die Klägerin kaufte das streitgegenständliche Fahrzeug, einen gebrauchten Pkw BMW X1 mit Erstzulassungsdatum: 10.02.2010, bei einem Kilometerstand von 26.300 km und zu einem Kaufpreis von 26.300 € von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Autohaus K. GmbH (Anlage KA 2), in dem ein Motor mit der Typbezeichnung N47 verbaut ist.
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Ein Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeuges wurde durch das KBA (Kraftfahrt-Bundesamt) nicht angeordnet.
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Der aktuelle Kilometerstand des PKW zum 05.03.2021 betrug 121.926 km.
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Der Kläger trägt vor, er sei bei Vertragsschluss davon ausgegangen, ein wertstabiles, technisch einwandfreies Fahrzeug zu erwerben, welches nicht über eine illegale Abschalteinrichtung verfüge und die gesetzlichen Schadstoffgrenzwerte unter allen normalen Fahrbedingungen einhalte.
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Der Kläger habe insbesondere ein schadstoffarmes Fahrzeug erwerben wollen. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei von der Beklagten als besonders umweltfreundliches Fahrzeug beworben worden.
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Das Fahrzeug enthalte jedoch mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen, insbesondere eine Prüfstandserkennung und ein sog. Thermofenster, das die Funktionsweise bzw. den Wirkungsgrad der Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Außentemperatur bei gleichbleibender Außentemperatur auch dauerhaft reduziere. Eine Manipulationssoftware sorge dafür, dass die betroffenen Fahrzeuge erkennen, wann sie sich im Testbetrieb z.B. für Zulassungsprüfungen befänden und dann durch entsprechende Motor- und Abgaseinstellungen deutlich weniger gesundheitsschädliche Stickoxide ausstießen, als im regulären Betrieb tatsächlich emittiert würden. So würden auf dem Prüfstand die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte eingehalten, im Realbetrieb dagegen erheblich überschritten. Die bei Tests erzielten Messergebnisse zeigten, dass in den Fahrzeugen der Beklagten eine illegale Software verwendet worden sei, um die Grenzwerte einzuhalten. Damit lägen auch hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine oder mehrere unzulässige Abschaltfunktionen verbaut worden seien.
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Es handele sich dabei um ein ähnliches System, wie es die V. AG im Rahmen des sog. Abgas-Skandals entwickelte.
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Die Verantwortlichen hätten angesichts der gravierenden Konstruktionsentscheidung Kenntnis von den Manipulationen gehabt.
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Der Kläger sei darüber getäuscht worden, dass das streitgegenständliche Fahrzeug die gesetzlichen Vorgaben zum Schadstoffausstoß nur unter bestimmten Bedingungen einhalte und auch hier nur mittels einer oder mehrerer unzulässiger Abschaltfunktionen.
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Der Kläger hätte bei Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben und habe daher einen erheblichen Schaden erlitten. Der Kläger sei vielmehr davon ausgegangen, dass das von ihm erworbene Fahrzeug die erforderlichen Genehmigungsverfahren ordnungsgemäß durchlaufen habe; mit illegalen Vorrichtungen habe er nicht rechnen müssen.
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Die Beklagte hafte daher aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB.
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Der Anspruch ergebe sich zudem aus § 823 BGB i.V.m. §§ 4, 6 und 25, 27 EG-FGV und i.V.m. § 263 StGB.
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 19.730,36 nebst Zinsen aus Euro 19.730,36 hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.08.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW X1, ….
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 7.761,74 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typs BMW X1, … ….
- 3.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Antrag 1. genannten Fahrzeugs seit dem 04.08.2020 in Verzug befindet.
- 4.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.564,26 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte lässt vortragen, das klägerische Fahrzeug sei weder manipuliert, noch sei im Fahrzeug eine unzulässige Abschaltvorrichtung verbaut, noch habe das klägerische Fahrzeug Zulassungsprobleme gleich welcher Art. Ein Schaden sei dem Kläger nicht entstanden. Weder gebe es einen relevanten Rückruf, noch eine Verpflichtung zu einer Nachbesserung. Letztlich versuche die Klagepartei durch rechtlich und technisch unhaltbare Schlüsse einen Bezug zu den Geschehnissen bei der V. AG herzustellen, der tatsächlich nicht gegeben sei. Das streitgegenständliche Fahrzeug habe zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch die Beklagte den gesetzlichen Anforderungen entsprochen.
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Die Beklagte trägt insbesondere vor, dass sie nicht Verkäuferin des Fahrzeuges sei und die Kaufmotive und Vorstellungen der Klagepartei bei Erwerb nicht kenne und vorsorglich mit Nichtwissen bestreite. Die Behauptung der Bewerbung und des Kaufmotivs der Umweltfreundlichkeit und Sparsamkeit sei unsubstantiiert.
