Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 03.11.2021 – 31 O 1846/19
Titel:

Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Tatbestandswirkung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kraftfahrt-Bundesamt, OLG Nürnberg, Unzulässigkeit, Deliktischer Anspruch, Gesetzesverstoß, Verwaltungsakt, Kostenentscheidung, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Schädigungsvorsatz, Typgenehmigung, Greifbare Anhaltspunkte, vorsätzliche Schadenszufügung, Klageabweisung, Rücktritt vom Kaufvertrag, Ausnahmen vom Verbot, Rechtshängigkeit

Schlagworte:
Vergleichbarkeit mit Dieselskandal, Thermofenster, Haftung nach § 826 BGB, Gesetzesauslegung, Sittenwidrigkeit, Tatbestandswirkung der Typgenehmigung, Deliktische Ansprüche
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 01.02.2022 – 1 U 4358/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.03.2022 – 1 U 4358/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.10.2023 – VIa ZR 476/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63864

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.200,- EUR vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger macht der Beklagten gegenüber Ansprüche im Hinblick auf einen vermeintlichen Dieselskandal geltend.
2
Der Kläger erwarb am 10.4.2013 einen gebrauchten Pkw BMW X 3 für 42.000,- EUR von privat.
3
Das Fahrzeug verfügt über einen Motor N 47 und ist eingestuft in die Klasse Euro 5.
4
Das Fahrzeug war nicht von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes betroffen.
5
Das Kraftfahrtbundesamt hat den Motor am 15.2.2018 untersucht und dabei keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.
6
Auch die Untersuchungskommission ... hat insoweit eine unzulässige Abschalteinrichtung verneint.
7
Das Fahrzeug verfügt weiter über die EU-Typgenehmigung Euro 5.
8
Der Kläger hat am 15.3.2019 den Rücktritt vom Kaufvertrag sowie dessen Anfechtung erklärt.
9
Die Beklagte hat klägerische Ansprüche am 23.4.2019 zurückgewiesen.
10
Der Kläger behauptet, das Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Motorsteuerung, die so funktioniere, wie die aus dem VW-Skandal bekannte.
11
Sämtliche Motoren der Beklagten seien vergleichbar. Insoweit sei deshalb auch auf die Rückrufaktionen des Kraftfahrtbundesamtes bei den Motoren der Beklagten der Klassen 750 B und M 550 D abzustellen, bei der ersichtlich unzulässige Motorsteuerungen verbaut wären.
12
Schließlich enthalte der fragliche Motor ein unzulässiges Thermofenster.
13
Aufgrund dieser Täuschung der Beklagten bestünden für den Kläger Ansprüche gem. § 826 BGB wegen sittenwidriger Täuschung des Klägers.
14
Ein Vermögensschaden sei beim Kläger gegeben.
15
Der Kläger beantragt deshalb,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 42.000,- EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw BMW Typ X 3 FIN: …,
die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.965,88 EUR freizustellen.
16
Die Beklagte begehrt
Klageabweisung
und bringt vor, dass der gesamte Vortrag des Klägers unsubstantiiert sei.
17
Die Untersuchungskommission ... habe den klägerischen Vorwurf widerlegt.
18
Im Übrigen wird auf die entgegenstehende Rechtsprechung einer Vielzahl von Oberlandesgerichten abgehoben.
19
Eine unzulässige Motorsteuerung sei nicht verbaut, insbesondere verfüge der Motor über keinerlei Abschalteinrichtung. Auch sei kein Thermofenster gegeben.
20
Eine Täuschung des Klägers sowie eine Schädigung sei nicht gegeben, weshalb für diesen keine deliktischen Ansprüche bestünden.
21
Des Weiteren wird auf die umfassende Darlegungs- bzw. Beweislast des Klägers verwiesen.
