Inhalt

LG Landshut, Endurteil v. 29.06.2021 – 24 O 422/21
Titel:

Sittenwidrigkeit, Klageschrift, Abschalteinrichtung, Nutzungsentschädigung, Klagepartei, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Feststellung des Annahmeverzugs, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Schriftsätze, Richtlinienkonforme Auslegung, Sittenwidrige Schädigung, Greifbare Anhaltspunkte, Übereinstimmungsbescheinigung, Vorvertragliche Ansprüche, OLG Koblenz, Unzulässige Ausforschung, Fahrzeuge, Betriebsuntersagung, Unzulässigkeit, Einholung eines Sachverständigengutachtens

Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Vertragliche Ansprüche, Vorvertragliche Ansprüche, Haftungsausschluss, Sittenwidrigkeit, Thermofenster, Täuschung, unzulässige Abschalteinrichtungen, Betrugsvorsatz, Schutzgesetzcharakter, Rückzahlung des Kaufpreises, Nutzungsentschädigung, Annahmeverzug, außergerichtliche Kosten, sittenwidrige Schädigung, Abschalteinrichtungen, Kühlmittel-Solltemperaturregelung, Beweisaufnahme, Ausforschungsbeweis, greifbare Anhaltspunkte
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 09.02.2022 – 9 U 5155/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 356/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63874

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 22.032,65 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht Ansprüche aus dem Erwerb eines Dieselfahrzeugs geltend.
2
Die Klägerin erwarb im Mai 2017 einen ... GLK 350 CDI 4MATIC bei der Firma S. KFZ-Handels GmbH zu einem Kaufpreis von 26.990,00 EUR mit einem Kilometerstand von 105.000 km. Herstellerin dieses Fahrzeugs ist die Beklagte. In dieses Fahrzeug ist ein Motor des Typs OM 642 verbaut. Das Fahrzeug ist in die Abgasnorm Euro 5 eingestuft. Die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist mit einem sog. Thermofenster und einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung versehen. Für das streitgegenständliche Fahrzeug existiert kein Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA). Die Beklagte bietet für das Fahrzeug im Rahmen einer freiwilligen Kundendienstmaßnahme ein Softwareupdate zur Verbesserung des StickoxidEmissionsverhaltens an, das die Klägerin aufspielen hat lassen.
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Die Klägerin trägt vor, in dem Motor seien mit dem Thermofenster und der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern und dazu führen würden, dass die zulässigen Grenzwerte unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehrs überschritten werden. Zudem seien weitere unzulässige Abschalteinrichtungen in dem Fahrzeug implementiert, wie namentlich eine Aufwärmstrategie, eine zeitraumbezogene Prüfstanderkennung, eine Lenkradwinkelerkennung mit einer Veränderung der Schaltpunkte, einer Manipulation des On-Board-Diagnose(OBD)Systems, einer Softwarefunktion „Slipquard“ oder ein EDC17-Motorsteuergerät. Die Klägerin trägt ferner vor, dass das Fahrzeug zum 28.06.2021 einen Kilometerstand von 143.939 km aufweise.
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Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges ... GLK350 CDI mit der Fahrgestellnummer … an die Klagepartei 26.990,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 26.02.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.957,35 Euro zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 26.02.2020 mit der Rücknahme des in Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeuges im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihres Rechtsanwaltes M. H. in Höhe von 1.711,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Die Beklagte behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Das Fahrzeug sei auch nicht „manipuliert“ und bei dem Fahrzeug würden keine Zulassungsprobleme gleich welcher Art drohen. Insofern sei dem Kläger kein Schaden entstanden. Die Beklagte rügt den Vortrag zum aktuellen Kilometerstand als verspätet und erhebt die Einrede der Verjährung.
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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
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Zur Vervollständigung des Tatbestands wird verwiesen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie sonstige Aktenteile.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
10
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Landshut sachlich gemäß §§ 23, 71 GVG und örtlich gemäß § 32 ZPO zuständig.
II.
11
Die Klage ist unbegründet. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf die geltend gemachte Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung zu.
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1. Vertragliche Ansprüche scheiden von vornherein aus, da der Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig nicht mit der Beklagten geschlossen wurde.