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Die Beklagte habe keine Rolle in der Dieselaffäre inne. Die Untersuchungskommission Volkswagen, die den Auftrag gehabt habe, die getesteten Fahrzeugtypen auf unzulässige Abschalteinrichtungen zu untersuchen, habe dies für die Beklagte gerade verneint und festgestellt, dass die Messwerte der untersuchten Fahrzeuge alle als unauffällig zu bewerten seien. Die Behauptungen bezüglich einer vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung seien bereits vom zuständigen Kraftfahrtbundesamt mit Erklärung vom 17.10.2019 in einem Parallelverfahren (B1a) widerlegt worden.
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Eine Haftung ergebe sich somit weder aus § 826 BGB, noch aus § 823 BGB i.V.m. § 263 StGB. Die Vorschriften der §§ 6, 27 EG-FGV seien nicht verletzt. Im Übrigen fehle der von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Beweis wurde nicht erhoben.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger stehen im Zusammenhang mit dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu.
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1. Der Kläger hat das Vorliegen einer wie auch immer gearteten illegalen Abschalteinrichtung nicht ausreichend substantiiert dargelegt.
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Der Kläger ist insoweit in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig. Auch aus der Grundsatzentscheidung des BGH vom 25.05.2020 VI ZR 252/19 kann der Kläger nichts Gegenteiliges für sich ableiten. Für die hier gegebene Beweislast dahingehend, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt, gibt das Urteil nichts her, da es eine andere Fahrzeugmarke und einen anderen Motor betrifft. Deshalb hat die Beklagte auch keine sekundäre Darlegungslast. Soweit der Kläger behauptet, es lägen genügend Indizien vor, die dazu führten, dass die Beklagte beweisen müsse, dass keine illegale Abschalteinrichtung verbaut sei, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Allein die vom Kläger vorgetragenen Messwerte reichen hierfür nicht aus.
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Vielmehr haben die Untersuchungen des KBA betreffend eines BMW 520d EURO 5 mit dem Motortyp N 47 ergeben, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt werden konnten (B1a). Die Fahrzeuge waren laut Auskunft des KBA lediglich Teil einer „freiwilligen Servicemaßnahme“, die im Rahmen des sogenannten „Dieselgipfels“ vereinbart wurde.
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Eine Rückrufaktion seitens des KBA wurde weder vorgetragen, noch hat es eine solche, den hier streitgegenständlichen Motortyp betreffend gegeben. Der Rückruf des KBA betraf nicht das hier streitgegenständliche Fahrzeugmodell und auch nicht den hier verbauten Motor.
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Demnach liegen gerade keine ausreichenden Anzeichen vor, die auf das Verbauen einer illegalen Abschalteinrichtung schließen lassen, sodass der Kläger nach wie vor in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig ist.
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Auch der klägerische Vortrag zum sog. „Thermofenster“ ist nicht geeignet, eine illegale Abschalteinrichtung schlüssig darzulegen. Auch wurde im Hinblick darauf bislang kein Rückruf durch das KBA ausgesprochen.
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Letztlich steht durch den Vortrag der Klagepartei lediglich der Verdacht im Raum, die Beklagte habe die Nichteinhaltung gesetzlicher Abgasgrenzwerte durch Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen vertuscht. Dies reicht für einen der Zivilprozessordnung genügenden schlüssigen Tatsachenvortrag insbesondere in Bezug auf die Beklagte als Herstellerin und die betroffene Modellreihe nicht aus. Dementsprechend ist auch den Beweisangeboten der Klagepartei nicht nachzukommen.
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Der Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung einer illegalen Abschalteinrichtung stellt angesichts des nicht ausreichend substantiierten Vortrages einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar.
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Die Klage war damit auch aus diesem Grunde als unbegründet abzuweisen.
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2. Auch – unterstellt, das streitgegenständliche Fahrzeug würde eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweisen – wären die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht gegeben. Auch insoweit sind die Voraussetzungen eines – einzig in Betracht kommenden – deliktischen Anspruchs nicht ausreichend vorgetragen.
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a) Für einen Anspruch aus § 823 BGB i.V.m. § 263 StGB ist schon nicht erkennbar, wann, wie und worüber die Beklagte den Kläger aktiv getäuscht haben soll, zumal sie nicht Verkäuferin des Fahrzeuges war und an den Verkaufsverhandlungen auch nicht beteiligt war.
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Auch die Feststellung eines Schadenseintritts beim Kläger begegnet erheblichen Bedenken.