22
Auf den weitergehenden Vortrag der Parteien in den gewechselten Schriftsätzen vom 28.5.2019, 11.11.2019, 27.2.2020, 23.4.2020, 14.10.2020, 5.3.2021, 17.5.2021, 21.7.2021, 11.9.2019, 23.12.2019, 17.4.2020, 29.3.2021 und 12.8.2021 wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

23
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
24
1. Soweit der Kläger sich auf die mögliche Vergleichbarkeit mit den im Rahmen des Dieselskandals bei dem ...konzern verwendeten Dieselmotor EA 189 beruft, ist dies ohne jeden nachvollziehbaren Hintergrund.
25
Zwar kann eine Partei genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und auch unter Beweis zu stellen. Der Kläger nämlich kann kein sicheres Wissen darüber haben, ob die Motorsteuerung seines Fahrzeuges so gestaltet ist, wie dies im Rahmen der bei VW dargestellten Motorisierung EA 189 der Fall war.
26
Ein solches prozessuales Vorgehen wird jedoch dann unzulässig, wenn eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Vorliegend fehlt es an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten, die der Kläger hierfür hätte darstellen müssen.
27
Es liegt auf der Hand, dass die inzwischen allgemein bekannte Verwendung einer manipulativen Motorsteuerung in Fahrzeugen des ...-Konzerns mit dem Motor der Baureihe EA 189 für den Streitfall keinerlei Aussagekraft haben kann. Dieser Motor ist im Fahrzeug des Klägers ersichtlich nicht verbaut (OLG Nürnberg, 5 U 1670/18).
28
Im Übrigen wurde der streitgegenständliche Motor am 15.2.2018 durch das Kraftfahrtbundesamt untersucht und dabei wurden keinerlei unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt.
29
Darüber hinaus ist der fragliche Motor von keinerlei Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes betroffen.
30
2. Auch im Hinblick auf das Thermofenster kann die Klage keinen Erfolg haben.
31
Eine Haftung der Beklagten gem. § 826 BGB scheidet danach aus.
32
Danach ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Eine erforderliche objektive Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn die schädigende Handlung nach ihrem Inhalt bzw. Gesamtcharakter im Widerspruch zum Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden steht und daher mit den grundlegenden Wertungen der Rechtsordnung unvereinbar ist (BGH, NJW 2017, 250).
33
Anhaltspunkte hierzu sind klägerseits nicht dargestellt.
34
Allein die Behauptung des Klägers, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung der Motorsteuerung ausgestattet, die im Rahmen eines sogenannten „Thermofenster“ die Abgasrückführungssteuerung zum Teil ganz abschalte, genügt nicht, um die Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB schlüssig vorzutragen.
35
Es werden nämlich keinerlei konkreten und greifbaren Anhaltspunkte vorgetragen oder sind ersichtlich, wonach davon ausgegangen werden könnte, dass diese streitgegenständlichen Motoren mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind. Auch die Behauptung des Klägers stellt eine reine Spekulation dar (OLG Nürnberg, a.a.O.).
36
Die Beklagte nämlich kann darauf verweisen, dass der streitgegenständliche Motor weder durch das Kraftfahrtbundesamt noch durch das Bundesministerium für Verkehr beanstandet worden ist und auch nicht von einer Rückrufaktion betroffen war.
37
Sieht danach die zuständige Behörde die Funktionsweise des Motors als zulässig an, ist der Fahrzeughalter auch nicht der Gefahr einer drohenden Betriebsbeschränkung oder Untersagung ausgesetzt, sodass das Fahrzeug diesbezüglich auch nicht mangelbehaftet ist. Insoweit sind bereits deliktische Ansprüche ausgeschlossen.
38
Im Übrigen fehlt es an der Darlegung konkreter Anhaltspunkte, dass die Beklagte durch ihr Verhalten bewusst das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verletzt haben könnte. Auch sind klägerseits weder Tatsachen noch sonstige Gesichtspunkte vorgetragen worden, die den Rückschluss auf einen bei der Beklagten bestehenden Schädigungsvorsatz zulassen würden.
39
3. Selbst wenn man von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung durch das Thermofenster ausgehen wollte, ist eine möglicherweise falsche, aber jedenfalls vertretbare Gesetzesauslegung oder Gesetzesanwendung der Beklagten zu beachten.