13
Auch vorvertragliche Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB scheiden aus, da die Beklagte weder unmittelbar noch mittelbar an den Vertragsverhandlungen beteiligt war, auf diese auch keinen Einfluss genommen hat, kein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgt hat und auch sonst eine ihr zurechenbare Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens nicht ersichtlich ist (vgl. OLG Braunschweig Urteil v. 20.6.2019 – 7 U 185/18, BeckRS 2019, 21337 Rn. 84; LG Deggendorf, Urteil v. 27.6.2019 – 33 O 741/18, BeckRS 2019, 31877 Rn. 22; LG Landshut, Urteil v. 25. März 2020 – 22 O 2860/19, juris Rn. 15). Insbesondere lässt sich aus der EG-Übereinstimmungserklärung der Beklagten kein solch besonderer Vertrauenstatbestand herleiten, da allein mit dieser Erklärung noch kein zusicherungs- oder garantieartiger Einstandswille der Beklagten für etwaige Sach- und Rechtsmängel gegenüber sämtlichen späteren Haltern des Fahrzeugs verbunden ist; die Beklagte will als Herstellerin des Fahrzeugs mit der Übereinstimmungsbescheinigung, die nach § 6 EG-FGV dem Fahrzeug kraft Gesetzes beizufügen ist und die allein der Vereinfachung und Formalisierung des Zulassungsverfahrens dient, grundsätzlich nur ihre gesetzliche Verpflichtung erfüllen, aber keine weitergehenden besonderen Erklärungen mit Rechtsbindungswillen abgeben (OLG Koblenz Beschluss vom 14.9.2020 – 12 U 1831/19, BeckRS 2020, 24349 Rn. 58 f.; LG Deggendorf, Urteil v. 27.6.2019 – 33 O 741/18, BeckRS 2019, 31877 Rn. 23 ff.).
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Demgemäß scheidet auch eine Haftung nach § 443 BGB aus, da der EG- Übereinstimmungsbescheinigung nach den vorstehenden Ausführungen keine Garantieerklärung entnommen werden kann (LG Landshut, Urteil v. 25. März 2020 – 22 O 2860/19, juris Rn. 17; LG Deggendorf, Urteil v. 27.6.2019 – 33 O 741/18, BeckRS 2019, 31877 Rn. 23 ff.).
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2. Ein Anspruch nach § 826 BGB besteht für die Klagepartei nicht, weil das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors nicht als vorsätzlich sittenwidrige Schädigung zu bewerten ist.
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Sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist ein Verhalten, das aus seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 15). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, a.a.O.). a)
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Unter Anwendung dieser Grundsätze stellt die Implementierung eines sog. Thermofensters vorliegend jedenfalls keine sittenwidrige Handlung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19; OLG München, Beschluss vom 10.2.2020, Az. 3 U 7524/19), unabhängig davon, ob es sich dabei um eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung handelt oder nicht. Bei dem Thermofenster, das grundsätzlich im normalen Fahrbetrieb gleichermaßen arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei dem Motor- bzw. Bauteilschutz als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht einfach angenommen werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss bei dieser Sachlage, selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, gerade in Anbetracht der kontroversen Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) 2007/715 eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (OLG München, Beschluss vom 10.02.2020, Az. 3 U 7524/19, Rn. 10 – 13, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 20.01.2020, Az. 12 U 1593/19, BeckRS 2020, 970). Solange aber eine bloß fahrlässige Verkennung der Rechtslage in Betracht zu ziehen ist, fehlt es an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (OLG München, Beschluss vom 10.02.2020, Az. 3 U 7524/19, Rn. 10 – 13, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 20.01.2020, Az. 12 U 1593/19, BeckRS 2020, 970. Rn. 22).
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Es sind vorliegend keine konkreten Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Beklagte über die bloße Kenntnis von der Verwendung eines Thermofensters hinaus zugleich auch in dem Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit der billigenden Inkaufnahme desselben gehandelt hätte. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Klageschrift sind lediglich pauschal und differenzieren insbesondere nicht zwischen der Kenntnis eines Thermofensters, die ggf. unterstellt werden kann, und dem Bewusstsein einer Rechtswidrigkeit, welches nicht ohne weitere Anhaltspunkte angenommen werden kann. Der Vortrag der Klagepartei geht vielmehr pauschal dahin, dass scheinbar zulässige Emissionswerte vorgespiegelt und durch unzureichende bzw. unzutreffende Angaben im Typengenehmigungsverfahren gegenüber dem KBA eine EG-Typgenehmigung erschlichen worden sei. Die Klagepartei beschränkt sich dabei in ihrem Vortrag auf pauschale Behauptungen, allgemeine Erwägungen und Vermutungen, die erkennbar ins Blaue hinein ohne jede Substanz erfolgen.