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Der Kläger nutzt das Fahrzeug seit März 2013 beanstandungsfrei. Zudem ist das Bestehen eines kausalen geringeren Wiederverkaufswertes nicht zwingend anzunehmen. Zwar mag sich bei einem Verkauf des streitgegenständlichen Pkw ein Wertverlust realisieren. Die Feststellung eines solchen vom Kläger behaupteten Wertverlustes i.S. eines kausalen Schadens ist im Hinblick auf die vom Abgasskandal losgelöste allgemeine Dieselproblematik und der damit zusammenhängenden Diskussion um mögliche Fahrverbote in deutschen Großstädten letztlich nicht ausreichend sicher möglich.
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Nach Überzeugung des Gerichts kommt ein Anspruch wegen Betrug des Käufers bei Erwerb eines Gebrauchtfahrzeuges, mehrfach bestätigt durch das OLG Bamberg, ohnehin schon im Ansatz nicht in Frage.
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Das OLG Bamberg (Urteil vom 24.07.2019, Az. 8 U 38/19) hat in einem gleich gelagerten Fall zur Frage des Schadens bei Erwerb eines gebrauchten (dort tatsächlich mit einer Abschalteinrichtung) versehenen Fahrzeuges Folgendes ausgeführt, es könne nicht angenommen werden, dass die Beklagte im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Fahrzeugerwerb die Absicht gehabt hat, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Selbst wenn man eine Betrugshandlung der Beklagten als Herstellerin des Motors gegenüber dem Erstkäufer des streitgegständlichen Fahrzeugs, in dem dieser Motor eingebaut worden ist, annehmen wollte, so könnten die sich hieraus ergebenden Ansprüche ggfs. zwar der Erstkäufer, nicht jedoch ohne weiteres jeder weitere Käufer desselben Fahrzeugs geltend machen. Denn der Betrugstatbestand erfordert subjektiv neben dem Tatvorsatz ein Handeln in der Absicht sog. „stoffgleicher“ (Eigen- oder Dritt-) Bereicherung. Die Frage ist insbesondere beim Gebrauchtwagenkauf relevant, denn hier fließt – anders als beim Neuwagenkauf – der vom Gebrauchtwagenkäufer gezahlte Kaufpreis nicht, auch nicht teilweise, an die Herstellerin.
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b) Ein Anspruch gem. § 826 BGB scheitert, auch wenn das Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung in Form eines sogenannten Thermofensters oder anderer technischer Manipulation der Abschalteinrichtung nachgewiesen werden könnte, am Schädigungsvorsatz der Beklagten. Ein Thermofenster ist grundsätzlich zum Motorschutz zulässig.
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Zwar hat der EuGH nun mit Urteil vom 17.12.2020, – C-693/18 festgestellt, dass die Einrichtung eines Thermofensters allein zur Verhinderung von Verschleiß oder Verschmutzung („Versottung“) des Motors nicht zulässig ist. Vielmehr soll nach der Einschätzung des EuGH eine solche Einrichtung nur dann zulässig sein, um den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen. Die Entscheidung erging allerdings zum Motor EA 189. Die zulässigen Ausnahmen zum Motorschutz müssen außerdem auch noch näher definiert werden (vgl. Fachnews beck-aktuell zu o.g. Urteil).
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Jedenfalls ist im Hinblick auf die höchst streitige und unsichere Rechtslage kein Vorsatz, eine sittenwidrige Handlung vorzunehmen, sowie ein Schädigungsvorsatz nachweisbar.
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Im übrigen fehlt substantiierter Vortrag der Klägerseite dahingehend, dass bei dem hier verbauten Motor eine vergleichbare Manipulation auf dem Prüfstand vorliegt, wie sie bei Motoren des Typs EA 189 in VW-Motoren vorhanden waren.
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c) Auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV kommt nicht in Betracht.
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Ein etwaiger Verstoß gegen § 27 EG-FGV scheidet als Anspruchsgrundlage aus, da es sich hier um kein Schutzgesetz handelt, in dessen persönlichen Anwendungsbereich der Kläger als Käufer zur Abwehr von Vermögenseinbußen fallen würde. Vielmehr handelt es sich um eine Norm mit gesamtgesellschaftlichen Zielen, nämlich der Weiterentwicklung des Binnenmarktes durch Harmonisierung der technischen Vorschriften sowie der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus (vgl. EG-VO Nr. 715/2007). Insoweit wird auf die ausführliche Begründung des OLG Braunschweig in seinem Urteil vom 19.02.2019 (7 U 134/17, RdNr. 125 ff) verwiesen, der sich das erkennende Gericht voll umfänglich anschließt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.