40
Sollte die Beklagte nämlich die Rechtslage fahrlässig verkannt haben, fehlt es jedenfalls am Vortrag des Schädigungsvorsatzes wie auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (OLG Brandenburg, 1 U 103/19).
41
Dieser Vorsatz, den der Kläger darzustellen und zu beweisen hätte, ist seitens des Klägers weder vorgetragen noch bewiesen.
42
Eine Sittenwidrigkeit käme nämlich nur dann in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise im streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Köln, 3 U 148/18; OLG München, 3 U 7524/19).
43
Die Kontroverse hinsichtlich der Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EG) 715/2007 zeigt, dass die Gesetzeslage an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig ist. Nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission ... liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster ebenfalls nicht eindeutig vor.
44
Der Annahme des Vorsatzes steht auch entgegen, dass die zitierten Vorschriften dieser Verordnung keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung der temperaturabhängigen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste. Zu diesem Ergebnis ist immerhin der 5. Untersuchungsausschuss gem. Art. 55 Grundgesetz des Deutschen Bundestages gelangt, wonach festgehalten ist, dass die in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 715/2007 aufgeführten Ausnahmen vom Verbot der Abschalteinrichtungen nicht eindeutig definiert sind. Dies gilt insbesondere für die Ausnahme des Motorenschutzes, die den Herstellern die Definition weiterer vertretbarer Thermofenster ermöglicht (OLG Nürnberg, a.a.O.).
45
Von daher ist eine Auslegung, wonach ein Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerfliches Handeln angesehen werden (OLG Stuttgart, 10 U 134/19; OLG München, a.a.O.).
46
Dies gilt umso mehr, als aus Sicht des Kraftfahrtbundesamtes keinerlei Aufforderung an die Beklagte ergangen ist, die Abgasreinigung auf andere Weise vorzunehmen.
47
4. Schließlich reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem mangels abweichender Feststellungen zugrunde zu legenden Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Außentemperaturen reduziert und letztlich ganz abgestellt wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 705/2007 zu qualifizieren ist. Der Gesetzesverstoß werde auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerung durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, VI ZR 433/19).
48
5. Da das vorliegende Fahrzeug nicht von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes wegen Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen war, ist des Weiteren die beklagtenseits angeführte Tatbestandswirkung der Typgenehmigung zu beachten.
49
Die EG-Typgenehmigung stellt einen Verwaltungsakt gegenüber dem Fahrzeughersteller dar, mit dem diesem bestätigt wird, dass der zur Prüfung vorgeschriebene Typ eines Fahrzeuges die Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt (§ 2 Nr. 4 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung).
50
Da zu diesen Vorschriften auch der Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gerechnet werden muss, umfasst die Bestätigung der Vorschriftsmäßigkeit auch die Feststellungen der Vorschriftsmäßigkeit in den Blick auf die Emissionen.
51
Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das betreffende Fahrzeugmodell den Anforderungen entspricht, so sind die Zivilgerichte aufgrund der Tatbestandswirkung dieses Verwaltungsaktes gehindert, etwas anderes anzunehmen. Mit der Tatbestandswirkung der hier auch nicht nachträglich eingezogenen Typgenehmigung wäre nicht zu vereinbaren, wenn das Gericht annähme, die Beklagte habe dem Kläger gegenüber mit dem Inverkehrbringen eines Fahrzeuges, das einem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung versehen wäre, die der Erteilung der Genehmigung entgegengestanden hätte (OLG Nürnberg, 5 U 3953/19; OLG Celle, 7 U 626/19; Kammergericht 14 U 417/19).
52
Deshalb verbietet sich auch eine Beweiserhebung, die zum Ziel hätte, festzustellen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.
53
6. Lediglich ergänzend wird verwiesen auf den umfassenden Hinweisbeschluss des OLG Nürnberg vom 19.5.2021 – 1 U 564/21 –, mit dem das OLG Nürnberg sämtliche deliktischen Ansprüche der Beklagten gegenüber in nachvollziehbarer Weise verneint hat.
54
Der Vorsitzende macht sich dies ausdrücklich zu eigen und legt diese Entscheidung auch vorliegendem Urteil zugrunde.
55
7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.