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Insbesondere ist eine Täuschung hinsichtlich des Thermofensters nicht erkennbar, zumal das Thermofenster sowohl auf dem Prüfstand als auch im Normalbetrieb die gleiche Funktionsweise aufweist und damit gerade nicht mit einer sog. Umschaltlogik, wie sie in dem ...-Motor E189 verwendet worden ist, vergleichbar ist. Dass sich Schadstoffaustausch und Kraftstoffverbrauch ggf. trotzdem auf dem Prüfstand und im Normalbetrieb unterscheiden, ist dabei ohne Belang, da es für die Tygenehmigung ausschließlich auf die Prüfstandswerte ankam. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, für den Prüfstand bestimmte standardisierte Bedingungen (NEFZ) vorzugeben. Wenn die Bedingungen im Straßenbetrieb hiervon abweichen und dies zu erhöhten Schadstoffwerten oder einem erhöhten Kraftstoffverbrauch führt, das Thermofenster aber im Straßenbetrieb wie im Prüfstand gleichermaßen arbeitet, kann von den erhöhten Werten im Normalbetrieb nicht auf ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein oder gar eine Täuschungsabsicht der Beklagten geschlossen werden (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19). Dies gilt umso mehr, als ein amtlicher Rückruf des KBA wegen einer in dem Fahrzeug verbauten illegalen Abschalteinrichtung für das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig bislang gerade nicht vorliegt.
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Soweit die Klagepartei meint, dem Geschäftsbericht der Beklagten aus dem Jahre 2017 sei aufgrund der dort erfolgten Rückstellungen „deutlich“ zu entnehmen, dass sich die Beklagte ihres Fehlverhaltens bezüglich ihrer manipulierten Fahrzeugflotte bewusst sei, kann dem nicht gefolgt werden, zumal in der klägerseits zitierten Stelle des Berichts jedweder Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug fehlt und die Bildung von Rückstellungen mitnichten zwingend auf das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen (wenn ja, welcher?) oder gar ein entsprechendes Rechtswidrigkeitsbewusstsein der Beklagten bereits zum Zeitpunkt der Entwicklung der Einrichtungen schließen lässt.
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Im Übrigen folgt auch aus der Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020, C – 693/18 nicht, dass ein sittenwidriges Handeln der Beklagten anzunehmen wäre. Dabei kann dahinstehen, ob sich dieses Urteil auf das hier streitgegenständliche Thermofenster übertragen lässt. Selbst wenn dies nämlich der Fall wäre, wäre das Urteil nicht geeignet, ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein der Beklagten rückwirkend auf den vor diesem Urteil liegenden Genehmigungszeitpunkt zu begründen (OLG Koblenz, Urteil vom 8.2.2021, Az. 12 U 471/20). Im Übrigen bedeutet nicht jeder Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben für die Produktion von Industriegütern, dass der Produzent sittenwidrig gehandelt hat.
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Da schon aus diesen Gründen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Einbau eines sog. Thermofensters nicht in Betracht kommt, bedurfte es keiner Beweisaufnahme zu dessen konkreter Ausgestaltung.
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b) Die Überlegungen zum Thermofenster gelten in gleicher Weise für den weiteren klägerischen Vortrag zur „Kühlmittel-Sollwert-Temperatur-Regelung“ (OLG Koblenz, Urteil v. 18.05.2020 – 12 U 2149/19, BeckRS 2020, 9935, Rn. 26 ff.). Die Beklagte hat ausführlich dargelegt, dass das geregelte Kühlmittelthermostat nicht zwischen dem Fahrbetrieb auf der Straße und dem Prüfstand unterscheidet, sondern in beiden Fahrsituationen in gleicher Weise arbeitet und keine Manipulation der Stickoxid-Emissionen bewirkt. Die Klagepartei hat auch auf diesen Vortrag hin lediglich mit bloßen Vermutungen, pauschalen Behauptungen ins Blaue hinein und einer nicht ausreichenden Berufung auf Berichte in der Presse erwidert, ohne sich hinreichend mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug auseinandersetzen und ohne nachvollziehbar darzulegen, aufgrund welcher Untersuchungen und Feststellungen sich eben gerade in Bezug auf dieses Fahrzeug ergeben soll, dass die dort vorhandene Kühlmittel-Solltemperaturregelung zwischen dem normalen Straßenbetrieb und dem Betrieb auf dem Prüfstand unterscheiden und in Abhängigkeit davon die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringern würde.
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Bezeichnenderweise führt die Klagepartei hier zum Beispiel selbst aus, dass von dem Rückruf des KBA vom 21.06.2019 Fahrzeuge des Modells GLK 220 CDI mit dem Dieselmotor OM 651 betroffen seien und Betroffenheit vieler weiterer Modelle der Beklagten mit einem OM 651 Dieselmotor „nahe“ liegt (vgl. Seite 7 des Schriftsatzes vom 18.05.2021, Bl. 71 d.A.). Diese Ausführungen dokumentieren eindrucksvoll nicht nur den rein spekulativen Charakter des klägerischen Vortrags, sondern verkennen auch, dass es im vorliegenden Fall um ein anderes Fahrzeugmodell (GLK 350 CDI) mit einem anderen Motor (OM 642) geht. Geradezu offensichtlich wird die unzureichende Auseinandersetzung der Klägerseite mit dem vorliegenden Fall, wenn sie in diesem Zusammenhang mehrfach von dem „hier streitgegenständlichen OM 651-Dieselmotor“ (vgl. Seite 6 des Schriftsatzes vom 18.05.2021, Bl. 70 d.A.) bzw. explizit davon spricht, dass der „OM 651-Motor […] auch in dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut“ sei (vgl. Seite 7 des Schriftsatzes vom 18.05.2021, Bl. 71 d.A.), zumal sie sich damit sogar zu ihrem eigenen Vortrag aus der Klageschrift in Widerspruch setzt, wo sie selbst noch ausgeführt hat, dass das Fahrzeug über einen Motor des Typs OM 642 verfügt (vgl. Seite 2 der Klageschrift vom 13.02.2021, Bl. 2 d.A.).
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Unabhängig davon, dass die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens unter den dargelegten Umständen eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung darstellen würde, ist eine Beweiserhebung über die konkrete Ausgestaltung der Kühlmittel-Solltemperaturregelung auch nicht geboten, weil die Implementierung einer solchen Regelung vorliegend jedenfalls nicht als sittenwidrigen Handlung zu bewerten ist (OLG Koblenz Urt. v. 18.5.2020 – 12 U 2149/19, BeckRS 2020, 9935 Rn. 30, 32). Insoweit wird vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zum Thermofenster Bezug genommen.
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c) Soweit die Klagepartei neben dem Thermofenster und der Kühlmittel-Solltemperaturregelung weitere Abschalteinrichtungen etwa in Gestalt einer Aufwärmstrategie, eine zeitraumbezogene Prüfstanderkennung, eine Lenkradwinkelerkennung mit einer dauerhaften Veränderung der Schaltpunkte, einer Manipulation des OBD-Systems, einer Softwarefunktion „Slipquard“ oder ein EDC17-Motorsteuergerät behauptet, scheitert die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung daran, dass das Gericht nicht vom Vorhandensein entsprechender unzulässiger Abschalteinrichtungen überzeugt ist.
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Der diesbezügliche Vortrag der Klägerseite ist substanzlos und erfolgte ersichtlich pauschal „ins Blaue hinein“. Er besteht – trotz seines Umfangs – bei genauerer Betrachtung lediglich aus diffusen Vermutungen und rein spekulativen Behauptungen, die in Analogie zu dem ...-Motor des Typs EA 189 oder anderen Motoren vorgetragen werden. Eine Beweiserhebung über diese Behauptungen etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht geboten, da sie auf einen in der ZPO nicht vorgesehenen und damit unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Zwar ist bei der Annahme eines willkürlichen Sachvortrags Zurückhaltung geboten und ein solcher nur im Ausnahmefall anzunehmen, da es einer Partei auch möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis besitzt, die sie nach Lage der Dinge aber für wahrscheinlich hält. Eine unzulässige Ausforschung ist aber dennoch gegeben, wenn eine Partei – wie hier – ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich auf's Geratewohl Behauptungen aufstellt (BGH, Urteil vom 20.09.2002 – V ZR 170/01, NJW-RR 69, 70). Solche greifbaren Anhaltspunkte liegen hier in keinster Weise vor:
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aa) Der Vortrag der Klagepartei ist vielmehr in weiten Teilen erkennbar auf eine Vielzahl von Verfahren gemünzt, ohne sich ausreichend konkret mit dem streitegenständlichen Fahrzeug auseinanderzusetzen. Das zeigt sich – wie oben bereits ausgeführt – beispielsweise an dem unzutreffenden, widersprüchlichen und offensichtlich einer bloßen Verwendung von Textbausteinen geschuldeten Vortrag in der Replik, wonach angeblich ein Motor des Typs OM 651 in dem Fahrzeug verbaut und damit „streitgegenständlich“ sei (vgl. etwa Seiten 6 f., 11 21 Schriftsatzes vom 18.05.2021, Bl. 70 f., 75, 85), obwohl die Klagepartei in der Klageschrift selbst darauf hinweist, dass es vorliegend um einen Motor des Typs OM 642 geht (vgl. Seite 2 der Klageschrift, Bl. 4 d.A.). Ferner enthält sowohl die Klageschrift (vgl. Seite 18 der Klageschrift, Bl. 18 d.A.) als auch die Replik an verschiedenen Stellen (vgl. etwa Seiten 13, 28, 70 f. des Schriftsatzes vom 18.05.2021, Bl. 77, 92, 134 d.A.) Ausführungen zum Tank bzw. Verbrauch von sog. AdBlue (Harnstoff), obwohl die Beklagten bereits in der Klageerwiderung darauf hingewiesen hat, dass in dem streitgegensändlichen Fahrzeug gar kein SCR-System und damit auch keine Einspritzung von Adblue verbaut ist (vgl. Seite des 10 der Klageerwiderung, Bl. 218), und die Klägerseite sogar selbst in der Replik explizit feststellt, dass bei Fahrzeugen der Abgasnorm Euro 5 – um ein solches Fahrzeug handelt es sich hier unstreitig – nicht auf die AdBlue-Lösung zurückgegriffen wird (vgl. Seite 14 des Schriftsatzes vom 18.05.2021, Bl. 78 d.A.). Dass die Klägerseite ihre Behauptungen auf's Geratewohl aufstellt, lässt überdies der Umstand erkennen, dass die Klagepartei in der Klageschrift zunächst nur das Thermofenster und die KühlmittelSolltemperaturregelung beanstandet hat (vgl. Seite 4 der Klageschrift, Bl. 4 d.A.), in der Replik sodann aber weitgehend ohne Bezug zum konkret streitgegenständlichen Fahrzeug eine Auflistung mit zahlreichen weiteren von der Beklagte angeblich verwendeten unzulässigen Abschalteinrichtungen nachgeschoben hat (vgl. die Auflistung auf Seite 10 der Replik, Bl. 74 d.A.), ohne auch nur im Ansatz nachvollziehbar und konkret darzulegen, woraus sich nun ergeben soll, dass diese Abschalteinrichtungen gerade auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden sein sollen.
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bb) Soweit sich die Klagepartei auf den Geschäftsbericht der Beklagten aus dem Jahre 2017 stützt, ist das – wie oben unter 2.a) bereits gezeigt – ungeeignet, die Behauptungen und Vermutungen der Klagepartei zu stützen.
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cc) Auch auf einen amtlichen Rückruf des KBA kann sich die Klagepartei nicht stützen. Ein solcher ist für das konkret streitgegenständliche Fahrzeug nach gerichtlicher Überzeugung bislang nicht erfolgt. Die Beklagte hat mehrfach explizit ausgeführt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von einem behördlichen Rückruf des KBA betroffen ist. Die Klagepartei hat dies nicht bestritten, sondern nur allgemein zu Rückrufen von Fahrzeugen anderer Hersteller oder anderen Modellen bzw. Motoren vorgetragen und aus dem vorliegend angebotenen freiwilligen ServiceUpdate lediglich den „Schluss“ gezogen, dass die Beklagte mit dieser freiwilligen Servicemaßnahme einem verpflichtenden Rückruf des KBA beim streitgegenständlichen Fahrzeug zuvorkommen habe wollen (vgl. Seite 5/6 der Klageschrift und Seiten 4 ff., 31 ff. der Replik). Damit gilt der Vortrag der Beklagten, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug bislang kein Rückruf des KBA existiert, als unstreitig.
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dd) Soweit sich die Klagepartei bei ihrem Vortrag auf Rückrufe oder Erkenntnisse zu Fahrzeugen anderer Hersteller oder anderen Modellen bzw. Motoren bezieht, können diese nicht auf das streitgegenständliche Fahrzeugmodell übertragen werden (vgl. OLG München, Beschlüsse vom 14.8.2019 und 18.10.2019 – 21 U 3241/19; Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19).
32
ee) Auch aus dem Umstand, dass die Beklagte für das streitgegenständliche Fahrzeug ein „freiwilliges Service-Update“ angeboten hat, ergibt sich kein greifbarer Anhaltspunkt für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Bereits aus der als Anlage K1 vorgelegten Bescheinigung ergibt sich, dass es sich um eine „freiwillige“ Kundendienstmaßnahme handelt. Zudem bestätigten auch die als Anlange B9 und B10 vorgelegten amtlichen Auskünfte des KBA aus Parallelverfahren, dass es sich bei solchen Servicemaßnahmen um freiwillige und daher nicht zwingend erforderliche Maßnahmen der Hersteller handelt, die nur bei Fahrzeugen durchgeführt werden, bei deren amtlicher Untersuchung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde. Ferner droht laut diesen Auskünften im Rahmen von freiwilligen Maßnahmen keine Betriebsuntersagung. Die vorliegend angebotene Servicemaßnahme kann daher einem behördlich angeordneten Rückruf nicht gleichgesetzt werden. In dieser Servicemaßnahme liegt im Übrigen auch kein „freiwilliger Rückruf“ im Sinne des § 6 Abs. 4 ProdSG vor, zumal nicht ersichtlich ist, dass diese Maßnahme aufgrund von akuter Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Verwender oder Dritter eingeleitet worden wäre.
33
3. Soweit sich die Klagepartei neben § 826 BGB noch auf andere deliktische Anspruchsgrundlagen beruft, verhilft dies der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg.
34
a) Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitern daran, dass es am Nachweis eines Betrugsvorsatzes fehlt. Abgesehen davon, liegt nach der Rechtsprechung des BGH mangels „Stoffgleichheit“ kein Betrug vor (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20).
35
b) Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV kommt nicht in Betracht, weil den Vorschriften bereits der Schutzcharakter fehlt (OLG München, Beschluss vom 10.01.2020 – 3 U 5980/19). Eine Norm ist dann als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Normen mit Drittschutzwirkung für den Autokäufer. Bei Vorschriften, die wie hier Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insofern maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier also RL 2007/46/EG – an. Diese zielt nicht auf den Schutz der Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer ab, sondern auf die Harmonisierung des Binnenmarktes und in diesem Zusammenhang auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung.
36
c) Ein Anspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4, 5, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 scheitert daran, das diesen Vorschriften der Schutzgesetzcharakter fehlt (OLG München, Beschluss vom 10.01.2020 – 3 U 5980/19). Ziel der VO (EG) 715/2007 ist nämlich die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. die Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung von Fahrzeugemissionen. Soweit auch ein hohes Umweltschutzniveau und die Reinhaltung der Luft bezweckt werden, geht es ausweislich der Ausführungen unter (7) der Verordnung nicht um individuelle Interessen, sondern um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele. Dies ergibt sich auch daraus, dass unter (7) die Ziele in Beziehung gesetzt werden zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern (OLG München, aaO).
37
4. Da nach alledem bereits kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises besteht, kommt es auf die Frage der Nutzungsentschädigung und damit die streitige Frage des Kilometerstandes nicht mehr an.
III.
38
Aus diesen Gründen scheitert auch der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs.
IV.
39
Mangels Anspruchs in der Hauptsache kann die Klagepartei weder Zinsen noch Freistellung von ihren außergerichtlichen Kosten verlangen.
V.
40
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO.
41
Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO i.V.m. § 48 GKG festgesetzt. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert.